Kitabı oku: «Wiener Bagage», sayfa 4
Das letzte Einhorn
»Nein! Das gibt’s nicht! Was sagen Sie da?« Bronstein hatte den Chef selten fassungslos erlebt, doch in diesem Augenblick, da Nechyba, den Hörer an sein Ohr gedrückt, einem Anrufer lauschte, entgleisten dem alten Herrn sichtlich die Züge. In den Augen spiegelte sich der Ausdruck ungläubigen Erstaunens, und dem Nechyba stand buchstäblich der Mund offen, was seinem Erscheinungsbild eine gewisse Blödigkeit verlieh. Es brauchte eine ganze Weile, ehe er sich gefangen hatte, lange genug jedenfalls, um mit seinem ungewöhnlichen Verhalten die Aufmerksamkeit sämtlicher anwesender Agenten auf sich zu ziehen.
»Wiederholen Sie das? … Mit dem Horn des letzten Einhorns? Wollen S’ mich pflanzen? … Was, wirklich? In der Hofburg?« Nechybas abgehackte Wortfragmente sorgten nun auch bei seinen Zuhörern für immer größere Verwunderung. »Na gut, ich schick’ Ihnen den Bronstein rüber. Aber wehe, wenn das ein blöder Witz ist. Dann pascht’s nämlich. Und zwar ordentlich. Hamma uns verstanden? … Ja, ist gut, wiederhör’n!«
Nechyba hängte den Hörer wieder ein und sah Bronstein direkt an. »Das war ein Bediensteter des kaiserlichen Hofstaats. Der behauptet allen Ernstes, in der Schatzkammer hätten s’ einen Domestiken tot aufgefunden, der mit dem Hörndl vom letzten Einhorn aufg’spießt worden ist.«
»Vom letzten Einhorn?« Nun war auch Bronstein mehr als entgeistert. »Das gibt’s doch nicht?«
»Aber ja, und der Täter war der Osterhas«, lachte Fraczyk laut auf, erntete dafür aber nur einen bitterbösen Blick seines Vorgesetzten. »Das ist nicht einmal halblustig, Fraczyk«, knurrte Nechyba, ehe er sich wieder Bronstein zuwandte. »Alsdern, Abmarsch. Bericht dann an mich, hat Er mich verstanden?«
Bronstein nickte nur. Dann stand er auf, nahm seinen Mantel vom Garderobenständer und zog ihn im Gehen an. Erst auf der Straße wurde ihm bewusst, dass er sich gar nicht überlegt hatte, wie er überhaupt zum Tatort gelangte. Jemand wie er konnte ja nicht so einfach in die Hofburg spazieren, als wäre diese eine gewöhnliche Stehweinhalle. Da brauchte es sicherlich Sondergenehmigungen und entsprechende Instruktionen, um an einem solch exponierten Ort tätig werden zu dürfen. Einen Moment lang überlegte Bronstein, ob er ins Büro zurückkehren und Nechyba um Rat fragen sollte, doch befand er schließlich, derlei würde erstens nichts nützen und ihn zweitens als Schwächling ausweisen, der zu keiner Eigeninitiative fähig war. Also schritt er entschlossen vorwärts und steuerte ohne Umwege auf die kaiserliche Residenz zu.
Am Michaelerplatz angekommen überkam Bronstein neuerlich Ratlosigkeit. Der Komplex der Hofburg war über die Jahre beinahe zu einer eigenen kleinen Stadt angewachsen, sodass wohl nur ein paar Eingeweihte wussten, wo die kaiserlichen Schätze aufbewahrt wurden. Es war fraglich, ob der Stehposten am Tor den richtigen Weg wissen würde, dennoch versuchte Bronstein just bei diesem sein Glück.
»Grüß’ Sie, Oberkommissär Bronstein, Agenteninstitut«, begann er, »ich müsste zur Schatzkammer.«
Der Soldat runzelte die Stirn. »Schatzkammer …, warten S’, Herr Kommissar, des hamma gleich … die is’… na geh, g’rad hab ich’s noch g’wusst …« Der Mann legte die Stirn in Falten und verfiel in schweigendes Grübeln. Bronstein stand buchstäblich daneben und wartete. Doch je mehr Zeit verging, desto sicherer war er sich, vergeblich auf Antwort zu hoffen.
»Gibt’s vielleicht irgendwo einen Portier, den ich fragen kann? Oder sonst wen, der sich auskennt?«
»Ja sicher«, nickte der Posten nun, »die Burgwache, die ist gleich im Haupthof auf der linken Seite.«
»Na dann passt’s ja. Vielen Dank auch.« Bronstein nickte dem Mann zu und schickte sich an, sich ins Innere der Burg zu begeben. »Momeeent«, kam es gedehnt von hinten. Gleich danach spürte er eine Hand an seinem Oberarm. »So geht das nicht! Ohne Passierschein darf ich Sie da nicht reinlassen.«
Bronstein drehte sich wieder um. »Sehr lustig. Ich bin da in einer offiziellen Mission. Ich ermittle in einem Kriminalfall. Da brauch ich keinen Passierschein.«
Das Gesicht des Uniformierten versteinerte sich. »Der Herr Leutnant hat g’sagt, lass niemanden herein, der was keinen Passierschein nicht hat.«
Bronstein bleckte die Zähne. »Dann passt’s eh. Ich hab keinen, also darf ich rein.« Auf dem Gesicht seines Gegenübers zeichnete sich deutlich Überforderung ab. »Wieso?«
»Na wenn Sie niemanden hereinlassen dürfen, der keinen Passierschein nicht hat, dann darf ich, eben weil ich keinen hab, hinein.«
»Ha?«
»Keinen nicht. Doppelte Verneinung. Das heißt also übersetzt, niemanden hereinlassen, der einen hat. Jetzt verstanden?«
Der Mann funkelte böse. Anscheinend war ihm doch gedämmert, dass sich Bronstein offen über ihn lustig machte. »Kein Passierschein, kein Passieren«, statuierte er nun.
»Ah, und wenn seine Majestät der Kaiser persönlich kommt, braucht der auch einen Passierschein?«
Der Soldat rang sichtlich mit sich. »Das ist … dann wohl etwas anderes«, presste er schließlich hervor.
»Sehen S’, bei mir ist das auch etwas anderes. Ich bin quasi die Feuerwehr. Da fragen S’ auch nicht nach einem Passierschein, oder?«
Hektisch mahlten die Kiefer des Wachorgans. Schließlich kam der Mann zu einer Entscheidung: »Wie war noch einmal der Name?«
Bronstein tat ihm den Gefallen und nannte ein weiteres Mal seinen Namen, seinen Dienstgrad und die Behörde, die er repräsentierte. »Na, gut, aber auf Ihre Verantwortung«, bemühte sich der Soldat um das letzte Wort.
Bronstein aber zuckte nur mit den Schultern und ging nun endlich durch die Einfahrt. Im Innenhof angelangt sah er linker Hand das Schweizer Tor, durch welches man in den ältesten Teil der Burg kam. Dort also, dachte er, musste sich irgendwo die Burgwache befinden. Instinktiv blickte er auf die goldene Aufschrift am Torbogen. Diese teilte ihm mit, dass Ferdinand, der das Tor 1552 hatte errichten lassen, stolz darauf gewesen war, König von Rom, Deutschland, Böhmen und Ungarn zu sein, weiters Thronfolger in Spanien, Erzherzog von Österreich und von Burgund. Ob solcher Titel musste er schmunzeln. Sein Nachkomme Franz Joseph hatte wohl selbst in seiner kleinsten Titulatur das Vier- oder Fünffache zu bieten. Doch ob solch protokollarischer Spitzfindigkeiten war er nicht hier. Er suchte also die Burgwache, fand sie, und ließ sich dort sagen, wie er zur Schatzkammer kam. Wie sich zeigte, brauchte er nur noch wenige Meter weiter zu gehen, und schon stand er am Eingang zu den Sammlungen der Habsburger. Er richtete sich noch einmal seine Krawatte und klopfte dann an die Pforte.
»Ah, Sie müssen der Herr von der Polizei sein. Sehr gut«, wurde er empfangen. »Nur weiter bitte.« Bronstein trat ein und sah direkt auf die österreichische Kaiserkrone. Davor lag ein goldenes Zepter, links daneben befand sich ein gleichfalls goldener Reichsapfel. Ihm blieb der Mund offen stehen. Unsicher hob er den rechten Arm und deutete auf die Insignien. »Sagen Sie bloß, das liegt da einfach so herum?«
Der Bedienstete folgte dem ausgestreckten Zeigefinger, dann lächelte er matt. »Ja sicher. Warum denn auch nicht? Es wird ohnehin jeden Tag geputzt, also wird es auch nicht schmutzig.«
»Das meine ich nicht. Aber das ist doch eine Einladung an jeden Dieb.«
»Ach woher denn! Wir sind hier genug Personen, die aufpassen. Schließlich kommt man ohne Voranmeldung gar nicht durch diese Tür. Also kein Grund zur Sorge.«
Bronstein nickte zwar, aber er war sich sicher, dass keine Versicherung der Welt irgendeine Entschädigung zahlen würde, wenn Wertsachen durch eine solche Lagerung abhanden kamen. Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als er ein weiteres Mal den Atem anhalten musste. Die Krone des Heiligen Römischen Reiches! Beinahe 1000 Jahre alt, mit unzähligen Edelsteinen besetzt, sodass sich das daneben befindliche Reichskreuz, kaum jünger, direkt ärmlich ausnahm.
»Ich fasse es nicht«, entfuhr es ihm.
»Glauben Sie mir, so geht es jedem, der diese Kleinodien das erste Mal sieht. Doch man gewöhnt sich an alles«, gab der Bedienstete etwas gelangweilt zurück, »wenn Sie mir bitte weiter folgen wollen.«
Bronstein hatte Mühe, sich vom Anblick all der Kostbarkeiten loszureißen. Erst, als er den merkwürdig verkrümmten Körper vor sich auf dem Boden liegen sah, erwachte wieder der Kriminalist in ihm. Der Tote hatte tatsächlich den Zahn eines Narwals in seinem Leib, und der ragte beachtlich weit aus dem Rumpf. »Normalerweise wird das sogenannte Einhorn direkt neben dem Heiligen Gral aufbewahrt«, erläuterte sein Begleiter, »also …«
»Dem Heiligen Gral?«
»Ja, so wird diese Achatschale hier genannt. Wer reinen Herzens ist, kann darin den Namen Jesus’ lesen.« Bronstein widerstand der Versuchung nicht und blickte lange und aufmerksam auf das Kunstwerk. Na bitte, sagte er sich, ich bin eben nicht reinen Herzens. Der Diener ließ ihn kurz gewähren, dann fuhr er fort. »Also gehen wir davon aus, dass irgendjemand von Sladek, das ist der Name des Kollegen, den Sie hier liegen sehen, dass also irgendjemand von Sladek hier in der Schatzkammer überrascht wurde, und um zu vermeiden, dass Sladek den Mann dingfest macht, griff der Eindringling zum nächstbesten Gegenstand und ermordete unseren Kameraden damit.«
»Das klingt sehr plausibel.« In Bronsteins Stimme schwang Anerkennung mit. »Die Frage ist also nur, wer hatte Zugang zu diesem Bereich?«
»Eigentlich nur wir, die wir mit der Pflege der Schatzkammer betraut sind. Besuche waren in jüngster Zeit nicht vorgesehen.«
»Wann wurde … Sladek … das letzte Mal lebend gesehen?«
Der Bedienstete wiegte den Kopf leicht hin und her. »In der Mittagspause habe ich noch mit ihm gesprochen. Er hatte Nachtwache, und die hat er ordnungsgemäß um sechs Uhr abends angetreten. Als er heute um sechs Uhr früh hätte abgelöst werden sollen, war er nirgendwo zu sehen. Bis wir ihn hier gefunden haben.«
»Wie viele Leute haben Nachtwache?«
»Hier in der Schatzkammer nur eine Person. Am Gang draußen eine weitere. Und zusätzlich natürlich die Burgwache. Die fragt auch immer wieder nach, ob alles in Ordnung ist.«
»Wann war das heute zuletzt der Fall? Beziehungsweise: Wann hat Sladek zuletzt geantwortet?«
»Soweit ich gehört habe, um Mitternacht.«
»Das heißt«, fasste Bronstein zusammen, »Sladek muss irgendwann zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh ermordet worden sein. Ist das soweit richtig?«
»Anscheinend ja.«
Bronstein dachte nach. »Und wie viele Eingänge hier herein gibt es?«
»Eigentlich nur den, durch den Sie gekommen sind. Es gibt zwar weitere Zugänge, doch die führen alle durch Teile des Palastes, die von der kaiserlichen Familie bewohnt werden. Und es ist kaum anzunehmen, dass es jemandem gelänge, sich von dort hierher zu schleichen.«
»Das heißt also«, hielt Bronstein fest, »wer immer sich hier Zutritt verschaffte, musste vom Schweizerhof gekommen sein. Und zwar vorbei an der Burgwache und auch vorbei an dem Wächter am Gang. Richtig?«
»Richtig.«
»Gut, dann muss ich mit jenen Männern sprechen, die zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh Wache hatten.«
Der Bedienstete machte eine entschuldigende Geste. »Das wird so schnell nicht möglich sein. Wie Sie sich vorstellen können, sind die Männer in der Zwischenzeit nach Hause gegangen. Wir konnten ja nicht ahnen, was wir hier vorfinden würden.«
»Apropos vorfinden: Wer hat den Toten denn gefunden?«
»Das war ich selbst. Wenige Minuten nach sechs Uhr morgens. Ich habe heute Tagwache, und daher hätte ich ihn regulär ablösen sollen.«
»Übrigens, wir haben uns noch nicht bekannt gemacht. Ich bin Kommissär Bronstein. Und Sie sind?«
»Schellinger. August Schellinger.«
»Gut, Herr Schellinger. Wie läuft so eine Ablösung üblicherweise ab?«
»Na ganz einfach. Man meldet der Burgwache sein Erscheinen, dann geht man hier herauf, öffnet die Tür, wo meist schon die Nachtschicht auf einen wartet, und dann tritt man den Dienst an. So einfach ist das.«
»Aber heute war das anders …«
»Ja, ich habe ihn gerufen, doch er hat nicht geantwortet. Und dann bin ich genau jenen Weg gegangen, den wir beide nun auch zurückgelegt haben. Und so habe ich ihn dann hier liegen gesehen. Ich habe sofort die Burgwache verständigt, und die hat dann offenbar Sie geholt.«
»Haben Sie ihn gut gekannt, den Sladek? Was war der für ein Mensch? Hatte er irgendwelche Feinde?«
»Sie glauben doch nicht ernsthaft, Sladek sei gezielt getötet worden?« Aus Schellinger sprach das pure Erstaunen.
»Ach«, wiegelte Bronstein ab, »ich will mir nur ein Bild machen.«
»Hören Sie, Herr Kommissär, in unserer Position hat man keine Feinde. Dafür ist man viel zu unbedeutend. Und der Herr Sladek war ein überaus korrekter Beamter. Jeder hat ihn gemocht. Er war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Denn es ist doch ganz offenkundig, dass hier jemand bedeutende Kunstschätze stehlen wollte.«
»Tja, genau daran zweifle ich«, erwiderte Bronstein und pfiff leise vor sich hin.
»Jetzt machen Sie aber einmal einen Punkt«, empörte sich Schellinger, »Sie selbst waren sprachlos vor Staunen ob der hier versammelten Schätze, und dann glauben Sie ernsthaft, die Tat könnte einem kleinen Domestiken gegolten haben? Also ehrlich, wenn ich heute Nachtdienst gehabt hätte, läge ich jetzt hier und nicht er.«
Schellinger stützte die Arme in die Hüften und bedachte Bronstein mit einem tadelnden Blick.
»Na gut«, gab dieser zurück. »Dann befragen wir mal die Kollegen von der Nachtschicht.«
Wie erwartet dauerte es Stunden, bis alle betreffenden Personen versammelt waren. Bronstein bat jeden einzeln in ein kleines Aufenthaltszimmer, wo er die Befragung durchführte. Jene der Burgwache ergab erwartungsgemäß keinerlei Anhaltspunkte für das Eindringen einer fremden Person. Übereinstimmend sagten die Torwachen, zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens habe niemand das Areal betreten. Beim Kontrollgang um Mitternacht habe sich Sladek noch gemeldet und sich anschließend mit dem Gangwächter unterhalten. Diesen ließ sich Bronstein als Letzten vorführen.
»Und Sie sind jetzt …«
»Horvath. Friedrich Horvath. Wohnhaft …«
»Ja, ja, passt schon. So förmlich sind wir da nicht. Sie haben den Sladek also noch um Mitternacht g’sehen?«
»Ja. Die Burgwache ist an mir vorbeimarschiert und hat wie üblich auch beim Sladek angeklopft. Der hat aufgemacht und gemeldet, es gäbe keinerlei Vorkommnisse. Die Burgwache hat genickt und ist dann weiter. Und weil’s normalerweise eh wurscht ist, haben der Sladek und ich an der Tür noch gemeinsam eine geraucht. Kalt war’s ziemlich, und so war ich total froh, dass der Sladek einen Tee mitg’habt hat. Er hat da so ein neumodisches Zeugs, das dafür sorgt, dass der Tee warm bleibt. Hat irgendeinen ausländischen Namen, den hab’ ich mir aber nicht g’merkt. Jedenfalls haben wir Tee getrunken und eine geraucht. Dann hab’ ich zu ihm g’sagt, ich dreh mal wieder eine Runde, und er hat sich in sein Reich zurückgezogen. Das war alles.«
Bronstein gab zu verstehen, dass er Horvaths Aussage zur Kenntnis genommen hatte.
»Der arme Sladek«, fügte Horvath hinzu. »Der hätt’ ja eigentlich gar nicht da sein sollen.«
»Wie bitte?«
»Na ja, ursprünglich war der Schellinger für den Nachtdienst eingeteilt. Doch dann haben die beiden getauscht. Das kommt öfter vor. Aber g’rade gestern wollte der Sladek gar nicht. Und schon gar nicht wegen dem Schellinger. Die beiden haben sich nie sonderlich gemocht. Darum ist es mir auch seltsam vorgekommen, dass er für den Schellinger die Nachtwache macht. Aber bitte, mich geht’s ja nix an.«
»Aber vielleicht mich. Erzählen Sie mehr!«
»Ach, nix. Der Sladek war halt überkorrekt. Was eh gut ist, nicht wahr? Der Schellinger wiederum, der geht halt mehr nach dem Motto ›leben und leben lassen‹ vor. Er sagt, wir bekommen eh so wenig bezahlt, obwohl wir auf Unbezahlbares aufpassen, da muss man es nicht immer ganz genau nehmen mit den Vorschriften. … Aber das haben Sie jetzt nicht von mir, gell!«
»Wenn es für den Fall irrelevant ist, dann habe ich es auch schon wieder vergessen!«
»Na, und erst unlängst haben sich die beiden gestritten, weil der Schellinger angeblich in seiner Schicht einzelnen Leuten Zutritt zur Sammlung verschafft. Gegen Geld natürlich. Und der Sladek hat das nicht in Ordnung g’funden. D’rum haben s’ g’stritten.«
Bronstein runzelte die Stirn. »Wie soll er denn das bewerkstelligt haben? Das müssen ja die Burgwache und der jeweilige Gangwächter auch merken!«
Horvath lächelte. »Nicht, wenn man über die Kapelle kommt.«
»Aber der Schellinger hat mir doch gesagt, es gibt keinen anderen Eingang.«
Horvaths Lächeln wurde breiter. »Was dafür spricht, dass Sladeks Vermutung richtig war. Natürlich gibt es den. Im Prinzip ganz einfach. Die Kapelle steht tagsüber offen. Sie verstecken sich. Beispielsweise im Beichtstuhl. Ich meine, welcher Wächter sieht schon so genau nach, nicht wahr? Dann warten Sie, bis abgeschlossen ist, schleichen sich hinauf zur Orgelempore, von dort kommen Sie in einen schmalen Gang, der direkt zur Schatzkammer führt. Man lässt Sie ein, und Sie können sich die Reichskrone aufs Haupt setzen. Glauben Sie mir, ich kenne viele, die sich dieses Gefühl einiges kosten lassen würden.«
»Und Sie meinen, dem Sladek ist das aufgefallen? Und er hat den Schellinger drauf ang’redet?«
»So kam es mir jedenfalls vor.«
»Herr Horvath, Sie haben mir sehr geholfen. Vielen Dank auch.«
»Nichts zu danken. Kann ich jetzt gehen?«
»Natürlich. Aber seien S’ doch so gut und schicken Sie mir den Schellinger rein, ja?«
Augenblicke später stand August Schellinger vor Bronstein. »Na, habe ich Ihnen nicht gesagt, dass es sich nur um einen geschickten Einbrecher handeln kann, der halt vom Sladek ertappt wurde, weshalb der arme Sladek sterben musste?«
Bronstein erwiderte nichts. Er stand auf. »Was ich noch nicht weiß, ist, wo verbringt man als Wächter eigentlich die viele Zeit? Ich meine, man wird ja nicht stundenlang durch die Sammlung gehen, oder?«
»Nein, wir haben hinten einen kleinen Aufenthaltsraum, wo wir uns ein wenig ausruhen können. So zwischendurch halt.«
»Können Sie mir den zeigen?«
»Ich weiß zwar nicht, warum Sie den sehen wollen, aber bitte. Wenn Sie mir folgen wollen.«
Die beiden gingen vorbei an den unermesslichen Schätzen, die noch von Roger von Sizilien abstammten und über die Staufer an die Habsburger gelangt waren, und bogen dann ab in einen engen, dunklen Korridor, in dem sich rechter Hand ein kleiner Raum befand. Bronstein sah sich um.
»Warum haben Sie und der Sladek eigentlich heute Dienst getauscht?«
Schellinger wirkte erschrocken. Er fing sich allerdings rasch. »Ach, meiner Frau geht es nicht so gut. Da wollte ich sie nicht alleine lassen.«
Der Raum wirkte kärglich. Ein wackeliger Tisch, ein Sessel, eine Decke aus grobem Stoff. Auf dem Tisch lag ein abgegriffenes Heft, eine Packung Zigaretten, eine Schachtel Zündhölzer und eine seltsam anzusehende Kanne. »Gehört das Ihnen, oder ist das Sladeks Besitz?«
»Bitte schön, das gehört mir«, erklärte Schellinger leichthin.
»Das schaut ja interessant aus. Was ist denn das?«, fragte Bronstein und schickte sich an, nach der Kanne zu greifen.
»Nicht, das ist heiß. Sie verbrennen sich«, warnte Schellinger.
Blitzschnell fuhr Bronstein herum. »Ja. Aber anders, als Sie meinen.«
»Wie … darf ich das … verstehen«, stammelte Schellinger.
»Ich kenne das zufällig. Das ist eine dieser neumodischen Warmhaltevorrichtungen, die die Firma Thermos in Charlottenburg macht. Da gibt es nur ganz wenige Stück davon, die noch gar nicht offiziell auf den Markt gekommen sind. Frage: Wie kommt ein kleines Wachorgan wie Sie zu so einem ausgefallenen Stück?«
»Das hat mir ein Berliner Gast geschenkt, zum Dank für gute Dienste.«
»Sehen Sie, Herr Schellinger, das glaube ich Ihnen sogar.« Bronstein lächelte breit. »Irgendein Fabrikant, der für einen Augenblick lang Kaiser war.«
»Wovon … reden Sie?«
Bronstein griff nun schnell nach der Kanne. So schnell, dass Schellingers Versuch, dies zu vereiteln, scheiterte. Bronstein schüttelte sie, und wie erwartet gab sie ein klimperndes Geräusch von sich. Schellinger wurde blass und wich instinktiv einen Schritt zurück.
»Sie haben den Sladek umgebracht. Und zwar heute kurz nach sechs Uhr früh. Das wird sicherlich auch der Pathologe bestätigen. Und ich sage Ihnen auch, warum. Der Sladek ist Ihnen draufgekommen, wie Sie Ihren Verdienst ein wenig aufbessern.«
»So ein Blödsinn …«
»Gar kein Blödsinn, Schellinger.« Bronstein öffnete die Kanne und hob das innere Gefäß heraus. Das äußere drehte er um. Augenblicklich fielen zahlreiche Geldstücke heraus, während einige Banknoten ein wenig langsamer zu Boden flatterten. »Das war Ihr Sparschwein, sozusagen. Und der Sladek hat es zufällig gefunden. Und damit endlich den Beweis dafür gehabt, dass Sie Ihr Amt missbrauchen.«
Schellinger begann zu keuchen. »Sie wissen doch selbst, dass das unmöglich ist. Wie sollte ich jemanden hier einschleusen. Da müsste ich ja alle anderen Wachen bestechen. So etwas ließe sich doch niemals unter der Decke halten.«
»Unter der Decke vielleicht nicht. Aber im Beichtstuhl.«
Schellinger wurde noch blasser.
»Ja, ich weiß, wie Sie das eingefädelt haben. Und mir wollten Sie noch ernsthaft weismachen, es gäbe hierher nur einen einzigen Eingang. Haben Sie wirklich angenommen, ich würde Ihnen das glauben?«
»Ach«, leistete Schellinger nun hinhaltenden Widerstand, »das sind doch nur unbewiesene Behauptungen …«
»Wie kommt es dann, dass der Horvath den Sladek heute Nacht mit genau dieser Kanne gesehen hat?« Bronstein schwenkte das Stück vor Schellingers Nase auf und ab. »Der Sladek hat die Kanne wahrscheinlich zufällig gefunden. Und er wird sich gedacht haben, wozu die gedacht ist, denn sonst hätte er keinen Tee eingefüllt. Doch dann hörte er es wohl, so wie ich eben, scheppern, und so wurde er neugierig. Und endlich hatte er, wonach er seit Langem suchte. Den Beweis dafür, dass Sie aus Ihrer Stellung Kapital schlagen.«
Schellinger ballte in ohnmächtigem Zorn die Fäuste.
»Der Trottel, der! Ich hab’ ihm angeboten, halbe-halbe zu machen. Aber nein, der moralinsaure Apostel wollt’ mich anschwärzen. Ich wär hochkant rausg’flogen und hätt nie wieder einen Boden unter die Füße gekriegt. Betteln gehen hätt ich müssen. Im Armenhaus wär ich g’landet. Und meine Frau, die eh so schwach beinander ist, die hätt die Schand ned überlebt.«
»Also war’s besser, er überlebt das ned«, folgerte Bronstein.
»Ehrlich, ich hab ihn angebettelt, die Sache zu vergessen. Ich hab ihm geschworen, dass ich es nie wieder mach’. Sogar das ganze Geld hab’ ich ihm angeboten. Und er hat nur g’sagt, er geht jetzt zum Kommandanten damit. Da hab’ ich ja gar nicht mehr anders können. Ich hab den Zahn aus der Verankerung geholt und zugestochen.«
Schellinger schlug die Hände vors Gesicht und ließ sich weinend auf den Sessel fallen.
»Sein ganzes Leben versucht man«, schluchzte er, »auf einen grünen Zweig zu kommen. Und dann die Versuchung. Sie glauben ja gar nicht, wie viel einem die Leute bieten, nur damit sie da einmal reindürfen. Um das Geld wär’ sich ein Häusl in Purkersdorf ausgangen oder in Hofstadt. Ich hab nicht anders können. Ich hab das machen müssen.«
Bronstein stand da und schüttelte den Kopf. »Die Gier war noch nie ein guter Ratgeber. Und schauen S’ nur, was sie aus Ihnen gemacht hat. Ihre Zukunft gleicht nun jener der Einhörner.«
Verwirrt blickte Schellinger auf.
»Na ja«, zuckte Bronstein mit den Schultern, »die gibt’s auch nicht.«
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.