Kitabı oku: «Der ermutigte Mensch», sayfa 2
Was ist Resonanz?
Das Wort „Resonanz“ kommt aus dem Lateinischen „re-sonare“ und kann wörtlich mit „zurück-tönen“ oder „widerhallen“ übersetzt werden. In der Physik ist damit das Mitschwingen oder auch Mittönen eines Körpers gemeint. Im sozialen und psychologischen Kontext wird damit alles beschrieben, was mit Mitschwingen, Akzeptanz, Würdigung, Lob, Achtung, Respekt, Wertschätzung, Anerkennung, Anklang, Sympathie, Empathie und Einfühlungsvermögen in Verbindung steht.
Wie kein anderer in den vergangenen Jahren hat sich der deutsche Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa mit diesem Thema beschäftigt und die Kernthese seiner Arbeit in den folgenden Worten zusammengefasst: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.“6 Rosa skizziert eine „Soziologie der Weltbeziehung“, ein Möglichkeitsfeld für gutes Leben, und plädiert dabei dafür, bei allen Lösungsansätzen die Unruhe zu bewahren, die wie in einem Uhrwerk erst unser Lebendig-Sein garantiert. Dabei zeigt er auf, wie eine Welt in der ständigen Vergrößerung ihrer Reichweiten und Möglichkeiten immer stummer und schwieriger wird, ein Dialog mit ihr beinahe unmöglich erscheint. Gegen diese fortschreitende Entfremdung zwischen dem Menschen und seiner Welt setzt Rosa die Resonanz als klingende, unberechenbare Beziehung mit einer nicht-verfügbaren Welt.
Zur Resonanz kommt es, sagt er, wenn wir uns auf Fremdes, Irritierendes einlassen, auf all das, was sich außerhalb unserer kontrollierenden Reichweite befindet. Weil sich das Ergebnis dieses Prozesses nicht vorhersagen oder planen lässt, kommt überall dort, wo sich Resonanz ereignet, immer auch ein Moment von Unverfügbarkeit ins Spiel.7
Ein Mensch, der sich hingegen von anderen Menschen fernhält, mit ihnen nichts zu tun haben will und deshalb sein Haus außerhalb der Stadtmauern baut, wurde im antiken Griechenland mit dem Schimpfwort „idiotes“ bedacht, aus der Überzeugung, dass der Mensch als „zoon politikon“, als Gemeinschaftswesen, den anderen Menschen braucht, um in Resonanz mit ihm sein eigenes Leben leben zu können. Die Neurobiologie bestätigt das: Nach nichts hat der Mensch mehr Sehnsucht als danach, von einem anderen Menschen wertgeschätzt, willkommen geheißen und geliebt zu werden. Und nichts kränkt ihn mehr, als ausgegrenzt, abgelehnt und „nicht einmal ignoriert“ zu werden. Das hat die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten beeindruckend bestätigt und so die Rolle des Menschen als Gemeinschafts- und Resonanzwesen in den Mittelpunkt ihres Interesses gestellt. „Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben“8, formuliert dazu der Arzt, Gehirnforscher und Psychotherapeut Joachim Bauer und beschreibt höchst anschaulich die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz:
„Wenn sich zwei exakt gestimmte Gitarren gegenüberstehen und die tiefe E-Saite der einen Gitarre stark angezupft wird, werden die von ihr ausgesandten Schallwellen auch die E-Saite der anderen Gitarre zum Klingen bringen. Ähnlich dazu können auch Menschen durch Mitmenschen mit Gefühlen ‚angesteckt‘ und verändert werden. Menschen verfügen über ein neuronales Resonanzsystem, das bereits bei Säuglingen in Funktion ist. Die Art, wie wir uns gegenseitig ansprechen und behandeln, führt im jeweils anderen Menschen zu einer Resonanz. Die Art, wie erwachsene Bezugspersonen auf den Säugling reagieren, hinterlässt im Säugling eine Spur; eine Botschaft, die ihm Auskunft darüber gibt, wer er ist. Die an ihn adressierten Botschaften addieren sich im Säugling und bilden den Kern seines Selbst.“9
Der Mensch als Resonanzwesen
Mit dem Wort Resonanz ist auch die Beziehungsfähigkeit des Menschen zur Welt vom ersten Augenblick seiner Zeugung im Mutterleib bis zu seinem letzten Atemzug gemeint. Der Mensch als „Resonanzwesen par excellence“ könnte auf sich alleingestellt nicht leben. Sein Dasein hat im Resonanzraum mit seiner Mutter im Mutterleib begonnen. Dort hat er ihren Pulsschlag gehört und gefühlt, wurde von ihrem Blutkreislauf durchströmt und konnte gar nicht anders als im gegenseitigen Reagieren die Wärme und das Strömen spüren, den Austausch, der ihm gezeigt hat, dass zu seinem Wesen, zu seiner Existenz das „Umschwebtsein“ gehört. Deshalb ist der Mensch von seiner Urerfahrung her gesehen nicht bloß Lebewesen, sondern vielmehr zunächst einmal im Urozean des Mutterleibes ein „Schwebewesen“10, dort getragen, beschützt und geborgen.
Seither hat er diese Erfahrung unauslöschlich in sich gespeichert und kann nicht vergessen, wie gut es tut, geschützt und geborgen zu sein, sich fallen zu lassen, getragen zu werden. Das Besondere an dieser ersten Weise des In-der-Welt-Seins ist sein In-der-Mutter-Sein, wo das Resonanzverhältnis zwischen Mutter und Kind zunächst in einer untrennbaren, bipolaren Einheit existiert. Diese erste und damit konstitutive Resonanzerfahrung hat im unaufhörlichen plazentavermittelten Blutaustausch zwischen Mutter und Kind stattgefunden. Von dieser untrennbaren Einheit von Mutter und Kind heißt es im jüdischen Mythos, dass der Embryo im Mutterleib noch um das All Bescheid wüsste, in der Geburt es dann vergesse.11 Eine innigere Art und Weise des Miteinanders ist nicht vorstellbar, auch nicht, dass sich im Lauf der Zeit daraus zwei getrennt voneinander lebende Individuen entwickeln werden.
Die zweite konstitutive Resonanzerfahrung betrifft die psychoakustische Initiation des Fötus in die mutterleibliche Klangwelt. Alles, was die Mutter hört und bewegt, hört und bewegt auch den Fötus. Das erste im Mutterleib voll ausgebildete Sinnesorgan des Embryos ist das Ohr, aber schon vor dessen Ausbildung ist ihm das Hören als ein In-Mitschwingung-versetzt-Werden im Mutterleib gegeben.12
Der Schock der Geburt: Atem und Berührung als Mittel der Resonanz mit der Welt
Weil das erste, alles entscheidende und grundlegende Resonanzverhältnis zwischen Mutter und Fötus der späteren Herausbildung jeglicher Trennung zwischen Subjekt und Welt vorausgeht, muss für ein Kind die Geburt und der damit einhergehende Verlust der organischen Verbindung zur Mutter über Nabelschnur, Blutkreislauf und Uterus einem „Resonanzschock“13 gleichkommen. Dort, wo es soeben noch warm, weich, dunkel und verbunden war, ist es plötzlich kalt, hart, hell und ganz anders. Der „Schwebezustand“ findet ein jähes Ende, das Neugeborene ist den Wirkungen der Schwerkraft und den harten, äußerlichen Flächen einer nicht sofort antwortenden und einer im Vergleich zum Mutterleib nichtelastischen Umwelt unmittelbar ausgesetzt.
An diesem Punkt nun wird die Haut zu einer konstitutiven und taktil erfahrbaren Grenze zwischen Innen und Außen und somit zu einem neuen Resonanzorgan. Die Haut als primäres Sinnesorgan des Kindes ermöglicht durch taktile Simulation zum einen das vitale Wachstum des Kindes, zum anderen seine seelische Entwicklung. Vermutlich noch vor der Entdeckung der Stimme als Resonanzorgan entwickelt und erfährt das Neugeborene eine neue Art von Weltbeziehung über den Hautkontakt mit der Mutter. Über die taktilen Empfindungen wird die Haut so zum ersten und wichtigsten Medium der passiven Welterfahrung und der aktiven Welterkundung. Die leibliche Berührung ist somit die erste Sprache, in der das Kind angesprochen und durch die sein Selbstempfinden geweckt wird.14
Über die Haut als neues Resonanzorgan hinaus entwickeln sich zwei weitere Arten und Weisen, in denen das Kind nach seiner Geburt in die Welt und mit ihr in Resonanz tritt: zum einen durch das Atmen und zum anderen durch das Aufnehmen und Ausscheiden von Nahrung. Durch Nahrungsaufnahme und Ausscheidung verleibt sich das Neugeborene diese seine neue Welt sozusagen ein, lässt sie durch seinen eigenen Leib „hindurchprozessieren“, nimmt sie in einem stetigen Austauschprozess auf und gibt sie wieder ab.
Ebenso atmet ein Neugeborenes zuvor schon diese seine neue Welt ein und aus und gibt dadurch seiner Umgebung das verlässlichste Zeichen seiner Lebendigkeit. „So, wie unsere Seele […] uns zusammenhält, umspannen Atem und Luft die ganze Welt“, schreibt der griechische Philosoph Anaximenes. Atmen versorgt nicht nur den Körper mit Sauerstoff, er verbindet unsere Innen- mit der Außenwelt. „Spirare“ – „atmen“ und „spiritus“ – „Geist“ sind im Lateinischen enge Verwandte. Ärzte sprechen von Inspiration und meinen damit die Einatmung; umgangssprachlich steht dieser Begriff aber für einen Geistesblitz, eine unerwartete Erkenntnis. Im Judentum nennt man den Atem „ruah“ – „Gotteswind“, im Koran steht der Begriff „nafs“ für die Seele des Menschen, für sein „Selbst“ und kommt dort 276 Mal vor. Dieses Wort ist wiederum verwandt mit dem hebräischen Wort „nephesh“/„nafas“ – „der Atem“. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich das deutsche Wort „Atem“ vom Hindi-Wort „atma“ ableitet, was so viel bedeutet wie „unzerstörbares Selbst“ und damit auch wie im Buddhismus, in der Bibel und im Koran für die Seele und das Selbst des Menschen steht.15 So wird noch besser verstehbar, warum der Atem in vielen Kulturen als Kennzeichen des Lebens und darüber hinaus als Essenz der Seele überhaupt gedeutet wird. In der jüdisch-christlichen Tradition ist das Einhauchen des Atems das Kernstück des göttlichen Schöpfungs- und Belebungsaktes: Der Verlust des Atems ist gleichbedeutend mit dem Tod des Menschen. Darüber hinaus ist der Atem zeitlebens ein verlässlicher Indikator dafür, wie es uns geht.
In der Gestalttherapie sind die Therapeuten deshalb angehalten, die Atemmuster ihrer Klienten zu beobachten. Entwickelt wurde diese Methode der Psychotherapie vom deutsch-jüdischen Ehepaar Fritz und Laura Perls nach deren Flucht vor den Nationalsozialisten. In ihrem 1951 mit Paul Goodman veröffentlichten Buch „Gestalttherapie“ schreiben sie: „Achten Sie während ihrer täglichen Aktivitäten, vor allem in besonderen Momenten darauf […], wie sie dazu tendieren, den Atem anzuhalten, anstatt tiefer zu atmen, wie die Situation es biologisch fordert. Was halten Sie zurück, indem Sie den Atem anhalten? Einen Aufschrei? Kreischen? Wegrennen? Zuschlagen? Erbrechen?“16
Die Vorstellung, dass der Atem nicht allein mir gehört, sondern etwas ist, was sich zwischen mir als Bewusstsein, dem Leib und der Welt abspielt, hat ihre Wurzel in dem Faktum, dass die Atmung letztlich nicht unserem Willen unterliegt: Wir können sie zwar für eine bestimmte Zeit anhalten oder beschleunigen, aber die Spielräume sind hier sehr begrenzt, dann sprechen wir davon, dass „es in uns atmet“. Der Unterschied in meiner Erfahrung, zwischen „mein Atem geht rasch oder ruhig“ und „ich atme rasch oder ruhig“, ist fließend und unscharf ebenso wie die Grenze zwischen der Luft als Bestandteil der äußeren Welt, die ich einatme, und meinem Atem, der in mir ist. Dies erklärt, warum das Atmen als gleichsam reinste Form der Beziehung zur Welt in westlichen wie östlichen Philosophien und Praktiken, etwa in Atemschulen, Achtsamkeitskursen, Techniken des sogenannten autogenen Trainings, aber natürlich auch im Zen-Buddhismus so hohe Aufmerksamkeit erfährt.17
Ein Wort von Rose Ausländer lautet: „Mein Atem heißt Jetzt!“ Der Atem ist seit jeher das Zeichen des lebendigen Inder-Welt-Seins und gleichzeitig des Mit-der-Welt-in-Verbindung-Stehens. Deshalb legen asiatische Meditationspraktiken wie indisches Yoga, chinesisches Tai-Chi oder Qigong den Schwerpunkt ihrer spirituellen Praxis auf die Atmung. Auch im Alten Ägypten und in Griechenland schätzen die Menschen die leiblich geistige Heilwirkung des Atems. 4000 Jahre alte ägyptische Grabinschriften berichten von der wundersamen Heilkunst des Atems. Menschen können also gar nicht anders, als miteinander in Resonanz zu treten. Um es mit dem markanten Satz von Martin Buber zu sagen: „Im Anfang ist die Beziehung. Der Mensch wird am Du zum Ich.“18
Die Stimme als vokale Nabelschnur
Neben der Haut, dem Atem, der Nahrungsaufnahme und der Ausscheidung ereignet sich eine weitere Grundbewegung einer Weltbeziehung, die sich des Atems und des Kehlkopfs bedient, um die Stimme des Menschen als „Fingerabdruck seiner Seele“ hörbar zu machen. Mit ihr tritt ein Mensch mit der Welt in Verbindung und lädt diese zum Antworten ein. Eine Variante jüdischer Tradition sieht deshalb im Kehlkopf den Sitz der menschlichen Seele; seine vornehmste Aufgabe besteht demnach darin, ihr eine Stimme zu geben und dabei darauf zu achten, dass beim Sprechen die Grundmelodie stimmt, der Ton hinter den Worten und zwischen den Zeilen dem Gesagten nicht entgegensteht. So betrachtet, dürfen wir die Stimme eines Menschen als „hörbar gemachte Atmung“ verstehen, sie im besten Sinne des Wortes als ein hauchendes, ein „spirituelles“ (lat. „spirare“ – atmen) Geschehen verstehen und „Spiritualität“ – jenes verletzliche und oft viel zu schnell verstandene und von allen möglichen Gruppen vereinnahmte Wort – als Hilferuf begreifen, in dieser (kalten) Welt nicht allein gelassen zu werden.
Als so verstandenen Ausdruck des Seelischen führt die Stimme den Menschen immer zu sich selbst und gleichzeitig über sich selbst hinaus. Wie der Körper die Luft zum Atmen braucht, braucht die Seele, um durch und durch lebendig zu bleiben, die „Ekstase“, das Aus-sich-Herausgehen, die Mit-Teilung, die Möglichkeit und Fähigkeit, sich anderen mitzuteilen und an deren Leben teilzuhaben.
In der menschlichen Entwicklung macht das Kind die elementare Erfahrung, dass es über ein Organ verfügt, durch dessen Gebrauch es eine Wirkung in der Welt hervorruft. Nach und nach lernt es, diese Wirkung als eine Antwort zu verstehen, die nicht mechanisch nach dem Ursache-Wirkung-Schema erfolgt, sondern in aller Regel einen entgegenkommenden Charakter trägt. Seine Stimme lockt die Mutter herbei und führt zu liebevoller Berührung, zu Streicheln, Körperkontakt und vor allem auch Nahrung. „Die Stimme sichert die Entbehrlichkeit der Blutgemeinschaft, sofern sie die Herbeirufbarkeit von Milch bedeutet. Draußensein heißt Rufenkönnen. Ich rufe, also bin ich. Dasein bedeutet von diesem Moment an im Erfolgsraum der eigenen Stimme existieren“, formuliert Peter Sloterdijk und vermutet in diesem Zusammenhang den Ursprung menschlicher Sprach- und Symbolfähigkeit: „So setzt die Symbolgenese wie auch die Ichbildung durch Stimmbildung ein; mit gutem Recht haben Thomas Macho und andere der Stimme, die zum Ohr der Mutter führt, Eigenschaften einer vokalen Nabelschnur zugeschrieben.“19
Der deutsche Philosoph Bernhard Waldenfels (geb. 1934) erkennt in der leiblichen Resonanzfähigkeit, welche die Stimme des anderen im eigenen Leib mittönen lässt (und umgekehrt), eine Voraussetzung dafür, dass die Stimme zu einem „Antwortregister“ werden kann. So wird der innere Zusammenhang von Stimme und Stimmung deutlicher und das Hören der fremden Stimme im Hörenden bewirkt ein schweigendes Mittönen der gehörten Stimme. Diesen Resonanzeffekt erleben Menschen auch, wenn sie ihre eigene Stimme auf Tonträgern hören. Beim Sprechen oder Singen hören sie sich selbst mit dem inneren und dem äußeren Ohr, während sie ihre eigene Stimme auf Tonträgern nur von außen hören, was einige Menschen irritiert und verunsichert. Diese Verdoppelung der Wahrnehmung ist ein wesentliches Merkmal der menschlichen Stimme und die von der Stimme gestifteten Resonanzbeziehungen erweisen sich wiederum als doppelseitig zwischen Leib und Seele einerseits und zwischen Subjekt und Welt andererseits. Beide Male treten hier physische und symbolische Resonanzen miteinander in Wechselwirkung. „Nimmt man an, dass der ganze Kosmos beseelt ist, so kann die Seele auf gewisse Weise in alles einstimmen, so wie in der grauen Vorzeit laut Platon Menschen mit Tieren redeten und sogar philosophierten.“20
Nirgendwo sonst lässt sich dies so unmittelbar erfahren wie beim gemeinsamen Singen, und vermutlich liegt eben hierin die anhaltende Attraktivität des Chorsingens. Wer sich daran beteiligt, erfährt in den gelingenden Momenten eine „Tiefenresonanz“ zwischen seinem Körper und seiner mentalen Befindlichkeit zum Ersten, zwischen sich und den Mitsingenden zum Zweiten sowie die Ausbildung eines kollektiv geteilten physischen Resonanzraumes (in der Kirche oder im Konzertsaal etc.) zum Dritten. Die aus der Steiermark stammende und in Wien lebende Sängerin und Gesangslehrerin Eva Campbell-Haidl hat diesem Resonanzthema einen Kanon gewidmet, dessen Textinhalt der dreistimmigen Melodie um nichts nachsteht: „I sing mit dir, wal i des wü, kana alan kummt zu so an G’füh.“ („Ich singe mit dir, weil ich das will, niemand kommt alleine zu so einem Gefühl.“)21
Wie lernt der Mensch das Kommunizieren?
„Jemanden nicht einmal zu ignorieren“, bedeutet im Wienerischen, was die Römer mit „damnatio memoriae“ zum Ausdruck bringen wollten: Einen Menschen links liegen zu lassen, ihn aus dem Gedächtnis zu streichen, so zu tun, als gäbe es ihn nicht. Das geht im Grunde aber nicht. Paul Watzlawick hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Mensch als geborenes Resonanzwesen nicht nicht kommunizieren kann. So gesehen ist der Satz, „jemanden nicht einmal zu ignorieren“ in seiner doppelten Verneinung im Grunde die Bestätigung dafür. Besser kann einem anderen Menschen gar nicht vermittelt werden, wie sehr jemand unter der Existenz eines „nicht einmal ignorierten“ Menschen zu leiden hat …
Es ist schwer zu sagen, wann die emotionale Beziehung zwischen einem Baby und seinen Eltern sprachlich beginnt. Aufgrund neurobiologischer Erkenntnisse ist die Pränatalpsychologie mittlerweile überzeugt davon, dass dieses Lernen schon im Mutterleib beginnt und dort durch das Hören als ein In-Mitschwingung-versetzt-Werden grundgelegt wird. Der Embryo reagiert darauf, wie gelassen oder unruhig seine Mutter ist. Darüber hinaus ist aber natürlich die Zeit direkt nach der Geburt, wenn die Mutter ihr Baby stillt und beide Eltern es wiegen und beruhigen, von zentraler Bedeutung. Was alle Betroffenen besonders beglückt, ist jener magische Moment einige Wochen nach der Geburt, wenn das Baby Vater und Mutter mit einem ersten „echten“ Lächeln beglückt. Dieses Glücksgefühl ist der Ausgangspunkt einer ganz individuellen Sprache zwischen Eltern und Kind.
Im Alter von ungefähr drei Monaten ereignet sich darüber hinaus etwas Entscheidendes: Dann nämlich beginnt das Baby in der Regel, sich für die zielgerichtete Interaktion mit seiner Umwelt zu interessieren. Die Entwicklungspsychologie spricht davon, dass die Augen des Säuglings „aufleuchten“. Zum ersten Mal scheint er seine Eltern wirklich anzusehen und ihren Blick festzuhalten. So klein ein Baby in diesem Alter auch ist, es lernt durch Beobachtung und Imitation ungeheuer viel darüber, wie man Emotionen entschlüsselt und ausdrückt. Aufnahmebereite und aufmerksame Eltern können also schon zu diesem frühen Zeitpunkt aktiv in den Prozess des Trainings kindlicher Emotion eintreten.
Meist bemühen sich die Eltern intensiv, bei dieser frühen Kommunikation emotionaler Inhalte die Aufmerksamkeit ihres Babys zu wecken und aufrechtzuerhalten. Sie benutzen oft spezielle Sprachmuster: Dabei werden mit hoher Stimme langsam immer wieder dieselben Worte oder Sätze gesprochen, begleitet von stark ausgeprägtem Mienenspiel. Diese „Babysprache“ wirkt. Denn wenn der Säugling seine Eltern so reden hört und sieht, wendet er ihnen den Kopf zu und seine Aufmerksamkeit steigt.
Die meisten Eltern führen auch nonverbale „Gespräche“ mit ihrem Kind, wobei die beiden Gesprächspartner sich abwechseln: Hebt etwa die Mutter ihre Augenbrauen, tut das auch das Baby. Streckt das Baby seine Zunge heraus, tut die Mutter dasselbe. Babys sind von solchen Nachahmungsspielen entzückt. Diese auf Nachahmung beruhenden „Gespräche“ sind deshalb so wichtig, weil sie ihm mitteilen, dass seine Eltern intensiv auf seine Äußerungen achten und auf seine Gefühle reagieren. Daraus ergibt sich die erste Erfahrung des Säuglings, von einem anderen Menschen verstanden zu werden, und jede weitere Erfahrung in dieser Richtung fördert die emotionale Kommunikation. Babys schreien und strampeln und teilen auf diese Weise mit, was in ihnen vorgeht und was sie sich wünschen. Erwachsene antworten darauf, indem sie mit dem Kind „sprechen“, indem sie es wiegen, streicheln, sprachlich beruhigen. Dabei lernt das Kind, welche Bedeutung Mimik und Gestik haben.
In diesem Lernprozess bildet jeder Mensch seine individuelle Art heraus, wie er spricht, welchen Klang seine Stimme bekommt und in welchem Grundton er kommuniziert. Alles, was wir auf diese Weise in Kindertagen erlernt haben, praktizieren wir lebenslang und unverwechselbar. Wir können so Erlerntes nicht vergessen, die Erinnerung daran scheidet zwar aus unserem Bewusstsein aus, im Unbewussten aber lebt sie fort, bleibt dort so lebendig, dass alles, was wir tun, aus diesem unbewussten Erinnerungsschatz gespeist wird. Wir gehen, wie wir es damals gelernt haben, wir essen, wir sprechen, wir empfinden in der Art, wie wir es damals taten.22
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