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(2) Die Wahl der Präsidenten

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Der Verfassungsgerichtshof hat zwei Präsidenten, einen französischsprachigen und einen niederländischsprachigen. Diese werden von ihrer jeweiligen Sprachgruppe gewählt[55] und führen den Vorsitz turnusmäßig für je ein Jahr.[56] Grundsätzlich sitzt dem Gerichtshof der amtierende Präsident vor. Muss die Rechtssache jedoch in der Sprache behandelt werden, die nicht diejenige seiner Sprachgruppe ist, muss er seine Befugnisse dem anderen Präsidenten übertragen.[57]

(3) Die Unvereinbarkeitsregelungen

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In den Art. 44 bis 47 SGVerfGH werden die Unvereinbarkeiten zwischen dem Amt eines Richters beim Verfassungsgerichtshof und der Ausübung einer anderen Tätigkeit geregelt. So ist das Amt eines Verfassungsrichters unvereinbar mit dem Amt eines Richters, mit der Ausübung eines durch Wahl vergebenen öffentlichen Mandates, mit jeglicher öffentlicher Funktion oder mit jeglichem öffentlichen Amt politischer oder administrativer Art, mit dem Amt eines Notars oder Gerichtsvollziehers, mit dem Beruf eines Rechtsanwalts, mit dem militärischen Stand und mit der Funktion des Dieners einer anerkannten Religionsgemeinschaft.

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Als Kuriosum sei hier angemerkt, dass Art. 47 SGVerfGH es Verwandten oder Verschwägerten bis zum dritten Grad verbietet, gleichzeitig als Richter und Referent tätig zu sein. Lediglich der König könnte durch eine Ausnahmegenehmigung eine solche Besetzung gestatten.

(4) Die Unparteilichkeit

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Schließlich stellt sich noch die Frage der Unparteilichkeit der Richter. Denn es besteht die Möglichkeit, dass der Verfassungsgerichtshof über eine Norm erkennen muss, an deren Ausarbeitung ein oder mehrere Verfassungsrichter in ihrer Eigenschaft als ehemalige Parlamentarier mitgewirkt haben.

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Der Gerichtshof hat seinen diesbezüglichen Standpunkt recht schnell folgendermaßen dargelegt:

„Aufgrund der Tatsache, dass ein Richter – in gleich welcher Eigenschaft, aber ohne irgendeinen Bezug zu dem vorgesehenen Sachverhalt oder Verfahren – zu einem früheren Zeitpunkt öffentlich Stellung zu einer Rechtsfrage bezogen hat, die im Rahmen dieses Verfahrens erneut zur Sprache kommt, wird dessen Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit nicht angetastet.“[58]

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Eine derartige Rechtsprechung ist nicht unproblematisch, sodass der Gesetzgeber durch das Einfügen des Art. 101 Abs. 2 in das SGVerfGH Klarheit geschaffen hat. Demnach ist die Tatsache, dass ein Richter des Verfassungsgerichtshofes an der Ausarbeitung des Gesetzes teilgenommen hat, das Gegenstand einer Nichtigkeitsklage oder einer Verweisungsentscheidung ist, an sich kein Ablehnungsgrund. Die Verwendung des Begriffs „an sich“ weist allerdings darauf hin, dass die Unparteilichkeit der Richter im Einzelfall und unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer jeden Rechtssache zu prüfen ist.[59]

bb) Die Referenten

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Im SGVerfGH ist vorgesehen, dass der Gerichtshof von Referenten – höchstens 24 an der Zahl[60] – unterstützt wird.[61] Diese werden durch ein Auswahlverfahren angeworben, für das der Gerichtshof selbst die Bedingungen festlegt und den Prüfungsausschuss bildet.[62] Ernannt werden können nur Bewerber, die mindestens 25 Jahre alt sowie Inhaber eines „Masters der Rechte“ sind und eine ausreichende Kenntnis der zweiten Landessprache nachgewiesen haben. Auch die Referenten werden paritätisch in zwei Sprachgruppen aufgeteilt (Französisch und Niederländisch).[63] Die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Sprachgruppe wird durch die Sprache festgelegt, in der der Betreffende sein Jurastudium absolviert hat. Zudem muss mindestens ein Referent einer jeden Sprachgruppe eine ausreichende Kenntnis der deutschen Sprache nachweisen.[64]

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Gemäß der im Auswahlverfahren erzielten Einstufung werden die Referenten vom Gerichtshof für eine Probezeit von drei Jahren ernannt. Vor Amtsantritt müssen sie vor dem Präsidenten den Eid leisten. Nach Ablauf dieser dreijährigen Probezeit wird die Ernennung grundsätzlich endgültig (es sei denn, der Gerichtshof trifft eine anders lautende Entscheidung).[65] Mit 65 Jahren werden die Referenten in den Ruhestand versetzt. Die auf die Referenten anwendbare Unvereinbarkeitsregelung entspricht der für die Richter geltenden.[66]

cc) Die Greffiers (Kanzler)

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Der Gerichtshof wird ebenfalls von zwei Greffiers (Kanzler) unterstützt. Einer der beiden gehört der französischen Sprachgruppe, der andere der niederländischen Sprachgruppe an. Sie werden vom König aus zwei Listen (mit jeweils zwei Bewerbern) ernannt, die von den Richtern der entsprechenden Sprachgruppe vorgelegt werden. Die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Sprachgruppe wird durch die Vorschlagsliste bestimmt.[67]

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Eine Ernennung ist nur dann möglich, wenn der Greffier das 30. Lebensjahr vollendet hat, eine mindestens zweijährige einschlägige Berufserfahrung nachweisen kann und eine der nachstehenden Prüfungen bestanden hat: die Prüfung im Auswahlverfahren für Referenten am Verfassungsgerichtshof, die Prüfung im Auswahlverfahren für Referenten am Kassationshof, die Prüfung im Auswahlverfahren für Beigeordnete Auditoren oder Beigeordnete Referenten am Staatsrat, die in Art. 259bis des Gerichtsgesetzbuches vorgesehene berufliche Eignungsprüfung oder aber die Zulassungsprüfung im Auswahlverfahren für das in Art. 259quater des Gerichtsgesetzbuches erwähnte Gerichtspraktikum.[68]

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Zudem muss der von den französischsprachigen Richtern vorgeschlagene Greffier die Kenntnis der niederländischen Sprache und der von den niederländischsprachigen Richtern vorgeschlagene Greffier die Kenntnis der französischen Sprache nachweisen. Die Bewertung dieser Sprachkenntnisse erfolgt anhand von ausdrücklich zu diesem Zwecke vorgesehenen Prüfungen.[69] Genau wie die Richter werden auch die Greffiers auf Lebenszeit ernannt. Allerdings können sie mit 65 Jahren in den Ruhestand versetzt werden. Bezüglich der Unvereinbarkeitsregelung gelten die gleichen Bestimmungen wie oben.

dd) Die anderen Mitarbeiter

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Der Verfassungsgerichtshof verfügt über eigenes Verwaltungspersonal. Regelungen dazu finden sich in den Art. 42 und 43 SGVerfGH. Danach obliegt dem Gerichtshof die Festlegung von Stellenplan und Sprachkader des Personals unter Beachtung der sprachlichen Parität; allerdings müssen Stellenplan und Kader durch Königlichen Erlass gebilligt werden. Für die Ernennung und Entlassung der anderen Mitarbeiter ist ebenfalls der Gerichtshof zuständig. Der Gerichtshof verfügt über einen Übersetzungsdienst, Sekretariate, eine Bibliothek und einen Dokumentations- sowie einen Informatikdienst.[70]

b) Die Organisation des Gerichtshofes

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Der belgische Verfassungsgerichtshof tagt nicht in Kammern. Zudem nehmen grundsätzlich beide Präsidenten an allen Verfahren teil. Allerdings kann der Gerichtshof je nach Wichtigkeit der Rechtssache, über die er erkennen muss, mit einer unterschiedlichen Anzahl von Richtern zusammentreten. Im Allgemeinen erlässt der Gerichtshof seine Urteile in einem Gremium von sieben Richtern. Einige Rechtssachen werden jedoch im Plenum (zehn oder zwölf Richter) entschieden. Auch kann eine aus drei Richtern zusammengesetzte „kleine Kammer“ bestimmte Rechtssachen im Rahmen eines Filterverfahrens (A-limine-Verfahren) abschließen. Dieser Punkt wird weiter unten im Rahmen der Ausführungen zum Verfahren genauer dargelegt.[71]

§ 96 Der belgische Verfassungsgerichtshof › II. Der belgische Verfassungsgerichtshof › 3. Die Zuständigkeiten des Gerichtshofes

3. Die Zuständigkeiten des Gerichtshofes

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Im Anschluss an eine kurze Übersicht über die Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtshofes (a) wird im zweiten Teil (b) auf die der Kontrolle des Gerichtshofes unterliegenden Normen und im dritten Teil (c) auf den Prüfungsmaßstab dieser Kontrolle eingegangen.

a) Allgemeine Anmerkungen

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Während der Verfassungsgerichtshof ursprünglich allein die Übereinstimmung von Gesetzesnormen anhand der verfassungsrechtlichen, gesetzlichen und sogar verordnungsrechtlichen Regeln über die Zuständigkeitsverteilung im Rahmen des Föderalisierungsprozesses des belgischen Staates überprüfen sollte, wurden die ihm zur Wahrung anvertrauten Verfassungsbestimmungen, der sogenannte bloc de constitutionnalité, schrittweise zuerst 1988 um die Art. 10, 11 und 24 der Verfassung und anschließend 2003 um den gesamten Titel II „Die Belgier und ihre Rechte“ sowie um die Art. 170, 172 und 191 erweitert.

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Die Aufzählung dieser Bestimmungen zeigt, dass der Gerichtshof nun insgesamt die Übereinstimmung der Gesetzesnormen mit weiten Teilen der Verfassung sowie mit den weiteren Kompetenznormen kontrolliert.[72] Konkret befindet der Gerichtshof gemäß Art. 142 der Verfassung über:

„1. die in Artikel 141 erwähnten Konflikte

2. die Verletzung der Artikel 10, 11, 24 durch ein Gesetz, ein Dekret oder eine in Artikel 134 erwähnte Regel

3. die Verletzung der Verfassungsartikel, die das Gesetz bestimmt, durch ein Gesetz, ein Dekret oder eine in Artikel 134 erwähnte Regel“.

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Ein vollständiges Bild der Kontrollkompetenzen des Gerichtshofes erlangt man jedoch erst bei einer Gesamtschau von Art. 142 der Verfassung und den insofern ergänzenden Art. 1 und 26 SGVerfGH. Die erste der beiden Bestimmungen regelt die Zuständigkeit des Gerichtshofes in Bezug auf Nichtigkeitsklagen, die zweite diejenige in Bezug auf Vorabentscheidungsverfahren (präjudizielle Fragen).

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So lautet Art. 1 folgendermaßen:

„Der Verfassungsgerichtshof befindet durch Entscheid über Klagen auf Gesamt- oder Teilnichtigkeit eines Gesetzes, eines Dekrets oder einer in Artikel 134 der Verfassung erwähnten Regel wegen Verletzung:

1. der Regeln, die durch die Verfassung oder aufgrund der Verfassung für die Bestimmung der jeweiligen Zuständigkeiten des Staates, der Gemeinschaften und der Regionen festgelegt sind, oder

2. der Artikel von Titel II ‚Die Belgier und ihre Rechte‘ und der Artikel 170, 172 und 191 der Verfassung“.

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Art. 26 § 1 besagt seinerseits:

„Der Verfassungsgerichtshof trifft durch Entscheid Vorabentscheidungen zu Fragen betreffend:

1. die Verletzung durch ein Gesetz, ein Dekret oder eine in Artikel 134 der Verfassung erwähnte Regel derjenigen Regeln, die durch die Verfassung oder aufgrund der Verfassung zur Bestimmung der jeweiligen Zuständigkeiten des Staates, der Gemeinschaften und der Regionen festgelegt worden sind;

2. unbeschadet der Nummer 1, jeden Konflikt zwischen Dekreten oder zwischen in Artikel 314 der Verfassung erwähnten Regeln, die von verschiedenen Gesetzgebern ausgehen, insofern der Konflikt aus ihren jeweiligen Anwendungsbereichen hervorgeht;

3. die Verletzung durch ein Gesetz, ein Dekret oder eine in Artikel 134 der Verfassung erwähnte Regel der Artikel von Titel II ‚Die Belgier und ihre Rechte‘ und der Artikel 170, 172 und 191 der Verfassung“.

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Die zitierten Bestimmungen lassen zwei Rückschlusse zu. Zum einen besteht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes ausschließlich in der Kontrolle der Normen mit Gesetzesrang. Zum anderen darf er diese Normen nur im Hinblick auf bestimmte Artikel der Verfassung kontrollieren und nicht bezüglich des gesamten Verfassungskorpus. Somit handelt es sich bei der durch den Verfassungsgerichtshof ausgeübten Verfassungskontrolle nur um eine Teilkontrolle; nicht jede Bestimmung der Verfassung fällt in die Prüfungskompetenz des Gerichtshofes.

b) Die der Kontrolle des Gerichtshofes unterliegenden Normen

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Durch Art. 142 der Verfassung i.V.m. Art. 1 und 26 SGVerfGH ist anerkannt, dass die Normen mit Gesetzesrang durch den Gerichtshof überprüft werden können.[73] Die Zuständigkeit des Gerichtshofes in Bezug auf das Kontrollobjekt ist insofern also umfassend: Er kann sich mit allen Gesetzesnormen auseinandersetzen, wozu innerhalb des institutionellen Kontextes Belgiens insbesondere die Föderalgesetze, die Gemeinschafts- und Regionaldekrete sowie die Brüsseler Ordonnanzen gehören.[74] Allerdings ist die Kontrollkompetenz gleichzeitig auch beschränkt, da der Gerichtshof eben nur die Gesetzesnormen überprüfen kann. Auch wenn er den Begriff „Gesetzesnorm“ großzügig auslegt, ist es ihm doch untersagt, die Verfassungsmäßigkeit einer Verordnungsnorm,[75] einer europäischen Verordnung,[76] einer Gerichtsentscheidung[77] oder einer Verfassungsbestimmung[78] zu beurteilen.

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Nach und nach hat der Gerichtshof seine Rechtsprechung verfeinert und weiterentwickelt, um den Bereich der seiner Kontrolle unterliegenden Normen genauestens festzulegen. Auf diese soll nun im Einzelnen eingegangen werden.

aa) Gesetze, Dekrete und Ordonnanzen im Allgemeinen

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Der Gerichtshof ist befugt, alle Legislativakte, die von einer parlamentarischen Versammlung verabschiedet wurden, zu kontrollieren:



bb) Die mit besonderer Mehrheit verabschiedeten Gesetze, Dekrete und Ordonnanzen

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Im Laufe der Zeit hat sich der Verfassungsgerichtshof für die Kontrolle aller Gesetzesnormen, einschließlich der mit besonderer Mehrheit verabschiedeten, für zuständig erklärt.[84] So stellte der Gerichtshof klar, dass Art. 142 der Verfassung „nicht zwischen den einfachen Gesetzen und den Sondergesetzen unterscheidet; somit ist der Schiedshof im Prinzip für die Beurteilung der Übereinstimmung der beiden Arten von Gesetzen zuständig […]“.[85] Diese Argumentation wurde in der Folge auf die mit Zweidrittelmehrheit verabschiedeten Gesetzesnormen der Gebietskörperschaften übertragen, so dass diese nun ebenfalls der Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof unterliegen.[86]

cc) Die haushaltsbezogenen Gesetzesnormen und die Normen in Bezug auf Einbürgerung und Zustimmung zu Kooperationsabkommen (innerbelgische Staatsverträge)

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Der Gerichtshof hat sich ebenfalls dafür zuständig erklärt, Einbürgerungsgesetze,[87] Haushaltsgesetze, -dekrete oder -ordonnanzen[88] sowie Gesetze, mit denen einem innerstaatlichen Kooperationsabkommen[89] zugestimmt wird, zu kontrollieren.

dd) Die Gesetzesnormen mit auslegendem Charakter

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Schließlich erstreckt sich die Zuständigkeit des Gerichtshofes ebenfalls auf Gesetzesnormen mit auslegendem Charakter. Nach Auffassung des Gerichts ist „[e]ine Gesetzesbestimmung auslegend, wenn sie rückwirkend die Bedeutung einer anderen Gesetzesbestimmung klarstellt. […] Außerdem würde der auslegende Charakter einer Gesetzesbestimmung den Hof nicht davon befreien, die Übereinstimmung mit den Artikeln […] zu überprüfen“.[90] Der Verfassungsgerichtshof hat zudem eine Rechtsprechung entwickelt, anhand derer die Befugnisse des Gesetzgebers zur Auslegung von Normen präzisierend festgelegt werden.[91] So gehöre es

„vorbehaltlich des Legalitätsprinzips in Strafsachen zum Wesen eines auslegenden Gesetzes […], dass es rückwirkende Kraft bis zum Datum des Inkrafttretens der ausgelegten Gesetzesbestimmungen hat. Denn ein auslegendes Gesetz ist ein Gesetz, das einer Gesetzesbestimmung die Bedeutung verleiht, die sie nach Einschätzung des Gesetzgebers von der Annahme an hätte haben müssen[[92]]. Ein Auslegungsgesetz darf jedoch rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen nicht beeinträchtigen. Die Garantie der Nichtrückwirkung der Gesetze darf nicht umgangen werden, indem ein rückwirkendes Gesetz als Auslegungsgesetz dargestellt wird.“[93]

ee) Die Gesetze, Dekrete oder Ordonnanzen, die eine Bestimmung des internationalen Rechts wiedergeben

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Gibt ein Gesetz, ein Dekret oder eine Ordonnanz lediglich den Inhalt einer Norm des internationalen Rechts wieder, ist die Kontrolle dieser Norm des innerstaatlichen Rechts durch den Gerichtshof von einem rein theoretischen Standpunkt aus nicht problematisch.[94] Denn der Normcharakter eines Gesetzes, eines Dekretes oder einer Ordonnanz geht nicht aufgrund der Tatsache verloren, dass Belgien eine Norm des internationalen Rechts mit einem vergleichbaren oder übereinstimmenden Inhalt ratifiziert hat.[95] Dessen ungeachtet dürfte der Gerichtshof von einem rein praktischen Standpunkt aus und – ganz offen gesagt – von einem politischen Standpunkt aus unter derartigen Umständen insofern relativ schnell in eine heikle Lage geraten, als er sich aufgrund der Ähnlichkeit, ja gegebenenfalls Übereinstimmung zwischen der nationalen Norm und der internationalen Norm de facto implizit zur Verfassungsmäßigkeit der internationalen Norm äußern müsste.

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Tritt hingegen der Fall ein, dass eine Gesetzesnorm des innerstaatlichen Rechts mit einer Norm des internationalen Rechts kollidieren könnte, setzt der Gerichtshof, sofern das Recht der Europäischen Union betroffen ist, die Entscheidung aus und wendet sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof in Luxemburg.[96]

ff) Die Gesetze, Dekrete oder Ordonnanzen, mit denen einem internationalen Abkommen zugestimmt wird

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Eine weitere, hier kurz anzusprechende Situation betrifft den Fall, in dem der Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit einer ganz besonderen Art von Rechtsnorm überprüfen soll, nämlich derjenigen, mit der einem internationalen Abkommen zugestimmt wird. Denn eine derartige Zustimmungsnorm (Gesetz, Dekret, Ordonnanz) bildet ein sogenanntes „rein formelles“ Gesetz, also eine Rechtsnorm, die über keinen eigenen normativen Gehalt verfügt und sich darauf beschränkt, die Anwendung von Bestimmungen des internationalen Rechts innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung zu ermöglichen.[97]

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Aus Art. 3 § 2 SGVerfGH geht hervor, dass sich die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes – jedenfalls bezüglich der Nichtigkeitsstreitsachen – auch auf die Überprüfung der Verfassungskonformität von Gesetzesbestimmungen, die die Zustimmung zu einem internationalen Abkommen zum Gegenstand haben, erstreckt. Für Vorabentscheidungsverfahren hingegen ging Art. 26 SGVerfGH, die hierfür zentrale Bestimmung, ursprünglich auf diese Frage nicht ein.[98] Allerdings wurde seit Beginn der neunziger Jahre dieser Ungewissheit durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes ein Ende gesetzt. So sei aus keiner einzigen Bestimmung des SGVerfGH abzuleiten, „dass der Sondergesetzgeber die Zuständigkeit des Schiedsgerichtshofes, auf eine präjudizielle Frage über ein Gesetz, ein Dekret oder eine Ordonnanz, durch welche einem Vertrag zugestimmt wird, zu antworten, hätte ausschließen wollen“.[99] Dies bedeutet, dass sich der Gerichtshof auch im Bereich der Vorabentscheidungsverfahren entsprechend für zuständig erklärt hat.

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Im Jahre 1994, also drei Jahre später, ergänzte der Gerichtshof diesen Standpunkt. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Verfassunggeber, der dem Gesetzgeber die Verabschiedung innerstaatlicher Gesetzesnormen verbietet, welche gegen die in Art. 142 der Verfassung erwähnten Normen verstoßen, es letzterem erlauben würde, dies mittelbar auf dem Umweg der Zustimmung zu einem internationalen Abkommen zu tun.[100] Der Gerichtshof hat jedoch ebenfalls klargestellt, dass er bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Zustimmungsnorm zu einem internationalen Abkommen der Tatsache Rechnung trägt, dass der Verfassung de facto nicht ein einseitiger Hoheitsakt gegenübersteht, sondern eine Vertragsnorm, die auch außerhalb der innerstaatlichen belgischen Rechtsordnung Rechtsfolgen nach sich zieht.[101]

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Da die Beziehungen zwischen innerstaatlichem und internationalem Recht in der belgischen Verfassung keine Erwähnung finden,[102] ging diese prinzipiell eindeutige Haltung des Gerichtshofes in der Praxis doch mit Schwierigkeiten einher. Denn danach hätten Zustimmungsgesetze zu für Belgien bedeutsamen Verträgen über ein Vorabentscheidungsverfahren vor den Verfassungsgerichtshof gebracht werden können. Allerdings sind Vorabentscheidungsverfahren keinerlei Fristen unterworfen und können daher noch Jahre nach der Annahme des Vertrages und des diesbezüglichen Zustimmungsgesetzes eingeleitet werden. So hätte also die Möglichkeit bestanden, den Gerichtshof mit einer präjudiziellen Frage zu befassen, aufgrund derer er die Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen von 1957 oder zum Vertrag von Maastricht, dem Gründungsdokument des Euros, hätte prüfen müssen. Derartige Verfahren hätten unter juristischen Gesichtspunkten natürlich eine potenzielle Gefahr für die Zugehörigkeit Belgiens zur Europäischen Union oder zur Eurozone dargestellt – eine Gefahr, der sich die Regierung, gestützt auf eine breite parlamentarische Mehrheit, zu Recht nicht aussetzen wollte. Denn welche Folgen hätte es wohl, wenn der Verfassungsgerichtshof das Zustimmungsgesetz zu den Römischen Verträgen für verfassungswidrig erklären würde?

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Der Gesetzgeber hat auf diese Situation und ihre möglichen Konsequenzen für die Zugehörigkeit des Königreiches zur Europäischen Union reagiert und 2003 eine Gesetzesreform verabschiedet, um die Stabilität der europäischen Beziehungen Belgiens zu gewährleisten.[103] Durch dieses Gesetz wird Art. 26 SGVerfGH um einen Paragraphen 1bis ergänzt, der die Zuständigkeit des Gerichtshofes für Vorabentscheidungsverfahren im Hinblick auf Zustimmungsgesetze, -dekrete und -ordonnanzen zu den Gründungsverträgen der Europäischen Union, zur EMRK oder zu einem ihrer Zusatzprotokolle ausschließt.[104] Die Zustimmungsgesetze, -dekrete und -ordonnanzen zu diesen Verträgen unterliegen also nur noch der Kontrolle des Gerichtshofes mittels einer innerhalb von sechzig Tagen nach ihrer Veröffentlichung eingereichten Nichtigkeitsklage.[105]

70

Gesetze, Dekrete und Ordonnanzen, mit denen anderen Verträgen als den genannten zugestimmt wird, können jedoch ohne zeitliche Begrenzung Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof sein.

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