Kitabı oku: «Das Merkel-Lexikon», sayfa 2
Zeittafel Angela Merkel
17. Juli 1954 | Geburt in Hamburg |
Herbst 1954 | Umzug der Familie Kasner in die DDR |
1973 | Abitur in Templin |
1978 | Diplomarbeit in Physik |
1986 | Promotion in Physik |
1989 | Eintritt in die Partei »Demokratischer Aufbruch«. (DA) |
August 1990 | Durch Fusion des DA mit der CDU wird Merkel CDU-Mitglied |
Dezember 1990 | Einzug als Abgeordnete in den Bundestag |
Januar 1991 | Ernennung zur Bundesfrauenministerin |
Dezember 1991 | Wahl zur stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden |
November 1994 | Ernennung zur Bundesumweltministerin |
November 1998 | Wahl zur CDU-Generalsekretärin |
10. April 2000 | Wahl zur CDU-Parteivorsitzenden |
September 2002 | Wahl zur Vorsitzenden der CDU/CSU Bundestagsfraktion |
22. November 2005 | Vereidigung als Bundeskanzlerin, Beginn der 1. Amtszeit |
28. Oktober 2009 | Vereidigung als Bundeskanzlerin, Beginn der 2. Amtszeit |
17. Dezember 2013 | Vereidigung als Bundeskanzlerin, Beginn der 3. Amtszeit |
Merkel A–Z
Abschottung Merkel hat in der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 deutlich gemacht, dass sie eine Abschottung Deutschlands für unsinnig hält. Sie verwies auf die lange Grenze Deutschlands im Herzen Europas mit insgesamt neun Nachbarn. »Abschottung ist im 21. Jahrhundert keine vernünftige Option«, warnte sie. Freier Handel, Binnenmarkt, gemeinsame Währung und der passfreie Schengenraum seien Grundlage von Wohlstand und Frieden, betonte sie immer wieder. »Deshalb dürfen wir gerade in schwierigen Zeiten nicht der Versuchung erliegen, in nationalstaatliches Handeln zurückzufallen.«3 Später verwies sie auf Chinas schlechte historische Erfahrungen: Für den Bau und den Erhalt der Chinesischen Mauer seien die besten Leute auf lange Zeit mit diesem Abschottungsprojekt beschäftigt gewesen, »sodass China nach innen völlig geistig verarmt ist, weil die hauptintellektuelle Herausforderung war: Wie schotten wir uns ab?« Ihre Argumentation: Sicher sei auch der Schutz eigener Grenzen wichtig – aber die lägen im Schengenraum eben an den EU-Außengrenzen. Die bessere Alternative seien ein verstärkter Blick in die Welt, mehr Hilfe für Regionen, aus denen potenzielle Flüchtlinge kommen könnten und »der Bau von Lebenskreisen um das Schengen-Gebiet herum, die auch in relativem Wohlstand und Sicherheit leben«. Je weiter diese Kreise seien, desto friedlicher werde das eigene Leben, weil man nicht mehr die ganze Kraft für Grenzsicherung aufwenden müsse.4 Im Prinzip ist dies die Fortsetzung des jahrzehntelangen Denkens deutscher Regierungen in EU- und Nato-Erweiterungen, die einen Ring sicherer und befreundeter Staaten um die Bundesrepublik geschaffen haben. Merkel setzt deshalb auf einen tatsächlich effektiven Schutz der EU- und Schengen-Außengrenzen.
AfD/Pegida In der dritten Amtszeit Merkels ist mit der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) eine Partei im politischen Spektrum nach vorne geprescht, mit der sich auch die CDU-Vorsitzende beschäftigen muss. Merkels Position in der Euro-Krise in ihrer zweiten Amtszeit war gewesen, die drei Buchstaben AfD gar nicht in den Mund zu nehmen und an ihrem Kurs der Rettungspakete für angeschlagene Euro-Staaten festzuhalten. Zusammen mit der Protestbewegung Pegida vor allem in Dresden entstand dann eine nicht nur euro- und europakritische, sondern auch islamfeindliche Bewegung mit starkem rechtsnationalem Einschlag. 2014 gab es eine kurze Phase, in der Opposition und SPD die CDU mit der Forderung nach einer nötigen Abgrenzung zu rechtspopulistischen Parteien in die Enge zu treiben versuchten. Merkel beendete die Debatte am 26. Mai 2014 direkt nach der Europawahl mit einem klaren Beschluss im CDU-Präsidium: Eine Zusammenarbeit mit der AfD wurde auf Bundes- und Landesebene zum Tabu für die CDU erklärt. »Im Bundesvorstand sind wir uns einig, dass wir mit der AfD weder koalieren noch kooperieren«, betonte sie auch mit Blick auf die erweiterte Parteiführung.5 Intern hatte Merkel klar gemacht, dass sie dies sehr ernst meine. Die Strategie der CDU- und übrigens auch der CSU-Führung lautet: Die AfD soll als rechtspopulistische Protestpartei in den Parlamenten zwar argumentativ gestellt, aber in der Opposition gehalten werden.
Dies knüpft an die Strategie an, mit der CSU und CDU bereits zuvor mehrfach mit rechtsradikalen Parteien wie der NPD, der DVU oder den Republikanern umgegangen sind, wenn diese den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde in Parlamente schafften. Schon 2005, als rechtsradikale Parteien etwa in die Landtage in Brandenburg und Sachsen-Anhalt einzogen, lehnte die CDU-Parteivorsitzende jede Zusammenarbeit mit ihnen ab.6 Sie hatte früh in ihrer Partei klar gemacht, dass das Liebäugeln mit rechten Positionen für die Volkspartei CDU ein Tabu sein müsse. Bereits 1993 forderte die damalige stellvertretende CDU-Vorsitzende vehement den Parteiaustritt des Berliner CDU-Politikers Heinrich Lummer wegen dessen Haltung zu Koalitionen mit rechten Parteien (s. Härte). 2014 machte Merkel der Thüringer CDU deutlich, dass keine Offenheit zur AfD und nicht einmal der Anschein dazu toleriert werde.
Die Kanzlerin empfindet die AfD nach Angaben enger Mitarbeiter als mehrfache Zumutung: zu nationalistisch für ihre Vorstellung eines gemeinsamen Europas, zu unsolidarisch für eine christlich geprägte Gesellschaft, zu polarisierend für den nötigen Ausgleich in einer offenen Gesellschaft, zu globalisierungsfeindlich in einer Welt, die nach Merkels Überzeugung unbedingt enger zusammenarbeiten muss, zu hasserfüllt und xenophob für ein Deutschland, das ihrer Meinung nach modern und tolerant sein sollte und Zuwanderung braucht. In aller Deutlichkeit hat sie aber vor allem gegen die Pegida-Bewegung Stellung bezogen. In ihrer Silvesteransprache am 31. Dezember 2014 rief die Kanzlerin die Deutschen dazu auf, nicht zu Pegida-Demonstrationen zu gehen, weil die Initiatoren »Vorurteile, Kälte, ja Hass« in ihren Herzen hätten.7 Zudem wehrte sie jede Deutschtümelei ab. »Ich kann, auch wenn ich anders aussehe, Patriot sein«, mahnte sie mit Blick auf Deutsche mit Migrationshintergrund.8
Als interne CDU-Strategie hat Merkel nach den Landtagswahlen im März 2016 ausgegeben, sich mit den AfD-Positionen auseinanderzusetzen, »und zwar ohne jeden Schaum vor dem Mund und ohne Pauschalurteile«. Man müsse offensiver vertreten, was die Visionen für ein gemeinsames Europa und etwa die Nato im 21. Jahrhundert seien. Unnötig aufwerten will sie die Partei durch zu viel Aufmerksamkeit aber nicht. Die Wahlen würden in der gesellschaftlichen Mitte (s. Mitte) gewonnen und nicht durch den Versuch, AfD-Wähler durch eine Anbiederung etwa an antieuropäische oder islamfeindliche Positionen zurückzugewinnen, argumentierte sie. Merkel dementierte deshalb auch jede Spekulation über eine »Kursänderung« der CDU nach rechts, wie sie etwa CSU-Chef Horst Seehofer (s. Seehofer) gefordert hatte.9 Dies schließe nicht aus, dass dennoch etwa Asylpakete geschnürt und Themen wie Innere Sicherheit ernster genommen würden, betonte sie in CDU-Gremien.
Dies alles dürfte erklären, wieso Merkel eine Hassfigur gerade der radikalen Rechten geworden ist.10 Sie selbst sagte: »Ich hoffe auf den Tag, an dem ich lese, dass den Rechtsextremisten der Nachwuchs ausgeht. Darauf müssen wir hinarbeiten.«11
Affären Merkel hat alle Formen von Home-Stories und Einblicke in ihr Privatleben ablehnt. Wie andere Prominente muss sie sich aber damit herumschlagen, dass die Yellow-Press sie als Thema entdeckt hat. Mit großer Kreativität werden ihr über die Jahre immer wieder einmal angebliche Affären angedichtet. »Pikanter Franzosen-Flirt« hieß es etwa im Juli 2015 mit Blick auf den französischen Präsidenten François Hollande. Und eine wichtige Frage wurde auf der Titelseite eines Magazins gleich mitgeliefert: »Gibt ihr Mann sie frei?«12 Etliche Boulevardblätter beschäftigten sich mit der vermeintlichen deutsch-französischen Liaison. »Die beiden Staatsoberhäupter berühren sich zärtlich, kichern und tuscheln – fast wie zwei Teenager!«, schrieb etwa das Neue Blatt – und griff damit eine Anspielung aus anderen Yellow-Press-Magazinen auf.13
Merkel wurde zwar im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise als »Eiskönigin« Europas beschrieben: Aber offenbar wird ihr gleichzeitig eine heißblütige Leidenschaft unterstellt, für die sich angeblich immer wieder neue Belege finden. Im Juli 2007 etwa titelte die Bild-Zeitung »Bush: Liebesattacke auf Merkel«, nachdem er ihr auf dem G8-Gipfel im russischen St. Petersburg in den Nacken gegriffen hatte (s. Grabschen). Dabei hat kein ausländischer Staatschef sich so an Merkel herangeschmissen wie der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy. Dieser wandte sich 2008 direkt an Merkels Ehemann Joachim Sauer: »Innerhalb von zwölf Monaten, Herr Sauer, haben wir uns zwölf Mal getroffen«, scherzte er bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen an Merkel. »Und angesichts ihres vollen Terminkalenders wäre es spannend, Herr Sauer, die Anzahl unserer Begegnungen mit ihr zu vergleichen.«. Dann beglückwünschte er Sauer für seine Frau, die er selbst viel mehr möge, als immer geschrieben werde.14
Im Februar 2016 machte die Yellow-Press dann plötzlich auch noch »einen heimlichen Freund« aus – den Schauspieler Ulrich Matthes. Der hatte in einem Interview zuvor angegeben, dass er der Kanzlerin alle paar Monate ein Fax schicke – das diese dann auch beantworte. Matthes selbst hatte die Frage »Sie faxen sich?« als »fast schon anzüglich« bezeichnet – worauf die Aktuelle das Bild einer glücklich lächelnden Kanzlerin mit einem Faxgerät kombinierte.15 Pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft wurde dann auch die angebliche »Geheime Leidenschaft« zwischen Merkel und Nationaltrainer Jogi Löw thematisiert.16
Ein echter Wiedergänger sind die Berichte in Boulevardmedien über angebliche Eheprobleme im Haus Merkel-Sauer.17 Merkel zeigt sich übrigens eher entspannt im Umgang mit diesen Geschichten. Sie mag sich ärgern, aber auf ein rechtliches Vorgehen gegen die Geschichten verzichtete sie bisher, um ihnen nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu geben.
Alkohol (s. Bier) Wenn dieses Stichwort in einem solchen Lexikon auftaucht, dann deshalb, weil das Thema »Politik und Alkohol« die Öffentlichkeit immer wieder einmal beschäftigt – und es auch für Merkels politischen Werdegang nicht ganz bedeutungslos war. Dies betraf etwa die sogenannte TV-Elefantenrunde am Wahlabend 2005, als ihr Vorgänger Gerhard Schröder sie angeblich unter dem Einfluss von Rotwein (was er bestreitet) politisch hart anging. Zudem wurde Merkel vor allem in ihrer politischen Frühphase Trinkfestigkeit nachgesagt. In einer nach wie vor überwiegend männlich dominierten Politik-Welt sammelte Merkel dadurch Anerkennungspunkte bei ihren CDU-Kollegen und streifte das frühere Image als »Kohls Mädchen« ab. Merkel selbst gab an, ihren ersten Alkoholrausch mit 18 Jahren gehabt zu haben. Damals habe sie nach der Abitur-Feier um vier Uhr morgens auf einem Boot zu viel von dem mit Kirschwasser gemischten Whiskey getrunken – und sei aus dem Boot gekippt.18
Merkel trinkt gerne Wein. Aber da sich für die Kanzlerin die Krisen, die Anspannung und die Notwendigkeit höchster Konzentration häufen, gilt der Konsum von Alkohol mittlerweile als sehr dosiert.19 Eine Kanzlerin muss am nächsten Tag fit sein. Das gilt auch für die EU-Gipfel. Nach dem Abendessen der EU-Staats- und Regierungschefs und den seit 2012 regelmäßigen nächtlichen Pressekonferenzen zieht sich Merkel im Hotel Amigo in der Brüsseler Innenstadt mit ihren engsten Mitarbeitern aber traditionell noch in eine ruhige Ecke zurück, um bei einem Glas Rotwein nach oft hektischen Verhandlungen den Tag noch einmal durchzusprechen und den nächsten vorzubereiten.
Wenn Männer sich mit Alkohol-Genuss brüsten, wird sie schnell ironisch. So lobte etwa der rheinland-pfälzische CDU-Europaabgeordnete Werner Langen bei einem gemeinsamen Auftritt im Europawahlkampf am 24. Mai 2014 in Worms überschwänglich die »gesellige Wirkung« des Weins aus seiner Heimat. »Wir haben Korn in der Gegend, aus der ich komme«, konterte Merkel trocken. »Damit geht es bei der Geselligkeit schon schneller.«20
Dennoch entdeckten Boulevard-Medien das Thema im August 2015 – mit durchaus bösartigem Unterton. Nach dem Zusammenbruch ihres Stuhls bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth etwa spekulierte ein Blatt mit einem Foto einer Weißwein trinkenden Merkel auf der Titelseite, dass möglicherweise ein »feuchtfröhlicher Urlaubs-Start« verantwortlich gewesen sei – was im Text selbst als reine Spekulation zurückgenommen wurde.21
Ein Randaspekt: Im Kanzleramt werden für die Gäste vor allem deutsche Weine serviert. Aber wenn der französische Präsident François Hollande dort diniert, wird ihm auch schon mal französischer Rotwein angeboten. »Beim Rotwein halten Sie sich besser an die Franzosen«, soll Merkel Hollande gleich bei dessen ersten Besuch in Berlin am 15. Mai 2012 geraten haben.22
Alter Merkel ist am 17. Juli 1954 geboren. Als sie als 52-Jährige zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, gab es gleich zwei Premieren: Sie war die erste Frau in diesem Amt und noch nie war jemand so jung auf diesen Posten gekommen. Mit zunehmendem Alter schleichen sich immer wieder Hinweise in ihre Auftritte ein, dass sie sich ihres Alters sehr bewusst ist. Sie gibt sich dabei zunehmend entspannter. »Ich bin jetzt in einem Lebensalter, in dem ich mit mir immer mehr im Frieden lebe«, sagte sie bereits 2010. Als Mädchen sei sie oft unzufrieden gewesen, weil sie Dinge nicht konnte, die sie können wollte. »Heutzutage kann ich die Dinge, die ich können möchte.«23
Zudem wird der Versuch offensichtlicher, Lebenserfahrung weitergeben zu wollen. »Anders als früher kann ich willkommene oder weniger willkommene Ratschläge geben. Jedenfalls kommen mir manche Dinge bekannt vor. […] Manchmal habe ich Angst, dass ich schon zu viel erlebt habe. Aber oft habe ich auch Recht«, sagte sie.24 Eine Gruppe junger Unionsabgeordneter mahnte sie eindringlich, sich mit den Errungenschaften des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen. Die Jungen müssten sich überlegen, was sie davon im 21. Jahrhundert erhalten wollten – von dem, wofür Menschen gekämpft hätten, »die noch älter sind als ich«.25
Als Kanzlerin sucht sie gezielt Kontakt zu jüngeren Ansprechpartnern, auch weil sie sich der eigenen Unzulänglichkeit bei neuen Technologien bewusst ist. Das Problem sei, dass junge Leute in Deutschland zwar mit Zukunftsthemen wie der Digitalisierung vertraut seien, aber nicht in Führungspositionen säßen. »Ich finde es interessant, wenn ein Unternehmen wie Bosch jeder älteren Führungskraft einen Jüngeren an die Seite stellt, der ihm sagt, was die digitalen Möglichkeiten und die digitalen Herausforderungen sind«26, schlägt sie deshalb vor.
Außerdem sieht sie die Jugend als Stimmungsaufheller: »Jüngere müssen Ältere immer wieder aus der Resignation heraustreiben«, forderte sie. Bei ihr selbst sei das aber weniger nötig. »Ich gehöre nicht zu den Kulturpessimisten. Ich gehöre auch zu der Abteilung Hoffnung.«27
Alternativlos Dieser Begriff wurde von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Unwort des Jahres 2010 gewählt. Kritikern der Kanzlerin gilt dieser von Merkel seit 2009 häufiger verwendete Begriff als Musterbeispiel für ein technokratisches Denken.28 Merkel selbst hat etwa den Bundeswehreinsatz in Afghanistan als »alternativlos« bezeichnet. Eine echte Blütezeit erlebte der Begriff aber vor allem im Rahmen der Finanz- und Schulden-Krise, in der Merkel damit immer wieder die Notwendigkeit von unpopulären, aber aus ihrer Sicht notwendigen Entscheidungen rechtfertigte. Der Begriff erhält Elemente von Zwangsläufigkeit, Ungeduld, Kühle und Entschlossenheit. Wahlweise hat Merkel damit Entscheidungen begründet, die aus ihrer Sicht sein mussten oder sein sollten – oder für die sie selbst nach einigem Nachdenken einfach keine andere Lösung gefunden hatte. In ihrem »alternativlos« schwingt oft auch ein entschuldigendes Eingeständnis mit, dass eine ›Lösung‹ oft gar keine endgültige Lösung ist, sondern nur die aus ihrer Sicht bestmögliche unter vielen schlechten Reaktionsmöglichkeiten in einer Krise – und ein weiterer Schritt in einem Prozess (s. Prozess).
Amtseid Viel Spielraum gibt es nicht beim Sprechen des sogenannten Amtseides, den ein Kanzler oder eine Kanzlerin nach der Wahl im Bundestag zu leisten hat. Merkel setzt wie die meisten ihrer Vorgänger den Zusatz »So wahr mir Gott helfe« hinzu. »Dieser Teil des Amtseides bedeutet für mich das Bekenntnis, dass es nicht allein in meiner Hand liegt, was ich schaffen kann und was ich nicht schaffen kann. Der Mensch ist nicht allmächtig, sondern lebt davon, dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten verantwortungsbewusst handelt«, sagte die Protestantin.29 Kleines Kuriosum: Bei ihrer Vereidigung 2005 hatte Merkel die rechte Hand zum Schwur gehoben, bei der zweiten 2009 vergaß sie dies – aber bei der dritten 2013 war die Hand wieder oben.
Amtszeit Merkel hat sich mit ihrer dritten Amtszeit auf der Liste der am längsten regierenden deutschen Bundeskanzler weit nach vorne katapultiert. Durchschnitt sind zwei Amtszeiten. Nun hat Merkel in der Statistik der am längsten regierenden Kanzler nur noch zwei vor sich – Konrad Adenauer mit 14 Jahren Amtszeit (1949 – 1963) und Helmut Kohl, der 16 Jahre lang Bundeskanzler war (1982 – 1998). Auch wenn Merkel 2017 ein weiteres Mal antreten und im Amt der Bundeskanzlerin bestätigt werden sollte: Um Kohl einzuholen, müsste sie 2021 sogar noch ein fünftes Mal erfolgreich kandidieren. Denn 2005 zogen sich die Koalitionsverhandlungen mit der SPD so lange hin, dass ihre Vereidigung als Kanzlerin erst zwei Monate nach den Bundestagswahlen stattfinden konnte. Diese Tage würden Merkel bei einem Vergleich mit Kohl fehlen.
Andenpakt 1979 unternahmen etliche Junge-Unions-Mitglieder eine gemeinsame Südamerikareise, weshalb Beobachter später die Gründung einer karrierefördernden Seilschaft witterten.30 Eine Reihe der westdeutschen Politiker aus dieser dann ›Andenpakt‹ genannten Gruppe machte tatsächlich Karriere in den Bundesländern. Dazu gehören etwa Roland Koch, Christian Wulff oder Günther Oettinger. Etwas spöttisch lautete der Titel für diese Gruppe auch ›Klub der Messdiener‹. Für Merkels Karriere spielte diese Gruppe Männer eine doppelte Rolle. Zum einen halfen Ende des vergangenen Jahrhunderts einige dieser jungen CDU-Politiker wie Wulff mit, am Sockel des alten CDU-Chefs Helmut Kohl zu sägen. Zum anderen gehören viele aus diesem Andenpakt zu den Politikern, die später erst 2002 Merkels erste versuchte Kanzlerkandidatur für die Union verhinderten31 und dann nach ihrem Amtsantritt 2005 stichelten, sie sei dem Job als Kanzlerin nicht gewachsen.
Angesichts der Flüchtlingskrise ist fast in Vergessenheit geraten, dass sich die erste ernsthafte Überlebensfrage für die Politikerin Merkel deshalb nicht 2015 stellte – sondern in den Jahren um 2007. Damals war die Unzufriedenheit mit der Kanzlerin in der eigenen Partei angesichts des überraschend schlechten Wahlergebnisses 2005, der nötigen Kompromisse in der großen Koalition und ihrer schlechten Umfragewerte groß. Damals genoss sie zudem noch nicht das internationale Ansehen wie heute. Und damals gab es CDU-Ministerpräsidenten, die selbst liebend gerne als Ersatz-Kanzler bereitgestanden hätten. Weil der in Wahrheit eher lockere ›Pakt‹ in den Medien in den Verdacht einer Verschwörung kam, wuchs aber gleichzeitig der Druck auf die CDU-Granden, sich von Vermutungen zu distanzieren, man wolle Merkel stürzen. Merkel hat die meisten Mitglieder des ›Pakts‹ politisch längst überlebt.
Angst Merkel hat sich häufiger als Volks-Therapeutin betätigt und versucht, den Deutschen in Krisen immer wieder Mut zu machen. Ihr umstrittener Satz »Wir schaffen das« hatte 2015 vor allem die Bedeutung, sowohl die vielen Helfer als auch die vielen Zweifler davon zu überzeugen, dass Deutschland selbst die Aufnahme von einer Million Flüchtlinge und Migranten bewältigen könne (s. Wir schaffen das). Merkel ist davon überzeugt, dass Angst lähmt und oft Lösungen verhindert – weshalb sie überwunden werden muss. »Angst war noch nie ein guter Ratgeber, im persönlichen Leben nicht und auch im gesellschaftlichen Leben nicht. Kulturen und Gesellschaften, die von Angst geprägt sind, werden mit Sicherheit die Zukunft nicht meistern«, mahnte sie.32 Deshalb hat sie in den vergangenen Monaten immer wieder zur Zuversicht geraten – auch auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. »Es sind sehr, sehr viele. Aber wir sind 80 Millionen«, betonte sie unter anderem, um die Herausforderung in ihrer Dimension zurechtzurücken.33 Auch in ihrer Rede auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe betonte Merkel sehr deutlich, dass Deutschland ein starkes Land sei und Großartiges leisten könne. (s. Deutschland)
Furchtlosigkeit gehört für sie unbedingt zum Handwerkszeug guter Politiker. Selbst als die junge CDU-Chefin 2002 dem CSU-Chef Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur überlassen musste, sagte sie nur: »Ich fürchte mich vor gar nichts«, machte weiter – und wurde dann 2005 Kanzlerin.34 Ganz ähnlich argumentierte sie in der Euro-Krise.35 Allerdings hat Merkel intern auch betont, dass sie als Regierungschefin eines der reichsten und erfolgreichsten Länder der Welt qua Amt Zuversicht verbreiten müsse und schlecht sagen könne: »Wir schaffen das nicht«. Das brachte ihr in der amerikanischen Zeitschrift Newsweek den Titel »Mrs. Feelgood« ein. Vielleicht liegt es daran, dass sie eine Frau ist: Jedenfalls wurde Merkel in Interviews anders als ihre männlichen Vorgänger auffallend oft nach ›Angst‹ gefragt. Sie selbst hat durchaus persönliche Ängste, obwohl sie diese wie etwa die kolportierte Angst vor Hunden als übertrieben dargestellt sieht (s. Hunde). Als Kind habe sie sich aber auf dem weiten Nachhauseweg zu Fuß etwa gefürchtet, wenn Gewitter losbrachen.36 Auch Angst vor körperlicher Gewalt hatte Merkel bereits – etwa als Jugendministerin bei einem Besuch einer Disko in Norddeutschland. Dort habe es einen aggressiven Jugendlichen gegeben, der dauernd auf Politiker schimpfte. »Da habe ich gedacht: Gleich kriegst du eins auf die Rübe.«37
Anspruch Politiker wollen oder müssen sich an den selbstgesetzten Zielen messen lassen. Merkel hat als Kanzlerin mehrfach betont, dass sie den Erfolg ihrer Regierung daran ablese, ob es den Menschen am Ende einer Legislaturperiode besser gehe als am Anfang – wobei allerdings offen bleibt, was genau die Messgrößen für dieses ›besser‹ sind. Da sie bisher bis auf einen kurzen Einbruch 2009 stets in Zeiten einer wachsenden Wirtschaft regierte, verwies Merkel vor Wahlen meist auf Erfolge etwa bei den Arbeitslosenzahlen.38 Zu Beginn ihrer großen Koalition sagte sie erneut: »Wir haben gute Chancen, dass wir 2017 sagen können, dass es den Menschen besser geht als heute.«39
Der Anspruch an die eigene politische Karriere klang vor der Kanzlerschaft übrigens noch bescheiden. Sie wolle in Erinnerung bleiben als »diejenige, die ein paar Dinge bewegt hat, von der man sagen kann, das und das ist mit ihrem Namen verbunden. Und als die, die den Bezug zur Realität nicht verloren hat.«40 Einmal nannte sie eine geradezu göttliche Ableitung ihrer Arbeit: »Ich bin davon überzeugt: Gott hat uns vor allem dazu erschaffen, damit wir aus unseren großen Möglichkeiten etwas machen, damit wir zeigen, was in uns steckt«, sagte sie auf einem CDU-Bundesparteitag.41
Antisemitismus (s. Israel, Schoah) Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine feste Konstante in Merkels politischem Leben. Dabei nimmt sie wenig Rücksichten auf Freund-Feind-Grenzen. Die Protestantin verteidigte etwa die katholische Kirche 2010 vehement gegen den Vorwurf, antisemitisch zu sein – und wies gleichzeitig darauf hin, dass Martin Luther dies teilweise gewesen sei. »Luthers Schrift Von den Juden und ihren Lügen würde heute vermutlich den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen«, sagte sie. »Luther war, das muss man konstatieren, nicht frei von antisemitischen Tönen.«42
Merkel betonte, dass das Thema sie seit ihrer Kindheit beschäftige und bewege. Das KZ Ravensbrück lag weniger als zwanzig Kilometer von ihrer Heimatstadt Templin entfernt, ihre Schulklasse besuchte die Gedenkstätte jedes Jahr. Wenn ihre DDR-Lehrer vor allem über von den Nazis verfolgte Kommunisten und vielleicht noch Sozialdemokraten gesprochen hätten, habe sie auch nach dem Schicksal der Juden gefragt. Sie habe es als Jugendliche als sehr schlimm empfunden, dass auch in der Sowjetunion Juden verfolgt worden seien, sagte sie. In der DDR habe aber quasi kein Dialog stattgefunden, weil es keine jüdischen Gemeinden gegeben habe und Israel nie als Staat anerkannt worden sei. Nach der Einheit habe sie dann gemerkt, dass im Westen anders über das Thema gesprochen wurde. Zudem sei sie verwundert gewesen, als ihr Edmund Stoiber erzählte, er sei 1995 der erste bayerische Ministerpräsident gewesen, der die Gedenkstätte für das KZ Dachau offiziell besucht habe. An ihrem entschiedenen Kampf gegen Antisemitismus änderten auch die Briefe mit Beschimpfungen von Rechtsradikalen nichts, die sie immer wieder erhalte, betonte Merkel.43
Sie hat in ihrer Amtszeit sehr konstant den Kontakt mit jüdischen Organisationen sowohl in Deutschland als auch etwa den USA gepflegt. Merkel wendet sich entschieden gegen jede Leugnung des Holocausts (s. Schoah) und riskierte hierfür auch einen Streit mit dem Papst (s. Papst). Zudem kritisierte sie, dass sich Antisemitismus manchmal unter dem Deckmantel der Kritik an Israel verstecke. Merkel hat dies auch im Zusammenhang mit Flüchtlingen aus arabischen Ländern thematisiert.44 Am 6. September 2014 forderte sie, dass Antisemitismus in Deutschland nie wieder eine Chance haben dürfe und trat nur wenige Tage später auf einer Kundgebung des Zentralrats der Juden gegen Antisemitismus auf.45
Antrieb (s. Macht). Es gibt verschiedene Theorien, was Merkel neben offensichtlich großem Ehrgeiz in ihrer Arbeit antreibt. Spaß und Neugier gehören dazu: »Ich finde, dass die Arbeit als Bundeskanzlerin dahingehend eine sehr schöne und inspirierende Arbeit ist, dass man immer wieder neue Probleme hat«, sagte sie etwa. »Es ist wirklich etwas, das in der Tätigkeit in der Politik ja ganz herausragend ist, dass man morgens oft ins Büro geht und nicht weiß, was im Laufe eines Tages passieren […] wird.« Mal sei dies traurig, mal schön. Sie sei weiter neugierig auf Menschen und wolle weiter lernen (s. Lernen, Neugier).46
Einige Wegbegleiter meinen, dass Merkel zudem ihrem Vater beweisen wollte, es ›geschafft‹ zu haben. Immer wieder wird in früheren Biografien die Szene erwähnt, dass ihr Vater sie zum 30. Geburtstag 1984 in Berlin besuchte, sich in ihrer ärmlich eingerichteten Wohnung umsah und lakonisch feststellte: »Weit hast du es ja noch nicht gebracht.«47 Andere nennen als zusätzlichen Antrieb, dass die junge ostdeutsche Politikerin nach der Wende auf viele westdeutsche Politiker traf, deren Überheblichkeit sie geradezu herausforderte.48
Applaus Da Merkel kein sehr extrovertierter Typ ist, musste sie erst lernen, Applaus zu genießen. Bevor sie im Jahr 2000 zur CDU-Vorsitzenden gewählt wurde, schien ihr öffentliche Zustimmung noch fast peinlich, meist schaute sie demonstrativ nach unten in irgendwelche Papiere, während der Saal applaudierte.49 Auf dem CDU-Bundesparteitag 2015 in Karlsruhe hatte sie damit weniger Probleme: Neun Minuten stehende Ovationen nahm Merkel lächelnd, wegen des zuvor heftigen Streits in der Flüchtlingsfrage offensichtlich auch erleichtert entgegen und würgte sie nicht ab. Am Sonntagabend des 18. September 2013, als die Union überraschend 41,5 Prozent erzielte, zeigte Merkel auf der CDU-Wahlparty im Konrad-Adenauer-Haus aber die gewohnte Nüchternheit. Den jubelnden CDU-Anhängern dankte sie – um sie dann sofort zu mahnen, dass ab Montagmorgen aber wieder gearbeitet werde.
Arbeitstag Arbeit nimmt einen zentralen Platz in Merkels Leben ein – wohl auch, weil sich Beruf und private Interessen bei ihr vermischen. Einen standardisierten Ablauf eines Merkel’schen Tages gibt es angesichts der sehr vielfältigen Aufgaben und Termine im In- und Ausland nicht. Sie selbst redet davon, dass ein Arbeitstag etwa von 8 bis 22 Uhr dauere. Eine Biografin schrieb von einem Aufstehen um 6.30 Uhr.50 Eine zentrale Funktion hat dabei die sogenannte Morgenlage im Kanzleramt, die es auch unter ihren Vorgängern gab (s. Morgenlage). Dort trifft sich die Runde ihrer engsten Berater, um die anstehenden Themen des Tages durchzusprechen. Wenn Merkel tagsüber Termine in Berlin oder anderen Orten hat, versucht sie abends oft noch einmal ins Büro zu gehen. Ausdrücklich genießt sie die Vielfalt der Themen, mit denen sie täglich konfrontiert wird. Merkel bezeichnete sich selbst häufig als Morgenmuffel, der dann im Laufe des Tages zur Höchstform auflaufe. Einige Tage bringen allerdings mehr als 14 Stunden Arbeit – etwa bei durchverhandelten Nächten auf EU-Gipfeln, Koalitionsgipfeln oder nächtlichen Telefonaten etwa mit Obama wegen der Zeitverschiebung zu den USA (s. Ausdauer).