Kitabı oku: «Schlüsselbegriffe der Public History»
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Christine Gundermann / Juliane Brauer / Filippo Carlà-Uhink / Judith Keilbach / Georg Koch / Thorsten Logge / Daniel Morat / Arnika Peselmann / Stefanie Samida / Astrid Schwabe / Miriam Sénécheau
Schlüsselbegriffe der Public History
Vandenhoeck & Ruprecht
Dr. Christine Gundermann ist Juniorprofessorin für Public History an der Universität Köln.
Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Umschlagabbildung: Klingeltableau der Brunhildstrasse 4 in Berlin Schöneberg.
© akg-images / Lothar M. Peter. Bild wurde bearbeitet.
Korrektorat: Ulf Heidel, Berlin
Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Satz: le-tex publishing services, Leipzig
EPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
UTB-Band-Nr. 5728
ISBN 978-3-8463-5728-6
Inhalt
Vorwort
1 Einführung
2 Authentizität
2.1 Einleitung
2.2 Begriffsgeschichte
2.3 Gegenwärtige Begriffsverwendung
2.4 Operationalisierungen
2.5 Fazit
3 Emotionen
3.1 Einleitung
3.2 Emotion, Affekt und Gefühl. Ein Ordnungsversuch
3.3 Emotionen und Geschichte. Eine Analyse in drei Schritten
3.4 Ein Plädoyer für Emotionen in der Public History
4 Erinnerung und Gedächtnis
4.1 Einleitung
4.2 Begriff und Konzept
4.3 Operationalisierung: (Zeit-)Zeug_innen des Holocaust
4.4 Fazit
5 Erlebnis und Erfahrung
5.1 Einleitung
5.2 Begriffsbestimmungen
5.3 Erlebnis und Erfahrung in der Public History
5.4 Fazit
6 Geschichtskultur
6.1 Einleitung
6.2 Begriffsgeschichte
6.3 Verwandte Begriffe
6.4 Annäherungen an das Konzept Geschichtskultur
6.5 Geschichtskultur beforschen
6.6 Geschichtskultur als Schlüsselbegriff der Public History
7 Heritage und Kulturerbe
7.1 Einleitung
7.2 Erbe(n) – oder was und wie ist Kulturerbe?
7.3 Begriffsgeschichte
7.4 Denkmal – Monument – Kulturgut – Tradition
7.5 Disziplinäre Zugänge zu Kulturerbe
7.6 Kulturerbe als Forschungsgegenstand der Public History
7.7 Kulturerbe als Prozess
7.8 Positionierung
8 Historisches Denken
8.1 Einleitung
8.2 Historische Bildung – eine begriffliche Annäherung
8.3 Geschichtsbewusstsein als geschichtsdidaktischer Schlüsselbegriff
8.4 Historisches Denken fördern
8.5 Operationalisierungen und Konkretionen
8.6 Konkretisierung
9 Historische Imagination
9.1 Einleitung
9.2 Historische Imagination und historische Sinnbildung
9.3 Imagination in der Geschichtstheorie
9.4 Historische Imagination als geschichtsdidaktisches Konzept
9.5 Imagination in der Public History
9.6 Fazit
10 Performativität
10.1 Einleitung
10.2 Begriffe und Forschungsfelder
10.3 Performativität in der Geschichtswissenschaft
10.4 Zugänge zu Aspekten des Performativen
10.5 Doing history
11 Rezeption
11.1 Einleitung
11.2 Begriffsgeschichte
11.3 Verwandte Konzepte
11.4 Methodik der Rezeptionsanalysen
11.5 Operationalisierungen
12 Literatur
13 Autor_innen
Personenregister
Sachregister
Vorwort
Dieses Buch ist ein Ergebnis der Arbeit des Netzwerks Public History, welches dank großzügiger Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft von 2017 bis 2021 unter dem Titel „Public History – Theorie und Methodik einer neuen geschichtswissenschaftlichen Teildisziplin“ zusammenarbeiten konnte. Unser Team besteht aus Vertreter_innen der Archäologie, der Alten sowie der Neueren und Neuesten Geschichte, der Geschichtsdidaktik, der Public History, der Europäischen Ethnologie/Empirischen Kulturwissenschaft sowie der Film- und Medienwissenschaft. Für die Veröffentlichung unserer Arbeit haben wir uns für die Form der Kollektivmonografie entschieden, weil dies unseren Arbeitsprozess am besten widerspiegelt. Der vorliegende Text ist also gemeinsam verfasst, es gibt jedoch zu jedem Kapitel hauptverantwortliche Autor_innen; diese sind im Anhang des Buches ausgewiesen.
Unser Anliegen war es, die Public History nicht nur als ein Anwendungsfeld von Geschichtswissenschaft zu begreifen, sondern ihr Potenzial als wissenschaftliche Teil- und Transdisziplin sichtbar zu machen. Als solche greift sie schon heute vielfältige Fragen zu multimodalen und -medialen sowie performativen Formen öffentlicher Geschichte auf, die bis jetzt in anderen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft so nicht bearbeitet worden sind. Dabei sind die Zugänge zur Public History äußerst heterogen und viele Diskurse haben sich entlang von Leitbegriffen, die den verschiedenen Forschungsfeldern eigen sind, autark entwickelt oder haben sich vor allem im englischsprachigen Raum stark an Best-Practice-Analysen orientiert. Obwohl die Public History unter diesem Begriff bereits seit mehr als 40 Jahren diskutiert wird, hat sie als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft bisher nur ansatzweise Gestalt angenommen. Hier setzen wir an. Dabei geht es uns nicht etwa um eine ‚große vereinheitlichende Theorie‘, die alle aktuellen Ansätze zur Theoretisierung und Methodologie der öffentlichen Repräsentationen von Geschichte auffängt. Vielmehr möchten wir durch die Berücksichtigung bisheriger Ansätze und Perspektiven eine Kommunikationsgrundlage für die verschiedenen Disziplinen schaffen, die sich alle im Kern mit Formen von Geschichte im öffentlichen Raum befassen. Wir erheben keinen Anspruch auf Deutungshoheit mit einem neuen Modell, sondern wollen einen der Grundmechanismen der Wissenschaft: den wissenschaftlichen – kooperativen – Diskurs stärken.
Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für das Vertrauen in unsere Arbeit, der Universität zu Köln für die administrative Unterstützung unseres Netzwerkes, dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin, der Freien Universität Berlin, der Universität Hamburg und der Pädagogischen Hochschule Freiburg für die Ermöglichung unserer Workshops sowie den Studentischen Hilfskräften Janina Raeder, Katharina Wonnemann, Karl Dargel, Marlen Schulze, Michael Schuhmacher und Laura Kern für ihre Unterstützung bei diesen. Wir danken ebenso dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht und hierbei insbesondere unserem Ansprechpartner Kai Pätzke für die Aufnahme ins Verlagsprogramm und die Weitervermittlung an die UTB wie auch dem Lektor Ulf Heidel, der uns im Endspurt tatkräftig unterstützt hat.
1Einführung
Public History ist ein neues und boomendes Feld in deutschsprachigen Ländern. Vor allem in den historischen Instituten und Seminaren der Universitäten sind in den letzten 15 Jahren Studiengänge, Studienrichtungen und andere Lehrangebote zu ‚Public History‘, ‚Angewandter Geschichte‘, ‚Geschichte in der Öffentlichkeit‘ oder ‚Öffentlicher Geschichtsvermittlung‘ entstanden; kaum eine Konferenz oder ein Forschungsschwerpunkt kommt heute noch ohne einen Verweis auf Public History als die öffentliche oder öffentlich sichtbare Repräsentation von Geschichte aus. Dabei zeigt sich sehr schnell, dass der Begriff Public History höchst unterschiedlich verstanden und eingesetzt wird. Hier – wie auch in den USA, wo die Public History als außeruniversitäres Arbeitsfeld und universitäres Studiengebiet geformt wurde – gibt es daher eine Vielzahl von Definitionen, die Klarheit bringen sollen. Diese haben sich im Laufe der Zeit verändert, weil sich der Blick auf und die Fragen an Repräsentationen von Geschichte geändert haben. In den 1970er Jahren ging es vor allem darum, das Phänomen des ‚Geschichte-Machens‘ außerhalb von Forschungseinrichtungen ins Blickfeld zu rücken, wie dies Robert Kelley 1978 formulierte.1 Während Kelley noch die Arbeit professioneller Historiker_innen außerhalb der Universitäten und Schulen beschrieb, bezog der US-amerikanische National Council on Public History (NCPH) als erste und heute größte Interessenvertretung von Public Historians Anfang der 1990er Jahre dezidiert auch Lai_innen mit der markanten Formel ein, Public History sei „history for the public, about the public, and by the public“.2 ‚Public history‘ sollte daher zunächst als Gegensatz zur academic history verstanden werden. Seitdem geht es vor allem darum, Praktiken und damit verbundene Ziele der Public History zu fokussieren. So versteht die Archäologin Faye Sayer unter Public Historians Menschen, die sich „in the practice of communicating the past to the public“ engagieren.3 Auch die Zeithistorikerin Irmgard Zündorf betont, dass Public History jegliche Form öffentlicher Geschichtsdarstellung umfasst, „die außerhalb von Schulen und wissenschaftlichen Institutionen stattfindet“. Und über Public Historians schreibt sie weiter:
Neben der professionellen Beherrschung geschichtswissenschaftlicher Methoden benötigen sie die Kompetenz, wissenschaftlich komplexe Ergebnisse für ein nicht historisch vorgebildetes Publikum auf einfache, interessante und den benutzten Vermittlungsträgern gut angepasste Weise zugänglich zu machen.4
In historischer Perspektive zeigt sich, dass zu oft bei der Definitionsfrage stehen geblieben wurde. Gerade die Einführungspublikationen der letzten Jahre machen dies deutlich.5 Die dort präsentierten Definitionen erlauben zwar eine Orientierung in der jeweiligen Gliederung der Bücher, nicht jedoch die Verortung der Public History im wissenschaftlichen Feld selbst. Public History erscheint daher oftmals als Sammelbecken für Geschichte in unterschiedlichen Medien und Institutionen und vor allem als Best-Practice-Beschreibung. Eine Ausnahme ist hier der Entwurf von Marko Demantowsky, der Public History einerseits als „Kofferwort“ für bereits etablierte Konzepte wie Geschichtskultur und Gedächtnis vorgestellt, andererseits erstmals den Begriff soziologisch grundiert als Identitätsdiskurs ausformuliert hat.6
Wir gehen mit dem vorliegenden Buch einen anderen Weg. Unser Ziel ist es, den Leser_innen anhand prägender Leitbegriffe eine Orientierung in den aus unterschiedlichen (Teil-)Disziplinen stammenden theoretischen Fundierungen der Public History zu bieten, diese zusammenzuführen und auf diese Weise die Beschäftigung mit der Public History als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft zu stärken. Wir gehen dabei von der ganz grundlegenden Beobachtung aus, dass Public History als Anglizismus in deutschsprachigen Ländern eingeführt wurde, weil sich der Begriff nicht ohne Weiteres übersetzen lässt. ‚Öffentliche Geschichte‘ als Terminus technicus stößt schnell an seine Grenzen, denn der Begriff der Öffentlichkeit ist gerade in geschichtswissenschaftlicher Perspektive in deutschsprachigen Ländern belegt – etwa durch das Spannungsverhältnis öffentlich/privat. ‚Öffentliche Geschichtsvermittlung‘ greift als Bezeichnung zu kurz, da der Begriff der ‚Vermittlung‘ einen Top-down-Prozess impliziert, der verschiedene Formen der Wissensaneignung in der Public History zu wenig berücksichtigt. Auch ‚angewandte Geschichte‘ lässt sich nicht als unmittelbare Übersetzung der US-amerikanischen applied history auffassen.7 Vielmehr wird damit ein spezifisches Feld der praktizierten Public History bezeichnet, nämlich das der Firmen- oder Unternehmensgeschichte. Darüber hinaus ist der Begriff vorbelastet durch seine Verwendung während des Nationalsozialismus. Hier sollte ‚angewandte Geschichte‘ vor allem für die NS-Ideologie nützliche (pseudo-)historische Argumente liefern, um die Eroberungs-und Vernichtungspolitik des nationalsozialistischen Deutschlands zu stützen.8
Zudem zeigt sich schon bei einem oberflächlichen Blick auf die unterschiedlichen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft, dass Repräsentationen von Geschichte bereits unter spezifischen Bedingungen erforscht werden. So thematisiert die Alte Geschichte unter dem Begriff der Rezeption Modi der kulturellen Wiederaufnahme und Transformation von Personen und Phänomenen aus der Antike. Die Geschichtsdidaktik hat mit dem Begriff der Geschichtskultur geradezu paradigmatisch ihr Forschungsinteresse formuliert. Und vor allem die Neuere und die Zeitgeschichte haben die Begriffe des kollektiven Gedächtnisses und der Erinnerungskultur als innovative Modelle in die eigenen Forschungspraxen integriert. Aber auch jenseits der Geschichtswissenschaft wird sich mit Formen des ‚Geschichte-Machens‘ befasst: So stehen insbesondere Heritage/Kulturerbe oder auch Tradition im Fokus analytischer Betrachtung. Viele Diskurse sind über Jahrzehnte hinweg weitgehend isoliert voneinander geführt worden, obwohl die an ihnen beteiligten Wissenschaftler_innen ähnliche, ja gleiche Phänomene untersuchten. Der zentrale Gegenstand unseres Buches ist also einer, der in vielfältigsten Begriffen und von unterschiedlichen Disziplinen bereits erfasst, theoretisiert und modelliert wurde. Über ihn fachübergreifend zu sprechen und ihn transdisziplinär zu erforschen, setzt eine Auseinandersetzung mit diesen Begriffen voraus. Wir betrachten daher genau diese Termini als Schlüsselbegriffe der Public History und damit als theoretische Grundlage einer Wissenschaft von der Public History.
Wir verstehen die Public History in diesem Zusammenhang als Feld, in dem es um die Wissenschaft von der Kommunikation von Geschichte geht. Diese Minimaldefinition soll vor allem dazu dienen, die Praktiken und Performanzen und damit die multimodale Kommunikation von Geschichte als Forschungsobjekt sichtbar zu machen. Als Wissenschaft soll sie daher in Anlehnung an ein äußerst erfolgreiches Modell der Geschichtsdidaktik in die Bereiche Theorie, Empirie, Pragmatik und Norm der Public History unterteilt werden.9 Die theoretische Dimension der Public History bildet den Ort der Konzeptionalisierung ihrer Untersuchungsobjekte und ermöglicht eine intensive Diskussion weiterer Kernbegriffe, wie in diesem Buch exemplarisch gezeigt wird. Die empirische Dimension gibt im weitesten Sinne der Wirkungsforschung einen Ort, fragt nach Geschichtspraktiken, -vorstellungen und -narrativen von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen und untersucht verschiedenste Medien und Institutionen der Public History. Die pragmatische und normative Dimension der Public History kann ein Ort sein, an dem nicht nur über gesellschaftliche und immer auch ethische Ziele der Kommunikation von Geschichte diskutiert wird, sondern darüber hinaus wertvolle Impulssetzungen erfolgen, um über potenzielle Prinzipien oder allgemeine Qualitätsmerkmale von Produkten und Praktiken der Public History zu diskutieren.10
Dabei folgen wir einigen Grundannahmen, die die Koordinaten der Teildisziplin Public History bestimmen und die wir hier kurz skizzieren: In den vergangenen Jahren ist viel darüber diskutiert worden, wo die Public History als Forschungsgegenstand verortet werden soll – ist sie der Neueren Geschichte zuzuordnen oder der Geschichtsdidaktik? Ist sie eher als Untersuchungsfeld der historischen Kulturwissenschaft zu verstehen, weil sie so viele transdisziplinäre Elemente vereint? Wir sehen die Geschichtswissenschaft in ihrer Gänze als zentrale Bezugsdisziplin der Public History, denn es geht letztlich immer um spezifische Geschichte(n) in ihren unterschiedlichen Performanzen und Formen. Die Geschichtswissenschaft ist jedoch nicht die einzige Bezugsdisziplin, denn die Erforschung der Kommunikation von Geschichte ist ohne Impulse etwa aus den Medien- und Theaterwissenschaften, der Europäischen Ethnologie/Kulturanthropologie oder Archäologie nicht durchführbar. Wir betonen daher den transdisziplinären Charakter der Public History. Aus diesem Grund finden sich in unserem Buch vor allem Begriffe, die in den geschichtswissenschaftlichen Fächern Verwendung finden, um Repräsentationen von Geschichte zu erforschen. So stellen wir gleichsam eine Brücke für benachbarte Disziplinen her.
Public History ist weder an bestimmte Themen noch Epochen oder Räume gebunden. Sie kann sich in ihren vielfältigen Formen auf jeden Gegenstand, jede Epoche, jede Region und jede andere Schwerpunktsetzung innerhalb der Geschichtswissenschaft beziehen, weshalb sie keiner ihrer traditionellen Teildisziplinen zuzuordnen ist, sondern vielmehr ein übergreifendes und offenes Feld darstellt. Obwohl die Public History gerade in Deutschland viele ihrer wissenschaftlichen Impulse der Geschichtsdidaktik verdankt, ist sie auch kein genuines Element dieses Fachs. Sie geht zum einen über die zentralen Paradigmen des Geschichtsbewusstseins und der Geschichtskultur hinaus, indem sie systematisch nach der Bedeutung und dem Potenzial anderer theoretischer Konzeptionen fragt und diese nutzt. Zum anderen befördert sie zwar auch das Historische Denken, räumt diesem Aspekt aber keinen Primat ein, wie dies die Geschichtsdidaktik tut. Public History steht damit neben den traditionellen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft, ist aber gleichzeitig immer auch Teil von diesen – insofern als ein Spezialwissen aus diesen Teildisziplinen immer auch notwendig für die Erforschung der Kommunikation von Geschichte(n) ist.
Wir verstehen die Public History als wissenschaftliches Fach daher auch nicht im Widerspruch zu akademischen Geschichtsproduktionen. Diese begriffliche Frontstellung war gerade in der Entstehungsphase der Public History als Phänomenbe-schreibung und vor allem als Wertzuschreibung außerakademischer Geschichtsproduktion wichtig. Auch heute wird diese Unterscheidung vor allem als Wirkungs-feldbestimmung bemüht.11 Wir wenden uns jedoch aus zwei Gründen gegen die Exklusion von Wissenschafts- und Lehrinstitutionen aus dem Feld der Public History: Als Wissenschaft verstanden erforscht die Public History die Kommunikation von Geschichte in allen Räumen; das schließt Orte wie Universitäten, Akademien und Schulen insofern ein, als auch sie Teil des öffentlichen Diskurses von Geschichte sind. Die Kommunikation von Geschichte umfasst viele Akteur_innen in unterschiedlichsten Institutionen und mit unterschiedlichen Motiven und Zielen, die sich gegenseitig beeinflussen. Wir stellen damit nicht den Wert von nach wissenschaftlichen Kriterien erarbeiteter Geschichte in Frage, sondern wollen diese als Teil des Machens und Erlebens von Geschichte in den Diskurs einbeziehen, weil auch dies in der Gesellschaft stattfindet. Insofern hat die Public History als Disziplin auch das Potenzial, eine Reflexionsinstanz für andere Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft zu werden, ohne sich dabei auf das Eruieren der Tauglichkeit geschichtswissenschaftlicher Fragestellungen zur Gegenwartsorientierung zu beschränken oder beschränkt zu werden.
Dieser Band versammelt zehn Schlüsselbegriffe der Public History und ist damit ein Baustein für ihre Theoretisierung. Zentral sind dabei die Begriffe, die zunächst unseren Forschungsgegenstand genauer zu fassen suchen. Gedächtnis, Geschichtskultur, Rezeption und Heritage bzw. Kulturerbe waren für uns obligatorische Schlüssel- oder auch Basisbegriffe. Sie greifen jeweils grundlegende Modi Operandi aus der Geschichtsdidaktik, der Neueren Geschichte, der Altertumswissenschaften und dem größeren Feld der Kulturwissenschaften auf.
Der Begriff der Performativität liegt quer zu diesen Modellen, denn überall spielt das Machen als doing history eine zentrale Rolle. Der Fokus auf dieses Machen greift dabei zum einen reflexiv ein zentrales Element der frühen Public-History-Bewegungen auf und betont zum anderen die soziale Dimension des Praktizierens von Geschichte, die in jedem der Basisbegriffe (Geschichtskultur, Gedächtnis, Rezeption und Heritage) mehr oder minder ausgeprägt ist, aber in jüngster Zeit immer stärker betont wird.
Mit dem Begriff der Authentizität und dem Begriffspaar Erfahrung/Erlebnis fokussieren wir deduktiv die zwei größten Werbeversprechen gegenwärtiger Repräsentationen von Geschichte: kein Museum, kein Dokumentarfilm, kein Spiel, das heute nicht auf das Erlebnis Geschichte rekurriert und die Authentizität des eigenen Produktes bewirbt. Hier sollen die Begriffe gut verständlich erläutert und auf ihre analytische Schärfe hin befragt werden. So werden aus den Werbeversprechen Analysekategorien.
Die Begriffe Emotion und Imagination haben wir aufgenommen, weil sie – ähnlich wie Performativität – immer wieder Überschneidungen zu allen anderen Begriffsfeldern aufweisen. Authentizität kann nicht ohne den Bezug auf Emotionen und Imaginationen verstanden werden. Rezeption lässt sich ohne Imagination nicht beschreiben, Erinnerung nicht ohne Emotion denken. Beides sind Konzepte, die historischer Sinnbildung genauso wie historischer Vermittlung zugrunde liegen. Gerade die Emotionen werden in den letzten Jahren in Hinblick auf Attraktivität und Nachhaltigkeit historischer Erlebnisse immer präsenter und zugleich auch durch einen gewandelten geschichtswissenschaftlichen Diskurs gerahmt. Ohne sie lässt sich wiederum eines der zentralsten Felder dieses Buches nicht erklären: das Historische Denken.
Wir haben uns nach reiflicher Überlegung entschieden, hier nicht den Begriff der Vermittlung als Schlüsselbegriff der Public History zu präsentieren – wohl wissend, dass dieser Terminus außerhalb von Forschungsinstitutionen ein zentrales Arbeitsfeld von Public Historians bezeichnet und als solches beworben wird. Stattdessen stellen wir mit dem Historischen Denken einen Begriff in den Mittelpunkt, der unserer Meinung nach aktuell am besten erfasst, wie sich Menschen eigentlich systematisch Geschichte aneignen oder sich mit Geschichte auseinandersetzen. Dieser Begriff ist nicht nur hierarchiefreier als der Vermittlungsbegriff und verzichtet damit auf eine implizite Top-down-Perspektive, sondern er ist auch domänenspezifisch. Wir stellen hier also zentrale Theoreme und Prinzipien aus der Geschichtsdidaktik vor, weil wir der Überzeugung sind, dass sich so am besten Bildungsangebote qualitativ untersuchen und weiterführend gestalten lassen – und zwar dezidiert für den Bereich der Public History.
Uns ist bewusst, dass diese Auswahl keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und von anderen anders getroffen worden wäre, dass sie also nur das sein kann – ein exemplarischer und fokussierter Blick auf ein weites Themenspektrum. Viele zentrale Begriffe eröffnen ein Feld, das nicht ohne den Bezug zu oder eine Abgrenzung von anderen Begriffen auskommt. Wir haben uns in solchen Fällen für die Verwendung von Informationsboxen entschieden. Diese sind grau gekennzeichnet und fassen kurz und prägnant unser Verständnis dieser Begriffe und ihre Bezüge zu den von uns vorgestellten Schlüsselbegriffen zusammen. In jedem Artikel wird ein kurzer historiografischer Blick auf den jeweiligen Begriff und dahinterliegende Konzepte geworfen. Im Fokus steht aber die aktuelle Ausformung der Schlüsselbegriffe, die zunächst in ihrer theoretischen Tiefe und dann im Hinblick auf ihre spezifische Operationalisierung für die Public History systematisch befragt werden. Dabei präsentieren wir keine (vermeintlich) neutrale Beschreibung aller Ansätze, sondern wählen gezielt und deutend die Ansätze aus, die unserer Meinung nach entscheidend für eine gelingende transdisziplinäre Kommunikation im Feld der Public History sind. Unsere Beiträge verstehen sich daher immer auch als Teil eines aktuellen Forschungsdiskurses.
Dieses Buch ist als Einführung gedacht. Masterstudierende, für die in deutschsprachigen Ländern hauptsächlich Public-History-Studien angeboten werden, können sich so kompakt und über die eigene geschichtswissenschaftliche Teildisziplin hinaus schnell und sicher im Feld orientieren. Lehrende der Public History können dieses Buch ebenfalls nutzen, um gezielt einzelne, gegebenenfalls fachfremde Schlüsselbegriffe aufzugreifen und so über (teil-)disziplinäre Grenzen hinweg Denkmodelle transdisziplinär zu verorten und die facheigenen theoretischen Konzeptionen auf ihre Stärken, Leerstellen oder potenziellen Erweiterungen hin zu überprüfen. Wir haben in unserer Lehre die Erfahrung gemacht, dass sich auf diese Weise gerade transdisziplinäre Lehrveranstaltungen wesentlich besser planen und durchführen lassen, und hoffen, dass unser Buch auch hier einen positiven Beitrag für andere Lehrende innerhalb und außerhalb historischer Institute leisten kann. Die Beiträge zu den einzelnen Schlüsselbegriffen können also jeweils für sich gelesen werden. Sie sind in alphabetischer Reihenfolge gelistet und bedienen damit keine implizite Logik. Wo nötig, werden Bezüge zu den anderen Schlüsselbegriffen oder zu Informationsboxen an anderen Stellen hergestellt. Insofern kann ein Nachschlagen im Sach- und Personenregister hilfreich sein; prinzipiell sind alle Artikel jedoch auch so verständlich. Drei bis fünf Literaturtipps zum Ein- bzw. Weiterlesen schließen die jeweiligen Artikel zu den Schlüsselbegriffen ab, eine Gesamtbibliografie findet sich am Ende des Buches.
Unser Buch soll Interessierten unabhängig von der eigenen Hausdisziplin oder Expertise eine Einführung in grundlegende Denkmodelle und theoretische Ansätze der Public History geben und damit vor allem eines gewährleisten: eine kooperative und reflexive Kommunikation über Fachgrenzen hinweg, die eine gemeinsame Erforschung von Geschichte in der Öffentlichkeit fördert, die Public History als wissenschaftliche Disziplin stärkt und letztlich auch vielfältige positive Einflüsse auf Praxisfelder der Public History ermöglicht.
1 „In its simplest meaning, Public History refers to the employment of historians and the historical method outside of academia: in government, private corporations, the media, historical societies and museums, even in private practice. Public Historians are at work whenever, in their professional capacity, they are part of the public process. An issue needs to be resolved, a policy must be formed, the use of a resource or the direction of an activity must be more effectively planned – and an historian is called upon to bring in the dimension of time: this is Public History.“ Robert Kelley: Public History: Its Origins, Nature, and Prospects, in: The Public Historian 1/1 (1978), S. 16–28, hier S. 16.
2 Charles C. Cole, Jr.: Public History’s Influence on Historical Scholarship. Public History: What Difference Has it Made?, in: The Public Historian 16/4 (1994), S. 9–35, hier S. 11.
3 Faye Sayer: Public History. A Practical Guide, London 2015, S. 2.
4 Irmgard Zündorf: Zeitgeschichte und Public History (Version: 2.0), in: Docupedia-Zeitgeschichte, 6.9.2016, DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok.2.699.v2.
5 Zum Beispiel Thomas Cauvin: Public History. A Textbook of practice, New York 2016; Sayer: Public History; Cherstin Lyon u. a.: Introduction to Public History. Interpreting the Past, Engaging Audiences, Lanham (MD) 2017; David Dean (Hg.): A Companion to Public History, Hoboken (NJ) 2018. Irmgard Zündorf und Martin Lücke stellen mit der ersten deutschsprachigen Einführung zumindest zwei Leitkonzepte (Geschichts- und Erinnerungskultur) vor, ohne diese Auswahl jedoch näher zu begründen, Martin Lücke/Irmgard Zündorf: Einführung in die Public History, Göttingen 2018.
6 Marko Demantowsky: What is Public History, in: ders. (Hg.): Public History and School. International Perspectives, Berlin/Boston 2018, S. 3–37, hier S. 26.
7 Siehe hierzu: Simone Rauthe: Public History in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, Essen 2001, S. 88 f.