Kitabı oku: «Lidwicc Island College of Floral Spells», sayfa 6
»Ja, ähm, kein Ding, echt. Ist cool da.« Was laberte ich?
»Es hat mich beeindruckt.« Drakon bog um die Ecke.
Dort erwartete uns ein Flur mit hunderten von Gemälden. Bäume, Wiesen, Blumen, Sträuße, Menschen, aus denen Pflanzen wuchsen. Eingerahmt von Kletterpflanzen, die sich an der Decke entlang schlängelten und eine Abzweigung zwischen den Bildern nahmen, um ihnen als Rahmen zu dienen.
»Ähm, was hat dich beeindruckt?« Meine eigenen Worte hörte ich wie durch Watte, da ich die Umgebung bewunderte.
»Deine Ehrlichkeit. Sonst biedern sich uns alle an. Niemand wäre je so unverschämt wie du. Irgendwie ist das nice gewesen.«
Schmunzelnd drehte ich meinen Kopf weg von ihm und tat, als begutachtete ich die Malereien auf den Säulen, die hie und da in die Mauern eingebettet waren.
»Unverschämtheiten habe ich noch ein paar auf Lager.«
Drakon blieb stehen und sah nach oben. Ein Durchbruch befand sich in der Decke und darüber erkannte ich einige Studierende, die herumwuselten, Bücher in den Händen trugen und sich unterhielten. Wie selbstverständlich schossen Ranken von den Pflanzen um uns zu Drakon. Teile von Efeu und Blauregen umklammerten ihn und hoben ihn hoch.
»Na dann, bye. Wir sehen uns.«
»Ha, ha. Na los. Versuch es. Bring sie dazu, dich hochzubringen.«
»Klar, könnte ich. Will ich nicht. Ich guck mich ein wenig um.«
Drakon blickte jetzt nicht mehr zu mir, sondern an mir vorbei. Jemanden hinter mir zu wissen, hatte noch nie etwas Gutes bedeutet.
Ich sollte mich korrigieren: Ich wäre doch lieber wieder bei Drakon, der sich aufplusterte wie ein stolzer Pfau, weil er zwanzig Mal einen Korb traf, anstatt doch noch von Callidora erwischt worden zu sein. Natürlich hatte sie hinter mir gestanden und zwang mich nun, ihrer Idee von Mit-Sich-Ins-Reine-Kommen zu folgen.
»Verstehe ich das richtig? Diese Erinnerungsblumen töten mich?« Mein Bauch drehte sich im Kreis und äußerte grummelnd seine Einwände.
»Du siehst auch nur das Schlechte, oder?« Callidora legte ihren Arm um mich.
»Berufskrankheit.« Meine Blicke huschten nach rechts und ich erkannte ihre Hand auf meiner Schulter, die sie mit weißen, samtigen Handschuhen bedeckt hatte.
»Diese Pflanzen könnten dich töten, ja. Keine Angst, werden sie nicht.« Wir waren wieder in ihrem Büro. Hinter einem Regal, in dem Gläser mit eingelegten Blüten, Blättern und Wurzeln ihren Platz gefunden hatten.
Links und rechts zählte ich mindestens zwanzig Blumen in kleinen Beeten, die von rotem Licht beleuchtet wurden. Ihre Blüten hatten die Form von Notenschlüsseln und an ihren geschwungenen Enden hing etwas heraus, das wie eine Zunge aussah.
Memo an mich: Komisches Geheimzimmer hinter Bücherregal meiden.
»Du brauchst deine Seelenblume und wenn du nicht über deinen Schatten springen kannst, musst du deinen Ängsten eben direkt begegnen.«
»Sind meine Schatten nicht nur vergangene Erlebnisse, die mich nicht mehr kümmern sollten? Sie sind nicht meine Gegenwart, sie sind nur in meinem Kopf. Verdränge ich sie, sind sie nicht mehr da.« Panik sprach aus mir.
Meine Vergangenheit nochmal erleben? Ein Zahnarztbesuch bei dem scharfen ehrenamtlichen Typen, der sich den Straßenleuten annahm, wäre mir lieber gewesen.
»Nur, weil etwas vergangen und in einen Schrank in deinem Kopf gesperrt ist, ist es nicht weniger real. Diese dunkle Energie ist genau das: Reale Energie, die sich an deiner beraubt.« Callidoras Stimme lullte mich ein.
Für diesen Moment klang sie nicht mehr wie die taffe Collegeleiterin, die sich behaupten und durchsetzen musste, sondern wie eine liebevolle Mutter. Eine Mutter, die ich nie gehabt hatte. Ihre Worte gaben mir das Gefühl, dass es okay war, nicht okay zu sein. Eine Duftwolke von Honig, Vanille, Zimt und Rosenholz wanderte von ihr zu mir.
Beruhigt lockerte sich mein Kiefer, und meine Verkrampfungen, die mich seit Jahren angespannt zurückließen, sodass ich morgens mit dem Gefühl aufwachte, als hätte man meinen Magen mit einem Kompressor aufgepumpt, lösten sich. Und plötzlich purzelte ein Satz aus mir, den ich ewig nicht mehr ausgesprochen hatte: »Ich habe Angst.«
»Das ist großartig.«
Alles in mir fühlte sich tonnenschwer an und für eine Sekunde hatte ich geglaubt, dass ein kleiner Teil meines seelischen Ballasts sich gelöst hatte. Konnte es sein, ja, durfte ich es in Erwägung ziehen, dass meine Sorgen mich weniger erdrückten, wenn ich sie teilte?
»Geh zur Erinnerungsblume und lecke an ihrem Erinnerungsfühler.«
Ferngesteuert bewegte ich mich auf die bläuliche Pflanze zu. Eine tropische Hitze brachte mich zum Schwitzen und das gedimmte Licht erhellte den langgezogenen Flur. Ich betrat das Beet, die Erde unter mir gab nach und dann streckte ich meine Zunge aus und berührte den Fühler.
Neun
Was wäre ohne die Typen passiert?
Die letzten Tage hatte ich wie in Trance gelebt. Heute fühlte ich mich endlich selbst wieder. Sogar die Windbrise, die durch das geöffnete Fenster sauste, spürte ich an meinem Unterarm.
»Wie erwähnt, streiten sich die Geschichtsprofessoren bis heute, ob Chloris oder Flora verschiedene Wesen gewesen sind. Ob sie eine Nymphe, eine griechische Göttin oder die Personifizierung der Blumen darstellt. Sie ist eine der ersten aufgezeichneten Pflanzenmagierinnen gewesen, die sich auch als solche bezeichnet hat.« Geschichtsmentor Douglas, der uns die Eckpunkte unserer magischen Vergangenheit beibrachte, damit wir sie danach selbst recherchieren konnten, schritt an uns Neuankömmlingen vorbei und fischte mithilfe eines Gänseblümchens einer jungen Frau namens Juna das Handy aus der Hand und packte es in ihre Tasche. »Natürlich hat es auch vor ihr welche gegeben.«
»Mein Handy!« Nachdem Junas erstes, empörtes Stöhnen nicht genug Beachtung fand, schickte sie ein zweites hinterher.
Und die war die Exfreundin von Drakon gewesen? Na gut, die passten mit ihren Attitüden perfekt zusammen.
»Sie sind alle Erwachsene in diesem College. Benehmen Sie sich auch so. Während der Kurse sind Handys nur erlaubt, wenn wir sie brauchen.«
Juna verschränkte die Arme und lehnte sich am Blatt ihrer blauen Prunkwinde zurück. Alle hatten das getan. Bis auf mich. Ich saß auf einer Kommode.
Die meisten waren wohl genervt von den Erzählungen. Schließlich kannten sie die Geschichten. Für mich war es, als würde man mir eine neue Farbe zeigen wollen, die ich noch nie gesehen hatte. Unvorstellbar.
Bis auf die Blumentöpfe, aus denen man sich Stuhle und Tisch wachsen ließ, wirkte das Zimmer wie eine normale Schulklasse. Wenngleich ich nicht oft welche besucht hatte.
Douglas nahm auf dem Lehrerschreibtisch Platz und sah mich direkt an. »Hast du dir das ungefähr vorstellen können, Margo?«
Nett gemeint, ja, nur drängte er mich dadurch noch mehr in die Alienrolle. Douglas schob seine Retrobrille auf seine Halbglatze und roch an seinem Ginko-Ast, der aus seiner Brusttasche ragte. Harmonia hatte mir erzählt, dass er an Alzheimer litt und Angst hatte, die Geschichte, die er seit Jahrzehnten lehrte, zu vergessen. Ginko sollte dagegen helfen.
»Danke, ja.«
»Okay, Margo, und wie haben sich die Menschen bisher sonst Zusammenstöße mit unserer Welt erklärt?«
Tief ein- und ausatmend, blickte ich auf meine Notizen, die direkt neben dem Porträt von Harmonia waren, das ich gezeichnet hatte.
Die Linierung des Blockes verschwamm vor meinen Augen. Kicherte da jemand oder bildete ich mir das ein?
Die Fingernägel, die ich mir in meine Handinnenseiten bohrte, gaben mir ein wenig Halt.
Immer wieder gab es kleine Flashbacks von der Erinnerungsblume, zu der Callidora mich gebracht hatte.
»Na, Straßenmädchen?« Kamu, der mir nur durch blöde Sprüche in Erinnerung geblieben war, musste selbstverständlich auch jetzt seinen Senf dazugeben.
Der Typ konnte mich nicht ausstehen. Morpheus hatte mich deshalb bereits gewarnt. Er hasste alles und jeden, der sich nicht völlig der Pflanzenmagie verschrieb. Diese innere Wut, die Kamu mit sich trug, zeigte sich auch in seinem Gesicht. Ständig ein böser Blick, die Mundwinkel leicht nach unten geneigt und spitze Eckzähne, die ihn wie ein bedrohlicher Vampir wirken ließen, sobald er sprach.
»Sie haben sich Gestalten ausgedacht, Mythen und Sagen entwickelt. Wann immer die Pflanzenbegabten –«
Harmonia räusperte sich.
»Wann immer wir zu nachsichtig mit unseren Kräften umgegangen sind und die Menschen sich unsere Fähigkeiten nicht erklären konnten, entwickelten sie Geschöpfe, die sich bis heute gehalten haben. Baumgeister, Dryaden, Napaien, Huldras, Schraten, Flidais, Blodeuwedds und noch viele Gottheiten und Dämonen.«
»Ausgezeichnet. Es hat zum Beispiel – und das finde ich witzig – ein Treffen zwischen Menschen und der Erdgöttin …« Seine Cordhose kratzte über den Tisch, als er aufsprang. »Na wie heißt die denn.« Er schlug sich auf die Schläfe, roch an seiner Pflanze, ging im Kreis und hob schlussendlich den Finger. »Nichts sagen.«
Oh, nein. Wie er sich bemühte, den Namen zu finden, der ihm bestimmt auf der Zunge lag, tat mir leid. Douglas murmelte darauf los und als ich wieder Gekicher hörte, galt es nicht mir, sondern Douglas.
»Was stimmt nicht mit euch? Stellt euch vor, ihr wärt in seiner Lage.«
Kamu und eine junge Frau neben ihm glotzten mich an, als wäre ich ein Geist.
»Na und? Wir sind nicht er. Hätte er sich nicht jahrzehntelang die Hucke vollgesoffen, würden sich nicht auch noch die letzten Gehirnzellen verabschieden.« Dora mit dem pinken Jogginganzug auf dem BIEBER stand, haute das einfach raus – neben Douglas.
»Schon gut, streitet nicht wegen mir. Beenden wir den Kurs für heute.« Douglas stürmte aus dem Raum und die Tür schlug hinter ihm ins Schloss.
Dieses Knallen versteinerte mich. Es hallte in meinem Kopf nach. Türen erschienen vor meinem inneren Auge. Ich erspähte mich selbst als kleines Kind, betrachtete mich von außen. Mit der Zeichnung einer Blume in der Hand und den Worten: Für meine Mami – fiese Flashbacknebenwirkungen der Erinnerungsblume, an deren Fühler ich geleckt hatte, waren der Horror.
Und wieder dieses Türknallen. Dazwischen Worte, die ich nicht verstand, nicht hören wollte, bis sie sich durch meine Verdrängungsmechanismen kämpften und mir ins Gesicht brüllten: »Ich bin nicht deine Mami. Du hast keine Mami. Deine Mami wollte dich nicht.«
Türknallen.
»Margo?« Ein Schütteln riss mich aus dem Flashback. »Das ist echt mutig gewesen.«
»Danke, Harmonia. Muss los.« Keine Gefühle zulassen, keine Gefühle teilen.
Das schwächte mich, das hielt mich davon ab, besser zu werden, Daphne zu finden.
Doch vor der Tür verlangsamte ich meine Schritte, bis ich stillstand.
»Kommst du mit?« Nein, wenn ich mich für Daphne weiter-entwickeln wollte, brauchte ich meine Seelenblume und dafür musste ich mit mir ins Reine kommen. »Bitte.«
Ehe ich das Bitte ausgesprochen hatte, stand Harmonia neben mir und grinste breit. Ihr Charisma ließ all die Pflanzen in dem Zimmer noch prächtiger erstrahlen.
Da der Kursraum ganz oben in einem Turm war, stand man, kurz nachdem man den Raum verlassen hatte, vor einer großen Öffnung im Boden, die keine Ahnung wie viele Meter in die Tiefe ragte. Als hätte jemand absichtlich aufgehört, das Treppenhaus aus dem Turm raus fertig zu bauen.
»Heiß heute.« Harmonia fächerte sich mit den Händen Luft zu und ich erkannte Schweißperlen auf ihrer Stirn.
So heiß war es doch gar nicht. »Mhm.«
»Komm, ich helfe dir wieder, okay?«
Ein Reflex in mir bereitete schon das Nein vor. Ich unterdrückte es und nahm ihre Hand. »Danke.«
Eine Ranke der Kiwi – von der ich nie gewusst hatte, dass die Frucht auf einer Kletterpflanze wuchs – schnappte sich uns. Wir fielen, fielen und fielen.
»Margo. Das ist nicht normal. Wir sollten nicht so schnell von ihr nach unten getragen werden«, brüllte Harmonia und gerade, wenn ich mir einmal einredete, dass das normal war, war es eines nicht: Normal.
»Was?«
Marmorboden näherte sich uns und ich wünschte mir, nicht den Mut gehabt zu haben, nach unten zu gucken. Wir schrien beide aus vollem Halse und Harmonias schrilles Kreischen bohrte sich wie ein Dolch in mein Ohr.
Auf einmal wurde die Welt still und wir stoppten abrupt. Es drückte mir mein Frühstück hoch.
»Alles okay?« Clio hielt ihre Arme hochgestreckt und ich erkannte die anderen Ranken, die sich um uns geschlungen hatten.
Langsam setzte sie uns ab. Mein Herz raste und in einem ovalen Spiegel an der Wand erkannte ich, wie kreidebleich ich um die Nase war.
»Was ist denn mit euch los?« Clio hielt Harmonia fest, die sich an ihre Strickjacke klammerte.
»Ich, ich weiß es nicht. Die Pflanze hat uns nicht mehr getragen. Das, das ist mir noch nie passiert.« Harmonias Blick huschte an den Pflanzen entlang, als suche sie eine Erklärung für all das.
»Alles in Ordnung?« Drakon schlüpfte durch die Menge der Studierenden, die uns beäugte.
Durch solche Aktionen würde sich mein Eindruck auf die Leute hier nicht verbessen. Meine Hand zitterte, als ich meine Haare zurückstrich, dabei wollte ich doch lässig wirken.
»Ach, nichts passiert.« Ich winkte ab.
»Schon komisch. Eine Neue kommt, die niemand kennt, und eine von uns kann ihre Kräfte nicht mehr kontrollieren.«
Wer hatte das gesagt?
Hitze stieg in mir auf. Was ich sah, war das zustimmende Nicken vieler Studierenden.
»Merkwürdig, oder?«
Wieder erkannte ich nicht, von wem das kam.
»Was ist daran merkwürdig?« In meinem Kopf klang meine Stimme aggressiver.
»Lasst es gut sein.« Dass Drakon einsprang, wunderte mich.
»Margo kann nichts dafür. Ich bin geschwächt heute.« Harmonias Antwort löste nicht mehr als ein ungläubiges Genuschel aus. Leise Worte, die sich im Turm verloren und keines davon klang, als wäre es mir wohlgesonnen.
Meine Atmung beschleunigte sich, sodass ich mich fragte, ob ich nicht hyperventilierte. Um mich zu beruhigen, drückte ich meine kalt-schweißigen Hände an meine aufgeheizten Wangen und lehnte mich gegen die Wand. Die Wurzeln der Pflanzen, die sich dort wanden, schmerzten an meinem Rücken. Ob es nicht doch der Schmerz der Verschmähten war, konnte ich nicht sagen. Es nervte mich. Wenigstens hatte ich der Situation entfliehen können, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wo ich mich nun befand. Ich wollte mich ja öffnen, aber …
»Margo?«
Ich schreckte hoch und griff mir unter die Augen. Natürlich keine Tränen. Sicherheitshalber wollte ich es überprüfen.
»Drakon, was ist? Wie hast du mich gefunden?« Dieses College hätte eher den Namen Labyrinth verdient. Manchmal kam es mir vor, als würden sich die Wände verschieben.
»Du hörst zu wenig auf das Wispern der Pflanzen. Sie sprechen mit uns, wenn du es zulässt.« Drakon stand ganz dicht vor mir und suchte meinen Blick.
Am liebsten wäre ich seinen zartgrünen Augen nicht ausgewichen, doch seinem Geruch, diesem Vibrieren in der Luft, wenn er in meiner Nähe war, und diese Energie, die sich zwischen uns hochschaukelte, dem allen konnte ich nicht entfliehen. Es versetzte mich in Alarmbereitschaft. Was stimmte nicht mit ihm? Warum war er überhaupt dort unten beim Turm gewesen? Hatte er etwas damit zu tun?
»Margo?«
»Ich kann das nicht und wie du gehört hast, bin ich auch keine von euch. Ich bin keine von niemandem. Selbst Daphne konnte ich nicht beschützen.«
»Daphne?«
Mein Körper zuckte zusammen, als er ihren Namen aussprach und ich merkte, wie ich mich anspannte, kurz davor war, mich wieder zu verschließen, alle inneren Zugbrücken hochzuziehen. Wenn ich das alles durchstehen wollte, musste ich mit mir ins Reine kommen.
»Ich sehe doch, dass du mit dir kämpfst. Erzähl mir von ihr. Wir haben alle Probleme.« Drakon sagte das, als spräche er zu sich selbst.
»Du hast Probleme?«
»Klaro. Gutaussehende, reiche Probleme.« Drakons selbst-gefälliges Grinsen wieder.
Ein Arsch wie eh und je.
»Ich zeig dir meine, wenn du mir deine zeigst.«
»Nenn mich primitiv, aber ich finde solche Anspielungen rattenscharf.« Drakon leckte sich über die vollen Lippen und wenn Lippen arrogant sein konnten, dann seine. »Also gut.«
»Das ist genial.« Mehr Worte fand ich gerade nicht.
Was sich vor mir auftat, sprengte mein sämtliches Verständnis unserer Welt und würde ich nicht mittlerweile ein kleines bisschen weniger glauben, dass ich im Koma lag und nur träumte, würde ich denken, ich verlor den Verstand.
»Wenn dich das schon fertig macht, denk mal darüber nach, was ich unter meinem T-Shi–«
»Nein, lass es. Du bist gerade ein paar Sekunden sympathisch gewesen.«
Im Augenwinkel erkannte ich, dass Drakon so tat, als schmollte er, aber ich fokussierte mich lieber auf das, was vor mir lag.
Drakon hatte mich aus dem College und zu einem riesigen Baum gebracht, den ich öfter von weitem bereits erspäht hatte. Es war der Baum aus der durch Blütenstaub ausgelösten Simulation. Als ich direkt davor gestanden hatte, glaubte ich, der Baum ragte bis zum Universum. Als könnte man von seiner Spitze aus Planeten kitzeln und die Kälte des Weltalls erfühlen.
Nachdem Drakon uns mit den Ästen und Ranken des magischen Baumes nach oben gebracht hatte, tat mein Kiefer vor Staunen weh. Von hier aus erblickte ich die gesamte Insel, das Meer rund um Lidwicc und erkannte sogar Griechenland.
Mich jedoch zog etwas ganz anderes in seinen Bann. Das College. Das Lidwicc Island College. Selbstverständlich entging mir nicht, dass das Schloss pflanzenbewachsen war. Nun registrierte ich den vollen Umfang. Das herrschaftliche Schloss, das als College diente, war nicht das Zuhause vieler Kletterpflanzen. Das gesamte Schloss war eine einzige Pflanze.
Der Baum ragte ein wenig über das College und zeigte mir das Leben, das darin steckte. Ständig bewegten sich die Äste, Blätter, Ranken, Wurzeln, als wären sie die Adern des Schlosses und Blut pumpte sich durch sie hindurch. Bunte Blüten, die hier und da rosane, gelbe, orangene, türkise und rote Tupfer in die Landschaft malten, veränderten ständig ihren Ort. Die wenigen Steinmauern und Fenster, die ich ausmachte, schienen nun eher, als hätte man sie in die Pflanzenpracht gesetzt, als umgekehrt.
Um das Schloss flogen unzählige Bienen und andere kleine Tierchen huschten über das Pflanzenbauwerk.
»Hast du das gesehen? So viele Bienen.« Sofort packte ich Drakons Arm, wie ich es bei Daphne getan hatte, und zog ihn zu mir. »Da! Guck!«
Drakon überraschte mein Vorgehen wohl, weswegen er mit einem »Ahh!«, signalisierte, dass er den Halt verlor und umkippte. Drakon fiel seitlich auf mich und ich kippte nach rechts weg. Er lag auf mir. Seine Augen fingen mich ein. Wieder.
»Deine Augen. Sie sind so dunkelbraun, dass ich geglaubt habe, sie wären schwarz.«
Sein heißer Atem an meiner Nasenspitze schnürte meine Kehle zu.
»Ähm.«
»Sorry. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.« Drakon richtete sich sofort auf. So viel Gentleman hätte ich ihm gar nicht zugetraut.
Die Blätter, die er unter uns vergrößert hatte, damit es wirkte, als säßen wir auf einer Picknickdecke, raschelten. Ich legte mich gemütlicher hin und blickte in den Himmel. Die Wolken, die wie ewig stehengebliebener, kalter Atem eines Riesen ihre Bahnen zogen, brachten mich runter.
»Also?« Drakon ließ sich neben mich fallen und die Blätterdecke wackelte gefährlich.
Ein bisschen überkam mich die Angst, dass wir gleich fallen würden. Da es für Drakon nicht unnatürlich war, zwang ich mich, besonnen zu bleiben.
»Also?«
»Daphne.«
»Zuerst du. Vielleicht nimmst du mich auf den Arm und wenn ich dir etwas erzähle, tust du es nicht, lachst mich aus und haust ab.«
»Mann. Du hast ja echt Vertrauensprobleme.«
»Ja, zum Beispiel wegen Menschen wie dir.« Dieser Kommentar war vielleicht unnötig bissig. Trotzdem hasste ich es, wie er mich darstellte. Wenngleich es auch die absolute Wahrheit war.
»Nun gut.« Drakon drehte sich zu mir.
Er wich meinem Blick aus. Wann hatten wir die Rollen getauscht?
»Meine Familie …« Warum hängen alle Probleme stets mit der eigenen Familie zusammen? »Sie ist ein wenig besonders, wie du mitbekommen hast. Es ist manchmal schwer, dem gerecht zu werden. Unser Familienname umschlingt mich wie eine Lichterkette, die mich anzapft und mir ständig Energie entzieht.« Schon als Drakon angefangen hatte, darüber zu sprechen, huschten seine Blicke auf das Blatt unter uns. Er zeichnete die Fasern mit dem Finger nach, während der Waldduft uns einnahm.
»Hm.« Ich wandte mich wieder dem Himmel zu.
»Mehr hast du dazu nicht zu sagen?« Sein Kopf tauchte über mir auf. Seine sonst zurückgestrichenen Haare fielen ihm wie ein Vorhang ums Gesicht. »Ich bin enttäuscht, oder bist du so abgebrüht, dass dir meine Geschichte zu fad gewesen ist? Fader als ein fader Nachtisch?«
Lächelnd schob ich ihn von mir weg, um den Himmel wieder zu sehen. »Habe mir nur meine Worte überlegt, Junge. Lass mich nachdenken. Weißt du, ich glaube, keine Familie zu haben oder eine, die dich aussaugt, bringt ähnliche Probleme.«
»Was kann man dagegen machen?«
Wieder ließ ich mir Zeit und dieses Mal gab Drakon sie mir.
»Wenn ich das wüsste. Sag du es mir.«
»Und Daphne?«
Es lief auf sie hinaus, natürlich tat es das. Obwohl ich gehofft hatte, er vergäße es.
»Sie ist meine beste Freundin gewesen. Wir haben uns am Athos Berg kennengelernt.«
»Da dürfen doch nur Männer ganz rauf. Und Katzen.«
»Witzbold. Das ist der Punkt. Ich habe dort rebelliert, dass es unfair sei und ich da rauf will.«
»Das kann ich mir vorstellen. Margo, die Rebellenbraut.« Drakon legte sich dicht neben mich und als wir beide dieselben Wolken bewunderten, gab es mir ein vertrautes Gefühl.
»Jedenfalls hat mich ein Kerl in einer Kutte mit verdecktem Gesicht weggezogen.« Die Erinnerung schmerzte. »Es ist Daphne gewesen.«
»Wie, was?«
»Sie hat sich als Mann verkleidet und ausgegeben. Ich weiß noch, wie sie gesagt hat, ich soll mit Verstand erreichen, was ich will, nicht mit Herumschreien und Aufstampfen.«
»Weise Worte.« Dasselbe hatte ich einst zu Daphne gesagt.
Die Erinnerung an ihren frechen Blick, die verschwitzten Haare und die herabbrennende Sonne, die ich heute noch an mir fühlte, tat weh.
»Sie ist auf der Straße, weil sie einer Sekte entkommen ist. Vor Jahren. Jetzt wollte ein Typ mich entführen, als Callidora nur mich und nicht auch Daphne gerettet hat. Es bringt mich um, nicht zu wissen, was mit ihr passiert ist. Ist sie tot? Hat er sie entführt? Oder doch liegen gelassen und sie lebt ihr Leben weiter und denkt, ich habe sie im Stich gelassen? Dieser Kerl will etwas von mir. Vermutlich hat er sie entführt. Als Druckmittel.«
Die Kleinigkeiten ließ ich aus. Das nachts schweißgebadet Auf-wachen, das Aufschreien und wie Harmonia mir ominöse Pflanzen-säfte einflößte, damit ich ein paar Stunden Schlaf fand. Kleinig-keiten eben.
»Ich habe mich so an sie geklammert, weil –« Ein Schatten fiel auf mein Gesicht und ich stoppte, setzte mich auf, um dem nachzugehen.
»Oha. Das hätte ich nie erwartet.«
Diese Stimme, die sich vor mir auftat, sagte mir nichts.
Vor mir tat sich ein Typ auf, der an zwei Lianen hochgehoben wurde und für einen kurzen Moment aussah, als schwebte er neben der Baumkrone.
»Was machst du hier, Sinan?« Drakons komplette Präsenz veränderte sich. Kühler, steifer.
»Dürfen wir die Aussicht nicht auch betrachten?« Noch ein Kerl hob sich auf dieselbe Art wie Sinan zu uns hoch.
Ihm folgten noch vier weitere. Sie umkreisten uns, waren rund um die Baumkrone. Verschränkte Arme, süffisantes Grinsen. Egal, wohin ich mich drehte, man begegnete mir mit einer abfälligen Musterung.
»Was bedeutet das, Drakon?«
Er warf mir einen mitleidigen Blick zu, der sich rascher verhärtete, als ich: »Was ist hier los?«, sagen konnte.
»Ja, Drakon, was bedeutet das?« Sinan äffte mich nach und streichelte sich dabei über die stoppelige Glatze.
Die sechs Typen wackelten von links nach rechts, als hingen sie an Schlangen und nicht an Lianen.
»Sollten wir nicht die Neue kennenlernen?« Drakon stand auf und sah auf mich herab.
Plötzlich war ich die Neue?
»So ist das?« Ein Typ hinter mir sprach.
Seine feuerroten Haare zu einem hohen Zopf gebunden, starrte er mir gierig in die Augen.
»Na, klar. Ihr habt doch selbst gestern erwähnt, sie müsse durchleuchtet werden. Unsere Familien dürften nicht in Gefahr geraten, ausspioniert zu werden.«
Obwohl die Hitze schwer zu ertragen war, bekam ich eine Gänsehaut und fühlte mich so unwohl, dass ich am liebsten vom Baum gesprungen wäre.
»Willst du mich verarschen?« Ich wollte stark wirken. Stattdessen schwankte ich unter dem weichen Blättermaterial.
»Wie redest du mit ihm?« Diesen Kerl mit den Federohrringen kannte ich. Harmonia hatte über ihn gesprochen. Er hieß Ferdinand.
»Ich rede mit ihm, wie ihr mit mir.«
»Ganz schön temperamentvoll. Sonst wolltest du nichts von ihr, Drakon?« Sinans Lippen kräuselten sich und den Ekel, den er mir gegenüber verspürte, versuchte er erst gar nicht zu verheimlichen.
»Was soll ich von einem Straßenmädchen wollen?« Drakons Worte bohrten sich in meinen Kopf, hallten dort nach, ehe mich eine unsichtbare Faust mitten in den Magen traf.
Nein. Das war nicht die Zeit, mich zu einem ihrer Opfer machen zu lassen.
»Schön, dann wären wir uns ja einig, denn stellt euch vor, ich habe auch nur Informationen einholen wollen. Was sollte ich von einem platinblonden Schnösel wollen? Oder von sonst einem von euch?« Alles in mir spannte sich an, als ich meinem ersten Impuls nachging, losrannte und sprang.
Ich hörte das Sausen des Windes in meinen Ohren, das Gelächter der Typen oberhalb von mir sowie das Rauschen meines Blutes.
»Bitte, bitte, bitte, lieber Baum, hilf mir, wie du ihnen hilfst.« Ich schloss die Augen und zwang mich, die Panik zu schlucken.
Drakons Worte schossen mir ins Gedächtnis. Hör auf das Wispern der Pflanzen.
»Lass mich dir helfen, Margo.«
Wer hatte das gesagt? War das der Baum?
Egal, ich musste nach jedem Strohhalm fassen.
»Wie? Wie soll ich das zulassen?«
»Glaub an dich. Du hast die Magie in dir.«
»Ich bin doch nur ein Straßenmädchen.«
»Du bist eine Pflanzenmagierin. Deine Eltern wären stolz auf dich.«
Ich riss die Augen auf. Über meiner Brust kreiste ein Lichtfunken, der sich vergrößerte und zu strahlen begann.
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