Kitabı oku: «Liebe ohne Hiebe», sayfa 3
Im Spiel-Alltag ist es auch dem geübten Spieler nicht möglich, alle seine Züge nur auf der Basis seiner Wünsche und Befürchtungen zu planen. Seelensignale sind nicht nur Reaktionen auf Gedanken und Vorstellungen, sondern in einer ersten Stufe auch automatische Reaktionen auf alle möglichen Reize aus der Außenwelt. … Für diese Fälle gilt folgende Regel:
Der Verstand des Spielers versucht, die automatischen Signale der Seele zu verstehen. Auch wenn das mißlingt, respektiert er sie als richtig und gut. Dann ist es die Aufgabe des Verstandes, dafür zu sorgen, daß erstens erfreuliche Gefühle andauern oder sich steigern können, daß aber zweitens unerfreuliche Gefühle nicht über die erste Dringlichkeitsstufe hinausgelangen müssen. Dies gelingt am leichtesten, wenn der Spieler die Verantwortung für seine Gefühle ausschließlich bei sich selbst sieht. Auf der ersten Stufe fällt das sogar ungeübten Spielern leicht. Dort haben sie noch die freie Wahl zwischen zwei Gedankengruppen, zum Beispiel:
Jemand (immer auch: etwas) hat mich erschreckt – ich bin erschrocken; jemand regt mich auf – ich rege mich auf; jemand macht mir Sorgen/Kummer – ich mache mir Sorgen/habe Kummer; jemand hat mich getäuscht – ich habe mich getäuscht; jemand macht mir Furcht/Angst – ich fürchte/ängstige mich; jemand ärgert mich – ich ärgere mich.
Bei diesen Formulierungen fällt auf, daß sie im normalen Alltag recht willkürlich einmal in der aktiven, einmal in der passiven Form gebraucht werden, ohne daß dieser Unterschied aufzufallen pflegt. Jeweils beide Aussagen sind möglich, treffend, wahr. Sie beschreiben automatische seelische Reaktionen, die ohne bewußte Mitwirkung des Verstandes auftreten.
Der Harmonie-Spieler wird nun immer die zweite, aktive Beschreibungsform wählen, wenn seine Seele mit dem beschriebenen Gefühlszustand unzufrieden ist. Denn nur so kommt sein Verstand nicht in Versuchung, die von der Seele gewünschte Änderung außerhalb seines eigenen Machtbereichs anzustreben. … Wenn mein Verstand denkt, daß ich mich ärgere, und meine Seele sich darüber ärgert, daß sie sich ärgert, kann der Verstand diesem Gefühl leicht abhelfen. Er kann an das Witzige dieser Situation denken, die Sensibilität der Seele loben, seinen eigenen Vorsatz, die Seele solle sich nicht mehr ärgern, korrigieren, den Anlaß des Ärgers in Beziehung zu wirklichen Problemen oder dem echten Leiden anderer Menschen setzen, er kann auch einfach an etwas ganz anderes denken (immer: wenn die Seele das will). Wenn mein Verstand aber denkt, daß etwas mich ärgert, und meine Seele beauftragt ihn, diesen Zustand zu ändern, kann mein Verstand leicht auf den Gedanken kommen, den Anlaß meines Ärgers verändern zu wollen, und wenn es sich dabei um Personen handelt, handele ich mir dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit noch mehr Ärger ein. Auf jeden Fall mache ich mich abhängig von der Veränderungsbereitschaft eines anderen Gehirns und liefere mich dessen Gnade und Barmherzigkeit aus. Ich kann nicht mehr sicher sein, daß mein Verstand den Auftrag der Seele erfolgreich ausführt. Selbstsicherheit, Selbstvertrauen und damit ein stabiles Selbstwertgefühl sind der Lohn für diese auf den ersten Blick nicht attraktive Übernahme der Verantwortung für die Vorgänge im eigenen Kopf.
Warum hast du nicht das Beispiel »Ich mache mir Sorgen – du machst mir Sorgen« genommen? Das ist viel leichter verständlich.
Meinst du? Ach so, du denkst an den Umgang mit Kindern.
Ja, sicher. Wenn ich mein Kind als jemanden wahrnehme, der mir Sorgen macht, bin ich automatisch unzufrieden mit dem Kind und strahle das auch aus. Es erscheint mir dann als sicher, daß etwas mit dem Kind nicht stimmt. Ich fühle mich zum Handeln gedrängt und all so was. Wenn ich aber auf meiner Seite bleibe und zu meinem besorgten Gefühl denke, daß ich mir Sorgen mache, kommt mein Verstand viel eher auf den Gedanken zu prüfen, ob vielleicht etwas bei mir nicht stimmt. Ich entwickle kein Projekt, das Kind zu ändern, sondern ich frage vielleicht das Kind um Rat. Nur so als Beispiel. Ich finde es schrecklich, wenn Kinder immer mit allen möglichen Elternsorgen und -ängsten belastet werden. Und wenn die Kinder dann die »Hilfe« zurückweisen, womöglich in patzigem Ton, dann sind die Eltern beleidigt, sehen die Kinder als undankbar an, empören sich, steigern sich richtig in Wahnideen hinein, und seelisch werden dann schnell die höheren oder höchsten Stufen gezündet. Ist es nicht so?
Freilich ist es so. Warum hocken wir denn hier statt in der Oper?
Ich wußte gar nicht, daß du Opern magst. Wir kennen uns seit über zwölf Jahren, aber das wäre mir neu.
Ich werde doch hier nicht erzählen, daß wir uns auf Fußballplätzen und in Eishockeyhallen herumtreiben! Oper klingt so schön gebildet.
Sag doch einfach Kino. Warum hocken wir denn hier und nicht im Kino? Das ist neutral.
Ha! Nein. Ich sage: Warum hocken wir denn hier, anstatt ein gutes Buch zu lesen? Ist das witzig?
Na ja, ganz nett. Meinetwegen.
Vergiß aber nicht, das andere zu löschen.
Willst du mich beleidigen?
Nie und nimmer!
Dann lies jetzt weiter, wenn du noch was hast.
Ja, ich dachte, daß wir noch etwas zu der Regel sagen müssen, nach der der Verstand die Signale und Interessen der Seele richtig einordnen muß. Bisher steht da nur in Klammern: »Die Seele sendet oft viele verschiedene, auch sich widersprechende und unterschiedlich dringende Signale.«
Aber nicht wieder so ausführlich. Ich zähle die Seiten!
Keine Sorge. Das geht eins, zwei, drei. Höchstens vier.
Die Gehirnregionen, die »Limbisches System« genannt werden (von Hirnforschern auch »Gefühlshirn« oder »Fühlhirn«), bilden aus angeborenen Instinkten und konkreten Lebenserfahrungen bestimmte subjektive Gewohnheiten, Erwartungen, Maßstäbe aus, auf deren Grundlage aktuelle Wahrnehmungen gefühlsmäßig bewertet werden. Harmonie-Spielern ist aber klar, daß ihre Seele auch beim Fehlen bemerkenswerter Ereignisse, sogar im Zustand rundumriger Zufriedenheit, eine Fülle von Anliegen und Interessen hat. Diese sind zwar gleichzeitig vorhanden, aber von höchst unterschiedlicher Wichtigkeit. Der Wunsch, am Leben zu bleiben, nimmt zweifellos einen höheren Rang ein als der Wunsch nach einem angenehmen Arbeitsplatz, und dieser wiederum dürfte meist höherrangig sein als der Wunsch, in einer Kantine täglich seine Lieblingsmahlzeit zu erhalten. Oft hat die Seele auch widersprüchliche Wünsche auf gleicher Rangstufe: Sie kann Sehnsucht fühlen nach der Nähe eines Menschen und gleichzeitig die Angst haben, von ihm vereinnahmt oder auch zurückgewiesen zu werden.
Ausführlich beschreiben die Autoren des Buches »Nerven nerven«, welche Bedeutung dem Spieler-Verstand bei der Aufgabe zukommt, die Spieler-Seele richtig zu verstehen. Dazu gehört erstens, daß der Verstand die unter dem Wunsch nach Ersatzbefriedigungen verborgenen eigentlichen Interessen der Seele entdecken kann, zum Beispiel den Wunsch nach Anerkennung unter dem Besitz- und Machtstreben; zweitens, daß der Verstand die hinter heftigen Gefühlssignalen verborgenen Motive erkennen kann, zum Beispiel die Verletztheit hinter der Wut; und drittens, daß er die Handlungsimpulse der Seele richtig versteht. Dieser Aufgabe des Verstandes ist ein eigenes Kapitel gewidmet: Richtig verstanden werden Gefühlssignale beim HarmonieSpiel erst dann, wenn der Verstand auch erkennt, welchen Stellenwert einzelne Gefühle innerhalb der Wichtigkeits-Rangordnung der Seele haben. Nach dem S/V-Modell gibt die Seele als Motivations- und Signalsystem von sich aus für gewünschte Handlungen immer nur eine Richtung und eine Geschwindigkeit vor, entsprechend der je aktuellen Gefühlsbilanz ihres vielschichtigen Innenlebens. Die Seele will hin zum Wohlgefühl, weg vom Unangenehmen, und das desto schneller, je stärker diese Bilanzgefühle sind. Die Seele kann aber nicht die Folgen der Handlungen überblicken, die ihren Impulsen entsprechen. Weder kann sie längerfristige Handlungsfolgen vorausfühlen, noch kann sie bemerken, welche Folgen Handlungen, die von aktuellen, aber relativ unwichtigen Gefühlen angestoßen werden, für ihre höherrangigen Interessen haben werden. An zahlreichen Beispielen demonstrieren die Autoren die ureigene Aufgabe des Spieler-Verstandes, das richtige Maß für eine Handlung zu finden. Eindrucksvoll wird gezeigt, wie sich beispielsweise zwischenmenschliche Dramen aus kleinsten Anlässen entwickeln, wenn Verteidigungsakte zu Gegenangriffen ausufern. Am Anfang steht eine kleine Unbedachtheit, dann ergibt ein Wort das andere, bald fliegen Teller und Fäuste. Die Feindseligkeit und Verbitterung am Schluß steht in keinem Verhältnis zur anfänglichen Störung. Die Seele durchleidet dann Reue und Zerknirschung, aber ob der Verstand etwas gelernt hat, ist eine andere Frage …
Vernünftigerweise werden die Gefühle der Menschen heute sehr wichtig genommen. Dabei wird aber oft ein bestimmter Mechanismus übersehen. Menschen, die es gewöhnt sind, sich »spontan« und »gefühlsbestimmt« zu verhalten, nehmen leicht ein Einzelgefühl für das Ganze der Seele. Ihr Verstand richtet seine Aufmerksamkeit so intensiv auf eine kleine Störung, einen Klecks auf dem Tischtuch, einen Schuhabdruck auf dem gewischten Boden, ein Eselsohr in einem Buch, ein Haar in der Suppe, daß der Gesamtzusammenhang zeitweise aus dem Bewußtsein verschwindet. Aus der Sicht der Seele wird die Störung aufgebläht, eine »Mücke« erhält die Bedeutung eines »Elefanten«, nur weil der Verstand die Seele mißversteht, nämlich ein niedrigrangiges Signal gewissermaßen wörtlich nimmt und denkt, die Seele wolle wirklich nur das eine, nur die Beseitigung dieser Störung, koste es, was es wolle. Schaltet der Verstand dann tatsächlich sofort auf Alarm, Gegenwehr, wilde Aktion, so entstehen aus nichtigen Anlässen schwere Konflikte.
Beim Harmonie-Spiel kommt solches nicht vor. Denn die Regeln verlangen, daß der Verstand jedes Seelensignal der ganzen Seele zurückspiegelt, besonders der obersten Ebene, der »Regieseele«, um die relative Wichtigkeit des ersten Signals einschätzen zu können. Indem der Verstand der Seele auch die voraussichtlichen Folgen möglicher Spielzüge mit seiner Phantasie, dem »Kino im Kopf«, plastisch demonstriert, kann die Seele entscheiden, was sie jeweils wirklich und eigentlich wünscht, riskieren will, am wichtigsten findet.
Im normalen Leben sind solche Abwägungen und inneren »Selbstgespräche« alltäglich, doch werden sie häufig so verstanden, als würde ein Gefühlsimpuls vom Verstand »unterdrückt«. »Wir wollen vernünftig sein«, heißt es dann, und es sieht so aus, als bliebe dabei das Lustprinzip auf der Strecke. Beim Harmonie-Spiel ist klar, daß der Verstand keinen Zug, keine Handlung kommandieren kann. »Vernunftgründe« sind immer in erster Linie Gefühlsgründe – zum Beispiel, wenn ich trotz Hungers nicht esse, weil meine Seele den ausreichend starken Wunsch hat, mein Körper möge leichter werden. Gleichgültig wie schmerzlich ein Verzicht sein mag, er käme nicht zustande, wenn der Seele dabei kein Lustgewinn vor Augen stünde – beispielsweise beim Sparen die Aussicht auf eine größere Anschaffung. Sogar die Aufforderung in Konferenzen: »Bitte keine Emotionen!« muß nicht seelenfeindlich sein, wenn die Teilnehmer den hochrangigen Wunsch haben, möglichst direkt zu sachlichen Ergebnissen zu kommen. Wie seelenfeindlich der Verstand von »ver- kopften« Personen sein mag, auch sie können in Wirklichkeit nichts tun, was ihren – möglicherweise sehr leisen, an Unverständnis gewöhnten – Seelen nicht wohltut beziehungsweise wohltun soll: Die Seele eines »Verstandesmenschen« fühlt sich wohler bei »vernünftigen« Handlungen als bei blindlings »primitiv lustvollen«. Der Stolz auf einen vernünftigen Verstand ist selbst ein hochrangiges Gefühlssignal: Solche Seelen haben mit Vernunftsargumenten gute, lustvolle Erfahrungen, etwa im Sinne von Genuß ohne Reue, gemacht und wurden nicht mit dem Scheingegensatz zwischen Vernunft und Gefühl genasführt. Geübte Harmonie-Spieler handeln deshalb nicht weniger spontan als andere Menschen, allerdings weniger impulsiv, weniger unüberlegt. Im Spiel-Alltag nimmt ihre Spontaneität keinen Schaden (sie handeln sogar vielfach schneller entschlossen als andere), sobald sich ihr Verstand die Einordnung der Seelensignale so angewöhnt hat, daß dieser Vorgang praktisch ohne Zeitaufwand automatisch abläuft. Sie folgen nicht reflexhaft dem blinden Instinkt, sondern entwickeln eine weitsichtige Intuition. Schon allein dieser Aspekt des Harmonie-Spiels macht es begreiflich, daß die Spieler kaum je unzufrieden mit sich selbst sind, also kaum je schlechter Laune, ungerecht, unfreundlich zu anderen und so weiter. Der Verstand erhebt sich nicht über ihre Seele, und er mißversteht sie auch nicht. Wenn er sie doch einmal mißverstanden hat, läßt er sich blitzschnell korrigieren. Auf diese Weise führt das Spiel dazu, daß im Gehirn der Spieler statt Konkurrenz Kooperation herrscht und statt Streß Harmonie. Die Spieler leben im Einklang mit sich selbst. Ein beneidenswertes Völkchen!
Klingt das nicht schnuckelig?
Es könnte ebenso verrückt klingen. Großsprecherisch.
Große Geister sprechen eben Großes.
Nun gut. Ich bin ja schon zufrieden, wenn unser Buch nur dazu führt, daß demnächst alle Menschen für ihr ganzes Leben glücklich sind. Was soll da noch schiefgehen?
So ist’s richtig. Ich liebe dich!
Und er ist doch vom wilden Größenwahn gebissen.
Ach Mutti, laß ihm doch seinen Spaß!
Wir müssen das Kapitel noch vernünftig abschließen.
Da wird euch schon noch rechtzeitig was einfallen. Los, kommt, für heute ist Sense!
Wenn Nerven zu sehr nerven
Wolkiges mit ohne Sternchen
Uns ist vollkommen bewußt, daß die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen heute meistens anders aussieht, als es den Prinzipien und Regeln des Harmonie-Spiels entsprechen würde. Ein realistischer Mensch, der einigermaßen weiß, »wie das Leben so spielt«, mag noch soviel Sympathie für das HarmonieSpiel empfinden, vernünftigerweise wird er es als »Luxus-Spiel« einstufen. Im hektischen Alltag bleibt selten die Zeit, sein Wollen und Streben so lange zu prüfen. Vieles muß einfach getan werden, andere Menschen stellen immer neue Anforderungen, viel zu viel ist liegengeblieben und wartet drängend auf Erledigung. Es wäre schon schön, wenn alles viel schöner wäre, denkt der Mensch in einer Pause. Doch ist die Pause vorbei, hat der Alltag uns wieder. Unsere Verpflichtungen und unsere Gewohnheiten beanspruchen uns ganz. Warum sollten wir uns mit einem neuen Spiel vertraut machen, wenn wir nicht einmal dazu kommen, die Spiele zu spielen, die wir schon kennen?
Daß der Mensch ein »Gewohnheitstier« ist, steht nicht nur fest, sondern hat auch seinen guten Sinn. Die wichtigste Aufgabe des Gehirns ist die Selbsterhaltung. Safety first ist deshalb die Devise des Zentralnervensystems. Prinzipiell könnte alles Unbekannte gefährlich sein. Was das Gehirn kennt, was ihm vertraut ist, dem kann es trauen. Innerhalb eines bestimmten Rahmens an Sicherheit, Stabilität, Geborgenheit ist das Gehirn auch neugierig, will Abwechslung und Weiterentwicklung, aber niemand wechselt einfach so am laufenden Band seine Hobbys, seinen Geschmack, seine Vorlieben, seine Heimat, seinen Lebensstil, seine Freunde, seine Ansichten, Meinungen, Überzeugungen. In seinem Wesen ist jeder Mensch konservativ. Auch wer politisch nie konservativ wählt, sondern immer »fortschrittlich«, ist geistig/seelisch konservativ: Er hält seiner Partei die Treue, seinen »fortschrittlichen« Ideen. Auch Wechsel- und Nichtwähler bleiben meist lange bei ihrem Entschluß, eben dies zu sein.
Die menschliche Freiheit beweist sich nicht dadurch, daß der Mensch jeden Tag alles anders macht als zuvor. Umgekehrt wird der Mensch durch seine Vorlieben und Gewohnheiten nicht unfrei. Er macht nur, freiwillig, seinen eigenen Spielraum kleiner. Dabei kann es geschehen, daß der Spielraum zu eng wird. Alte Gewohnheiten verlieren ihren Sinn, machen keine Freude mehr. Unzufriedenheit stellt sich ein. Es wäre an der Zeit, den Spielraum wieder auszuweiten. Aber Bequemlichkeit, Stolz, auch Trotz (»So bin ich eben!«) und die Unsicherheit dem Unbekannten gegenüber – alles sinnvolle Funktionen des Selbsterhaltungstriebes im Gehirn – lassen keinen rechten Schwung aufkommen, alte Gewohnheiten durch neue zu ersetzen.
Es mag noch so klar sein, daß eine Bewußtseinsveränderung, ein Umdenken, Umlernen, sich Umgewöhnen für den Menschen eine eindeutige Verbesserung bedeuten würde, und er mag bei Gelegenheit auch die festesten Vorsätze fassen, sich dieses abzugewöhnen und jenes bald wirklich zu tun; wenn es ernst wird, spielt irgend etwas nicht mit. Rauchen ist schädlich, Autofahren teuer und umweltfeindlich, Zucker ungesund, zuviel Essen macht dick, zuviel Arbeit macht Streß, zuviel Grübeln macht depressiv, zuwenig Bewegung macht krank, zuviel Meckerei zerstört die Beziehung, zuviel Geld macht nicht glücklich, zuviel Alkohol wird einem auch noch vermiest –, aber wenn es zum Schwur kommt, dann wiegeln wir ab. Das Neue verliert an Reiz, wer garantiert uns denn, daß es wirklich hält, was es verspricht, wir kennen uns doch, das schaffen wir eh nicht, und so schrecklich ist das Alte ja nun auch wieder nicht, hat es nicht seine guten Gründe, sollen wir alles falsch gemacht haben, hat das Alte nicht auch seine Vorteile, und überhaupt, seit wann dürfen wir keine Schwächen mehr haben, wer hat uns denn da reinzureden, wir sind doch keine Kinder mehr, diese Besserwisser sollen uns gefälligst in Ruhe lassen und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.
Irgendwie sieht es so aus, als hätte der »Gedankengang« des letzten Abschnitts von einer Abteilung des Gehirns in eine ganz andere geführt: von der Forschungs- und Planungsabteilung, die auf Veränderung drängte und etwas Neues wollte, ins Büro der Bürokraten, die das Bestehende verwalten und verteidigen. War in dem einen Raum klar: »Ich bin unzufrieden. So geht es nicht weiter!«, führte der Gedankengang schließlich in den Raum »Vergiß es! Die ganze Mühe lohnt sich nicht!«
Das menschliche Gehirn ist zu den abenteuerlichsten Spitzenleistungen fähig. Es kann segensreiche Erfindungen machen, die vorher niemand für möglich hielt, es kann Verbrechen produzieren, die nicht nur vorher, sondern auch nachher unglaublich erscheinen, es kann sich liebende und allmächtige Götter einbilden, in deren Namen Millionen Andersgläubige niedergemetzelt werden und so fort. In einem einzigen Gehirn ist »Platz« für schonungslose Selbsterkenntnis und grenzenlosen Selbstbetrug, für Minderwertigkeitsgefühle und Größenwahn, für Liebe und Haß, Hoffnung und Verzweiflung, Vergangenheit und Zukunft, Einkaufspreise, Urlaubspläne, sexuelle Phantasien, Zeitungsmeldungen, Musikstücke, Kontoauszüge, Gedanken ans Sterben, an Weihnachtsgeschenke, an Kochrezepte, Kollegen, Freunde, Verwandte, Kinder, das eigene Aussehen, gute und schlechte Eigenschaften, Erfolge und Mißerfolge, Wunschträume und Zweifel, Selbstkritik und Illusionen – so ist das eben, und wir alle wissen es. Warum darüber reden? Oder schreiben und lesen?
Wir schreiben unser Buch für Menschen, die den Wunsch haben, Grobheiten und Gewalt aus ihren Familienbeziehungen zu entfernen. Für Menschen auch, die sich ihrer Sehnsucht nach harmonischen Beziehungen nicht schämen. Die Gründe für diese Sehnsucht und jenen Wunsch sind uns dabei nicht wichtig. Wir
haben nur versprochen, den Weg zu erklären, auf dem das angestrebte Ziel erreicht wird. Wir haben weiter versprochen, nur gute Nachrichten zu bringen, keine einzige schlechte; nur Vorteile zu bieten, keine Nachteile; kein Umdenken, Umgewöhnen und ähnliches vorzuschlagen, sondern nur den bisherigen Möglichkeiten weitere Möglichkeiten hinzuzufügen. Es geht also um eine Erweiterung des Freiheitsspielraums.
Wir haben im vorigen Kapitel öfters betont, daß die Regeln des Harmonie-Spiels niemanden zu irgend etwas verpflichten. Wer aus dem Spiel aussteigen will – warum auch immer -, kann dies jederzeit tun. Er kann auch jederzeit wieder einsteigen, wenn ihm die Regeln wieder gefallen. Er kann es jederzeit, wenn er weiß, wie das geht. Wer Skat, Doppelkopf oder Bridge spielen will, braucht die entsprechenden Karten. Wir sehen das nicht als schlechte Nachricht an. Die meisten Spiele können nur gespielt werden, wenn die dazugehörenden Spielbretter, Unterlagen, Figuren, Bälle, Würfel, Geräte, kurz: die entsprechenden »Spielzeuge« vorhanden sind. Wir sehen das nicht als Nachteil an, sondern als Selbstverständlichkeit. Es ist einfach so.
Auch für das Harmonie-Spiel reicht der Wille nicht aus, es zu spielen. Man muß die entsprechenden »Spielzeuge« haben, die entsprechenden »Denkzeuge« kennen – und natürlich die Regeln. Aber auch das verpflichtet zu nichts, denn wer die Regeln nicht mehr beachten will – warum auch immer -, beendet das Spiel einfach und tut alles wie früher oder wie er sonst mag.
Zur Erklärung des Harmonie-Spiels gehört eine einfache, aber korrekte und praktikable Gebrauchsinformation über das menschliche Gehirn. Zu dieser Information gehört die Freiheit des Geistes, die Freiheit der Gedanken, der Phantasie, der Vorstellungskraft. Diese Freiheit ist nicht wirklich unbegrenzt – nur wenige Menschen behaupten, sie könnten sich etwa den berühmten »Urknall« oder die Unendlichkeit des Weltraums konkret vorstellen –, aber jedenfalls ist sie größer, als daß sie je ausgeschöpft werden könnte. Jeder Mensch, der auf die Idee kommt, kann sich eine nach unten brennende Kerzenflamme bildhaft vorstellen oder einen fliegenden Elefanten mit Tirolerhut, ohne so etwas in Wirklichkeit je gesehen zu haben. Ebenso ist es möglich, sich alle Gehirntätigkeiten als »in einem Topf« befindlich vorzustellen. Ebenso ist es möglich, sich eine »Seele« als Gefühlsinstanz und einen »Verstand« als Denkinstanz vorzustellen, die miteinander »Dialoge« führen. Ebenso ist es möglich, sich die Leistungen des Zentralnervensystems so vorzustellen, als ob das Fühlen, Denken und Handeln des Menschen in einem riesigen Gebäude organisiert würde. In diesem Gebäude gibt es Tausende von größeren und kleineren Räumen, auf mehrere Stockwerke verteilt und in zahlreichen Abteilungen zusammengefaßt. Mit dieser Vorstellung nutzen wir die unerschöpflichen Möglichkeiten des Gehirns und geben ihm gleichzeitig ein einfaches Bild von sich selbst, das sich für seinen Gebrauch als besonders nützlich und fruchtbar erwiesen hat. Einige Einzelheiten dieses Bildes:
In dem Gebäude wird ein richtiger Großbetrieb gesteuert und verwaltet (der menschliche Körper), auf den wir nicht näher eingehen. Im obersten Stockwerk arbeiten die Führungskräfte. Diese bilden sich gerne, aber fälschlich ein, sie wüßten über alles Bescheid, was in ihrem Hause vorgeht. An vielen Stellen der Zentrale und des übrigen Betriebes sind Thermometer und andere Meßgeräte angebracht, die signalisieren, wie der Betrieb läuft, ob alles reibungslos funktioniert, wie das »Betriebsklima«, die »Atmosphäre« jeweils ist, auch welche »Stimmung« in den einzelnen Räumen und Abteilungen des Verwaltungsgebäudes herrscht. Ein riesiges Gewirr von Signal- und Meldeleitungen durchzieht das Gelände und verbindet es mit der Zentrale, die alles kontrolliert und bei Störungen, meist halb- oder vollautomatisch, korrigiert und repariert. In der Zentrale laufen auch zahllose Informationen von außen zusammen (über die Sinne). Abgesehen von einigen Reflexen werden alle Aktivitäten des Betriebes von der Zentrale aus gesteuert, sei es automatisch, sei es wohlüberlegt. (Beim Atmen zum Beispiel sind beide Steuerungsarten möglich.)
Für das Harmonie-Spiel sind die obersten Etagen dieser Zentrale am wichtigsten, und hier besonders das sogenannte »Bewußtsein«. Es geistert durch die Flure, vielleicht wie ein neugieriger Hausmeister, der den nie sichtbaren Obermanagern (Direktoren, Regisseuren) mit Eifer seine Beobachtungen zuträgt. Dieser Hausmeister weiß unter allen Mitarbeitern am meisten von dem Betrieb, und er weiß, daß er weiß. (Die anderen haben viel weniger Überblick; sie funktionieren nur ihren Aufgaben entsprechend.) Der Hausmeister oder »Meister des Hauses« kann immer nur in wenige Räume gleichzeitig hineinschauen, und wenn er an einen einzelnen Aktenschrank näher herantritt, eine Akte auswählt, die einzelnen Schriftstücke betrachtet, vielleicht einzelne Sätze sucht oder Wörter, Skizzen betrachtet oder Fotos und Filme – einschließlich der dazugehörenden Seelensignale -, wenn er also im Gedächtnis dieser Abteilung kramt oder auch in einem Zukunftszimmer alles mögliche phantasiert, immer wird seine Aufmerksamkeit desto vollständiger in Anspruch genommen, je intensiver er sich mit etwas beschäftigt. Desto weniger bemerkt er also von dem, was sonst noch so passiert. Im Prinzip kann aber jeder ausreichend starke Reiz und jede Idee ihn blitzschnell in einen völlig anderen Raum versetzen: Wer zum Beispiel ein Buch liest, wird kaum darauf achten, was seine Fußzehen treiben; wenn er aber diesen Satz liest, kann er auf sie achten, sie bewegen, sich ihrer bewußt werden – was ohne diesen Satz nicht geschehen wäre. Und dann liest der Leser weiter, und wenn er sich darauf konzentriert, was er liest, achtet er nicht mehr darauf, daß er liest (obwohl er es könnte), und vielleicht bemerkt der spionierende Meister des Hauses noch, daß außerdem das Radio spielt, oder er bemerkt es nicht. Es geschieht einfach so oder so. Aber plötzlich klingelt das Telefon, und wahrscheinlich spielt die Musik dann sofort in ganz anderen Räumen.
Dieses einfache Bild vom Organismus des Menschen und seiner
Gehirntätigkeit haben wir schon mehrmals anklingen lassen und werden es noch oft verwenden und bei Gelegenheit ausbauen. An dieser Stelle benötigen wir es für den Hinweis, daß sich in dem Gebäude, jedenfalls in den dem Bewußtsein zugänglichen oberen Stockwerken, außer den fest eingerichteten Räumen noch viele andere befinden, die nur selten benutzt werden, vor allem aber auch jede Menge Räume, die einfach nur leerstehen. (Daß alle Menschen nur einen Bruchteil der Möglichkeiten nutzen, die ihr Gehirn bietet, setzen wir als allgemein bekannt voraus.)
Damit wir das Versprechen einhalten können, mit den Ideen dieses Buches den bisherigen Möglichkeiten nur neue Möglichkeiten hinzuzufügen, ohne daß irgend etwas Altes, Bestehendes dafür geopfert werden müßte, erklären wir ausdrücklich, daß die Grundprinzipien und Regeln des Harmonie-Spiels nicht dafür gedacht sind, den Betrieb in schon benutzten, mit Erfahrungen, Wertvorstellungen, Erinnerungen und anderem vollgestopften Räumen durcheinanderzubringen. Sie sind dafür gedacht, daß man ihnen – und auch das nur probehalber – einen bisher leerstehenden Raum einrichtet. Wenn dann das Bewußtsein in diesem Raum weilt, kann man Leben und Welt von dort aus betrachten, allerlei probieren und üben, vielleicht neue, vorher nicht vorstellbare Erfahrungen machen. Wird es dann wieder, durch was auch immer, in die älteren Räume gerufen, steigt man einfach aus dem neuen Spiel aus und setzt die gewohnten Spiele fort.
Zum Beispiel das Nerven-Spiel. Oder das heute moderne Ge- fühle-aufstauen-oder-rauslassen-Spiel. Ein Grundprinzip dieses Spiels ist die Vorstellung, die menschliche Seele sei so etwas wie ein Kochtopf, genauer ein Dampfdrucktopf. In diesen Topf fließt unablässig eine gewisse »Energie«, die nach »Abfuhr« drängt. Ist der Mensch aber zu faul, um genügend gute Werke zu vollbringen oder auch genügend Verbrechen zu begehen, damit sein Gehirn diese Energie abführen kann, dann kommt es zu einem »Stau«. Ab und zu »kochen« die Gefühle dann »hoch« und müssen unter der Dusche »abgekühlt«, beim Holzhacken oder Jogging »abreagiert« oder auch auf dem Fußballplatz oder in Tobsuchtsanfällen »rausgelassen« werden.
Um nicht mißverstanden zu werden: Wir bezeichnen diese Vorstellungen nicht als »falsch« und erwähnen nur pflichtgemäß, daß die von der klassischen »Psychoanalyse« einige Zeit behauptete »Triebenergie« ein Irrtum war. Denn die Vorstellungen, daß der Mensch Gefühle etwa des Ärgers »herunterschlucken«, »in sich hineinfressen« kann, daß etwa »Aggressionen« sich »aufstauen« können, bis sie schließlich »überkochen« oder sogar »explodieren«, auch die vielen schönen Bilder von der Liebe im Herzen, der Furcht in der Brust und der Wut im Bauch (vom Sprung in der Schüssel ganz zu schweigen) beschreiben das subjektive Erleben des Menschen so treffend, daß wir sie keinesfalls kritisieren wollen. Sie gehören lediglich zu einem alten, wenn auch modischen Spiel, also nicht in den Raum für das Harmonie-Spiel. Nach dessen Prinzipien muß die Seele nur dann von Zeit zu Zeit zum Beispiel »Dampf ablassen«, wenn der Verstand an diese »Dampfkesselpsychologie« glaubt. Andere Möglichkeiten wären, sich Belastungen »von der Seele zu reden«, oder eben der S/V-Dialog.
Hier folgen nun drei kleine Szenen, die deutlich machen sollen, wie wenig für die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen gewonnen ist, wenn das Nerven-Spiel durch das Dampftopf-Spiel ersetzt wird. In der dritten Szene ist ein Beteiligter HarmonieSpieler. Die Situation ist jedesmal die gleiche. A und B treffen zu Hause aufeinander. Beide hatten Probleme am Arbeitsplatz, wollen sich nun entspannen. (Der »Ton«, in dem sie reden, läßt sich leicht erraten. Aber nicht er allein »macht die Musik«.)
1. Szene
A: Bitte schone mich heute ein bißchen, ich bin völlig mit den Nerven runter. – B: Was heißt hier schonen? Du hast ja keine
Ahnung, was mir heute alles passiert ist. Die haben mir den letzten Nerv geraubt. – A: Immer denkst du nur an dich! Habe ich dich nicht höflich gebeten, mich etwas zu schonen? Ich brauche jetzt Ruhe, verdammt noch mal!! – B: Wer denkt immer nur an sich, he? Du willst deine Ruhe, du willst Schonung, du, du, du!! Wie mir dein Egoismus auf die Nerven geht! – A: Ich gehe dir auf die Nerven? Wer schreit denn hier herum, wenn ich nur etwas Ruhe will? Etwas Ruhe! Wenn du mich nicht entspannen läßt, verliere ich noch die Nerven! – B: Aha, ich bin also schuld an deinen schwachen Nerven! Wer nimmt denn immer seine Tabletten nicht?! Mach nur so weiter, du wirst schon sehen, was du davon hast?! – A: Du willst mir drohen? Na warte. Ich lasse mir nicht mehr auf den Nerven herumtrampeln!!
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