Kitabı oku: «Nicht ohne meine Hüfte»
Annette Frieboes-Esalnik
Nicht ohne meine Hüfte
Wieder fit dank Hüft-OP: ein Erfahrungsbericht
© 2015 Pro-Talk Verlags GmbH Königswinter, www.pro-talk-verlag.de
Layout / Satz, Umschlaggestaltung colibris / Juliane Scherz, Dresden, www.co-libris.de
Coverbild: © alephnull – Fotolia.com
ISBN 978-3-939990-13-0
Inhalt
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Epilog
Und noch ein Wort zum Schluss von zu Hause
Anhang
Prolog
Nun ist es soweit. Wir schreiben das Jahr 2012. Es ist September und ich bin mit meinem Theaterverein zu einem Ausflugswochenende nach Rothenburg ob der Tauber unterwegs. Und mit dabei in meinem Gepäck – ein Rollstuhl! Ups.
Das erste Mal darin zu sitzen, war schon ein sehr komisches Gefühl. Und die Blicke, die ich von entgegenkommenden Mitmenschen zugeworfen bekomme, sprechen Bände. Sie zeugen von Mitleid, von Neugier darauf, was ‚die arme Frau’ wohl hat, immer wieder werde ich von oben bis unten gemustert.
Gewöhnungsbedürftig ist auch diese Abhängigkeit von anderen, die meinen Rollstuhl schieben, meistens trifft es meinen Mann. „Da kann man ja seine Zigarette nicht mehr in Ruhe rauchen, mit einer Hand, und dann diese Ruckelei, und aus dem Rollstuhl fliegt sie auch noch raus, wenn man nicht aufpasst, blödes Kopfsteinpflaster!” Immer die Ruhe selbst, der Gute.
Unsere Gruppe nimmt am Abend an einer mittelalterlichen Nachtwächterführung teil. Alle stehen im Kreis herum und hören dem Mann im schwarzen Umhang mit Laterne in der Hand andächtig zu, alle stehen – nur ich sitze in meinem Rollstuhl. Der Nachtwächter kommt zögernd auf mich zu und blendet mich dabei mit seiner Kerze, die genau in meiner Sichthöhe hängt.
„Da kommen gleich ein paar Stufen, wird das gehen?” fragt er mich mit leichter Besorgnis in der Stimme. Mein Mann, nett wie immer, antwortet ihm:
„Och, die kann laufen, die ist nur faul!” Der Nachtwächter ist etwas verdutzt, aber alle anderen fallen in ein anständiges Gelächter ein und ich auch, warum auch nicht. Ich weiß ja, dass sie über den Spruch lachen und nicht über mich.
Trotzdem ist das der Zeitpunkt. Eine neue Hüfte muss her. Dringend.
Dabei bin ich doch erst vierundvierzig Jahre alt – noch viel zu jung für eine Hüfte. Wenn ich jetzt ein künstliches Hüftgelenk bekomme, dann muss ich mich in voraussichtlich fünfzehn bis zwanzig Jahren noch einmal unters Messer legen. So lange halten die Dinger im Schnitt. Na prima! Das sind ja tolle Aussichten. Aber so geht es nicht mehr weiter – wohl oder übel muss ich mich für diesen Schritt entscheiden.
Von Geburt an habe ich Hüftdysplasie. Das heißt, ich hatte schon früh Probleme und wusste, dass ich irgendwann um eine OP nicht herumkommen würde. Natürlich habe ich versucht, diesen Zeitpunkt so weit wie möglich nach hinten zu verschieben, mich mit gelenkschonenden Sportarten wie Nordic Walking und Trimmradfahren in Form gehalten. Doch trotz all meiner Bemühungen ist er nun da, der gefürchtete Tag X.
„Oh du Arme, wenn man dir beim Gehen zuschaut, da bekommt man schon beim Zusehen Schmerzen!” Na danke! Ich bin es leid, mir solche Sprüche anzuhören. Dabei hab ich gar nicht so große Schmerzen, man hört nur ein Knacken von Knochen bei fast jeder Bewegung und mein Gang weicht stark nach links außen aus. Ich laufe also Schlangenlinien – und würde damit durch jede Polizeikontrolle fallen. Noch muss ich aber keine Schmerzmedikamente nehmen und schlafe nachts wie ein Murmeltier. Aber inzwischen kann ich zum Einschlafen nicht mehr auf meiner Lieblingsseite liegen. Doch damit ist jetzt Schluss.
1
Gleich am Montag nehme ich all meinen Mut zusammen und greife zum Telefon. Schon lange zuvor habe ich damit begonnen, mich über verschiedene Krankenhäuser zu informieren. Das hier ist mein Favorit. Schon auf seiner Internetseite gibt es den Patienten Ratschläge an die Hand, wie sie sich im Vorfeld solch einer Operation am besten verhalten sollen und was noch zu tun ist, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Und mir ist wichtig, dass ich mich mit meiner Wahl wohl fühle, dann kann ich besser mit der Situation umgehen. Auch meine Hausärztin befürwortet diese Einrichtung.
Also dann los, ich wähle die Nummer der Klinik. Es ist nun Ende September und die freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung gibt mir einen Termin für den 17.10.2012. Beruhigt lege ich wieder auf. Das ist ja noch lange hin und bis ich dann einen OP-Termin bekomme, wird es sicher noch mindestens ein halbes Jahr dauern. Also noch ewig hin!
So dachte ich. Aber die drei Wochen gehen im Fluge rum – und schon muss ich zum ersten Termin. Mit dabei sind meine Schwägerin und mein Schwager, die mich seelisch unterstützen sollen. Die Fahrt dauert zwei Stunden und ist lustig. Alles andere liegt ja noch immer in weiter Ferne. Wir kommen gut durch und stehen nun vor dem Krankenhaus in Hamburg, gleich neben der Reeperbahn.
Guten Mutes gehe ich hinein, während meine Verwandten einen Bummel auf der Reeperbahn unternehmen.
Vorn in der Halle sehe ich zuerst die große Anmeldung. Eine nette Dame hinter dem Tresen fragt nach meinem Begehr und schickt mich dann weiter zum nächsten, etwas kleineren Tresen. Dort begrüßt mich ein älterer, sehr freundlicher Herr, der mir genau den Weg beschreibt, den ich nun weiter zu gehen habe, damit ich mich nicht verlaufe. Ich lande vor einem Büro mit verschlossener Tür und setzte mich brav auf einen der Stühle, die davor stehen. Nun habe ich etwas Zeit über mich und mein Hiersein nachzudenken. Und langsam steigt ein unangenehmes Gefühl in mir auf. Denn die Entscheidung, nun diesen Weg zu gehen, hat letztendlich die Operation zum Ziel. Damit muss ich mich ernsthaft auseinandersetzen.
Nach einer Weile werde ich aufgerufen und betrete das Büro, nehme auf dem mir zugewiesenen Stuhl Platz, und die Dame mir gegenüber, die für die Aufnahme zuständig ist, beginnt freundlich meine Daten abzufragen. Die Tür geht auf, ein Arzt unterbricht unsere Arbeit.
„Hab’ ich vielleicht mein Telefon hier liegengelassen?”, fragt er die Krankenschwester mir gegenüber. Dabei zieht er hektisch zwei andere Telefone aus seinen ausgebeulten Hosentaschen, die seine Hosenbeine schwer nach unten ziehen. Ich frage mich, wozu man nur so viele Telefone braucht.
„Nein, hier ist es nicht.”
„Hm, das ist ja blöd.” Der Mann blickt ein wenig ratlos und ich schlage vor: „Rufen Sie doch mal an, vielleicht hören Sie es ja klingeln.” Der Arzt sieht mich an und grinst anerkennend. „Gute Idee.” Die Schwester wählt seine Nummer, während der Arzt bereits aus dem Büro eilt. Kurze Zeit später hören wir ihn aus dem Gang rufen: „Hab’ es.” Ich lache leise in mich hinein, denn noch kann ich das, ohne an den ernsten Hintergrund meines Aufenthaltes zu denken.
Wir setzen das Aufnahmegespräch fort, das nun viel lockerer verläuft, und meine persönlichen Daten werden aufgenommen. Als die Dame mit mir fertig ist, schickt sie mich zum Röntgen eine Etage tiefer. Sie zeigt mir den genauen Weg. Also auf zur nächsten Station, wo ich mich folgsam erneut anmelde. Da meine Daten bereits dank Computertechnologie übermittelt sind, weiß die Dame mir gegenüber bereits, worum es geht. Ich muss kurz warten. Nachdem ein anderer Patient aus der Umkleidekabine kommt, werde ich hineingebeten, ziehe mir folgsam Schuhe und Hose aus und werde geröntgt, ziehe mich wieder an und begebe mich zum Büro der netten Schwester von der Aufnahme.
„Schon fertig.” Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage, und die Schwester begleitet mich zu meiner Untersuchung ins nächste Zimmer. Wieder bin ich einen Moment mit mir und meinen Gedanken allein. Eigentlich müsste ich ja schon total genervt sein wegen dieses ständigen Hin und Hers. Von hier nach da und schon so viel Zeit, die ich hier verbracht habe. Aber das hält sich in Grenzen. Während ich warte, macht sich jedoch langsam eine leichte Beklommenheit in meiner Magengrube breit.
Dann öffnet sich die Tür und herein kommt – „Mr. Verlorenes Telefon”, mit einem freundlichen Grinsen im Gesicht.
„Ach, das Telefon”, sage ich, als ich ihn ansehe, und sein Grinsen wird breiter.
„Und wie kann ich Ihnen weiterhelfen?”
Was für eine Frage, hat er doch mein entzückendes Röntgenbild, das nicht nur die Hüften in entblößender Weise zeigt, bereits auf seinem Bildschirm.
„Wie es aussieht, brauche ich wohl eine neue Hüfte”, sage ich etwas kleinlaut. Er sieht mich an, lächelt und blickt dann aufs Bild. „Welche Seite soll denn zuerst?”
Peng! Mit einem Schlag bin ich wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet. WELCHE Seite? Also sind beide Hüften schon so schlecht, dass ich mir aussuchen kann, welches Elend ich zuerst beenden will. Ich überlege kurz, während mein Mut in den Keller sinkt, und sage finster:
„Die Linke zuerst, bei der Rechten kann ich mir wenigstens noch allein die Socke anziehen, das schaff ’ ich links schon seit zwei Jahren nicht mehr.”
Wieder grinst er. Was gibt es da zu grinsen? Also mir ist wirklich nicht zum Scherzen zumute. Ich ärgere mich kurz, dann denke ich: Naja gut, für mich ist das Neuland, er macht sowas den ganzen Tag über. Würde er hier stehen und im Angesicht meiner Situation weinen, wäre ich wohl auch etwas irritiert, oder?
„So, dann ziehen Sie mal Schuhe und Hose aus und kommen hier rüber zur Untersuchungsliege.” „Ok”, sage ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Zum Glück trage ich meine Slipper – angenehme, notwendige Schuhe in solch einer Situation, da man sie ohne Bücken und ohne Hilfe an- und ausziehen kann. Dann öffne ich meine Jeans, schiebe sie meine Beine herunter, setze mich auf den Stuhl und ziehe sie mir unbeholfen von den Füßen, wobei ich die Beine seltsam hin- und her bewegen muss, um überhaupt irgendwo herankommen zu können. Naja, wie immer halt, aber es ist mir doch ein wenig unangenehm, dabei beobachtet zu werden. Wieder lächelt der Arzt ermutigend.
„Ha, ganz typische Art in Ihrer Situation, die Hose auszuziehen.” Ich mag ihn.
Er sagt das immer so, mit einem ironischen Zwinkern in den Augen, und nimmt mir damit ein wenig die Unsicherheit. Ich überspiele meine Angst derweil mit Bemerkungen wie:
„Ich krieg die schon aus, ganz alleine, das dauert nur.”
Und er spielt eben mit. Ich humple zur Liege und hangele mich umständlich hinauf, alles unter seinem wissenden Blick. Dann nimmt er mein linkes Bein hoch und testet die Beweglichkeit. Seine Augenbrauen gehen in die Höhe.
„Gut, das wird aber echt Zeit. Sie können sich wieder anziehen.” Also pelle ich mich wieder von der Liege und humple zurück zum Stuhl.
Der Arzt tippt ein paar Notizen in den Computer. Ich Klugscheißer, der sich ja im Vorfeld sorgsam informiert hat, wie zum Beispiel über Titanmaterial bei Nickelallergie, muss unbedingt noch etwas loswerden: „Arbeiten Sie eigentlich mit dem Register für Gelenke der Uni Kiel zusammen?” Erst vor kurzem habe ich einen Bericht im Fernsehen darüber gesehen.
Er mustert mich einen Moment über den Rand seiner Brille hinweg, verschränkt die Arme vor der Brust und mit vor Ironie triefender Stimme klärt er mich auf:
„Wir haben schon seit Jahren unser eigenes Register.” Er lächelt und ich komme mir etwas lächerlich vor.
Man kann ja mal fragen. Aber alles halb so schlimm. Wie gesagt, ich überspiele meine Angst mit etwas Ironie und er spielt mit. Für mich eine absolut angenehme Atmosphäre.
„So, ich wäre hier dann fertig. Sie warten bitte einen Moment. Der operierende Arzt stellt sich Ihnen noch vor.”
„Oh, echt. Der kommt auch gleich. Ist ja ein Ding”, sage ich spontan.
„Ja, das ist hier so.” Er steht auf und gibt mir zum Abschied die Hand. Nach einer Weile öffnet sich die Tür wieder, und tatsächlich: Ein zweiter Arzt betritt das Zimmer, stellt sich mir vor und eröffnet mir, dass er mich operieren wird. Er erklärt kurz die OP und welches Material für das künstliche Gelenk verwendet wird. Das ist z.B. bei einer Nickelallergie wichtig. Dass die Prothese bei mir nicht zementiert wird und noch einiges mehr, erfahre ich auch. Da ich keine weiteren Fragen habe, bittet er mich, auf die Narkoseärztin zu warten, und verabschiedet sich mit einem „Alles Gute für Sie.”
Wow. Das geht ja Schlag auf Schlag, und da wusste ich noch nicht einmal, welch göttliche Narbe mein Operateur auf mir hinterlassen wird, weil er so hübsch nähen kann. Ich warte wieder, aber nur einen Augenblick. Erneut öffnet sich die Tür und die Narkoseärztin stellt sich vor. Sie macht sich ein Bild von meiner Allgemeinverfassung und sieht sich die Ergebnisse der Blutuntersuchungen an, die ich brav schon vorher bei meiner Hausärztin gemacht habe.
„So, dann ist ja alles bereit. Jetzt noch die Frage der Narkose. Für welche Art möchten Sie sich entscheiden? Vollnarkose oder Rückenmarksanästhesie?” Sie schaut mich erwartungsvoll an. Ich starre entsetzt zurück. Wie? Jetzt muss ich auch noch Entscheidungen treffen. Am liebsten möchte ich gar nicht darüber nachdenken, was da alles mit mir geschehen wird. „Ich weiß nicht, was würden Sie mir denn raten?”, frage ich etwas eingeschüchtert. Die Ärztin, ganz Profi, erläutert mir die Vor- und Nachteile:
„Bei der Vollnarkose legen wir Sie sofort in vollkommenen Schlaf und Sie bekommen nichts mit. Sie sind allerdings nach der OP eine gewisse Zeit sehr schläfrig und vielleicht ist Ihnen auch noch leicht übel oder schwindelig. Bei der Rückenmarksanästhesie werden nur die Beine betäubt. Sie können zusätzlich noch ein Medikament bekommen, das sie schläfrig macht, oder Musik hören. Sie sind aber auf jeden Fall sofort nach der OP wieder voll da und diese Art der Narkose ist für den Körper wesentlich besser verträglich.”
Ich brauche einen Moment, um darüber nachzudenken. Rückenmark: Nur die Beine sind betäubt und ich kriege alles mit, wie gesägt, gehämmert, geschraubt und was weiß ich noch alles gemacht wird. Das klingt wenig verlockend.
„Ich glaube, ich möchte lieber gar nichts mitbekommen. Ich wähle die Vollnarkose.”
„Gut, ich notiere mir das.” Sie schreibt es kurz auf und erhebt sich.
„So, dann sind wir hier fertig. Sie können mich gleich begleiten. Wir gehen zu dem Herren, der die Betten verteilt. Er wird Ihnen gleich den Termin geben.” Ich sehe sie verblüfft an.
„Jetzt schon?” Ich fühle mich, als sackten mir die Beine weg.
„Ja, das geht hier Hand in Hand.” Ich bin sichtlich beeindruckt – und absolut in Panik. Sie führt mich über die Flure, ich humple hinterher. Sie setzt mich vor einem weiteren Büro ab und wünscht mir alles Gute.
Ich bin wirklich überrascht von der Freundlichkeit und der Art, wie man in dieser Klinik aufgenommen und betreut wird. Nicht eine Minute fühle ich mich allein gelassen, die Ärztin begleitet mich zum nächsten Zimmer und lässt mich nicht einfach allein durch die Gänge irren. Fast habe ich den Eindruck, ich bin Privatpatient. Ich habe mich für die richtige Klinik entschieden. Die Tür öffnet sich.
„Frau äh… Frieboes-Esalnik?” Etwas schwierig, der Name, ich weiß. Ich erhebe mich und nehme erneut im Büro Platz.
„So, Sie wollen also ein Bett in unserem Haus.”
„Wenn’s geht, nicht”, erwidere ich ironisch. Der Herr der Betten schaut mich an und lächelt
„Na denn tschüss.”
Wieder begegnet mir dieser typische trockene Hamburger Humor, pure Ironie in der Stimme, aber immer freundlich.
„Nein”, sage ich und lächle zurück, „ich muss ja.”
„Weiß ich ja, also wann passt es denn? Ich hätte da Ende November….”
„Was?”, bricht es panisch aus mir heraus. Ich rechne nach. Das ist ja schon in sechs Wochen und dann wäre ich den ganzen Dezember über weg, meinen Geburtstag, Weihnachten… Ich schlucke.
„Nö, ich dachte da eher an Januar 2013. Geht das?”
„Na klar. Wir sehen mal – also am 07.01.2013, passt das besser?”
„Ja, den nehm ich”, sage ich locker, auch wenn sich in mir alles dagegen sträubt und ich am liebsten schnell wieder aus dem Zimmer hinauslaufen würde. Wenn ich es genau bedenke, ist so ein Rollstuhl doch gar nicht so schlimm. „Ok, eingetragen. Dann sind wir fertig. Sie bekommen Post von uns.” Er verabschiedet mich. Ich bin fertig.
Etwas benommen mache ich mich auf den Weg nach draußen und komme am Büro der Dame vorbei, die mich und meine Daten als erstes aufgenommen hat. Ich klopfe kurz und öffne die Tür.
„Ich wollte mich nur nochmal bedanken. Es fällt einem leichter, so etwas durchzustehen, wenn man so nett aufgenommen und behandelt wird.”
„Oh, danke.” Ich schließe die Tür und rufe mein moralisches Verstärkungsteam herbei, das sich noch auf der Reeperbahn herumtreibt. Auf der Heimfahrt erzähle ich begeistert von meinen Erlebnissen und dem positiven Eindruck, den das Krankenhaus auf mich gemacht hat. In diesem Moment muss ich einfach loswerden, wie gut aufgenommen ich mich gefühlt habe, ohne darüber nachzudenken, aus welchem Grund ich überhaupt dort war. Ich bin mir durchaus bewusst darüber, was mich erwartet, doch die Angst davor kann ich noch gut ausblenden.
2
Der Termin aber ist noch weit entfernt. Alles geht seinen normalen Gang, der Oktober endet wie immer.
Der Termin liegt weiterhin in großer Ferne.
Der November vergeht, nach Totensonntag stellen wir unsere Weihnachtsdekoration auf. In meinen Gedanken macht sich langsam etwas breit, das meine Vorfreude auf Weihnachten zu trüben beginnt.
Der Termin ist gar nicht mehr so weit entfernt.
Langsam breitet sich dieser Gedanke immer weiter aus und legt sich auf mein Gemüt. Um nicht zu sagen, diese Sache schwebt über mir wie das berühmte Schwert des Damokles. Was sich natürlich auch auf mein Verhalten gegenüber meinen Mitmenschen auswirkt. Denn immer öfter kreisen meine Gedanken um den näher rückenden Termin der OP. Ich muss mich damit auseinandersetzen und dabei lässt meine Konzentration für andere Dinge nach. Ich bin öfter mal ungeduldiger oder auch ungerecht anderen gegenüber. Schließlich bin ich diejenige, die sich unter das Messer legen muss. Können die anderen denn überhaupt nachvollziehen, was das bedeutet? Schließlich spricht mein Mann mich auf meine Gereiztheit an und jetzt muss ich zugeben, dass der Termin für mich allgegenwärtig ist, mein ständiger Begleiter in Gedanken – mein Gott, ich habe unglaubliche Angst davor. Angst vor dem Moment, wo ich im Bett hilflos zur OP geschoben werde. Angst, es könnte etwas bei der Narkose schiefgehen. Angst vor eventuellen Schmerzen nach der OP. Immerhin werde ich aufgeschnitten und ein Teil meines Knochens wird entfernt. Und vor allem hasse ich den Gedanken daran, danach im Bett liegen und abhängig von anderen sein zu müssen. Ich versuche mich zusammenzureißen. Kurz vor Weihnachten erhalte ich Post vom Krankenhaus. Mein Termin wurde auf den 09.01.2013 verlegt – zwei Tage Schonfrist. Am liebsten würde ich das Ganze absagen – oder den Termin noch ein paar Monate nach hinten schieben. Wir feiern ein schönes Weihnachtsfest – doch im Kopfe zähle ich mit: noch zwei Wochen bis zur OP. Trotz allem freue ich mich auf Silvester, meine Schwägerin feiert ihre Hochzeit an diesem Tag und wir verleben ein wirklich tolles Fest. Gutes Essen, guter Wein, ich tanze die Nacht durch, als gäbe es kein Morgen.
Am nächsten Tag kann ich mich kaum rühren, weil die Hüfte schmerzt. Egal, bald gibt es eh eine neue und ich hatte eine tolle Nacht – noch eine Woche…
Es wird Zeit, mir zu überlegen, was ich an Kleidung, Schuhen, Hygieneartikeln und sonstigem brauche. Gekauft habe ich schon etwas, wie Shampoo, Duschgel, Zahnpasta und einen Jogginganzug, Turnschuhe, neue Handtücher. Aber gepackt und vor allem vorher gewaschen werden muss auch noch einiges. Schließlich steht in dem Infoblatt des Krankenhauses, dass ich zwei Koffer brauche, einen kleinen mit den nötigsten Sachen für die Klinik und einen größeren, der im Krankenhaus aufbewahrt wird, für die Reha, die gleich im Anschluss folgen soll.
Heute ist Dienstag, der 08.01.2013. Ich packe meine Koffer. Im Kopf habe ich mir bereits überlegt, was ich alles brauche, aber nun muss es in den Koffer, es wird ernst.
Meine Nachbarin kommt vorbei, um mir alles Gute zu wünschen, danach gehe ich mich von meinen Eltern verabschieden, mit ein paar Tränen in den Augen. Mein Papa schenkt mir einen extra langen Schuhanzieher, damit ich mich nicht bücken muss. Schön, dass er daran gedacht hat.
Abends verleben wir dann den vorerst letzten gemeinsamen Familienabend. Ich sitze mit meinem Mann und meinen beiden Töchtern zusammen auf dem Sofa und wir sehen uns einen Film an. Ich bin froh über die Ablenkung. Irgendwann geht auch diese Zeit vorbei, wir sagen uns gute Nacht und komischerweise habe ich die auch.
Am Morgen verabschiede ich mich von meinen Töchtern, die zur Schule müssen. Wieder fließen Tränen. Ich hab einen riesengroßen Kloß im Hals und mein Brustkorb droht vor Anspannung zu platzen. Es tut weh, jetzt wegzufahren und sie erst „danach” wiederzusehen. Mein Mann verfrachtet die beiden Koffer ins Auto, während ich meinem Kater und meinen beiden Hunden Lebewohl sage. Sie schauen mich an, als wüssten sie, dass wir uns für lange Zeit nicht sehen werden.
Wir kommen gut mit dem Auto voran und erreichen nach zwei Stunden den Eingang der Klinik, pünktlich zum vorgeschriebenen Zeitpunkt. Um mir Mut zu machen, versuche ich es mit Galgenhumor. Die große Rezeption könnte glatt mit der eines Hotels verwechselt werden. Also – mein „Urlaub” kann beginnen. Gleich dort werden mir die Koffer abgenommen und mit meinen persönlichen Daten versehen. Markiert mit ihrem Bestimmungsort – Reha oder Krankenhaus –, verschwinden sie hinter der Rezeption. Ich werde zur nächsten Anmeldung weitergeschickt und von da aus in eines der Patientenaufnahmebüros. Ich bin froh, dass mein Mann mitgekommen ist. Während der Wartezeit bekomme ich immer wieder SMS mit guten Wünschen von Freunden und Verwandten, die an mich denken – gut, dass ich die habe!
Dann werde ich aufgerufen, datentechnisch erfasst und bekomme einen Becher zur Urinabgabe. Ich begebe mich zur Toilette – wo ich leider eben erst war. Unglücklicherweise bekomme ich den Becher trotz aller Anstrengungen nicht einmal ansatzweise voll – also wieder warten. Dann wird mein Name aufgerufen. Eine freundliche Schwester holt mich zum EKG, zum Blutdruckmessen und zur Blutabnahme. Die Sache wird immer ernster. Ich werde immer nervöser. Doch die Hoffnung, wieder besser gehen zu können, lässt mich tapfer weitermachen. Anschließend führt sie mich in einen weiteren Behandlungsraum, in dem kurz darauf eine Narkoseärztin auftaucht.
„Guten Morgen, Frau Frieboes-Esalnik. Wir wollen den Ablauf Ihres morgigen OP-Tages besprechen.” Sie hat eine wahnsinnig angenehme Stimme, die eine beruhigende Wirkung hat. Sie hilft mir, das bevorstehende Gespräch zu überstehen. Ich nicke. Sie fährt fort.
„So, zunächst gehen Sie nach diesem Aufnahmegespräch noch zum Büro für Reha, dann auf Ihr Zimmer, richten sich in aller Ruhe ein. Dann bekommen Sie Ihr Abendbrot und können bis zweiundzwanzig Uhr etwas trinken. Gehen Sie am Abend nochmal schön duschen. Das können Sie in den nächsten zwei Wochen nicht mehr tun. Bitte nicht die Haut eincremen, wir wollen Sie pur haben, ja. Nehmen Sie dann bitte die Beruhigungstablette zu sich, die Ihnen angeboten wird, das ist besser für Ihren ganzen Körper, weniger Stress, ok?” Sie sieht mich immer wieder an und ich nicke. Mir ist schon mulmig zumute, wenn ich jetzt zuhöre, denn es ist ernst und die OP rückt immer näher.
„Die Tablette ist zur Beruhigung, keine Schlaftablette, trotzdem sollten Sie nachts, wenn der Drang Sie treiben sollte, nicht allein zur Toilette gehen. Klingeln Sie nach der Schwester. So, dann werden Sie morgen früh etwa gegen sechs Uhr geweckt. Machen Sie sich nochmal frisch, ziehen Sie sich Ihr OP-Hemd und den Einmalslip an und nehmen nochmals eine Beruhigungstablette. Anschließend werden Sie abgeholt. Ist bis jetzt alles verständlich, haben Sie irgendwelche Fragen?”
Eingeschüchtert schüttle ich meinen Kopf. „Alles gut.”
„Dann geht es weiter. Sie werden also abgeholt, in den OP-Bereich gebracht. Dort wechseln Sie auf die OP-Liege und kommen in den Narkosebereich. Ihnen wird der Tropf angelegt und die Überwachungsgeräte werden angeschlossen. Und schließlich werden Sie in Narkose versetzt. Sie haben sich für die Vollnarkose entschieden, das ist richtig?”
„Ja, die möchte ich immer noch, ich mag absolut gar nichts mitbekommen.”
„Gut, dann noch eine Frage. Dürfen wir Ihnen einen Katheder in die Blase legen?” Ich sehe sie entsetzt an.
„Muss das sein?”
„Nein, zwingend muss das nicht sein, es hat aber nur Vorteile, glauben Sie mir.”
„Ach ja und welche?” frage ich ungläubig.
„Also glauben Sie nicht, dass wir ein Problem damit haben, Sie zu säubern, wenn Sie sich einnässen, wirklich nicht. Aber wir arbeiten ja auch mit Strom und möchten daher etwaigen Verbrennungen vorbeugen. Außerdem ist ein Katheter in den ersten Tagen für Sie durchaus von Vorteil. Sie können das Bett noch nicht allein verlassen und ersparen sich die Pfanne. Und glauben Sie mir, wenn Sie nicht darüber nachdenken, bemerken Sie das kleine Ding gar nicht.”
Ich überlege kurz. Aber so, wie die nette Narkoseärztin das gerade erklärt hat, klingt es natürlich absolut logisch und unumstößlich.
„Also ja, dann nehm ich eben einen Katheter. Wie lange wird die OP dauern?”
„Das ist unterschiedlich, je nach Methode und Knochensubstanz. Ich kann es leider nicht genau sagen. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?” Ich verneine, denn im Moment fällt mir nichts mehr ein.
„Gut”, sagt sie mit ihrer ruhigen Stimme, „dann gehen Sie jetzt noch eben zum Reha-Büro, bevor Sie aufs Zimmer gehen. Alles Gute.”
„Danke.”
Wieder warte ich vor einem Büro, mein Mann sitzt neben mir. Wir werden eingelassen und besprechen die an den Krankenhausaufenthalt nahtlos anschließende Reha. Ich erfahre, dass ich aus rentenversicherungstechnischen Gründen in dem Bundesland zur Kur gehen muss, aus dem ich komme. Ich akzeptiere die vorgeschlagene Einrichtung und mein Gegenüber macht sich an die Formalitäten.
Ich wusste ja, dass die Aufnahme ungefähr einen halben Tag dauern würde, ich habe diese Zeit als sehr informativ und gut aufgehoben empfunden und bin erstaunt, dass man sich hier wirklich um alles kümmert. Wir verabschieden uns und die Reha-Dame erklärt mir noch, wie und wo ich auf mein Zimmer, Station zwei oder Station Elbe komme. Also mache ich mich weiter auf den Weg, der mir gewiesen wurde, weiterhin in Begleitung meines Mannes, der mir die ganze Zeit Trost spendend zur Seite steht – und hungrig, denn mittlerweile sind wir schon vier Stunden hier im Haus unterwegs und unsere Mägen knurren. Doch wir gehen brav auf Station und warten, bis uns eine Schwester zum Ärztezimmer bringt.
Der Arzt, den ich noch vom ersten Aufnahmegespräch im Oktober kenne – Mr. Verlorenes Telefon –, betritt den Raum und sieht mich an.
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