Kitabı oku: «Grund und Grenzen eines Marktwirtschaftsstrafrechts», sayfa 3

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1. Verletzung eines subjektiven Rechts

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Die Verletzung eines subjektiven Rechts soll nach einer Ansicht genügen, um Fehlverhalten hinreichend strafrechtlich zu erfassen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass bereits die Maßstäbe der Bestimmung eines subjektiven Rechts, insbesondere dann, wenn es der Allgemeinheit zustehen soll, ungeklärt sind.[7] Der Begriff des subjektiven Rechts ist noch immer „bedenklich dehnbar“, gleichzeitig aber auch zu eng gefasst.[8] Daneben bestehen systematische Schwierigkeiten wie die Unmöglichkeit der Erfassung von abstrakten Gefährdungsdelikten oder Vorbereitungshandlungen sowie mangelnde Flexibilität wenn es darum geht, auf neue Entwicklungen des menschlichen Zusammenlebens zu reagieren.[9]

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Obwohl bereits die Verortung der Existenz und Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung als subjektives Recht kaum möglich sein dürfte, ist es gerade die starre Entwicklungsmöglichkeit der Lehre von der Verletzung eines subjektiven Rechts, die einem modernen Wirtschaftsstrafrecht im Wege steht. Es ist die Notwendigkeit eines schnellen und flexiblen Reagierens auf die Entwicklungen in Gesellschaft und Wirtschaft, die eine zentrale Anforderung an ein modernes Wirtschaftsstrafrecht ausmacht, weshalb auch die Lehre von der Verletzung eines subjektiven Rechts in den kommenden Betrachtungen nicht weiterverfolgt wird.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › I › 2. Verbrechen als Interessenverletzung

2. Verbrechen als Interessenverletzung

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Eine weitere Ansicht sieht die Verletzung schutzwürdiger Interessen als das ein Verbrechen ausmachende Element an.[10] Nach einer Ansicht werden aber nur „Sicherheitsinteressen“, die verallgemeinert werden können, dauerhaft und vernünftig sind[11], zum Gegenstand des strafrechtlichen Schutzes. Neben individualbezogenen Abwehrrechten seien im Gegensatz zu Sicherheitsinteressen überindividuelle Interessen als Teilhaberecht in das System integriert, sofern sie als Rahmenbedingungen zur Ausübung individueller Freiheitsrechte dienten.[12]

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Der Lehre vom Verbrechen als Interessenverletzung sind ähnliche Kritikpunkte wie der Lehre von der Verletzung eines subjektiven Rechts entgegenzuhalten. Insbesondere die Unterscheidung schutzwürdiger und nicht schutzwürdiger Interessen fällt schwer, da keine klaren Abgrenzungskriterien angeboten werden. Zuweilen tritt außerdem deutlich hervor, dass Gegenstand eines Verbrechens nicht allein Interessen, sondern reale Gegebenheiten sind. Das Interesse am Erhalt eines Zustands bleibt auch dann bestehen, wenn der Zustand selbst gegenwärtig beeinträchtigt ist.[13] Auch sind einige der gängigen Rechtsgüter durch das Abstellen auf schutzwürdige Interessen nicht zu erfassen.[14] Kaum gelingen dürfte es beispielsweise umfassend die „strafwürdigen Verletzungsrisiken einer in dicht vernetzten Handlungsfeldern agierenden modernen Industriegesellschaft aufzufangen“.[15] Bei den gängigen Individualrechtsgütern scheint oftmals viel eher das Interesse an unbeeinträchtigter Persönlichkeitsentfaltung angetastet, als die persönliche Sicherheit des Betroffenen.[16] Deutlich ausmachen lässt sich ein Interesse am Bestehen und Funktionieren der Wirtschaftsordnung bei jedem Bürger, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Weniger scharf ist dieses Interesse dagegen von anderen, nicht schutzwürdigen Interessen zu unterscheiden. Auch ist unklar, wie beispielsweise beim Konsum bestimmter Produkte das Interesse des Einzelnen an Existenz und Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung von seinem Interesse an persönlicher Entfaltung im Sinne von Genuss, Eigennutz etc. zu unterscheiden ist. Der strafrechtliche Umgang mit wirtschaftlichem Fehlverhalten wird von der Notwendigkeit der Bestimmung und Zuordnung betroffener Interessen sowie ihrer Qualifizierung als (nicht) schutzwürdig nicht erleichtert. Vielmehr scheint die Orientierung an schutzwürdigen Interessen die ohnehin nur schwerlich erfassbaren Gegebenheiten des Wirtschaftslebens noch weiter einer Erfassung in strafrechtlichen Kategorien zu entziehen[17]. Den realen Bedürfnissen des Wirtschaftslebens wird ein an ideellen Zusammenhängen zentriertes Erfassungsmuster nicht gerecht, weshalb sich die weiteren Untersuchungen nicht auf ein Verständnis des Verbrechens als Interessenverletzung stützen können.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › I › 3. Sozialschädlichkeitslehre

3. Sozialschädlichkeitslehre

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Während in der Sozialschadenslehre der Aufklärung des 18. Jahrhunderts die Aufgabe des Strafrechts allein in der Sicherung der Bedingungen menschlichen Zusammenlebens gesehen wurde[18], entwickelt Amelung eine eigene Theorie der Sozialschädlichkeit. Nach Amelungs Sozialschadenslehre ist nicht auf eine Rechtsgutsverletzung, sondern auf eine Störung des sozialen Systems abzustellen. Das Verbrechen als dysfunktionales soziales Phänomen widerspreche institutionalisierten Normen, die zur Bewältigung der gesellschaftlichen Bestandsprobleme notwendig seien, und verhindere so, dass das soziale System der Gesellschaft die Probleme seines Fortbestands bewältigen könne.[19] Strafwürdig seien Verbrechen also, weil sie das menschliche Zusammenleben unmöglich machten[20], indem sie die Geltung von Normen in Frage stellten. Daher sei es die Funktion des Strafrechts, derartigen dysfunktionalen Phänomenen im Sinne sozialer Kontrolle entgegenzuwirken und so die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens sicherzustellen.[21] Das in Frage gestellte gelebte soziale System bedürfe des Schutzes „der faktischen Geltung von Verhaltensnormen“, um Schäden der sozialen Strukturen zu verhindern und die Gesellschaft in ihren „organisatorischen Bedingungen“ aufrecht zu erhalten.[22] Da dies die Organisation menschlicher Handlungen und Interessen erfordere, weniger dagegen den Schutz abzählbarer wertvoller Objekte im Sinne der Rechtsgutslehre, gelinge über die Theorie der Sozialschädlichkeit eine bessere Erfassung des Verbrechens.[23] Trotzdem solle das Rechtsgut nicht ersetzt, sondern mit dem Sozialschaden in dem Sinne verknüpft werden, „daß man die Reflexion auf die Funktionsbedingungen der Sozialordnung als Wertungsgrundlage für die Bestimmung von Rechtsgütern betrachtet“.[24]

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Der Theorie der Sozialschädlichkeit ist jedoch entgegenzuhalten, dass sie auf keine Unterlegung mit normativen Prämissen[25] verweisen kann und durch die Konzentration auf die Systemfunktionalität den Einzelnen zugunsten der Gesellschaft aus dem Fokus der Betrachtungen ausschließt[26]. Weil das Unrecht auf seine Konsequenz der verursachten Dysfunktionalität des gesellschaftlichen Systems reduziert wird, erhält das Individuum nur noch als Bestandteil des Systems strafrechtlichen Schutz.[27] Dabei werden durch die rein systemtheoretische Herangehensweise der Sozialschädlichkeitslehre jedoch nicht die vorgefundenen sozialen Strukturen hinsichtlich ihrer Werthaftigkeit legitimiert, sondern letztlich alle Selbsterhaltungsstrukturen politisch beliebig gestalteter Systeme als strafschutzwürdig erklärt.[28] Diese Beliebigkeit führt, obwohl nach Amelung Art. 1 und 2 GG die Reichweite des Sozialschadensgedankens begrenzen würden,[29] zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung der konkreten Sozialschädlichkeit[30]. In der Gesamtschau kann die Theorie der Sozialschädlichkeit aufgrund der genannten kritischen Punkte letztlich nicht zur Klärung des materiellen Verbrechensbegriffs beitragen.[31]

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › I › 4. Lehre vom Vertrauensschutz

4. Lehre vom Vertrauensschutz

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Die Lehre vom Vertrauensschutz[32] macht nicht die Institutionen selbst zum Schutzobjekt, sondern das jeweilige Vertrauen in ihre Existenz und Funktionsfähigkeit. Während die Tatbestände der Geldfälschungs- und Amtsdelikte (§§ 146 ff., 331 ff. StGB) das Vertrauen in die Sicherheit des Geldes und die Unbestechlichkeit des Beamtenapparats schützen sollen, dienten Wirtschaftsdelikte dem Schutz des „Vertrauen(s) in die geltende Wirtschaftsordnung insgesamt oder in einzelne ihrer Institute (…) und damit den Bestand und die Arbeitsweise dieser Wirtschaftsordnung“[33]. Die Lehre vom Vertrauensschutz zur Erfassung von u.a. wirtschaftlichem Fehlverhalten ist jedoch bereits in ihren Grundannahmen zu kritisieren[34]. So ist weder der Begriff des Vertrauens noch seine Messbarkeit hinreichend präzisierbar. Hinzu kommt der Umstand, dass eine Schmälerung des Vertrauens kaum feststellbar ist[35], weshalb auch die Bestimmung einer Vertrauenserschütterung einer gewissen Beliebigkeit unterworfen ist. Der Rückzug auf „psychische Befindlichkeiten der Rechtssubjekte“[36] scheint keine geeignete Herangehensweise an reale Handlungen und Beeinträchtigungen[37]. Da der Schutz einer Institution an sich und um ihrer selbst willen vom Schutz des Vertrauens in ihre Existenz und Funktionsfähigkeit zu unterscheiden ist, soll die Lehre vom Vertrauensschutz hier nicht weiter verfolgt werden. Die ohnehin multifaktoriellen Gegebenheiten der Wirtschaft sind schon allein komplex genug, so dass von einer weiteren Erhöhung des Abstraktionsniveaus kein Gewinn für die Bestimmung der Strafwürdigkeit zu erwarten ist.[38]

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › I › 5. Normgeltungslehre

5. Normgeltungslehre

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Die Aufgabe des Strafrechts liegt nach Jakobs im Schutz der Normgeltung,[39] weil die Gesellschaft in den in Rechtsnormen formulierten Verhaltenserwartungen Orientierung finde. Nach dieser Ansicht desavouiert jede Straftat die entsprechende Norm, weshalb es der Strafe zur kontrafaktischen Stabilisierung von Verhaltenserwartungen bedürfe.[40] Allerdings kommt der Reaktion auf den in der Straftat verkörperten Widerspruch über die Aufrechterhaltung der Norm hinaus keine Funktion zu. Gegen die Normgeltungslehre spricht deshalb, dass sie die Geltung der Norm nur um ihrer selbst willen durchsetzt, der Geltungsgrund dagegen keine Rolle spielt.[41] Ohne die Geeignetheit der Norm zur gesellschaftlichen Orientierung oder den Handlungssinn des Täters zu hinterfragen, macht diese Ansicht damit jede Normverletzung zu strafbarem Unrecht.

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Anders als die Normgeltungslehre annimmt, erfüllt die Strafe nicht allein normgeltungserhaltende Funktion. Den strafrechtlichen Normen kommt über ihre bloße Geltung hinaus nicht nur die Funktion der Orientierungshilfe, sondern auch die der Verhaltenssteuerung zu. So hat das Wirtschaftsstrafrecht reale Auswirkungen auf ökonomisches Handeln und muss dementsprechend auch zur Bestimmung der Strafwürdigkeit in der Lage sein. Die Annahme, jeden Normbruch bestrafen zu müssen ohne zumindest dessen Qualität zu berücksichtigen, ist nicht tragfähig. Das bloße Abstellen auf das Aufheben eines Widerspruchs genügt nicht, weshalb die Normgeltungslehre im weiteren Verlauf der Untersuchung nicht berücksichtigt wird.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › I › 6. Kumulationsdelikte

6. Kumulationsdelikte

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Die Entwicklung sog. Kumulationsdelikte geht auf Kuhlen zurück, der diese am Beispiel von Umweltschädigungen erstmals in die Diskussion einbrachte. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Annahme, dass zwar beispielsweise eine einzelne Gewässerverschmutzung unschädlich sei, sie aber trotzdem bestraft werden müsse, um eine Häufung derartigen Verhaltens und damit schwere Schädigungen der Umwelt zu verhindern[42]. Das Prinzip der Kumulationsdelikte lasse sich auch auf andere Formen des Fehlverhaltens wie „Falschaussagen, Falschgeldverwendungen, Steuerhinterziehungen“[43], aber auch Ausschreibungsabsprachen, Subventionsbetrügereien oder Vorteilsannahmen übertragen, welche zwar nicht einzeln, aber kumuliert, die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats oder der Wirtschaftsordnung antasten würden. Das Modell der Kumulationsdelikte ist vor allem wegen seines Bezugs auf das Verhalten Dritter zum Gegenstand der Kritik geworden.[44] Der Täter wird für ein einzelnes Verhalten bestraft, das erst in der Zusammenschau mit „hypothetische(n) und in ihrem Ausmaß unbestimmte(n)“[45] Taten anderer zu einem Schaden führt. Ebenso ist das Erfordernis „realistischerweise zu erwartender Kumulationseffekte“ schwerlich anzuwenden, weil nicht realistischerweise zu erwarten ist, dass viele andere sich dem Fehlverhalten eines einzelnen Täters anschließen werden.[46]

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Die grundlegenden und allgemeinen Nachteile der Lehre von den Kumulationsdelikten lassen auch diesen Ansatz zur Erfassung wirtschaftlichen Fehlverhaltens ungeeignet erscheinen. Schädigende Auswirkungen einzelnen Fehlverhaltens sind auch erfassbar, ohne auf die Existenz und Funktionsfähigkeit nur des „großen Ganzen“ abzustellen. Bereits ein bestochener Beamter hindert die sachgerechte Amtsverwaltung, ein aufgrund einer Absprache abgegebenes Angebot beeinträchtigt den Wettbewerb oder eine in einen See entsorgte Giftmülltonne schädigt die Umwelt.[47] Gültigkeit hat diese Feststellung unabhängig von der konkreten Möglichkeit und Methode den entsprechenden Schaden zu bestimmen. Für die Fälle, deren Bedeutung zwar durch den Blick auf das Gesamtsystem aufgrund (einer gedachten) Kumulation zunimmt, die aber bereits einzeln Schäden verursachen, braucht es die Lehre der Kumulationsdelikte also nicht.[48] Für die Formen des Fehlverhaltens, die dagegen für sich betrachtet keinen Schaden erkennen lassen, sondern nur ethisch deutlich unerwünscht sind, ergibt dagegen auch eine Kumulation keine Hilfe bei der Feststellung eines Schadens, denn auch die Häufung von nichts ergibt weder mehr davon noch überhaupt etwas. Bei der Bestimmung der Strafwürdigkeit hilft das nicht weiter. Es sind aber oftmals gerade die wenig greifbaren Fälle, welche die Notwendigkeit eines modernen Marktwirtschaftsstrafrechts deutlich machen. In der Lehre der Kumulationsdelikte kann es jedoch keinen geeigneten Anknüpfungspunkt finden.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › I › 7. Verhaltensdelikte

7. Verhaltensdelikte

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Statt auf ein Rechtsgut abzustellen nimmt die Lehre von den Verhaltensdelikten diejenigen Verhaltensregeln zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen, die das Fundament des „Grundkonsenses einer Gesellschaft“ ausmachen[49]. Den Bezugspunkt bildet dabei „das tatsächlich existierende Sozialsystem“[50], in welchem bestimmte, an die kulturelle Überlieferung gebundene und damit zeitlich und örtlich kontingente Normen und Werte das gesellschaftliche Fundament bilden und daher als solche strafrechtlichen Schutz verdienen[51]. Ursprünglich sollten nur solche Verhaltensnormen Teil des normativen Grundkonsenses einer Gesellschaft sein, die „tief verwurzelte Kulturüberzeugungen“ darstellten und sich als sozial dominant[52] erwiesen. Der soziale Wandel, der zu „aufgebrochenen, unstetigen Gesellschaftsstruktur(en)“ geführt hat, lasse derartige „kollektive, sozial dominante Überzeugungen nur noch ausnahmsweise“ entstehen.[53] Da die Lehre von den Verhaltensdelikten jedoch die „in der Gesellschaft vorhandenen Überzeugungen“ reflektiere[54], genüge es, wenn die fragliche Verhaltensnorm „zu den Regeln gehör(e), deren Anerkennung für uns als diese Wertegemeinschaft so wichtig ist, dass wir ihre Verletzung als strafwürdig empfinden“[55]. Entscheidend für den strafrechtlichen Schutz einer Norm sei daher „die gesellschaftlich und gesetzgeberisch anerkannte Grundhaltung (…), eine bestimmte Norm aufrechterhalten zu wollen oder andererseits ein Verhalten schlicht nicht zu wollen“[56]. Der Vorzug der Lehre von den Verhaltensdelikten besteht darin, Entscheidungen auf ein gesellschaftliches Einverständnis stützen und damit die personalen Bedürfnisse der Individuen abbilden zu können[57]. Gleichzeitig stellt dies aber auch eine große Schwachstelle dar.

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Es sind pluralistische Gesellschaften wie unsere, in denen zuweilen Verhaltensweisen strafrechtlich beurteilt werden müssen, die Gegenstand intensiver Kontroversen sind. Auch wenn man einen gesellschaftlichen Konsens mittlerweile für entbehrlich halten und eine Anerkennung in Form eines Einverständnisses bzw. einer Einigkeit hinsichtlich der Bestrafung eines bestimmten Verhaltens ausreichen lassen kann,[58] stellen gerade umstrittene Verhaltensweisen die Lehre von den Verhaltensdelikten vor Probleme. Gerade dann mangelt es an einem gesellschaftlichen Einverständnis und oftmals betreffen diese Divergenzen gerade solche Fragestellungen, für die es noch keine allgemein anerkannten Verhaltensregeln gibt.[59] Auch kann es sein, dass ein Verhalten zwar einer Norm widerspricht, sich die einverständliche gesellschaftliche Grundhaltung hinsichtlich der Strafwürdigkeitsbeurteilung jedoch geändert hat. Schwierigkeiten ergeben sich ebenso, wenn zwar ein gesellschaftliches Einverständnis besteht, das zu beurteilende Verhalten aber nicht eindeutig den Kategorien des Hinzunehmenden oder Zubestrafenden zugeordnet werden kann. Hinzu kommen grundsätzliche Bedenken hinsichtlich der Orientierung an einem gesellschaftlichen Einvernehmen, da die Strafwürdigkeitsbeurteilung der Beliebigkeit unterworfen werde[60], wenn es allein um von den Gesellschaftsmitgliedern als schützenswert Empfundenes und nicht objektiv Schützenswertes geht.[61] Daneben fehle es gerade unter Berücksichtigung der meist heterogenen Wertvorstellungen innerhalb moderner Gesellschaften an Möglichkeiten, um ein hinreichendes gesellschaftliches Einvernehmen festzustellen.[62] Mangels fester Kriterien bliebe allein eine normative oder durch den Gesetzgeber erfolgende Festlegung eines gesellschaftlichen Einverständnisses.[63]

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Die Lehre von den Verhaltensdelikten scheint für den Bereich des Wirtschaftsstrafrechts aber grundsätzlich geeignet, ist doch die Wahl und die Beibehaltung einer Wirtschaftsordnung stets Ausdruck eines gesellschaftlichen Grundkonsenses. Teil des gesellschaftlichen Einvernehmens mag auch noch sein, diese Wirtschaftsordnung zu erhalten, wesentlich detailliertere und damit weiterführende Regelungen zur Ausgestaltung der ökonomischen Betätigungen umfasst er dagegen nicht. Die Reflektion von realen gesellschaftlichen Überzeugungen durch die Lehre von den Verhaltensdelikten ermöglicht ohne Weiteres die Beurteilung von Verhaltensweisen, die Interaktions-, Koordinations- oder Kooperationsprozesse stören oder individuelle Handlungschancen beeinträchtigen. Wird aber nicht mehr die Heranziehung tief verwurzelter Kulturüberzeugungen zur Beurteilung der Strafwürdigkeit verlangt, sondern genügt eine bloße gesellschaftliche Einigkeit, erhält der materielle Verbrechensbegriff keine festen Konturen. Bezüglich der wettbewerbszentrierten Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik mag ein gesellschaftlicher Grundkonsens bestehen, aus dem sich auch grundlegende Verhaltensregeln hinsichtlich bestimmter Funktionsbedingungen ergeben. Dieser gesellschaftliche Grundkonsens ist Ausdruck der ökonomischen Anschauungen, die unsere pluralistische Gesellschaft heute weit stärker einen, als feste moralische oder religiöse Konsense[64] und damit mehr als ein bloß ideelles Dafürhalten. Die Einigkeit über die Erhaltung bestimmter Funktionsbedingungen sagt jedoch nichts darüber aus, wie konkret zu bewertende Verhaltensweisen einzuordnen sind. Während eine Reflektion der gegenwärtigen gesellschaftlichen Gegebenheiten als Anhaltspunkt für das gesellschaftlich einvernehmlich akzeptierte oder nicht akzeptierte Verhalten geeignet ist, erscheint für die Bestimmung der Strafwürdigkeit eines konkreten Verhaltens ein anderes Kriterium notwendig. Fehlt ein gesellschaftliches Einvernehmen bei der Beurteilung eines ganz konkreten Verhaltens, müsste zur Beurteilung der Frage, ob dieses Handeln strafwürdige Verhaltensregeln verletzt, wohl auf die von der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder vertretene Ansicht abgestellt werden[65]. Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit rechtlicher Reaktionen wären so gerade für umstrittene Fragestellungen nicht herzustellen. Damit aber nicht nur das als strafwürdig betrachtet wird, was gegenwärtig bereits strafbar ist[66], sondern auch neue und komplexe Fragestellungen gelöst werden können, bedarf der materielle Verbrechensbegriff einer stärkeren normativen Anbindung als sie die Lehre von den Verhaltensdelikten anbietet.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › I › 8. „Harm Principle“ und „Offence Principle“

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