Kitabı oku: «Geschwistergeschichten», sayfa 7

Yazı tipi:


20 Sophie Schnyder-Peyer, um 1875.

Wichtig waren die mütterliche Natürlichkeit und eine kindliche Art kombiniert mit der Fähigkeit, kunstvoll zu erzählen.105 Die vorbildliche Mutter schöpfte in den Erzählungen weiterer Vorbilder die Wirkungsmacht der religiösen Geschichten erzieherisch aus. Diese Fähigkeit war durchaus mit Vorwissen und Vorbereitung verbunden, denn die Mutter «sammelte» einen Vorrat an Geschichten. Die Überzeugung, dass etwas für Kopf und Herz sein müsse, damit es dem Kind einleuchte, war mit den Schriften Pestalozzis in bürgerlichen Häusern längst eingegangen. Johannes Schnyder, der selbst keine solche Jugend erlebt hatte und sich die Geschichten beim Lesen der Bibel selbst aneignen musste, schätzte die Fähigkeit seiner Gattin besonders. Es ist durchaus möglich, dass ihre Erziehungsformen auch für sein eigenes Schaffen Vorbildcharakter hatten.

Die Bildung von Sophie Schnyder-Peyer und ihre Herkunft waren wichtige Faktoren bei der Erziehung der Kinder. Ihr früher Tod lässt ihr Bild sehr ungenau, ihr ältester Sohn war sieben Jahre alt, als sie starb. Dadurch bleiben die fortwährenden Geburten die strukturierenden Ereignisse der Ehe von Sophie und Johannes. Die Darstellungen der Ehe von Sophie Peyer und Johannes Schnyder sind durchgehend ideal, fast modellhaft. Zu diesem engen partnerschaftlichen Verhältnis mag zusätzlich die soziokulturelle Stellung der Pfarrleute innerhalb der Gemeinde beigetragen haben. Ohne Verwurzelung in der Dorfgemeinschaft, waren die Pfarrleute oft aufeinander angewiesen. Die Beziehung im Pfarrhaus war, obwohl in einem fast öffentlichen Raum, gleichzeitig geprägt von Häuslichkeit und gefühlsbetonten Beziehungen. Dies wurde durch das Berufsmodell des evangelischen Pfarrhauses besonders gefördert: Partnerschaftliche Gespräche prägten das Verhältnis zwischen Pfarrfrau und Pfarrherrn. Sie war ihm nicht nur Gattin und Mutter seiner Kinder, sondern musste ihn in seiner beruflichen Aufgabe in der Gemeinde unterstützen und ergänzen.106

RELIGION, ERZIEHUNG, BILDUNG UND DIE POSITION DER ZWEITEN MUTTER

DIE RENTIERSTOCHTER WIRD LEHRERIN

Caroline Wyttenbach kam 1854 als fünftes Kind der Marie Thormann und des Rudolf Wyttenbach von Bern zur Welt. Marie Thormann, deren Vater aus dem Berner Patriziat stammte, jedoch wegen einer Mesalliance die Schweiz verlassen hatte, wuchs in der elterlichen Erziehungsanstalt in Bonn auf.107 Rudolf Wyttenbach stammte ebenfalls aus dem Berner Patriziat, bekleidete verschiedene Ämter in der Stadtregierung und war Rentier auf dem Landgut «im Hölzigen Ofen» im Weissenbühl.108 Zu den zwei ältesten Brüdern und den zwei älteren Schwestern von Caroline gesellte sich nach einem Jahr noch ein Mädchen, Rosa. Diese Schwester sollte Caroline ein Leben lang in besonderer Weise verbunden bleiben.109

Den ersten Unterricht erhielten die beiden jüngsten Mädchen zu Hause. Ein Zitat aus Rosa Walter-Wyttenbachs Lebenslauf macht sichtbar, dass insbesondere der Vater viel Zeit für den Unterricht der Kinder hatte: «Da er neben der Verwaltung des Landgutes nur wenige Geschäfte hatte, die seine Zeit in Anspruch nahmen, so widmete er sich beinah ausschliesslich uns Kindern. Er schaukelte uns oft auf den Knien, indem er die spassigsten Liedchen dazu sang; er erzählte uns auf Spaziergängen oder an langen Winterabenden Geschichten, er gab uns die ersten Unterrichtsstunden und wie und wo er uns eine Freude machen konnte, die uns in keiner Hinsicht schädlich war, so freute er sich am meisten darüber.»110

Trotz dem in Bern 1835 durch das Primarschulgesetz eingeführten Schulzwang waren die Wyttenbach’schen Kinder vom Primarschulunterricht entbunden. Ihre Eltern hatten sowohl Zeit als auch die nötigen Qualifikationen, zu unterrichten. Dies war ein Privileg, war der Unterricht in den Primarschulklassen wegen fehlender Klassenbegrenzung und fehlender Minimalbesoldung des Lehrpersonals doch oft mangelhaft.111

Die Sekundarschule besuchten Caroline und ihre Schwestern in der Stadt. Der Schulweg war ein abenteuerlicher Freiraum: «So erzählte uns unsere Mutter z. B. oft und gern vom Kriegsjahr 70, als ein Teil der Bourbaki-Armee, in die Schweiz abgedrängt, in entsetzlich verwahrlostem Zustand in Bern lag, und wie sie sich gefürchtet hätten vor den elenden Hunger- und Krankheitsgestalten, an denen sie vorbeizugehen genötigt gewesen waren.»112

Der Zugang zur öffentlichen Schule bedeutete für sie nicht nur Ausbildung, sondern öffnete auch unbeaufsichtigte Freiräume, in welchen sie andere Welten entdecken konnten. «Den meisten bürgerlichen Mädchen boten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allein der Schulweg und der Weg in die Klavierstunde eine kleine Möglichkeit, die Stadt zu erkunden. Hier zeigt sich die Institutionalisierung der Mädchenbildung in einer neuen Bedeutung.»113

Die Wohnsituation auf dem grossen Landgut am Stadtrand und die Musse der Eltern verschafften den Kindern im Hause Wyttenbach relativ viele Freiheiten. So beschrieb die jüngste Schwester, Rosa, in ihrem Lebensbild der Jugendzeit ihrer älteren Schwester Julie, wie die Strafe bei einem Streich der etwas auffälligen Tochter «gelinde» ausfiel, auch wenn die Eltern dabei ihr ganzes Programm ändern mussten: «In der Schule fürchtete es [Julie, Anm. A. S.] sich ein wenig vor den gewandteren Mitschülerinnen und warb um ihre Liebe. So kam es, dass es einmal einige von ihnen einlud ins Wyssenbühl. Als die anderen davon hörten, bettelten sie auch mitkommen zu dürfen und so lud es schliesslich aus Gutmütigkeit die ganze Klasse ein, vergass aber der Mamma etwas davon zu sagen. Sie war daher nicht wenig erstaunt, als am nächsten schulfreien Nachmittag eine Menge festlich gekleideter Mädchen erschienen. Mit einem Festmahl konnte man ihnen nicht aufwarten, aber auf unserem schönen Gut gab es für Stadtkinder der Freuden genug und so zogen alle hochbefriedigt wieder heim und die Strafe für die kleine Julie, welche so viele beglückt hatte durch ihren Streich, fiel gelinde aus.»114

Die Wyttenbach’schen Töchter hatten in der Schule eine Sonderposition: Eine Einladung auf das Gut war so attraktiv, dass die Mädchen auf eine Einladung Julies, die ein Sonderling und etwas zurückgeblieben war, sofort eingingen. Das fehlende Festmahl wurde nicht beanstandet, da das Gut an und für sich eine Attraktion für die «Stadtkinder» war. Die Mutter versuchte die Mädchen nach modernen Erziehungsvorstellungen, wie Rosa es beschrieb, «mehr mit Liebe als mit Strenge zum Gehorsam zu bringen. Sie liess uns viel Freiheit, und noch jetzt, da sie längst gestorben, hab ich’s von Verwandten bedauern und rügen hören, dass wir zu zügellos aufgewachsen seien.»115 So übten sich die Mädchen im Garten an Reck und Barren und spielten wilde Pferde.116 Diese Freiheiten nahmen mit dem Tod des Vaters Rudolf Wyttenbach ein schnelles Ende. Das Landgut musste verkauft werden, und die Witwe zog mit ihren Kindern in die Stadt, wo ein «würdiger aber strenger Vormund» die Familienangelegenheiten leitete.117 Von nun an war Sparsamkeit angesagt. So wurde den beiden jüngsten Töchtern Caroline und Rosa nach deren Konfirmation 1870 nahegelegt, «dass sie, um einst ihr Brot selbständig verdienen zu können, am besten den Lehrerinnenberuf ergreifen und in die Neue Mädchenschule, dem derzeitigen Seminar, unter Direktor Schuppli stehend, eintreten sollten. Der Schritt fiel den etwas verwöhnten Mädchen nicht gar leicht.»118

Für die Töchter aus dem alten Berner Geschlecht, die eine privilegierte Kindheit erlebt hatten, war es gewöhnungsbedürftig, einen Beruf erlernen zu müssen. Hier hatte wohl der oben erwähnte strenge Vormund dafür gesorgt, dass das Familienerbe von den vier unverheirateten Töchtern nicht zu sehr strapaziert wurde. Während bei Töchtern des gehobenen Mittelstandes der Beruf der Lehrerin als eine gute Ausbildungs- und Berufsmöglichkeit galt, wurde eine Berufsausbildung für eine junge Dame der Oberschicht im ausgehenden 19. Jahrhundert als unschicklich angesehen.119 Dass der Eintritt ins Seminar den Mädchen nicht leicht fiel, wie im Lebenslauf betont wurde, mag damit zusammenhängen, dass sie sich mit diesem Schritt weg von den Privilegien der Oberschicht hin zum Mittelstand bewegten.

Die Seminarzeit an der Neuen Mädchenschule wurde für Caroline zu einem Schlüsselerlebnis. Hier erlangte sie die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten für den Beruf der Lehrerin – wie es im Primarschulgesetz von 1835 verlangt wurde, «vorzüglich aber die für das weibliche Geschlecht unentbehrliche besondere Bildung des Gemütes und sittliche Richtung».120 Die «besondere Bildung des Gemütes» und die «sittliche Richtung» der jungen Frauen lagen dem langjährigen Vorsteher der Neuen Mädchenschule, Melchior Schuppli, besonders in Kombination mit einer soliden pädagogischen Ausbildung am Herzen. Die Frauen wurden im Seminar nicht zu schöngeistigen jungen Damen geformt, sondern sie lernten durch hartes Studium und einen durch Andachten und Gebete streng geregelten Tagesablauf diszipliniertes Auftreten als vorbildliche Lehrerinnen ihrer späteren Zöglinge. Das Motto Schupplis, das er auch über dem Neubau der Neuen Mädchenschule anbringen liess, lautete «ora et labora».121 Schuppli prägte das 1852 gegründete Seminar von 1869 bis 1894 nachhaltig. Wie Johannes Schnyder, aus einfachen Verhältnissen im Kanton Thurgau stammend, konnte er dank Unterstützungen das Lehrerseminar in Kreuzlingen besuchen: «Da lernte man Gottesfurcht, bescheidene, anspruchslose Arbeit, da atmete man den Geist Pestalozzis und lernte verstehen, dass die dienstwillige, aufopferungsfähige Gesinnung vor allem den guten Lehrer macht.»122 Schuppli wurde zunächst an die Sekundarschule Bischofszell berufen, danach an die Realschule in St. Gallen. Nach einem Abstecher als Direktor der Stickfabrik Rittmeyer in Bruggen, wo er gehofft hatte, «ein Stück sozialer Frage zu lösen»,123 wurde er an die Neue Mädchenschule in Bern berufen, wo er von nun an waltete. Unter Schuppli wurde der Neubau der Mädchenschule durchgeführt, das Seminar wuchs, es wurde eine Übungsschule im gleichen Schulhaus angelegt, wo die Lehrerinnen ihr Wissen in die Praxis umsetzen konnten. Er zeichnete sich aus als ein Pädagoge, der an das Gute im Kind glaubte: «Deshalb wollte er auch mehr Lob als Tadel angewendet wissen, und Strafen, besonders solche, die irgendwie das Ehrgefühl des Kindes herabsetzen konnten, waren ihm zuwider. Nie konnte er so eifrig, ja sarkastisch werden, als wenn er solches Vorgehen zu rügen hatte. In seiner Weise wusste er dann seinen Grundsatz ‹suche den Fehler immer zuerst bei dir selbst› ins Gemüt zu legen.»124 Gleichzeitig waren Pünktlichkeit, Ordnung und Fleiss seine Losungsworte, Ungehorsam konnte er «niederschmetternd» in Worten und Liebesentzug bestrafen.125 Dies war umso effektvoller, als es zum Selbstverständnis Schupplis gehörte, «seinen Lehrerinnen auch in Privatangelegenheiten, so weit sie ihn ins Vertrauen zogen, ein väterlicher Freund und Berater zu sein».126

Erst nachdem Caroline das Lehrerinnenpatent erworben hatte, wurde sie gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester in ein Pensionat in Aubonne geschickt. Danach war sie, wie auch ihre Schwester, als Erzieherin in Familien in Deutschland tätig. Es geht aus den Quellen nicht hervor, weshalb die beiden Töchter nicht als Primarschullehrerinnen arbeiteten, sondern als Privatlehrerinnen in Familien. Beide kehrten in die Schweiz zurück, als ihre Mutter im Sterben lag. Nun begannen sie an der Übungsschule bei Schuppli zu unterrichten. Caroline wohnte nach dem Tod der Mutter während vier Jahren mit ihren zwei Brüdern und ihren drei Schwestern als erwerbstätige Lehrerin in der Familienwohnung in Bern. Das Zusammenleben der erwachsenen Geschwister gestaltete sich nicht einfach, wie sich Schwester Rosa erinnerte: «Wir hatten jetzt nur noch ein Geschwisterheim; der Zusammenhalt und Rückhalt fehlte und die Brüder waren in einem Alter, wo sie sich von der älteren Schwester Marie, die nun an der Spitze des Haushaltes stand, nichts mehr sagen liessen und es stand bei ihnen nicht alles wie es sein sollte. Nach einigen Jahren des Zusammenlebens der Geschwister mussten wir uns trennen; unsere Wege führten auseinander.»127

Die Tatsache, dass die sechs Geschwister zu diesem Zeitpunkt alle noch nicht verheiratet waren und dass sie alle gemeinsam unter der Leitung der ältesten Schwester lebten, wird nirgends als eigenartig beschrieben.128 Die Beziehungen zu den Schwestern Rosa und Julie blieben im Leben Carolines bis zuletzt wichtigste Stützen. In die von Rosa beschriebene schwierige Zeit des Geschwisterhaushaltes fiel Direktor Schupplis Heiratsvermittlung für Johannes Schnyder. Ob die Lehrerin den Vorsteher über ihre Wohnverhältnisse ins Vertrauen gezogen und ihn um Rat gefragt hatte oder ob Schuppli Caroline aus eigener Initiative den Vorschlag machte, den um zehn Jahre älteren Pfarrer zu heiraten und dessen fünf Kindern eine neue Mutter zu werden, wird nirgends überliefert. Schuppli ging aber als eine wichtige Figur in Carolines Leben ein: «Sie hatte eine solch tiefe Ehrfurcht vor Direktor Schuppli, dass wir Kinder das Bild des Schulmannes, das in unserer Stube hing, stets mit Respekt betrachteten. Mutter sagte, sie verdanke ihm unendlich viel und sie sei mit den schwersten Fragen ihres Lebens zu ihm gegangen und hätte immer die richtige Weisung empfangen.»129

Das Auseinanderfallen des Geschwisterhaushaltes wird in der Darstellung Rosas zum ausschlaggebenden Punkt, sich zu verheiraten – alle mussten einen eigenen Weg gehen. Die Anfrage Johannes Schnyders kam in dieser Darstellung für Caroline zum richtigen Zeitpunkt. Zugespitzt formuliert könnte man sagen, Caroline und Rosa gaben ihren Beruf für die Ehe auf, weil sie kein Zuhause mehr hatten, das ihnen die Rolle der «Tochter» oder «Schwester» erlaubte.130 Eine Heirat war in jedem Falle zu begrüssen, sah doch der bürgerliche Normenkodex die wahre Bestimmung der Frau in ihrer Rolle als Gattin und Mutter. Die Möglichkeit, einen Pfarrer zu heiraten, war für berufstätige Lehrerinnen attraktiv, da diese Aufgabe nicht nur prestigeträchtig war, sondern auch einen grossen Teil an öffentlicher Arbeit beinhaltete.131 So heirateten beide jüngeren Schwestern Wyttenbach einen Pfarrer, während die älteste, Marie, in das Diakonissenhaus in Bern eintrat. Julie zog nach einer Zeit bei Verwandten in den Haushalt ihrer Schwester Caroline. Die Heiratsvermittlung Caroline Wyttenbachs war Anlass für verschiedene Familienerzählungen. Die oben zitierte Darstellung Rosas fehlte in den mündlichen Überlieferungen gänzlich.

DIE NEUE FRAU PFARRER ALS BEGABTE PÄDAGOGIN

«An einem August-Sonntag des Jahres 1881 sagte uns der Vater, am Abend werde er uns eine Geschichte erzählen. Wir fragten: ‹Ist sie noch schöner als die Geschichte ,Rosa von Tannenburg’?› ‹Ja!›. Die Geschichte bestand in der Mitteilung, dass wir bald eine neue Mutter bekämen [...]. Grosser Jubel!»132

In den Erinnerungen der Geschwister Schnyder wird die Wiederverheiratung des Vaters immer wieder als Glücksfall beschrieben. Die Kinder waren froh, dass sie «eine neue Mutter» erhielten und damit das so genannte Interregnum, wie sie es später nannten, vorbei war.133 Die Hochzeit von Johannes und Caroline Schnyder-Wyttenbach wurde in Olten gefeiert, das Paar machte daraufhin eine Hochzeitsreise, wohl, um sich ohne Kinder etwas näher kennenlernen zu können. In Zofingen schien die junge Pfarrfrau mit ihren fünf Kindern Aufsehen erregt zu haben, so beschrieb Lilly, wie man die Köpfe nach ihnen umdrehte, wenn sie mit «der neuen Mama» durch das Städtchen gingen, was dem kleinen Mädchen gefiel.134 Während die Quellen vielfach bekunden, dass Caroline bald Zugang zu den Herzen der fünf Kinder fand,135 sind die wenigen Beschreibungen der Beziehung der Eltern etwas kühl. Betont wird, dass der Pfarrer Caroline sehr dankbar war, da sie nicht nur seinen Haushalt wieder zu einem Ganzen zusammenfügte und für die Kinder an die Stelle der verstorbenen Mutter trat, sondern auch seine Familie weiter wachsen liess.136

Für Caroline Wyttenbach musste der Schritt in die Ehe eine grosse Umstellung bedeutet haben: «Diesen wichtigen Schritt in eine ganz neue Lebenssphäre tat sie im Vertrauen auf Gottes Beistand und Hülfe im Jahr 1881 im Oktober. Sie gewann bald die Herzen der zwei Knaben und der drei Mägdlein, die ihr anbefohlen waren und gab sich redlich Mühe, sich in dem grossen Haushalt, der viele Anforderungen an ihre nur geringen Hausfrauenkenntnisse stellte, zurechtzufinden. Darin unterstützte sie eine aus dem elterlichen Haushalt in Bern übernommene goldtreue Magd.»137

«Gottes Beistand und Hülfe» waren von grosser Wichtigkeit bei ihrer Aufgabe, musste sie doch die erst vor einem Jahr verstorbene Frau Johannes Schnyders ersetzen, die mit ihrer Aufgabe im Pfarrhaus vertraut gewesen war. Zudem hatte die Organisation des Haushaltes im Leben Carolines bisher keine Wichtigkeit gehabt. Trotzdem wurde in mündlichen Familienerzählungen immer betont, Caroline sei glücklich gewesen, einen ‹Grossbetrieb› mit fünf Kindern übernehmen und weiter als Pädagogin wirken zu können. Ihre Kinder (gemeint sind die Schulkinder) hätten ihr sonst gefehlt.»138 Die Aufgabe, die Caroline als Mutter und Erzieherin bekleidete, ist diejenige, die in den Quellen immer wieder beschrieben wurde. Möglich ist, dass sie sich selbst vor allem in dieser Aufgabe verstand, als sie die fünf Kinder des Pfarrers Schnyder übernahm. Das weiter oben zitierte Bild des Seminardirektors Melchior Schuppli, das in der Wohnstube hing und den Kindern Respekt einflösste, erweckt den Eindruck, Caroline habe in seinem Sinn und unter seinem Schutz im Pfarrhaus weitergewirkt. Schuppli, der grosse Vertraute, schaute der jungen Pfarrfrau täglich aus dem Bilderrahmen zu.


21 Caroline Schnyder-Wyttenbach, um 1882.

Die Position Carolines an der Seite Johannes Schnyders war keine einfache. Während von Sophie Schnyder-Peyer bekannt ist, wie sie ihren Mann in seiner Arbeit unterstützte, wird dieser grosse Aufgabenbereich bei Caroline seltsam ausgespart. Eine der wenigen Quellen, die den Pfarrer und seine zweite Frau als Paar sichtbar machen, findet sich in Sophies Erinnerungen an den Vater: «Im Sommer sassen Papa und Mama oft im Garten unter dem grossen Kastanienbaum und wenn wir nah kamen, trieb er uns mit seiner Cigarre, deren Rauch er uns ins Gesicht blies, in die Flucht, die unter viel Gelächter geschah.»139

Dieses Bild, welches ganz dem Pfarrhausidyll der Romantik entspricht, wo sich Pfarrer und Pfarrfrau ebenbürtige Partner sind, die im Gespräch regen Austausch haben,140 fehlt in fast allen Quellen der Kinder. Ernst verfasste zum Geburtstag Carolines 1916 das «Lebensbild eines lieben Entschlafenen». Als ältester Sohn und Vertrauter des Vaters betonte er, die Beziehung des Vaters zu seiner ersten Frau und deren Ehejahre in Fehraltorf seien die wohl glücklichsten Tage seines Lebens gewesen. Dagegen nimmt sich die Darstellung, wie es zur zweiten Ehe kam, eigenartig spärlich aus: «Wie der Herr Pfarrer zu seiner Frau kam, wissen wir nicht mehr so genau, item, es war eine liebe, verständige Mutter, die im Oktober im Pfarrhaus Zofingen Einzug hielt und die 5 Waislein warm ins Herz schloss.»141


22 Die Kinder Hans und Lilly (stehend) und Hedwig, Hanna, Söphy, Ernst mit dem Brüderchen Paul (sitzend), Zofingen um 1885.

Ernst, der später in seinen Memoiren die Botschaft des Vaters, es komme eine neue Mutter, als Freudenbotschaft beschrieb und die Vermittlung Schupplis ausführlich darstellte, wusste 1916 noch nicht, wie sein Vater seine zweite Frau kennengelernt hatte. Die Vermittlung Schupplis wurde erst im Nachhinein, wohl von Caroline, erzählt. So wird auch im Nekrolog des Vaters nur erwähnt, dass Johannes Schnyder in Caroline eine treue Lebensgefährtin und gute Mutter für die Kinder gefunden habe.142 Auch in Lillys Lebensbild des Vaters, das kurz nach dessen Tod entstand, kam die zweite Frau des Vaters nicht über die Position der verständigen Mutter hinaus. Zusätzlich betonte Lilly, der Vater habe das Bild von Sophie Schnyder-Peyer nach dem Einzug Carolines bei den «Grossen» über die Betten gehängt und sie dazu angehalten, ein warmes Andenken an ihre verstorbene Mutter aufrechtzuerhalten.143 Die älteren Kinder verband etwas mit dem Vater, das er nicht mit seiner neuen Frau teilen konnte oder wollte. Diese Symbiose drückt sich auch im von den Kindern immer wieder zitierten Gang an der Hand des Vaters aufs Grab der verstorbenen Frau aus: Bevor Johannes Schnyder zur Hochzeit nach Olten fuhr, sei er mit seinen Kindern auf das Grab der Mutter gegangen und habe mit ihnen dort gesungen. Seit da, so schreiben Ernst, Lilly und Sophie, habe man sich jedes Jahr gemeinsam beim Grab der Verstorbenen versammelt. Der Vater schien selbst sehr intime Bereiche innerhalb des Hauses weniger mit seiner Frau gepflegt zu haben, als man dies erwarten könnte: So schlief der oft unter Kopfweh Leidende nach Lillys Aussage in den letzten Jahren in Zofingen bei seinen älteren Kindern im unteren Stock, da es auf der Etage des Elternschlafzimmers, wo sich auch die Kleinen befanden, unruhig war.144 Ähnlich berichtete Sophie, dass der Vater das Zimmer mit seinen Söhnen teilte und oft abends noch bei den nebenan schlafenden grossen Mädchen, zu denen sie als Älteste auch zählte, gute Nacht sagte, sie tröstete oder ihnen Wasser brachte.145 Zudem schrieb Sophie ihr schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter ihrem Namen zu, welcher den Vater an seine verstorbene Frau erinnerte.146 Eine Enkelin Johannes Schnyders meinte: «Was ich meinem Grossvater fast nicht verzeihen kann, ist, dass er an seiner Abschiedspredigt in Zofingen verkündete: ‹Hier ruht das Weib meines Herzens›, während Caroline mit ihren Kindern in der ersten Reihe, unter der Kanzel sass.»147 Das Fehlen von Beschreibungen eines partnerschaftlichen Verhältnisses von Caroline und Johannes, das zur notwendigen Lebensbewältigung in grossen Pfarrhäusern gehörte, verweist darauf, wie schwierige Situationen durch das Nicht-Beschreiben ausgespart und verwischt wurden.148

Caroline Schnyder trat nicht nur eine anspruchsvolle Aufgabe an, sondern heiratete auch in eine emotional schwierige Situation hinein. Sei es, dass der Pfarrer sich der neuen Frau gegenüber distanziert verhielt, sei es, dass die Kinder sich vor allem an den Vater schlossen, oder beides; für die junge Frau, die in ihren ersten Ehejahren fast ununterbrochen schwanger war, musste das neue Leben im Pfarrhaus in Zofingen hart gewesen sein.

Damit Caroline die Aufgabe der Haushaltführung und der Kinderbetreuung bewältigen konnte, zog sie die Hilfe einer Haushälterin und – nachdem sie in kurzer Folge zum zweiten Mal schwanger wurde – die Hilfe ihrer Schwester Julie bei. Damit konnte sie einen Teil ihrer eigenen Familie in den fremden Haushalt mitnehmen und sich emotional etwas Sicherheit verschaffen. Der Wegzug vom Herkunftsort, wo ihr Name und ihre Verbindungen ihnen eine gewisse Position verschafften, war gerade für Frauen, die aus einer höheren gesellschaftlichen Schicht kamen, oft schwer zu verkraften.149

Julie und Meieli, die beiden ledigen Frauen im Haushalt, waren «ganz zur Familie gehörig» und «zwei nicht zu verachtende erzieherische Faktoren im Familienleben».150 Die Haushälterin Meieli fing das fehlende haushälterische Wissen Carolines auf. Die treue Bedienstete arbeitete seit ihrem 15. Lebensjahr für die Familie Wyttenbach. Ihr Umzug ins Pfarrhaus in Zofingen schien nach der Auflösung der Geschwisterwohnung in Bern selbstverständlich. Ohne die erfahrene Haushälterin wäre die Arbeit für Caroline wohl kaum zu bewältigen gewesen. Während Sophie Schnyder-Peyer die Dienstmädchen in ihren Aufgaben betreute und sie gar noch zu erziehen suchte, wurden die Angestellten nun der Haushälterin Meieli zur Seite gestellt: «Meieli hielt die jungen Mädchen, die ihr zur Hilfe beigegeben waren, in strammer Zucht.»151

Julie, die Schwester, die nach der Auflösung des Geschwisterhaushaltes «etwas unglücklich» bei einer Cousine wohnte, wurde zur Haustante, die im oberen Stübli im grossen Pfarrhaus wohnte und Zeit für die Kinder hatte:152 «Sie wurde so recht der Chummerghülf für das kleine Volk. Mit allen Bobo und Wehwehs kam man zu ihr; sie hatte in ihrem Zimmer die reinste Puppenklinik u. ihrer Kunst wurde von der kleinen gläubigen Gemeinde die unglaublichsten Dinge zugetraut. Tante Julie konnte alles wieder heilen und ganz machen, das war ein grosser Trost.»153

Für Julie bedeutete dies, sich in einem neuen Haushalt einzuleben. Die Aufgabe, die sie übernahm, kam der eines Kindermädchens gleich: Sie machte Spaziergänge mit den Kindern, betreute sie beim Spiel und war daneben für das Stricken von Strümpfen und Socken zuständig.154 Inwiefern Julies Abhängigkeit als quasi Angestellte im Pfarrhaushalt ausgenützt wurde, kann nicht beurteilt werden. Julie sorgte nicht nur für die Kinder ihrer Schwester, sie bezahlte auch für ihr Stübchen regelmässig Logiskosten: «Eine ältere Schwester unserer Mutter stellte als Familientante ihre Kräfte und ihre pekuniäre Hilfe zur Verfügung; denn bei dem relativ kleinen Pfarrgehalt und einer so vielköpfigen Familie hiess es sparen.»155

Aus verschiedenen Quellen wird klar, dass das Geld Julies ein wichtiger Faktor in der Haushaltrechnung der Pfarrfamilie war. Weshalb Julie über Geld verfügte, wird nirgends erwähnt. Eventuell war sie, da sie als etwas behindert galt und keinen Beruf erlernt hatte, von den Eltern mit einem grösseren Erbe ausgestattet worden.

Mit dem Einzug der neuen Mutter hatte sich für die Geschwisterschar der Kreis der direkt zur Familie Gehörenden gewaltig geweitet. Julie und Meieli lebten zusätzlich im grossen Haushalt. Die Schwester Rosa, die in Augsburg mit einem Pfarrer verheiratet war, jedoch kinderlos blieb, kam bei allen Schwierigkeiten, bei Geburten und während der Ferienzeit zu Caroline. Gleichzeitig blieben die Kontakte zur Familie von Sophie Schnyder-Peyer bestehen und bildeten einen wichtigen Bestandteil des Verwandtenkreises, vor allem im Beziehungsnetzwerk der Kinder aus erster Ehe.

Die besondere Begabung und Aufgabe Carolines war die Erziehung der Kinder. Sie pflegte die Kleinen, sie förderte die Grösseren, und sie war, gemeinsam mit ihrem Mann, zuständig für die Schulbildung und für die Karriereplanung der Kinder. Der Einfluss der Mutter war – dank ihrer Berufsbildung und ihrer Erfahrungen in der französischen Schweiz und in Deutschland – schon zu Lebzeiten ihres Mannes wirkungsmächtig: Ihre Stieftochter Lilly besuchte noch unter Schuppli die Neue Mädchenschule und Hanny ebenda das Kindergärtnerinnenjahr. Caroline war auch Beraterin ihrer Stiefsöhne in Lerntechniken: So gab sie ihrem Ältesten im ersten Studienjahr in Neuchâtel regelmässig Tipps, wie er sich das Französische am schnellsten aneignen könne, und korrigierte die französischen Briefe ihrer im Welschland weilenden Söhne und Töchter. Nach dem Tod Johannes Schnyders blieb Caroline Schnyder bei Fragen der Berufsbildung und der Karriereplanung erste Ansprechpartnerin für die Kinder.


23 Familie Pfarrer Schnyder-Wyttenbach, Zofingen um 1891. Stehend: Hanna, Lilly, Rosa Walter-Wyttenbach, Julie Wyttenbach, Hedwig und Hans. Sitzend: eine Magd mit Gertrud auf dem Schoss, Caroline Schnyder-Wyttenbach, Johannes Schnyder, Sophie. Vorne: Martha, Karl, Rosa.

Während die Aufgaben Carolines als Mutter und Erzieherin in allen Quellen beschrieben werden, ist nur ganz wenig über ihre Tätigkeiten als Pfarrfrau, die ihrer Stellung nach vielfältig sein mussten, bekannt. Sicher rechnete Johannes Schnyder mit der Hilfe seiner Frau Caroline in der Gestaltung des Kirchengesangs. So übte sie die Lieder für die Morgen- und Abendandacht erfolgreich mit ihren Kindern ein und begleitete während der Andacht die Familie.156 Diese Aufgabe hatte innerhalb der Gemeinde durchaus ihre Wichtigkeit, bildete doch die Pfarrfamilie eine Art festen Bestandteil des Kirchengesangs während der Predigt.157 Ob sie Sonntagsschule unterrichtete, Orgeldienste übernahm oder im Missionsverein tätig war, ist nirgends belegt.

Im Bürgerarchiv Bischofszell ist festgehalten, dass Frau Pfarrer Schnyder von 1894 bis 1906 das Amt der Präsidentin des Frauen-Arbeitsvereins bekleidete. Der «zum Zweck der Wohlfahrt und Erziehung von Arbeiterfrauen» gegründete Verein entsprach den im ausgehenden 19. Jahrhundert vermehrt aufkommenden Bestrebungen bürgerlicher Wohlfahrtseinrichtungen, Arbeiterinnen durch Nähkurse, Haushaltskunde und Hygiene Anweisungen für eine gute Haushaltsführung zu geben.158 Wie sie in ihrem Amt von den Frauen in Bischofszell verstanden wurde, beschrieb die Dichterin des 1898 verfassten Jubiläumspoems an die Präsidentin:

«Beim festlichen Anlasse, der uns zusammenführt,

Wohl hohe Anerkennung der Präsidentin heut gebührt.

Wie hat sie mit Gewissenhaftigkeit

Zur Zeit den Jahresbericht bereit,

Er athmet soviel Lieb und Herzlichkeit

drum sei ihr inniger Dank geweiht

Sie kennt wohl am Besten die Not der Armen

Sie suchen ja im Pfarrhaus Erbarmen

Drum ist ihr Herz so gerne dabei

Dass doch die Not gelindert sei.

Möge Gott ihr treues Wirken

Vor jedem Missgeschick behüten

u. stets auf ihrem edlen Thun

Der reichste Gottessegen ruhn.»159

Die erste Aufgabe der Präsidentin war es, den Jahresbericht pünktlich abzugeben. Auf diesen bezieht sich auch die Liebe und Herzlichkeit der Pfarrfrau. Dagegen wird etwas vage davon ausgegangen, dass die Pfarrfrau die «Not der Armen», die im Pfarrhaus um Hilfe suchten, «wohl» am besten kennen müsse. Ihre Aufgabe verstand man darin, Not zu lindern. In den Familienquellen wird nicht klar, wie Caroline in der Gemeinde Bischofszell waltete. Aufgaben wie die des Amtes der Präsidentin des Frauen-Arbeitsvereins gehörten zum Berufsprofil der Pfarrfrau. Die zu diesem Zeitpunkt mit einem Baby, drei Kindern unter zehn Jahren und mehreren Jugendlichen beschäftigte Mutter, die im Pfarrhaus nicht nur den Haushalt zu organisieren, sondern auch seelsorgerische Auffangstation des Städtchens zu sein hatte, musste verschiedene solche Ämter bekleidet haben. Im Nekrolog Carolines findet sich kein einziger Hinweis auf ihre wohltätigen Ämter. Das mutet eigenartig an, vor allem, da sie über den Tod ihres Mannes hinaus das Amt der Präsidentin des nicht unbedeutenden Frauenvereins bekleidete.

₺1.210,68

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
777 s. 63 illüstrasyon
ISBN:
9783039197378
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre