Kitabı oku: «Grundlagenforschung», sayfa 2

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»Als der Lukas drei war, ist er mal von der Bank hier in die Feuerstelle gefallen«, sagt Christian und setzt sich, den Schürhaken in der Hand.

Seitdem macht auch sein Bruder kein Feuer mehr in der Küche.

»Sehr gut«, sagt Renate und lässt sich neben ihn auf die Bank fallen. »Lasst uns über die Vorteile reden, die es hat, keine Kinder zu haben.« Sie wirft die abgebrannten Streichhölzer aus der großen Schachtel ins Feuer und zündet sich eine Zigarette an.

Renate raucht am meisten von allen. Ihre Stimme ist heiser; manchmal denkt Christian, dass es sich bei Frauen allein für solch eine Stimme lohnt, sich die Lunge kaputt zu rauchen. Manchmal denkt er auch, dass er Renate vor allem deshalb mag, weil sie doppelt so viel raucht wie Gunda und trotzdem dick und gesund, vollständig und intakt ist.

»Ja, wirklich«, sagt er. »Er hatte dummerweise eine Polyesterjacke an, die geschmolzen ist und nicht mehr runter ging.«

»Deshalb wenn Kind, dann nur in Naturfasern.«

»Schafffellwindeln.«

»Rohseidenkäppchen.« Renate lacht und hustet.

Sie raucht nicht nur am meisten, sie riecht auch nach Zigaretten, aber nach einem langen Abend am Feuer fällt das nicht mehr auf. Es hat Christian nicht gestört letzte Nacht im Baumarktschlafzimmer.

»Wie alt ist Lukas jetzt?«, fragt sie.

»Einundzwanzig.«

»Und sieht man noch was?«

Bestimmt. Christian hat seinen Neffen lange nicht mehr nackt gesehen, aber als Kind hatte er überall diese wirbelige weiche Brandnarbenhaut. Mit dunkler Männerbehaarung muss sie merkwürdig aussehen. Oder wächst auf dieser Haut kein Haar mehr?

»Ich weiß nicht«, sagt er.

Die andern vier ziehen ihre Stühle zum Feuer. Hans schlüpft aus seinen Schuhen, Wolfgang macht die nächste Flasche Wein auf und wirft den Korken ins Feuer.

»Die sind doch aus Plastik«, Katrin stößt ihn an.

»Ehrlich?« Wolfgang mustert das Etikett. »Ist mir gar nicht aufgefallen.«

»Wegen der Korkkrise«, sagt Katrin.

Christian stochert mit dem Schürhaken, aber der falsche Korken schmilzt schon.

»Alles geht vorbei«, sagt Renate. »Auch die Zeit, als ein Korken noch ein Korken war.«

»Bald erinnern wir uns gar nicht mehr, wie ein echter Korken ausgesehen hat«, sagt Katrin. »Beim Wolfgang ist es schon so weit.«

»Noch ein Vorteil, keine Kinder zu haben«, sagt Renate.

»Wieso?«

»Man kann guten Gewissens alles wegschmeißen und vergessen.« Renate gähnt. »Muss man schließlich keinem mehr zeigen.«

Christian sieht zu Gunda rüber, die versucht, sich mit einem glimmenden Stöckchen die Zigarette anzuzünden. Wahrscheinlich stimmt das. Wahrscheinlich hätte er zu Hause eine Schublade mit Korken und europäischen Münzen und gelochten Pappfahrscheinen. Wahrscheinlich hätte Gunda nach der ersten Operation aufgehört zu rauchen.

»Will außer mir noch jemand was Süßes?«, fragt Renate und steht auf.

»Hier!«, sagt Hans.

Renate holt zwei Becher Pudding aus dem Kühlschrank.

»Schön oder schnell?«, fragt sie.

»Schön«, sagt Hans.

Renate seufzt und stürzt den Pudding auf zwei Untertassen. Die Karamellsoße tropft, als sie sich neben Christian zurück auf die Bank zwängt.

»Wie kannst du nur«, sagt Wolfgang, »Pudding zum Rotwein.«

Renate lacht. »Weißt du doch, Schatz. Ich kann alles.«

Das stimmt. Sie schläft sogar auf dem Bauch.

»Muss ich«, hat sie letzte Nacht gesagt, »sonst schnarche ich, und du kriegst kein Auge zu.«

Schön hat sie ausgesehen. Wie ein Kind mit den Fäusten neben dem Kopf und der Nase im Kissen. Wie das Gegenteil von über der Decke gefalteten Händen.

Zur Konfirmation hatte Christian seinem Patenkind Lukas einen Motorradausflug durch Ostwestfalen geschenkt. Lukas war abwechselnd bei ihm und Gunda mitgefahren, und nachts hatten sie in Landgasthöfen geschlafen, Lukas auf der Extraliege im Doppelzimmer. Sie hatten sich bemüht, so zu tun, als wären sie eine Clique, hatten am Abend gewürfelt und Karten gespielt und tagsüber bei jeder Caféterrasse angehalten, um Spezi zu trinken. Aber im Endeffekt waren sie doch eine Kleinfamilie gewesen, Lukas zu groß und zu schweigsam, er und Gunda betont jugendlich in ihren Lederhosen, eine Kleinfamilie, über die die anderen Gäste im Landgasthof wahrscheinlich die Köpfe schüttelten. Eine Kleinfamilie, die Christian selbst peinlich war.

»Psst«, macht Katrin und legt den Kopf schief.

»Was denn«, fragt Wolfgang, »kommt Besuch?«

»Das Wildschwein bittet um Herberge«, sagt Hans.

»Psst!« Katrin fuchtelt in seine Richtung. »Die Maus ist wieder da. Ich hab’s gehört.«

Sie sitzen bewegungslos und lauschen. Im Feuer knallt etwas, und Gunda fängt an zu kichern.

»Psst!« Katrin runzelt die Stirn.

»Was willst du denn mit der Maus?«, fragt Hans.

»Anschauen.« Katrin steht auf und geht vorsichtig Richtung Mülleimer.

»Da ist sie!«, flüstert sie aufgeregt. »Guckt mal, süß!«

Wolfgang verdreht die Augen. »Nicht zu fassen, wie verstädtert du bist. Drauftreten musst du, so hat mein Opa das gemacht. Gatsch mit dem Absatz, und gut war.«

»Niemals«, sagt Katrin, »guck doch.«

»Dann lasst uns jetzt über die Nachteile sprechen, keine Kinder zu haben«, sagt Renate mit theatralischer Geste. »Gefühlsübertragung auf Schädlinge.«

»Das ist kein Spaß«, sagt Hans. »Die nagt die Mülltüte auf, und morgen früh fällt uns alles entgegen.«

Wo sie sowieso zu faul sind, den Müll wegzubringen. Drei zugebundene Tüten stehen neben der Spüle, und in der Scheune die leeren Flaschen. Der letzte Tag wird vollständig fürs Putzen draufgehen. Putzen und Holzhacken, damit nicht so auffällt, wie viel sie verfeuert haben.

»Okay, ich scheuch sie weg«, sagt Katrin, »aber tot mach ich sie nicht.«

Sie tritt mit dem Fuß gegen den Mülleimer. Katrin ist die einzige, die Hausschuhe mitgebracht hat, echte Hüttenschuhe, denkt Christian, mit gestricktem Fuß und aufgenähter Sohle. Er mag die Sorgfalt dieses Details, falls Katrin es bedacht hat. Er mag jetzt auch Katrin wieder. Alle, wie sie hier sitzen.

Am fünfzigsten Geburtstag seines Bruders waren Gunda und er die einzigen, die geraucht haben. An die vierzig Gäste, alle nikotinfrei, und nur einer pro Pärchen, der sich nachschenken ließ. Die ersten gingen um halb zwölf, und gegen eins waren nur noch er, Gunda und die erwachsenen Neffen mit ihren Freundinnen da. Also doch eine Clique. Gunda war betrunken, aber die einzige, die es schaffte, mit der schwarzgekleideten Freundin von Lukas ins Gespräch zu kommen. Diese letzte Stunde war die schönste der Party gewesen. Sein Bruder hatte den Plattenspieler freigeräumt, der seit Jahren unter Stapeln von CDs begraben lag, und Mother’s Finest aufgelegt.

Sie schweigen. Je länger sie abends ums Feuer sitzen, desto stiller wird es. Aber das stört nicht, es gibt ja das Feuer, das knistert und ab und zu knallt, die Kippen, die regelmäßig hineingeworfen werden, das Scharren, wenn jemand sein Glas vom Boden aufnimmt.

Gundas Augen glänzen.

Jetzt, wo sie wieder so hübsch aussieht, fällt Christian ein, dass sie vielleicht nicht aus Eifersucht das Zimmer-Auswürfeln ablehnt, sondern dass es wahrscheinlich noch schwerer fällt, einen eindeutig versehrten Körper zu einem fremden ins Bett zu legen, als einen, der nur altert. Er überlegt, wieso ihm das bisher nicht eingefallen ist. Es muss an der Dreistigkeit liegen, mit der Gunda ihm selbst ihren Körper zumutet. Ihm gegenüber ist sie nie schüchtern gewesen, auch nicht nach den Operationen, im Gegenteil, ihm kam es so vor, dass sie nicht mal die Idee zuließ, ihn könnte der Anblick vielleicht ekeln, zumindest aber erschrecken.

Sofort ist er wieder da, der Ärger über die Zumutung. Christian öffnet den Mund und versucht, möglichst flach zu atmen. Sie ist nicht schuld, denkt er, aber das hat noch nie geholfen.

»Na, trübe Gedanken?«, fragt Wolfgang, und Christian nickt und lässt sich nachschenken.

»Evolutionstechnisch sind trübe Gedanken äußerst sinnvoll«, sagt Wolfgang.

Christian lächelt. Jetzt kommt bestimmt wieder ein Merkspruch, der ihn von heute an ab und zu trösten wird. Entgegen der landläufigen Meinung ist es ein Segen, Psychologen im Freundeskreis zu haben.

»Die Erinnerung an unsere Fehler drängt sich auf, damit wir sie nicht noch mal machen und womöglich die Art gefährden.«

Katrin schnaubt. »Funktioniert aber irgendwie lückenhaft, findest du nicht?«

»Tja«, Wolfgang nickt entschuldigend. »Ist eben nur ein Mechanismus unter vielen.«

Christian fallen die Infusionsnadeln und Gundas Handrücken ein.

»Was ist mit den Dingen, an die man ständig denkt, obwohl man gar keinen Einfluss auf sie hat?«, fragt er.

»So genau kann dein Gehirn eben nicht aussieben. Und woher willst du überhaupt wissen, worauf du Einfluss hast und worauf nicht?«

Auf Krankheit nicht und auf Tod nicht. Oder vielleicht doch. Vielleicht will er keinen Einfluss darauf haben können. Weil es dann auch eine wirkungsvolle und eine falsche Art gäbe, darüber nachzudenken.

»Als Kind habe ich immer geglaubt, wenn ich vorher bedenke, dass etwas schiefgehen kann, geht es mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht schief. Weil ich aus Erfahrung wusste, dass es einen am schlimmsten trifft, wenn etwas unerwartet schiefgeht. Ich hab das Schicksal für so ehrgeizig gehalten, dass es nur die perfekten Gelegenheiten nutzt, um zuzuschlagen.«

Wolfgang lacht. »Und dich für so schlau, ihm diese Gelegenheiten zu vermasseln.«

»Natürlich. Als Kind war ich doch noch Herr über mein Leben.«

Katrin schnaubt wieder. »Ob du dich da auch vollständig und im Sinne der Evolution korrekt erinnerst?«

Christian starrt ins Feuer. »Ich glaube schon. Schließlich mach ich diesen Fehler jetzt nicht mehr.«

Das Feuer ist so gut wie niedergebrannt. Jemand muss aufstehen und Holz aus dem Schuppen holen.

»Ich gehe«, sagt Renate. »Aber nicht allein.«

»Also gut.« Christian steht auf. »Damit der Stapel nicht über dir zusammenbricht wie heute Morgen über Gunda.«

Es ist doppelt kalt draußen, wenn man so lange am Feuer gesessen hat. Renate hakt sich bei Christian ein.

»Komm, schnell.«

Im Schuppen ist kein Licht, und sie haben die Taschenlampe vergessen.

»Geh aus der Tür«, sagt Christian, und Renate tritt zu ihm in den Schuppen.

Sie füllen den Wäschekorb mit Scheiten und packen jeder einen Griff.

»Hält der das aus?«, fragt Renate. »Vielleicht brauchen wir nicht mehr so viel und gehen lieber ins Bett.«

»Welches Bett?«, fragt Christian und gibt sich rasch selbst die Antwort: »Welches auch immer dran ist.«

»Die Umzieherei nervt«, sagt Renate und stößt mit der Ferse die Schuppentür zu. Gelenkig ist sie auch.

Von draußen sieht das Haus dunkel und unbewohnt aus; das Küchenfenster geht zur Seite raus.

»Ich war schon hundertmal hier, weißt du«, sagt Christian und bleibt stehen.

Renate lässt ihr Ende vom Korb los. Ein paar Scheite kullern ins Gras.

»Ich auch bald«, sagt sie.

»Nein«, sagt Christian. Er spürt, wie Renate ihn im Dunkeln ansieht. »Nicht damals«, fügt er hinzu. »Nicht, als alles neu war.«

Der erste Sommer. Als sie überall Spuren der alten Besitzer gefunden hatten. Als die Schlafzimmer noch nicht verteilt waren und er mit Gunda und seiner Schwester auf dem Scheunenboden gepicknickt und Pläne gezeichnet hatte.

»Wir hatten eine Schaukel an den Balken überm Tor gehängt. Nicht für die Kinder, Kinder gab’s damals noch keine. Nur für uns.«

Renate klingt munter. »Ja, schade«, sagt sie. »Wer hat sie abgehängt? Dein Bruder? Damit niemand runterfällt?«

»Weiß ich nicht. Wahrscheinlich.«

»Willst du denn wieder eine?«

Christian schüttelt den Kopf. »Ach was. Die Schaukel gab’s nur, weil der Balken so dick war. Um zu beweisen, dass man hier alles machen kann, was man in einer Neubauwohnung in der Stadt nicht machen kann.«

Er kickt gegen eines der Holzscheite. Renate atmet hörbar ein.

»Alles?«, fragt sie.

»Ja. Alles.«

Sie kommt auf ihn zu.

»Lass mal«, sagt Christian schnell.

»Was denn?«

Es ist wie heute Morgen, als er Gunda nicht trösten durfte. Nur dass jetzt er an der Stelle von Gunda ist.

Renate lacht und legt ihm trotzdem den Arm um die Hüfte, den Kopf an seine Schulter.

»Keine Sorge«, sagt sie. »Vor mir brauchst du nun wirklich keine Angst zu haben.«

Sie lassen den Korb mit Holz neben der Bank auf den Boden plumpsen.

»Tür zu!«, ruft Wolfgang und greift gleich zwei Scheite, um sie auf die nur noch schwach glühende Asche zu legen.

»Achtung!« Er bläst hinein.

»Das wird wieder«, sagt er zufrieden. »Irgendwelche Wildschweine draußen?«

»Nichts«, sagt Renate.

Sie bleibt an die Spüle gelehnt stehen. Christian geht zurück auf seinen Platz und sieht zu, wie aus der Glut kleine Flammen aufspringen.

»Ich geh schon mal ins Bett«, sagt Renate. Als keine Antwort kommt, klopft sie sich mit der flachen Hand auf den Schenkel und geht zur Tür. »Gute Nacht zusammen.«

»Moment«, sagt Wolfgang, als sie draußen ist. »Haben wir schon gewürfelt?«

Katrin sieht strafend auf. »Tu doch nicht so.«

Das vordere Scheit fängt zuerst Feuer, obwohl es nicht kleiner ist als das hintere.

Wolfgang zieht die Augenbrauen hoch. »Scheinbar hab ich was verpasst.«

»Will jemand Kaffee?«, fragt Christian und steht auf.

»Jetzt noch?«

Die kleine elektrische Kaffeemaschine steht auf einem Bord neben der Spüle. Als Christian den Filterbehälter vorklappt, löst er sich aus der Halterung, und der Kaffeesatz vom Nachmittag fällt Christian auf die Füße. Er fasst die durchweichte Filtertüte mit spitzen Fingern und schleudert sie in Richtung der Müllsäcke.

»Was machst du für eine Sauerei?«, fragt Hans.

Christian versucht, den Filterbehälter wieder einzuhängen, aber der kleine Plastikzapfen ist abgebrochen.

»Scheißding«, er wirft den Behälter in die Spüle.

»Was machst du denn?«, fragt Katrin.

Christian bückt sich und zieht den Stecker aus der Wand. »Kaffee. Aber nicht mit dieser Kaffeemaschine. Solche hat man heutzutage gar nicht mehr. Deshalb stehen sie auch zu Dutzenden halb kaputt hier im Ferienhaus rum.« Er drückt Katrin die Maschine in den Schoß. »Bitteschön. Kannst du verfeuern oder als Andenken für die Kinder aufbewahren. Für wessen auch immer.«

Er lässt Wasser in einen Topf und stellt ihn zitternd auf die Herdplatte.

»Wie du meinst«, sagt Katrin und wirft die Kaffeemaschine ins Feuer.

»Seid ihr jetzt übergeschnappt?«, ruft Wolfgang und springt auf. Er zieht die Maschine am Kabel aus dem Feuer.

»Ich lass mich doch nicht zum Deppen machen«, sagt Katrin, »was hab ich denn damit zu tun?«

Christian sieht auf den Topf, unter dem die Herdplatte jetzt anfängt zu zischen und zu knallen.

Hans seufzt. »Mensch. Das stinkt doch.«

Richtig, denkt Christian. Der Herd ist fettig und soßenverspritzt, die Mäuse nagen die Mülltüten auf, und auf dem Boden liegt feuchter Kaffeesatz, der sich nicht wegfegen lässt. Wenn man jetzt den Besen nähme, würden die Staubflusen, die niemand rausgezupft hat, sich zu Dreckbatzen zusammenrollen und sich auf ewig mit den Borsten verbinden. Christian will am liebsten gar nichts mehr anfassen, nicht mehr reingehören in dieses Haus, zu diesem Dreck. Er will wieder klein sein, Eltern haben, die für ihn sorgen.

»Ich wasch mal ab«, sagt Gunda, tritt an die Spüle und dreht den Wasserhahn auf.

Hans steht auch auf, greift sich den halbzerfledderten Stern aus dem Altpapierkorb und sagt: »Wenn ihr jetzt mit Putzen anfangt, geh ich ins Bett. Ihr könnt mir ja was übriglassen.«

Welches Bett? Christian sieht auf Gundas Hände im Spülmittelschaum, denkt an ihre Knie im Badeschaum, fragt sich, ob er auch nach oben gehen soll, und in welchem Bett Renate liegt. Er würde gern ein Bad nehmen. Zu Hause nimmt er immer ein Bad, wenn ihm alles andere zu kompliziert ist, aber hier gibt es keine Wanne, hier gibt es nur eine Duschkabine, weil die Geschwister nichts übrig haben für warmes Badewasser und Taschenbuchkrimis, sondern ihre Körperpflege effektiv erledigen. Die Kinder sind im Sommer oft in die Kuhtränke vor dem Haus gestiegen, aber das tun sie inzwischen bestimmt nicht mehr. Lukas hat die Narbenhaut, und seine schwarzgekleidete Freundin hat nicht so ausgesehen, als ginge sie bei Sonne auch nur nach draußen.

Ein Sitzplatz an der Kuhtränke wäre schön, eine Eckbank wie hier am Feuer, um dem Wasser beim Überlaufen zusehen zu können. Das würde den Brennholzbedarf enorm reduzieren, wenn sie eine zweite Möglichkeit zum Starren hätten. Katrins Augen sind schon ganz glasig, aber das kann auch am Wein liegen.

»Ich fahr morgen weg«, sagt sie.

»Hör auf«, sagt Wolfgang, »das sagst du jedes Mal.«

Gunda fängt an abzutrocknen. Katrin steht auf und hilft beim Wegräumen. Christian gießt kochendes Wasser in die Kaffeekanne und löffelt Kaffee dazu.

»Falschrum«, sagt Katrin und hat Recht, das Pulver geht nicht unter, sondern liegt als Haufen oben auf. Christian gießt nach, die Kanne läuft über.

»Kommst du mit rauf?«, fragt Katrin Gunda. Die beiden hatten letzte Nacht das schöne Schlafzimmer zusammen.

Gunda nickt und hängt das Trockentuch auf. »Bis morgen«, sagt sie.

Das muss nicht heißen, dass sie wieder mit Katrin das Zimmer teilt. Zu Hause sagt Gunda auch »Bis morgen«, wenn sie als erste ins Bett geht. Im selben Bett zu schlafen, bedeutet bei ihnen nicht mehr zwangsläufig, beieinander zu sein. Jeder schläft und träumt für sich, um morgens die Augen aufzuschlagen und nachzusehen, ob der andere noch da ist. Vielleicht legt Katrin sich zu Hans, und jetzt liegen zwei Frauen allein da und warten, dass er zu ihnen kommt. Zum Glück gibt es Kaffee.

»Ihr seid schuld«, sagt Christian und setzt sich zu Wolfgang auf die Bank. »Du und Renate. Ihr seid die Anführer. Ihr seid verantwortlich für die Evolution.«

»Wie bitte?« Wolfgang schenkt Wein nach.

»Na, Stammesentwicklung. Fortpflanzung.«

»Ach, darum geht’s noch.«

»Ganz genau. Darum.«

Wolfgang stützt seinen großen Kopf in die Hände, die Ellbogen auf die Knie. Christian sieht, wie das Feuer sich in seinen Augäpfeln spiegelt. Er hat schöne Augen, sein Freund. Und große Hände. Den Ehering kriegt er bestimmt nicht mehr runter, aber wozu auch.

Wolfgang wiegt den Kopf. »Wie bei den Wölfen, meinst du.«

Christian zuckt die Schultern.

»Bei den Wölfen kann nur das Weibchen des Anführers überhaupt schwanger werden. Die andern Weibchen sind gar nicht fruchtbar, solang sie unterworfen sind.«

Christian nickt. »Genau«, sagt er, »genau das meine ich.«

»Na ja«, sagt Wolfgang, »die machen das dann aber auch.«

»Was?«

»Junge kriegen.«

Christian zuckt die Schultern.

»Trotzdem«, sagt er.

Wolfgang räkelt sich und legt noch mal nach. »Ich versteh nicht, warum das auf einmal wieder Thema sein soll. Ist doch längst zu spät.«

»Sicher«, sagt Christian. »Aber wer Schuld hat, kann man ja trotzdem feststellen.«

Das ist es. Wolfgang hat in diesem Falle versagt. Wolfgang war der einzige, der überhaupt die Chance gehabt hätte, Kinder zu zeugen. Und jetzt schlich seine Frau im Dunkeln herum und versuchte, ein neues Alpha-Männchen zu küren. Aber nicht mit ihm. Er könnte höchstens noch seinem eigenen Weibchen, das in die Fuchsfalle geraten ist, die verstümmelte Pfote lecken. Wahrscheinlich nicht mal das.

»Gute Nacht«, sagt er zu Wolfgang, der mit dem Schürhaken auf die Kaffeemaschine klopft.

»Nacht.«

Christian steigt im Dunkeln die Treppe hoch. Unter keiner der Türen ist noch Licht zu sehen. Wahrscheinlich haben sie es gemacht wie letzte Nacht, und sein Platz ist links bei Renate.

Er will nicht. Er kann sich nichts Absurderes vorstellen, als neben einem anderen Körper zu liegen, geschweige denn, einen solchen anzufassen. Warum das wohl jemals ging? Vielleicht, wenn er ganz flach atmet.

LEIDER NEIN

Dass jeden Tag etwas Spannendes und Lustiges passieren sollte, zumindest aber etwas überdurchschnittlich Angenehmes oder gänzlich Unverhofftes, ließ Sandra nervös werden. Bevor sie abends ins Bett ging, schaltete sie den Anrufbeantworter ein, falls sie im Schlaf das Telefonklingeln überhören sollte. Dieser Fall war noch nie eingetreten, Sandra war viel zu nervös, um nicht beim ersten Klingeln hellwach zu sein, trotzdem sah sie morgens als erstes nach, ob nicht die rote Lampe blinkte. Leider nein, aber es war auch noch früh. Ob der Hörer richtig aufgelegen hatte?

Sie zog sich an, was eine Weile dauerte, weil sie nicht wusste, ob sie sich hübsch machen sollte für das Unerwartete, oder ob sie die schönen Kleider lieber schonen sollte für den Tag, an dem es mit größerer Wahrscheinlichkeit geschah. Noch war es früh, noch scheute sich die Welt, bei Sandra anzurufen. Noch war die Post nicht gekommen. Noch war nicht klar, ob das Wetter sich halten würde.

Gegen Mittag ließ die Nervosität etwas nach. Claudia hatte angerufen, um Sandra zum Abendessen einzuladen. Das war nicht wirklich spannend, aber zumindest war das Telefon nicht kaputt. Die Post war gekommen, eine Urlaubskarte von Sven, was bedeutete, dass er sie noch nicht aus seinem Adressbüchlein gestrichen hatte. Der Himmel hatte sich bewölkt, sodass Baden nicht mehr infrage kam. Sandra ging zurück ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.

Alles in allem war der Sommer doch die übelste Jahreszeit. Warm zwar, bunt und duftend, aber deshalb auch drängelnd und in ständiger Erwartung begriffen.

»Na, was machst du draus?«, fragt die Sonne alle fünf Minuten, während sie scheint.

November war besser. Im November war das, was man tat, ein tapferes Trotzdem: trotz des Regens, trotz der Kälte, trotzdem es nicht richtig hell wurde im Zimmer. Leider war aber nicht November, sondern August, und im August musste nochmal doppelt so viel Schönes passieren. Wozu sonst war die Nacht so lau, der Teer so weich, das Wasser glitzrig und das Gras frisch gemäht?

Sandra war eine von denen, die nicht gelernt hatten, das Leben gelassen zu nehmen: Beruf, Liebe, Familie, Altwerden. Für Sandra schienen diese Dinge mit großen, eigenmächtigen Entscheidungen zusammenzuhängen.

»Willst du alt werden?«, fragt das Schicksal, und Sandra überlegt.

»Ich glaube, lieber nicht«, antwortet sie. »Alles wird anstrengend, weil der Körper kaputt geht und die Erinnerungen immer schöner werden. Alles wird dringend, weil das Leben bald vorbei ist, lässt sich aber nicht mehr verwirklichen, weil man dann früher eine andere Richtung hätte einschlagen müssen. Nein, ich denke, lieber nicht.«

Claudia war genauso. Bei jedem Abendessen bestätigten sich die beiden, wie sie die Kinder, die sie nicht hatten, auf keinen Fall nennen würden. Sven hatte schon mehrmals dabeigesessen und glasige Augen bekommen.

»Hanna, Laura, Sophia? Nein: Sophia-Charlotte. Und das zweite Charlotte-Sophie.«

Zum Glück war Sven im Urlaub.

Sven war ein bisschen anders. Er bastelte gern, und zwei Frauen hatten bereits Kinder von ihm abgetrieben. Sven ging mehr drauflos, aber vielleicht kam das Sandra auch nur so vor, weil er ohne Weiteres in Urlaub fuhr. Sandra wollte mit dem Urlaub noch warten, bis sie ihr Leben richtig auf der Reihe hatte.

Das Spannende und Lustige, auf das Sandra wartete, war in Wahrheit das Romantische. Wenn sie allein im Bett lag, so wie jetzt, dachte sie daran, dass sie eine Frau war. Mit allen Begehrlichkeiten und gewiss auch allem Begehrenswerten. Das kam ihr absurd und anstrengend vor, ließ sich aber nicht wegüberlegen. Geschichten von vertrockneten Zimmerpflanzen, Osteoporose und Gebärmuttersenkung fielen ihr ein. Die Zimmerpflanze hatte sie von ihrem letzten Freund zur Trennung geschenkt bekommen, zum Üben, wie er meinte, üben, wie man sich Lebewesen gegenüber verhält. An Osteoporose waren hormonelle Umstellungen schuld, vollkommen natürlich, aber wieso denn jetzt schon? Und die Gebärmuttersenkung war unvermeidlich, wenn man keinen Mann hatte, der einem die Getränkekisten in den vierten Stock trug, beziehungsweise wenn man Jahre damit zugebracht hatte, den Richtigen zu überzeugen, indem man die Kisten selber trug. Alles hatte sich geändert. Alles war ein Irrtum gewesen. Neues schlich sich von hinten an.

Sandra lag und dachte und spürte die Begehrlichkeit.

Irgendwo hatte sie gelesen, dass Frauen ihre Sexualität erst ab dreißig richtig entdecken würden. Diese These traf auf Sandra absolut zu.

»Da bist du ja, Sexualität«, murmelte sie ins Kissen.

Was sollte sie nur mit ihr anfangen? Die Geschichte von Caroline Ingalls fiel ihr ein, die tüchtig und glücklich auf »Unserer Kleinen Farm« lebt, zusammen mit Charles und den Kindern, dem Apfelkuchen und den Gebeten, und die in einer Folge plötzlich das Haar offen trägt und sich wünscht, dass Charles es bemerkt. Und dann bemerkt Charles es und sagt ihr, wie schön sie ist, und sie muss doch nicht mit dem Tagelöhner aus North Dakota vögeln, dessen Anwesenheit sie überhaupt erst auf die Idee gebracht hat, sondern bekommt herrliche nächtliche Stunden mit Charles geschenkt, Gottes Segen und noch mehr Kinder. Derartige Rahmenbedingungen standen Sandra leider nicht zur Verfügung.

»Du musst geschmeidiger sein«, war ein Rat, den sie ernstnahm. Rumgezicke ging ihr bei Freundinnen auch auf die Nerven. Aber wie sollte sie es abstellen, wo sie doch ständig im Recht war?

»Die Frau ist dem Manne untertan«, sagte der Mann, den Sandra unter allen Umständen lieben wollte.

»Zu deinen Diensten«, antwortete sie und wusste dann nicht weiter. Er auch nicht. Also blieb sie allein.

Am Abend auf dem Weg zu Claudia bemühte sich Sandra, die Vorzüge zu genießen, die die mittelgroße Stadt gegenüber der Großstadt bereithielt: die Grünphasen der Ampeln waren länger, die Radfahrer fuhren langsamer, das Rot vom Grundschulneubau passte zum Stoppschild. Und vor Claudias Haustür war ein Parkplatz frei.

Sie blieb noch ein Weilchen sitzen, nachdem sie den Motor abgeschaltet hatte. Im Autoradio log Whitney Houston; »I will always love you!«, schrie sie, ein Versprechen, das sie niemals würde einhalten können, weshalb schon in der zweiten Strophe Trompeten zum Gesang hinzukamen. »I will always love you!«, immer verzweifelter. Sandra kannte diesen Willen nur zu gut.

»Der Willi isch heut net daheim«, sagte sie und stellte das Radio ab.

Oben in der Küche überfiel sie Rührung. Es gab Geschnetzeltes in Sherrysoße, Endiviensalat und Ananasquark. Niemand wusste besser, was Sandra schmeckte, als Claudia. Niemand konnte es mütterlicher und gleichzeitig sorgloser zubereiten. Niemand sonst war so gut zu ihr.

»Warum reicht mir das nicht?«, fragte Sandra Claudia, während sie die Quarkschüssel auskratzte.

Claudia schnaubte. Weil es Sandra nicht reichte, konnte Claudia behaupten, dass es ihr durchaus reichen würde. »Du bist ein Vaterkind. Du brauchst einen Mann, vor dem du schöntun kannst.«

Seit neuestem betrachtete Claudia die Dinge systemisch. Deshalb war sie nie mehr um eine Antwort verlegen, und es machte Spaß, sich mit ihr zu unterhalten. Erst hinterher, auf dem Nachhauseweg, fühlte Sandra sich manchmal ein bisschen manipuliert.

»Aber wenn das so ist«, sagte sie jetzt, »warum nehme ich mir dann nicht einen, der mir zuschaut und applaudiert? Warum liebe ich dann am liebsten die, die mich praktisch nicht beachten?«

Claudia guckte ernst und mitleidig. »Was ist die hervorstechendste Eigenschaft von Vätern? Richtig. Wahrscheinlich hat dein Vater anderes im Kopf gehabt, als zu Kleinmädchenkram zu applaudieren.«

Sandra versuchte sich zu erinnern. Hatte ihr Vater sie nicht genügend wahrgenommen? Still war er gewesen und unwillig, wenn es um Elternversammlungen ging, aber er hatte durchaus ihre Zeugnisse bewundert und ihre Schulfreunde und Kindergärtnerinnen mit Namen anreden können.

»Als zweite Tochter hättest du sowieso ein Junge werden sollen«, sagte Claudia und zuckte mit den Schultern. »Deshalb lebst du jetzt allein und machst Karriere.«

»Ich dachte, ich will einen Mann.«

»Na klar. Aber du findest keinen, wenn du deine Mutter nicht ehrst.«

Es war nicht leicht, sich so gut auszukennen. Klug waren sie, Sandra und Claudia, aber außerordentlich verzagt. Sie beschrieben sich gegenseitig den Weg, wollten ihn dann aber nicht beschreiten. Sahen sich Kylie Minogue im Musikkanal an, die tanzte dort durchsichtig frontal. »Das könnten wir auch«, kamen sie überein, aber wozu? Es gab keine Schallplatten, die sie verkaufen mussten, und niemand interessierte sich speziell für ihre Brüste.

»Wenn Kylie Minogue nackt tanzen darf, mach ich das auch«, sagt Sandra und springt auf.

»Du hast eine Ecke im Hüftschwung«, sagt Claudia, »das sieht ungelenk aus.«

»Dafür kann ich andere Sachen.«

»Ganz bestimmt.«

Sinnkrisen und Lebensfragen. Und eine lange Reihe schillernder Ideen, die unaufhaltsam einstaubten. Sie gingen sich damit gegenseitig auf die Nerven.

»Dann tu’s doch!«

»Tu ich auch.«

»Na los, bitteschön.«

»Ich trau mich nicht.«

Vielleicht war es Sandra deshalb so dringend mit dem Mann, den sie liebte. Weil er sich von vornherein weigerte.

Nachhause fuhr Sandra einen Umweg, um nachzusehen, ob er die Nacht in seiner Wohnung verbrachte. Drei Fenster zur Straße hatte er, hinter dem rechten stand das Bett, aber das mittlere war gekippt. Kein klares Zeichen. Sandra war zu verwirrt, um sich zu erinnern, ob er mit offenem Fenster schlief. Und selbst wenn. Was würde Claudia sagen?

»Wenn es eine Verbindung zwischen uns gäbe, könntest du spüren, wo ich bin«, sagt der Mann.

Claudia schnaubt nur. »Vatertöchter und Muttersöhne können kein erfülltes Sexleben miteinander haben.«

Leider nein. Ob er bei einer Muttertochter untergekommen war?

Zum Glück kam Sven aus dem Urlaub zurück.

Er rief Sandra an und verabredete sich mit ihr in einer unterirdischen Cocktailbar.

»Die hättest du ohne mich nie gefunden«, triumphierte er. Sein Gesicht war hübsch gebräunt, aber trotzdem war er Sven und nicht der Mann, den Sandra unbedingt lieben wollte.

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