Kitabı oku: «Der Psychocoach 8: Zu viel Erziehung schadet!»
Wichtiger Hinweis für E-Book-Leser Dem E-Book liegt – im Gegensatz zum gedruckten Psychocoach-Ratgeber – aus technischen Gründen keine Starthilfe-CD bei. Die Audio-CDs mit den entsprechenden Coaching-Programmen von Andreas Winter können jedoch einzeln als Downloads erworben werden. Weitere Informationen und Bestellmöglichkeit: www.mankau-verlag.de
Andreas Winter
Zu viel Erziehung
schadet!
Wie Sie Ihre Kinder
stressfrei begleiten
Mit Starthilfe-CD
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Andreas Winter
Zu viel Erziehung schadet!
Wie Sie Ihre Kinder stressfrei begleiten
ISBN 978-3-938396-79-7
(Druckausgabe: ISBN 978-3-938396-36-0, 1. Auflage 2010)
Mankau Verlag GmbH
Postfach 13 22, D - 82413 Murnau a. Staffelsee
Im Netz: www.mankau-verlag.de
Internetforum: www.mankau-verlag.de/forum
Lektorat: Ulrich Nigge, Lünen
Endkorrektorat: Dr. Thomas Wolf, MetaLexis
Gestaltung Umschlag: Hilden-Design, München
Gestaltung Innenteil: Heike Brückner, Grafikstudio, Regensburg
E-Book: Satzweiss.com Print Web Software GmbH
Hinweis des Verlags
Der Autor hat bei der Erstellung dieses Buches Informationen und Ratschläge mit Sorgfalt recherchiert und geprüft, dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr; Verlag und Autor können keinerlei Haftung für etwaige Schäden oder Nachteile übernehmen, die sich aus der praktischen Umsetzung der in diesem Buch dargestellten Inhalte ergeben. Bitte respektieren Sie die Grenzen der Selbstbehandlung und suchen Sie bei Erkrankungen einen erfahrenen Arzt, Psychologen oder Heilpraktiker auf.
Inhalt
Vorbemerkung: Wozu und für wen ist dieses Buch? | 9 |
I. Einführung | 13 |
Kann man Erziehung rückgängig machen? | 15 |
II. Menschenkenntnis | 19 |
Was ist das Bestreben des Menschen? | 24 |
Grundpersönlichkeit und Charakter | 26 |
Ihr Einfluss beginnt im Mutterleib | 28 |
Tierkreiszeichen – festgelegte Persönlichkeitsmerkmale? | 31 |
Erworben und veränderbar: Der Charakter | 46 |
Konditionierungen und Verhaltensmuster | 49 |
Suggestionen – Trojanische Pferde im Kopf | 55 |
III. Erziehung | 59 |
Die Jugend von heute | 59 |
Was ist Erziehung? | 61 |
Die „Eimerkette“ der kulturellen Altlasten | 66 |
Sie programmieren Seelen! | 69 |
Der größte Feind Ihrer Kinder sind Sie selbst! | 71 |
Auch „liebe“ Eltern können schaden | 74 |
Die Motivationsfalle: Belohnung macht abhängig! | 80 |
„Kevinismus“ oder: Nomen est Omen | 83 |
Erziehungsfaktor Geschwisterkonstellation | 88 |
Psycho-Test: Sind Sie ein gutes Vorbild? | 95 |
IV. Stressfrei begleiten und fördern | 101 |
Neue Erziehungsziele | 102 |
1) Erwachsensein – mündig und verantwortlich | 102 |
2) Kontextuelles Denken | 104 |
3) Risikobereitschaft – Angstfreiheit – Selbstsicherheit | 108 |
4) Frieden und Respekt | 110 |
Reinlichkeitserziehung | 113 |
Sexualerziehung | 115 |
Vorsicht Falle: Geschlechterrollenerziehung | 118 |
Glaubenserziehung | 121 |
Lügende Kinder – wenn die Wahrheit zum Nachteil wird | 123 |
„Der oberste Richter“ ... und wie man ihn wieder loswird! | 127 |
Familie ist eine Burg | 129 |
DOs and DON’Ts der Erziehung | 132 |
Einfach mal cool bleiben | 138 |
Gesundheitserziehung | 141 |
Erkältung – Aberglaube aus der Kindheit | 142 |
Belohnen Sie Ihre Kinder nicht fürs Kranksein | 146 |
Essen, Naschen und Rauchen | 148 |
Finanz- und Erfolgserziehung | 153 |
Den eigenen Eltern verzeihen | 158 |
V. Live aus der Praxis | 161 |
Schülercoaching | 161 |
ADHS – Zu gewollt ist auch daneben | 171 |
Burnout-Syndrom: Sich brav halbtot arbeiten | 175 |
Allergie gegen den eigenen Vater II | 178 |
Erziehungsfolge Krebs | 184 |
VI. Kindergeschichten | 189 |
Andreas Winter: Der kleine Bach | 190 |
Karin Fischer: Ella und Lisa oder: Wir ernten, was wir säen | 197 |
Ricardo Steding: Marie Mäuschen ist krank | 200 |
Bernhard Reicher: Grashalm und Eiche | 203 |
Nachwort | 209 |
Danksagung | 211 |
Ausbildung zum Gesundheitsberater | 212 |
Weitere Bücher aus der Reihe „Der Psychocoach“ | 213 |
Vorbemerkung
Wozu und für wen ist dieses Buch?
Dieses Buch ist kein Erziehungsratgeber! Sie bekommen von mir keine Tipps, keine Ratschläge und keinen Leitfaden, um Kinder zu erziehen. Vielmehr möchte ich aufdecken, wie Erziehung funktioniert und welche unbewussten Einflüsse das Eltern-Kind-Verhältnis beeinträchtigen können; zudem will ich Ihnen eine Hilfestellung geben, damit Sie von Ihren Kindern als „Entwicklungshelfer“ und nicht als „Problemerzeuger“ wahrgenommen werden.
Meine Buchreihe „Der Psychocoach“ behandelt Themen der Bereiche Gesundheit und Verhalten aus tiefenpsychologischer Sicht. Sie zeigt Ihnen Aspekte des Lebens, die Ihnen vielleicht zunächst etwas fremd vorkommen mögen. Daher hoffe ich, Andreas Winter, auf Ihre vorbehaltlose wissenschaftliche Offenheit und Neugier. Es wird manchmal ein unbequemes Lesen, und Sie werden womöglich im Anschluss Ihre eigenen Eltern in einem völlig anderen Licht sehen. Ich werde Ihnen in diesem Buch eine Menge abverlangen, doch es lohnt sich!
In meinem Institut Powerscout Wellness Coaching arbeite ich mit Analysen und Reflexionen, um unterbewusstes Verhalten und Empfinden bewusst zu machen. Diese Arbeit ermöglicht es unseren Kunden aus der ganzen Welt, sich aus schädlichen Verhaltensmustern und damit sogar von körperlichen Symptomen zu befreien. Uns suchen Menschen auf, die wissen, dass Tabletten, Skalpelle und monatelanges Drumherumreden nicht die Ursachen einer Störung beheben, sondern nur vorübergehend deren Symptome.
Nun gehört es in unserem Kulturkreis noch immer nicht zum selbstverständlichen Allgemeinwissen, dass es unterbewusste Gedanken gibt, die im Grunde unseren verborgenen Bedürfnissen und Glaubenssätzen entsprechen und unser Verhalten steuern. Wir erkennen oftmals nicht unsere Entscheidungsfreiheit und damit unsere eigene Verantwortung für unser Leben. Sondern wir neigen viel eher dazu, uns über unser Verhalten zu ärgern, uns dafür zu schämen, andere oder sogar uns selbst zu hassen, anstatt dieses Verhalten einfach zu ergründen und gegebenenfalls entsprechend zu ändern. Doch spätestens dann, wenn unsere eigenen Gedanken nicht nur uns selbst, sondern sogar anderen schaden, sollten wir die Gelegenheit ergreifen, unseren geistigen Horizont zu erweitern und die problematische Lebensweise damit zu regulieren. Hierfür braucht man übrigens weder Disziplin noch gute Vorsätze, sondern lediglich ein paar Erkenntnisse.
Am Ende des Buches finden Sie eine rund 30-minütige Audio-CD, die Ihnen hilft, das Gelesene auf emotionaler Ebene nachzuvollziehen, damit Sie es im Alltag auch umsetzen können. Diese CD enthält ein Coachingprogramm. Ich verwende darin keine Suggestionen oder Informationen unterhalb der bewusst hörbaren Wahrnehmung (Subliminals), sondern arbeite einzig mit Ihrem wachen Verstand und Ihrer Vorstellungskraft. Hören Sie sich diese CD nach der Lektüre des Buches ganz bewusst an. Stellen Sie sich idealerweise dabei vor, ich würde tatsächlich mit Ihnen reden und Ihnen Fragen stellen, auf die Sie mir hörbar antworten. So erzeugen Sie den größtmöglichen Effekt an Bewusstmachung – ähnlich einem Coaching-Gespräch.
Dieses Buch richtet sich einerseits an Menschen, die noch Eltern werden wollen, andererseits an „praktizierende“ Eltern, in jedem Falle aber auch an Menschen, die einmal Eltern hatten, also an Sie alle. Ich möchte Sie zum Nachdenken anregen und zum Verstehen Ihrer eigenen Eltern einladen, weil ich glaube, dass die meisten Konflikte auf Missverständnisse zurückzuführen sind. Ich bin wirklich ganz fest der Ansicht, dass Menschen, die sich der Aufgabe des Elternseins stellen, größten Respekt verdienen; und Menschen, die sich durch diese Aufgabe überfordert fühlen, sollten eine Chance zur Vergebung bekommen. In diesem Buch, in meinen Coachings, Seminaren und Vorträgen versuche ich stets, beide Seiten einer Medaille zu beleuchten, weil ich denke, dass es keine absolute Wahrheit gibt, sondern nur Standpunkte. Die Sichtweisen und Argumente der Kinder zu verdeutlichen und transparent zu machen, ist die Aufgabe, der ich mich hier stellen möchte.
Ich benutze teilweise eine recht schonungslose Ausdrucksweise, um verborgene oder verdrängte Themen zu verdeutlichen. Ich versichere Ihnen jedoch, dass ich dabei stets respektvoll und sachlich zu Ihnen sprechen möchte.
I. Einführung
Zu viel Erziehung schadet? In Anbetracht steigender Jugendkriminalität und erschreckender Zahlen bei Schulversagern und Jugendarbeitslosigkeit erscheint das zunächst paradox. Ist es denn nicht so, dass gerade deswegen, weil Eltern ihre Erziehungsaufgaben nicht wahrnehmen, der Nachwuchs keinen Bezug zu den Normen und Werten dieser Gesellschaft entwickelt? Geraten nicht Anstand und Ordnung in Vergessenheit, weil Eltern sich nicht ihrer Erziehungsverantwortung bewusst sind? Resultieren daraus nicht die gesamten Probleme unserer Gesellschaft? Müssten sich Eltern nicht sogar noch viel mehr erzieherisch engagieren, lenkend einbringen und um ihre Kinder kümmern?
Ich sage: Nein! Es sind oftmals gerade diejenigen Eltern, die mit ihrer eigenen Unreife und ihrem eigenen Unvermögen, ein positives Vorbild zu vermitteln, den Kindern das konfliktfreie Leben in unserer Gesellschaft erschweren. Überforderte und unsichere Eltern bewirken oftmals genau das Gegenteil von dem, was Erziehung eigentlich leisten sollte: Verantwortungsbewusstsein, Sozialkompetenz, eigenständiges und kreatives Handeln sowie Denken, Konfliktfähigkeit, Sachkompetenz und mehr. Doch ganz ehrlich: Von wem sollen Kinder das lernen? Wie viele Menschen kennen Sie, die ein optimales Beispiel für ein glückliches, zufriedenes Leben mit Erfolg, Gesundheit und Wohlstand abgeben und zudem auch noch die Kompetenz besitzen, dieses Denken vorbildhaft an ihren Nachwuchs zu vermitteln? Solche Menschen sind – nicht nur hierzulande – dünn gesät. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Kinder von ihren Eltern eher lernen können, wie man sich ein Leben lang unzulänglich, abhängig und bevormundet fühlt. Die Folge: fehlendes Verantwortungsbewusstsein, unangepasstes Sozialverhalten, chronische Krankheiten, dauerhafte Konflikte und Erfolglosigkeit. Wer nicht weiß, wie man glücklich, zufrieden und gesund lebt, wer glaubt, das Leben sei ein harter Kampf, der wird seinen Kindern nicht glaubwürdig ein positiveres Bild vermitteln können.
Erziehen ist Elternsache: Aber sinnvoll ist dies nur, wenn Eltern wirklich wissen, was Kinder zu erfolgreichen Erwachsenen macht, und dies zudem vermitteln können. Hinzu kommt, dass unsere Welt sich in einem rasanten Wandel befindet. Die Normen und Werte, mit denen die Generation der 1940er Jahre aufwuchs, sind für die kommenden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts oftmals veraltet und damit wertlos. Angepasst und unauffällig sein, sich zurückhalten und kritiklos Widerspruch hinnehmen – damit werden die Menschen der Zukunft wahrscheinlich weder glückliche Partnerschaften noch glanzvolle berufliche Karrieren haben, geschweige denn für andere Menschen unersetzlich und gesellschaftlich wertvoll werden. Doch die Eltern der Gegenwart sind von ihren eigenen Eltern mit genau diesen überkommenen Werten versehen worden. Deren Denken und Verhalten bezog sich auf die Normen vorangegangener Generationen – entweder mit Anpassung, Trotz oder mit Orientierungslosigkeit. Genauso wird es dann wiederum den Kindern gehen und so weiter.
Der Weg zu glücklichen, erfolgreichen und gesunden Kindern führt also über Sie selbst:
Befreien Sie sich zunächst von den schädlichen Spätfolgen der eigenen Erziehung und lernen Sie danach, wie man seinen Nachwuchs derart fördert und begleitet, dass es diesem mindestens genauso gut ergeht wie Ihnen selbst. Wie das funktioniert und dass dies möglich ist, ist die ungewöhnliche Botschaft dieses Buches.
Kann man Erziehung rückgängig machen?
Ich bin Diplom-Pädagoge. Seit mehr als 24 Jahren helfe ich Menschen mit scheinbar unlösbaren Verhaltensproblemen, davon zehn Jahre lang in meinem Beruf als Gesundheits-, Erziehungs- und Konfliktberater. In unser Institut kommen Männer und Frauen mit Stress- und Überforderungssymptomen, Ängsten und Depressionen, Übergewicht, Nikotin-, Alkohol- und Drogenproblemen, Straffälligkeiten, Finanz- und Partnerschaftskrisen, chronischen Krankheiten und Psychosen – allesamt auf der Suche nach einem Ausweg. Ich begleite Schüler auf dem Weg zum Beruf und Erwachsene durch die Midlife-Crisis. Selbst Senioren und Greisen konnte ich dazu verhelfen, ihre verloren geglaubte Lebensqualität wiederzuentdecken. Mehr als mein halbes Leben lang beschäftige ich mich mit der Frage: Wie kommt es eigentlich dazu, dass diese Menschen – alle durchweg intelligent und gebildet – solche Leidenswege gehen mussten?
Die traurige Antwort lautet fast immer: Oft ist es nicht etwa ein Schlag auf den Kopf, eine schwere Krankheit oder ein Unfall, der die Menschen in Lebenskrisen bringt. Es sind traumatische Erfahrungen mit den eigenen Eltern, die denen meist noch nicht einmal bewusst waren.
Die Lösung ist gottlob auch fast immer die gleiche: „emotional abnabeln“, die Eltern aus der Elternrolle entlassen, seine eigene Mündigkeit spüren und sich zudem bewusst machen, dass ein Kindheitstrauma natürlich auch keine Entschuldigung für ein unglückliches Leben ist.
Ich beschäftige mich also im ganz konkreten Sinne mit der Erziehung von Menschen jeden Alters, wenn Sie so wollen. Genauer gesagt, mache ich mit tiefenpsychologischen Methoden „rückgängig“, was die eigenen Eltern ihren nun erwachsenen Sprösslingen versehentlich angetan haben („Reframing“ – abgeleitet vom englischen „frame“ = Rahmen – nennt man diese Technik, mit welcher uralte Gefühlserinnerungen unschädlich gemacht und durch eine andere Sichtweise mit einem „neuen Rahmen“ versehen werden können). Wenn diese Erziehungsfolgen aufgelöst sind, die Menschen von ihren unterbewussten Verhaltensmustern befreit sind und das Selbstvertrauen wieder repariert ist, verändert sich schlagartig, innerhalb weniger Wochen das gesamte Leben zum Positiven. Partnerschaften funktionieren wieder, berufliche Chancen offenbaren sich, die körperliche Gesundheit kehrt zurück und somit die gesamte Lebensqualität. Das, was Eltern eigentlich von vornherein für ihr Kind wollten, wird dann endlich wahr: ein Leben als zufriedener und erfolgreicher Mensch.
Vorab: Ich selbst habe keine eigenen leiblichen Kinder, habe aber eine 11-jährige Ziehtochter. Meine „Studienobjekte“ in punkto Erziehung sind meine vielen erwachsenen Kunden. Daher kann ich Ihnen keine Tipps geben, sondern nur Transparenz schaffen, wie elterliches Verhalten Kindern auch noch im reifen Erwachsenenalter nachhängt. Ich untersuche bei meinen Kunden stets die frühkindlichen Abschnitte ihrer Biografie, um an Traumatisierungen heranzukommen. Viel zu oft, eigentlich so gut wie immer, finden wir in der Kindheit einschneidende Erlebnisse von zu starker Bevormundung, fehlendem Vertrauen und Überforderungen seitens der Eltern. Daher liegt der Schluss sehr nahe, dass ein Zuviel an Erziehung schadet. In den Coaching-Sitzungen führen wir die Menschen in ihrer Erinnerung zurück zum Ursprung ihrer heutigen Probleme. Unterbewusstes aus alten Kindertagen wird dabei zu Tage befördert und teilweise so nacherlebt, als sei es aktuell geschehen. Alte Gefühle brechen oft wieder auf und sogar gestandene, erwachsene Männer weinen dabei genau wie einst, als sie noch kleine, missverstandene Jungen waren. Daher weiß ich gut, wie Kinder fühlen und denken. Leider verdrängen viele Menschen, wie sie sich selbst als Kind gefühlt haben. Das mag vielleicht daran liegen, dass man uns allen oftmals das Gefühl gibt, kindliches Verhalten wäre wertlos und wir müssten uns davon distanzieren, was dann zu Konflikten führen kann.
Das Gegenteil ist der Fall: Wir können von Kindern lernen, wie man als Mensch glücklich und erfolgreich wird und dabei gesund bleibt. Kinder haben uns – die wir glauben, sie erziehen zu müssen – genau das voraus: das Wissen, wie man stressfrei immer reifer wird. Begleiten wir sie doch dabei.
II. Menschenkenntnis
Erinnern wir uns also gemeinsam daran, was wir einmal waren: ein ganz normaler Mensch mit all seinen Emotionen und Bedürfnissen. Es gibt uns als Gattung der Hominiden nun seit über sechs Millionen Jahren und als Spezies seit etwa 200.000 Jahren. Seit rund 10.000 Jahren haben sich Körperbau und Erbanlagen nicht nennenswert verändert. Wir Menschen sind die wohl hand-lungsfähigste Spezies auf der ganzen Erde, denn dank des aufrechten Ganges haben wir die Hände frei – und an diesen je einen Daumen, den wir den anderen Fingern gegenüberstellen können. Somit sind wir in der Lage, sehr differenziert zu greifen. Unser hochkomplexes Sprach- und Mitteilungsvermögen ermöglicht uns eine sehr vielschichtige Kommunikation, die weit über die aktuellen Befindlichkeitswahrnehmungen hinausgeht. Tierische Kommunikation ist auf aktuelle Anlässe begrenzt. Philosophieren, strategisches Lügen, prognostisches Kommunizieren und das Schwelgen in Erinnerungen scheinen nur uns Menschen vorbehalten zu sein. Wir können – wahrscheinlich als einzige Art – auf die sofortige Befriedigung unserer Bedürfnisse verzichten, zugunsten eines späteren, höheren Zieles. Das macht uns zu den wohl einzigen Geschöpfen auf der Erde, die aktiv Frieden herstellen können. Ich wiederhole das, weil es vielleicht etwas ungewöhnlich erscheint:
Wir Menschen mögen vielleicht über die ausgefeiltesten Kriegstechniken verfügen und können den Planeten tausendfach in die Luft sprengen. Aber wir, der Homo sapiens, haben als einzige Art durch Vorausschau auf die Zukunft (Antizipation) und Einfühlung in die Beweggründe des anderen (Empathie) die Fähigkeit, Feindschaft zu beenden, auf Kampf zu verzichten und aktiv Frieden zu schließen.
Dass wir diese Fähigkeiten noch nicht sämtlich nutzen, hat vermutlich denselben Grund wie die Tatsache, dass wir nicht alle Klavier spielen, mathematische Gleichungen ausrechnen oder sechs Fremdsprachen sprechen: Wir wissen gar nicht, dass wir das können, weil niemand diese Fähigkeiten in uns geweckt und kultiviert hat. Aber eigentlich können wir praktisch alles, was wir uns vornehmen. Zu diesem Zweck haben wir ein unglaublich leistungsfähiges Gehirn – einen „Hochleistungs-Großrechner aus Wasser“. Es kümmert sich um sämtliche Zellen und Funktionsvorgänge im Körper und schläft nie! Dennoch ist das Gehirn der am meisten unterschätzte Körperteil. Es ist unsere Kommandozentrale und kann alles veranlassen, was wir für möglich halten. Dies geschieht mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit, die jeden noch so leistungsfähigen PC um das X-Tausendfache übertrifft. Daher können wir innerhalb von Sekundenbruchteilen herausfinden, ob uns ein Mensch bekannt vorkommt, sympathisch erscheint und wir seine Stimme mögen. Das schafft kein Computer – aber sogar ein Kind kann dies mühelos.
Ebenso unvorstellbar hoch wie seine Rechenleistung ist die Speicherkapazität des menschlichen Gehirns. Auf CD-ROM gebrannt würden diese Daten einen Turm von rund 6,8 Millionen CDs mit 16 Kilometern Höhe und einem Gewicht von mehr als 1,2 Tonnen ergeben. Hinzu kommt, dass unser Gehirn vermutlich noch nicht einmal das einzige menschliche Datenverarbeitungsorgan ist. Nicht nur, dass unser gesamter Magen-Darmtrakt von einem Nervengeflecht umhüllt ist und seine eigenen Verdauungsregeln erstellt – sogar unser Herz, so glauben Neurobiologen, arbeitet autonom und kann in gewissem Rahmen „Entscheidungen“ zur Regulierung des Organismus fällen. Aber um Ihnen auch den allerneuesten Stand der Hirnforschung mitzuteilen: Wahrscheinlich ist unser Gehirn sogar in der Lage, auch ohne die Hilfe unserer Sinnesorgane Informationen „einzufangen“. Das bedeutet nichts anderes, als dass wir alle die Fähigkeit zur Wahrnehmung des physikalisch noch nicht Messbaren haben. Orientierung im Dunkeln oder das Registrieren von Gefahr gehören genauso dazu wie auch Vorahnungen von Tod oder Krankheit von Verwandten. Auch das Erdmagnetfeld wird vom Menschen unbewusst erspürt. Ob wir diese Fähigkeiten nutzen und trainieren, hängt selbstverständlich von Glauben, Kultur, Förderung, Interesse und Selbstsicherheit ab.
Es heißt, mit seinen Nervenzellen sei das Gehirn fähig, mehr Schaltstellen zu bilden, als Atome im Weltall sind, also fast unendlich viele. Bei jeder einzelnen gedanklichen Aktivität verschaltet unser Gehirn immerzu weitere neuronale Zellen. Hierdurch wird Denken und Lernen erst möglich. Über den genauen Grund für diese Verschaltungen herrscht in der Wissenschaft noch tiefe Dunkelheit. So gilt derzeit noch als unerklärlich, warum nicht alle Nervenzellen in einer Kettenreaktion plötzlich zusammenklumpen. Was „dosiert“ die Verschaltungen? Warum verbinden sich unsere Gehirnzellen nur unter bestimmten Umständen? Warum lernen wir nicht alle Wörter dieses Buches inklusive Seitenzahlen auswendig, so wie ein Computer es könnte? Die Antwort darauf bekommen wir, wenn wir davon ausgehen, dass ein Mensch das Bestreben nach Verwirklichung seiner eigenen Absicht, gemäß seiner Persönlichkeit hat: Die individuelle Bedeutung ist die Erklärung. Warum soll jemand die einzelnen Wörter auswendig lernen, wenn ihm dies keinen Verwirklichungsvorteil bringt? Was das Gehirn beim Lesen verschaltet, ist der Sinn eines Buches. So erlernen wir beispielsweise unsere Muttersprache wesentlich leichter und schneller als eine Fremdsprache, weil wir von unseren Eltern verstanden werden wollen. „Relevanz“ oder auch „Interesse“ heißt also dieser Filter des Bewusstseins.
Wenn Sie einem Kind etwas beibringen wollen, so muss es darin, dass es lernt, einen spürbaren Vorteil erkennen.
Was dieses Wunderwerk Gehirn noch so alles kann, habe ich in einigen meiner früheren Bücher ausführlicher beschrieben. Halten wir nur fest: Ein Mensch ist nicht dumm – im Gegenteil, er ist unglaublich lern- und speicherfähig. Er behält sein Leben lang alles Gelernte – und wenn er einen Fehler macht, so hat das immer einen Grund.
Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Ein Kind macht sich morgens fertig für die Schule. Es hat etwas verschlafen und ist somit spät dran. In hektischer Eile rennt es los und bemerkt erst kurz vor dem Eintreffen am Schulgebäude, dass es seinen Turnbeutel vergessen hat. Da in der ersten Stunde Sport unterrichtet wird, muss es nun noch einmal zurücklaufen und ist somit noch später im Unterricht. Das Vergessen des Beutels ist also scheinbar ein dummer Fehler. Doch diese Fehl-leistung kommt dadurch zustande, dass offenbar ein anderer Gedanke seinen „emotionalen Hauptspeicher“ blockiert hat, etwa die Ausrede, warum es zum wiederholten Male zu spät zur Schule kommt. Die Angst vor einem Urteil, vor Kritik und Zurückweisung, also vor der Einschränkung seiner Verwirklichungsabsicht, blockiert rationales Verhalten.
Unser Gehirn macht nicht nur keine Fehler und arbeitet Aufgaben in der Reihenfolge der Wichtigkeit ab, sondern es legt auch diese Reihenfolge nach der emotionalen Bedeutung fest. Wir vergessen, wenn wir das Haus verlassen, vielleicht den Turnbeutel, ja sogar den Haustürschlüssel, aber niemals unsere Kleidung – zu wichtig erscheint es uns, auf der Straße bekleidet zu ein, als dass wir darauf verzichten würden, selbst wenn wir es sehr eilig haben. Nur wenn beispielsweise das Haus brennt, ist die Rettung des eigenen Leben so wichtig, dass wir auf den Großteil der Kleidung bewusst oder in Panik verzichten – sie aber im eigentlichen Sinne nicht vergessen. Was nun die größte emotionale Bedeutung hat, richtet sich danach, ob das aus den Gedanken und Gefühlen resultierende Verhalten uns in unserer Absicht, unserem Bestreben weiterbringt oder blockiert. Blockaden meiden wir nach Möglichkeit.
Jegliches Verhalten folgt auf ein vorhergehendes Ereignis, ist somit erklärbar und zu verantworten – alles, was ein Mensch tut, hat immer einen Grund. Ihr Kind vergisst nichts. Es interessiert sich nur deswegen nicht für bestimmte Dinge, weil es entweder deren Bedeutung nicht erfasst oder sie aus Angst verdrängt. Wie schon gesagt, sicher sind Sie noch nie unbekleidet auf die Straße gegangen; wahrscheinlich haben Sie auch noch nie versehentlich Ihren Vornamen mit einem anderen verwechselt. Daran sehen Sie, dass die wirklich wichtigen Dinge vom Gehirn nicht überlagert werden, sondern nur Dinge von Relevanz zweiter Ordnung.
Doch was ist wichtig? Wonach richtet sich unser Verhalten aus?