Kitabı oku: «Operation Terra 2.0»

Yazı tipi:

Operation Terra 2.0

Impressum

Prolog

Mars, vor mehr als 3 CALABTUN

Tiberia Wege in den Niedergang

Terra, Zeit: 13.5.5.6.9, Montag

Terra, Zeit: 13.5.5.8.8, Freitag

Terra, Zeit: 13.5.5.8.8, Sonntag

Terra, Zeit: 13.5.6.1.2, Dienstag

Terra, Zeit: 13.5.6.4.2, Samstag

Die Odyssee der Menschheit setzt sich mit dem Start zur Mission Terra 2.0 fort!

Anhang

Glossar

Quellennachweise

Danksagungen

Die Autorin

Operation Terra 2.0

1 | Menschheit im Exil

Andrea Ross

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-180-1

E-Book-ISBN: 978-3-96752-533-5

Copyright (2020) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter

© Alexander Etz, Lemon Art Design www.lemonartdesign.com

© Lizenz Foto Umschlag: 123rf.com

Buchsatz: Alfons Th. Seeboth

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Prolog

Liebe Leser/innen,

gleich vorab möchte ich Ihnen ein Hilfsmittel an die Hand geben, das es ermöglichen soll, sämtliche in dieser Science Fiction-Geschichte enthaltenen Zeitangaben verstehen und einordnen zu können. Es wäre schließlich ziemlich unwahrscheinlich, dass sich die Bevölkerung fremder Welten ausgerechnet am gregorianischen Kalender orientieren würde – nicht einmal hier auf der Erde ist bislang ein global einheitliches Kalendersystem in Gebrauch!

Ich habe mich für das System der Maya entschieden, weil deren überlieferte Lange Zählung auch zur Darstellung großer Zeitspannen geeignet ist. Da dieses Kalendarium den wenigsten Menschen im Alltag geläufig sein dürfte, hier ein kurzer Überblick über die Bezeichnungen und ihren jeweiligen Zahlenwert (vereinfacht durch Weglassen von Kommastellen, daher sind nur ungefähre Werte angegeben):

KIN 1 Tag

UINAL 20 Tage (Monat)

TUN 360 Tage (Jahr)

KATUN 19,73 Jahre

BAKTUN 394,52 Jahre

PICTUN 7.890,41 Jahre

CALABTUN 157.808 Jahre

Einige der im Text angegebenen Datumsangaben für Ereignisse auf Terra können Sie der Einfachheit halber hier nachschlagen:

13.0.0.0.0 = 13 Baktun, 0 Katun, 0 Tun, 0 Uinal, 0 Kin = 21.12.2012 nach unserer Zeitrechnung

13.5.5.6.9 = 13 Baktun, 5 Katun, 5 Tun, 6 Uinal, 9 Kin = 26.10.2116 nach unserer Zeitrechnung

13.5.5.8.8 = 13 Baktun, 5 Katun, 5 Tun, 8 Uinal, 8 Kin = 04.12.2116 nach unserer Zeitrechnung

13.5.5.9.4 = 13 Baktun, 5 Katun, 5 Tun, 9 Uinal, 4 Kin = 20.12.2116 nach unserer Zeitrechnung

13.5.6.1.2 = 13 Baktun, 5 Katun, 6 Tun, 1 Uinal, 2 Kin = 06.07.2117 nach unserer Zeitrechnung

13.5.6.4.2 = 13 Baktun, 5 Katun, 6 Tun, 4 Uinal, 2 Kin = 04.09.2117 nach unserer Zeitrechnung

7.17.18.12.15 = 7 Baktun, 17 Katun, 18 Tun, 12 Uinal, 15 Kin =

24.12.0001 v. Chr. nach unserer Zeitrechnung

13.5.6.13.17 = 13 Baktun, 5 Katun, 6 Tun, 4 Uinal, 2 Kin = 18.03.2118

nach unserer Zeitrechnung

Selbstverständlich gäbe es rund ums mayanische Kalendersystem noch viel mehr zu erklären, aber ich will Ihnen doch endlich ohne weitere Umschweife meine Geschichte erzählen … sollte ich Ihr Interesse an der Thematik geweckt haben – in den Quellenangaben am Ende dieses Buches sind hilfreiche Fundstellen für weitere Informationen verzeichnet, außerdem finden Sie dort ein Glossar und Wissenswertes über den Planeten Tiberia.

Wer weiß? Vielleicht haben die alten Maya dieses System auch gar nicht selbst erfunden, sondern es ist tatsächlich auf anderen Wegen in ihre hochentwickelte Zivilisation gelangt …

Ihre Autorin Andrea Ross

Mars, vor mehr als 3 CALABTUN

Mein Name ist Karon. Erst vor kurzer Zeit wurde ich offiziell zum Chronisten dieser allerletzten Marskolonie ernannt, die derzeit noch bewohnbar ist. Mir

obliegt die schwere Bürde, die finsterste Epoche unserer sterbenden Zivilisation für die Nachwelt aufzuzeichnen. Das in mich gesetzte Vertrauen ehrt mich, doch plagen mich auch lähmende Zukunftsängste. Nichts und niemand kann diesem wahr gewordenen Albtraum entkommen.

Welche grauenvollen Schauergeschichten werde ich in den kommenden Stunden und KIN niederzuschreiben haben?

Ich weiß weder, ob diese Zeilen jemals gefunden werden, noch ob irgendjemand sie gegebenenfalls entziffern könnte. Tief in den Höhlen werde ich sie vor unserer Abreise in einer hitzeresistenten Kapsel verbergen, damit sie die kommenden Zeitalter hoffentlich unbeschadet überdauern können. Das stabile Behältnis ist mit einem sehr langlebigen Sender ausgestattet, welcher eventuelle Ankömmlinge auf den Fundort aufmerksam machen soll.

Erschreckend vorgezeichnet dünkt mir das Schicksal unseres geliebten Heimatplaneten, den wir nun für alle Zeit verlassen müssen. Welches vorbeiziehende Schiff sollte sich ernsthaft für eine verbrannte Welt aus Kälte interessieren, die kaum mehr Atmosphäre besitzt − geschweige denn, ein schützendes Magnetfeld?

Schon jetzt kann nichts und niemand mehr an der Oberfläche existieren. Allein die menschliche Neugier könnte ambitionierte Forscher eines fernen Tages auf diesen kahlen, toten Felsbrocken treiben.

In wenigen Stunden werden wir mit zwei Raumschiffen aufbrechen. Jedenfalls diejenigen von uns, welche übriggeblieben sind. Wir lassen unsere kulturellen Wurzeln in den schnell verfallenden Ruinen einer einst blühenden Umgebung zurück − und mit ihr unzählige Tote. Sie werden mit der Oberfläche dieses sterbenden Planeten verschmelzen, als hätten sie niemals gelebt.

Wie konnten wir es nur so weit kommen lassen? Hätten wir die Anzeichen einer nahenden Katastrophe mithilfe unserer fortgeschrittenen Technik nicht früher erkennen und darauf reagieren müssen?

Selbstverständlich gab es in der Vergangenheit warnende Stimmen! Immer wieder haben renommierte Wissenschaftler verzweifelt versucht, wider die Politik unserer allzu sorglosen Regierung zu insistieren. Doch sie wurden systematisch mundtot gemacht; im besten Fall stellte man sie als unkende Unheilspropheten dar, die man wegen einer sehr wahrscheinlichen geistigen Krankheit nicht ernst zu nehmen hätte.

Jetzt ist es zu spät. Auch ich muss ein paar Habseligkeiten zusammenraffen, die uns mitzunehmen erlaubt sind. Die seismischen Schwarmbeben vermehren sich, werden spürbar stärker. Mit einem Ausbruch des Vulkans ist wohl in Kürze zu rechnen. Nicht auszudenken, falls dies noch vor unserem Start geschähe!

Viele meiner Mitmenschen verfallen bereits in blinde Panik, denn niemand kann garantieren, dass nicht innerhalb der nächsten Sekunden sengend heiße Lava durch die unterirdischen Röhrensysteme schießt, in die wir uns seit einigen Jahrzehnten zum Schutz vor der vernichtenden Strahlung geflüchtet haben. Die Natur hat sich mit aller Macht gegen den Menschen verschworen. Es steht außer Frage, dass sie diesen ungleichen Kampf klar gewinnen wird.

So sind dies die wahrscheinlich letzten Buchstaben, die auf diesem vierten Planeten des Sonnensystems niedergeschrieben werden, dessen endgültiges Sterben unübersehbar eingesetzt hat. Wir nannten unsere Heimat ›Mars‹, doch fremde Völker aus fernen Galaxien werden wohl dereinst neue Bezeichnungen für sie wählen.

Ich, der Schreiber Karon, beende hiermit dieses schriftliche Vermächtnis in der Hoffnung, dass andere Zivilisationen aus unseren Fehlern lernen mögen. Man muss innovativen Ideen nicht zwangsläufig Taten folgen lassen, nur weil man es kann!

Was in einseitiger Betrachtung als Segen für die Geschöpfe dargestellt wird, kann stets abrupt ins Gegenteil umschlagen oder von Menschen minderwertigen Charakters pervertiert und missbraucht werden. Ist die Kettenreaktion der Zerstörung erst in Gang gesetzt, führt der Weg eines jeden Volkes schnurgerade Richtung Abgrund.

Für die meisten von uns kommt diese Erkenntnis leider zu spät. Sollten wir auf dem fernen Exoplaneten Tiberia die Chance für einen Neuanfang bekommen, werden wir uns hieran zu erinnern haben. Es ist an mir und meinen Nachfolgern, die tragische Geschichte unseres Untergangs über die Generationen hinweg am Leben zu erhalten.

Das zweite Schiff wird zum dritten Planeten unseres eigenen Sonnensystems fliegen, den wir Terra nennen. Es wird eine im Verhältnis wesentlich kürzere Strecke zurückzulegen haben. Aber was wird die Bedauernswerten, denen dieses Los zugefallen ist, dort erwarten?

Tiberia Wege in den Niedergang

Die Freunde Solaras und Arden saßen auf einem Felsvorsprung und genossen die wunderbare Stille. Gerne kamen sie hierher in die Abgeschiedenheit, um gemeinsam ihren Gedanken nachzuhängen oder inspirierende Gespräche zu führen. Meist verabredeten sie sich hierzu nicht einmal, sondern verspürten ungefähr zur selben Tageszeit das dringende Bedürfnis, sich für eine Weile aus dem summenden Bienenstock ihrer Gemeinschaft zu entfernen.

Es war mittlerweile nicht mehr ganz einfach, überhaupt noch ein Fleckchen mit Privatsphäre zu ergattern. Arden hatte diese Idylle mehr durch Zufall entdeckt, als er eines Tages mit seinem Gefährt versehentlich von der schmalen Piste abkam und wider Willen in einem Gebüsch landete.

Durch einen kurzzeitigen Ausfall des Magnetstromes konnte es mitunter vorkommen, dass Fahrzeuge seitlich von den Pisten rutschten. In letzter Zeit allerdings schien sich bei der Wartung der Verkehrswege ein gewisser Schlendrian einzuschleichen, was leider Auswirkungen auf die Sicherheit zeitigte.

Das dornige Gebüsch hatte Arden gehörig beide Arme zerkratzt, daher reagierte er zunächst verärgert auf sein Missgeschick. Dann jedoch gewahrte er aus dem Augenwinkel eine schmale, kaum sichtbare Felsspalte, die vage durch die dornigverschlungene Pflanzenansammlung schimmerte.

Neugierig war er hindurchgekrochen, um sich staunend in einem kleinen abgelegenen Tal wiederzufinden.

Das ringsum von hellen Felsen umfriedete, fast quadratische Areal war nicht sehr groß. Man konnte es von einem Ende zum anderen mit siebzig großen Schritten durchmessen. Dennoch bot es genügend Platz für einen seichten Teich, riesige, saftig grüne Farne und einen freien Blick in den Himmel.

Türkisgrüne Lichtreflexe irisierten je nach Sonneneinstrahlung, schufen eine indirekte Beleuchtung; der grünlich-blaue Himmel wurde durch die intensive Farbe der Vegetation noch verstärkt. Leuchtende Blütenkelche kleiner kobaltblauer Blumen nickten im sanften Wind, ab und zu durchbrachen weiße Fischleiber die spiegelglatte Oberfläche des Teiches. Das iridiumhaltige Gestein glänzte silbrig im Tageslicht, rundete die atemberaubend schöne Szenerie ab.

Arden dämmerte schnell, welch ein Juwel er zufällig gefunden hatte. Keinerlei Spuren menschlicher Anwesenheit waren hier zu sehen. Ein flacher, leicht zu erklimmender Felsen lud förmlich zum Niedersitzen und Genießen ein. Was hätte näher gelegen, als seinem besten Freund aus der Sektion Wissenschaft hiervon zu berichten? Und zwar ausschließlich ihm?

Sicher, egoistisch motivierte Gedanken und Handlungen waren verpönt. Seit einiger Zeit wurden aber immer mehr Stimmen laut, welche die derzeit noch herrschende, ausnehmend strikt-absolutistische Lebensweise auf Tiberia kritisch hinterfragten. Eine Gegenströmung war in der Entstehung begriffen, auch wenn man sie von offizieller Seite noch fleißig negierte. Etwas lag in der Luft.

Arden hatte jedenfalls für sich selbst beschlossen, seine revolutionäre Gedankenwelt im Großen und Ganzen für sich zu behalten und nach außen hin weiter den gehorsamen, sehr linientreuen Geschichtsschreiber zu mimen. So würde er bei der Obrigkeit nicht anecken, hätte sich auf diese Weise aber zumindest im Kopf ein wenig Freiheit vom System ergattert. Schon wegen dieser unentdeckten Enklave hier, die ihm ein gelegentliches Verschwinden aus dem Gewusel geschäftiger Menschen ermöglichte.

Vor etwa 0,0069 KIN war Solaras im Felsenrund eingetroffen, hatte sich wie üblich ohne größere Begrüßungsformeln neben ihn auf den Felsen gesetzt. Haargenau dieses stillschweigende Einverständnis schweißte die in etwa gleichaltrigen Männer schon seit Kindertagen zu Freunden und innig Vertrauten zusammen.

Dieses Mal war es der sanfte Solaras, der etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte. Versonnen strich er sein langes Haar hinter die Schultern zurück, das den Status als Wissenschaftler anzeigte − zusammen mit der traditionell kobaltblauen Farbe seines fast bodenlangen Gewandes.

»Arden, ich hätte ein paar dringende Fragen an dich! Natürlich weiß ich, dass du mir diese eigentlich nicht beantworten dürftest. Schließlich haben wir strenge Regeln für die Interaktion mit anderen Unter-Sektionen zu beachten. Genauso wenig darf ich wiederum dir Auskunft über die Tätigkeiten des wissenschaftlichen Bereichs liefern.

Aber es ist neuerdings etwas Merkwürdiges im Gange, dessen Auswirkungen ich nur schlecht einschätzen kann. Ich bin beunruhigt, um es genau zu sagen. Könnten wir bitte die Gewaltenteilung für heute außer Acht lassen? Vertraust du mir?«

Arden lächelte. »Was für eine Frage! Wir sollten beim Sprechen besser den Eingang im Auge behalten … nicht auszudenken, wenn uns jemand bei einem solchen Vergehen ertappen würde!«

»Ich weiß!«, nickte Solaras. »Ich werde versuchen, mich so kurz als irgend möglich zu fassen. Spätestens in 0,042 KIN sollten wir getrennt den Rückweg in die Zivilisation antreten, damit unsere Abwesenheit nicht auffällt. Man würde uns sonst bestimmt als Verschwörer verurteilen, denn dieser Informationsaustausch ist eindeutig illegal.«

Solaras atmete tief durch. Das schlechte Gewissen ließ sich dummerweise nicht vollständig unterdrücken. Seine Ausbildung war viel zu gründlich gewesen, als dass er sich jetzt mühelos darüber hinwegsetzen hätte können. Manchmal fragte er sich sogar, ob das Bildungssystem Tiberias nicht eher einer ausgeklügelt organisierten Gehirnwäsche gleichkäme. Ardens beunruhigter Blick signalisierte ihm, dass er wohl ähnliche Ängste hegte.

»Arden, ich würde deinen Status als einem der führenden Geschichtsschreiber der Sektion bestimmt nicht gefährden, wenn es nicht wirklich Klärungsbedarf gäbe. In letzter Zeit habe ich jedoch so einige Gesprächsfetzen zwischen unserer Vordersten Alanna und diversen Kollegen von mir aufgeschnappt. Eine Audienz nach der anderen fand im großen Saal statt!

Ich konnte nicht anders, musste einfach darüber nachsinnieren. Es ging zweifellos um die existenzielle Frage, wie man den Niedergang unserer Zivilisation verhindern könne!«

»Den Niedergang? Hast du dich auch nicht verhört? Freilich, in letzter Zeit liegt einiges im Argen und das Bauland wird knapp. Bisher ist es jedoch stets gelungen, eine Lösung zu finden. Was sollte jetzt plötzlich anders sein?«, fragte Arden irritiert und zupfte nervös am Ärmel seines grünen Gewandes.

»Irrtum ausgeschlossen! Man hat mir zwischenzeitlich nämlich eine Frage gestellt, die das Gehörte unmissverständlich untermauerte.

Aber ich will von vorne beginnen, um dich nicht zu verwirren! Du bist ja bestens mit den Aufzeichnungen unseres ehrwürdigen Vorfahren Karon vertraut, der vor langer Zeit detailliert beschrieb, wie es zum Untergang der Mars-Zivilisation kam. Jedenfalls den Anteil am Desaster, welchen der Mensch höchstpersönlich verursacht hat. Nun ja … es scheint, als würden sich die Fehler der Vergangenheit wiederholen!«

Arden schüttelte den Kopf. »Wie bitte?! Das ist doch gar nicht möglich! Von Anfang an haben wir auf Tiberia alles vermieden, was auch nur ansatzweise in die falsche Richtung abdriften könnte. Angefangen bei der Gesellschaftsordnung bis hin zur Energieund Baupolitik. Wir haben weder die Umwelt ausgebeutet, noch diese mehr als nötig verschmutzt. Die Luft ist sauber, die Atmosphäre intakt. Es gibt zwar gelegentlich kleinere, regionale Auseinandersetzungen – doch von einem Krieg sind wir meilenweit entfernt. Was also sollte unsere Gesellschaft aus den Angeln heben?«

»Genau diejenigen Umstände, welche du mir soeben voller Stolz beschrieben hast, so abstrus dies auf den ersten Blick klingen mag. Das Fehlen größerer Naturkatastrophen, das milde Klima und die intakte Umwelt zeichnen verantwortlich dafür, dass unsere Bevölkerungszahl immer weiter angeschwollen ist. Wegen unserer strikten Vorsichtsmaßnahmen blieben wir von Seuchen ebenso verschont wie von Kindersterblichkeit. Arden, wir sind einfach zu viele geworden!

Offenbar hat das Bevölkerungswachstum bereits ein kritisches Stadium erreicht. Unzufriedenheit macht sich breit, sobald Menschen eng zusammengepfercht leben müssen. Dieser Frust wiederum wird über kurz oder lang in Anarchie münden, denn die Natur hilft sich irgendwann gegen allzu dominante Spezies selbst. Ich spreche von chaotischen Zuständen, lieber Arden!

Zuerst hat man die Anzeichen kaschiert, an den Symptomen herumkuriert. Darauf vertraut, dass sich Aggressivität wie bisher in sportliche Aktivitäten und Wettkämpfe kanalisieren lässt. Doch inzwischen scheint die gängige Art der Kompensation nicht mehr zu funktionieren. Unsere Friedfertigkeit ist lediglich über viele Generationen hinweg antrainiert, kann im Extremfall jederzeit wieder ins Gegenteil umschlagen.

Es werden bereits Stimmen laut, die fordern, dass ein Teil der Bevölkerung transferiert werden soll. Hauptsächlich Menschen aus der Sektion Landwirtschaft und Versorgung wären hiervon betroffen, weil deren Anzahl am extremsten zugenommen hat.

Jeder weiß doch, dass die Ungebildetsten unserer Gesellschaft es mit der Geburtenkontrolle alles andere als ernst nehmen! Sie vermehren sich nach Lust und Laune, schon weil sie keinen Überblick über die Gesamtzusammenhänge besitzen. Und genau hier, lieber Arden, zeigen sich die Schwächen unseres perfekt erscheinenden Systems!

Wie soll jemand eine Entscheidung der Regentenfamilie auf Dauer mittragen, wenn er den tieferen Sinn hinter ihren Anordnungen nicht zu eruieren vermag? Ich habe gehört, dass sich die Landwirte bereits zusammenrotten und ziemlich aufmüpfig werden. Das ist eine wahrhaft gefährliche Entwicklung, findest du nicht?«

Solaras forschte aufmerksam in der Miene seines Freundes danach, wie dieser die besorgniserregenden Nachrichten aufnahm. Erwartungsgemäß schwankte dessen Mimik zwischen Betroffenheit und Skepsis.

»Sie wollen Menschen transferieren? Aber wohin denn nur? So viel mir bekannt ist, haben unsere Sonden noch keinen einzigen Planeten entdeckt, der für ein solches Vorhaben infrage käme. Zwar gibt es eine stattliche Anzahl habitabler Planeten, die über die richtige Zusammensetzung der Atmosphäre, ein annehmbares Klima und Oberflächenwasser verfügen – doch keiner davon würde sich für eine Besiedelung von Hominiden eignen. Das hast du mir doch selbst kürzlich erst erzählt!

Wie war das doch gleich? Auf manchen der augenscheinlich vielversprechenden Kandidaten leben aggressive Bakterien, die uns Menschen innerhalb kürzester Zeit den Garaus machen würden. Auf anderen haben sich riesige fleischfressende Primaten herausgebildet, die neue Siedler wohl kaum akzeptieren dürften – es sei denn als Futterquelle.

Habe ich etwas Wesentliches verpasst, konntet ihr Wissenschaftler zwischenzeitlich etwa doch eine schöne neue Welt auftun?«, echauffierte sich Arden ungewohnt heftig. Ironie stand ihm überhaupt nicht gut zu Gesichte, fand Solaras in diesem Augenblick.

»Nein, hast du nicht. Das ist derzeitig der Stand der Dinge und gleichzeitig einer der Gründe, weshalb ich mit dir sprechen wollte. Alanna hat mich zwischenzeitlich nämlich ebenfalls zu einem Gespräch gebeten. Es soll dabei um die Frage gehen, ob ich zur Teilnahme an einer Mission bereit wäre. Zum Wohle unseres Volkes soll eine Abordnung nach Terra reisen. So, nun weißt du, weshalb mich gewisse Sorgen plagen!«

»Ausgerechnet nach Terra! Moment mal … die sind doch hoffentlich nicht auf die Idee gekommen, einen Teil der Bevölkerung dorthin umzusiedeln? Wie damals, als der Mars zu einem unbewohnbaren Felsbrocken wurde? Man hat doch hinlänglich gesehen, dass dieses Konzept zum Scheitern verurteilt war! Während sich das Leben auf Tiberia prächtig weiterentwickelte, sind die irdischen Menschen … na ja, sagen wir: entartet!«

Solaras nickte traurig, strich mit einem Zeigefinger versonnen über die samtige Oberfläche eines wohlgeformten Blütenkelchs.

»Da teile ich deine Ansichten punktgenau. Deswegen hätte ich vor dem Gespräch mit Alanna gerne nähere Informationen zur Geschichte von Terra, deren Hüter du bist. Sonst wüsste ich nicht, worauf genau ich mich im Falle meines Einverständnisses einlassen würde, verstehst du? Einerseits möchte ich unserer Gesellschaft einen Dienst erweisen, andererseits aber nicht für eine unrealistische Idee geopfert werden. Wirst du mir die Informationen liefern, die mich interessieren?«

Arden zögerte kurz, denn er hatte das leise Sirren eines passierenden Magnetfahrzeugs vernommen.

»Selbstverständlich! Aber nicht jetzt, wir sollten uns aus Sicherheitsgründen allmählich von hier entfernen. Beim nächsten Treffen, ich verspreche es dir! Wann genau ist denn dein bedeutungsschwerer Termin mit Alanna?«

»Schon in 7 KIN. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

»Verstanden! Ich werde gerne sehen, was ich für dich tun kann. Gehst du heute als Erster zur Piste zurück, oder soll ich den Anfang machen?«

»Ich bleibe lieber noch einen Augenblick ruhig hier sitzen, hänge die Füße ins Wasser. Geh ruhig, mein Freund, und lasse besser niemanden sehen, aus welcher Richtung du kommst.«

Als Arden seinen Mitverschwörer verließ, war er deutlich nervöser als sonst. Er war im Besitz eines Geheimnisses, welches nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war. Das versetzte ihn in die missliche Lage, seine Bestürzung sorgsam verbergen zu müssen.

Was war da Unheimliches im Gange? Er würde seinerseits im Zentrum künftig etwas mehr Aufmerksamkeit an den Tag legen müssen, damit ihn die Ereignisse nicht überrollten. Genau wie Solaras. Wer konnte schon wissen, ob die Sektion Geschichte nicht ebenfalls in das mysteriöse Unterfangen involviert sein würde?

*

Nachdenklich trottete Arden durch ein lichtes Waldstück mit Nadelgehölzen, sorgsam darauf achtend, dass er möglichst wenig vom Bodenbewuchs aus Bärlappgewächsen zertrampelte. Man hatte ihn Achtsamkeit gegenüber allen Lebewesen gelehrt und hierzu zählte auch die reichhaltige Flora seiner Heimat.

Das schwülwarme Klima ließ ihm stetig Schweißtropfen aus den Haaren rinnen – wobei er sich nicht ganz sicher war, ob er nicht hauptsächlich wegen der Mitteilungen von Solaras ins Schwitzen gekommen war. Noch immer hoffte er, sein Freund hätte etwas nur falsch verstanden oder in einen verkehrten Zusammenhang gebracht.

Konnte es denn tatsächlich im Bereich des Möglichen liegen, dass das Leben auf diesem wunderbaren Planeten in Gefahr schwebte? Hätte man die Bevölkerung in einem solchen Fall nicht längst informieren müssen, um drohendem Chaos von vorneherein entgegen zu wirken?

Arden sah sich um. Alles wirkte friedlich und geordnet. Nur wenige Pisten durchzogen in dieser Region das Land; sie waren durchwegs aus einem federleichten und doch sehr stabilen Material gefertigt, welches Magnetströme leitete. Diese wiederum sorgten dafür, dass die leisen, emissionsfreien Fahrzeuge mit einem immer gleichen Sicherheitsabstand in gemächlicher Geschwindigkeit zum Ziel gelangten. Bodenunebenheiten glich man mühelos aus, indem man die Pisten auf niedrigen Pfählen montierte.

Oh ja, man hatte aus den Fehlern der Urväter gelernt! Sowohl auf dem Mars als auch auf Terra verwendete man früher fossile Brennstoffe, um rasend schnelle Fortbewegungsmittel anzutreiben. Nur, wozu die Eile? Man konnte zu Fuß gehen, oder etwas größere Distanzen mit einem der überall frei zugänglichen Magnetfahrzeuge zurücklegen; diese sehr umweltfreundlichen Transportmittel fassten jeweils vier Personen und verfügten über einen Stauraum von ausreichender Größe.

Niemand wäre auf Tiberia der seltsamen Idee verfallen, fremde Distrikte oder gar die andere Seite des Planeten erkunden zu wollen! Einzig die Vordersten der übergeordneten Hauptsektionen mussten gelegentlich gigantische Entfernungen überbrücken, um miteinander zu konferieren oder Informationen an die Regentenfamilie zu überbringen. Dazu benutzten sie dann jedoch fliegende Raumfahrzeuge.

Aus welchem vernünftigen Grund hätte man seinen zugeteilten Lebensund Arbeitsbereich auch verlassen sollen? Die Oberfläche Tiberias war zum Großteil von warmen Süßwassermeeren bedeckt, die an keiner Stelle so tief waren, dass man darin nicht hätte stehen und den Grund sehen können. Dichte Regenwälder und Sumpfpflanzen durchzogen diese fischreichen Gewässer wie Lebensadern. An manchen Stellen wurden die Landmassen durch hügeliges, bunt blühendes Grasland unterbrochen. Vom Weltall aus wirkte Tiberia deswegen türkisfarben bis grünlich – nicht blau wie beispielsweise Terra.

Die ankommenden Marsianer waren einst froh, der Katastrophe auf ihrem Heimatplaneten knapp entkommen zu sein und passten sich nahtlos an diese vorgefundenen Gegebenheiten an; der Mensch fügte sich als neuer Bestandteil in die Landschaft ein, anstatt sie für seine Zwecke zu zerstören. Staunend und dankbar schworen sich die Neuankömmlinge, niemals wieder ihre eigene Existenz aufs Spiel zu setzen. Arden hatte sich wieder und wieder fasziniert mit den Aufzeichnungen der ersten Siedler befasst, denn sie wurden von seiner Sektion sorgfältig konserviert und aufbewahrt.

Auf Tiberia musste kein einziger Baum jemals einem ehrgeizigen Bauvorhaben weichen! Man wusste um die Bedeutung eines funktionierenden Ökosystems, denn der Mensch und seine Umgebung standen schließlich in einer stetigen Wechselwirkung zueinander.

Deswegen gab es zwei verschiedene Typen von Wohnhäusern, deren Design von klugen Köpfen dem jeweiligen Standort angepasst worden war. Auf den Wasserflächen schwammen die Plattformen und Pisten für die Fahrzeuge. Dazwischen befestigte man je nach Bedarf die Wohnhäuser für die Bevölkerung und verankerte alles sicher an der Uferlinie. Stürme oder allzu hohen Wellengang gab es auf Tiberia nicht, somit dümpelten die schwimmenden Städte nur sanft vor sich hin.

Jedes Modul konnte innerhalb kürzester Zeit wieder entfernt oder ausgetauscht werden, ohne Spuren zu hinterlassen. Die tierischen Meeresbewohner tauchten einfach unter den menschlichen Siedlungen hindurch oder nutzten diese sogar als Schutzzone, um Eier abzulegen und ihre Jungen aufzuziehen.

Optisch dominierten am Wasser runde oder wellenförmige Designs, wobei die Fassaden in allen nur denkbaren Blautönen schimmerten. Kein Gebäude bekam mehr als ein Stockwerk, damit die Endkonstruktion auf dem Wasser nicht zu sehr schwankte. Konnte es etwas Ansprechenderes geben?

Manche Menschen bevorzugten es, die saftig grünen Wälder zu bewohnen. Einige Wohneinheiten waren in luftiger Höhe als Baumhäuser angebracht, andere standen auf stabilen Pfählen, die man in den Waldboden getrieben hatte. Auf diese Weise wurde weder der Bodenbewuchs zerstört, noch versiegelte man Flächen gegen das Regenwasser.

Die Formgebung der Wohngebäude griff genau wie die Fassaden die Besonderheiten des Waldes auf: sie liefen nach oben hin schmal zu und spiegelten sämtliche Grünund Braunschattierungen wider, als hätte die Natur selbst sie sorgsam gestaltet. Man musste schon zweimal hinsehen, um sie zwischen den Bäumen zu entdecken.

Allein das Grasland war anderen Zwecken vorbehalten. Hier standen die verschiedenartigen Nutzbauten der vier Sektionen, streng voneinander abgegrenzt und nur von Angehörigen der eigenen Sektion erreichbar.

Diese Beschränkung stellte die einzige Restriktion für die Bevölkerung dar – alle anderen Flächen des Planeten durften von jedermann frei betreten werden, denn das Land war nicht in private Parzellen aufgeteilt. Alles gehörte jedem und niemandem, kein Zaun oder Wall grenzte bestimmte Gebiete ein.

Im Grasland befanden sich auch der riesige Raumbahnhof und die Fertigungsanlagen für Häuser, Fahrbahnen und die vielfältig nutzbare Magnettechnik. Ansprechend gestaltete Wettkampfstätten, Bibliotheken, Hologramm-Kinos, Wasserparks und Freilichttheater sorgten dafür, dass Körper und Geist ausreichend Erholung fanden.

Landwirte und einfache Handwerker hatten hier im Grasland traditionell nichts zu suchen. Ihnen waren bestimmte Gebiete zugeteilt, in denen sie ihre Felder bestellen und den jeweiligen Handwerken nachgehen konnten. Sie blieben meistens unter sich, nur alle 14 KIN suchten einige dieser einfachen Menschen die umliegenden Siedlungen auf, um ihre Produkte zu liefern. Ihnen war bewusst, dass sie im Austausch dafür Schutz, technische Errungenschaften und Fortschritt erwarten durften.

Die Angehörigen der Sektion Landwirtschaft und Versorgung verfügten weder über eine höhere Schulbildung, noch stand ihnen ein Mitspracherecht bei grundsätzlichen Entscheidungen zu. Jeder wurde seinen Neigungen und Talenten gemäß eingesetzt, denn schon in der Jugend zeigte sich, welches Geschick der Einzelne besaß.

Warum hätte man die Bauern und Handwerker auch darüber hinaus ausbilden sollen? Sobald die breite Bevölkerung auf die Idee gekommen war, im Wege einer Demokratie an der Regierung teilhaben zu wollen, war damals auf dem Mars alles schief gegangen. Von Terra ganz zu schweigen!

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
26 mayıs 2021
Hacim:
281 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783967525335
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