Kitabı oku: «Aufgeklärtes Heidentum», sayfa 2

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Das Schlimme hierbei ist, daß dieses Weltbild nicht aufgrund des fehlenden empirischen Nachweises bis in die Neuzeit abgelehnt wurde, sondern wegen des Inhalts religiöser Mythen, die in eine andere Richtung deuteten, und der Dogmatisierung philosophischer und astronomischer Aussagen wie des ptolemäischen geozentrischen Weltbildes. Erfolgt dann der naturwissenschaftliche Nachweis, entsteht automatisch der Eindruck, daß die damit verbundenen religiösen Mythen falsch seien, egal welche sonstigen Lehren sie noch für die Lebensführung oder anderes enthalten mögen. Eine solche naturwissenschaftliche Aushebelung derartig interpretierter Mythen fördert natürlich den Atheismus als Ablehnung jedweder Religion. Mythen sollten daher anders interpretiert werden als naturwissenschaftlich, wie wir genauer im Kapitel Was ist ein Mythos? sehen werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Begriffsbestimmung von Religion ist ihre Kategorisierung nach bestimmten Typen oder Formen. Gewöhnlich wird zwischen Monotheismus und Polytheismus unterschieden, allerdings bereiten diese Kategorien einige Schwierigkeiten. Allein dem Namen nach unterscheiden sie Religionen, die entweder genau einen Gott oder mehrere Götter haben. Der wesentliche Unterschied zwischen abrahamitischen Monotheismen und europäischen Polytheismen liegt aber weniger in der Anzahl der Götter sondern in der Art und Weise, wie sie angesehen werden.

Desweiteren paßt der Hinduismus nur schwerlich in diese Kategorisierung. Mit seinen 330 Millionen Göttern würde man ihn sofort dem Polytheismus zurechnen, allerdings sind alle diese Götter letztlich Inkarnationen eines einzigen höheren Geistes, was zum Typus des Monotheismus passen würde [Cot08]. Da dieser Geist aber weit weniger personale Elemente enthält und oft als kosmologisches Prinzip dargestellt wird, ist eine gemeinsame Kategorie mit Christentum, Judentum und Islam als weiteren Monotheismen nicht gerade statthaft.

Jan Assmann kritisiert die Verwendung dieser Kategorien, weil die Begriffe erst in „kontroverstheologischen Debatten des 17. und 18. Jahrhunderts“ entstanden und „für die Beschreibung antiker Religionen vollkommen ungeeignet“ seien [Ass03]. Wie viele Götter man habe, wäre nicht von Interesse gewesen, und er zählt auch nicht-göttliche, aber dennoch höhere Wesen wie Engel, Dämonen oder im Heidentum Wesen der niederen Mythologie zur Religion dazu, so daß der Begriff Monotheismus auch bei nur einem Gott unzureichend ist.

Stattdessen kategorisiert Assmann in primäre und sekundäre Religionen, die auf der Unterscheidung von primärer und sekundärer Religionserfahrung nach dem Theologen Theo Sundermeier aufbauen [Mue87]. Primäre Religionen sind prähistorisch entstanden, man kennt hier weder den Zeitpunkt der Entstehung, vermutlich weil sie eine stetige Weiterentwicklung von weit in der Vergangenheit liegenden religiösen Ansichten sind, noch einen oder mehrere Stifter. Bei sekundären Religionen sind diese beiden Punkte definitiv der Fall, man kennt den groben Zeitrahmen der Entstehung und mindestens einen Stifter. Europäische heidnische Religionen und der Hinduismus sind nach diesem Muster primär, Christentum, Islam und Buddhismus sekundär. Beim monotheistischen Judentum kennt man zwar keinen Stifter namentlich, aber der Zeitrahmen und die stiftenden Priester als Gruppe sind gut eingrenzbar, so daß man auch das Judentum als sekundär bezeichnen kann. Assmann bemerkt an derselben Stelle noch, daß jede sekundäre Religion eine Buchreligion sei, so daß eine Unterscheidung zwischen Buch- und Nicht-Buchreligionen in etwa seiner Kategorisierung entspricht. Eine Ansammlung schriftlich fixierter Mythen und Geschichten ohne dogmatische oder glaubensbekennende Aussagen zählt nicht als Buchreligion. Dieser Typus trifft daher nicht auf griechisches, römisches oder germanisches Heidentum zu.


Abbildung 1: Häufige Gottesvorstellungen in primären und sekundären Religionen

Eine besonders im modernen Heidentum verbreitete Kategorisierung ist die Unterscheidung zwischen Offenbarungs- und Erfahrungsreligionen. Diese bezieht sich allerdings mehr auf den persönlichen Umgang mit der eigenen Religion als auf deren äußere Form. Eine Offenbarungsreligion fußt zum größten Teil oder gar komplett auf einer oder mehreren Offenbarungen, die einem oder mehreren Stiftern zuteil geworden ist, was stark mit Buch- und sekundären Religionen korreliert. In einer Erfahrungsreligion ist dagegen die persönliche Erfahrung mit den Göttern wichtig, sei es im Ritus, im Gebet, in der Meditation, in der Reflexion von Mythen oder auf anderen Wegen wie der Rekonstruktion älterer Formen der eigenen Religion. So sinnig diese Unterscheidung auch ist, in der Praxis kann sie durchaus zu Problemen führen. Das Christentum beispielsweise ist natürlich im wesentlichen eine Offenbarungsreligion, deren Offenbarung in der Bibel aufgeschrieben ist; viele Christen sehen es aber als Erfahrungsreligion, was bezüglich des Auf- oder Ausbaus einer persönlichen Beziehung zu Jesus ja durchaus korrekt ist.

Animistische Vorstellungen – das heißt, daß so ziemlich alles in der Welt beseelt sei – sind auch im Heidentum sowie in den meisten anderen Religionen anzutreffen. Dies rührt vermutlich daher, daß der Animismus als Archetyp einer Naturreligion eine der ersten Religionsformen überhaupt darstellt und sich in zeitlich darauffolgenden Religionen vererbt hat. Ebenso ursprünglich sind wohl Bestattungsriten und damit verbundene Jenseitsvorstellungen und Ahnenkulte [Rie93].


Abbildung 2: Gottesvorstellungen weiterer Religionsformen

Es gibt noch weitere Religionsformen, die mit den bisher genannten Kategorien kaum beschreibbar sind. Sie haben zwar keinen oder nur geringen Bezug zum Heidentum und dessen Abgrenzung zum Christentum beziehungsweise den anderen abrahamitischen Monotheismen, sollen aber der Vollständigkeit halber hier erwähnt werden.

Pantheismus: Die Vorstellung, daß das Universum und Gott identisch seien oder daß dem Universum ein göttlicher Geist oder ein göttliches Prinzip innewohne.

Panentheismus: Ähnlich dem Pantheismus, nur daß hier das Universum lediglich einen Teilbereich eines umfassenderen göttlichen Wesens darstellt.

Deismus: Die Annahme eines Schöpfergottes, der nach der Schöpfung des Universums allerdings nicht mehr in dasselbe eingreift.

Pandeismus: Eine Mischung aus Deismus und Pantheismus, d. h. der Schöpfergott geht nach der Schöpfung vollständig im Universum auf.

Was ist Glaube?

Allgemein wird Glaube als der Grundbestandteil einer Religion gesehen. Das liegt daran, daß er ein zentrales Element im Christentum darstellt und dies im schulischen Religionsunterricht und kirchlichen Unterweisungen wie z. B. dem Konfirmandenunterricht so vermittelt wird. Glaube ist Bestandteil der drei christlichen Tugenden Glaube (fides), Liebe (caritas) und Hoffnung (spes) (1. Kor 13,13).

Glaube bedeutet im religiösen Zusammenhang nicht einfach, etwas für wahr zu halten, sondern bezieht sich meistens auf Dinge, deren Vorhandensein sich nicht empirisch nachweisen oder objektiv herleiten läßt, und beinhaltet auf jeden Fall, das Geglaubte zu begehren, zu lieben oder gutzuheißen, wenn man Glauben etymologisch vom indogermanischen leubh ableitet, das „begehren“, „gutheißen“, „loben“ oder „lieb haben“ bedeutet [Gri12].

Nun ist es nicht so, daß im europäischen Heidentum oder anderen primären Religionen Glaube keine Rolle spielte, er hat dort aber einen deutlich anderen Stellenwert und Bezug als im Christentum oder anderen sekundären Religionen. Man heißt dort zwar auch Werte, ethische Grundsätze und in Mythen formulierte Weisheiten gut, ein dogmatisch festgelegter Glaube an eine bestimmte Gottes- oder Göttervorstellung gibt es aber eher nicht. Wie wir später im Kapitel Was ist ein Gott? detailliert sehen werden, gibt es besonders im modernen Heidentum diverse, zum Teil widersprüchliche Gottesvorstellungen. Die religiöse Grundlage bilden hier mythologisch festgelegte, anthropomorphe Gottesbilder, so daß man gemeinsam dieselben Götter verehren kann, selbst wenn man von ihnen unterschiedliche philosophische, theologische oder sogar wissenschaftliche Vorstellungen hat.

Ich unterscheide hier strikt zwischen „Gottesbild“ und „Gottesvorstellung“, was in der Literatur so nicht vorkommen dürfte. Ein Gottesbild ist das, was die jeweiligen Mythen als bildlich vorstellbare Gestalt darbieten. Der Religiöse weiß in der Regel, daß es ein Bild von etwas anderem ist. Falsch dagegen ist die weitverbreitete Ansicht, daß Menschen, in deren Religion Statuen und ähnliches verwendet werden, diese Bildnisse statt der dahinterstehenden Götter anbeten.

Die Gottesvorstellung beschreibt nun das, was man für die Grundlage des menschengemachten und menschenähnlichen Bildes hält. Diese Unterscheidung ist gerade im Heidentum wichtig, in dem es recht eindeutige Bilder, aber eine ganze Reihe von verschiedenen Vorstellungen gibt, eben weil letztere keineswegs dogmatisch zu glauben sind. Die religiöse Praxis und Rede stützt sich auf die Bilder, die persönliche Beziehung oder das, was ein Monotheist Glaube nennen würde, auf die Vorstellung.

Im heutigen wie im früheren Heidentum ist die Gottesverehrung in der rituellen Praxis das Wichtige, Gottesglaube dagegen eher zweitrangig. Dies kann man schon den Schriften Ciceros entnehmen [Cic95] und ist ebenso in modernen Publikationen nachzulesen. So schreibt Fritz Steinbock [Ste04]:

Wir fragen nicht: „Was glaubst du? Was weißt du? Was kannst du?“

Wir fragen: „Welchen Göttern opferst du?“

Es gibt auch Gottesvorstellungen, die keinen Glauben benötigen, wie meine persönlichen zum Beispiel. Außenstehende oder Atheisten mögen diese Vorstellungen für unsinnig oder überflüssig halten, die Existenz der Götter läßt sich mit diesen Vorstellungen allerdings kaum bestreiten, so daß hier religiöser Glaube einer vernunftgeleiteten Definition weicht (siehe Seiten 51 ff).

Mit dieser Einstellung erntet man oft Unverständnis. Warum man einem Gott opfern oder ihn verehren sollte, ohne im herkömmlichen Sinne gläubig zu sein, ist vielen nicht einsichtig. Das Problem ist wieder, daß die meisten Menschen hierzulande an die Grundsätze des Christentums gebunden sind, beziehungsweise nur diese kennen, und man den Stellenwert und die tiefere Bedeutung eines Begriffs innerhalb eines religiösen Systems nicht einfach auf ein anderes anwenden kann. Ich persönlich vermeide daher in Gesprächen möglichst den Begriff „Glaube“, weil er meistens falsche Assoziationen hervorruft. Man muß nicht die anthropomorphe Existenz eines Gottes, wie im Mythos beschrieben, für physikalische Realität halten, wenn man weiß oder auch nur vermutet, daß das, was dieses Bild symbolisiert und was man sich darunter vorstellt, tatsächlich existiert.

Bei den abrahamitischen Monotheismen stellt sich dabei noch das Problem, daß Gottesbilder generell verboten sind oder daß zumindest, in moderateren Kreisen, davon abgeraten wird, sie zu benutzen oder als Grundlage des Glaubens zu nehmen. Dies bezog sich im frühen Judentum zwar nur auf die Herstellung von Gottesstatuen und ähnlichem (2. Mose 20, 4)1, wurde aber im Laufe der Zeit auch auf gedankliche Gottesbilder ausgedehnt. Deren Gottesglaube muß sich also auf die theologische und meistens dogmatisierte Gottesvorstellung beziehen, so daß Abweichungen davon schnell zu neuen Konfessionen führen, weil die Gläubigen mit den unterschiedlichen Vorstellungen nur schwerlich zusammen einen Ritus begehen beziehungsweise eine Gemeinschaft bilden können. Ein gutes Beispiel dafür liefert das Christentum, in dem es diverse Gottesvorstellungen insbesondere bezüglich der Verbindung von Gottvater und Jesus gegeben hat, die zu enormen Streitigkeiten geführt haben, und wo sich erst mit dem 1. Konzil von Nicäa im Jahre 325 die trinitarische Vorstellung, also die Dreieinigkeit, gegenüber dem Arianismus durchgesetzt hat. Daneben gab und gibt es noch Nestorianer und Miaphysiten und wissen die Götter, was sonst noch.

Interessanterweise hat die Trinität Vorbilder im gesamten indogermanischen Kulturraum, wo es diverse Götter-Triaden, also Götter-Dreiheiten gibt, auch wenn die nichtchristlichen sich auf mehrere Götter statt nur einen beziehen. Im Hinduismus bilden Brahma, Vishnu und Shiva das Trimurti (= Sanskrit für „drei Formen“), im griechischen Heidentum gibt es die Trias Zeus, Poseidon und Hades, im römischen Jupiter, Juno und Minerva, im germanischen Wodan, Wili und We (auch Odin, Vili, Ve genannt). In allen dreien gibt es die drei Moiren, Parzen beziehungsweise Nornen. Der im römischen Reich gerne praktizierte ägyptische Isis-Kult hatte Isis, Osiris und Horus.

Der Theologe Rudolf Bultmann schrieb, daß für das Christentum „nicht Erkenntnis (γνῶσις), sondern Glaube (πίστις)“ charakteristisch sei [Bul98]. Diese Abgrenzung macht einen entscheidenden Unterschied zwischen primären und sekundären Religionen aus. Hat man eine Offenbarungs- oder eine Buchreligion, dann soll beziehungsweise muß man glauben, was in der besagten Offenbarung oder dem Buch beschrieben wird. Heutzutage beschränken sich die meisten Gläubigen auf Kernaussagen und ignorieren Dinge, die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen. Es gibt aber auch zahlreiche Gläubige, die ihre schriftlichen Grundlagen insgesamt für wortwörtlich nehmen und jede Abweichung vom Niedergeschriebenen konsequent ablehnen.

Abbildung 3: Aufbau einer sekundären Religion

Bei Erfahrungsreligionen und auch der Begriffsbestimmung, die Religion als Beachtung der zugehörigen Rituale, Wertvorstellungen und Traditionen statt über den Glauben definiert, liegt der Fall anders. Hier trifft man selten Leute, die den Inhalt der Mythen für wortwörtlich nehmen oder sie für historische Tatsachenberichte halten. Spirituelle Erfahrungen und Erkenntnisse gewinnt man hier durch die Praxis, sei es aufgrund von Riten, Meditation oder anderem, nicht allein durch das Gelesene, auch wenn das Lesen und Reflektieren über die Mythen eine große Rolle spielen.

Dieser Unterschied macht sich auch am Glaubensbekenntnis bemerkbar, das im Christentum und Islam einen hohen Stellenwert besitzt, meistens auswendig gelernt und mindestens einmal ausgesprochen werden muß. Nach www.hagalil.com gibt es auch ein jüdisches Glaubensbekenntnis [Hag12], dessen Relevanz und Verbreitung sich allerdings meiner Kenntnis entzieht.

Abbildung 4: Aufbau einer primären Religion

Im Heidentum sieht das deutlich anders aus. Es mag zwar noch mehr geben, aber ich persönlich kenne nur eine einzige heidnische Religionsgemeinschaft, die ein offizielles Glaubensbekenntnis besitzt, nämlich die dänische Forn Siðr = „die alte Sitte“. Sie selbst bezeichnen das sogenannte trosbekendelse als „poetische Definition des Glaubens und der Weltanschauung“ [For12], und soweit ich informiert bin, ist es nur deshalb entstanden, weil es in Dänemark für die staatliche Anerkennung einer Religionsgemeinschaft notwendig ist. Da spielen vermutlich die Ansichten der evangelisch-lutherischen Staatskirche mit.

Es gibt also definitiv Religionen, bei denen kein Glaubensbekenntnis, also auch kein vor- oder niedergeschriebener Glauben, existiert, und der Glaube als solcher nicht die Wichtigkeit besitzt, wie das von den meisten Menschen in der westlichen Welt für alle Religionen angenommen wird. Leider ist es unglaublich schwer, diesen Menschen zu erklären, wie man Götter verehren kann, ohne an sie im herkömmlichen, also hierzulande christlichen Sinne zu glauben. Für sie ist Glaube Voraussetzung für Verehrung, letztere ginge angeblich nicht ohne ersteren.

Ein fest vorgegebenes Bekenntnis über den eigenen Glauben hängt meines Erachtens auch mit der möglichen Anzahl gleichzeitig ausgeübter Religionen zusammen, etwas, das im vorhergehenden Kapitel schon angesprochen wurde. Ein fest umrissener und genau definierter Glaube, dem zudem noch ein absoluter Wahrheitsgehalt zugesprochen wird, führt beinahe automatisch dazu, daß man neben seiner eigenen über diesen Glauben definierten Religion keine andere mehr akzeptieren kann.

Fehlt eine solche Verbindung von absoluter Wahrheit und dogmatischen Glaubensaussagen, ist es kein Problem, mehreren und sogar vorgeblich widersprüchlichen Religionen wie Buddhismus und Shintoismus anzugehören und sie zu befolgen.

Damit eng zusammen hängt die heutzutage oft geäußerte Ansicht, die Römer hätten die Christen aufgrund ihres „falschen“ Glaubens verfolgt. Wenn man den Glauben an eine Gottesvorstellung für den Kernpunkt der Wahrheit hält, meint man schnell, daß seine Gegner gerade deswegen gegen einen eingestellt sind. Wie man aber an der bisher aufgezeigten antiken Religionsdefinition, dem Nichtvorhandensein von Glaubensbekenntnissen im Heidentum und dem Praktizieren vieler nichtrömischer Religionen im alten Rom sehen kann, kann der Glaube kaum der Grund für die Verfolgung gewesen sein.

Das heidnische römische Reich pflegte angesichts der vielen praktizierten Religionen also im Gegensatz zu dem späteren christlichen, in dem tatsächlich jede andere Religion mit Ausnahme des Christentums – und mit Einschränkungen noch des Judentums – aufgrund angeblich falschen oder fehlenden Glaubens verboten wurde, eine gewisse Religionsfreiheit, die allerdings nicht so freizügig wie unsere heutige war. Verbots- oder Verfolgungsgründe waren entweder politisch motiviert oder entstammten dem Mißtrauen gegenüber im Geheimen vollzogenen Kulten. Der Dionysos- und der Isis-Kult sind mehrfach vom Senat verboten worden [Klo06], ersterer wurde sogar im Jahre 186 v. Chr. nach dem sogenannten „Bacchanten-Skandal“ äußerst brutal mit schätzungsweise 7.000 Todesopfern verfolgt.

Ein politischer Grund für die Verfolgung einer Religion war die Ablehnung des Staatskultes und später des Kaiserkultes, da die Ausübung dieser beiden Kulte als staatstreue Handlung galt, die die politische Verbundenheit mit dem römischen Reich ausdrückte. Christen lehnten beides aus Glaubensgründen ab, was sie in Rom politisch verdächtig machte. Inwieweit noch Gerüchte über seltsame, womöglich im Geheimen ausgeführte Riten da mitspielten, ist schwer zu sagen, ich halte es aber für möglich und wahrscheinlich, daß so mancher Römer Berichte über die christliche Eucharistiefeier, bei der das Fleisch eines Meisters gegessen und sein Blut getrunken wird, falsch und daher als ethisch anstößig aufgenommen hat, was zu vielen Verdächtigungen geführt haben mag.

Aufgrund der fehlenden Empirie bei Gottesvorstellungen ist es meines Erachtens ohnehin sinnlos, von einer allgemeinen oder gar absoluten Wahrheit in der Religion zu sprechen, wie es die abrahamitischen Monotheismen üblicherweise tun.

Eine sehr passende Aussage zu Glauben und Wahrheit im Bereich der Religion, der ich vorbehaltlos zustimme, stammt von Siddhartha Gautama, dem Begründer des Buddhismus [Gau93]: „Glauben Sie an nichts, nur weil Sie es gehört haben. Glauben Sie nicht einfach an Traditionen, weil sie von Generationen akzeptiert wurden. Glauben Sie an nichts nur auf Grund der Verbreitung durch Gerüchte. Glauben Sie nie etwas, nur weil es in Heiligen Schriften steht. Glauben Sie an nichts nur wegen der Autorität der Lehrer oder älterer Menschen. Aber wenn Sie selber erkennen, daß etwas heilsam ist und daß es dem Einzelnen und Allen zugute kommt und förderlich ist, dann mögen Sie es annehmen und stets danach leben.“

Was ist ein Mythos?

„Mythen sind Geschichten von Göttern“, schrieb der Philologe Jan de Vries [Vri61]. Das ist zwar korrekt, trifft aber keineswegs den vollen Umfang der Mythologie, wie auch der Germanist und Skandinavist Rudolf Simek in seinem Lexikon der germanischen Mythologie anmerkt [Sim06b]. In Mythen tauchen auch oft „nur“ Halbgötter, andere mythologische Wesen wie solche der sogenannten „niederen Mythologie“, Helden und gewöhnliche Menschen auf.

Heutzutage werden Mythen gewöhnlich mit Märchen gleichgesetzt, eine Einschätzung, die bezogen auf (hauptsächlich primäre) Religionen, die eine reiche Auswahl an Mythen besitzen und bei denen diese in der religiösen Praxis äußerst wichtig sind, grundfalsch ist und meiner Meinung nach aus den christlichen Glaubensansichten stammt.

Christen, die die gesamte Bibel wörtlich nehmen, sehen sie komplett als historischen Tatsachenbericht an. Viele Christen nehmen natürlich nicht alle Bibelstellen wörtlich sondern erkennen in vielen durchaus einen Mythos, besonders im Alten Testament wie z. B. der Schöpfungsgeschichte oder der weltumspannenden Sintflut. Beim Neuen Testament, speziell den Evangelien, sieht das dann wieder anders aus, die Lebensgeschichte Jesu und vor allem seine Auferstehung werden meistens als Historie angesehen. Von dieser Gegenüberstellung einer Historizität der religiösen Texte gegenüber von Menschen erdichteten Mythen rührt die Ansicht her, Mythen seien wie Märchen und damit keine Grundlage für ein religiöses System oder für die Lebensführung förderliche Lehren.

Das Alte Testament enthält allerdings tatsächlich recht wenig reale Historie. Der Ägyptologe Jan Assmann hält den Exodus, also den Auszug der Israeliten aus Ägypten für komplett unhistorisch und betrachtet ihn als kulturhistorischen Mythos, der die Wandlung des Judentums vom Polytheismus zum Monotheismus beschreibt [Ass03]. Gleiches gilt für die Landnahme Kanaans, laut Assmann beschreibt auch diese die genannte Wandlung, während die Israeliten bereits in Kanaan lebten. Dies wird von aktuellen Forschungen israelischer und US-amerikanischer Archäologen unterstützt, die keinerlei archäologische Befunde für Exodus und Landnahme sowie andere alttestamentarische Ereignisse finden konnten [Fin04]. Darüber hinaus zeigt allein die vierzigjährige Wanderung des Volkes Israel für eine Strecke, die professionelle Karawanen in wenigen Wochen, ein ganzes Volk vielleicht in einigen Monaten schafft, daß es sich hier um einen Mythos handelt, ist doch die Zahl 40 in der Bibel ein Kode für längere Zeiträume, deren tatsächliche Länge man nicht kennt oder deren Geschichte selbst komplett mythologisch ist. Man vergleiche damit die Versuchung Jesu durch den Satan in der Wüste, die genau 40 Tage andauerte (Mt 4,1 - 11).

Auch die Evangelien sind meines Erachtens reine Mythen, die Apostelgeschichte eine Gründungslegende mit vielen mythologischen Elementen. Es ist nicht auszuschließen, daß Jesus ein historisches Vorbild gehabt haben mag; was jedoch in den Evangelien über sein Leben erzählt wird, hat allenfalls marginal mit diesem Vorbild zu tun. Ich halte es auch für möglich, daß es die Person Jesus historisch überhaupt nicht gegeben hat.

Der erste Hinweis darauf ist die Tatsache, daß es keinerlei außerbiblische Erwähnung Jesu gibt. Tacitus schrieb zwar, ein „Chrestus“ (ein griechischer Sklavenname), dem die „Chrestianer“ mit einem „verderblichen Aberglauben“ anhingen, wäre von Pontius Pilatus gekreuzigt worden, aber dies stellt eher eine Beschreibung des christlichen Glaubens als eine historische Niederschrift dar [Tac92]. Zudem hat Tacitus nicht einmal den Namen von Jesus und seinen Anhängern korrekt geschrieben, vermutlich kannte er keinen von letzteren persönlich, sondern lediglich vom Hörensagen. Die einzige außerbiblische Erwähnung Jesu, die auf eine tatsächliche Historizität hindeutet, stammt von dem jüdischen Historiker Flavius Josephus und ist dermaßen christlich angehaucht, daß man sie gewöhnlich als spätere christliche Hinzufügung zum originalen Text ansieht [Jos11].

Ein weiterer Punkt sind die offensichtlich mythologischen Aspekte in der Lebensgeschichte Jesu. Neben den ganzen übernatürlichen Ereignissen wie dem Gehen über Wasser, Verwandlungen von Lebensmitteln und anderen Wundern folgt der Lebenslauf Jesu einem typischen mythologischen Muster. Das fängt schon bei der Geburt in einer Höhle an. Ställe im damaligen Palästina wurden in Höhlen angelegt, und die Geburtskirche Jesu in Bethlehem ist im 2. Jahrhundert über einer errichtet worden. Die Geburt in Höhlen ist nun typisch für Götter, auch Hermes wurde in einer geboren [Ros90], ebenso Mithras, dessen Geburt auch „Felsgeburt“ genannt wird [Klo06], und nicht zuletzt Zeus.

FitzRoy Richard Somerset veröffentlichte unter seinem Adelstitel Lord Raglan eine Auflistung von allgemein verbreiteten Lebensumständen mythologischer Helden [Rag03]. Diese sogenannte „Lord Raglan Skala“ umfaßt 22 Punkte, darunter die Geburt durch eine königliche Jungfrau, die Abkunft als Sohn eines Gottes, den Versuch, ihn direkt nach der Geburt zu töten, und mysteriöse Todesumstände. Erreicht ein Lebenslauf mehr als sechs Punkte auf der Skala, gilt er als mythologisch, der Held als mythologischer Archetyp. Lord Raglan hat sich zwar nicht getraut, in seinem Buch Jesus dahingehend zu analysieren, aber je nach Interpretation mancher Punkte kommt der Jesus der Evangelien auf 15 bis 19 Punkte.

So interessant seine Skala ist, Lord Raglans Buch enthält auch manchen Fehler. So hielt er die Entdeckung Amerikas durch die Wikinger für einen Mythos, da man zur Zeit der Erstveröffentlichung 1936 noch keinen archäologischen Nachweis dafür hatte. Mittlerweile hat man sogar genetische Hinweise im isländischen Erbgut gefunden, die auf einige indianische Vorfahren hindeuten, die von Amerika nach Island gebracht worden sind [Sig10].

Der Versuch des Herodes, Jesus nach der Geburt durch den Mord an allen Neugeborenen zu töten, wird außerbiblisch nirgends erwähnt, und es ist äußerst unwahrscheinlich, daß die herrschenden Römer so etwas einem Vasallenkönig erlaubt und dann obendrein nicht notiert hätten. Diese Episode dient nur dazu, Jesus nach Ägypten fliehen zu lassen, um eine Bestätigung einer alttestamentarischen Prophezeiung über den zukünftigen jüdischen Messias zu konstruieren, nämlich bezogen auf den Ausspruch, „ich rief meinen Sohn aus Ägypten“ (Hosea 11,1).

Meiner Meinung nach ist es nach den oben erläuterten Umständen ziemlich wahrscheinlich, daß auch die Jesusgeschichte einen Mythos und keine historische Tatsache darstellt bzw. die Lebensgeschichte eines historischen Jesus mythologisch bis zur Apotheose1 verklärt worden ist. Dies ist wohlgemerkt nicht abwertend gemeint, Mythen haben meines Erachtens bezogen auf religiöse und ethische Lehren eine herausragend wichtige Bedeutung.

Worum geht es nun bei den Mythen? Sie enthalten poetische Beschreibungen von Naturereignissen, die für den Menschen wichtig sind, philosophische, ethische und moralische Lehren oder religiöse Begründungen von historischen Umständen. Es kommen Menschenbilder und der Umgang der Menschen untereinander oder gegenüber der Natur darin vor. Auch wenn sie rein vom Menschen erfundene Geschichten sind, so spiegeln sie doch kulturelle Hintergründe wieder, die für die Theorie und Praxis der dazugehörenden Religion bedeutend sind.

Ich möchte drei Beispiele dazu anführen und erläutern: den Mythos der Persephone [Gem86], den von Thjalfi und Röskva [Sno91] sowie das Nibelungenlied [Boo03]. Letzteres ist zwar mehr eine mittelalterliche Sage bezogen auf die ritterliche Minne, basiert aber in Teilen auf heidnischen Mythen wie dem Sigurd- bzw. Sigfridlied [Jor01], im Nibelungenlied dann Siegfried genannt, und ist in Bezug auf die deutsche Geschichte interessant zu betrachten.

Persephone ist die Tochter des Zeus und der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, die auch für das Wachstum und Gedeihen des Getreides und anderer Saat zuständig ist. Hades möchte sie ehelichen und stellt Zeus einen Heiratsantrag, dem dieser weder zustimmt noch ihn ablehnt, weil er weiß, daß sie nicht freiwillig in der sonnenlosen Unterwelt würde leben wollen. Hades nimmt das Schweigen dennoch als Zustimmung an und entführt sie in die Unterwelt, wo sie sich ihrem Schicksal fügt. Demeter jedoch ist verzweifelt und unterbindet das Wachstum aller Pflanzen, was wiederum Zeus zum Eingreifen bringt, der eine Einigung erzielt, daß Persephone im Halbjahresrhythmus zwischen der Unterwelt und dem Zusammenleben mit ihrer Mutter wechselt.

Hier geht es ganz offensichtlich weder um einen historischen Tatsachenbericht noch ein niedliches Märchen, hier wird in wunderschöner Form geschildert, wie sich die Jahreszeiten, besonders Sommer und Winter, und das mit ihnen verbundene natürliche Wachstum abwechseln. Ein etwas naiver Gläubiger mag das als Grund ansehen, warum es Sommer und Winter im Sinne einer göttlich gegebenen Naturgesetzlichkeit gibt, aber über eine solche Sichtweise sollten wir heutzutage aufgrund der einfachsten astronomischen Kenntnisse hinaus sein. Und ich denke, daß das auch die damaligen Griechen waren, wenigstens die halbwegs gebildeten.

Die Geschichte von Thjalfi und Röskva kennt man heute vielleicht eher aus dem dänischen Zeichentrickfilm „Walhalla“, der einen Comic von Peter Madsen auf die Leinwand brachte und diesen Mythos in kindgerechter Form erzählt. Auf einer Reise machen die beiden Götter Thor und Loki Halt bei einem Bauern, der zwei Kinder besitzt, einen Sohn namens Thjalfi und eine Tochter namens Röskva. Sie übernachten dort, und Thor schlachtet die Ziegen, die seinen Wagen ziehen, um sie mit Loki und der Bauernfamilie zu verspeisen. Er verbietet allerdings, ihre Knochen anzurühren. Die Kinder hören nicht darauf, brechen einen der Beinknochen auf und essen auch das Knochenmark.

Am nächsten Morgen erweckt Thor die Ziegen wieder zum Leben und stellt fest, daß eine davon aufgrund des verletzten Knochens lahmt. Das macht ihn recht wütend, wobei man anmerken muß, daß die Ziegen in der Mythologie für den Ablauf von Gewittern mitverantwortlich sind, ihr Getrappel produziert den Donner, so daß das Fehlverhalten der Kinder sozusagen globale Konsequenzen haben kann. Interessant ist jetzt seine Reaktion als Strafe für dieses Fehlverhalten. Weder verflucht oder züchtigt er sie oder ihre nachfolgenden Generationen, noch vergibt er ihnen einfach, wie es beides so mancher andere Gott tun würde. Er nimmt sie stattdessen in seine Dienste auf und läßt sie den von ihnen angerichteten Schaden abarbeiten.

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