Kitabı oku: «Der vertauschte Sohn», sayfa 2

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DIE MILCH

In der Zeit, als der kleine Luigi Muttermilch bekam, diktierte im Umland von Girgenti ein Ex-Sträfling das Gesetz, der in den Tagen der Landung Garibaldis befreit worden war. In seinem Einakter Der andere Sohn zitiert Luigi Pirandello ihn mit Vor- und Familiennamen, und so läßt er durch den Mund einer anderen Person, der alten Maragrazia, dessen Taten erzählen:

Sämtliche Gefängnisse sämtlicher Orte wurden geöffnet, mein junger Herr. Und Sie können sich kaum vorstellen, was für ein gewaltiger Zorn überall losbrach! Die gemeinsten Diebe, die gemeinsten Mörder, wilde, blutrünstige, wütende Bestien, die durch viele Jahre in Ketten so geworden waren! Unter diesen war einer: ein gewisser Cola Camizzi. Der schrecklichste von allen. Ein Anführer von Briganten. Der brachte die armen Geschöpfe Gottes um, einfach so, aus Lust, als wären es Fliegen. Um das Pulver auszuprobieren – sagte er –, um zu sehen, ob der Karabiner auch gut geputzt war. Der stürzte sich auf die Landstriche unserer Gegend … Er hatte schon eine Bande aus Bauern zusammengestellt, aber damit war er noch nicht zufrieden, er wollte weitere, und er brachte jeden um, der ihm nicht folgen wollte.

Als die garibaldinische Grille vorüber ist, hört Cola Camizzi mit den aufsehenerregenden Bluttaten auf und verwandelt sich in einen gefürchteten Mafiaboß dieser Gegend. Er mordet zwar weiter, tut es aber in aller Heimlichkeit, lautlos, ohne Aufsehen zu erregen, wenn sich jemand seinem Willen widersetzt oder sich weigert, Schutzgeld zu bezahlen.

Kaum ist der kleine Luigi geboren, hat Don Stefano eine Schwefelmine gepachtet, die anfängt, Erträge abzuwerfen. Als er eines Tages nach Porto Empedocle zurückkehrt, wird er von Cola Camizzi gestellt. Die Straße ist, wie immer, auch in diesem Augenblick menschenleer, außer den beiden Männern gibt es niemanden, nicht einmal ein Hund streunt vorüber.

»Lieber Pirandello, um mit Schwefelminen Glück zu haben, braucht es …«, haute Cola ihn an und ließ seinen Worten eine vielsagende Bewegung folgen, indem er sich an den Hintern faßte.

Nardelli, Pirandellos Biograph, der diese Episode ausführlich erzählt hat, schreibt, daß Don Stefano »auf eine derart plump unliebenswürdige Kontaktaufnahme ohne viel Geplänkel reagierte«.

Wir glauben kaum, daß Don Stefano wegen mangelnder Liebenswürdigkeit seitens des ehemaligen Briganten und jetzigen Mafioso indigniert war und reagieren mußte. Vielmehr standen sich hier zwei Sizilianer gegenüber, Aug in Aug, und erfaßten ganz genau den unterschwelligen Diskurs eines jeden Satzes. Für Stefano Pirandello war absolut klar: es ging um eine Schutzgeldforderung.

Und er versetzte Cola einen solchen Schlag ins Gesicht, daß der zu torkeln anfing.

Cola war verwirrt und benommen, vor allem aber überrascht: noch nie hatte eine Menschenseele es gewagt, die Hand gegen ihn zu erheben. Und als wollte er ganz sichergehen, fragte er drohend:

»Eine Backpfeife? Für Cola Camizzi?«

»Eine? Hundert!« gab Don Stefano zur Antwort.

Er ließ ganze Salven von Backpfeifen und Faustschlägen links und rechts auf ihn niedergehen, unter denen Camizzi zur Erde stürzte und ein Gesicht wie ein weicher, gerade aus dem Backofen gehobener Brotlaib machte.

Ein paar Stunden später befand sich Don Stefano in seinem Schwefellager am Strand und besprach gerade mit einem Kunden, der mit Nachnamen Veronica hieß, den Preis für die Einlagerung einer bestimmten Menge Schwefels, da hörte er von ferne Schüsse aus einer Flinte. Er schickte einen der Lagerburschen, um nachzusehen, was los war. Kurz darauf kam der Bursche wieder zurück und berichtete, daß Cola Camizzi in der Nähe sei und seine Waffe ausprobiere.

Die ständige Kontrolle der Flinte mußte wohl ein fixe Idee des Mafioso gewesen sein, wenn Maragrazia in der bereits zitierten Dialogpassage erzählte, daß der Brigant gewöhnlich nur deshalb auf einen geschossen hätte, um auszuprobieren, ob seine Flinte noch gut funktionierte. Doch Stefano Pirandello hatte auch diesmal die Bedeutung der Probeübung durchaus begriffen. Ohne daß sein Kunde es bemerkte, nahm er den Revolver, den er immer im Gürtel bei sich trug, und steckte ihn in die rechte Jackentasche.

Es war sinnlos. Denn Camizzi war im Schutz der Schwefelhaufen gefährlich nahe an ihn herangekommen.

»Weg da! Weg da!« rief Camizzi, der offensichtlich wollte, daß der Kunde sich entfernte.

Der verzog sich. Dann geschah alles in Sekundenschnelle. Don Stefano hatte gerade noch Zeit, sich die Brust mit einem Arm zu schützen und sank, von zwei Kugeln getroffen, auf die Knie. Daraufhin warf Cola die Flinte weit weg und kam langsam auf Don Stefano zu, um ihn mit einem Revolverschuß zu erledigen.

Doch er beging einen Fehler. Der Bursche, der vorher geschickt worden war, um zu sehen, wer da geschossen hatte, bemächtigt sich nämlich der leeren Waffe, hält sie am Lauf fest und versetzt dem Mafioso von hinten einen gewaltigen Schlag auf den Kopf. Der wankt und macht sich davon. Don Stefano steht auf, ihm hinterher und feuert ein ganzes Magazin auf ihn ab. Dann kann er nicht mehr, er sinkt hin und verliert das Bewußtsein.

Blutend wird er nach Hause gebracht, der Arzt stellt zwei ernste Verletzungen fest. Eine Kugel hat den Knochen getroffen und die Sehnen der Hand zertrennt, mit der er das Herz geschützt hatte. Die andere hat die Brust durchbohrt und eine Rippe zerschmettert.

Von den beiden Verletzungen ist die an Hand und Arm die schwerere, man spricht sogar von Amputation. Doch die wird nicht nötig sein, allerdings wird Don Stefano aufgrund dieses Schußwechsels einen Finger nicht mehr gebrauchen können.

Beim Anblick der Szene, wie ihr Mann, am Arm von Freunden gestützt, nach Hause zurückgebracht wird und eine breite Blutspur hinter sich läßt, fühlt sich Signora Caterina erstarren.

Ihre Milch versiegt auf der Stelle.

Und so wird Luigino einer Amme anvertraut.

Die Geschichte soll noch zu Ende erzählt werden. Cola Camizzi, der auf Pirandellos Anzeige hin verhaftet worden war, wurde zu sieben Jahren wegen versuchten Mordes verurteilt. Doch als er nach Verbüßung seiner Strafe wieder nach Girgenti zurückkehren wollte, haben »Freunde« ihm geraten, es sei besser für ihn, seine Luft anderswo zu atmen: Don Stefano habe nämlich geschworen, ihn, sobald er ihn sehen würde, zu erschießen. Und Don Stefano galt als ein Mann, der sein Wort hielt. Cola verschwand aus girgentinischem Gebiet und tauchte in den fernen Schwefelminen eines gewissen Di Giovanni unter, und dort, schreibt Nardelli, »ging sein Leben in Düsternis zu Ende«.

Was versteht der kleine Luigi von den Worten der Mutter, als sie ihm die Geschichte seiner Geburt und seiner ersten Annäherung ans Leben erzählt?

Er versteht, daß er ein Siebenmonatskind war, geboren vor seiner Zeit, weil der Vater der Mutter entsetzliche Angst eingejagt hatte.

Er versteht, daß er nicht von seiner Mutter gesäugt werden konnte, weil der Vater ihr noch einmal entsetzliche Angst eingejagt hatte.

Gewiß hat sich im elementaren Mechanismus des Kopfes des Kleinen ein Prinzip von Ursache und Wirkung herausgebildet: jedesmal, wenn der Vater seiner Mutter eine entsetzliche Angst einjagt, widerfährt auch ihm ein Unglück.

Ja, denn der Verlust der Muttermilch stellt ganz sicher eine Behinderung dar: »Großgezogen wird man nicht vom Vater / sondern durch die Brust der Mutter«, sagt ein sizilianisches Sprichwort.

Und er fragt sich möglicherweise, ob die Tatsache, daß der Vater ihn daran gehindert hat, mit dieser Milch groß zu werden, nicht ein Versuch war, ihm, Luigi, eine Familienidentität, eine Zugehörigkeit zu verweigern.

Und so fängt auch er an, vor dem Vater Angst zu bekommen.

Er schreibt, daß er als Kind sogar Schwierigkeiten hatte, mit der Mutter zu kommunizieren, obwohl er ein bewegendes Vertrauen in Worte hatte, und bei meinem Vater kam es mir unmöglich vor, doch nicht etwa, während ich mich darauf vorbereitete, sondern im Augenblick des Sich-Beweisens, was meistens furchtbar endete.

DER VATER, DIE MUTTER

»Bei den Sizilianern ist das Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie stark ausgeprägt. Der Vater übt die absolute, nicht in Frage stehende Herrschaft über sie aus; die Mutter besorgt das Haus, sie legt darin größtes Interesse an den Tag und gebietet über die Kinder, gewissermaßen stellvertretend für den Gatten, dem sie gehorcht und den sie liebt, auch wenn er es nicht verdient hat. An seiner Statt flößt sie den Kindern Liebe und Verehrung für ihn ein, nicht nur, weil er der Vater ist, sondern auch die Stütze des Hauses: ›Ein Haus ohne Mütze / ist schon bald ohne Stütze‹.« So schreibt Giuseppe Pitrè.

Ein Haus, in dem der Mann nicht herrscht (und der Mann wird hier durch die Mütze, das heißt die sizilianische Schiebermütze symbolisiert), kann nur zusammenbrechen.

Noch 1945 hat Sebastiano Aglianò in einer glänzenden Arbeit über Sizilien geschrieben, daß »das Zusammenspiel in der Familie zwar instinktmäßig entsteht, doch nur selten von gegenseitigem Vertrauen, von Freundschaft zwischen den Ehegatten gestützt wird, was die Blutsbindung betonen könnte.«

Die Schiebermütze des Vaters von unserem kleinen Luigi ist im Haus immer gegenwärtig, und wohl erst recht dann, wenn er physisch nicht anwesend ist. Wie gesagt, Don Stefano ist selten oder nie zu Hause, er ist wegen seiner Handelsgeschäfte ständig in Sizilien unterwegs. Wenn er in den Heimatort zurückkehrt, zieht er es vor, seine freien Augenblicke außerhalb des Hauses mit Freunden zu verbringen. So ist es Brauch.

Die Gesellschaft des Mannes sind andere Männer, die der Frauen andere Frauen. Und so bemerkt Aglianò, daß »die Freunde des Ehegatten auch aufrichtige, herzliche Freunde der Gattin werden, ist äußerst selten«.

Don Stefano gibt kein Blut weiter, das immer schon Inselblut gewesen wäre. In gewisser Weise ist er nur ein halber Sizilianer, aber diese Hälfte genügt, um aus ihm einen hundertfünfzigprozentigen Sizilianer zu machen.

Die Pirandellos war Ligurer, die im 18. Jahrhundert nach Sizilien gekommen waren und sich durch geschickten, umsichtigen Handel schon bald ein Vermögen erworben hatten.

Don Stefanos Vater Andrea war mit sechsundvierzig Jahren während einer Choleraepidemie gestorben. Er hatte Zeit, mit seiner sizilianischen Frau ganze vierundzwanzig Kinder zu zeugen, deren Zahl wohl noch gewachsen wäre, wenn der Tod die Fließbandproduktion nicht unterbrochen hätte.

Stefano war das achtzehnte Kind.

Als Andrea sich mit der Krankheit angesteckt hatte, wurde er im Haus des Erstgeborenen aufgenommen, der Felice hieß. Dem wurde sehr früh klar, daß sein Vater nicht überleben würde. In dem Maß, in dem die Kräfte des Vaters allmählich schwanden, rieben sich in seinem Kopf die Probleme, die mit der Erbschaft im Zusammenhang standen. Sie waren zwar reich, das schon, doch ein Erbe, das durch vierundzwanzig (einschließlich der Mutter) geteilt werden mußte, bedeutete Armut für alle.

Und so hatte er einen genialen Einfall.

Als der Vater gestorben war, machte er keinem Mitteilung davon. Statt dessen lief er von einem Rechtsanwalt zum anderen, von einer Notarskanzlei zur nächsten, um dafür zu sorgen, daß er den besten Teil überschrieben bekam. Ergebnis: vier Tage nach dem Tod (die Leiche befand sich immer noch in seinem Haus) erfuhren Andreas Frau und die anderen dreiundzwanzig Kinder auf einen Schlag zwei Dinge: das erste war, daß der Gatte der einen und der Vater der anderen in ein glücklicheres Leben eingegangen war, und das zweite, daß er ihnen keinen Cent hinterlassen hatte, alles war an Felice gegangen.

Stefano mußte sich also alleine durchkämpfen, und es gab Augenblicke von großem Reichtum und von wirtschaftlichen Engpässen. Ausgestattet mit starkem Temperament, mit Abenteuersinn, versehen mit körperlichem Mut, oftmals hart und voller Verachtung, hatte er in seinem Leben sieben Auseinandersetzungen mit der Schußwaffe und ein halbes Dutzend Duelle bestanden.

Gleich nach Garibaldis Ankunft auf Sizilien meldete er sich bei den garibaldinischen Freiwilligenverbänden. Er machte alle Schlachten mit, angefangen mit der an der Admiralsbrücke in Palermo und alle weiteren, und hatte sich, fünfundzwanzigjährig, bereits den Ruhm eines Helden erworben. In der Via Papireto in Palermo befand er sich völlig alleine und schutzlos im Kugelhagel der bourbonischen Füsiliere. Er bewegte sich nicht, er suchte keinen Schutz: unerschrocken schoß er zurück. Garibaldi wurde auf den mutigen jungen Mann aufmerksam, der sich in diesem irrwitzigen Scharmützel engagiert hatte, lief ihm selbst zu Hilfe und brachte ihn in Sicherheit.

Nach dieser Begebenheit trat Stefano den garibaldinischen Truppen dauerhaft bei und folgte dem General bis zur Schlacht bei Volturno. Zwei Jahre später war er am Aspromonte erneut an dessen Seite, wollte sich aber nicht gefangennehmen lassen und zog es vor, wieder nach Sizilien zurückzukehren.

Sein Waffenbruder und Freund (eine Freundschaft, die während der garibaldinischen Unternehmungen entstanden war) Rocco Ricci Gramitto, ein Girgentaner, ergab sich dagegen am Aspromonte lieber den Königlich Savoyischen Truppen. Er wurde nach San Benigno überführt, wo er sechs Monate Gefängnis verbüßte. Rocco war der zukünftige Schwager von Stefano.

Die Ricci Gramittos waren mit Sicherheit die antibourbonischste Familie im Girgentanischen.

Giovanni Ricci Gramitto war ein hervorragender Rechtsanwalt, einer der Organisatoren der Erhebungen von 1848 in Palermo, Separatist, Minister in der Regierung Ruggiero Settimo.

Als der König von Neapel die Macht wieder zurückerlangt hatte, wurde Giovanni Ricci Gramitto von der Amnestie ausgeschlossen und, mit Zustimmung des Herrschers, auf die Proskriptionslisten gesetzt. Jeglichen Vermögens beraubt, muße er nach Malta fliehen. Er hatte vier Jungen (Francesco, Rocco, Vincenzo und Innocenzo) und drei Mädchen (Rosalia, Caterina und Adriana). Caterina, die zukünftige Mutter Luigi Pirandellos, war damals dreizehn Jahre alt. Kurz darauf folgte Giovannis Frau mit den Kindern ihm auf einer Tartane von Porto Empedocle aus ins Exil nach. Und Pirandello schreibt 1915 über diese Reise und die Zeit im Exil aufgrund der Erzählung der Mutter. Sie lebten von der Unterstützung eines Onkels, eines Bruders von Giovanni, der Kanonikus war, völlig gegenteilige Ideen vertrat und in der Kathedrale das Te Deum anläßlich der Rückkehr von König Ferdinand II. von Bourbon sang, und zwar am gleichen Tag, an dem Giovanni sich nach Malta aufmacht.

In Bùrmula auf Malta stirbt Giovanni im Alter von sechsundvierzig Jahren, aufgezehrt von der Verzweiflung und der Ferne von seiner heimatlichen Erde. Bevor er den letzten Atemzug macht, versammelt er an seinem Bett seine Frau und seine Kinder und läßt sie schwören, daß sie ihre ganze Kraft, ja sogar ihr Leben für die Befreiung von den Bourbonen einsetzen werden. Die Familie kehrt nach Sizilien zurück, der Onkel Kanonikus nimmt sie auf, erfährt wegen dieser Verwandten, die er liebt, Demütigungen und Hausdurchsuchungen, ohne sich jemals darüber zu beklagen. Außerdem hatten Giovannis Familienangehörige sich gleich daran gemacht, Verschwörerisches vorzubereiten: Caterina nähte italienische Fähnchen, die sie in einem Kabuff unter der Treppe versteckte. Die gleichen Fähnchen, die ihr Bruder Vincenzo, der vom Onkel in ein Priesterseminar gesteckt worden war, aus dem er aber ausbüchste, bei sich trug, als er auf die bourbonischen Wachen in Girgenti losstürmte. Francesco und Rocco wurden Rechtsanwälte, auch ihre Ausbildung bezahlte der Onkel. Innocenzo schlug die militärische Laufbahn bei den Bersaglieri ein. Rocco und Vincenzo schlossen sich den Truppen von Rosolino Pilo an und folgten dann Garibaldi. Am Aspromonte nahm Rocco, der Leutnant unter Garibaldi war, den blutigen Stiefel seines Generals an sich und brachte ihn nach Girgenti.

Den schenkte er später Luigi Pirandello, der ihn wiederum dem Rathaus von Rom vermachte. Wie bereits gesagt, ergab sich Rocco Ricci Gramitto, anders als sein Freund Stefano Pirandello, den Königlichen Bersaglieri. Unter diesen war – und das mag wie eine schlechte Erfindung klingen – sein Bruder Innocenzo, der, dem militärischen Befehl gehorchend, auf seinen Bruder und auf dessen künftigen Schwager schoß. Als Donna Anna von dieser Geschichte erfuhr, wollte sie ihren Sohn Innocenzo lange Zeit nicht mehr sehen.

Rocco wurde in den ersten Oktobertagen des Jahres 1862 endlich freigelassen, kehrte nach Girgenti zurück und wurde dort triumphal empfangen. Bei dieser Gelegenheit trafen sich Rocco und Stefano nach der Schlacht am Aspromonte wieder, und so kam es, daß Stefano Pirandello und Caterina Ricci Gramitto sich zum ersten Mal begegneten.

Sein Enkel Stefano, Luigis Sohn, schreibt 1936:

»Er war schön, sie nicht, außer den Augen. Und außerdem kam sie sich im Alter von achtundzwanzig Jahren bereits wie eine alte Jungfer vor. Ihre Jugend hatte sie dem Vaterland hingegeben. Als Stefano Hals über Kopf um ihre Hand anhielt, glaubte sie, er würde sich einen Scherz erlauben. Es war eine patriotische Ehe.«

Wenn irgendein Gegenstand, und war er auch von geringem Wert, für den man vermutlich im Ort keinen Ersatz bekam, beschädigt oder zerbrochen wurde, versank das ganze Haus in Trauer und tiefste Betroffenheit … Aber man mußte eben berücksichtigen, was jene Beschädigungen oder jener Bruch für den Mann bedeuteten: Er erblickte darin einen Mangel an Respekt, nicht etwa gegenüber dem Gegenstand, der wenig oder nichts wert war, sondern ihm gegenüber, ihm, der ihn gekauft hatte. Ob er geizig war? Nein, nicht einmal im Traum. Er war imstande, wegen irgendeiner Kleinigkeit, die ein paar Lire gekostet hatte, den halben Hausrat kurz und klein zu schlagen

Doch genügte manchmal ein Nichts, ihn zu den wüstesten Ausbrüchen zu veranlassen. Vielleicht tat es ihm gleich darauf schon wieder leid. Er wollte oder konnte es jedoch nicht eingestehen. Das wäre ihm so vorgekommen, als hätte er sich erniedrigt oder geschlagen gegeben. Er wünschte, daß die anderen es errieten. Aber weil niemand in seinem Schrecken auch nur zu atmen wagte, schloß er sich für ganze Wochen in einen schwarzen, stummen Zorn ein.

Dies ist das Porträt von Francesco Ajala, einer Figur aus Pirandellos Roman Die Ausgestoßene. Nur, daß diese Figur keine Phantasiegestalt ist, sondern das Porträt des Vaters, und diese furchtbaren Zornesausbrüche sind nur die realistische Darstellung dessen, was bei ihm zu Hause vorgeht, bei diesem stattlichen cholerischen Vater. Der seine Kinder ganz sicher liebt, aber nicht weiß, wie er seine Liebe offen zeigen kann.

Der kleine Luigi ist feingliedrig, mager, nur seine Augen wachsen, er hat ein fieberndes Verlangen nach liebevoller Wärme, die ihm der hünenhafte brüllende Vater nicht geben kann. Und fast immer gerät sein kindlicher Glaube, alles und jedes allen und jedem mitteilen zu können, angesichts der granitenen Realität des Vaters ins Wanken und verliert sich.

Als Jugendlicher vertraut er seinen Freunden an, daß sein Vater für ihn ein unverständlicher Mann ist, einer, mit dem man nicht vernünftig reden kann.

Daher entwickelte sich zwischen ihnen weder eine Gefühlsäußerung noch die Möglichkeit einer vernunftbestimmten Beziehung.

So entsteht zwischen den beiden also schon in Luigis früher Kindheit das, was Gaspare Giudice eine »gläserne Mauer« nannte, eine Mauer, die »sich niemals auflöste, im Gegenteil, sie wuchs in Dicke und Höhe und wurde im Lauf der Jahre schließlich unüberwindbar«.

DIE ERINNERUNG AN DAS DUNKEL

Eines Tages, als er etwa sechs Jahre alt ist und mit der Mutter spricht, beginnt der kleine Luigi ein Haus in Porto Empedocle zu beschreiben. Er erinnert sich an das Eßzimmer, das durch eine Trennwand mit zwei Bullaugen geteilt ist, hinter der sich das Zimmer der beiden Hausmädchen befindet. Er erinnert sich, daß eines Morgens zu einer bestimmten Stunde, als das Hausmädchen Filippa ihn auf den Armen trug, Finsternis aufzog, und es so dunkel wurde, daß eine Lampe angezündet werden mußte.

Das stimmte. In den ersten Februartagen des Jahres 1868 gab es eine Sonnenfinsternis.

Aber wie konnte sich der kleine Luigi nur daran erinnern, wenn er zu dieser Zeit gerade erst einmal knappe acht Monate alt war?

Durch etwas nicht Übereinstimmendes, nicht Logisches war sein Erinnerungsvermögen als neugeborenes Kind unauslöschlich geprägt worden: Wie konnte es geschehen, daß es am Tag so nachtschwarz wurde, daß man eine Lampe anzünden mußte?

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