Kitabı oku: «Eiskalt abserviert», sayfa 2
Eine heftige Reaktion
Sabine saß neben ihrem Kollegen, der das Dienstfahrzeug Richtung Quedlinburg steuerte. Die hiesigen Ortschaften waren noch ursprünglich. Nur wenige Neubauten unterbrachen die gewachsenen Straßenzeilen. Im Gegensatz zu anderen Gegenden überwog in dieser ostdeutschen Region kein einheitsgrauer Farbanstrich und die Häuser waren auch etwas besser in Schuss als in anderen Landkreisen. Hoffentlich machten sie hier nicht den gleichen Fehler wie im Westen. In ihrer Heimatstadt war man eine Zeit lang geradezu hirnlos vorgegangen und hatte massenhaft alte Häuser durch Neubauten ersetzt. Aber auch hier war man vor Bausünden nicht gefeit. Wenn sie da an diesen Betonklotz von Barhaupts dachte. Dieses Haus wirkte genauso unterkühlt wie seine Bewohnerin. Zum Glück hatten sie vor der Befragung vereinbart, dass Engelhardt die Gesprächsführung übernehmen würde. Ehm Bernd. Das „Du“ rutschte ihr noch nicht so leicht über die Lippen. Auf diese vertrauliche Anrede hatten sie in der Bäckerei mit einem Becher Kaffee angestoßen. Ja Silvia Barhaupt war mit allen Wassern gewaschen! Und dann diese obszöne Ausdrucksweise …
„Wird Zeit, dass in den Schulen ein erweiterter Ethikunterricht eingeführt wird! Allein schon der herablassende Tonfall von dieser Frau. Einfach scheußlich! Dabei wusste die nicht mal, wen man im Schwulenbereich als Tunte bezeichnet. Ich glaube nämlich kaum, dass dieser Zahnarzt plötzlich einen auf affektiert machte. Und dass er den weiblichen Part übernommen hat, kann ich mir bei einem testosterongesteuerten Mann auch nicht vorstellen“,
sprach Sabine ihren Kollegen auf Frau Barhaupts Ausfall an, kassierte damit aber eine ernst zu nehmende Fragen ein:
„Bist du sicher, dass du total frei von Vorurteilen bist? Mal ehrlich wärst du auch so tolerant, wenn Martin plötzlich auf Männer stehen und dies auch ausleben würde?“
„Hm …“, antwortete Sabine nur. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Auf alle Fälle hätte die Barhaupt ein Motiv“, wechselte sie schnell das Thema.„Schließlich erbt sie nun alles. Nach der Scheidung hätte sie wahrscheinlich alt ausgesehen. Dann wär’s aus mit dem Luxusleben gewesen. Und wer weiß, ob die nicht auch eine Gütertrennungsvereinbarung hatten. Aber vielleicht erfahren wir darüber ja etwas in der Praxis. Zumindest werden sie dort die Telefonnummer seines Freundes haben.“
Trotz der Abwesenheit des Zahnarztes saßen zwei Patienten im Wartezimmer, das zum Flur hin nur durch freigelegte Stützbalken abgegrenzt war. Im Wartezimmer hing ein Fernseher an der Wand. Wie nobel! Ob die Patienten ab und zu auch ein normales Programm zu sehen bekamen? Momentan flimmerte ein Werbefilm für elektrische Zahnbürsten über den Bildschirm. Der Ton war extrem leise, sodass man sich auf das Gesprochene konzentrieren musste. War sicher situationsbedingt. An der Rezeption mussten sie schließlich arbeiten. Im Augenblick waren zwei Frauen mit Telefonieren beschäftigt. Aha, die wussten vielleicht schon Bescheid, sagten gerade Nachmittagstermine ab. Und die jüngere hatte verquollene Augen. Als die ältere, die beiden Helferinnen trennte altersmäßig fast eine Generation, auflegte, traten die beiden Polizisten an sie heran.
„Guten Tag, wir müssen Ihnen leider etwas Unangenehmes mitteilen. Sollen wir dazu in ein Nebenzimmer gehen?“,
begann Sabine mit gedämpfter Stimme, nachdem sie ihren Dienstausweis gezückt hatte. Doch die korpulente Dame schüttelte nur den Kopf. Wesentlich erschütterter reagierte ihre Kollegin, die zwar telefoniert, aber mit halbem Ohr bei ihnen gewesen war. Augenblicklich knallte sie, zuvor nur kurz „Entschuldigung, ich muss auflegen, dringende Sache“ stammelnd, den Hörer auf die Halterung. Und obwohl Sabine noch nichts gesagt hatte, riss sie angsterstarrt die Augen auf. Erst jetzt bemerkte Sabine, dass sie schwanger war. Schätzungsweise fünfter Monat. Ruhig brachte die Polizistin ihr Anliegen vor:
„Heute Morgen wurde Dr. Barhaupt tot im Wald unterm Regenstein aufgefunden. Mehr ist uns noch nicht bekannt. Wir sind gerade dabei, die Angehörigen – und auch Sie – davon zu unterrichten. Wie wir in Erfahrung gebracht haben, hatte Herr Dr. Barhaupt eine neue oder sagen wir besser einen intimen Freund, von dem uns leider weder der Nachname noch die Adresse bekannt ist. Frau Barhaupt konnte uns leider nicht weiterhelfen. Aber möglicherweise wissen Sie mehr?“
Während die Ältere überrascht die Augenbrauen hochzog und dann mit den Schultern zuckte, sah sie die Schwangere entrüstet an und dementierte nach einer Schrecksekunde heftig:
„Nein, das ist eine Verleumdung! Herr Dr. Barhaupt war doch nicht schwul. Und einen Freund hatte er erst recht nicht!“
Engelhardt fühlte sich verpflichtet, die Mitteilung seiner Kollegin zu bestätigen: „Tja, vielleicht war Ihnen das nicht bekannt. Aber bei uns in Blankenburg war seine Liaison eine Zeit lang Gesprächsthema Nummer eins. Und auch seine Frau hat uns gesagt, dass sie sich von ihm scheiden lassen wollte, weil er sich einem Mann zugewandt hatte!“
Die bereits aufgerissenen Augen der Schwangeren weiteten sich noch mehr. Sie schlug ihre Hand vor den Mund, sprang auf und rannte zur Toilette. Kurz danach drangen von Schluchzen begleitete Würgegeräusche zu ihnen heraus.
„Das war aber eine heftige Reaktion!“, wunderte sich Sabine. „Stand sie denn ihrem Chef sehr nahe?“
Die Dicke verlegte sich auf eine leisere Sprechweise: „Wo denken Sie hin? Seit sie schwanger ist, reagiert sie über! Unser Chef hätte niemals eine ernst zu nehmende Beziehung zu einer Angestellten unterhalten. Er kam bei Frauen ziemlich gut an. Er brauchte nur zu blinzeln und sie befanden sich auf Wolke sieben. Und sie ist da keine Ausnahme,“ kommentierte die korpulente Zahnarzthelferin das Verhalten ihrer Kollegin.
„Aber sie ist doch schwanger …“ warf Sabine ein. „Ist sie nicht mit jemandem liiert?“ Doch die Gefragte sah das nicht als Widerspruch an.
„Na und! Die kommt aus kleinen Verhältnissen. Da greift man schon mal zu, wenn einer tüchtig ist und passabel aussieht. Bevor der auch noch in den Westen rübermacht. Und dann träumt man sich eben aus dem Alltag weg und schwärmt für seinen Chef. Ist ja nichts dabei. Sie ist nicht die Einzige, die bei der Partnerwahl ihren Kopf einsetzt.“
Da sich ihre Lautstärke mit jedem Wort, das sie sprach, steigerte, gab ihr Sabine einen Wink, indem sie mit ihrem Kopf Richtung Wartezimmer wies und dann auffällig zur Toilette hinübersah. Die Angestellte reagierte prompt und drosselte augenblicklich ihre Stimme:
„Und außerdem. So viel verdient man in unserem Beruf nicht, dass man sich ein Leben in Saus und Braus leisten kann. Und wenn man sich das Leben mit Urlaub und Luxusgütern versüßen will, muss eben ein Mann ran. Sie kommen aus Schwaben, nicht?“
Schon wieder! Obwohl sie sich sehr darum bemühte, ihren Dialekt zu verbergen, schlich sich immer wieder ihr schwäbischer Zungenschlag ein. Noch bevor Sabine die Frage nach ihrer Herkunft beantworten konnte, übernahm Engelhardt die Befragung:
„Waren Sie auch davon betroffen? Ich meine von seiner Anmache?“
„Bewahre“, wehrte die resolute Dame ab. „Als ich vor zweieinhalb Jahren in die Praxis kam, passte ich rein vom Alter her nicht mehr in sein Beuteschema. Außerdem hätte ich mir das auch verbeten! Ich bin ja schließlich zum Arbeiten hier und nicht zum ...“ Das letzte Wort ersparte sie sich.
„War Ihnen denn sein Verhältnis mit diesem Herrn bekannt?“
„Nein!“
„Können Sie uns dann vielleicht sagen, wer da infrage kommen könnte?“
„Keine Ahnung! Kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.“
„War Ihnen früher schon einmal aufgefallen, dass Ihr Chef diese Vorliebe für Männer hatte?“
Wieder schüttelte die Gefragte den Kopf.
„Arbeiteten Sie hier nur zu zweit? Vielmehr wissen Sie, wer uns bezüglich dieses Thomas weiterhelfen könnte?“
„Ja hier arbeiten nur Frau Morhan und ich! Und sonst kann ich Ihnen leider nichts sagen. Das Privatleben meiner Chefs hat mich noch nie besonders interessiert.“
Das waren keine besonders ergiebigen Auskünfte. Doch Engelhardt gab nicht so schnell auf. Routiniert spezifizierte er seine Frage:
„Können Sie mir denn sagen, ob Herr Dr. Barhaupt Freunde oder zumindest enge Bekannte hatte?“
„Davon weiß ich nichts. Ich habe nur festgestellt, dass es immer mal wieder Beziehungen zu Frauen gab.“
„Aha, das haben Sie also schon mitbekommen?“
„Dass er Frauen gegenüber sehr aufgeschlossen war, hat er ja nie verheimlicht! Niemandem gegenüber! Außerdem, wenn Schluss war, nahm er ihre Anrufe nicht mehr an. Deshalb haben sie versucht, ihn über die Praxis zu erreichen. Aber, wenn Sie mich jetzt nach deren Namen fragen, die kann ich Ihnen leider nicht sagen.“
„Hat auch öfters ein Mann bei Ihnen angerufen?“
„Glaube nicht. Ist mir jedenfalls nicht aufgefallen! Aber sicher hätte der auch die Privatnummer des Chefs gewählt. Solange seine Verhältnisse bestanden, hat er die Anrufe ja nie weggedrückt. Aber ehrlich gesagt kann ich mir das nicht vorstellen. Nicht bei unserem Chef!“
„Wann haben Sie denn Ihren Chef zuletzt gesehen? Und wissen Sie, wie lange er gestern in der Praxis war und vielleicht auch, was er für den Abend vorhatte?“, setzte Engelhardt die Befragung fort.
„Gestern gegen zwei. Da habe ich zusammen mit Mandy“, sie wies mit dem Kinn zur Toilette, aus der nun Waschbeckengeräusche drangen, „die Praxis verlassen. Mittwoch Nachmittag haben wir nämlich keine Sprechstunde. Als wir gingen, sagte er uns, dass wir unten nicht abschließen sollen, weil noch jemand kommen würde. Bei abgeschlossener Haustür funktioniert der Türöffner nämlich nicht. Auf wen er gewartet hat, weiß ich aber nicht. In unserem Terminkalender war niemand mehr eingetragen. Ja und sein Privatleben war für uns natürlich tabu! Aber meistens hat er am Mittwochnachmittag Rechnungssachen erledigt. Er hat nämlich unsere Kostenaufstellungen immer nachkontrolliert.“
„Gab es denn in letzter Zeit irgendwelche Unstimmigkeiten oder Auseinandersetzungen mit Patienten. Vielleicht, weil sie mit der Behandlung nicht einverstanden waren oder irgendwelche Rechnungen bemängelten?“
Die Zahnarzthelferin schüttelte den Kopf: „Also in den letzten Tagen nicht. Und wenn hätte ich davon nichts mitbekommen. Ich meine, wenn jemand eine Frage zur Abrechnung hatte, habe ich das Gespräch sofort an unseren Chef weitergegeben“.
„Es hat sich also bei Ihnen nie jemand beschwert oder über eine Rechnung geklagt? Auch nicht in den vergangenen Wochen oder Monaten?“, zweifelte Engelhardt an.
„Ja, es kam schon vor, dass jemand mit einer Kostenrechnung nicht ganz einverstanden war. Ist ja normal, wenn’s ums eigene Geld geht. Ist bei anderen Zahnärzten auch nicht anders. Wie ich ja schon gesagt habe, der Chef hat das dann immer selbst in die Hand genommen.“
„Aha, sie können sich sicherlich an die Namen der Patienten erinnern?“
„Auf Anhieb fallen mir nur zwei oder drei Namen ein. Warten Sie mal: Der eine war der Herr Stedtner und der andere hieß glaub ich Hausmann. Aber, wenn Sie darauf bestehen, kann ich mir, wenn’s hier wieder etwas ruhiger wird, die letzten Wochen ins Gedächtnis rufen. Aber mehr weiß ich jetzt wirklich nicht!“
„Na wenigstens konnte sie uns sagen, wo sich der Zweitschlüssel zu seiner Wohnung befindet“, spöttelte Sabine, nachdem sie die Tür zum Dachgeschoss aufgeschlossen hatte. „Wenn man bedenkt, dass sie sich angeblich nicht im geringsten für das Privatleben ihres Chefs interessierte, wusste sie ne ganze Menge. Ich bin überzeugt, dass sie auch weiß, wer dieser Thomas ist.“
„Mag schon sein. Aber selbst wenn es so wäre, könntest du nicht mehr aus ihr herausbekommen. Hast du nicht gemerkt, wie es bei ihr plötzlich Klick machte. Von einer Minute auf die andere hat sie sich doch gewählter ausgedrückt. Bestimmt ist ihr in diesem Moment bewusst geworden, dass sie sich einen neuen Job suchen muss. Welcher Chef hat es schon gerne, wenn Angestellte plaudern. Das spricht sich schnell herum. Und der Barhaupt ist bestimmt nicht der Einzige, der sich mal ein Verhältnis leistet“, lachte Engelhardt. „Aber es ist natürlich genauso gut möglich, dass sie tatsächlich nichts von diesem Techtelmechtel mitbekommen hat. Die sind hier nur zu zweit. Da eine anscheinend immer mit im Behandlungszimmer war, musste die andere den Empfang und die ganzen Formalitäten alleine bewältigen. Und wie sie erzählt hat, hat er sich ja die Junge reingeholt. Und die war ja zu keiner anständigen Auskunft fähig. Wie auch immer. Spätestens morgen, wenn er die Zeitung aufgeschlagen hat, wird sich dieser Herr sowieso melden.“
Sabine betrat als Erste die Wohnung, in der nur wenige, aber funktionale Möbel standen. „Auf Gemütlichkeit scheint der keinen Wert gelegt zu haben. Der hat sich ja richtig spartanisch eingerichtet. Ich fand’s in seinem Haus schon sehr minimalistisch. Dass man sich da wohlfühlen kann? … Oh, schau mal in dieses Zimmer. Da steht ein riesengroßes Wasserbett. Das hat sicher eine Unmenge gekostet.“
„Vermutlich hat sich das amortisiert!“, bemerkte Engelhardt süffisant lächelnd. „Aber solange wir nicht wissen, ob er eines gewaltsamen Todes gestorben ist, brauchen wir uns darüber keine Gedanken zu machen. Es ist ja noch nicht einmal geklärt, ob er beim Absturz alleine war. Aber wie schon gesagt, jetzt warten wir erst mal ab. Und bald werden die ja auch sein Auto finden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihnen da auch Barhaupts Handy entgegenblinkt. Bestimmt hat dieser Thomas schon oft versucht, ihn zu erreichen!“
Sabine trat ans Fenster. Das Nachbarhaus war um mindestens eine Etage niedriger gebaut und das gegenüberliegende Dachgeschoss schien nicht bewohnt zu sein. Im Stockwerk darunter lehnte sich ein Mann aus dem Fenster. Als er die Polizistin bemerkte, sah er kurz zu ihr herauf, wandte sich dann aber wieder dem Geschehen auf der Straße zu. Er sah ziemlich ungepflegt aus, was nicht nur daran lag, dass er unrasiert war. Vielleicht gehörte er ja zu denen, die es nicht verkrafteten, dass ihnen die Wende das berufliche Aus beschert hatte.
Bernd, wir sollten diesen Mann da unten befragen! Vielleicht hat er ja was mitbekommen. Hier hängen ja nirgends Gardinen.“
Doch ihr diensthöherer Kollege wehrte ab. „Jetzt mach mal nicht die Hunde scheu. Nachher setzt der noch aus Geltungssucht ein Gerücht in die Welt und dabei ist es wahrscheinlich nur ein Unfall gewesen. Außerdem hat er von unten sowieso keinen Einblick in die Wohnung.“
Martins Alleingang
Sabine ging gerne im Schlosspark spazieren. Verschlungene Wege, die von alten Bäumen umsäumt wurden, führten vom barocken Terrassengarten hinauf zum Welfenschloss, das imposant über der Stadt Blankenburg thronte. Bevor sie die Anhöhe in Angriff nahm, spazierte sie auch manchmal zum Prinzessinnenturm hinüber. Und ab zu setzte sie sich auch in den urtümlich angelegten Barockgarten, sog dabei den Duft ein, der von den Blumenrabatten zu ihr herüberströmte, oder verlor sich in einem Wasserspiel.
Doch Martin hatte weder etwas für gepflegte Pflanzenbeete noch für Puten, die das Ambiente im unteren Parkviertel unterstrichen, übrig. Wenn er sie begleitete, marschierten sie stets schnurstracks zum Schloss hinauf. Meistens legte er dabei ein strammes Tempo vor. Nur weil sie regelmäßig joggte, erhöhte sich Sabines Atemrhythmus bei diesen „Läufen“ nur unwesentlich. Besonders erholsam empfand sie die gemeinsamen Spaziergänge aber nicht. Martin hatte schon immer einen starken Bewegungsdrang. Doch seit sie sie im Harz wohnten, prägte sich diese Veranlagung noch mehr aus. Ob er dadurch seinen Erlebnishunger kompensierte? Hier war alles auf Kurgäste oder Touristen ausgelegt, die gerne wanderten oder alte Städte besichtigten. Highlightorientierte Männer wie er kamen in Blankenburg nur schwer auf ihre Kosten. Ausnahmsweise ging es Martin heute gemütlicher an. Handhaltend schlenderten sie gemächlich nach oben. Als sie bereits einen Teil der Kastanienallee hinter sich gelassen hatten, blieben sie auf Sabines Initiative hin stehen und sahen zum Barockschloss hinunter. Anders als beim imposanten Welfenschloss auf der Hügelspitze, dessen Fassade man gereinigt hatte, waren die Sandsteine des kleinen Schlosses eingeschwärzt.
„Dieser Park ist wildromantisch! So richtig zum Entstressen!“, bemerkte sie.
Mit zufriedenem Gesicht blinzelte sie gegen die niedergehende Sonne an. Nach einer langen Durststrecke blitzte wieder mal die alte Vertrautheit zwischen ihnen auf. Wie aufmerksam er heute war. Unten im Barockgarten war er mit seinen Fingern durch ihr Haar gefahren und hatte eine kleine Mücke entfernt, die sich in einer Strähne verfangen hatte. Und dann hatte er auch noch nach ihrer Hand gegriffen und nacheinander ihre Finger geküsst. Gut, Letzteres war sicher nicht ohne Hintergedanken geschehen. Aber heute kam ihr das ja entgegen. Sein Kommentar überraschte sie nicht:
„Na ja, geht so! Ne ausgedehnte Tour mit dem Mountainbike bringt mir mehr! Aber, wenn‘s dir Spaß macht.“
Unvermittelt umfasste er mit seinen Händen ihr Gesicht und küsste zärtlich ihre Stirn. Langsam wanderten seine Lippen auf die ihren zu. Nach einem langen, intensiven Kuss, bei dem sich schlussendlich auch ihre Zungen begegneten, strich er sanft über ihre Wange. Wie gefühlvoll er sich geben konnte! Griff, als sie weitergingen, auch gleich wieder nach ihrer Hand. Nach der Talfahrt kam endlich wieder ein Aufstieg!
Als sie den Schlossteich passierten, zog ein halbwüchsiger Junge gerade einen Fisch aus dem brackigen Wasser. Verzweifelt zappelte der kapitale Hecht um sein Leben.
„Ach übrigens, Bernd hat mir erzählt, dass im Schlossteich, ist allerdings schon ein paar Jahre her, eine Leiche gefunden wurde. Bis heute konnten die Hintergründe nicht geklärt werden. Die Angehörigen können sicher nur schwer abschließen, wenn so viele Fragen offenbleiben.“
Martin verdrehte die Augen und seufzte. „Sabine, es ist unglaublich! Du machst so ziemlich jede Stimmung kaputt! Ständig hast du deinen Job im Kopf. Und ständig hirnst du über irgendwelche Hintergründe. Das Leben ist doch viel zu kurz, um sich dauernd mit unnützen Warum- und Wieso-Fragen zu quälen.“
Wie, wenn das so einfach wäre, setzte sich Sabine innerlich zur Wehr. Nun waren sie also wieder mal bei ihrem alten Streitpunkt angelangt. Zum Kuckuck aber auch, warum waren sie nur so verschieden. Und nun ließ er auch noch ihre Hand los. Na ja, das war ja zu erwarten gewesen … Martin wurde aber auch immer gereizter. Inzwischen konnte sie ihm rein gar nichts mehr aus ihrem Berufsalltag erzählen, ohne sich dabei ständig fragen zu müssen, ob es ihm nicht zu viel wurde. Leider brachte er auch nicht das geringste Verständnis dafür auf, dass es ihr nicht immer gleich beim Übertreten der Türschwelle gelang, ihren Job an den Nagel zu hängen. Manches ging ihr eben nach. Eigentlich bräuchte sie dann jemandem zum Reden. Früher hatte ihre Freundin herhalten müssen. Als Richterin unterlag sie ebenfalls der Schweigepflicht, weshalb es Kathrin auch nie schwergefallen war, selbst die heikelsten Details für sich zu behalten. Aber Kathrin war ja nun leider meilenweit weg. Oh, wie sie die Abende mit ihr vermisste!
War doch logisch, dass es sie nicht kaltließ, dass sie im Fall Barhaupt überhaupt nichts herausbekommen hatten. Obwohl in sämtlichen Zeitungen ein Artikel über den Toten am Regenstein erschienen war, war kein Hinweis eingegangen. Auch nicht, was diesen ominösen Thomas betraf. Mensch die beiden mussten doch auch mal zusammen gesehen worden sein! Wenn sie interviewt worden wäre, hätte sie der Journalistin gesteckt, dass der Tote eine besondere Liebschaft unterhalten hatte und sie deshalb gerne mit diesem Mann sprechen würde. Schließlich kannte der ihn gut und wusste vielleicht auch, was der Tote am Regenstein zu suchen hatte. Aber durch Bernds übertriebene Rücksichtsnahme der Witwe gegenüber war in den Zeitungen lediglich zu lesen gewesen: „Wer hat diesen Mann am … gesehen?“. Da musste sich dieser Thomas ja nicht angesprochen fühlen.
Wie’s aussah, hatten die beiden sowieso nicht zusammengelebt. Möglicherweise hatten sie sich auch nur gesehen, wenn ihnen danach gewesen war. Früher hatte sie auch nach diesem modernen Beziehungsmodell gelebt und bei Martins Vorgängern immer auf getrennte Wohnungen bestanden. Es blieb länger schön, wenn man den Alltag und „Miese-Laune-Befindlichkeiten ausklammerte. Irgendwann war ihr aber aufgegangen, dass damit auch eine gewisse Unverbindlichkeit einherging. Und genaugenommen war man bei solchen Arrangements versucht, dem andern nur seine Schokoladenseite zu zeigen. Nee, inzwischen wollte sie eine ehrlichere Partnerschaft. Wenn das Zusammenleben nur etwas einfacher wäre ...
Der Bernd und sein verdammtes Loyalitätsdenken! Als ob das Sinn machte! In Blankenburg war es doch längst kein Geheimnis mehr, dass der Zahnarzt schwul war. Allerdings hatte Bernd vor dem Pressetermin noch nicht gewusst, dass Barhaupt dermaßen weit entfernt vom Unglücksort geparkt hatte. Auf dessen Handy waren viele Anrufe eingegangen. Neben unterschiedlichen Nummern waren auch einige unterdrückte dabei gewesen. Weil ihr Chef sich querstellte, hatte sie nicht mal einen Beschluss erwirken können, der den Provider dazu verpflichtete, die unbekannten Nummern herauszugeben. Bernd hatte ihr sogar untersagt, die verzeichneten zurückzurufen.
So ein Mist aber auch! Nur, weil die Gerichtsmedizin keinerlei Hinweise auf eine Fremdeinwirkung gefunden hatte, war Bernd nicht mehr davon abzubringen, dass Barhaupts Absturz auf Selbstverschulden zurückzuführen sei. Was besagte das schon, dass die nichts gefunden hatten. Schließlich war der Zahnarzt mehrmals gegen den Fels geschlagen und nach dem Aufprall auch noch ein ziemliches Stück weitergerollt. Dadurch war doch nicht zu hundert Prozent gesichert, dass nicht doch jemand nachgeholfen hatte. Und dabei hatten gleich mehrere ein Tatmotiv. Bernds Aussage, dass der Zahnarzt einige Patienten ausgenommen hatte, stimmte. Und dann all die Frauen, die er abserviert hatte … Aber Bernd schöpfte ja nie Verdacht. Ihm kam es nicht mal komisch vor, dass der Zahnarzt alleine zum Regenstein hinaufgelaufen sein sollte. Der war doch kein Spaziergänger gewesen! Das sagten sowohl dessen Frau als auch eine Zahnarzthelferin aus. Und wenn er gejoggt wäre, hätte er sicher Sportkleidung getragen. Außerdem hätte man dann auch auf seinem Hemd Schweißflecken gefunden!
„Ach, wo wir grade beim Wasser waren. Da fällt mir gerade ein, dass mir der Installateur Bescheid gab, dass er am Montag anfängt“, riss Martin sie aus ihren Gedanken.
„Anfängt? Mit was? Meinst du etwa den tropfenden Wasserhahn in der Küche?“
„Den repariert er natürlich auch. Nee, hauptsächlich geht’s ja um die Wasserleitung in die Garage!“
Als Sabine ihn verblüfft ansah, ergänzte er:
„Nusch, wir hatten doch darüber gesprochen!“
„Nein, hatten wir eben nicht!“ Sabine blieb entrüstet stehen. „Martin du kannst doch keinen Alleingang einlegen! Schließlich gehört uns das Haus zu gleichen Teilen: Edgar, dir und mir!“
„Nun reg dich mal wieder ab. Als wir damals zusammen durchgegangen sind, welche Reparaturarbeiten anstehen, hatten wir auch über die Wasserleitung gesprochen.“
„Ja und sowohl dein Vater als auch ich haben damals klar zum Ausdruck gebracht, dass wir die Leitung erst verlegen lassen, wenn wir wissen, wie viel uns die gesamte Renovierung kostet. Und wir waren uns auch einig gewesen, dass die Wasserleitung an allerletzter Stelle steht.“
Martin blieb stehen und kratzte sich am Hals. „Oh, das ist wohl dumm gelaufen! Entweder habe ich tatsächlich vergessen, dich zu informieren oder du hast nicht richtig zugehört, als ich mit dir über den Wasserhahn ...“
„Du hast mir nur gesagt, dass du den Wasserhahn richten lässt!“, unterbrach ihn Sabine. „Die Leitung hast du mit keinem Wort erwähnt!“ Sie wurde immer wütender: „Was denkst du, was uns das kosten wird! Und wie viel da aufgegraben werden muss. Vom Haus bis zur Garage sind es mindestens sieben Meter!“
„Sabine, jetzt hör doch mal …“
„Nix Sabine! Martin, wie oft hast du dein Auto gewaschen, seit wir hier sind? Wenn du das überhaupt schon je einmal selbst getan hast. Wie oft?“
Martin spielte den Betretenen. „Tut mir leid Nusch! Dann habe ich wohl nur in meinen Gedanken mit dir gesprochen. Für mich war es das Logischste auf der Welt, dass wir uns weitere Anfahrtskosten ersparen und das mit der Garage gleich mitmachen lassen. Komm jetzt lass uns diesen schönen Abend nicht durch ein Missverständnis vermiesen!“
Er spitzte seine Lippen und wollte ihr – ganz kleinlauter Junge – einen Kuss auf den Mund drücken. Doch Sabine wich zurück. Dann fuhr sie ihn scharf an:
„Nee, mein Lieber! Wenn du denkst, du kannst mich jetzt einsülzen und alles wäre wieder gut, hast du dich getäuscht! Anscheinend kommst du nicht mal auf den Gedanken, dass auch dein Vater sauer sein könnte. Schließlich hast du ja auch ihn übergangen.“
„Och seinetwegen musst du dir keine Sorgen machen. Er hat ja zugestimmt!“
„Waaas?“, schnaubte Sabine. „Mit ihm hast du darüber gesprochen und mit mir nicht! Habt ihr mich außen vor gelassen, weil ihr euch eine längere Diskussion ersparen wolltet?“
„Nun beruhige dich doch! Wir können das gleich nachher zusammen besprechen. Das kann ja noch rückgängig gemacht werden!“, startete Martin nochmals einen Versuch Sabine zu besänftigen. Doch Sabine war auf Hundert. Heute Morgen hatte sie sich schon mit dem bequemen Bernd rumschlagen müssen, der doch tatsächlich den Regensteinfall als erledigt betrachtete, und nun auch noch dies. Wütend drehte sie sich um und rief, während sie bereits den Hang hinunterstürmte:
„Nicht mit mir! Mir reicht‘s!“
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