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2. Die Union in Gestalt des Vertrags von Lissabon

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Die mit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht[5] am 1.11.1993 gegründete Europäische Union (EU) wurde durch den Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft neu konstituiert. Grundlage der Europäischen Union sind nunmehr der EU-Vertrag (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).[6] Beide Verträge sind rechtlich gleichrangig (Art. 1 EUV).[7] Hinzu kommt die Charta der Grundrechte.[8] Diese und die Verträge sind ebenfalls rechtlich gleichrangig (Art. 6 Abs. 1 EUV).

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Die Europäische Union ist Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft (Art. 1 EUV) und besitzt Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUV). Die Vorschriften des EG-Vertrags wurden in die neuen Verträge überführt. Die Säulenstruktur der Union[9] wurde aufgegeben, die einstmals separat stehenden Bereiche Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit wurden integriert. Die Europäische Atomgemeinschaft (EAG)[10] blieb neben der Union bestehen.

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Ziel der Europäischen Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern (Art. 3 Abs. 1 EUV). Sie bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist (Art. 3 Abs. 2 EUV). Sie errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas hin und fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz (Art. 3 Abs. 3 EUV). Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 3 Abs. 4 EUV). Diese Ziele sollen durch die Durchführung interner Politiken oder Maßnahmen, unter anderem auch im Bereich des Gesundheitswesens, erreicht werden.

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Der EU-Vertrag beinhaltet neben den Regelungen über die Grundlagen vor allem Bestimmungen über die Organe und das auswärtige Handeln der Union. Der AEU-Vertrag regelt die Arbeitsweise der Union und legt die Bereiche, die Abgrenzung und die Einzelheiten der Ausübung ihrer Zuständigkeiten fest. Die im vorliegenden Kontext relevanten Politiken und Maßnahmen der Union sind im AEUV geregelt.

3. Kapitel Europäisches Gesundheitsrecht › B. Gesundheitsrecht in der Europäischen Union › II. Organisation und Struktur der Union

II. Organisation und Struktur der Union

1. Organe

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Die Europäische Union verfügt über einen institutionellen Rahmen, um ihren Werten Geltung zu verschaffen, ihre Ziele zu verfolgen, ihren Interessen, denen ihrer Bürgerinnen und Bürger und denen der Mitgliedstaaten zu dienen sowie die Kohärenz, Effizienz und Kontinuität ihrer Politik und ihrer Maßnahmen sicherzustellen. Die Organe der Union sind das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat, die Kommission, der Gerichtshof der Europäischen Union, die Europäische Zentralbank sowie der Rechnungshof (Art. 13 Abs. 1 EUV).[11]

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Das Europäische Parlament wird gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber tätig. Es erfüllt Aufgaben der politischen Kontrolle und Beratungsfunktionen. Es wählt den Präsidenten der Kommission (Art. 14 Abs. 1 EUV). Es setzt sich aus Vertretern der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zusammen, die in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt werden (Art. 14 Abs. 2 und 3 EUV).

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Der Europäische Rat gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür fest. Er wird nicht gesetzgeberisch tätig (Art. 15 Abs. 1 EUV). Er setzt sich zusammen aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem Präsidenten der Kommission (Art. 15 Abs. 2 EUV).

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Der Rat wird gemeinsam mit dem Europäischen Parlament als Gesetzgeber tätig. Zu seinen Aufgaben gehört die Festlegung der Politik und die Koordinierung nach Maßgabe der Verträge (Art. 16 Abs. 1 EUV). Der Rat besteht aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene, der befugt ist, für die Regierung des von ihm vertretenen Mitgliedstaats verbindlich zu handeln und das Stimmrecht auszuüben (Art. 16 Abs. 2 EUV).

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Die Kommission fördert die allgemeinen Interessen der Union und ergreift hierfür geeignete Initiativen. Sie sorgt für die Anwendung der Verträge sowie der von den Organen kraft der Verträge erlassenen Maßnahmen. Sie überwacht die Anwendung des Unionsrechts unter der Kontrolle des Gerichtshofs der Europäischen Union. Sie übt nach Maßgabe der Verträge Koordinierungs-, Exekutiv- und Verwaltungsfunktionen aus (Art. 17 Abs. 1 EUV). Die Kommission besteht aus je einem Staatsangehörigen jedes Mitgliedstaats (Art. 17 Abs. 4 EUV).

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Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof (EuGH), das Gericht (EuG) und Fachgerichte. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge (Art. 19 Abs. 1 EUV). Der Gerichtshof besteht aus einem Richter je Mitgliedstaat. Er wird von Generalanwälten unterstützt. Das Gericht besteht aus mindestens einem Richter je Mitgliedstaat (Art. 19 Abs. 2 EUV).

2. Rechtsquellen

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Im Rahmen der Rechtsquellen ist zwischen primärem und sekundärem Unionsrecht zu unterscheiden. Das primäre Unionsrecht genießt Vorrang und ist zugleich Maßstab für die Rechtmäßigkeit des sekundären Unionsrechts.[12]

a) Primäres Unionsrecht

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Das primäre Unionsrecht besteht aus den Verträgen einschließlich ihrer Protokolle und Anhänge (Art. 51 EUV) sowie der Charta der Grundrechte. Hierzu zählt ferner das ungeschriebene primäre Unionsrecht (Gewohnheitsrecht der Union und allgemeine Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind).[13]

b) Sekundäres Unionsrecht

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Gemäß Art. 288 AEUV nehmen die Organe für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen an. Es gilt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EUV). Hiernach wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben (Art. 5 Abs. 2 EUV). Dabei beinhaltet die Zuständigkeit nach der „implied-powers-Lehre“ auch jene Vorschriften, bei deren Fehlen die Zuständigkeiten der Union sinnlos wären oder nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung gelangen könnten.[14] Die Vertragskompetenzen sind regelmäßig so auszulegen, dass sie ihre praktische Wirksamkeit („effet utile“) erzielen können.[15] In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Union nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind (Art. 5 Abs. 3 EUV).

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Dabei haben die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinauszugehen (Art. 5 Abs. 4 EUV, Verhältnismäßigkeitsprinzip).[16]

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Erscheint ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche erforderlich, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen, und sind in den Verträgen die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, kann der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften erlassen (Art. 352 Abs. 1 AEUV). Hierdurch sollen bestehende Lücken der Verträge geschlossen werden. Eine Ermächtigung zur Kompetenzerweiterung ist damit nicht verbunden.[17]

Zu den Handlungsformen im Einzelnen (Art. 288 AEUV):

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Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Damit gilt die Verordnung ohne nationalen Umsetzungsakt in den Mitgliedstaaten. Entgegenstehendes nationales Recht tritt zurück. Adressaten der Verordnung sind die Union, die Mitgliedstaaten sowie die Einzelpersonen innerhalb der Union.

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Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Adressaten sind allein die Mitgliedstaaten. Die Richtlinien enthalten eine Umsetzungsfrist, während dieser die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht verpflichtet sind. Kommen die Mitgliedstaaten dieser Verpflichtung nicht oder nur unzureichend nach, leitet die Kommission entsprechende Vertragsverletzungsverfahren ein. Bei der Umsetzung der Richtlinien haben die Mitgliedstaaten diejenigen Formen und Mittel zu wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit („effet utile“) der Richtlinien am besten geeignet sind.[18] Durch das Erfordernis der Umsetzung sind Richtlinien grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar. Der EuGH hat jedoch eine unmittelbare Wirkung einer Bestimmung einer Richtlinie anerkannt für den Fall, dass die Umsetzungsfrist abgelaufen ist und die Richtlinie nicht oder nur unzureichend umgesetzt wurde, und die Bestimmung nach Rechtsnatur, Systematik und Wortlaut geeignet ist, inhaltlich unbedingt und hinreichend genau zu sein.[19] In diesen Fällen kann sich der Einzelne gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen. Eine Verpflichtung für einen Einzelnen begründet sie hingegen nicht, weshalb der EuGH eine horizontale Wirkung von Richtlinien auch nach wie vor ablehnt.[20]

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Beschlüsse, ehemals als Entscheidungen bezeichnet, sind in allen ihren Teilen verbindlich. Sind sie an bestimmte Adressaten gerichtet, so sind sie nur für diese verbindlich. Sie wirken damit im Einzelfall. Adressaten können sowohl Mitgliedstaaten als auch (natürliche und juristische) Personen innerhalb der Union sein.

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Empfehlungen und Stellungnahmen sind nicht verbindlich. Sie begründen für ihre Adressaten keine Rechte und Pflichten. Innerstaatliche Gerichte sind jedoch verpflichtet, Empfehlungen bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn sie Aufschluss über die Auslegung von zu ihrer Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften geben oder wenn sie verbindliche Vorschriften der Union ergänzen sollen.[21]

c) Vorrang und Vollzug des Unionsrechts

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Das Unionsrecht genießt umfassenden Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten. Dabei handelt es sich um einen Anwendungsvorrang. Alle staatlichen Stellen, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden haben, sind gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede, auch spätere, entgegenstehende Bestimmung nationalen Rechts unangewendet lässt.[22] Die Begründung dieses Vorrangs ist allerdings umstritten.[23] Nach der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich der Vorrang aus dem Wesen der Union, die mit echten, aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die Union herrührenden Hoheitsrechten ausgestattet ist und damit für die Mitgliedstaaten und ihren Angehörigen verbindlich ist.[24] Während der Verfassungsvertrag noch eine ausdrückliche Festschreibung des Vorrangs des Unionsrechts vorsah, hat der Vertrag von Lissabon von der Übernahme der Bestimmung abgesehen. Allerdings wurde im Rahmen einer Erklärung zum Vertrag von Lissabon auf den Vorrang der Verträge und das von der Union auf Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH hingewiesen.[25]

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Das Unionsrecht wird durch die Union selbst oder durch die Mitgliedstaaten vollzogen. Der direkte Vollzug ist lediglich in wenigen Bereichen, etwa im Wettbewerbsrecht,[26] vorgesehen. Der Regelfall ist vielmehr der indirekte Vollzug durch die Mitgliedstaaten. Sofern das Unionsrecht hierzu keine Vorgaben aufstellt, sind die Form- und Verfahrensvorschriften nach den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu bestimmen. Der Rückgriff auf die nationalen Vorschriften ist jedoch nur in dem zur Durchführung des Unionsrechts erforderlichen Umfang und nur insoweit möglich, als die Anwendung dieser Vorschriften die Tragweite und Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt.[27]

3. Rechtsschutz

a) Zuständigkeiten

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Der Gerichtshof der Europäischen Union sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge (Art. 19 Abs. 1 EUV). Die Zuständigkeiten des EuGH und des EuG werden enumerativ genannt (vgl. Art. 251 ff. AEUV). Dem EuG können Fachgerichte beigeordnet werden, die in besonderen Sachgebieten gerichtliche Zuständigkeiten ausüben (Art. 257 AEUV). Der EuGH vereint letztinstanzliche Zuständigkeiten in allen wesentlichen Rechtszweigen.[28] Gerichte der Mitgliedstaaten haben insoweit keine Kontrollbefugnis.

b) Verfahrensarten

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Die Verträge normieren verschiedene Verfahrensarten. Bei vermuteten Verstößen eines Mitgliedstaates gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen kommt das Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 ff. AEUV) zur Anwendung. Mit der Nichtigkeitsklage (Art. 263 f. AEUV) kann die Rechtmäßigkeit der Gesetzgebungsakte und Handlungen des Rates, der Kommission und der Europäischen Zentralbank und Handlungen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates mit Rechtswirkungen gegenüber Dritten überwacht werden. Bei die Verträge verletzender Untätigkeit des europäischen Parlaments, des Europäischen Rates, des Rates, der Kommission oder der Europäische Zentralbank kann Untätigkeitsklage (Art. 265 f. AEUV) erhoben werden. Das Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) kommt zur Anwendung, wenn im Wege der Vorlage von Gerichten der Mitgliedstaaten über Fragen der Auslegung der Verträge und Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union zu entscheiden ist.[29] Unterinstanzliche Gerichte sind zur Vorlage berechtigt, Gerichte, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, sind zur Vorlage verpflichtet (Art. 267 AEUV).

3. Kapitel Europäisches Gesundheitsrecht › B. Gesundheitsrecht in der Europäischen Union › III. Politiken und Maßnahmen der Union mit Bezug zum Gesundheitsrecht

III. Politiken und Maßnahmen der Union mit Bezug zum Gesundheitsrecht
1. Warenverkehrsfreiheit

a) Grundlagen

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Kernaufgabe der Union ist die Schaffung und Gewährleistung eines Binnenmarktes. Dieser umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist (Art. 26 Abs. 2 AEUV). Dies sind die vier Grundfreiheiten der Union. Die Warenverkehrsfreiheit gilt für Waren, die aus den Mitgliedstaaten stammen sowie für Waren aus Drittländen, die sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden (Art. 28 Abs. 2, 29 AEUV). Sie umfasst mehrere Instrumente. Dazu zählen neben der Schaffung einer Zollunion (Art. 28 Abs. 1, 30–32 AEUV) vor allem das Verbot von mengenmäßigen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und von Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 34, 35 AEUV).

b) Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen

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Eine Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen ist nach der durch den EuGH entwickelten Dassonville-Formel[30] jede Maßnahme der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den Handel innerhalb der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Die Keck-Formel[31] schränkt diesen weiten Anwendungsbereich jedoch für einen Teilbereich wieder ein. So ist die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Im Gegensatz zu Produktmodalitäten wie Bezeichnung, Form, Etikettierung oder Verpackung einer Ware betreffen Verkaufsmodalitäten die Preise, Werbung, Verkaufsorte und Verkaufszeiten.

So ist Art. 34 AEUV unter Berücksichtigung der Keck-Formel nicht anwendbar auf eine von der Apothekerkammer eines Mitgliedstaats erlassene Standesregel, die den Apothekern die Werbung außerhalb der Apotheke für apothekenübliche Waren unabhängig von der Herkunft der betreffenden Ware verbietet (Rs. Hünermund u.a.).[32]

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Eine Rechtfertigung kann sich jedoch aus Art. 36 AEUV ergeben. Hiernach stehen die Bestimmungen der Art. 34 und 35 AEUV Verboten oder Beschränkungen nicht entgegen, die unter anderem aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.

So ist ein nationales Verbot der Werbung für Arzneimittel, die im Inland trotz grundsätzlich bestehender Zulassungspflicht nicht zugelassen sind, die aber aus einem anderen Mitgliedstaat auf Einzelbestellung importiert werden dürfen, sofern sie bereits dort zulässigerweise in den Verkehr gebracht wurden, nach Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt (Rs. Ortscheit).[33]

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Für unterschiedslos für einheimische wie für eingeführte Erzeugnisse geltende Regelungen ergibt sich eine weitere Rechtfertigungsmöglichkeit aus der durch den EuGH entwickelten Cassis-Formel.[34] Hiernach sind Hemmnisse, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen ergeben, gerechtfertigt, wenn sie notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses, unter anderem des Schutzes der öffentlichen Gesundheit[35] sowie des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit, gerecht zu werden, wobei die Regelung in einem angemessenem Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen muss.

Entsprechend kann eine nationale Bestimmung, die den Verkauf von Kontaktlinsen in Handelsbetrieben verbietet, die nicht von Personen geleitet oder geführt werden, die die für die Ausübung des Berufes des Augenoptikers erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt sein (Rs. Laboratoire de prothèses oculaires).[36]

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Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH[37] obliegt es den zuständigen nationalen Behörden, auf fundierter Grundlage[38] nachzuweisen, dass ihre Regelung erforderlich ist, um eines oder mehrere der in Art. 36 AEUV erwähnten Ziele zu erreichen oder zwingenden Erfordernissen zu genügen, und gegebenenfalls, dass das Inverkehrbringen der betreffenden Waren eine ernsthafte Gefahr darstellt, sowie, dass diese Regelung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Ein Rückgriff auf die Rechtfertigung ist jedoch nicht möglich, sofern Richtlinien der Union bereits entsprechende Maßnahmen auf diesem Gebiet vorsehen.[39]