Kitabı oku: «Angriff auf die Demokratie», sayfa 3
Das Internet
Das änderte sich mit dem Internet. Ursprünglich war das Internet dazu gedacht, die militärische Kommunikation im Krisenfall aufrecht zu erhalten. Daraus entwickelte sich das kommerzielle Netz, welches in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst wenigen Menschen vorbehalten war. Erst in den 90ern eroberte das Internet allmählich die Haushalte zunächst in Form der Personal Computer. PCs waren damals allerdings vor allem der besserverdienenden Bildungsschicht vorbehalten.
Eine echte Massentauglichkeit erreichte das Internet erst, als das Smartphone Einzug in unser aller Leben hielt. Mittlerweile stellt es für die meisten Menschen den Zugang zum Internet dar. Gemeinsam mit der entsprechenden Hardware und den nahezu flächendeckenden Zugangspunkten entwickelte sich im Internet zudem eine neue Form der Kommunikation: Social Media.
Anfangs noch Web 2.0 genannt, löste später Social Media das starre Internet der 80er- und 90er-Jahre ab. Das passive Internet dieser Jahrzehnte wandelte sich zu einem immer interaktiveren Netz, welches in gewisser Weise auch ein Stück Demokratisierung war. Auch technisch entwickelte sich das Internet weiter und wurde immer nutzerfreundlicher, sprich massentauglicher.
Anfangs war noch technisches Hintergrundwissen notwendig, um Inhalte im Netz nicht nur lesen, sondern auch veröffentlichen zu können. Social Media hingegen erfordern keine HTML-Kenntnisse mehr. Wir sind nicht mehr nur Empfänger, sondern gleichzeitig auch Sender. Brechts Traum vom Radio als Sender für alle ging mit Social Media in Erfüllung. Damit ist ein neuer Akteur auf die Bühne der Mediengeschichte getreten, und zwar wir alle, die sogenannten ProdUser.
Die ProdUser
Im Gegensatz zu allen Kommunikationsformen der Vergangenheit hat Social Media die Relationen zwischen Sendern und Empfängern verändert. Früher gab es nur wenige Sender. Das lag daran, dass die Produktionskosten für Medien (egal ob für Zeitung, Buch, Radio oder TV) recht hoch waren. Privatpersonen konnten nicht ohne Weiteres einen Inhalt senden. Große Empfängerkreise konnte nur ansprechen, wer Geld für die Verbreitung hatte.
Gleichzeitig gab und gibt es in allen kostspieligen Sendebereichen Personen, die als sogenannte Gatekeeper fungieren. Häufig sind das Journalisten, die innerhalb eines Senders oder eines Verlags kontrollieren, ob ein Inhalt überhaupt relevant und korrekt ist. Die Recherche, also die Überprüfung der Inhalte, ist ihr Beruf. Recherche kostet Zeit, muss also meist bezahlt werden, was wiederum die Kosten des Mediums erhöht. Jene Menschen, die keinen Zugang zu Sendemöglichkeiten hatten, mussten sich darauf verlassen, dass der Inhalt, den sie von solchen Medien konsumierten, zum einen für sie wichtig war, zum anderen aber auch keine Falschmeldung darstellte.
Das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger war in der Vergangenheit in der Regel eine Einbahnstraße. Im Regelfall gab es kaum Feedback der Empfänger gegenüber den Sendern. Vergleichsweise wenige Menschen aus dem Publikum verfassten Briefe an einen Intendanten, einen Herausgeber oder eine Redaktion. Fast ausschließlich bei den Zeitungen fanden wiederum nur wenige davon als Leserbrief Eingang in die Publikationen.
Dieses Verhältnis haben Social Media gehörig durchgerüttelt. Auf Social Media sind alle Konsumenten auch zu Sendern geworden. Egal, ob es ein Posting auf Facebook, ein Tweet auf Twitter oder ein Foto auf Instagram ist: Diese einfachsten Formen des Verfassens von Inhalten machen den Teilnehmer bereits zum Sender.
Der ProdUser ist also eine Mischform aus Produzenten und Nutzer. Er ist eine neue Form des Kommunizierenden, der einerseits Inhalte konsumiert, aber gleichzeitig auch ohne große Hürden Inhalte verbreiten kann. Das ist grundsätzlich eine großartige Sache. Wirklich, ich bin ein sehr großer Freund von Social Media und der Möglichkeit, selbst Inhalte ohne große Hürden zu verbreiten. In seinem ursprünglichen Sinne halte ich das sogar für ein demokratisches Instrument. Wir alle können jegliche Formate produzieren, Text, Bild, Audio und Video mischen, wie es uns gefällt.
Text, Bild, Audio und Video, das sind die Komponenten des sogenannten Digital Storytelling. Digital Storytelling ist die moderne Form des Geschichtenerzählens, mit der die ProdUser die Möglichkeiten der digitalen Kanäle voll ausschöpfen. Idealerweise verknüpfen sie diese Formen innerhalb einer Geschichte, was im Internet technisch gesehen kein Problem darstellt. Alle ProdUser konkurrieren um Aufmerksamkeit. Daher versuchen alle, ihre Geschichten so attraktiv wie möglich zu präsentieren und entsprechend auch online bestmöglich zu platzieren.
Die meisten ProdUser sind keine Profis. Sie betreiben Digital Storytelling eher unbewusst, intuitiv, oder weil sie Influencer ihrer Wahl nachahmen. Sie unterliegen nicht den ethischen Grundsätzen, die beispielsweise ein Presserat auferlegt. Ein ProdUser entscheidet nur nach eigenen ethischen Grundsätzen, was er senden möchte, wobei die ethischen Aspekte der Veröffentlichung in der Praxis zumeist hinter anderen Überlegungen zurückstehen.
Die Aussagen des ProdUsers auf Social Media müssen nicht stimmen. Sie müssen nicht einmal als unwahr gekennzeichnet sein. Der Empfänger muss entscheiden und erkennen, ob Aussagen korrekt sind. Somit verlagert der ProdUser die Aufgabe der Prüfung auf die Empfänger seiner Inhalte. Das Ergebnis dieser Prüfung sieht er nur an positivem oder negativem Feedback, sofern er überhaupt welches bekommt.
Aus dem Kreis der ProdUser entwickeln sich Multiplikatoren im Netz und auf Social Media. Es gibt einzelne ProdUser, die zu Multiplikatoren werden, die sogenannten Influencer. Häufiger treten Multiplikatoren als Betreiber einer Website, eines Blogs, eines Social-Media-Kanals oder eines Messengerkanals auf. Das hat den Vorteil, dass sich nicht nur eine Einzelperson, sondern ein Kollektiv um das Betreiben des Kanals kümmern kann. Im Gegensatz zum ProdUser stellen sich Multiplikatoren vorzugsweise als eine Art Nachrichtenmedium dar. Sie achten vor allem auf eines: Reichweite.
An dieser Stelle setzen auch Rechtsextremisten und Rechtspopulisten an, die ein sogenanntes »alternatives« Nachrichtennetzwerk aufbauen. Dieses ist an keinen Pressekodex gebunden. Es besteht aus Websites, Blogs und Social-Media-Kanälen.
Rechtspopulistische Politik preist dieses Netzwerk an und unterstützt es. Am 11. Mai 2019 lud die rechtspopulistische AfD zur »1. Konferenz der freien Medien« Vertreter der sogenannten alternativen Medien in den Bundestag ein. Die Faktenprüferplattform Correctiv beschrieb dieses Treffen als »Das Who is Who der rechten Meinungsmacher«.
Der Angriff im historischen Verlauf: 2014 – 2021
Seit 2014 ist die Arbeit des rechtsextremen Mediennetzwerks auf Social Media deutlich spürbar. Die Inhalte weisen zumeist keine Autorenschaft einer rechten Partei oder Gruppierung auf. Sie kommen als Meinungen und Warnungen von meist anonymen Privatpersonen daher. Sozusagen Menschen wie du und ich, die wegen etwas besorgt, aufgewühlt, wütend oder sonstwie emotional waren. Die auf diese Weise transportierten rechten Inhalte waren Menschen in der politischen Mitte normalerweise kaum vertraut, einfach neu.
Hier kommen die ProdUser ins Spiel. Insbesondere die neuen Warnungen haben viele Menschen unbedarft und ungefiltert rezipiert, zumal sie Aufsehen erregten.
Warnungen haben eine seltsame Eigenschaft. Sie brauchen den Vergleich mit der Realität nicht zu scheuen. Denn eine Warnung warnt ja nur vor dem, was geschehen könnte, was also per Definition noch nicht real ist. Darum werden Warnungen leicht rezipiert, obwohl oder gerade weil die Gefahr nur in Ansätzen der Realität entspricht. Warnungen sind das ideale Instrument für Verunsicherung. Wer dauernd gewarnt wird, sieht bald überall Gefahr. Außerdem beinhalten Warnungen unausgesprochen die Aufforderung, die Warnung weiterzugeben, damit auch andere gewarnt sind. Daher ist es nicht bei der Rezeption der Warnungen geblieben. Die politisch unbedarften und durch die Warnungen verunsicherten ProdUser haben die aus dem rechten Rand stammenden, ganz gezielt lancierten, scheinbar harmlosen Inhalte massenhaft weitergeleitet.
Diese Nutzung der ProdUser als Verbreiter rechter Ideologie ist perfid. Denn werden verunsicherte ProdUser wegen der Verbreitung kritisiert, beteuern sie ganz ehrlich und aus tiefstem Herzen, mit dem rechten Rand nichts zu tun zu haben. Sie fühlen sich angegriffen und missverstanden, wie das Beispiel der jungen Löwenmutter zeigt, die ja nur Angst vor einer möglichen Entführung ihrer Kinder in einem weißen Lieferwagen hatte. Viele sind zutiefst beleidigt, wenn sie da plötzlich wegen eines berechtigt erscheinenden Anliegens ins rechte Eck gestellt werden. Sie sind sowieso verunsichert und können in dieser Situation kaum anders, als mit Trotz und Abwehr zu reagieren, was sie wiederum unzugänglich für rationale Argumente macht.
Den ProdUsern geht es auch gar nicht um die rechten Inhalte, die da mittransportiert werden. Es geht ihnen vor allem um Sicherheit, die die herrschende Ordnung ihrer Meinung nach nicht mehr herstellen kann. Dieser Ruf nach Sicherheit durch die Verunsicherten wird zu einem wachsenden Problem. Die Verunsicherung nimmt ganz unabhängig von realer Bedrohung und realen Kriminalitätsstatistiken zu, weil die Konfrontation mit Horrormeldungen über Social Media zunimmt.
Durch die ProdUser, die in ihrem Umfeld auf Social Media ihren guten Namen für versteckte rechte Inhalte hergeben, findet die rechte Ideologie Zugang zu weiten Teilen der Gesellschaft.
In den Jahren 2015 und 2016 verstärkt sich der Trend zur Weiterleitung von inszenierten Meinungen aus dem rechten Rand. Während flüchtende Menschen in bisher beispielloser Anzahl bis nach Mitteleuropa kommen, tauchen auch entsprechend Falschmeldungen dazu auf. Diese Meldungen nutzen die aktuellen Ereignisse, um wiederum genau nach dem altbekannten Schema vorzugehen: Sie zielen darauf ab, diffuse Ängste hervorzurufen, die wiederum der Motor für die Weiterverbreitung sind. Es gibt bereits zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Scheu mehr, Menschen mit Falschmeldungen zu verunsichern. Immer mehr ProdUser verfallen in die Verunsicherung und verbreiten diese Verunsicherung in Form von scheinbar berechtigten Warnungen weiter.
Gleichzeitig tauchen politische Heilsbringer aus dem rechten Spektrum auf Social Media auf. Personen wie HC Strache oder auch Donald Trump nutzen für politische Kampagnen Facebook und Twitter und gewinnen schnell mehrere Zehntausend Follower, die deren Inhalte ihrerseits als ProdUser weiterverbreiten. Die rechten Heilsbringer versprechen vor allem eines: Sicherheit durch hartes Durchgreifen. Das ist die Sprache, die die Verunsicherten verstehen. Das sind die starken Männer, die die verunsicherten ProdUser an der Spitze sehen wollen.
Donald Trump bewies bei den US-Wahlen 2016 der Welt, wie wenig Fakten von Interesse sein können. Er hat eine Entertainment-Politik betrieben. Politische Inhalte spielten eine untergeordnete Rolle. Brot und Spiele traten in den Vordergrund. Über Social Media – in seinem Fall Twitter – unterhielt er die Menschen und fütterte sie auch mit Falschmeldungen. Per Twitter konnte er seine Gegner beschimpfen und seine Anhänger unmittelbar, rund um die Uhr und zeitnah ohne den Umweg über die beschränkte Sendezeit der Fernsehsender erreichen.
Seine Gefolgschaft tat es ihm gleich und verbreitete ebenso Lügen. Auf Social Media tauchten im US-Wahlkampf 2016 mehrere Falschmeldungen über Trumps politische Gegner auf. Zu trauriger Berühmtheit brachte es eine dieser Falschmeldungen, wonach Hillary Clinton und andere hochrangige Demokraten in einen Kinderpornoring verwickelt seien, der von Filialen einer Pizzeria-Kette in Washington D.C. aus operiere. Mehrere Medien bezeichneten diese Geschichte als Fake-News.
Daraufhin drang ein schwerbewaffneter Mann, der das nicht glauben wollte, im Dezember 2016 in eine Filiale ein, um selbst Nachforschungen anzustellen. Dabei fiel ein Schuss. Die Angestellten konnten fliehen. Die Polizei brauchte anschließend 45 Minuten, um den Mann, der sich in der Pizzeria verschanzt hatte, dazu zu bewegen, sich zu ergeben.
In Deutschland und Österreich sind 2015 und 2016 wenig überraschend die Flüchtenden das bevorzugte Sujet für die Feindbilder der Rechten. Damalige Falschmeldungen stellten Flüchtende als unzivilisierte Horden dar, die auf ihrem Weg eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Eine der bekanntesten Falschmeldungen bezog sich auf die vermeintlichen Müllberge. Natürlich haben Flüchtende Müll hinterlassen. Dort, wo sie campierten, gab es für so viele Menschen meist keine adäquate Infrastruktur, um die Hinterlassenschaften ordnungsgemäß zu beseitigen. Das ist ein Fakt. Dieses Problem bauschten die Falschmeldungen jedoch auf, indem sie auch gefälschte Fotos enthielten. Eines dieser falschen Fotos zeigte einen künstlich angelegten Wassergraben entlang einer Straße. Dieser Wassergraben war, sowie auch der Straßenrand, komplett zugemüllt. Hierzu tauchte die Behauptung auf, es handle sich um den Müll von Flüchtenden. Stattdessen wurde dieses Foto bereits 2012 aufgenommen und hat eine illegale Mülldeponie in Ungarn abgebildet. Dieses Foto war kein Einzelfall.
Mit dem vorläufigen Abebben der Flüchtlingsbewegung ab 2017 tritt die Islamophobie als Feindbild-Motiv immer deutlicher in den Vordergrund. Immer häufiger taucht die Behauptung auf, wir würden unsere Traditionen verlieren. Schuld sei der Islam. Die Feindbilder »Flüchtlinge« und »Islam« waren zu diesem Zeitpunkt auch gut zu verknüpfen.
Im Jahr 2019 taucht ein zusätzliches Feindbild auf Social Media auf: Greta. Sie steht stellvertretend für die gesamte Umweltschutzbewegung. Hier haben wir reihenweise Falschmeldungen gefunden, die Greta Thunberg diskreditieren sollten. Hier haben sich auch Verschwörungsmythen unter die Falschmeldungen gemischt. So zum Beispiel ist die Behauptung aufgetaucht, Greta Thunberg sei die Enkelin von George Soros. Die Behauptung lautete: »Der amerikanische Multimilliardär und Philanthrop jüdischer Abstammung ist sehr stolz auf seine Enkelin«. Allein in diesem Satz steckt der uralte antisemitische Mythos von der jüdischen Weltverschwörung. Greta Thunberg wird hier einfach eingebaut.
Die Falschmeldungen unterstellten ihr auch Dinge, die sie nie gesagt oder getan hat. Beispielsweise die Aussage, Greta habe mit einem Sturmgewehr an Schießübungen teilgenommen. Dazu ist dann auch ein vermeintliches Beweisfoto aufgetaucht. Dumm nur, dass auf diesem Foto gar nicht Greta Thunberg zu sehen ist, sondern eine andere junge Schwedin mit dem Namen Emmy. Emmy hat die Videos, aus denen die Fotos stammten, auch auf Twitter veröffentlicht. Dadurch steht zweifelsfrei fest, dass es sich nicht um Greta Thunberg handelt.
Die Falschmeldungen bauen Greta zum einen als Feindbild auf, zum anderen sollen sie auch Jugendliche davon abhalten, Greta Thunberg zu folgen. Wohlgemerkt erfolgt hier keine Debatte mit Argumenten, wer den prinzipiell von weiten Teilen der Bevölkerung als notwendig erachteten Umweltschutz wie umsetzen könnte und sollte. Die Falschmeldungen diskreditieren nicht nur Greta Thunberg, sondern indirekt die gesamte neue Umweltschutzbewegung der Jugend, die dem ihrer Meinung nach zahnlosen Treiben der Entscheidungsträger nicht länger zusehen will. Durch diese Diskreditierung behindern die Rechtsextremen die demokratische Debatte.
Mythen können auch ihren Teil dazu beitragen, dass Menschen völlig durchdrehen. Im Jahr 2019 wollte ein junger Mann in Halle an der Saale einen Massenmord an Juden begehen. Am Jom Kippur, einem sehr hohen jüdischen Feiertag, wollte er schwerbewaffnet eine Synagoge stürmen. Zum Glück scheiterte er an der Tür der Synagoge. Daraufhin wich er spontan auf andere Ziele aus, wie zum Beispiel ein Döner-Imbissgeschäft. Er ermordete zwei Personen.
Der Attentäter erwies sich als Rechtsextremer. Kurz zuvor hatte er eine Art Manifest im Netz veröffentlicht, das die Gründe für das Attentat offenbart. Unter anderem war es eine Form des Mythos vom Weltjudentum, die sogenannte »Zionistisch besetzte Regierung«. Grob umschrieben steckt dahinter die Idee, dass »die Juden« insgeheim verschiedene Regierungen kontrollieren.
Seinen gesamten Anschlag streamte er live. Er nutzte gezielt Social Media, um seine Botschaft zu verbreiten. Eine Botschaft, die durchtränkt von Hass und Mythen ist.
Dann kam das Jahr 2020. Die Corona-Pandemie hat uns an eine weitere sichtbare Schwelle gebracht. Die Rechtsextremen greifen die allgemeinen Angstthemen auf, die aus der Pandemie und den Maßnahmen dagegen resultieren, und machen sie sich zunutze. Die Verpackung der rechtsextremen Ideologien in harmlose Hüllen erreicht eine neue Qualität. Diese Vorgehensweise war bereits 2018 bei den sogenannten Gelbwestenprotesten in Frankreich erkennbar. Im Jahr 2020 war diese Strategie erneut zu beobachten. Auf Hygienedemos und Querdenkerveranstaltungen zeigten sich Rechtsextreme offen in den Reihen der Demonstrierenden. Hier fanden und finden Schulterschlüsse zwischen unterschiedlichen Gruppen statt. Neben klassischen »besorgten Bürgern« tauchen auch junge Familien auf. Althippies und Esoterikanhänger tanzen neben marschierenden Neonazis. Ihre Ziele sind diffus. Im Protest gegen das Establishment sind sie jedoch vereint. In diesem gemeinsamen Protest gegen die Corona-Maßnahmen findet ein Radikalisierungsprozess statt, der wiederum auch durch Falschmeldungen und Mythen angestoßen und weiter befeuert wird.
Auf der anderen Seite wird ein Problem für die Demonstranten mit berechtigten Problemen und Ängsten deutlich: Sie befinden sich inmitten einer Lobby aus Rechtsextremisten und Rechtspopulisten. Diese nutzen ihre Ängste aus. Aber wer macht diesen Menschen Mut? Wer gibt ihnen Zuversicht? Wer liefert ihnen haltbare Lösungen? Wer führt sie durch die Krise?
An dieser Stelle bin ich in Gefahr, meine Kompetenz zu überschreiten. In dieser Krise ist es bestimmt eine sehr herausfordernde Aufgabe, Politiker zu sein. Ich möchte nur betonen, dass die Rechtsextremen unter den Demonstranten eine Minderheit sind. Die Politik kann hier durch Klarheit viel Vertrauen gewinnen und durch halbherziges Lavieren mit Maßnahmen viel Vertrauen zerstören. Wenn die Menschen dieses Vertrauen verlieren, ist es ihnen eher egal, wenn die Rechtsextremen ihre Sache vertreten und anführen. Genau das zeigt sich auf den Demonstrationen.
Falschmeldungen und Hetze
Wohlgemerkt entstehen Falschmeldungen selten aufgrund eines Versehens im Rahmen der Weiterleitung einer irrtümlich verfälschten Nachricht. Die Urheber der Falschmeldungen erfinden diese ganz bewusst. Mit Erfindung und Verbreitung verbinden die Erfinder einen politischen Zweck. Sie unterminieren eine gemeinsame Sicht auf die Realität. Damit erschweren sie die demokratische Auseinandersetzung oder verunmöglichen sie sogar. Es gibt keine Basis mehr für faktenbasierte rationale Kommunikation. Stattdessen steht mit einem Mal Glaube gegen Glaube.
Die Erfinder verkaufen die Falschmeldungen als Wahrheit. Daher müssen die Falschmeldungen möglichst glaubhaft klingen. Um glaubhaft zu klingen, obwohl sie der gängigen Wahrheit widersprechen, müssen Falschmeldungen Ängste und andere Emotionen wecken. Wie Warnungen funktionieren, habe ich oben bereits dargestellt. Bedrohungsszenarien und die Verbreitung von Angst eignen sich besonders gut, um die Vernunft zurückzudrängen. Außerdem müssen Falschmeldungen, um eher als Wahrheit durchzugehen, die gängige Wahrheit als Lügenpropaganda diffamieren. Das geht umso leichter, je problematischer die Kommunikation insbesondere seitens der demokratisch legitimierten politischen Führung ist. Demokratische Legitimation bedeutet ja nicht, dass die gewählten Organe stets die Wahrheit sagen. Im Gegenteil. Auch demokratische Macht nutzt zum Machterhalt oft Propaganda, also das beständige Wiederholen von Botschaften, um sie zur allgemeinen Wahrheit zu machen. Das spüren die Menschen. Das macht sie anfälliger für den Glauben an Falschmeldungen.
Die Erfinder von Falschmeldungen platzieren diese oft strategisch. Es sind Beiträge, die bewusst zu Unrecht das Vertrauen in Medien, Institutionen, Wissenschaft und Politik untergraben. Menschen sollen diesen Institutionen und ihren Vertretern keinen Glauben mehr schenken oder zumindest deren Aussagen mit Skepsis betrachten. Falschmeldungen beinhalten nicht nur falsche Inhalte und Unwahrheiten. Sie beschädigen systematisch das Vertrauen in Presse, Politik, Staat und Wissenschaft. Aus solchen Falschmeldungen entstehen Diskurse, die keinerlei Verbindung mehr zur Realität der demokratischen Ordnung und ihren Institutionen haben.
Daneben gibt es eine weitere Angriffsform, die gezielt gegen einzelne Personen oder Gruppen zum Einsatz kommt: Hetze basiert auf Diffamierung. Die Hetzer unterstellen Minderheiten oder Einzelpersonen böse Taten und Einstellungen, die zumeist auf gezielten Falschinformationen beruhen. Die Diffamierung hat verschiedene Abstufungen. Die Unterstellung von Lügen beispielsweise dient dazu, die Glaubwürdigkeit des politischen Gegners zu untergraben, und erklärt damit auch die Auseinandersetzung mit seinen Argumenten für überflüssig, weil eh alles gelogen ist. Nach dem Motto: »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht«. Die Diffamierung gipfelt in der Dämonisierung. Die Unterstellung von Gräueltaten bezweckt, das Gegenüber zu entmenschlichen, und legitimiert somit seine Vertreibung (aus dem Amt, aus dem Land) oder Vernichtung.
Dämonisiert werden insbesondere Minderheiten. Hier erfolgt gleichsam ein Spiel über die Bande. Die Hetze gegen Minderheiten dient dazu, die Mehrheit gegen die diffamierte Minderheit oder gegen Einzelpersonen zu mobilisieren. Die Hetzer rufen zum Kampf gegen das vermeintliche Böse auf. Sie inszenieren sich selbst als Speerspitze in diesem Kampf. Gleichzeitig – und das ist der eigentliche politische Nutzen der Dämonisierung der Minderheit – inszenieren die Hetzer den politischen Gegner implizit als Beschützer der Minderheit, weil dieser die Minderheit nicht hart genug bekämpfen mag. Daraus resultiert der Vorwurf, die Mehrheit zu verraten und die Minderheit ungerechtfertigt zu bevorzugen.
Dieser inszenierte Kampf gegen eine Minderheit wird nur allzu leicht zum beherrschenden Thema in Wahlkämpfen. Denn die Polarisierung entlang von gut und böse ist das, was am leichtesten als politische Botschaft zu vermitteln ist. Zwar haben viele Menschen je nach Ausbildung und Kompetenz die eine oder andere fundierte Meinung zu bestimmten Sachfragen und Detailproblemen. Aber in Wahlkämpfen gehen Sachthemen stets unter. Die unüberschaubar vielfältigen Materien sind durchwegs viel zu komplex und interessieren in Wahrheit jeweils nur wenige Spezialisten. Daher ist es leicht, nüchtern-sachliche Argumentation in den Hintergrund zu drängen.
Wesentlich massentauglicher ist die emotionalisierte Polarisierung nach dem Motto: Wir, die bedrohten Guten, gegen die angreifenden Bösen. Mit polarisierenden Botschaften und dem Heraufbeschwören akuter Bedrohung gelingt es leichter, den politischen Willensbildungsprozess zu beeinflussen. Die demokratische Auseinandersetzung mit dem besseren Argument bleibt dabei auf der Strecke. Daher ist Hetze gegen Minderheiten nicht nur ein politischer Untergriff, sondern stets auch ein Angriff auf die Demokratie.
Immerhin: Die breite Öffentlichkeit stuft Hetze, Hass und Dämonisierung (noch weitgehend) als menschenverachtend ein. Wobei mit der Erweiterung des Sagbaren auch der Kreis der für Hetze Empfänglichen wächst. Dennoch: Die allzu vordergründige Hetze wirkt nur bei einem Teil der Bevölkerung. Die ProdUser, die explizite Hetze aktiv weiterverbreiten, sind (noch) eine – wenngleich laute – Minderheit.
Bei Falschmeldungen und Fake News sieht das anders aus. Sie wirken bis weit in die politische Mitte hinein. Denn die ProdUser sind wesentlich anfälliger für das Weiterverbreiten von Falschmeldungen als von Hetze, zumal die Falschmeldungen in Formen daherkommen, die nicht sofort auf eine Herkunft aus der rechten Ecke schließen lassen. Außerdem müssen die ProdUser bei Hetze mit Gegenreaktionen rechnen, während bei Falschmeldungen üblicherweise kaum jemand reagiert. Sowohl die breite Mehrheit als auch die meisten politischen Entscheidungsträger tolerieren Falschmeldungen oder tun sie als lapidar ab. Daher sind Falschmeldungen und Fake News als Angriff auf die Demokratie viel wirkungsvoller als Hetze.
Diese beiden Formen des Angriffs auseinanderzuhalten ist oft nur schwer möglich. Es gibt diverse Schnittmengen zwischen Hetze und Falschmeldungen. Die extreme Rechte betreibt ständig diese Überschneidungen. Diffamierungen des Gegners mithilfe von gezielten und professionellen Fake News erinnern hier schon fast an eine hybride Kriegsführung. Damit ist eine Kombination aus verschiedenen Angriffen gemeint, unter anderem auch die Verwendung von Angriffsstrategien auf Social Media.
Das deutsche Bundesministerium für Verteidigung schreibt hierzu, dass Social Media diesen Angriffen schon seit Jahren eine Menge Raum bieten. Dem stimme ich durchaus zu. Laut Verteidigungsministerium liege das Ziel der Angreifer darin, nicht nur Schaden anzurichten, sondern insbesondere Gesellschaften zu destabilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Offene pluralistische und demokratische Gesellschaften bieten hierfür viele Angriffsflächen und sind somit leicht verwundbar.
Über viele Jahre hinweg gab es schlichtweg keine Korrektur, keine Anmerkungen oder Löschversuche. Die Hoffnung der politischen Mitte ruhte auf einem Prozess der Selbstreinigung. Eine Menge von Menschen sollte Falschmeldungen als solche erkennen und durch offene Kritik ein Gleichgewicht herstellen. Dieser Selbstreinigungsprozess hat jedoch zu keiner Zeit in ausreichendem Umfang stattgefunden. Der Glaube an die Existenz der Selbstreinigung unterstützt sogar das Verbreiten von Falschmeldungen, da seitens der Entscheidungsträger niemand irgendwelche Konsequenzen zieht. Wer auf Social Media Lügen auftischt, kommt ungestraft davon. So konnte sich der unverantwortliche Umgang mit der Verbreitung von Falschmeldungen als normal etablieren. So erfolgreich war und ist dieser Angriff auf die Demokratie.
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