Kitabı oku: «Das Audit», sayfa 2

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DONNERSTAG, 3. JUNI

Am Morgen klingelte das Festnetztelefon im Wohnzimmer, ein Überbleibsel von Kathrins ehemaligem Freund, der seine Handynummer nicht mit jedem teilen wollte. Kathrin war schon auf dem Weg zur Hochschule. Leni trank gerade ihren Kaffee und schaute durch die Glasfront am gegenüberliegenden Hochhaus vorbei auf die Erasmus-Brücke. Dieser Blick erzeugte bei allen Besuchern einen Wow-Moment und kaschierte die Tatsache, dass die beiden Schlafzimmer mit jeweils zehn Quadratmetern ziemlich klein und dass sowohl die offene Küche als auch Bad und Toilette nur sehr einfach ausgestattet waren.

Am anderen Ende der Leitung war Klaus Dieter Wisch, der Leni bat, umgehend im Institut zu erscheinen. Das war ganz in ihrem Sinn, denn sie brauchte einen Zugang zum elektronischen Klassenbuch für den C2-Kurs von Beate. Dort sollte eigentlich etwas über die Hausaufgaben und die bereits behandelten Themen stehen.

Als Leni das Institut erreichte, stand Klaus Dieter vor der Eingangstür und trat von einem Bein auf das andere. So ein kurzer Ausflug an die frische Luft hatte auf ihn, zumindest früher in seinen Raucher-Zeiten, eine beruhigende Wirkung. Das klappte heute nicht. Er war noch nervöser als am Vortag, sah blass aus. Mit einem Becher Kaffee aus der Cafeteria erreichten sie schließlich sein Büro im zweiten Stock. Alles lag hier durcheinander.

„Ich brauche den Zugang zu Beates Klassenbuch“, begann Leni das Gespräch, den noch vorzubereitenden Unterricht im Hinterkopf.

„Ach ja, den Zugangscode, die Liste mit den Codes muss hier irgendwo sein.“ Etwas hilflos blätterte Klaus Dieter in den Papierstapeln auf seinem Tisch herum, ohne Erfolg.

„Wir haben aber noch ein anderes Problem. In einer Woche steht uns das Audit ins Haus, das weißt du ja, und ich bin mir nicht ganz sicher, wie weit Beate mit den Vorbereitungen gekommen ist. Da gibt es vermutlich noch einiges zu tun. Ich habe gestern noch mit der Institutsleiterin gesprochen. Meine Bitte, das Audit zu verschieben, wurde leider abgelehnt. Martina meinte, ich soll mich jetzt um die Vorbereitung kümmern.“ Dabei zeigte er mit dem Finger auf seine Brust und ließ diese Zumutung ein zweites Mal nach gestern Abend auf sich wirken. „Aber du verstehst natürlich, dass das für mich gar nicht so einfach ist. Ich stecke bis über beide Ohren in den Vorbereitungen zur Deutschlehrertagung, das ist viel Arbeit. Außerdem müssen wir noch an verschiedenen Institutionen Prüfungen abnehmen. Das wird mir alles zu viel.“

Leni wusste, dass die Tagung erst im Herbst stattfinden sollte und er selbst gar keine Prüfungen mehr abnahm, dennoch nickte sie verständnisvoll. „Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Das ist aber nett, dass du das fragst. Ja, du kannst mir helfen. Ich werde noch mal mit Martina Müller-Bär sprechen und fragen, ob du vertretungsweise auch die organisatorischen Aufgaben für den Sprachkursbetrieb von Beate übernehmen kannst, bis wir die Stelle neu besetzen.“

Lenis Reaktion kam prompt, denn sie erkannte die Chance, die sich ihr bot. „Das mache ich sehr gerne. Das ist doch selbstverständlich.“

„Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Du hast ja in den Test- und Einschreibungswochen für die Kurse schon mit dem neuen Kursteilnehmerverarbeitungsprogramm gearbeitet, deshalb bin ich mir sicher, dass du dich da sehr schnell reinfuchst. Ich werde bei der Institutsleiterin vorbeigehen und mit Rob sprechen, der soll dir den Zugang zu Beates Computer einrichten. Vielleicht kann der dir dann gleich mit dem Online-Klassenbuch helfen.“

Während Leni versuchte, sich die Freude über das unverhoffte Angebot nicht anmerken zu lassen, das für sie noch mehr Arbeitsstunden und demzufolge eine deutliche Verbesserung ihrer finanziellen Lage bedeutete, erkundigte sie sich nach Neuigkeiten zur Todesursache.

„Die Polizei hat sich angekündigt. Die kommen um 10:30 Uhr zu einem Gespräch mit Martina und mir.“ Klaus Dieter sah auf seine Uhr. „Das habe ich auch noch um die Ohren! Es wäre mir am liebsten, du würdest sofort loslegen, damit wir keine Zeit verlieren. Du kannst in Beates Büro arbeiten, das ist ja jetzt leer.“ Als er in die Innentasche seines Jacketts griff, um mit einer alkoholhaltigen Flüssigkeit aus einem silbernen Flachmann seine Nerven zu beruhigen, war Leni schon auf dem Weg zu ihrem neuen Arbeitsplatz.

Das Büro der Sprachkursbeauftragten war ziemlich klein und mit einem Schreibtisch, einem Rollschrank, einem Stuhl und halbleeren Regalen an der Wand ausreichend möbliert. Der Tisch stand vor dem Fenster und bot einen beruhigenden Blick auf eine Baumkrone. An der Wand hingen zwei alte Werbeplakate für die Sprachkurse, eins mit dem fett gedruckten Wort Schnapsidee, eins mit Fingerspitzengefühl. Darunter folgte in kleineren Buchstaben die Frage: Deutsch lernen? Leni zog vorsichtig die Schubladen auf, in denen aber nur Büromaterial zu finden war. Dann sah sie sich um. In dem Raum gab es nichts Privates, kein Foto, keine Blumentöpfe, keine Nippesfiguren oder Ähnliches. Als Leni ihre Tasche auspackte und ihre Stifte und das A5-Heft, das sie immer mit sich führte, auf dem Schreibtisch platzierte, tauchte Rob auf. Mit seinem durchtrainierten Körper, der Glatze und dem goldenen Ohrring im rechten Ohr beschrieb ihn Kathrin einmal sehr treffend als Mischung aus Bruce Willis und Meister Proper. Und das Einsatzgebiet, das ihm viele Kollegen und Besucher aufgrund seiner muskelbepackten Arme instinktiv zuordneten, lag eindeutig auf dem Gebiet von Schutz und Sicherheit. Doch seit Lenis Arbeitsbeginn vor sechs Jahren gab es keinerlei Vorfälle, die den Einsatz eines Sicherheitsbeauftragten erfordert hätten. Kein deutschsprachiges Buch verließ auf illegale Weise die Bibliothek und die ausgestellten Kunstwerke blieben solange im Ausstellungsraum, bis sie von den Künstlern selbst wieder entfernt wurden. Auch die Bedrohungslage des Instituts an sich war insgesamt als gering einzuschätzen, obwohl es nach Berichten von Mitarbeitern vor etlichen Jahren tatsächlich einmal zu einem Zwischenfall gekommen war. Damals gab es eine Gruppe von kurdischen Kämpfern, die nach einem ihrer Meinung nach ungerechten Urteil eines Hamburger Gerichts, bei dem einer der ihren zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, beschlossen hatten, das Institut für deutsche Sprache und Kultur in Rotterdam zu überfallen. Warum die sich gerade Rotterdam ausgesucht hatten, wusste niemand so genau. Vielleicht wohnten einige von ihnen in der Hafenstadt. Ihr Bestreben bestand nun darin, die Verurteilten und ein paar andere Landsleute freizupressen. Die Aktion begann in der Unterrichtspause, kurz nach 20 Uhr. Eine kleine ältere Dame hatte an der verschlossenen Eingangstür geklingelt und den damaligen Rezeptionisten geschockt, als sie beim Öffnen der Tür gemeinsam mit von der linken und rechten Seite hervortretenden, mit Messern bewaffneten jungen Männern und Frauen in das Gebäude stürmte. Die Kursteilnehmer und Lehrerkollegen wurden als Geiseln genommen, Polizei und Presse versammelten sich vorm Institut auf dem Westersingel und in den niederländischen Nachrichten rutschte die Neuigkeit der Geiselnahme immer weiter nach oben. So erfuhr auch der Mann von Elli Geiger, dass seine Frau nicht pünktlich nach Hause kommen würde. Ellis Erzählung zufolge seien alle Beteiligten ruhig geblieben. Die Kursteilnehmer hätten sich erst beschwert, als gegen 21 Uhr die offizielle Unterrichtszeit zu Ende und somit die Freizeitaktivität Deutsch lernen für diese Woche abgearbeitet war. Eine Stunde später konnten die Lehrerinnen mit gutem Zureden gerade noch eine Prügelei zwischen einigen männlichen Teilnehmern und den Geiselnehmern verhindern. Um 22:30 Uhr hatten sich Polizei und Institutsbesetzer darauf geeinigt, das Ganze friedlich zu beenden und Letztere ließen sich ohne Gegenwehr vor laufenden Kameras festnehmen. Der Anführer gab dem Fernsehsender RTL4 noch kurz ein Interview, bevor das Polizeiauto mit zwei Polizeibeamten und dem Festgenommenen davonraste. Das war bisher die einzige Situation, in der ein Sicherheitsmann oder eine Sicherheitsfrau nützlich gewesen wäre und die war lange her. Zur Verwunderung aller war das Interesse am Institut und den Deutschkursen in der Nachfolgezeit dieses Ereignisses deutlich angestiegen, sodass sich selbst Jahre später Kollegen bei sinkenden Kursteilnehmerzahlen den makabren Scherz erlaubten, sich mal als Geiselnehmer zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise für mediale Aufmerksamkeit zu sorgen.

Rob hatte jedenfalls mit Personenschutz nichts zu tun und ging nun seiner Tätigkeit als IT-Experte nach. Er startete den Computer, zog ein Backup der Dateien auf eine externe Festplatte und gab Leni den Code für Beates Online-Klassenbuch. Außerdem erhielt sie ein neues Passwort und hatte damit uneingeschränkten Zugriff auf Beates Computer.

Leni atmete tief durch, das ging doch alles sehr schnell. Jetzt fiel ihr ein, dass sie weder nach der Bezahlung, noch nach den Arbeitszeiten oder einem Vertrag gefragt hatte. Sie nahm sich vor, das nachzuholen. Mit einem winzigen Lächeln im Gesicht schaute sie zunächst in den Mail-Account: fünfundsiebzig nicht geöffnete Mails. Sie begann oben und öffnete die erste Mail. Eine Bitte um Informationen zu den Sprachkursen. Als sie bei Mail fünfzehn mit Fragen zu den Sprachkursen angelangt war, hörte sie von hinten: „Leni, was machst du denn hier?“ Hugo de Jonge hatte das Zimmer betreten, ohne dass sie es bemerkt hatte, da sie mit dem Rücken zur Tür saß. Hugo arbeitete seit fünfzehn Jahren als Assistent in der Sprachabteilung. Er kannte alle Kollegen, viele Kursteilnehmer und alle Verarbeitungsprogramme für die Sprachabteilung, die seit seinem Arbeitsantritt entwickelt wurden – und das waren nicht wenige.

„Hallo Hugo, ich wollte auch gerade zu dir kommen. Klaus Dieter hat mich gebeten, die Arbeit von Beate erst mal aushilfsweise zu übernehmen und bei der Durchführung des Audits zu helfen. Ich bin gerade dabei, mich mit dem Computer anzufreunden.“

„Da hat der Klaus Dieter ja mal was Gutes gemacht. Soll ich dich ein bisschen einweisen oder willst du gleich loslegen?“

„Na ja“, stammelte Leni, „das kam alles etwas unvorbereitet und ich muss mich noch auf den C2-Kurs heute Abend vorbereiten. Ich schlage vor, dass ich mir zunächst einen Überblick über die ganzen Dokumente verschaffe und wir vielleicht später reden.“

„Okay, du weißt ja, wo du mich findest.“ Er verschwand wieder aus ihrem Blickfeld.

Vielleicht hätte sie sich zuerst bei Hugo melden sollen. Mit einem Anflug von Selbstkritik wendete sich Leni wieder dem Computer zu und klickte sich weiter durch die Mails. Zwischen den ungeöffneten gab es einige bereits geöffnete Mails. Bei einer davon, einer Mail vom Regionalinstitut in London, blieb sie hängen.

Liebe Beate, nach Rücksprache mit Klaus Dieter Wisch und Martina Müller-Bär kann ich deiner Bitte, dich bei deiner Bewerbung in München zu unterstützen, leider nicht nachkommen. Ich empfehle dir daher, noch ein Jahr zu warten und es dann erneut zu versuchen. Beste Grüße, Charlotte Clemens Beate hatte also die Absicht, sich bei der Personalabteilung der Zentralverwaltung in München um eine Stelle als Fach- und Führungskraft zu bewerben. Im Erfolgsfall hätte sie dann einen leitenden Posten an einem der über einhundert Institute irgendwo auf der Welt übernommen. Interessant, aber bei Beates Ehrgeiz nicht verwunderlich, fand Leni. In Rotterdam gab es von diesen Führungspositionen, die von München aus, also von der Zentrale, besetzt wurden, nur zwei: die Institutsleitung, die gleichzeitig die Kulturarbeit betreute und die Leitung der Sprachabteilung. Alle anderen Mitarbeiter galten als sogenannte Ortskräfte, auch wenn Wörter wie Beauftragte oder Beauftragter, Leiterin oder Leiter in ihren Funktionsbeschreibungen standen, und hatten Verträge nach Landesrecht. So eine Stelle als FaFük – die Abkürzung für Fach- und Führungskraft hatte Leni gerade erfunden und murmelte sie zweimal amüsiert vor sich hin – bot mehrere Vorteile. Neben dem finanziellen Aspekt konnten die führenden Leiterinnen und Leiter im Rahmen ihrer Zuständigkeit relativ frei ihrer Tätigkeit nachgehen und Entscheidungen treffen, die in erster Linie sie selbst für richtig hielten. Ein Nachteil war, dass sie im Schnitt alle vier bis fünf Jahre das Institut, also auch das Land wechseln mussten. Bei einem weltumspannenden Institutsnetzwerk hatte das manchmal sogar eine Versetzung auf einen anderen Kontinent zur Folge. Dieser Nachteil war allerdings aus Sicht mancher Ortskräfte ein Vorteil, vor allem dann, wenn sich die oder der entsandte Vorgesetzte als nicht wirklich kompetent erwies. Man konnte auch Pech haben und die Nachfolgerin bzw. der Nachfolger war noch weniger geeignet. Es gab natürlich unter den Führungskräften eine Reihe vertrauenswürdiger und fähiger Personen, die ebenfalls nach dem Rotationsprinzip in einem Abstand von vier bis fünf Jahren an einen anderen Einsatzort geschickt wurden. In diesem Fall hatten die Ortskräfte Glück. Ob das Lehrerkollegium einer anderen Sprachabteilung von Glück gesprochen hätte, wenn Beate Neumann als Leiterin eingesetzt worden wäre? Mit der Beantwortung der Frage brauchte sich Leni nun nicht mehr zu beschäftigen, denn erstens wäre Beate ohne Unterstützung der Institutsleitung und des Regionalinstituts so schnell keine entsandte Führungskraft geworden und zweitens weilte sie ja nicht mehr unter den Lebenden.

Während Leni auf den Bildschirm starrte, betraten zwei Männer das Büro, einer in Polizeiuniform, einer in Zivil. Die Stimme des lauten Hallo! in ihrem Rücken kam ihr bekannt vor und als sie sich umdrehte, wusste sie warum. Bei dem Mann in Zivil handelte es sich um den gestern Abend vermissten Kursteilnehmer. Auch der war sichtlich erstaunt, als er seine Lehrerin erkannte.

„Was machen Sie denn hier? Ich habe Sie eigentlich gestern Abend erwartet.“ Lenis Begrüßung war, ihrem Job entsprechend, mit dem Hinweis auf den verpassten Unterricht versehen.

„Das tut mir leid, ich habe viel zu tun im Moment.“

„Sie arbeiten bei der Rotterdamer Polizei, stimmt’s?“ Jetzt fiel es ihr ein.

„Ja. Ich bin Hoofdinspecteur und ich leite die Untersuchungen im Mordfall Beate Neumann.“

„Mordfall? Ist Beate tatsächlich ermordet worden?“ Also doch. Es gab jemanden, der Beate noch weniger leiden konnte als sie selbst.

„Wir gehen davon aus, dass sie jemand, wie sagt man? … geschlagen hat.“

„Erschlagen.“

„Erschlagen“, wiederholte er. „Das ist mein Kollege, Hoofdagent Pim Jansen, und wir müssen jetzt mal an den Computer da. Das ist doch das Büro von Frau Neumann, oder?“

„Ja, ja.“ Leni sprang auf und bot dem Agenten Pim Jansen ihren Platz an. Sie erwähnte kurz, dass der IT-Mann des Instituts schon eine Kopie des ganzen Computerinhalts auf einer externen Festplatte für die Polizei gesichert hatte und griff zum Telefon, damit Rob die Daten gleich übergeben konnte. Ihr Versuch, Jan de Rijk mit einem Lächeln zu einem Gegenlächeln zu bewegen, scheiterte. Der sah sich stattdessen aufmerksam im Raum um.

Die beiden Polizisten blieben an Lenis neuem Arbeitsplatz zurück und sie beschloss, ihren Fehler von vorhin wiedergutzumachen. Hugos Büro lag direkt neben ihrem, war aber mit zwei Schreibtischen und einer Besucherecke für Interessenten, die persönlich vorbeikommen und sich beraten lassen wollten, viel größer. Mit seiner direkten und humorvollen Art kam Hugo bei vielen Menschen gut an, vor allem bei Niederländern. Es gelang ihm scheinbar mühelos, potentiellen Kunden Kurse aufzuschwatzen, die sie eigentlich gar nicht machen wollten. So besuchten schon etliche Interessenten an einem Geschäftskommunikationskurs nach kurzer Überzeugungsarbeit einen Konversations- oder Literaturkurs, weil der berufssprachliche Kurs wegen zu geringer Einschreibungen nicht zustande kam. Oder umgekehrt, ein Literaturinteressierter nahm aufgrund mangelnder Nachfrage an einem Geschäftskurs teil.

„Tut mir leid, Hugo“, begann Leni, „dass ich vorhin nicht gleich bei dir vorbeigekommen bin. Jetzt habe ich doch ein bisschen Zeit, die Polizei ist mit Beates Computer beschäftigt.“

„Warum?“

Seltsame Frage. „Der Polizist hat gesagt, Beate sei erschlagen worden.“ Als Hugo auf diesen, wie sie selbst fand, höchst interessanten Hinweis keine Reaktion zeigte, ging sie wieder zur Tagesordnung über und fragte, womit sie anfangen solle.

„Mails beantworten und dich um die Vorbereitungen fürs Audit kümmern. Wir hätten schon lange eine Mappe mit Informationen über unsere Abteilung an die Auditoren schicken sollen. Ich habe auch schon angefangen etwas zusammenzusuchen, das liegt hier.“ Er schob eine Handvoll Werbeflyer über den Tisch, die auch im Eingangsbereich und in einem Ständer in der ersten Etage neben den Klassenzimmern zu finden waren. „Für den Rest musst du dich mal durch den Audit-Ordner wühlen. Da steht drin, was die wollen. Das findest du alles im Intranet unter dem Stichwort Qualitätsmanagement Sprachkurse. Du kannst dich natürlich auch zu Hause mit deinem Passwort einloggen.“

Lenis Hoffnung, dass der Assistent der Sprachabteilung ebenfalls die Mails mit Anfragen zu Sprachkursen sehen und vielleicht sogar beantworten könnte, zerschlug sich. Für alle Mails, die direkt an Beate adressiert waren, war sie selbst verantwortlich.

„Sag mal, kannst du eigentlich alles sehen, was in Beates Computer ist?“, fragte Hugo mit leicht nach rechts gebeugtem Kopf.

„Keine Ahnung. Könnte sein.“

„Dann schau mal genau hin, vielleicht findest du an der einen oder anderen Stelle was Interessantes.“

„Was bestimmtes Interessantes?“

„Na ja, vielleicht etwas über Klaus Dieter.“

„Über Klaus Dieter?“

Hugo sah seiner Kollegin an, wie sich ihre Gedanken so ganz, ganz langsam in die richtige Richtung bewegten.

„Die Beate und der Klaus Dieter?“

Er grinste und drehte sich zu seinem Bildschirm.

Die Polizei war schon ins Büro der Verwaltungsleiterin Susanne Wolf weitergezogen, als sich Leni wieder an ihren neuen Schreibtisch setzte und überlegte, wo sie am besten anfangen sollte. Dann schob sich das Bild der zugegebenermaßen attraktiven Beate und des um einige Jahre älteren Sprachabteilungsleiters, dessen Äußeres so durchschnittlich war, dass man es sich gar nicht merken konnte, vor ihr geistiges Auge. Klaus Dieters Erscheinungsbild wäre ihrer Meinung nach ideal für eine Verbrecherkarriere gewesen. Kein Zeuge hätte ihn genau beschreiben können, außer vielleicht: mittelgroß, mitteldick, mittelblond und mittelviele Haare auf dem Kopf. Ein Kaffee wäre jetzt gut, und eine Suppe oder ein Salat, im Cafe Floor, danach würde sie endgültig loslegen. Leni schnappte sich ihre Tasche und lief die Treppe hinunter. Auf der letzten Stufe zur ersten Etage blieb sie stehen, um zu kontrollieren, ob sie ihr Handy eingesteckt hatte. Plötzlich hörte sie zwei laute Stimmen aus einem der Klassenräume. Neugierig geworden, ging sie leise auf die Geräusche zu und suchte weiter nach ihrem Handy. Damit sie im Falle des Erwischtwerdens nicht als heimliche Mithörerin enttarnt wurde, stellte sie sich vor den Ständer mit den Werbeflyern für die Sprachkurse, nahm einige Flyer heraus und tat so, als würde sie die bunten Informationsblätter neu ordnen. Leni versuchte, ein paar Worte aufzuschnappen, die Stimmen von Klaus Dieter Wisch und Martina Müller-Bär hatte sie längst erkannt.

„Ich hoffe sehr für dich, dass die Neue nicht so unfähig ist wie die Alte und das Audit gut über die Bühne bringt. Ich erwarte, dass wir einen exzellenten Eindruck hinterlassen und klar wird, wie gut das Institut geleitet wird. Außerdem gehe ich davon aus, dass wir durch die Inspektion eine Reihe von Problemen lösen können, zum Beispiel die mit einigen Lehrerinnen.“

„Martina, ich glaube, da unterliegst du einem kleinen Irrtum. So ein Audit in der Sprachabteilung ist keine Inspektion. Es hat eher den Charakter eines kollegialen Austausches.“

Warum reden die hier im Klassenzimmer? Die möchten nicht von der Polizei belauscht werden, die gerade in der zweiten Etage zugange ist, schoss es Leni durch den Kopf. So ganz wohl fühlte sie sich bei ihrer Mithöraktion nicht.

„Klaus Dieter, du bringst mich wirklich auf die Palme! Du glaubst doch nicht im Ernst an den Quatsch mit dem kollegialen Austausch. Wir müssen besser sein als die anderen in der Region Nordwesteuropa. Darum geht es! Verstehst du das? Schlechte Ergebnisse bringen uns nicht weiter, weder dich noch mich. Oder willst du bei der nächsten Versetzung nach Afghanistan?“

„Jetzt mal doch den Teufel nicht an die Wand! Wir haben gute Arbeit geleistet und können einige Erfolge vorweisen. Zum Beispiel im Bereich der Prüfungskooperation …“

„Hör auf mit der Prüfungskooperation!“, schrie Frau Müller-Bär. „Ich kann das nicht mehr hören. Du und Erfolge, im Bett der Sprachkursbeauftragen vielleicht. Sei froh, dass die Polizei davon nichts weiß. Das hätte mir gerade noch gefehlt, dass diese dumme Geschichte publik wird.“

„Wenn du weiter so schreist, wird das mit der Geheimhaltung schwierig“, wehrte sich der Angegriffene und Leni hörte Schritte, die sich der Tür näherten. Sie verschwand sofort im Klassenraum nebenan. Leider waren zwei Flyer beim Versuch, sie zurückzustecken, nach unten gefallen. Die Schritte stürmten an der Klassenzimmertür vorbei. Klaus Dieter fluchte hörbar: „Mir reicht’s.“

Noch rechtzeitig bevor die Tür aufgerissen wurde, konnte Leni das Whiteboard starten und das elektronische Klassenbuch öffnen, was den Eindruck konzentrierter Unterrichtsvorbereitung erzeugen sollte. Frau Müller-Bär wedelte mit den Flyern in der Hand. „Sind die Ihnen gerade runtergefallen?“

„Nein“, log Leni, „vielleicht sind sie durch einen Windzug aus dem Ständer gewedelt worden. Das passiert manchmal.“

Schon fast mit dem Rücken zu Leni drehte sich die Institutsleiterin noch einmal um. „Sind Sie nicht Leni Weber?“

„Ja.“ Sie stand auf, ging auf die Institutsleiterin zu und streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin sehr froh, dass ich Beate vertreten darf. Vielen Dank!“

Frau Müller-Bär entzog sich dem Handschlag, indem sie beide Hände nach oben hielt, als stünde jemand mit einer Pistole vor ihr. „Ich bin vorsichtig geworden und muss Rücksicht auf meine Gesundheit nehmen.“

„Natürlich. Entschuldigen Sie.“ Leni wich ein Stück zurück.

„Wie lange arbeiten Sie schon für uns?“

„Sechs Jahre. In den ersten Jahren habe ich noch sehr viel für die Universität Leiden gearbeitet und in Rotterdam nur einen Kurs im Semester gegeben. Seit zwei Jahren versuche ich, so viel wie möglich für das Institut zu arbeiten. Ich unterrichte Kurse auf allen Niveaus, nehme Prüfungen ab, helfe bei Tests und Einschreibungen und habe auch schon eine Fortbildung für die Kolleginnen und Kollegen geleitet.“ Das klang wie bei einer Bewerbung und Leni suchte fieberhaft nach weiteren positiven Punkten.

„Wurden Sie in Leiden gefeuert?“ Das Gespräch wurde nicht angenehmer.

„Nein, nein, ich habe Leiden und die Uni aus privaten Gründen verlassen.“

„Na ja, wie auch immer. Ich bin jedenfalls erleichtert, dass es in der Sprachabteilung erst mal weitergeht und das Audit von jemandem vorbereitet und begleitet wird. Wenn Sie Fragen haben oder Ihnen sonst etwas auffällt, wenden Sie sich direkt an mich.“

„Werde ich machen.“ Die Erleichterung, dass sie die Situation einigermaßen gemeistert hatte, war Leni anzumerken.

„Ach noch etwas, ich würde mich freuen, wenn Sie auch Präsenz bei unseren Kulturveranstaltungen zeigen. Heute um 18 Uhr ist die Ausstellungseröffnung für die Urs Friedhelm-Videoinstallation.“ Mit dem letzten Satz schloss Frau Müller-Bär die Tür von außen. Bevor sie zum Essen aufbrach, nutzte Leni die Gelegenheit, zur Vorbereitung ihres Abendunterrichts in das geöffnete Online-Klassenbuch von Beate Neumann zu schauen. Das Klassenbuch war leer.

Als die Institutsleiterin ihr Büro erreichte, wartete Marga Engels, ihre Assistentin, vor der Tür. „Hast du mal über das Bienenprojekt nachgedacht? Ich hatte heute bereits zweimal Marjolijn in der Leitung, die will eine Antwort.“

„Dann muss sie eben warten.“ Sie hatte im Moment wirklich keine Zeit, sich auch noch mit dem Bienenprojekt der Freundin der Assistentin herumzuschlagen, die die Idee hatte, gegen eine monatliche Gebühr Bienenstöcke an verschiedenen Orten der Stadt aufzustellen und dies als Kunstaktion unter dem Namen KULT-NAT-UR zu deklarieren. Eine dieser Bienenboxen sollte auf dem Parkplatz hinter dem Institut eine neue Heimat finden. Von dort aus hätten die Bienen dann auf die gegenüberliegende abgezäunte Wiese oder andere blütenreiche Grünflächen an Straßenrändern und Grachten fliegen können. Warum war ausgerechnet sie immer von Dilettanten umgeben? Von Leuten, die dämliche Projekte vorschlugen oder überhaupt keine Einfälle hatten? Aber was sollte sie machen? Sie konnte doch nicht alle Mitarbeiter entlassen, wenn sie irgendwo auf der Welt ein Institut übernahm. Schön wäre es ja. Da drängte sich ihr gleich die zweite Frage auf, die sie seit einiger Zeit umtrieb. Warum hatte man ausgerechnet sie, die schon mit so vielen tollen Kampagnen und Veranstaltungen überzeugen konnte, an so ein kleines Institut versetzt? Und dann auch noch in eine so uncharmante Stadt, die von dolce vita absolut nichts verstand. Wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, die zur gleichen Zeit eingestellt worden waren wie sie, leiteten heute große Institute, zum Beispiel in Rom oder Paris? Dort gehörte sie eigentlich hin. Eine dieser Kolleginnen, Christa Börne, war sogar zur Leiterin des Regionalinstituts Nordwesteuropa in London aufgestiegen und somit ihre direkte Vorgesetzte, da Rotterdam im Rahmen des weltweiten Institutsnetzwerks zur Region Nordwesteuropa zählte. Regionalinstitute hatten eine übergeordnete Position und dass nun ausgerechnet diese Frau in der Region den Ton angab, wurmte sie maßlos. Es ging natürlich auch noch schlimmer, da brauchte sie nur an Klaus Dieter zu denken. Wenn der das Audit gegen die Wand fährt, wird das auch auf sie zurückfallen und ihre Führungsqualitäten in ein schlechtes Licht rücken. Eine grauenhafte Vorstellung. Frau Müller-Bär hatte inzwischen an ihrem Schreibtisch Platz genommen, als das Klingeln des Telefons ihre gedanklichen Abschweifungen unterbrach. Doch sie nahm den Hörer nicht ab. Die Nummer auf dem Display erinnerte sie an die Rede für den heutigen Abend, die sie noch nicht geschrieben hatte. Stattdessen griff sie selbst zum Hörer und bestellte Marga Engels in ihr Büro.

Die Assistentin war wieder einmal ähnlich gekleidet wie ihre Vorgesetzte, mit einem kurzen Blazer, über dem eine sehr lange Kette baumelte, und einem knielangen Rock mit aufgenähten Taschen. Das störte die Institutsleiterin erheblich, denn sie hatte sich Anfang des Jahres von einer Stylistin exklusiv beraten lassen, um nicht nur durch ihre Persönlichkeit, sondern auch optisch einen fachkundigen und durchsetzungsfähigen Eindruck zu hinterlassen. Vor allem die Frage, was die Partner aus Politik, Kunst und Kultur dachten, wenn sie als anerkannte Kulturmanagerin von einer Imitation ihrer selbst bei wichtigen Veranstaltungen begleitet wurde, beunruhigte die Leiterin. Sie zog nun ernsthaft in Erwägung, ihre Assistentin bei Terminen außer Haus nicht länger an ihrer Seite zu dulden und damit der optischen Ablenkung der Gesprächspartner Einhalt zu gebieten. Eine Minute nach dem Anruf tauchte Marga Engels mit einigen Kunstkritiken älterer Videoinstallationen von Urs Friedhelm im Büro der Kulturverantwortlichen auf, die sie in weiser Voraussicht bereits im Internet zusammengesucht und ausgedruckt hatte. Wahrscheinlich will sie wegen der blöden Bienen meine Stimmung verbessern, schlussfolgerte Frau Müller-Bär und nahm die Papiere mit einer kurzen Rückversicherung: „Ist das alles?“, an sich.

Nach ungefähr vier Gehminuten erreichte Leni das Café Floor. Zuerst schaute sie in den langgezogenen Garten auf der Rückseite des Cafés. Fast alle Tische waren belegt, es war sehr voll und zu laut. Deshalb entschied sie sich für einen Tisch im Innenbereich am Fenster und bestellte einen Latte Macchiato und eine soep van de dag, das war heute Tomatensuppe. Der nicht vorhandene Klassenbucheintrag für ihren neu übernommenen Kurs machte sie nachdenklich. Wie konnte jemand nur so arbeiten? Warum war eigentlich ausgerechnet Beate Sprachkursbeauftragte geworden und nicht eine andere Kollegin? Hatte das etwas mit dem zu tun, was Hugo vermutet und die Institutsleiterin bestätigt hatte? Etwas wehmütig erinnerte sich Leni an den Vorgänger von Klaus Dieter, der ihr vor sechs Jahren einen Honorarvertrag als Lehrerin angeboten hatte und der ihr sowohl fachlich als auch im Umgang mit den Kollegen positiv im Gedächtnis geblieben war. Damals gab es die Stelle der Sprachkursbeauftragten an dem kleinen Rotterdamer Institut noch nicht, Klaus Dieter hatte sie zu seiner Arbeitserleichterung vor drei Jahren beantragt und genehmigt bekommen. In Sprachabteilungen größerer Institute war es schon seit längerer Zeit üblich, dass eine Ortskraft, meist jemand aus dem Lehrerkollegium, damit beauftragt wurde, sich um die anfallenden Arbeiten rund um die Sprachkurse zu kümmern.

„Hallo!“, Hoofdinspecteur Jan de Rijk stand plötzlich neben dem Tisch. „Ich habe dich beim Vorbeilaufen gesehen.“

Leni freute sich über das Du, trotzdem blieb sie zunächst beim Sie. „Setzen Sie sich doch. Möchten Sie auch einen Kaffee?“

„Wollen wir nicht du sagen?“

„Okay, setz dich doch“, wiederholte sie den Satz etwas lehrerhaft in der Du-Form. Leni wusste natürlich, dass in den Niederlanden viel eher geduzt wurde als etwa in Deutschland. Auch einige ihrer Kolleginnen bevorzugten im Unterricht die informelle Anrede. Sie selbst hatte sich aber beim Unterrichten für die Sie-Form entschieden, die es ihr etwas leichter machte, ganz implizit einige Umgangsformen in den deutschsprachigen Ländern zu vermitteln.

„Seid ihr schon weitergekommen mit euren Untersuchungen?“

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25 mayıs 2021
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ISBN:
9783969405321
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