Das Tagebuch der Anne Frank

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So war die Lage, als die Familie zum Essen kam. Peter blieb oben, niemand kümmerte sich um ihn, er sollte ohne Essen ins Bett. Wir aßen weiter und plauderten fröhlich, als auf einmal ein durchdringendes Pfeifen zu hören war.

Wir legten die Gabeln hin und schauten uns mit bleichen und erschrockenen Gesichtern an. Dann hörten wir Peters Stimme, die durch das Ofenrohr rief: »Ich komme aber nicht hinunter!« Herr van Daan sprang auf, seine Serviette fiel zu Boden, und mit einem feuerroten Kopf schrie er: »Jetzt ist es aber genug.«

Vater nahm ihn am Arm, da er Schlimmes befürchtete, und zusammen gingen die beiden Herren zum Dachboden. Nach viel Sträuben und Strampeln landete Peter in seinem Zimmer. Die Tür ging zu, und wir aßen weiter.

Frau van Daan wollte ein Butterbrot für ihr Sohnemännchen zur Seite tun, aber Herr van Daan war unerbittlich. »Wenn er nicht auf der Stelle um Entschuldigung bittet, muss er auf dem Dachboden schlafen.« Wir protestierten und fanden, nichts zu Essen zu bekommen wäre schon Strafe genug. Und wenn er sich oben erkälten würde, könnte nicht mal ein Doktor vorbeikommen.

Peter bat nicht um Entschuldigung, er war schon wieder auf dem Oberboden. Herr van Daan kümmerte sich nicht mehr darum, bemerkte aber morgens, dass Peters Bett doch benutzt worden war. Um sieben Uhr war Peter schon wieder auf dem Dachboden, wurde aber durch Vaters freundschaftliche Worte dazu gebracht, herunterzukommen.

Drei Tage mürrische Gesichter, hartnäckiges Schweigen, und alles lief wieder in gewohnten Bahnen.

Deine Anne

Montag, 21. September 1942

Liebe Kitty!

Heute werde ich dir kurz die neuesten Nachrichten vom Hinterhaus erzählen. Über meiner Schlafcouch wurde ein Licht montiert, und wenn nun nachts geschossen wird, brauche ich nur an der Schnur zu ziehen. Zur Zeit geht das aber nicht, weil das Fenster zur Zeit Tag und Nacht einen Spalt breit geöffnet ist.

Die männlichen van Daans haben einen geräumigen, gebeizten Vorratsschrank geschreinert, sogar mit einem Fliegengitter. Dieses glorreiche Ding stand bis jetzt in Peters Zimmer, ist nun aber wegen der kühleren Temperatur auf den Dachboden gestellt worden. Jetzt gibt es stattdessen ein Regalbrett. Ich habe Peter geraten, den Tisch dort hinzustellen, mit einer netten Decke, und das eine Schränkchen an die Wand zu hängen, wo jetzt der Tisch ist. Dann könnte es noch ein gemütliches Stübchen werden, auch wenn ich nicht gern da schlafen wollte.

Frau van Daan ist nicht auszuhalten. Ständig bekomme ich von oben Geschimpfe zu hören, weil ich zu viel schwätze. Ich mache mir aber aus ihren Schimpfereien nichts! Mit Madame gibt es ständig neuen Ärger. Jetzt weigert sie sich, die Töpfe abzuwaschen. Wenn noch ein kleiner Rest drin ist, tut sie das nicht in eine Glasschale, sondern lässt es lieber im Topf verderben. Und wenn Margot dann mittags beim Spülen mit Töpfen eingedeckt ist, sagt Madame auch noch: »Och, Margotchen, Margotchen, du hast aber viel zu tun!«

Herr Kleiman bringt mir jede zweite Woche ein paar Mädchenbücher mit. Ich bin begeistert von der Joop-ter-Heul-Serie. Cissy van Marxfeldt gefällt mir von allen am besten. »Eine Sommertorheit« habe ich schon viermal gelesen und muss noch immer über die komischen Episoden lachen.

Zusammen mit Vater arbeite ich gerade an einem Stammbaum seiner Familie, und dabei erzählt er von jeder Person etwas. Das Lernen hat begonnen. Ich tu viel für Französisch und pauke jeden Tag fünf unregelmäßige Verben. Aber ich habe, was bitter ist, viel von dem Schulstoff vergessen. Peter hat stöhnend begonnen, mit Englisch weiterzumachen. Gerade sind einige Schulbücher eingetroffen. Einen üppigen Vorrat an Heften, Bleistiften, Radiergummis, Etiketten usw. habe ich von zu Hause mitgebracht. Pim (das ist Vaters Kosename) fordert Anspruch auf Nachhilfe in Niederländisch ein. Ich finde das prima, sozusagen als Gegenleistung für seine Hilfe in Französisch und anderen Fächern. Aber die Schnitzer, die er macht, sind abenteuerlich!

Ich höre manchmal den Sender Oranje. Kürzlich sprach Prinz Bernhard. Ungefähr im Januar bekommen seine Frau und er wieder ein Kind, sagte er. Ich finde das schön. Hier können sie nicht verstehen, dass ich so oranje-treu gesinnt bin.

Vor einigen Tagen sprachen wir darüber, dass ich noch viel zu lernen hätte, sodass ich mich am nächsten Tag gleich heftig an die Arbeit gemacht habe. Ich habe wirklich keine Lust, mit vierzehn oder fünfzehn Jahren noch in der ersten Klasse zu sitzen [Die erste Klasse einer weiterführenden Schule nach der Grundschule ist gemeint; red.]. Es kam auch zur Sprache, dass ich viele Bücher nicht lesen darf. Mutter liest gerade »Heeren, Vrouwen en Knechten«, das darf ich natürlich noch nicht lesen (Margot schon!), ich solle erst noch etwas weiter entwickelt sein, so wie meine begabte Schwester. Wir sprachen auch darüber, dass ich über Philosophie, Psychologie und Physiologie (diese Wörter musste ich erst mal nachschlagen) tatsächlich nichts weiß. Vielleicht bin ich im nächsten Jahr klüger!

Ich bin zu der erschreckenden Erkenntnis gekommen, dass ich nur ein Kleid mit langen Ärmeln und drei Strickjacken für den Winter besitze. Vater hat erlaubt, dass ich mir einen Pullover aus weißer Schafwolle stricke. Die Wolle ist nicht sehr schön, aber die Wärme wird diesen Mangel wieder gut machen. Wir haben noch einige Kleidungsstücke bei anderen Leuten, aber die kann man erst nach dem Krieg zurückholen, falls sie dann noch da sind.

Als ich neulich etwas über Frau van Daan in dich schrieb, kam sie gerade ins Zimmer. Klapp, Buch zu.

»Na, Anne, darf ich mal schauen?«

»Nein, Frau van Daan.«

»Nur die letzte Seite?«

»Nein, auch die nicht, Frau van Daan.«

Ich bekam einen Mordsschreck, denn gerade auf dieser Seite war sie schlecht weggekommen. Solche Sachen passieren jeden Tag, aber ich bin zu träge und zu müde, um alles aufzuschreiben.

Deine Anne

Freitag, 25. September 1942

Liebe Kitty!

Vater hat einen alten Bekannten, Herrn Dreher, einen Mann von siebzig Jahren, der sehr schwerhörig, krank und arm ist. Und dazu als lästiges Anhängsel eine Frau, die siebenundzwanzig Jahre jünger ist, auch arm, aber vollgehängt mit echten und unechten Armbändern und Ringen, die noch aus früheren goldenen Zeiten stammen. Dieser Herr Dreher hat Vater schon ziemlich viel Mühe beschert, und ich bewunderte ihn immer wegen der Engelsgeduld, mit der er dem bedauernswerten alten Herrchen am Telefon Rede und Antwort stand. Als wir noch zu Hause wohnten, hat Mutter oft vorgeschlagen, Vater solle doch ein Grammophon vor das Telefon stellen, das alle drei Minuten »Ja, Herr Dreher« und »Nein, Herr Dreher« sagt, denn der alte Mann verstand sowieso nichts von Vaters ausführlichen Antworten. Heute rief nun Herr Dreher im Büro an und fragte Herrn Kugler, ob er kurz bei ihm vorbeikommen könne. Herr Kugler hatte dazu keine Lust und wollte Miep hinschicken. Miep sagte dann telefonisch ab. Frau Dreher rief danach dreimal an. Und weil Miep angeblich ja den ganzen Nachmittag über nicht da war, musste sie am Telefon Beps Stimme nachmachen. Unten im Büro und auch hier oben haben sich alle schiefgelacht. Jedes Mal, wenn jetzt das Telefon klingelt, sagt Bep: »Das ist Frau Dreher!« Woraufhin Miep sofort anfängt zu lachen und unseriös kichernd den Anrufern Auskunft gibt. Wirklich, so eine verrückte Firma gibt es kein zweites Mal! Die Direktoren haben zusammen mit den Sekretärinnen den größten Spaß!

Ich gehe manchmal abends hoch zu den van Daans, um mich ein bisschen zu unterhalten. Dann essen wir »Mottenkekse« mit Sirup (die Keksdose stand in einem Kleiderschrank, der eingemottet ist) und amüsieren uns. Neulich drehte sich das Gespräch um Peter. Ich habe erzählt, dass Peter mir oft über die Wange streichelt und ich das nicht mag. Auf echte Elternart fragten sie, ob ich Peter nicht ein bisschen mögen könnte, er hätte mich bestimmt sehr gern. Ich dachte »Oje!«, und sagte »Oh nee!« Stell dir das vor! Dann sagte ich, dass Peter sich ein bisschen linkisch benimmt. Ich glaube, er ist schüchtern. Das ist bei allen Jungs so, die noch nicht oft Umgang mit Mädchen hatten.

Ich muss sagen, dass die Versteckkommission Hinterhaus (Abteilung Herren) wirklich sehr einfallsreich ist. Pass auf, was die nun wieder ausgetüftelt haben: Sie wollen Herrn Broks, Vertreter der Opekta-Gesellschaft, eine Nachricht von uns zustellen lassen! Sie tippen an einen Opekta-Kunden in Zeeuws-Vlaanderen einen Brief mit einer Anfrage, und zwar so, dass der Mann einen Zettel ausfüllen und mit dem beigelegten Umschlag zurückschicken muss. Die Adresse schrieb Vater mit Handschrift auf dem Umschlag. Wenn dieser Umschlag zurückkommt, wird der Brief des Kunden herausgeholt und stattdessen ein handgeschriebenes Lebenszeichen von Vater hineingetan. So wird Broks den Brief lesen, ohne misstrauisch zu werden. Sie wählten Zeeland, weil es nah an der belgischen Grenze liegt und der Brief also einfach über die Grenze geschmuggelt worden sein könnte. Außerdem darf dort niemand ohne Sondergenehmigung hin, und ein einfacher Vertreter wie Broks würde so eine Genehmigung nicht bekommen.

[Anm.: Broks, ein Mitarbeiter von Opekta, sollte nichts vom Aufenthalt im Hinterhaus wissen, und annehmen, die Frank-Familie sei in Belgien]

Vater hat gestern Abend wieder einmal Theater gemacht. Ihm war schwindlig vor Müdigkeit, und er torkelte ins Bett. Dort hatte er kalte Füsse, und ich zog ihm meine Bettschuhe an. Fünf Minuten später lagen sie aber wieder neben seinem Bett. Dann wollte er kein Licht haben und hat den Kopf unter die Decke gesteckt. Als das Licht ausgemacht wurde, kam er sehr vorsichtig zum Vorschein. Es war zu komisch. Dann sprachen wir darüber, dass Peter Margot »Tante« nennt, und auf einmal kam Papas Stimme aus der Tiefe: »Eine Kaffeetante.«

 

Mouschi, die Katze, wird immer lieber zu mir, aber ich habe immer noch ein bisschen Angst.

Deine Anne

Sonntag, 27. September 1942

Liebe Kitty!

Heute hatte ich wieder eine sogenannte »Diskussion« mit Mutter. Das Schlimme ist, dass ich immer sofort in Tränen ausbreche, ich kann es nicht ändern. Papa ist immer lieb zu mir und versteht mich viel besser. Ach, ich kann Mutter nicht ausstehen, wenn sie so ist. Und ich bin für sie auch eine Fremde. Das merkt man sofort, sie weiß noch nicht mal, wie ich über die normalsten Dinge denke.

Wir redeten über Dienstmädchen, und dass man sie besser Haushaltshilfe nennen sollte und dass das nach dem Krieg sicher anders sein würde. Ich war nicht gleich ihrer Meinung. Und da sagte sie, dass ich so oft über »später« spreche und mich dann als große Dame aufspiele. Aber das ist gar nicht wahr. Ich kann mir doch wirklich ab und zu kleine Luftschlösser bauen, das ist doch nicht schlimm, das muss man doch nicht so ernst nehmen. Wenigstens verteidigt mich Papi, ohne ihn würde ich es hier bestimmt nicht aushalten.

Auch mit Margot verstehe ich mich nicht besonders gut. Obwohl es in unserer Familie nie solche Wutausbrüche wie oben gibt, ist es doch längst nicht immer harmonisch. Ich habe eine ganz andere Natur als Margot und Mutter, sie sind so fremd für mich. Ich verstehe mich mit meinen Freundinnen viel besser als mit meiner eigenen Mutter. Das ist schade, gell!

Frau van Daan ist wieder eine Laus über die Leber gelaufen. Sie ist sehr launisch und sperrt immer mehr von ihren Privatsachen weg. Schade, dass Mutter nicht jeden Van-Daan-Schwund mit einem Frank-Schwund beantwortet.

Manche Leute scheinen besondere Freude daran zu haben, nicht nur ihre eigenen Kinder zu erziehen, sondern auch die ihrer Bekannten – so sind auch die van Daans. An Margot gibt es nicht viel zu erziehen, sie ist von Natur aus die Brav-, Lieb- und Klugheit selbst. Dafür trage ich ihren Anteil an »Untugenden« zur Genüge mit herum. Mehr als einmal fliegen beim Essen ermahnende Worte der van Daans und freche Antworten meinerseits hin und her. Vater und Mutter verteidigen mich nach Kräften, ohne sie könnte ich den Kampf nicht so ohne weiteres bestehen. Zwar ermahnen sie mich immer, weniger zu reden, mich in nichts einzumischen und bescheidener zu sein, aber das schaffe ich kaum. Wäre Vater nicht immer wieder so geduldig, hätte ich schon längst keine Hoffnung mehr, die Anforderungen meiner Eltern zu erfüllen, dabei sind sie wirklich nicht zu hoch.

Wenn ich von einem Gemüse, das ich nicht ausstehen kann, kaum etwas nehme und stattdessen Kartoffeln esse, kann vor allem Frau van Daan diese Verwöhntheit nicht ertragen. »Nimm noch etwas Gemüse, Anne, komm«, sagt sie dann gleich.

»Nein, danke«, antworte ich. »Mir reichen die Kartoffeln.«

»Gemüse ist sehr gesund, das sagt auch deine Mutter. Nimm noch was«, drängt sie, bis Vater eingreift und sich auf meine Seite stellt. Dann fängt Frau van Daan an zu zetern und sagt: »Da hätten Sie unser zu Hause erleben sollen, da wurden die Kinder wenigstens erzogen! Das kann man doch nicht Erziehung nennen! Anne ist schrecklich verwöhnt, ich würde das nie zulassen. Wenn Anne meine Tochter wäre . . . «

Damit beginnt und endet immer der ganze Wortschwall. »Wenn Anne meine Tochter wäre ... « Zum Glück bin ich es nicht. Aber um auf das Erziehungs-Thema zurückzukommen: Gestern trat nach Frau van Daans letzten überschwappenden Worten eine Stille ein, und Vater sagte: »Ich finde, Anne ist sehr gut erzogen. Sie hat wenigstens schon so viel gelernt, dass sie sich auf Ihre langen Predigten eine Antwort spart. Und was das Gemüse betrifft, kann ich nichts anderes sagen als vice versa.«

Madame war geschlagen, und zwar gründlich. Das ›vice versa‹ bezog sich auf sie, weil sie abends keine Bohnen und überhaupt keine Kohlsorten essen kann, denn andernfalls lässt sie »Winde«. Das hätte ich auch sagen können. Sie ist doch dämlich, nicht wahr? Soll sie wenigstens was mich betrifft den Mund halten. Es ist komisch zu sehen, wie schnell Frau van Daan rot wird. Ich nicht, ätsch! Und darüber ärgert sie sich insgeheim schrecklich.

Deine Anne

Montag, 28. September 1942

Liebe Kitty!

Mein Brief von gestern war noch lange nicht fertig, als ich mit dem Schreiben aufhören musste. Aber ich kann die Lust nicht unterdrücken, dir von einem anderen Zwist zu erzählen. Doch bevor ich beginne, noch dies: Ich finde es sehr seltsam, dass erwachsene Menschen so schnell, so viel und über alle möglichen Kleinigkeiten Streit anfangen. Bisher dachte ich immer, dass nur Kinder sich so zanken und dass sich das später legen würde. Natürlich gibt es schon mal Gründe für einen »richtigen« Streit, aber diese Scharmützel hier sind nichts anderes als Zankereien. Sie gehören zur Tagesordnung, und ich müsste eigentlich schon daran gewöhnt sein. Aber dem ist nicht so und wird auch nicht so sein, solange ich bei fast jeder Diskussion (dieses Wort wird hier statt Streit verwendet, ganz falsch natürlich, aber das wissen Deutsche eben nicht besser!) zum Thema gemacht werde.

Nichts, aber auch gar nichts lassen sie an mir gelten. Mein Auftreten, mein Charakter, meine Manieren werden Stück für Stück von vorn bis hinten und von hinten bis vorn beredet und bequatscht, und etwas, das ich so überhaupt nicht gewohnt bin, nämlich barsche Worte und Geschrei an meine Adresse, soll ich jetzt, so die Meinung der Erwachsenen, wohlgemut schlucken. Das kann ich nicht! Ich denke nicht daran, diese Beleidigungen auf mir sitzen zu lassen. Ich werde ihnen schon zeigen, dass Anne Frank nicht von gestern ist! Sie werden sich noch wundern und sich ihre dummen Sprüche sparen, wenn sie kapiert haben, dass sie nicht mit meiner, sondern erst mal mit ihrer eigenen Erziehung anfangen müssen. Das ist eine Art aufzutreten! Einfach barbarisch! Ich bin jedes Mal wieder baff von so viel Rüpelhaftigkeit und vor allem Dummheit (Frau van Daan). Aber sobald ich mich daran gewöhnt habe, und das wird schon bald sein, werde ich ihnen ihre Wörter gesalzen zurückgeben, da werden sie anders reden! Bin ich denn wirklich so ungezogen, eigenwillig, störrisch, unbescheiden, dumm, faul usw., wie sie es oben behaupten?

Na ja, ich weiß schon, dass ich eine Menge Fehler und Schwachstellen habe, aber sie übertreiben wirklich maßlos. Wenn du nur wüsstest, Kitty, wie ich manchmal bei diesen Schimpftiraden koche! Es wird wirklich nicht mehr lange dauern, bis meine angestaute Wut zum Ausbruch kommt.

Aber nun genug hierüber, ich habe dich lange genug mit diesen Streitereien gelangweilt. Aber ich kann es nicht lassen, eine hochinteressante Tischdiskussion muss ich dir noch erzählen.

Irgendwie kamen wir auf Pims [Anne nennt ihren Vater ›Pim‹; red.] enorme Bescheidenheit. Das ist eine so feststehende Tatsache, dass selbst von den idiotischsten Leuten nicht daran gezweifelt werden kann. Plötzlich sagte Frau van Daan, die jedes Gespräch auf sich beziehen muss: »Ich bin auch sehr bescheiden, viel bescheidener als mein Mann!«

Hast du je im Leben so was gehört? Dieser Satz zeigt doch schon sehr deutlich ihre Bescheidenheit!

Herr van Daan fand es nötig, das »als mein Mann« näher zu erklären, und sagte ganz ruhig: »Ich will gar nicht bescheiden sein. Ich stelle immer fest, dass unbescheidene Leute es viel weiter bringen als bescheidene.« Und dann wandte er sich an mich: »Sei nur nicht bescheiden, Anne, damit kommt man nicht sehr weiter.«

Mutter stimmte mit dieser Ansicht vollkommen überein. Aber wie üblich musste Frau van Daan zu diesem Erziehungsthema ihren Senf dazugeben. Diesmal wandte sie sich jedoch nicht an mich, sondern an meine Eltern, und sagte: »Sie haben eine merkwürdige Lebensanschauung, so etwas zu Anne zu sagen. Als ich jung war, war das ganz anders. Ich bin mir auch sicher, dass es jetzt noch anders ist, außer eben in Ihrer modernen Familie.«

Damit war Mutters mehrmals diskutierte moderne Erziehungsmethode gemeint. Frau van Daan war feuerrot vor Aufregung. Jemand, der rot wird, regt sich durch die Erhitzung noch mehr auf und hat das Spiel bald verloren.

Mutter, die sich nicht aufregte, wollte die Geschichte so schnell wie möglich vom Tisch haben und überlegte kurz, bevor sie antwortete: »Frau van Daan, ja, ich finde tatsächlich, dass es im Leben viel besser ist, etwas weniger bescheiden zu sein. Mein Mann, Margot und Peter sind außergewöhnlich bescheiden. Ihr Mann, Anne, Sie und ich sind nicht unbescheiden, aber wir lassen uns auch nicht bei jeder Gelegenheit einfach zur Seite schieben.«

Frau van Daan: »Aber Frau Frank, ich verstehe Sie nicht! Ich bin wirklich über die Maßen bescheiden. Wie kommen Sie dazu, mich unbescheiden zu nennen?«

Mutter: »Sie sind sicher nicht unbescheiden, aber niemand würde Sie besonders bescheiden nennen.«

Frau van Daan: »Ich würde gerne wissen, worin ich unbescheiden bin! Wenn ich hier nicht für mich selbst sorgen würde, müsste ich verhungern, ein anderer würde mich bestimmt nicht versorgen. Aber deshalb bin ich wirklich genauso bescheiden wie Ihr Mann.«

Mutter konnte bei dieser albernen Verteidigung nur lachen. Das irritierte Frau van Daan, die ihre Ausführungen noch mit einem prächtigen deutsch-niederländischen und niederländisch-deutschen Sprachengewirr fortsetzte, bis die geborene Rhetorikern sich so in ihren eigenen Worten verhedderte, dass sie schließlich aufstand und aus dem Zimmer gehen wollte. Ihr Blick fiel dabei auf mich. Das hättest du sehen müssen! Unglücklicherweise hatte ich in dem Moment, als sie uns den Rücken zukehrte, mitleidig und ironisch mit dem Kopf geschüttelt, nicht mit Absicht, sondern ganz unwillkürlich, weil ich den Wortschwall so belustigt verfolgt hatte. Frau van Daan kehrte um und fing an zu keifen, laut, deutsch, rüpelhaft und gemein, genau wie ein dickes, rot angelaufenes Fischweib. Es war ein Vergnügen, sie anzuschauen. Könnte ich zeichnen, hätte ich sie am liebsten in dieser Haltung gezeichnet, so komisch war dieses kleine, verrückte, dumme Weib! Aber eines ist mir jetzt klar: Man lernt Menschen erst gut kennen, wenn man einmal einen richtigen Streit mit ihnen gehabt hat. Erst dann kann man ihren Charakter beurteilen!

Deine Anne

Dienstag, 29. September 1942

Liebe Kitty!

»Untergetauchte« erleben seltsame Sachen! Weil es hier keine Wanne gibt, baden wir in einem Waschzuber. Weil nur das Büro unten (ich meine das ganze untere Stockwerk) warmes Wasser hat, machen wir das Beste daraus, und schleppen heisses Wasser in Eimern nach oben. Nun sind wir recht verschieden, und einige genieren sich mehr als andere, also hat sich jeder Mitbewohner einen anderen Badeplatz ausgesucht. Peter badet in der Küche, obwohl sie eine Glastür hat. Wenn er also ein Bad nehmen möchte, sagt er vorher jedem einzelnen, dass wir in der nächsten halben Stunde nicht an der Tür vorbeigehen dürfen. Das scheint ihm ausreichend zu sein. Herr van Daan badet ganz oben. Für ihn macht die Privatheit des eigenen Zimmers die Beschwerlichkeit des Wasserschleppens wett. Frau van Daan badet derzeit überhaupt nicht, sie überlegt noch, welcher Platz der beste für sie ist. Vater badet im Privatbüro, Mutter in der Küche hinter einem Kaminschirm, und Margot und ich haben uns für das vordere Büro als Badeplatz entschieden. Samstag nachmittags sind dort die Vorhänge vor gezogen. Dann baden wir im Düstern, und diejenige von uns, die gerade warten muss, guckt durch eine Lücke zwischen den Vorhängen aus dem Fenster und beobachtet die merkwürdigen Leute draußen.

Aber seit letzter Woche gefällt mir dieses Bad nicht mehr, und ich habe mich auf die Suche nach einem besseren Platz gemacht. Peter brachte mich auf die Idee, den Zuber in die große Bürotoilette zu stellen. Dort kann ich mich aufsetzen, die Tür abschließen, Licht anmachen und das Badewasser ohne fremde Hilfe wegschütten, und bin dabei vor fremden Blicken sicher. Am Sonntag habe ich mein schönes Badezimmer eingeweiht, und es klingt zwar komisch, aber ich finde, es ist der beste Platz von allen.

Der Installateur war am Mittwoch im Haus, um unten die Rohre der Wasserleitung der Bürotoilette auf den Flur neu zu verlegen. Das hat man vorsorglich gemacht, damit die Rohre, sollte der Winter sehr kalt werden, nicht einfrieren. Diese Montagearbeiten waren für uns gar nicht angenehm. Nicht nur, dass wir tagsüber das Wasser nicht aufdrehen durften, natürlich konnten wir auch nicht aufs Klo!

Wenn ich dir erzähle, was wir gemacht haben, um diesem Übel abzuhelfen, ist das nicht besonders fein. Aber ich bin nicht so zimperlich, darüber zu schweigen. Vater und ich hatten gleich zu Beginn unseres Untertauchens einen improvisierten Nachttopf konstruiert, genauer gesagt, wir haben mangels eines Topfes ein Weckglas zweckentfremdet. Während der Installateur unten war, haben wir diese Weckgläser ins Zimmer gestellt und die Produkte unserer Bedürfnisse erst mal darin aufbewahrt. Das fand ich längst nicht so gruslig wie die Tatsache, dass ich den ganzen Tag stillsitzen musste und keinen Pieps sagen durfte. Du kannst dir gar nicht ausmalen, wie schwer das dem Fräulein Quak-quak-quak gefallen ist. An normalen Tagen dürfen wir ja auch nur flüstern, aber überhaupt nichts zu sagen und sich nicht mal zu rühren, das finde ich zehnmal so schlimm. Mein Hintern war nach drei Tagen Sitzen geplättet und ganz steif und schmerzte. Abendgymnastik hat es gelindert.

 

Deine Anne

Donnerstag, 1. Oktober 1942

Beste Kitty! Gestern bin ich fürchterlich erschrocken. Um acht Uhr klingelte es plötzlich ganz laut. Ich dachte natürlich, da käme jemand ... Wer, kannst du dir wohl denken. Als aber alle meinten, es wären sicher Straßenjungen oder die Post gewesen, beruhigte ich mich.

Die Tage vergehen hier sehr still. Levinsohn, ein kleiner jüdischer Apotheker und Chemiker, arbeitet für Kugler in der Küche. Er kennt das ganze Haus sehr gut, und darum sind wir ständig in Sorge, es könnte ihm einfallen, auch mal das frühere Labor zu besichtigen. Wir sind dann mucksmäuschenstill. Wer hätte vor drei Monaten gedacht, dass die Quecksilber-Anne stundenlang ruhig sitzen kann, wenn es sein muss?

Am 29. September hatte Frau van Daan Geburtstag. Obwohl nicht groß gefeiert wurde, bekam sie immerhin Blumen und kleine Geschenke, und es gab gutes Essen. Rote Nelken vom Herrn Gemahl scheinen bei der Familie Tradition zu sein. Um noch kurz bei Frau van Daan zu bleiben: Eine Quelle ständigen Ärgers sind für mich ihre Flirtversuche mit Vater. Sie streicht ihm über Wange und Haare, zieht ihr Röckchen weit nach oben, sagt Dinge, die sie für witzig hält, und versucht so, Pims Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Glücklicherweise findet er sie nicht hübsch und auch nicht nett und geht daher auf die Flirtereien nicht ein. Aber ich bin ein ziemlich eifersüchtiger Typ, wie du weißt, also kann ich das nicht ausstehen. Mutter macht das doch auch nicht bei Herrn van Daan. Das habe ich ihr dann auch ins Gesicht gesagt.

Peter kann ab und zu recht witzig sein. Eine Vorliebe, die alle amüsiert, hat er mit mir gemeinsam, und zwar das Verkleiden. Er zog ein sehr enges Kleid seiner Mutter an, ich seinen Anzug – so erschienen wir, mit Hut und Mütze auf dem Haupt. Die Erwachsenen bogen sich vor Lachen, und wir hatten ebensoviel Spaß.

Bep hat im Warenhaus neue Röcke für Margot und mich gekauft. Der Stoff ist schlecht, wie Jute für Kartoffelsäcke. So ein Ding, das die Läden früher nicht anzubieten gewagt hätten, kostet jetzt 7,75 respektive 24 Gulden.

Noch etwas Schönes haben wir in Aussicht: Bep hat für Margot, Peter und mich Unterlagen für schriftlichen Steno-Unterricht bestellt. Du wirst sehen, was für perfekte Stenographen wir nächstes Jahr sein werden. Ich finde es jedenfalls sehr wichtig, so eine »Geheimschrift« zu beherrschen.

Ich habe schlimme Schmerzen in meinem Zeigefinger (der linken Hand) und kann deshalb nicht bügeln, was für ein Glück!

Herr van Daan bevorzugt es, dass ich mich neben ihn an den Tisch setzte, er meinte, Margot esse nicht mehr genug. Nun, ich fand so einen Wechsel der Sitzordnung auch ganz gut.

Im Garten streunt immer so ein kleines, schwarzes Kätzchen herum. Das erinnert mich so an mein Moortje, oh, dieser Schatz!

Mama hat ständig was zu meckern, vor allem bei Tisch, auch deshalb ist die Sitzplatzänderung ganz gut. Jetzt hat Margot den Ärger damit, oder besser gesagt, keinen Ärger damit, denn über sie macht Mama nicht solche stacheligen Bemerkungen, über dieses vorbildliche Kind! Mit dem ›vorbildlichen Kind‹ piesacke ich sie jetzt immer, das kann sie nicht ausstehen. Vielleicht gewöhnt sie sich diese Formulierung ab, es wird auch höchste Zeit.

Zum Schluss dieser Gemischtwarenmitteilungen noch einen besonders ulkigen Witz von Herrn van Daan: Was macht 999 mal klick und ein mal klack? Ein Tausendfüßler mit einem Holzbein!

Tschüs, deine Anne

Samstag, 3. Oktober 1942

Beste Kitty!

Gestern haben sie mich aufgezogen, weil ich mit Herrn van Daan zusammen auf dem Bett gelegen bin. »Was, so früh? Ein Skandal!«, und lauter solche Ausdrücke. Blöd natürlich. Ich würde nie mit Herrn van Daan schlafen wollen, in der normalen Bedeutung von ›schlafen‹ natürlich. Gestern gab es wieder einen Knall, und Mutter hat sich schrecklich aufgespielt. Sie hat Papa alle meine Missetaten erzählt und heftig angefangen zu weinen. Ich natürlich auch, und ich hatte sowieso schon schreckliche Kopfschmerzen. Ich habe Papi dann gesagt, dass ich »ihn« viel lieber habe als Mutter. Daraufhin hat er gesagt, dass sich das schon wieder geben würde, aber das glaube ich nicht. Mutter kann ich nun mal nicht ausstehen, und ich muss mich zwingen, sie nicht immer anzugiften und ruhig zu bleiben. Ich könnte ihr glatt ins Gesicht schlagen. Ich weiß nicht, woher das kommt, dass ich so eine heftige Abneigung gegen sie habe. Papa hat gesagt, ich sollte ihr mal von mir aus anbieten, ihr zu helfen, wenn sie sich schlecht fühlt oder Kopfschmerzen hat. Aber das tue ich nicht, weil ich sie nicht liebe, und darum habe ich kein Mitgefühl. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Mutter mal stirbt. Aber dass Papa mal stirbt, das könnte ich, glaube ich, nicht aushalten. Das ist sehr gemein von mir, aber so fühle ich es. Ich hoffe, dass Mutter alles, was hier steht, niemals lesen wird.

In letzter Zeit darf ich etwas mehr Erwachsenenbücher lesen. Ich lese gerade »Evas Jugend« von Nico van Suchtelen. Den Unterschied zwischen Mädchenbüchern und diesem empfinde ich gar nicht so groß. Eva denkt, dass Kinder wie Äpfel am Baum wachsen und der Storch sie dort abpflückt, wenn sie reif sind, und zu den Müttern bringt. Aber die Katze ihrer Freundin hatte Junge bekommen, die kamen aus der Katze heraus. Allerdings dachte Eva, dass die Katze, genau wie ein Huhn, Eier legt und sie ausbrütet. Auch Mütter, die ein Kind bekommen, würden ein paar Tage zuvor ins Schlafzimmer gehen und ein Ei legen, um es dann auszubrüten. Wenn das Kind dann da ist, sind die Mütter noch etwas schwach, weil sie so lange auf dem Ei hockten. Eva wollte nun auch ein Kind haben. Sie nahm einen Wollschal und rollte ihn auf dem Fußoden, da hinein sollte das Ei fallen. Dann hockte sie sich darüber, gackerte und drückte, aber es kam kein Ei. Endlich, nach sehr langem Sitzen, kam etwas heraus, aber kein Ei, sondern eine Wurst. Eva schämte sich sehr. Sie dachte, sie wäre krank.

Witzig, nicht wahr? In »Evas Jugend« steht auch etwas darüber, dass Frauen ihren Körper auf der Straße an Männer verkaufen und dafür einen Haufen Geld verlangen. Ich würde mich zu Tode schämen vor so einem Mann. Außerdem steht drin, dass Eva ihre Periode bekommen hat. Danach sehne ich mich so sehr, dann bin ich endlich erwachsen. Papa mault schon wieder und droht mir mein Tagebuch wegzunehmen. Oh, was für ein Schreck! Ich werde es in Zukunft verstecken!

Mittwoch, 7. Oktober 1942

Ich stelle mir jetzt vor, dass ... ich in die Schweiz gehe. Papa und ich schlafen in einem Zimmer, während das Zimmer der Jungen [Annes Cousins Bernhard und Stephan; red.] mein Zimmer wird, wo ich sitze und meine Gäste empfange. Als Überraschung haben sie mir dafür neue Möbel gekauft, Teetisch, Schreibtisch, Sessel und Sofa, einfach großartig. Ein paar Tage später gibt Papa mir 150 Gulden – umgerechnet natürlich, aber ich bleibe jetzt einfach bei Gulden – und sagt, dass ich mir dafür alles kaufen kann, nur für mich selbst, was ich für nötig halte. (Später soll ich dann jede Woche einen Gulden bekommen, dafür kann ich mir auch kaufen, was ich will.) Ich gehe mit Bernd los und kaufe: