Kitabı oku: «Der Ethikunterricht in Österreich»

Yazı tipi:

Anton A. Bucher

Der
Ethikunterricht
in Österreich

POLITISCH VERSCHLEPPT –

PÄDAGOGISCH ÜBERFÄLLIG!


Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

2014

© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck

Umschlaggestaltung: stadthaus 38, Innsbruck

Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag

Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien

ISBN 978-3-7022-3333-4 (gedrucktes Buch) ISBN 978-3-7022-3359-4 (E-Book) E-Mail: buchverlag@tyrolia.at Internet: www.tyrolia-verlag.at

Inhalt

Dank

Ein demokratiepolitischer Skandal und eine Vorschau auf das Buch

1.Die Vorgeschichte des Ethikunterrichts

Schule vermittelte „Ethik“ schon immer

Das „katholische“ Bayern prescht vor

Die zaghafte Aufnahme der Diskussion in Österreich

Kirche: Ja zu Ethikunterricht, aber nur als Ersatz

Liberale haben es in Österreich schwer, aber trieben Ethik voran

Was die anderen Parteien anstrebten

2.Von der Basis aus: Die ersten Schulversuche Ethikunterricht

Wie (Religions-)LehrerInnen aktiv wurden

Wie die EthiklehrerInnen ausgebildet wurden – und noch immer werden

Wie der Start (miss-)glückte

Inhalte und Ziele des Ethikunterrichts

3.Evaluation des Ethikunterrichts mit positiven Ergebnissen

Erste Empfehlungen: Ethik als gleichberechtigte Alternative – Kritik der Kirche

Ethikunterricht: Gut benotet, beliebt und durchaus effizient

Präsentation der Ergebnisse bei einem offiziellen Pressefrühstück

4.Stillstand in der Politik, Expansion an der (verunsicherten) Basis

Diskutieren, diskutieren – aber nur nichts regeln

Verunsicherung an der Basis – gleichzeitige Initiativen

Wie die Kirche dazu kam, Ethik als Alternativfach zu begrüßen

5.Was eine parlamentarische Enquete bringt

Wie man zwei Millionen Mitbürger übersehen kann

15 Jahre Schulversuch sind genug! Aber die Fronten sind verhärtet

Die dürftige Nachgeburt der Enquete

6.Das Dilemma des Religionsunterrichts

Eine junge Katholikin leidet unter „katholischem“ Religionsunterricht

Lehre der Kirche vermitteln: Für 29 Prozent der ReligionslehrerInnen (sehr) wichtig

7.Ethikunterricht im Frühjahr 2013: Aktuelle Daten und Befunde

Stichprobe: 1832 EthikschülerInnen

Noch bessere Noten

Und was gelernt?

In den Ethikstunden am häufigsten: Diskutieren in guter Befindlichkeit

Durchaus ethisch handlungsbereit: Soziomoralische Einstellungen von EthikschülerInnen

Zukunft von Ethikunterricht: Wofür die Schüler votieren

8.Das Zukunftsmodell „Ethik und Religionen“

Ethik für alle (Claudia Schmied): Ein „Anschlag“?

Ein Fach „Ethik und Religionen“, verpflichtend für alle

„Ethik und Religionen“: In Kooperation von Staat und Kirchen?

Ethische Standards und Kerninhalte von „Ethik und Religionen“

Wer „Ethik und Religionen“ zu unterrichten hätte

Vorteile eines solchen Faches

9.Ethikunterricht: Worum es wirklich ging und geht

Ethische Bildung für alle? Oder Wertemonopol der Kirchen?

Die politische Diskussion um Ethikunterricht: Indiz für dessen Notwendigkeit

10. Jüngste Entwicklungen

Anmerkungen

Dank

Dank gebührt gleich zu Beginn dieser Schrift allen Frauen und Männern, die sich für die ethische Bildung aller jungen ÖsterreicherInnen eingesetzt haben und dies weiterhin tun. Insbesondere den engagierten EthiklehrerInnen, die seit 16 Jahren in einem Provisorium unterrichten, sich dafür aufwändigen Zusatzausbildungen unterzogen und oft im Ungewissen gelassen wurden, ob die Schulversuche überhaupt fortgeführt werden. Spezieller Dank gebührt allen SchülerInnen, die uns bereitwillig und aufrichtig anvertrauten, wie sie dieses Fach erleben – mehrheitlichst positiv – und was sie von ihm zu profitieren glauben: so viel, dass die Überleitung ins Regelschulwesen ein Gebot der Stunde und der Ausbau in die Sekundarstufe 1 mehr als zu empfehlen ist.

Frau Mag. Jensy Meindl tippte viele Fragebögen ein, bereinigte die Dateien, assistierte bei den Analysen und gab viele Anregungen für das Manuskript. Mag. Sigrid Hofer, Elisabeth Ehn-Debus und Mag. Martina Vetter tippten tausende Zahlen ein und transkribierten die Antworten auf die offen gestellten Fragen.

Anton A. Bucher

Ein demokratiepolitischer Skandal und eine Vorschau auf das Buch

Der 4. Mai 2011. Ein frühsommerlicher Himmel spannte sich über Wien, auch über das Parlament mit der im Wind flatternden rotweiß-roten Flagge. Um die Mittagszeit schritten zahlreiche Männer und Frauen zu dessen Eingang, dazwischen auch Personen in religiösen Gewändern, besonders auffallend zwei Priester der koptischorthodoxen Kirche in einem knöchellangen schwarzen Zostikon. Auch sie waren unterwegs zu der um 13 Uhr beginnenden parlamentarischen Enquete, nicht etwa über Kirchen oder Religionen, sondern über Werteerziehung an den staatlichen österreichischen Schulen, insbesondere den Ethikunterricht, mit dem 1997 als Schulversuch begonnen wurde und der aktuell (Schuljahr 2012/13) an 234 Standorten geführt wird.

Im Nationalratssaal begannen sich die Reihen zu füllen: 28 Repräsentanten der 14 staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften, Abgeordnete der Parlamentsparteien und der Landesschulräte, zwölf Bundesräte, Vertreter von Gewerkschaft und Kammern, Familienbünden, Schülerorganisationen. Aufmerksam und kopfnickend registriert wurde der Eintritt des Wiener Kardinals Christoph Schönborn an der Seite von Frau Dr. Christine Mann, die verantwortlich ist für die ReligionslehrerInnen in Wien. Auch die Regierungsbank füllte sich: Unterrichtsministerin Claudia Schmied, neben ihr Karlheinz Töchterle, Wissenschaftsminister, die Impuls- und Koreferenten, sechs Männer und eine Frau.

Dieser Enquete vorausgegangen war eine mehrfache Berichterstattung, allerdings weniger über die an Österreichs Schulen faktisch praktizierte oder wünschenswerte Werteerziehung. Am meisten schrieben die Journalisten darüber, was als ein demokratiepolitisch bedenklicher Skandal in der endlosen Geschichte der (Noch-nicht-)Einführung von Ethikunterricht bewertet werden muss. Am 31. März 2011 konstatierte die „Standard“-Journalistin Lisa Nimmervoll unter der Überschrift „In Gottes Namen Ethik“ einen „Affront“.1 Und zwar gegenüber dem österreichischen Zentralrat der Konfessionsfreien, der – eigenen Angaben zufolge – mehr als zwei Millionen MitbürgerInnen repräsentiert.2 Gerade deren Kinder müssten ein verpflichtendes Alternativfach Ethik besuchen. Aber auf der offiziellen Einladungsliste suchten sie einen Vertreter vergebens. „Alle dürfen mitreden, nur die Betroffenen müssen schweigen“, beschwerte sich, aus verständlichen Gründen, der pensionierte Physikprofessor Heinz Oberhumer, Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien.3 Dafür aber standen bspw. zwei Repräsentanten der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) auf der Liste, die im Hohen Hause für 5000 Mitglieder reden durften. Offiziell bereinigt wurde diese eklatante Ungleichbehandlung nicht. Doch der Bildungssprecher der Grünen, Harald Walser, ermöglichte Oberhumer, als ein von seiner Partei nominierter Experte zu sprechen: „Kirchenkritischer Professor darf doch über den Ethikunterricht mitreden.“4 Ein Konfessionsfreier saß in der Nationalratsbank für zwei Millionen Mitbürger, ein Mormone für 2500.

Mittlerweile hatte die Präsidentin des Nationalrats, Barbara Prammer, vor dem fast bis auf den letzten Platz besetzten Nationalratssaal die Enquete eröffnet.5 Als Erste sprach Unterrichtsministerin Claudia Schmied und betonte, einen der größten Ethiker des 20. Jahrhunderts, Albert Schweitzer, zitierend, wie wichtig Ethik sei. Ohne eine solche gerate die Gesellschaft ins Wanken. Auch stellte sie die zentrale – strittige – Frage: „Soll Ethik ein Ersatzfach für den Religionsunterricht werden oder ein eigener Gegenstand, der für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich ist, oder ist es ein Querschnittsthema, das in vielen Fächern erarbeitet werden kann?“6 Sodann ergriff Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle das Wort, den im Plenum sitzenden Kardinal eigens als „Exzellenz“ begrüßend, und plädierte für ein „Miteinander von Religions- und Ethikunterricht“, wobei letzterer ein „Ersatz“ sein soll für die religiöse Unterweisung, wenn Schüler diese nicht zu brauchen meinen.

Im Anschluss hatte der Verfasser dieses Buches zehn Minuten Zeit, wesentliche Ergebnisse der offiziellen, ministeriell beauftragten Evaluation des Schulversuches auszubreiten, die anderthalb Jahre in Anspruch nahm. Abgeschlossen wurde sie vor mehr als zehn Jahren mit einem 330 Seiten umfassenden Bericht.7 Dieser gipfelte in der dringenden Empfehlung, Ethikunterricht, weil er sich bewährte und wünschenswerte Effekte zeitigte (bspw. weniger Ausländerfeindlichkeit), ins Regelschulwesen zu überführen. Wie unterschiedlich die folgenden RednerInnen auch argumentierten – Ethikunterricht für jene, die nicht in Religion sind (so mittlerweile auch die ÖVP), oder verpflichtend für alle (Grüne, Aktion kritische Schüler, Arbeiterkammer, Teile der SPÖ) –, ein weitgehender Konsens bestand und wurde von der Grünen Abgeordneten Alev Korun prägnant auf den Punkt gebracht: „Umso mehr kann ich mich den Forderungen der vorangegangenen Redner anschließen, dass 14 Jahre Schulversuch … genug sind und dass der Ethikunterricht endlich in das Regelschulwesen übernommen werden sollte.“8 Mehr als zwei Jahre sind vergangen. Ethik ist noch immer „Schulversuch mit open end“,9 mit 16 Jahren längst aus den Kinderschuhen raus, schon bald aus der Pubertät.

Dieses Buch will eine „Bildungsgeschichte“ erzählen, die in vielem ein Skandal ist, allein deswegen, weil sie schon so lange dauert: die Noch-nicht-Einführung von Ethikunterricht an den österreichischen Schulen.10 Skandalös ist zudem, dass die meisten Gruppierungen, die an diesem Diskurs beteiligt waren und sind, in hehrer Rhetorik die Notwendigkeit ethischer Bildung beschwören – aber faktisch Eigeninteressen verfolgen. Geht es wirklich „nur“‘ um einen zweistündigen Unterrichtsgegenstand? Oder nicht um Grundlegenderes – das Verhältnis von Staat und Kirche? Dies umso mehr, weil Ethikunterricht nahezu ausschließlich in Relation zu Religionsunterricht diskutiert wurde und wird. Skandalös ist auch, dass eine Bundesministerin eine Evaluation in Auftrag gab, vor der Presse längst fällige Absichten kundtat11 – einen verbindlichen Lehrplan erstellen zu lassen, bevor Unterrichtsbücher auf den Markt kommen sollten (die dann doch publiziert wurden, ohne bundesweiten Lehrplan) –, aber hernach alles in die Schublade legte und nicht einmal offene Briefe beantwortete.12 Die Nachfolgerin Claudia Schmied wurde über die Existenz von Ethikunterricht und seine Evaluation nicht offiziell in Kenntnis gesetzt. Am skandalösesten ist, dass die ethische Bildung aller österreichischen SchülerInnen nicht Vorrang hat. Viele Potenziale von Ethikunterricht, die empirisch hinreichend belegt sind, wurden brach liegengelassen. Dafür sah sich eine mitregierende Partei veranlasst, für ihre Funktionäre „Ethikkurse statt Jagden“ einzufordern – so Vizekanzler Michael Spindelegger im Mai 2012.13

Da eine Geschichte zu erzählen ist, fließen biographische Reminiszenzen ein und wird chronologisch verfahren, aber auch eine Gesamtschau des österreichischen Ethikunterrichts versucht.

1.Zu Beginn die Vorgeschichte: wie in den Siebzigerjahren auch auf der „Insel der Seligen“ – so glorifizierte Papst Paul VI. die Alpenrepublik bei einem Besuch von Bundespräsident Jonas im November 1971 – die Forderung nach profanem Ethikunterricht erhoben wurde, und wie die Kirche diesbezüglich in den nächsten Jahrzehnten auf die Bremse trat, worauf der Staat, zu ethischer Bildung verpflichtet, in Untätigkeit verharrte.

2.Erzählt wird sodann, wie LehrerInnen an der Basis aktiv wurden und ab dem Jahre 1997 die ersten Schulversuche lancierten, schwerpunktmäßig im Westen: Vorarlberg und Tirol. Welche Inhalte sehen Lehrpläne vor? Wie erlebten die SchülerInnen das neue Fach, das in den meisten EU-Staaten längst etabliert ist?

3.Die offizielle Evaluation, vorgestellt am 15. November 2001 bei einem Pressefrühstück, gipfelte in der Empfehlung, Ethik ins Regelschulwesen zu überführen. Erstaunlich und nachdenklich stimmend, wie sehr Positionierungen des Unterrichtsministeriums von den Ergebnissen der Evaluation abwichen, die dieses selber in Auftrag gab.

4.Obschon Ministerin Elisabeth Gehrer ausdrücklich weitere Schritte in Aussicht stellte (Lehrplan etc.), geschah vonseiten des Ministeriums nichts, aber viel Engagement an der Basis: kontinuierliche Zunahme der Schulstandorte mit Ethik bei gleichzeitiger Verunsicherung, ob die Versuche nicht doch eingestellt werden.

5.Ein neuer Abschnitt in dieser unendlichen Geschichte begann mit dem offiziellen kirchlichen Placet zu Ethikunterricht als Alternative zu Religion, aber erst, nachdem die neue Unterrichtsministerin Schmied die Rute eines Ethikunterrichts für alle SchülerInnen ins Fenster gestellt hatte, was Religionsunterricht ausdünnen würde. Nach mehrfachen Ankündigungen wurde im Mai 2011 die parlamentarische Enquete durchgeführt, mit dem primären Ziel, die Relation Ethik- und Religionsunterricht zu bestimmen, und nicht grundsätzlich über ethische Bildung am Beginn des 21. Jahrhunderts nachzudenken.

6.Konfessioneller Religionsunterricht gilt als Bestandteil der österreichischen Identität, fast ebenso unantastbar wie Walzer oder Berge. Aber ist er so konfessionell? Oder nicht schon längst ein Religionen- und Ethikunterricht (zumal in der gymnasialen Oberstufe), sodass grundsätzlich zu überlegen wäre, ob die rechtlichen Bestimmungen für dieses Fach nicht anachronistisch geworden sind.

7.Kurz erzählt wird auch, wie im Frühjahr 2013 mehr als 1800 SchülerInnen Ethikunterricht erlebten, wie sie ihn benoteten, was sie in ihm taten und von ihm zu profitieren glauben: Mehr als erwartet!

8.Abgeschlossen wird das Buch mit der Vision eines allgemein verpflichtenden Unterrichtsgegenstandes „Ethik und Religionen“, der idealiter in Kooperation zwischen Religionsgemeinschaften und Staat zu entwickeln wäre – eine gewaltige Herausforderung für Ökumene sowie dafür, ideologische Fixierungen in Richtung einer zukunftstauglichen ethischen Bildung aller jungen ÖsterreicherInnen zu transzendieren, wofür auch eine Neugestaltung des Konkordats in Kauf genommen werden könnte.

1.Die Vorgeschichte des Ethikunterrichts
Schule vermittelte „Ethik“ schon immer

Wann ist mit dieser Geschichte zu beginnen? Letztlich im Jahre 1774, als Maria Theresia die allgemeine Schulpflicht einführte. Seitdem stellt sich das Problem, welches Ethos die Schule vermitteln soll, was aber nur selten auf dem Niveau philosophischer Ethik reflektiert wurde. Gemäß dem ersten Methodenbuch für Landschulmeister von 1777 sollen Schüler „fleißig, fromm, sittsam, vorzüglich gehorsam und ehrerbietig sein“.14 Ein weiteres wichtiges Jahr ist 1934, als in düsteren Zeiten das bis heute geltende Konkordat in Kraft trat,15 ohne Parlamentsbeschluss, unterzeichnet von Kardinal Pacelli, der als Papst Pius XII. schon bald das aus dem alten Persien stammende Machtsymbol der Tiara tragen sollte, und Bundeskanzler Dollfuß, der wenige Monate später von den Nazi-Putschisten ermordet wurde. Das Konkordat ist die Basis für das Religionsunterrichtsgesetz vom 13. Juli 1949 (RelUG), gemäß dem konfessioneller Religionsunterricht „Pflichtgegenstand“ ist, von dem Eltern ihr Kind abmelden können (von Bildnerischer Erziehung nicht), ab dem vollendeten vierzehnten Lebensjahr die SchülerInnen sich selber.16 Dieser Unterricht wird inhaltlich und personell von den Religionsgemeinschaften verantwortet, aber vom Staat bezahlt. In Ermangelung rechtlicher Grundlagen orientieren sich die Ethikschulversuche bis auf den heutigen Tag an diesem Bundesgesetz.

Als Anfangsjahr wäre auch 1962 in Betracht zu ziehen. Während die USA und UdSSR um ein Haar in einen Atomkrieg taumelten, beschloss das österreichische Parlament jenen Satz, der redundant für die Rechtfertigung der Ethikschulversuche herangezogen wurde und wird: „Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen … mitzuwirken“ (§ 2, Abs. 1, SchOG)17. Damals, als ein Puch 500 und Urlaub in Jesolo erschwinglich wurden, gehörten 95 Prozent der ÖsterreicherInnen der katholischen Kirche an, knapp die Hälfte besuchte sonntäglich die Eucharistie und schaute kniend auf den Rücken des lateinisch zelebrierenden Priesters. Die meisten Kinder saßen im Religionsunterricht, dem Garanten nicht nur für religiöse Unterweisung, sondern auch für sittliche Bildung. In den Lektionen, oft von Kaplänen gehalten, erst vereinzelt von Laien, lasen die SchülerInnen im weit verbreiteten „Katholischen Religionsbüchlein“ von Wilhelm Pichler auch Sätze wie: „Doch wehe, wenn du eine schwere Sünde nicht bekennen wolltest! Denke ans Sterben, denke ans Gericht!“18

Schon ein Jahrzehnt später, vier Jahre nach den in Österreich zahmen Studentenrevolten, präsentierte sich die Situation anders. Zu Schuljahresbeginn verteilten Jungsozialisten vor den Gymnasien Flugblätter an die religionsmündigen SchülerInnen: „Beginnt damit, den Religionsunterricht auszutrocknen. Massenhaft. Dann wird der Weg frei für einen kritischen Unterricht.“ Die Kärntner Jungsozialisten beschlossen am 18. September 1976 einstimmig die Forderung, „dass der Religionsunterricht an allen Schultypen verboten und abgeschafft wird“.19 Die Wiener Jungsozialisten forderten ein Fach „Sozialismus“, die Körperschaft der Kirchenfreien Österreichs „Vergleichende Religionsgeschichte und freigeistige Ethik“.20

Das „katholische“ Bayern prescht vor

1972 kann als Geburtsjahr von Ethikunterricht gelten, allerdings nicht in Österreich, sondern in Bayern. Auch im Freistaat mit den vielen Wegkreuzen und Wallfahrtsorten kehrten mehr und mehr SchülerInnen dem Religionsunterricht den Rücken, im Schuljahr 1969/70 um die dreißigtausend. Empirische Studien wiesen ihn als „unbeliebt“ aus, nicht nur weniger „modern“ als Geschichte, sondern „bedrückender“ als Mathematik, darüber hinaus „unbeweisbar“, „weltfremd“, „unklar“.21 Die Religionspädagogik reagierte, indem sie, an den Universitäten personell aufgestockt, die Ausbildung angehender ReligionslehrerInnen intensivierte: Nicht nur zwei Stunden Katechetik, sondern auch Lernpsychologie, Fachdidaktik, Medienpädagogik etc. Zusehends verschwand der Katechismus aus den Klassen, der für viele ChristInnen Inbegriff von Langeweile war, auch für den Dichter Gottfried Keller, der dessen Sätze „in ewigem Wiederkäuen“ habe auswendig lernen müssen.22 Religionsunterricht gab sich fortan als „problemorientiert“. Erörtert wurde seltener der Unterschied zwischen „lässlichen“ und „schweren Sünden“, sondern bspw. die Folgen gesellschaftsbedingter Frustrationen.

Nachhaltig gestoppt wurde die Abmeldungsflut vom Religionsunterricht erst durch die Einführung von Ethikunterricht, zunächst in Bayern, dessen Verfassung vom 2. Dezember 1946 für die von Religion Abgemeldeten einen „Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes“ vorsah, sodann in Rheinland-Pfalz und sukzessive in allen Bundesländern, zuletzt in Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 1997/98.23 Die Implementierung geschah „überstürzt“, zunächst an den Gymnasien, schließlich bis hinunter zur Grundschule. Und warum? Um zu gewährleisten, dass alle SchülerInnen die Goldene Regel oder den Kategorischen Imperativ verinnerlichen? Mitnichten. Kultusminister Hans Maier räumte ein: „Angesichts der leerwerdenden Klassen und um der guten Ordnung halber sollten diejenigen, die sich vom Fach Religion abgemeldet hatten, nicht einfach in den Cafés herumsitzen, zum Ärger der anderen Schüler, die noch bei der Stange geblieben waren.“24

Ethik, um die Teilnahme an Religion zu stabilisieren? „Ziviler Ersatzdienst für die Gottlosen“, wie am 29. Dezember 1977 im „Stern“ zu lesen war? Der Nimbus, funktionalistisch den Religionsunterricht zu stützen bzw. die Abmeldungen zu reduzieren, haftet dem Ethikunterricht bis heute an, auch in Österreich. Dies wurde geradezu amtlich in der Presseaussendung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 15. November 2001, als die wesentlichen Ergebnisse der Evaluation (Abschnitt 3) präsentiert wurden: „Es gibt vielmehr Anlass zu der Annahme, dass durch den am Standort verpflichtenden Ethikunterricht die Jugendlichen sich eher weniger vom Religionsunterricht abmelden, das heißt, durch dieses Ethikunterrichtsangebot wird der Religionsunterricht eher gefestigt.“25 Verständlich, dass Religionsfreie dermaßen funktionalisierten Ethikunterricht kritisieren, aber auch EthikschülerInnen: „So wie Ethik zur Zeit in einigen Schulen betrieben wird, ist es meiner Meinung nach nur ein Mittel zum Zweck. Es wird versucht, die Schüler wieder dazu zu bringen, den Religionsunterricht zu besuchen.“26

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