Kitabı oku: «Sterben kann man jeden Tag Als Bundeswehrsoldat in Afghanistan»
Andreas Meyer
Sterben kann man jeden Tag
Als Bundeswehrsoldat in Afghanistan
Ein Erfahrungsbericht über Alltag, Freundschaft und Verlust in der Bundeswehr.
Alle Rechte vorbehalten © 2019 Andreas Meyer
Zweite Überarbeitete Auflage
Umschlag & Illustration: Miriam Haji
Lektorat: Jana Wochnik-Sachtleben & Therese Fahrni
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
Paperback ISBN: 978-3-7497-1371-4
Hardcover ISBN: 978-3-7497-1372-1
e-Book ISBN: 978-3-7497-1373-8
Printed in Germany
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Widmung
Dieses Buch ist allen Menschen gewidmet, die schmerzlich erfahren mussten, was Krieg in einem fremden Land bedeutet, und denjenigen, die nicht wissen, was die Soldaten im Einsatz alles leisten.
Insbesondere widme ich das Buch meinem Sohn Marco, der als kleiner Junge auf viel Liebe und Zuneigung verzichten musste.
Im Gedenken an alle Kameraden, die im Einsatz gefallen sind,
Und wer bin ich? Ein Stabsfeldwebel, der 1990 aus dem aktiven Dienst der Bundeswehr ausschied, aber nach einer sechsjährigen Pause erneut das Leben in Uniform wählte und sich als Reservist freiwillig für drei Einsätze in Afghanistan meldete. Zuvor war ich bereits acht Jahre lang ein, ja, ich kann sagen: ein pflichtbewusster Soldat. Trotz allem, das Gelernte wurde damals nicht in die Praxis umgesetzt, da es zu dieser Zeit noch keinen Auftrag für Auslandseinsätze für die Bundeswehr gab. Dann, nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, USA, am 11. September 2001, änderten sich die Umstände.
Ab diesem Zeitpunkt beteiligte sich auch die Bundeswehr an den Auslandseinsätzen der NATO-Truppen. Im Dezember 2014 endete der ISAF-Auftrag in Afghanistan und eine neue Beratungs- und Ausbildungsmission begann. Während der Dauer des Einsatzes von 2001 bis Ende 2014 kamen insgesamt 3.687 Soldaten, davon 54 deutsche Soldatinnen und Soldaten, ums Leben. Alle waren Kameraden, einige meine Freunde.
Das ist meine – und ihre – Geschichte.
Inhalt
Prolog 12
1 Januar 2005 13
2 Vorbereitungen 17
3 März 2005 19
4 Juni 2005, Einsatz 26
5 Lagerleben 33
6 September 2005, Unterstützung aus Österreich 39
7 Ein Bäcker und sein Fladenbrot 44
8 Im Sanitätsbereich 46
9 Erdbeben in Pakistan 50
10 Meine Zeit zwischen den Einsätzen 57
11 Zweiter Einsatz 60
12 Erneuter Flug nach Afghanistan 61
13 Vorbereitung zur Übergabe 67
14 Herausforderungen der Zelle IEB 69
15 Besuch beim Polizeichef am Airport 73
16 Erste Aufträge für die neue Abteilung 76
17 Spendenaktion im Camp für ein Kinderheim 82
18 Nach 13 Jahren trifft man sich im Einsatz wieder! 86
19 Die Blaue Moschee in Mazar-e Sharif 90
20 Der Kommandeur kommt auf Visite 93
21 Fahrt zum Teacher Training Center (TTC) 94
22 Religiöse Würdenträger im Camp Marmal 98
23 Die Neuankömmlinge landen... 103
24 Flugbekanntschaften medizinischer Art 106
25 Ein Tag im Camp mit fünf Studenten aus Herne 108
26 Afghanistan–Projekt „no más fronteras“ 116
27 US-amerikanischer Künstler trifft ein 118
28 Der große Tag des Experimentes ist gekommen 127
29 Fahrt an die Grenz- und Hafenstadt Hairatan 133
30 Erster Besuch bei der OCCR-Zentrale 137
31 Besuch des Gouverneurs von Samangan 141
32 Die erste Wache auf dem Wachturm 146
33 Unterstützung im Fahrdienst für OCCR 150
34 Peter Scholl-Latour zu Besuch im Camp Marmal 151
35 Mein dritter Einsatz 155
36 Und wieder zurück in Mazar-e Sharif 156
37 Nach 16 Tagen Camp Aufenthalt 161
38 Die ersten Tage in Amt und Würden als TVB 163
39 Unterstützung für den Pioniertrupp 166
40 Abendandacht für vier gefallene Kameraden 170
41 Das blaue Herz von Feyzabad 173
42 Besuch bei „Schoko“ zum Mittagessen 176
43 Ein Wiedersehn mit Nabil, Sultan und Soraya 180
44 Anschlag auf Bundeswehr in der Provinz Takhar 182
45 Vatertags-Lauf im Feldlager Feyzabad 186
46 Abflug 190
47 Zurück in der Heimat 193
Epilog 196
Anlage 1 Dienstgrad- Gruppen vom Heer 200
Anlage 2 Mongolischen Dienstgrade 201
Anlage 3 Aufgliederung eines Stabes 202
Anlage 4 Klassifizierungen der NATO Klassen 203
Anlage 5 Übersetzungen von Deutsch in Dari 204
in alphabetischer Reihenfolge 206
Abbildungsverzeichnis 210
Danksagung
F
ür die geduldige Unterstützung bei der Umsetzung dieses Buches, bedanke ich mich bei meiner ehemaligen Kollegin aus der Rettungshundestaffel Dr. Elke Präg. Ebenso bei Miriam Hadji für die Gestaltung des eindrucksvollen Buchcovers in Deutsch und Englisch. Für die Übersetzungen in die Sprache Dari danke ich sehr herzlich meinem Kameraden und Freund Nabil Azizi. Außerdem bedanke ich mich ganz besonders bei meiner besten Freundin, „Therese“ für ihre hervorragende Unterstützung während der ganzen Zeit. Ebenso bedanke ich mich für das Lektorat: bei Jana Wochnik-Sachtleben, meine Dozentin, Journalistin und Bekannte aus Berlin, ebenso Sprecherin des Hörbuches.
Danken möchte ich außerdem folgenden ehemaligen Führungsoffizieren und Zivilpersonen ebenso allen meinen ehemaligen Kameraden, die mit mir direkt und indirekt in den Einsätzen zu tun gehabt haben:
Brigadegeneral A., Luftlandebrigade 25,
Oberst B., ehemaliger Kompaniechef Fallschirmjägerbataillon 253, Nagold,
Brigadegeneral R., ehemaliger Kommandeur in Zentrum Operative Information in Mayen,
Peter Scholl-Latour deutsch-französischer Journalist und Publizist aus Bad Honnef,
Batuz, ein US-amerikanischer Künstler, Philosoph und Kulturaktivist,
meinen engsten Kameraden in der Zeit der Einsätze 2005, 2010, 2011, Rainer M., Thomas K., Tino M., Marcel G., Soraya A., Sultan A., Nabil A., Alexander B., Marc-Andre S., Tobias M., Stephan M., ChristianW.
Weiterhin danke ich den Kameraden in folgenden Institutionen: Panzergrenadierbataillon 294 aus Stetten am kalten Markt,
Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr (Op-Info BTL) 950 aus Koblenz.
Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr (ZOpKomBw) aus Mayen, Rheinland-Pfalz,
Panzerartilleriebataillon 215 aus der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf, Nordrhein-Westfalen,
Fernmeldebataillon 270 Dillingen a.D.,
Fallschirmjägerbataillon 253 Nagold,
Heeresfliegerstaffel 10 in Neuhausen ob Eck,
Transportbataillon 270 in Nürnberg.
Und wer bin ich? Ein Stabsfeldwebel der Reserve, der 1990 aus dem aktiven Dienst der Bundeswehr ausschied, aber nach einer sechsjährigen Pause erneut das Leben in Uniform wählte und sich als Reservist freiwillig für drei Einsätze in Afghanistan meldete. Zuvor war ich bereits acht Jahre lang ein, ja, ich kann sagen ein pflichtbewusster Soldat. Trotz allem, das Gelernte wurde damals nicht in die Praxis umgesetzt, da es zu dieser Zeit noch keinen Auftrag für Auslandseinsätze für die Bundeswehr gab. Dann, nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, USA, am 11. September 2001 änderten sich die Umstände.
Ab diesem Zeitpunkt beteiligte sich auch die Bundeswehr an den Auslandseinsätzen der NATO-Truppen. Im Dezember 2014 endete der ISAF-Auftrag in Afghanistan und eine neue Beratungs- und Ausbildungsmission begann. Während der Dauer des Einsatzes von 2001 bis Ende 2014 kamen insgesamt 3.687 Soldaten, davon 54 deutsche Soldatinnen und Soldaten, ums Leben. Alle waren Kameraden, einige meine Freunde.
Kartenausschnitt von Afghanistan, mit den Nachbarn Pakistan, Tadschikistan,
Dusanbe, Usbekistan, Turkmenistan und Iran
Prolog
A
n diesem Morgen sollte sich mein bis dahin recht geordnetes und im Großen und Ganzen eher ruhiges Leben ändern. Es war der 11. September 2001. Ich saß an meinem Schreibtisch in einem Logistikunternehmen, in dem ich seit der Bundeswehr als Sachbearbeiter und Brandschutzbeauftragter tätig war.
Ich arbeitete gern hier. Neben der eigentlichen Arbeit lag es in meiner Verantwortung, für die Sicherheit meiner Kollegen zu sorgen.
Ein Arbeitskollege rief mir plötzlich zu, ich solle schnell im Internet die Seite des Senders CNN aufrufen, es wäre ein Flugzeug in ein Hochhaus geflogen. Ich sah über Live-Ticker die Geschehnisse in Amerika und schaute ungläubig auf ein brennendes Inferno, das einmal das World Trade Center gewesen war. Ich traute meinen Augen nicht, als dann auch ein zweites Flugzeug in den benachbarten Tower flog. Im ersten Moment sah alles so gestellt aus, wie ein schlechter Film, aber die Tragweite dieser Ereignisse sollte sich auch auf mein Leben auswirken. Denn der Terror wurde nicht nur für die Welt, sondern einige Jahre nach diesen Ereignissen auch für mich persönlich zur greifbaren Wirklichkeit. Nicht in Amerika, sondern in Afghanistan.
„Ich trat erneut meinen Dienst als Soldat an
1 Januar 2005
A
m 10. Januar 2005 saß ich morgens an meinem Schreibtisch, als das Telefon klingelte und ich einen Anruf vom Kompaniefeldwebel meiner alten Einheit, dem Panzergrenadierbataillon 294 aus Stetten am kalten Markt bekam. Der „Spieß“ war auf der Suche nach einem Truppenversorgungsbearbeiter für den Auslandseinsatz im Juni. Ziel: Kunduz, Afghanistan. Spieß nennt man heute noch den Soldaten, der mit der gelben Kordel um die rechte Schulter durch das Kompaniegebäude läuft und die Jungs und Mädels auf Trab hält. Man nennt ihn auch Mutter der Kompanie, weil er für alle Sorgen und Nöten der Jungs ein offenes Ohr und meistens eine Lösung hat.
Zu dieser Zeit hatte ich einen guten Job und übernahm viel Verantwortung in der Firma, aber ich wollte trotzdem unbedingt mit. Während meiner aktiven Zeit als Zeitsoldat hatte ich mich für acht Jahre verpflichtet, aber wir fuhren ausschließlich Übungen und das Thema Einsatz gab es damals noch nicht. Das „Feindbild“ dieser Zeit war der Osten, weshalb während der freilaufenden Übungen die Parteien in „Rot Land“ und „Blau Land“ unterteilt wurden, wobei Rot meist der „Feind“ war. Dieses Feindbild hatte sich nach den Ereignissen in Amerika gravierend verändert.
Nach dem Telefonat mit meinem Spieß legte ich den Telefonhörer zurück und ging zu meinem damaligen Chef mit der Bitte, nach Afghanistan gehen zu können. Er war davon natürlich nicht begeistert, aber nach harten Verhandlungen stimmte er dennoch zu. Ein paar Tage später, als ich mit ihm und meiner Familie alles Notwendige abgeklärt hatte, sagte ich meinem Spieß verbindlich zu und die Vorbereitungen für den Einsatz begannen.
Damals hatte ich das Gefühl, endlich wieder etwas Sinnvolles und Nützliches zu leisten, für Menschen, die in den letzten Jahren nur eines kannten: Krieg, Unterdrückung und Leid. Während der Vorbereitungen für den Einsatz geht einem viel durch den Kopf, sodass man einige Zeit braucht, um das Ganze zu verstehen. Ich war verheiratet und mein Sohn war gerade sieben Jahre alt. Aber wie so oft siegte auch bei diesem Vorhaben mein Dickkopf. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, führe ich es auch durch. So schaffte ich es schließlich, meine Familie zu überzeugen nach Afghanistan zu gehen.
In meiner aktiven Zeit als Soldat habe ich gelernt, was Kameradschaft eigentlich bedeutet und wie es sich anfühlt, ein Kamerad und Mitglied eines solchen Teams zu sein. Ich hatte das Glück, mich durch meinen ersten Beruf als Koch relativ früh von Zuhause gelöst zu haben. Darum hatte ich bei der Bundeswehr mit dieser Situation auch keine Probleme.
Kameradschaft erlebte ich bei jedem Lehrgang, den ich besucht habe. Und auch später in meiner Kompanie als materialverantwortlicher Gruppenführer setzte sich diese Einstellung durch: Was ich nicht selbst leisten kann, erwarte ich auch nicht von meinen untergebenen Kameraden.
Wie heißt es so passend bei Alexandre Dumas´ Die Drei Musketiere: „Einer für alle, alle für einen“. So habe ich das Wort Kameradschaft bereits während meiner Anfangszeit als „Flieger“ gelernt.
Diese Zeit hat mir auch menschlich viel gebracht, denn das Thema Menschenführung wurde uns damals zu meiner Anfangszeit in den Lehrgängen zum Unteroffizier und Feldwebel „bis zum Erbrechen“ eingeflößt. Dieses Thema wurde in der freien Wirtschaft erst viel später angewandt, um Führungskräfte zu schulen.
In den 80er Jahren war die Einstellung der zivilen Bevölkerung gegenüber der Bundeswehr im Allgemeinen und den Soldaten im Besonderen noch um einiges positiver, als das heutzutage der Fall ist. Das erlebte ich vor allem bei den Übungen. Sehr oft reichten uns dann die Menschen vor Ort frischen Speck, Eier, Most, Kuchen oder auch selbst gebackenes Brot. Ab und zu kam es auch vor, dass die Bevölkerung mit einbezogen wurde. Besser gesagt waren es meist die Kinder, die durch ihre Neugier gern dazu bereit waren, mit anzupacken.
Als Feldkoch hatte ich immer viel zu tun. Es kam vor, dass Teile des Bataillons der Kompanie kurzfristig verlegt werden mussten. Weil diese Strecken nicht nur einige wenige Kilometer auseinander lagen, brauchten die Jungs ausreichend Marschverpflegung.
Glücklicherweise hatte ich in solchen Situationen immer meine kleinen Helfer vor Ort, die mir dabei halfen, die Marschverpflegung zusammenzupacken. Zum Dank gab es für jeden einen Aufkleber der Bundeswehr und Schokoriegel.
Zu dem Thema fällt mir noch eine Begebenheit ein, die sich auf einer Übung in der Nähe von Passau ereignete. Als junger Unteroffizier und Feldkochtruppführer bereitete ich gerade einen Mürbeteig für einen Apfelkuchen vor, den es außerplanmäßig am nächsten Morgen zum Frühstück für die Mannschaft geben sollte. Ich war immer dafür bekannt, dass ich den Speiseplan so umstellte, wie ich es für gut befand. Dafür durften meine Kameraden am Sonntagmorgen einen warmen, frisch gebacken Apfelkuchen genießen - und das sogar im Gelände fern der Heimat. Mein Motto war immer „Ohne Mampf kein Kampf“ und ich bin fest davon überzeugt, dass die Moral der Truppe auch mit gutem Essen hochgehalten werden kann. Damit lag ich nie falsch und würde auch heute immer wieder danach handeln.
Als ich auf meiner Emma einen 5 Tonnen LKW mit Küchenaufbau den Teig für den Apfelkuchen durchknetete, öffnete sich plötzlich die Tür und ein höherer Dienstgrad stand vor mir in der Feldküche. Normalerweise grüßt ein Soldat einen Vorgesetzten mit „Gruß – Meldung – Gruß“, nimmt Haltung an. Er sah mich aber nur kurz an und sagte mit einem fröhlichen Blick, den ich bis heute nicht vergessen habe: „Ohne Meldung Kamerad! Was gibt es denn Leckeres?“ Dabei kam er auf mich zu und steckte seinen Finger in die Schüssel, um den Teig zu probieren. „Und was meinen Sie dazu“ Fragte ich? Er lachte und sagte, wie schade, dass er am nächsten Morgen nicht mehr mitessen könne, denn er liebe Apfelkuchen.
Ich hatte ehrlich gesagt ziemlich die Hosen voll, denn bis zu diesem Zeitpunkt kannte ich von den höheren Rängen nur meinen direkten Kommandeur und der war Oberstleutnant. Da ich zu dieser Zeit noch nicht wusste, wer er war, hinterließ dieser Oberst nichtsdestotrotz bei mir ein herausragendes Bild in Menschenführung und Kameradschaft. Jahre später sahen wir uns wieder - allerdings nicht in Deutschland, sondern in Afghanistan im Einsatz. Da wusste ich dann natürlich gleich, wer er war. Es war der Brigadegeneral und Kommandeur des 8. Deutschen Einsatzkontingents ISAF, General a.D. Ammon (außer Dienst).
Während meiner Laufbahn als Zeitsoldat lernte ich noch einen weiteren solchen Mann kennen und schätzen, Oberst a.D. Baur. Er war damals Major und wurde 1987 mein Kompaniechef in Nagold, in der Eisbergkaserne. Nach 41 Dienstjahren diente er zuletzt als Kommandeur der Luftlande- und Lufttransport-Schule in Altenstadt und wurde Ende 2013 in den Ruhestand verabschiedet.
Diese zwei Männer haben meinen weiteren militärischen Werdegang entscheidend geprägt, wofür ich ihnen noch heute sehr dankbar bin.
2 Vorbereitungen
D
ie Vorbereitungen für meinen ersten Auslandseinsatz begannen mit den üblichen medizinischen Voruntersuchungen und Impfungen. Von Tetanus über Hepatitis A und B bis hin zu Tollwut war alles enthalten.
Für jedes Einsatzland gab es die dafür vorgesehenen Impfungen. Danach folgten die einsatzspezifische Grundlagenausbildung und zentrale Truppenausbildung in Stetten am kalten Markt und in Hammelburg. Wer in den Einsatz geht wird gründlich vorbereitet, beginnend bei der Minensuche und Minenkunde bis hin zur gestellten Entführung eines Busses durch Terroristen mit Geiselnahme,wobei das Stammpersonal die Rollen übernahm. Landeskunde war ebenfalls ein Punkt, der versucht wurde, den Soldaten zu vermitteln, ebenso wie die Sprache in Grundzügen.
Durch Handbücher und ein Vokabelbuch, Deutsch-Paschtu und Deutsch-Dari, den beiden Amtssprachen in Afghanistan.
Was mir bis heute in Erinnerung geblieben ist, ist ein Foto während einer Einweisung, auf dem ein Terrorist eine Düngemittel-Bombe baute und dazu einen gelben Kanister benutzte. Der Hauptmann, der diesen Vortrag hielt, gab uns den Rat, immer aufmerksam und wachsam durch die Gegend zu laufen. Den Blick auf derartige gelbe Kanister zu richten. Ein gut gemeinter, aber wie sich bald herausstellen sollte völlig unnützer Rat. Dazu später mehr.
Nach der Vorausbildung kam die Vorbereitung des Einsatzes. Viele Meetings mit dem Chef der Versorgung und Logistik und dem Kommandeur des Bataillons. Vom Thema Material bis Personal wurde alles bis ins kleinste Detail geplant.
Vor dem eigentlichen Einsatz musste ich für einige Tage nach Afghanistan, zur Erkundung der Gegebenheiten direkt vor Ort. Zu diesem Zweck sollte sich eine Abordnung bestehend aus vier Offizieren und zwei Feldwebeldienstgraden auf den Weg nach Kunduz machen. Die Aufgabe lautete: Alle aktuellen Informationen unserer Vorgänger, die aktuelle Lage vor Ort zu erkunden und sich dadurch einen Überblick zu verschaffen, wie es im Lager und der Umgebung aussah.
Ich wurde als TVB, das heißt Truppenversorgungsbearbeiter, in den Einsatz geschickt, um vor Ort mit meinem Chef die Versorgung der Kameraden im Lager und an den Außenposten aufrechtzuerhalten.
Das war natürlich etwas völlig anderes, als in der Heimat im Bataillon zu arbeiten. Im Einsatzland kannst Du nicht mal schnell rausfahren zum Autohaus und ein Ersatzteil für deinen Daimler Benz holen. Nein, in einem Kriegsgebiet sind die Beschaffungswege um einiges länger.
Eine Stabs-und Versorgungskompanie kann man sich als vergleichbares Logistik-Unternehmen vorstellen, mit unterschiedlichen Abteilungen und Bereichen. Ein Bereich ist die Truppenküche, in der die Verpflegung für alle Soldaten und das Zivilpersonal im Lager ausgegeben wird. Der Nachschubzug ist für den Nachschub von Lebensmitteln und Ersatzteilen wie auch Betriebsstoffen für die Fahrzeuge des Verbandes zuständig, ebenso für die Rücklieferung defekter Teile. Die Materialgruppe ist verantwortlich für die Verteilung des Materials an alle Abteilungen. Ebenso hat sie die Aufgabe, das defekte Material zur Rücklieferung vom Einsatzland nach Deutschland vorzubereiten.
Die Instandsetzungsgruppe hat die Aufgabe, alle Fahrzeuge einsatzbereit zu halten. Der Luftumschlagszug hat die Aufgabe das Material für den Lufttransport vorzubereiten und alle dafür benötigte Liefer- und Transportpapiere zu erstellen, sowie die Be- und Entladung der Flugzeuge am Flugplatz, welche aus Termez und Mazar-e Sharif ankommen. Man sieht also, dass viele Leute nötig sind, damit das große Rad im Lager Kunduz sauber läuft.
Sonnenuntergang im Camp
3 März 2005
A
m 15. März 2005 gegen 12.30 Uhr starteten wir vom Flughafen Köln/Bonn mit einem Airbus der Luftwaffe in Richtung Termez, Usbekistan (/اوزبيكيستان ترمز).
Gegen 21.30 Uhr landeten wir auf dem Airport Termez, doch wer jetzt dachte, dass es gleich aus der Maschine ging, hatte sich schwer getäuscht. Die Tür ging auf und ein usbekischer Beamter kam ins Flugzeug. Zusammen mit einem deutschen Hauptfeldwebel des Bodenpersonals sammelten sie unsere Truppenausweise ein. Begründung: Kontrolle und Abgleich der angemeldeten Personen, die ins Land kommen. Wir würden die Ausweise am nächsten Morgen vor dem Weiterflug zurückbekommen. Einer der Kameraden, der bereits das zweite Mal im Einsatz war, meinte, dass unsere Truppenausweise jetzt kopiert und die Daten an die Russen weitergeleitet würden. Ich schaute ihn verwundert an.
„Das ist jetzt aber ein Scherz, oder?“
Er lachte mich an und meinte „Nein, bestimmt nicht.“
Als unsere Truppenausweise eingesammelt waren, konnten wir aussteigen und zu Fuß ins Übergangslager laufen. Es lag gerade mal 200 Meter vom Flieger entfernt. Die Luft war schwül-Warm in der dunklen Nacht. Wir wurden in ein Zeltlager geführt, wo wir uns noch eine warme Wurst und eine Büchse Cola zum Abendessen kaufen konnten. Dann gingen wir in unsere zugewiesenen Zelte, glücklicherweise mit Klimaanlage, und versuchten, noch ein paar Stunden zu schlafen. Es war schon 1 Uhr nachts usbekischer Zeit, als wir es uns auf den Feldbetten gemütlich machten. Allerdings blieb es eine kurze Nacht, denn bereits um 4.30 Uhr ging es mit einer C-160 Transall weiter direkt nach Kunduz. Es war notwendig so früh zu fliegen, denn am Morgen steigen die Temperaturen zu unerträglichen Ausmaßen an. Es wäre dann schlichtweg zu heiß, um zu fliegen, sagte man uns.
Gegen fünf Uhr afghanischer Zeit landeten wir auf dem Airport Kunduz – oder was man dort so als Airport bezeichnete. Ein zerfallenes Gebäude und ein Tower, der nicht sehr vertrauenswürdig aussah. Das erste was mir auffiel, als ich aus der Transall ausstieg, waren die Sonnenstrahlen über dem Tower, und zwei alte Hubschrauberwracks, die die Russen nach ihrem Abzug 1989 hiergelassen hatten.
Wir wurden von Kameraden mit Transportfahrzeugen, Mungos und Jeeps, abgeholt und ins Lager gefahren. Die ersten Eindrücke von diesem Land waren umwerfend. Ich saß auf dem Beifahrersitz des Mungos und schaute auf die Straße, wie das Leben in und um Kunduz seinen Lauf nahm.
Einmal überkam mich ein ungutes Gefühl, als ich Kinder beobachtete, die mit Schubkarren am Straßenrand entlangliefen, welche mit gelben Kanistern beladen waren. Mir fiel spontan der Satz des Offiziers bei der Vorausbildung ein und ich dachte, das kann doch nicht sein, dass diese Kinder mit ihren gelben Kanistern Attentäter sein sollen? Doch nicht nur die Kinder besaßen solche Kanister. Hier gab es gelbe Kanister ohne Ende. An jeder Ecke stand ein Holzstand, in dem sich gelbe Kanister befanden.
Was mir außerdem auffiel war, dass auf den Äckern viele Kinder arbeiteten und dass bei der Hitze. Später erfuhr ich, dass die Kinder schon früh morgens gemeinsam mit ihren Eltern auf die Felder gehen, um dort zu arbeiten, dann später die Schule besuchen und am Abend wieder mit auf den Feldern helfen. Wie es auch früher in Deutschland üblich war, unterstützen die Kinder ihre Eltern bei der Feldarbeit, um der Familie den Lebensunterhalt zu sichern. Heute wäre das für die meisten Kinder bei uns nicht mehr vorstellbar, zumindest, wenn sie nicht in einem bäuerlichen Betrieb aufgewachsen sind.
Seit Oktober 2003 hatte die Bundeswehr das von den Vereinigten Staaten von Amerika ins Leben gerufene „Provinzial Rekonstruktion Team“ - kurz PRT - in der nordafghanischen Provinzhauptstadt Kunduz übernommen. Die Aufgabe des deutschen PRT Kunduz lautete: Unterstützung der afghanischen Zentralregierung in den Provinzen Kunduz und Takhar. Neu bei diesem Einsatz war, dass sich im Lager nicht nur Soldaten aufhielten, sondern auch Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Inneren und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die eng mit der Bundeswehr kooperierten. Im Lager angekommen, wurden wir von unseren Vorgängern am sogenannten „Marktplatz“, dem Zentrum des Lagers, abgeholt und in unsere vorläufigen Unterkünfte, den Gästehäusern gebracht, wo wir die acht Tage unseres Aufenthaltes schlafen sollten.
Das Lager wurde von afghanischen Sicherheitskräften bewacht und kontrolliert.
Wir hatten unser Gepäck, das zum Glück nur aus einem Rucksack bestand, auf die Feldbetten gelegt, und gingen dann erst einmal ins Verpflegungszelt, um zu frühstücken. Vor dem Zelt stand eine Handwaschanlage, an der man sich die Hände waschen konnte, bevor man das Zelt betrat, denn Hygiene wurde im Lager sehr großgeschrieben besonders in diesem Land, in dem es oft nur unzureichende sanitäre Anlagen gab, sodass der Fäkalienstaub ständig in der Luft lag.
Am schlimmsten war es um die Mittagszeit, wenn die Sonne am heißesten schien und in ihrem Zenit stand. Das kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Ein guter Schutz war ein Halstuch, das ich mit Zitronen- oder Orangen-Duft einsprühte und mir um den Hals bzw. über die Nase band, um den Fäkalienstaub nicht einatmen zu müssen. Klar hat es sich nicht ganz vermeiden lassen, aber auf diese Weise war es zumindest halbwegs erträglich.
Im Verpflegungszelt waren wir sehr überrascht, was uns alles zum Frühstück angeboten wurde. Das war sogar besser als zu Hause! Angefangen von frischem Obst über Wurst und frisch zubereitetes Müsli bis hin zum Rührei, selbst gebackenem Brot und frisch aufgebrühtem Kaffee. Nach dem Frühstück machten wir eine Einführungsrunde durchs Lager.
Der Kompaniechef führte uns herum und zeigte uns das Stabsgebäude, die einzelnen Abteilungen. Später gingen wir zur Schutzkompanie. Auf dem Weg dorthin besichtigten wir die Material- und Transport-Gruppe und sogar Ecolog ließ er nicht aus, einem Dienstleister, der für die Bundeswehr die Wäsche in den Auslandseinsätzen wäscht und später auch für die Müllentsorgung und Toilettenwartung zuständig war. Mit dem als „Honigsauger“ bezeichneten LKW wurden täglich die Toiletten geleert und der Inhalt außerhalb des Lagers auf Felder verbracht. Am zweiten Tag im Lager lernte ich einen Oberfeldwebel der Schutzkompanie kennen. Sein Name war Christian, ein Oberfeldwebel, der mich in das Lagerleben einführte.
Christian und ich, wir verstanden uns von Anfang an sehr gut. Es hat einfach gepasst. Wir hatten ziemlich ähnliche Interessen und Hobbies, die uns schnell verbanden. Über die Tage, die ich in Kunduz verbrachte, entwickelte sich aus der Bekanntschaft schnell eine richtig gute Freundschaft und entsprechend viel Zeit verbrachten wir miteinander. Ich hatte einfach das Gefühl, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Die nächsten Tage verliefen mit vielen Gesprächen und Schreibarbeit. Wir schauten uns die Teileinheiten der Stabs- und Versorgungskompanie genauer an. Der Weg führte über die Materialgruppe, in der wir die Verfahren der Warenannahme und -ausgabe im Einzelnen überprüften. Im Anschluss gingen wir zum Luftumschlagszug, um uns die genauen Zahlen der Tonnage pro Tag, pro Woche und pro Monat geben zu lassen, damit wir uns mit diesen Zahlen ein aktuelles Bild der Lage machen konnten. In der nächsten Zeit sollte noch mehr Material von Deutschland ins Einsatzland geliefert werden, weshalb eine genaue Bestandsliste notwendig wurde.
Am letzten Abend meines Aufenthaltes gingen Christian und ich nochmals zusammen in das Betreuungszelt und tranken auf meinen anstehenden Heimflug am nächsten Morgen. Und natürlich auch auf das baldige Wiedersehen am 27. Juni in Kunduz, an dem mein offizieller Einsatz beginnen sollte. Am folgenden Morgen verabschiedeten wir uns am Flughafen und ich stieg mit meinen anderen Kameraden in den wartenden Hubschrauber CH53. Mit Zwischenstopp in Termez, wo wir in einen Airbus umstiegen, und zurück nach Köln flogen. Zuhause angekommen, ging ich am nächsten Tag wieder meiner normalen, zivilen Arbeit nach. Ich saß am Schreibtisch und erzählte meinen Arbeitskollegen von der Woche in Afghanistan, von den Eindrücken und Bildern, die sich mir eingeprägt hatten. Mit Christian hielt ich per Email ständigen Kontakt, so dass ich immer auf dem neuesten Stand war, was sich im Lager in Kunduz gerade so abspielte. Diese Informationen wurden vertraulich behandelt, denn es ging ja auch niemanden etwas an. Wichtig war nur, dass mein Kamerad Christian und ich in Kontakt blieben, falls noch irgendwelche Fragen und Wünsche aufkommen sollten, damit ich bzw. das Bataillon schnell auf Änderungen reagieren konnten.
Afghanischen Sicherheitskräften bei der Arbeit
Einsteigen in die CH-53 für den Flug nach Termez
4 Juni 2005, Einsatz
I
m Geschäft gab es noch einiges zu tun bis zu meinem Abflug. Meine Sonderaufgaben wurden an mehrere Vertretungspersonen übergeben.
Normalerweise hat ein Soldat, bevor er in den Einsatz geht, eine Woche vor Abflug dienstfrei, um diese Zeit mit der Familie zu verbringen, die sogenannte „Kuschelwoche“. Bei mir hat sich das allerdings ein bisschen anders zugetragen. Auch in der letzten Woche vor dem Abflug musste ich noch in der Firma arbeiten und konnte mich nicht, wie meine Kameraden, um meine Familie kümmern. Natürlich unternahmen wir trotzdem abends nach der Arbeit etwas zusammen. Mein Sohn half mir schließlich auch beim Packen meiner Einsatzkiste. Sie fiel sofort ins Auge, da ich sie mit vielen Aufklebern aus meiner Zeit beim Team Gerolsteiner beklebt habe, von der Tour de France, der Spanienrundfahrt, auch mit Aufklebern der Ein-Tages-Rennen in Belgien, Frankreich und in der Schweiz. Ich hatte den Vorteil, dass ich als Reservist mit Vollgepäck fliegen konnte. Die anderen Kameraden mussten ihre Kisten und Seesäcke schon Wochen vorher aufgeben.