Kitabı oku: «Zucker im Tank»

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Vom gleichen Autor sind erhältlich:

Buch 014 Wespennest

Buch 018 Böser Clown

E-book 057 Zucker im Tank

Erste Auflage 01.04.2020

© Saphir im Stahl

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Jessica Mohring

Lektorat: Anke Brandt

eISBN: 978-3-96286-022-6

Andreas Zwengel

Zucker im Tank


Inhalt

SAMSTAG

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

SONNTAG

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

SONNTAGABEND

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Leseprobe

SAMSTAG
Kapitel Eins

Der Vormittag, an dem Hellmuth Ziegler zuerst seine Jungs, dann seinen Stolz und schließlich fast den Verstand verlor, begann mit einem Feueralarm. Er war im Grunde genommen nichts Ungewöhnliches nach dem heißen und trockenen Sommer, den die ganze Gegend durchlebt hatte. Ein winziger Funke hätte ausgereicht, um die ausgedörrten Felder und Wiesen der Umgebung in ein Flammenmeer zu verwandeln. Die Bauern patrouillierten unruhig um ihre Felder, warteten darauf, die Ernte einholen zu können, und verprügelten Jugendliche, die sie beim Grillen erwischten. Forstaufseher waren ständig im Einsatz und ermahnten Wanderer, die achtlos ihre Kippen wegwarfen. Die ganze Gegend war in Alarmbereitschaft gewesen, und die Gemüter der Menschen ebenso erhitzt wie das Getreide, das sich langsam zur Erde neigte.

Ziegler hatte die ganze Zeit über einen kühlen Kopf bewahrt und sich nicht von der allgemeinen Hysterie anstecken lassen. Er blieb wachsam, aber besonnen. Der Juli wechselte zum August und erst, als sich auch dieser dem Ende näherte, erlaubte er es sich, etwas zu entspannen.

Der Feueralarm an diesem Tag ließ alle Bewohner des Ortes zusammenzucken. Alle, außer Ziegler. Die Jahre bei der Betriebsfeuerwehr eines Chemiekonzerns und zwei gescheiterte Ehen hatten sein Blut gekühlt. Noch bevor die Sirene verhallt war, öffnete er das Garagentor der Feuerwache und traf erste Vorbereitungen. Kurz darauf rollten die Autos und Fahrräder auf den Hof. Unter seinen Anfeuerungsrufen stürzten die jungen Männer zum Einsatzwagen und legten ihre Ausrüstungen an. Ziegler konnte sich ein gewisses Hochgefühl nicht verkneifen, denn das waren seine Jungs. Er hatte sie zu dem gemacht, was sie heute waren: die Freiwillige Feuerwehr Ginsberg. Er kannte jeden einzelnen seiner Schützlinge von Geburt an und hatte ihnen alles beigebracht: von der Lösch-Theorie über Sicherheits-, Rettungs- und Schadensbegrenzungsmaßnahmen bis hin zu Erster Hilfe und Funkverkehr. Alles, was sie wissen mussten, um erstklassige Arbeit zu erledigen. Sie hantierten mit den Spritzen, Schläuchen und Ventilen, als hätten sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan. Innerhalb kürzester Zeit war der Einsatzwagen abfahrbereit und Ziegler gab das Kommando zum Ausrücken.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren einige Leute stehen geblieben und sahen interessiert zu. Der Löschwagen rollte mit Blaulicht aus der Garage. Ziegler wartete, bis er sich auf seiner Höhe befand, dann sprang er auf das Trittbrett und schwang sich lässig auf den Beifahrersitz. Trotz seiner zweiundfünfzig Jahre befand er sich in bester körperlicher Verfassung und achtete peinlichst genau darauf, immer noch mit seinen Schützlingen mithalten zu können. So lange, bis der Beste unter ihnen bereit war, seinen Posten zu übernehmen.

Der Wagen bog auf die Hauptstraße und ließ seine Sirene heulen. Ältere Menschen nickten ihnen vertrauensvoll zu, die Kinder sahen mit großen Augen und offenen Mündern zu. Vertrauen und Ehrfurcht waren für Ziegler der größte Lohn für seine Arbeit. Die Einwohner von Ginsberg verließen sich darauf, dass er seine Arbeit schnell, zuverlässig und gründlich erledigte, und Ziegler war nicht gewillt, sie zu enttäuschen.

In knappen Worten gab er seinen Jungs erste Instruktionen und informierte sie über den Einsatz: Ein alter Schuppen außerhalb des Dorfes war in Flammen aufgegangen. Der klapprige Holzbau war seit Jahrzehnten ungenutzt, die Besitzer längst verstorben. Es wäre kein Verlust, ihn einfach abbrennen zu lassen. Schon seit Langem hatte sich Ziegler bemüht, ihn zu Übungszwecken benutzen zu dürfen. Bisher war sein Wunsch immer abgelehnt worden, weil die Eigentumsverhältnisse noch ungeklärt seien. Was für ein Quatsch! Trotzdem hatte sich Bürgermeister Garth hartnäckig geweigert, ihm die Erlaubnis zu geben. Ziegler besaß vollstes Verständnis für das Einhalten von Vorschriften, denn alles andere musste unweigerlich ins Chaos führen, aber er war auch der Ansicht, dass man nicht jede Angelegenheit über den gleichen Kamm scheren konnte. Wie auch immer, jetzt bekam Ziegler seinen Übungsplatz, wenn auch auf andere Weise.

Sobald der Löschwagen den Ortsausgang passiert hatte, sahen sie die Feuerstelle. Der Schuppen stand einsam auf der weiten, ebenen Fläche zwischen der Lahn auf der einen Seite und der einzigen Straße nach Ginsberg auf der anderen. Bisher hatten die Flammen nur die Wände erfasst und noch nicht auf das Dach übergegriffen, aber das alte Holz brannte wie Papier. Der Fahrer lenkte den Löschzug auf den Feldweg, der bis an den Schuppen heranführte. Kaum war ihr Fahrzeug zum Stehen gekommen, sprangen Zieglers Jungs heraus und taten das, was sie über viele Jahre hinweg gelernt und trainiert hatten. Das hieß, den Brandherd lokalisieren, die Lage einschätzen und das Ausmaß des bisherigen Schadens feststellen. Selbst wenn es sich nur um eine Lappalie wie diese Bruchbude handelte, wollte er nicht, dass einer seiner Jungs ein Risiko einging. Ziegler hasste Draufgänger, die sich und andere in Gefahr brachten, und jeder in seiner Mannschaft wusste das.

Die Schläuche waren im Handumdrehen verlegt, der Tank des Löschwagens würde für diesen Brand vollkommen ausreichen. Ziegler sah zu, wie seine Jungs die Schläuche schwenkten, um das Wasser gleichmäßig über die ganze Fläche der jeweiligen Wand zu verteilen. Er gab Anweisung, den Druck zu verringern, damit sie den Schuppen nicht umbliesen. Die ganze Aktion lief ab wie ein perfekt choreografiertes Ballett.

Schnell befand sich das Feuer unter Kontrolle. Da das Dach noch eine Weile halten würde, wies Ziegler zwei seiner Jungs an, dichter heranzugehen und sich umzusehen. Das Feuer war an allen vier Wänden gleichzeitig ausgebrochen, was auf Brandstiftung schließen ließ. Es wäre nicht das erste Mal, dass man einen Benzinkanister direkt neben dem Brandherd fand. Ziegler hatte für diese Erkundung Jan Kernstein und Finn Schneider ausgewählt. Beides ausgezeichnete Fußballer und Sprinter, die im Ernstfall schnell die Beine in die Hand nehmen konnten. Sie näherten sich von der Seite, stießen die Tür mit einer Axt auf und verschwanden im Innern des Schuppens. Ziegler war keine Sekunde beunruhigt. Erstens gehörten die beiden zu den Erfahrensten seiner Truppe und zweitens war das Betreten des Schuppens ein kalkulierbares Risiko. Jedenfalls dachte er das so lange, bis plötzlich ein lautes Krachen aus dem Schuppen drang und eine dichte Rauchwolke durch die Tür schoss.

“Was ist da los?“, brüllte Ziegler zu Jens Amsel, der dem Geschehen am nächsten stand.

“Der Boden ist eingekracht!“

“Was für ein Boden? Seit wann hat so ein Schuppen einen Keller?“

“Der hier hat einen.“

Ziegler gab dem Löschkommando ein Zeichen. Sie ließen ihre Schläuche fallen, um ihren Freunden zur Hilfe zu eilen. Andere rückten nach und besetzten die Schläuche neu, obwohl das Feuer so gut wie gelöscht war. Die Rauchentwicklung wurde währenddessen immer stärker und Ziegler verlor seine Jungs zeitweise völlig aus den Augen. Was zum Teufel brannte da bloß noch? Das Ding sollte eigentlich leer sein, sonst hätte er sie niemals ohne Atemschutzgeräte hineingeschickt. Er machte sich keine Vorwürfe, denn hier geschah etwas völlig Unvorhersehbares, für das ihn niemand der Nachlässigkeit beschuldigen konnte. Der einzige Gedanke, der ihn wirklich beschäftigte, war die Sorge um seine Jungs.

Er gab dem Rest der Mannschaft Anweisung, die Schutzmasken anzulegen, und verließ seinen Platz am Wagen, von wo aus er gewöhnlich die ganze Löschaktion dirigierte. Er stieß gegen Noah Bergmann, der wie angewurzelt dastand. Ziegler mochte ihn nicht besonders, da der Junge gerne den Anführer spielte, aber keine der dafür nützlichen Eigenschaften vorweisen konnte. Als Ziegler sich mit schnellen Schritten der Hütte näherte, sah er eine Gestalt durch die Tür taumeln. Es war Finn, der Kapitän der Fußballmannschaft. Er ging ein paar Schritte, dann sank er auf die Knie und kotzte sich die Seele aus dem Leib.

Ziegler war irritiert. Der Rauch war zwar dicht, aber nicht so dicht, um Finns heftige Reaktion zu erklären. Für einen Moment durchzuckte ihn die Befürchtung, dass sich irgendwelche Giftstoffe in der Hütte befanden. Vielleicht hatte jemand den leer stehenden Schuppen genutzt, um billig seinen Sondermüll zu lagern und so die Entsorgungsgebühren zu sparen. Ziegler kniete vor seinem Schützling nieder, als dieser aus dem Stand auf den Hintern fiel. So blieb er sitzen. Sein Oberkörper schwankte leicht hin und her und er präsentierte ein breites Grinsen.

“Was ist passiert?“

“Alles okay“, sagte Finn träge und fixierte einen Punkt etliche Kilometer hinter Ziegler. Der war längst jenseits seiner üblichen Gelassenheit. Er wollte seinen Schützling an den Schultern packen und schütteln, bis er eine vernünftige Antwort bekam, da trat Jan Kernstein aus der Hütte. Er war aus einem völlig anderen Holz geschnitzt als sein Vater, der Geschäftsführer des Autohauses. Nicht gerade übermäßig intelligent, aber zuverlässig und verantwortungsbewusst. Ziegler hielt große Stücke auf ihn und erwartete eine professionelle Einschätzung der Lage. Doch Jan reagierte anders als erwartet. Er ging geradewegs an Ziegler vorüber auf den Einsatzwagen zu, am Einsatzwagen vorbei und zur Straße nach Ginsberg.

“Sind denn hier auf einmal alle verrückt geworden?“, brüllte Ziegler und sprang auf. Das dreiköpfige Rettungsteam kam ihm kichernd aus dem Schuppen entgegen. Der Erste ließ sich direkt vor Ziegler auf den Boden fallen, rekelte sich einen Moment lang und fing an zu schnarchen. Der zweite setzte sich auf ihn und begann, alle Blumen in seiner Umgebung auszureißen. Bevor sich Ziegler von diesem Anblick erholen konnte, baute sich das letzte Mitglied des Rettungsteams direkt vor ihm auf, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und erzählte Blödsinn in seiner reinsten Form.

Zieglers restliche Mannschaft näherte sich mit Atemschutzmasken. Sie hatten den Irrläufer von der Straße geholt, bevor er überfahren werden konnte, und führten ihn an der Hand zurück. Ihr Instinkt riet ihnen, dem Schuppen nicht zu nahe zu kommen. Ziegler war mit seiner Weisheit am Ende. Fassungslos zuckte sein Blick zwischen den fünf Verrückten umher. Da bemerkte er die Wolke, die über die Schulter des Jungen vor ihm kroch, der immer noch munter drauflos quasselte. Was immer in dem Schuppen brannte, es mussten Unmengen davon vorhanden sein. Ziegler war so perplex, dass er vergaß, seine eigene Maske aufzusetzen. Er atmete den süßlichen Duft ein, ohne etwas dagegen tun zu können. Er brannte in seiner Kehle. Ziegler hustete und bewegte seine Arme, als taste er sich durch dichten Nebel. Er wollte weglaufen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Sie fühlten sich genauso taub an wie sein Kopf.

“Ich habe Hunger“, maulte Finn Schneider vom Boden aus. Ziegler sah seine Jungs an, seinen ganzen Stolz. Dann nahm er seinen Helm ab, ließ ihn fallen und ging nach Hause.

Kapitel Zwei

Chloe Garth näherte sich der Gemeindeverwaltung auf dem Beifahrersitz von Villeroys Porsche. Der Sportwagen war wie ein ungezähmtes Wildpferd und hätte sicher noch mehr Eindruck gemacht, wenn am Steuer kein schlaffer Kerl mittleren Alters sitzen würde, der damit seiner Midlife-Crisis davonfahren wollte. Der Anwalt hatte sie nach dem Anruf ihres Vaters abgeholt. In der Eile war ihr keine Zeit geblieben, sich zu schminken, und sie musste das cremefarbene Kostüm vom Vortag anziehen. Vergeblich versuchte sie, den Rocksaum weiter in Richtung Knie zu ziehen, doch das war in den tiefen Sitzen kaum möglich.

Villeroy trommelte mit zwei Fingern vergnügt auf dem Lenkrad herum, während er in die Menschenmenge hineinlenkte. Widerwillig machten die Leute Platz und ließen den Porsche passieren. Villeroy hielt auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude, was ihnen einen kleinen Vorsprung gewährte. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er ganz Ginsberg mit Straßensperren und Stacheldraht abriegeln lassen und anschließend die Jagd eröffnet. Leider hatte sein Einfluss im Ort erheblich gelitten und ohne Garths ausdrückliche Genehmigung durfte er kaum etwas unternehmen. Deshalb konnte er nur noch auf seinen Ruf setzen, ein unerbittlicher Mistkerl zu sein. Die Ereignisse im vergangenen Sommer hatten ihnen allen geschadet.

“Was ist mit der Polizei?“, fragte Chloe, während sie zur Hintertür der Gemeindeverwaltung eilten.

“Die kannst du mir überlassen. Deine Aufgabe ist die Öffentlichkeit.“

Als Chloe das Großraumbüro im Erdgeschoss betrat, ging ein Seufzer der Erleichterung durch die Reihen der Angestellten, ohne dass einer von ihnen seine Arbeit unterbrach. Überall klingelten Telefone, Ginsberger drängten gegen die Empfangstheke und stellten unentwegt Fragen. Hinter ihnen waren weitere Bürger zu sehen, die versuchten, von draußen nachzurücken.

Chloe gab Villeroy einen Wink, und der nickte verstehend. Mit ausgebreiteten Armen ging er auf die Leute zu, die vor ihm zurückwichen. Sie wollten ihrem Ärger Luft machen, aber nicht vor einem Anwalt. Noch dazu einem äußerst klagefreudigen Vertreter dieser Zunft. Sie mussten fürchten, bei ihrem Gepolter etwas zu sagen, wofür er sie im Nachhinein belangen konnte. Als der letzte von ihnen rückwärts über die Türschwelle nach draußen getreten war, schloss Villeroy den Leuten die Tür vor der Nase.

Die vier Angestellten schauten dankbar auf. Silke Beck knallte einen Hörer auf die Gabel, schnaufte kurz und griff nach dem nächsten klingelnden Apparat. Paul Bergmann saß ihr gegenüber und sprach in zwei Hörer gleichzeitig. Alex Tiller zog dreimal schnell an einer Zigarette, ohne die Hand zwischen den Zügen sinken zu lassen, dann sprach er weiter beruhigend in das Telefon.

Chloe stieß einen durchdringenden Pfiff aus und beendete damit alle Gespräche. Erleichtert aufstöhnend legten die drei ihre Hörer auf. “Okay, welche Informationen habt ihr bisher rausgegeben?“

Paul fasste die häufigsten Phrasen zusammen und Chloe nickte zufrieden. Die Tür ging auf und Christine Rüger, die vierte Bürokraft, schlüpfte herein.

“Wer ist draußen?“, fragte Chloe.

“Tageblatt, Kurier, Thea Richler natürlich, jemand von der Neuen Post, den ich nicht kenne, und sogar zwei Mädchen von einer Schülerzeitung. Aber bisher keine überregionale Presse.“

“Was ist mit dem Fernsehen? Haben wir deren Interesse?“

“Keine Ahnung. Nichts zu sehen bis jetzt.“

Chloe zog ihr Handy, scrollte mit dem Daumen über die Adressliste und sprach ein paar Minuten freundlich plaudernd hinein. Ihr Gesicht verfinsterte sich, als sie die Verbindung unterbrach. “Ein Team ist aus Mainz unterwegs, sie sind vor zwanzig Minuten losgefahren. Uns bleibt höchstens noch eine Stunde. Die Öffentlich-Rechtlichen scheinen sich nicht für uns zu interessieren, um die müssen wir uns also keine Sorgen machen.“ Chloe sah aus dem Fenster auf die wachsende Menschenmenge. “Alex, du und Christine, ihr macht den Laden dicht. Sucht den Hausmeister und alle, die nichts zu tun haben. Niemand darf hier rein.“

“Wenn die Leute fragen?“

“Keine Erklärungen, keine Diskussionen, schließt die Eingangstür ab.“ Chloe wandte sich an ihre übrigen Mitarbeiter. “Die nächste Stunde entscheidet, wie wir die Angelegenheit verkaufen können. Wir warten nicht ab, bis sich die Leute da draußen selbst Informationen beschaffen oder auf irgendwelche Gerüchte angewiesen sind. Ruft alle an, die uns gewogen sind oder uns etwas schulden. Letztere zuerst.“

Sie schlüpfte aus der Jacke ihres Kostüms. “Wir brauchen Gegenstimmen. Wen können wir Seriöses aufbieten?“

Paul zuckte mit den Schultern: “Krabbe?“

“Nein, der kann nicht lügen, ohne rot zu werden.“

“Ziegler?“

“Der würde nicht lügen und nach allem, was ich gehört habe, ist er im Moment auch nicht ansprechbar. Wir brauchen außerdem jemanden von der Polizei, der die Sache runterspielt. Er soll die ganze Angelegenheit so weit verharmlosen, wie er es vertreten kann, ohne Ärger zu bekommen. Oder nur so viel Ärger, wie wir uns aus der Portokasse leisten können. Lass dir von Villeroy einen Namen geben.“ Sie wandte sich an Christine. “Ich brauche eine Presseerklärung, die wir draußen verteilen können. Irgendwas Kurzes über unbestätigte Gerüchte und rückhaltlose Aufklärung blablabla, und ich brauche es in fünf Minuten. Wir haben Ruhe, solange die Gemeindevertretung tagt, aber wir müssen etwas in der Hand haben, wenn mein Vater den Leuten gegenübertritt.“

“Wird gemacht“, erklärte Christine stellvertretend für alle Anwesenden. Mit dem Fuß zog sie sich einen Schreibtischstuhl heran, öffnete im Setzen eine neue Datei des Schreibprogramms, und kaum hatte ihr Gewicht die Federn des Stuhls zusammengedrückt, flogen ihre Finger über die Tastatur.

Chloe sah zufrieden, wie ihre Mitarbeiter an der Bewältigung der Krise arbeiteten. Zuvor hatten sie nur auf Aktionen von außen reagiert, aber nun hatte Chloe sie in die richtige Richtung gedreht und losgeschickt.

Viele Leute dort draußen würden ihr genau das zum Vorwurf machen. Dass nichts richtig lief, bevor sie es in die Hand nahm. Chloe wurde seit der Schulzeit hinter ihrem Rücken “Prinzessin“ genannt, galt als hochnäsig und eingebildet. Allerdings nur bei denjenigen, die sich ihr unterlegen und deshalb eingeschüchtert fühlten. Chloe fiel es schwer, dagegen anzukämpfen, denn obwohl sie die erwähnten Attribute nicht für sich in Anspruch nahm, war doch jedem klar, dass sie mit ihren unbestreitbaren Qualitäten nicht richtig in ein kleines beschauliches Dörfchen gehörte. Sie stand am Fenster, hatte den linken Arm quer über ihren Bauchnabel gelegt und stützte den rechten Ellenbogen darauf, während sie telefonierte. Inzwischen war das, was ohnehin alle wussten, bestätigt worden: Der Schuppen hatte als Versteck für eine bisher unbekannte Menge Hanf gedient. So viel war bekannt, über alles andere konnten sie nur Vermutungen anstellen. Wem gehörte das Zeug? Wer hatte es dort versteckt? Und vor allem, wer hatte es angezündet? Das waren die Fragen, die momentan alle in Ginsberg beschäftigten. Chloe konnte sich natürlich denken, wen die konservative Gemeindevertretung verdächtigen würde. Sie war sicher, dass die Schreihälse im oberen Besprechungsraum noch keinen Schritt weitergekommen waren. Christine hielt ihr einen ersten Entwurf der Presseerklärung entgegen. Sie las ihn durch, kritzelte einige Verbesserungen dazu und gab ihn zurück.

Als sie die Treppe nach oben ging, sah sie vom Absatz aus Dieter Mücke vor der Tür stehen und machte kehrt. Chloe interessierte sich nicht für seine neuesten Sorgen, da er ständig einen Vorwand fand, um sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Sie musste sich die meisten Männer in Ginsberg vom Leib halten, darunter auch die Angestellten ihres Vaters. Einige versuchten es auf die schmeichlerische, vorgeblich weltgewandte Tour, andere auf die archaisch-rohe. Sie ließ alle abblitzen. Alle Frauen der Familie Garth kannten diese permanente Umwerbung, aber ihre Stiefmutter und ihre Schwester hatten ihren eigenen Umgang damit gefunden. Erika Garth stieß ihre Verehrer vor den Kopf, vernichtete deren Selbstbewusstsein mit maximal drei Sätzen und ließ sie als zuckende Wracks links und rechts am Wegesrand zurück. Melanie dagegen schlief mit ihren Verehrern, was aber irgendwie dasselbe Ergebnis erzielte. Nur Chloe feilte noch an der adäquaten Methode, aufdringliche Kerle loszuwerden, ohne sie dabei bis in die Grundfesten ihrer Männlichkeit zu erschüttern. Sie machte kehrt und ging wieder nach unten.

Auf dem Treppenabsatz sah sie aus dem Fenster, um die Ursache des plötzlich ansteigenden Lärmpegels auszumachen. Früher als erwartet hatten sich die Vertreter überregionaler Zeitungen und mehrerer Privatsender zu der lokalen Presse gesellt. Sie witterten hinter der ganzen Sache die Sensationsstory, die sie zugegebenermaßen auch war. Dazwischen konnte Chloe die Gesichter besorgter Bürger ausmachen, wobei letztere von ersteren interviewt wurden.

Die Presseerklärung würde keine Wirkung zeigen. Wie auch, sie enthielt nicht die geringsten Informationen und diente lediglich als Beleg dafür, dass sich der Bürgermeister mit der Angelegenheit beschäftigte. Auf eine ausgewachsene Krise war niemand vorbereitet gewesen. Die Medieninvasion konnte einen Tag vor der Bürgermeisterwahl katastrophalen Schaden anrichten. Im Gedächtnis der Leser, Hörer und Zuschauer würde man Ginsberg mit Drogen gleichsetzen und es gab kaum einen schlechteren Zeitpunkt dafür als dieses Wochenende. Das ganze Haus würde voller Wähler sein, die keine Gelegenheit mehr haben würden, diesen Skandal vor der Wahl wieder zu vergessen. So kurz ein Wählergedächtnis auch sein mochte, dafür reichte die Zeit nicht aus.

Christine legte die Presseerklärung auf den Kopierer und tippte eine dreistellige Zahl ein.

“Gib die Kopien Villeroy, sobald er kommt“, sagte Chloe im Vorübergehen, “und wenn etwas Wichtiges passiert, will ich sofort darüber informiert werden.“ Sie nahm einen Telefonhörer, den Alex ihr heftig gestikulierend entgegenstreckte.

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Hacim:
313 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9783962860226
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