Kitabı oku: «Poetry for Future», sayfa 2
Christofer mit f
Das große Verschlingen
Im Süden der Welt,
wo türkise Wellen samtig sanfte weiße Strände streicheln,
wo das Sonnenlicht der Armut und dem Elend schmeichelt,
wo’s das ganze Jahr hindurch, im Gegensatz zur Arktis,
für das Tragen jeder Kleidung arg zu warm ist,
wo Eroberer auf Insulaner trafen
und heute Touris unter Palmen schlafen,
trog einst die Lethargie …
Denn schon ein paar Kilometer vor der Küste
eines Landes, das sich seiner Schönheit brüstet,
direkt unter dem Spiegel
zwischen den Riffen und unter den Flügeln
der Rochen, die durch gebrochenes
Sonnenlicht schwebten, brodelte Leben,
konnten Korallen unentdeckt von Besuchern
bunt und bizarr bis ins Endlose wuchern.
Wohin selbst die langen Arme
der Instagram-Promis nicht reichen,
konnten Polypen und seltene Fischarten laichen.
Konnten Oktopoden hinter Tintenwolken toben,
Kalmare und Kraken einander mit Tentakeln bekakeln.
Konnten Seepferdchenmänner,
jenseits tradierter Geschlechterrollenbilder,
eifrig den Nachwuchs behüten
und die Eier der Weibchen ausbrüten.
Konnten sich Haie in Herden vermehren
und zahllose Junge gleich lebend gebären.
Konnten Schollen und Quallen, Langusten und Schwämme,
konnten Barsche, Makrelen und Fische mit Kämmen
wild durcheinander einander bejagen,
sich miteinander symbiotisch vertragen
und schwimmen und treiben und kraxeln
und dabei wie die Wildschweine schnackseln!
Noch vor Jahrzehnten war die Welt hier in Ordnung,
bis aber plötzlich die Schwärme verschwanden
und sich die Krabben auf dem Rückzug befanden.
Als mit einem Mal alle Korallen erblichen
oder den Heeren von Urlaubern wichen,
weil auch das, was Äonen andauert,
ganz einfach endet, wenn die Meere versauern
und die Landschaft verschandeln,
weil sich jede Oase in einen Friedhof verwandelt.
Und so bleibt kein Fleck auf diesem Planeten,
den wir nicht verseuchten,
in unserer Gier nach Moneten,
die wir gar nicht bräuchten,
und wir zerstören – stehend auf Bergen aus Toten,
ohne zu wissen, was wir nicht verstehen –,
wenn nicht mit Gewehren oder mit Schloten,
dann allerspätestens mit Polyethylen.
Wo ungeheuer krasse Wassermassen
auf angepassten Ungeheuerkörpern lasten,
unter dem Meer, das in ungefähr so schwer
wie tausend Elefanten
jenseits jeder menschlichen Konstante
wiegt,
wo es hinter schroffen Klippen noch mal steil bergab geht,
wo selbst Reinhold Messners Bart und Haare
Richtung Meeresspiegel absteh’n,
lebt dem hohen Druck zum Trotze unbeschwert
und von Räubern oder Feinden unversehrt
und ohne Schaden
auf dem Grund im Marianengraben
und gerade deshalb äußerst heiter
und dazu noch wie kein Zweiter
zum Leben in großer Tiefe befähigt
ein kleiner Fisch mit Namen Pseudoliparis swirei.
Dort, wo ihm kein Mensch auf den Keks geht,
weil er auf Schwärze und winzigen Krebs steht.
Von Gestalt eher zierlich, klein, weiß und transparent,
entgegen dem Trend in der Tiefsee nicht luminiszent,
schlängelt er sich durch ein behäbiges Leben
einem vermeintlich ewig währenden Frieden entgegen.
Wenn da nicht selbst unter dem Meer
alles voll mit Plastik wär’,
in dem er sich, und sei er auch noch so behände,
letztendlich verfängt und qualvoll verendet.
Und so bleibt kein Fleck auf diesem Planeten,
den wir nicht verseuchten,
in unserer Gier nach Moneten,
die wir gar nicht bräuchten,
und wir zerstören, stehend auf Bergen aus Toten,
ohne zu wissen, was wir nicht verstehen.
Wenn nicht mit Gewehren oder mit Schloten,
dann allerspätestens mit Polyethylen.
»Und was kann eigentlich ich dafür?«,
fragt derweil der sprichwörtliche kleine Mann,
der an all dem nicht alleine schuld sein kann,
rechts hinten in der Kneipe am Stehtisch.
Versuch’s gar nicht erst mit Verantwortungsethik.
Zwischen Aktiendepots und Börsenkursen,
zwischen Rentenniveaus und Klimakurven,
zwischen Konkurrenzdruck und Arbeitsplatzsorgen,
zwischen »Heute ein Schnitzel« und »Scheiß doch auf Morgen«,
zwischen Dürrerekorden und Artensterben.
zwischen Mindestlohn und Altersbeschwerden,
»Wie viele Flüchtlinge sollen es noch werden?«,
zwischen Polkappenschmelze und Staatsversagen,
Demokratiedefizit und Treibhausgasen,
zwischen dem neunten und dem zehnten Pils
und einer Ölkatastrophe in der Karibik
sind Leben und Arbeit längst mehr als nur schwierig,
mehr als nur hart
und werden noch schwerer,
denn die Erde wird karg
und die Meere noch leerer.
»Aber es muss doch irgendwie weitergehen«, sagt jeder
und jede, das, liebe Menschen, das ist der Fehler.
Es hat längst begonnen: das große Verschlingen.
Der Frühling ist da, nur keine Vögel, die singen.
Peter Heiniger
Zwanzig Zentimeter
Man sieht sie jetzt öfter, wie sie bedächtig über Weiden schreiten, in der Hand ein Pendel haltend oder eine Wünschelrute. Zuweilen halten sie kurz inne, als würden sie auf etwas lauschen. Prüfen, ob das Pendel ausschlägt, dann gehen sie weiter. Wasserschmöcker. Hinter ihnen drein trottet ein Bauer oder sonst ein Landbesitzer, vielleicht noch der Hund oder ein Kind.
Im Blick des Bauern schwingen Sorge und Hoffnung. Seine Aufmerksamkeit gilt ganz dem Pendel, als wolle er es beschwören, es möge doch zu schwingen beginnen, zumindest eine Regung zeigen. Nach einer Weile steckt der andere das Pendel in den Hosensack und schüttelt den Kopf. Kein Wasser. Oder zumindest nicht genug, dass es sich lohnen würde, einen Graben in die Landschaft zu reißen. Er lässt den Blick über die Weide gleiten. »Dort drüben können wir es noch versuchen.«
Ein wenig oberhalb einer unscheinbaren Senke schlägt das Pendel aus und der Wasserschmöcker sagt: »Hier kannst du es probieren.« Kurz hellt sich die sorgenschwere Miene des Bauern auf. Gleich darauf verfinstert sie sich wieder. Und hinter der gerunzelten Stirn beginnt er zu rechnen: Arbeitsstunden, Baggermiete, Leitungen … »Und wie viel können wir gewinnen? Reicht es, um unseren Brunnen wieder zum Laufen zu bringen?« Früher führte der ordentlich Wasser, mehr als genug. Jetzt ist er zu einem stricknadeldünnen Rinnsal verkümmert.* »Ich kann dir nichts versprechen. Das Wetter macht ein anderer. Und wenn es noch einmal einen solchen Sommer gibt … Die nächste Wüste, heißt es, liegt nicht in Afrika. Sie liegt zwanzig Zentimeter unter unseren Füßen.« Der andere lüftet den Hut und kratzt sich am Hinterkopf. Daheim gibt’s Kaffee mit Schnaps. Beim Verabschieden wünscht man sich einen guten, aber nicht allzu trockenen Sommer.
»Die Schweiz ist das Wasserschloss Europas und das Wasserschloss der Schweiz ist unser Napfgebiet.« So erklärte es uns der Lehrer in der Schule, nicht ohne Stolz, beinahe, als wäre es sein Verdienst. »Wie ein Schwamm kann unsere Landschaft aufgrund ihres porösen Untergrundes das Wasser speichern und damit unsere Brunnen speisen.« Aus seiner Rede schlossen wir, dies habe ewige Gültigkeit, wie ein Naturgesetz. Es war Winter, die Ölheizung lief auf Hochtouren, die Luft im Klassenzimmer war furztrocken. Eine Kreidestaubwolke stob auf, als der Lehrer den Tafelschwamm ergriff. Er nässte den Schwamm am Brünnchen, dann putzte er die Tafel. Als Nächstes hatten wir Grammatik.
Audiolink: https://satyr-verlag.de/audio/PFF_Heiniger.mp3
* Der Begriff »Brunnen« hat hier eine andere Bedeutung als im Hochdeutschen: Im quellenreichen Emmental werden Quellen üblicherweise gefasst und mittels unterirdischer Leitungen zu den Bauernhäusern geleitet, wo das Wasser über eine Röhre beständig in einen Trog fließt. Dieser Trog mit der wasserführenden Röhre wird »Brunnen« genannt. Fällt eine Quelle trocken, sucht man eine neue, leitet sie zum Brunnen und bringt diesen somit wieder zum Laufen. [Anm. d. Verlags]
Katrin ohne H
Die Haxen bitte vor dem Duschen rasieren
Der Sommer war schon immer meine am wenigsten liebe Jahreszeit: vierter Platz von vier Teilnehmenden.
Kein Foto für den Sommer.
Keine tens, tens, tens across the board.
Beim Poetry Slam 10 Punkte. Insgesamt. Kein Extrapunkt.
Schlecht!
Der Sommer ist SCHLECHT!
Fürchterlich, ganz schlimm, weih, grausig, pfui!
Der Sommer war schon immer meine am wenigsten liebe Jahreszeit, denn es ist halt einfach viel zu heiß!
Da schwitzt man. Im Sommer schwitzt man. Allein vom Sitzen schwitzt man, sitzt in der Sonne und schwitzt, beim Sitzen schwitzt man in der Sonne, obwohl man sich keinen Zentimeter bewegt, schwitzt alles in der Sonne.
Und dann pickt man. Im Sommer pickt man und man hockt da und pickt, am Ledersitz im Auto pickt man fest, wegen der kurzen Hose pickt man. Und das G’wand pickt und schweißelt, alle schweißeln, im Bus schweißeln alle oder es riecht, als hätte man gerade Deo geschnupft.
Aber dann geht man duschen und alles ist so schön frisch und kühl und sauber, zwar auch nicht trocken, aber es pickt nichts und dann steigt man aus der Dusche …
… und pickt schon wieder. Alles pickt, weil man vergessen hat, die Haxen vor dem Duschen zu rasieren, und erst nach dem Duschen die Haxen rasiert beim Waschbecken, so mit’m Haxen aufm Waschbecken, und von der g’schissenen, unnötigen, schweißtreibenden Akrobatik pickt man schon wieder.
Fürchterlich, ganz schlimm, weih, grausig, pfui!
Es ist halt einfach viel zu heiß!
Da pickt man, allein vom Sitzen pickt man am Ledersitz im Auto fest, man pickt, am Auto pickt man und muss schon wieder tanken fahren, weil man so am Auto pickt, und aus dem Auspuff pufft die Hitze raus und das stinkt, als hätte man Feinstaub geschnupft.
Und wenn’s zu weit ist fürs Auto, dann fliegt man halt und alles pickt im Flieger, pickt alles von Öl und Kohle, pickt alles. Und das Rindfleisch pickt, weil’s davor so viel gefressen hat und so viel gerülpst hat und so viel Platz gebraucht hat, pickt’s, weil’s dem Wald die Haxen rasiert haben; vor oder nach dem Duschen – komplett wurscht! Den Wald haben’s abrasiert und im Flieger pickt man auch am Ledersitz fest wegen der kurzen Hose und alles riecht, als hätte man Erdöl geschnupft.
Aber im Flieger ist es wenigstens ein bisschen kühl, so schön kühl, und frisch, fast ein bisschen zu frisch. Da kann man ja fast vergessen, dass man gerade drinsitzt nach Skandinavien, weil man’s zu Hause vor lauter Hitze nicht mehr ausgehalten hat.
Und es pickt schon wieder. Alles pickt, weil man vergessen hat, dass man den Wald vor dem Duschen abrasiert hat und dass von der g’schissenen, unnötigen, schweißtreibenden Akrobatik jetzt Australien brennt.
Es ist halt einfach viel zu heiß!
Ja, sicher ist es zu heiß, wenn man so viel pickt, am Auto und an den Supertankern voll mit Erdöl und am Fleisch, mit’m nackten Fleisch pickt man am Ledersitz vom Auto und vom Flieger und am Plastik und am Wald-Abrasieren pickt man.
Weil’s ja gar so furchtbar unbequem ist so ohne Rindfleisch. Aber in Australien ist es fast ein bisschen unbequemer, so ohne freie Sicht auf das Sydney Opera House, weil’s so viel raucht und staubt und brennt, und in Kitzbühel ist es auch fast ein bisschen unbequem, wenn man im Dezember dort nicht Ski fahren kann, außer auf einem Schneeband neben der Wiese, und neben dem Inn wird’s auch fast ein bisschen unbequem, wenn von weiter oben die Gletscher runterkommen, fast ein bisschen unbequem.
Aber im Sommer haben wir’s dann fein. Da haben wir am Gletscher oben 25 Grad, feinifein, so lässt sich’s aushalten, und in der Stadt drin picken wir an der Klima, wenn uns das Klima nicht mehr passt. So fein.
Und dann fällt die Klima aus und es pickt schon wieder. Alles pickt, weil man vergessen hat, die Haxen vor dem Duschen zu rasieren, und erst nach dem Duschen die Haxen rasiert beim Waschbecken, so mit’m Haxen aufm Waschbecken, und von der g’schissenen, unnötigen, schweißtreibenden Akrobatik pickt man schon wieder.
Es ist ja gar so fürchterlich, ganz schlimm, weih, grausig, pfui, da wird’s uns echt fast ein bisschen unbequem.
Audiolink: https://satyr-verlag.de/audio/PFF_Katrin.mp3
David Friedrich
Staub
Ich mach das Fenster auf, schweißgebadet
Es ist ein heißer Tag, wie die meisten Tage
An den Wänden zerfließt die weiße Farbe
Tropft auf das PVC, das Wellen wirft
Es ist Lebensqualität, die an allen Stellen stirbt
Man macht das Beste draus, bleibt auch vernünftig
Der Kalender sagt: Es ist viel zu heiß für Januar im Jahre 2050
Die Zivilisation ist alt geworden und verbraucht
Die Augen sind müde und die Ohren sind taub
Wir werden geboren in dem Staub
Begraben die Toten in dem Staub
Vegetation ist vergoren in dem Staub
Atemwege und alle Poren voll mit Staub
Wir sind verloren in dem Staub
Aber auch gewöhnt an den Staub
Ich vertreibe mir heute meinen Tag hier
Mit neumodischem Schnickschnack
Wie überteuertem Craft-Bier
Indian Summer Pale Ale Winter Edition
Ein sehr bitterer Hopfengeschmack, zu Beginn sehr aufdringlich, aber wenn man sich auf ihn einlässt, dann wird er auch nicht weniger.
Zum Glück ist im Kühlschrank noch Platz – für mich
Denn die Hitze hat es sich gemütlich gemacht
Doch im Laufe der Zeit ist es im Kühlschrank recht eng geworden, also bin ich in den Keller gegangen. Dort habe ich in einem Umzugskarton so ein altmodisches Tablet gefunden. Hat noch funktioniert. Darauf habe ich mir dann die Fotos angeguckt von früher, von vor dem Staub.
Und da fiel mir auf: Eigentlich hätten wir es wissen müssen.
Wir hätten es kommen sehen müssen.
Ganz ehrlich? Wir wussten es, wir haben es kommen sehen.
Ist ja nicht so, dass unser Planet uns keine Signale gegeben hätte, deutliche Signale hat der uns gegeben, wie ein nervtötender Wecker, der schrill und laut Sirenengeräusche gegen das Trommelfell schmettert. So hat unser Planet uns darauf aufmerksam gemacht, aber wir haben immer wieder Snooze gedrückt. Oh nöö, nicht jetzt schon anfangen mit erneuerbaren Energien, ich will noch eine Runde Atomstrom. Nur noch fünf Minuten.
Aber die Frühaufsteher unter uns befassten sich mit den Problemen und entwickelten Apps.
Wir hatten Apps gegen den Klimawandel, wir hatten Regenwaldtreueherzen auf Bierflaschen, wir hatten »Rettet die Polarbären«-Merchandise-Produkte und, meine Fresse, waren die plüschig!
Wir wussten, dass wir handeln müssen.
Etwas tun, nachhaltig denken, ein neues Bewusstsein entwickeln.
Denn – das ist heute so lange her und man kann sich das nicht mehr richtig vorstellen – wir sind geflogen, von Hamburg nach Mailand für 29 Euro. Mit Easyjet, da musste man auf den ein oder anderen Komfort verzichten, zum Beispiel auf Beine oder so. Aber dafür hatte man ein Drei-Gänge-Menü, bei dem jeder Gang mehrere Produkte enthielt, die alle einzeln verpackt waren, und das Besteck war auch verpackt und das Brot dazu auch und der Käse noch mal und das Getränk war auch noch mal in einer Plastiktüte und wenn man die ganze Verpackung erst mal geöffnet und beseitigt hatte, dann war man schon gelandet.
Uns war klar: Wir müssen was ändern, wir kannten ja die Bilder von den in Plastikverpackungen verfangenen Meerestieren und so. Nur war es schwierig, was zu ändern, denn neben dem anstrengenden Job in der Werbeagentur, dreimal die Woche Fitness, zweimal die Woche Sex, dann die Eltern, die immer mehr abbauen, und mindestens ein Freund pro Monat, dem man beim Umzug helfen soll, dann samstags Sportschau, dienstags und mittwochs Champions League, Facebook-Statusmeldungen, Instagram-Follower checken, bei YouTube Videos von Poetry Slammern gucken, und dann hat mich der Text auch erst mal total nachdenklich gemacht, weil das stimmt ja schon, was die sagt, und das kostet ja alles Zeit. Am Wochenende auch mal aufs Land, hier und da ein Junggesellenabschied, die Hemden von der Reinigung holen, Fenster putzen, bei der Telekom anrufen, weil das Internet so langsam ist. Entschuldigen Sie bitte, ich gucke hier gerade Game of Thrones, und mitten in der Szene mit dem bärtigen, nackten Mann, der intim wird mit einem Drachen, der wiederum seine Schwester ist, und dann BLEIBT DAS BILD EINFACH STEHEN. Jetzt lädt der schon seit drei Minuten und ich gucke die ganze Zeit auf diesen Penis! Neben Early-Bird-Festivaltickets online kaufen und Bücher über Sadomaso-Sex lesen, dann auch noch die Kinder, der Kleine muss zum Taekwondo und Charlotte hatte ihre erste Menstruation, Essen kochen, einkaufen, shoppen, Wellness, Maniküre, Pediküre, Sektempfang, ins Kino gehen, Socken stricken, Sudoku in der Mopo, und ich brauch auch mal ein bisschen Zeit für mich!!!
ALSO ’TSCHULDIGUNG, DASS ICH DA NICHT AUCH NOCH ZWISCHENDRIN MAL EBEN DIE ERDERWÄRMUNG STOPPEN KANN!
Ich mach das Fenster auf, schweißgebadet
Es ist ein heißer Tag wie die meisten Tage
Manche sagen: Die Hitze wäre nur eine Phase und von den
Chinesen erfunden
Aber wir waren schon immer gut im Scheißelabern
Jetzt stehe ich am Fenster, gucke raus gerade
Jedes Haus und die Straße unter Staublagen
Man sagte uns, dass wir unserer Zukunft voraus waren
Wie sie wirklich werden sollte, wollten wir uns nicht ausmalen
Wir haben unser Haltbarkeitsdatum deutlich aufgeschoben
Hatten alles, Haus und Boot, ernährten uns ausgewogen
Jetzt wächst nur noch wenig auf dem Boden
Dafür Staub in Poren und taube Ohren
Und ich, ich stehe als alter Mann da
Auf meiner Veranda
Blicke auf den Staub
Ein Kronkorken knallt
Eine Flasche kühles Craft-Bier – klingt gut
Befeuchte meine trockenen Lippen
Und sag mir
Nach mir
Die Sintflut
Daniela Seel
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Die störrisch Schweifenden.
Die zur Vertreibung Bereiten.
Die unter der Erde noch Herrschenden.
——
Auch mein Körper krepiert, bestrickt von Komplizenschaft.
Weniger unverdächtig als in die Landschaft geblendet.
Was doch Lüge ist, Unterlassung.
——
Die Schneedecke wird nicht genügen.
Den Ältesten, ihrem verwahrlosten Straucheln.
»Unsere Aufgabe ist es, die Wildnis zu schützen, nicht Sie.«
——
Nicht vor Klauen, vor dem Aufrauschen, das die Klauen erzeugt.
Salbeistrauchsteppe, Weltliches. Immer-noch-Wüste.
Eine blattlose Demut vor ihrer Strenge.
——
Dass es Bedürftigkeit überhaupt braucht.
Instinkt zu durchkreuzen im Maul
mit der Frage, was Wildnis denn sei.
——
Goldadler, Wanderfalke, Rabe.
Schatten geduldig und gleißend.
Zu reglos, um zu beruhigen.
2. Kapitel
Jan Cönig
Wald Thing
Zwischen dichten Fichten, übermannshohen Tannen:
Wo Spinnen Gespinste in die Astgabeln spannen,
spielen Hase und Rehkitz, Bache und Keiler
zwischen Moos und Gewächs, Wiese und Weiler.
Spechte morsen Gruselgeschichten für die Mäuse,
der Boden ist voll Leben, die Blätter voll Läuse.
Vögel zwitschern, in der Ferne grillt die Grille,
die Stimme des Waldes schwingt dezent durch die Stille.
»Anna, Hassan, Mirjam, Leo, Fabian, Cansu, Dennis, Songül, Justin, Albert, Katharina, Steve! Kommt mal her. Durchzählen! 12. Okay. Los geht’s.«
Ich bin auf Walderkundung mit 12 Grundschulkindern. Damit die kleinen städtischen Smartphoneprofis mal was über die Natur lernen.
Ich zeige auf eine Pflanze. »Wisst ihr, was das ist?«
»Ein Baum«, sagt Fabian.
»Fast«, sage ich. »Das ist eine Brennnessel.«
»Au«, sagt Dennis, der sie natürlich angefasst hat.
»Wisst ihr, was das ist?«, frage ich. So schnell gebe ich nicht auf.
»Eine Brennnessel«, antwortet Justin.
»Fast. Das ist ein Ameisenhügel.«
»Und was ist das für eine Pflanze?«, fragt Albert.
»Das ist ein Stein.«
»Ich habe auch einen Stein«, sagt Steve.
»Nein, du hast Hundekot«, sage ich.
»Katharina hat einen Vogel getötet«, ruft Hassan aufgeregt.
»Hab ich nicht!«, sagt Katharina, die gerade ein Selfie mit einer toten Amsel macht.
»Wusstet ihr, dass Tannenzapfen nach der Fibonacci-Folge angeordnet sind?«, versuche ich noch mal mein Glück.
»Was sind Tannenzapfen?«
»Wer hat die angeordnet?«
»Was ist Fibonacci?«
Bevor ich antworten kann, meldet sich Mirjam: »Mein Handy sagt, das sind Kiefernzapfen. Weil Tannenzapfen wachsen nach oben und Kiefernzapfen nach unten.«
»Mein Papa ist Kiefernorthopäde!«, ruft Justin stolz.
»Genau. Und da hinten läuft ein Einhörnchen den Baum rauf«, antworte ich. Die Kinder folgen neugierig meinem Blick.
»Mein Handy sagt, es gibt keine Einhörnchen!«, sagt Cansu.
»Ihr packt jetzt mal alle eure Smartphones weg«, sage ich.
»Aber ich habe so eine App, die kennt alle Pflanzennamen.«
»Schön für die App. Aber ihr sollt das selbst wissen.«
»Wieso?«, mischt Albert sich ein.
»Weil … vielleicht gibt es irgendwann keine Smartphones mehr.«
Erschrockene Blicke.
»Wieso?«, fragt Hassan.
»Weiß ich nicht. Vielleicht kollabiert die Weltwirtschaft und es gibt keinen Strom mehr.«
»Sicher wegen Trump«, meint Leo.
»Nein, nicht wegen Trump.«
»Wieso dann?«
»Das ist doch jetzt egal. Was machst du denn, wenn du im Wald bist und dein Akku ist leer?«
»Ich habe eine Powerbank!«, ruft Cansu stolz.
»Die ist auch leer.«
»Wieso bin ich im Wald?«, fragt Mirjam.
»Vielleicht weil Zombies in der Stadt sind«, meint Fabian.
»Nein, es sind keine Zombies in der Stadt.« Langsam verliere ich die Geduld.
»Warum sind wir dann im Wald?«, fragt Mirjam wieder.
»Weil euch jemand ausgesetzt hat.«
»Wer?«, fragt Dennis.
»Irgendwer.«
»Wieso?«, fragt Fabian.
»Wegen Trump.«
Das stellt die Kinder zufrieden.
»Leo, heb sofort das Bonbonpapier auf!«
»Aber ich lege eine Spur. Wie bei Hänsel und Gretel. Damit wir zurückfinden.«
»Hänsel und Gretel haben Brotkrumen ausgelegt«, antworte ich.
»Meine Mama sagt, Essen wirft man nicht weg«, sagt Hassan.
»Außerdem«, holt Leo aus, »haben die Vögel das Brot gefressen. Wenn sie Müll ausgelegt hätten, wären sie nicht verloren gegangen.«
Das ist ein bisschen dumm und ein bisschen schlau.
»Schaut doch mal, was für Tiere ihr hier im Wald findet.«
»Ich hab einen Vogel«, sagt Katharina.
»Hier sind Spinnen«, sagt Hassan.
»Iiiiiih!«, sagt Katharina.
Songül entdeckt eine Schnecke.
»Schau mal, Dennis, sogar die Schnecke hat ein Haus. Und deine Eltern haben nur eine Wohnung.«
»Durchzählen!«, rufe ich, um die Situation zu retten. »13. Wer bist du denn?«
Vor mir steht ein kleiner, neugieriger Junge.
»Max«, sagt er fröhlich.
»Herr Cönig, lebt Max hier im Wald?«, fragt Justin.
»Ja«, antworte ich.
»Und wo sind seine Eltern?«
»Die sind weg.«
Max weint.
»Vielleicht sollten Sie mal seine Eltern anrufen, Herr Cönig.«
»Gute Idee. Aber mein Akku ist leer.«
»Hast du keine Powerbank?«
»Nein, ich habe keine Powerbank.«
»Haben deine Eltern dich auch im Wald ausgesetzt, Herr Cönig?«
»Nein, das haben sie nicht!«
Die Eltern von Max kommen vorbei, schnappen sich ihren völlig verstörten Sohn und gehen kopfschüttelnd weiter.
»Wisst ihr«, sage ich zu den Kindern, »die Natur ist so was wie die Powerbank von uns Menschen.«
»Kann man mit Natur sein Handy laden?«
»Nein, ich meine das metaphorisch.«
Leere Blicke.
»Das ist ein Bild.«
»Mein Handy sagt, das ist ein Baum.«
Ich atme tief ein.
»Die Natur gibt uns Kraft und Energie und Sauerstoff. Wir brauchen die Natur, wie das Handy die Powerbank.«
Kurzes Schweigen.
»Und was ist mit den Tieren?«, fragt Songül.
»Was soll denn mit den Tieren sein?«
»Ist die Natur für die Tiere auch eine Powerbank?«
»Ja. Die Natur ist für alle eine Powerbank.«
»Nicht für meinen Vogel, der ist tot«, sagt Katharina.
»Auch der ist Teil vom natürlichen Kreislauf. Ein Tier, das stirbt, wird von anderen Tieren gegessen, die dann weiterleben und einen Beitrag leisten.«
»Ich glaube, wir sind auch im Kreis gelaufen«, sagt Leo. »Hier liegt ein Bonbonpapier! Nee, ist gar nicht von mir.«
»Vielleicht hat jemand anders auch eine Spur gelegt«, meint Albert.
»Nein«, sage ich. »Das ist einfach nur Müll, den irgendwer in den Wald geworfen hat.«
»Aber wieso machen die Leute das, Herr Cönig?«
»Weil sie nicht nachdenken.«
»Ist doch voll dumm!«
»Ich passe auf meine Powerbank immer gut auf.«
»Haben die keinen Herr Cönig, der ihnen das verbietet, Herr Cönig?«
»Nein, das haben sie nicht.«
»Können wir hier bitte aufräumen, Herr Cönig?«
»Ja, von mir aus.«
»Darf ich meinen Vogel mit nach Hause nehmen, Herr Cönig?«
»Auf gar keinen Fall!«
Zwischen dichten Fichten, übermannshohen Tannen
fangen die Kinder an, den Müll einzusammeln.
Neugierig gehen wir dann noch etwas weiter
über Moos und Gewächs, Wiese und Weiler.
Spechte morsen Gruselgeschichten für die Kleinen,
die ohne App und Smartphone so richtig glücklich scheinen.
Vögel zwitschern, in der Ferne lachen die Bachen;
die Natur ist perfekt, wenn wir sie nicht kaputt machen.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.