Kitabı oku: «Ein Mosaiksteinchen des Hintergrundes», sayfa 10
Ich sah, daß alle Offiziere in Salonhosen und leichten Blusen herumgingen. Ich erfragte die Adresse des Ladens in Abbazia und fuhr gleich am Nachmittag hin, fand auch gleich das Passende, ohne daß eine Änderung nötig gewesen wäre. Ich zahlte – hatte ich doch, durch Monate von meiner Gage und Feldzulage auch nur einen Heller auszugeben, keine Gelegenheit gehabt, war also mit Geld gut versehen. Dann besorgte ich mir noch ein Paar leichte Schuhe. Das Ganze holte am gleichen Tage Lechner Franzl ab.
So konnte ich am nächsten Morgen – nein ich konnte nicht! – an den Strand gehen, denn ich hatte eine Badehose vergessen und ein FKK gab es damals noch nicht, überdies waren am Strand auch Mädchen. Einesteils einige Einheimische, dann aber auch freiwillige Rote-Kreuz-Schwestern, die Erholungsurlaub hatten und separat in einer Villa unter strenger Bewachung wohnten. Auch wir unterlagen einer streng einzuhaltenden Disziplin. So mußten wir um zehn Uhr abends auf unseren Zimmern sein – auf keinen Fall die Nacht außerhalb verbringen. Die Ordonnanzen hatten Befehl jeden Sünder sofort zu melden. Da half mir zum ersten Mal Langer aus. Da er vormittags Dienst hatte, borgte er mir seine Badehose. So konnte ich doch an den Strand gehen, wo ich durch Vermittlung meines Zimmergenossen einige der Schwestern kennenlernte. Besonders die eine, Berta, Tochter eines Obersten, gefiel mir ausnehmend. Störend war nur, daß ein anderer, einige Jahre älterer Mann, sie umwarb. Seine Charge konnte ich in der Badehose nicht erkennen. Wie ich später feststellte, war er Hauptmann der Deutschmeister – ein Elite-Infanterieregiment.
Am Nachmittag wollte ich nach Abbazia hineinfahren, die Badehose besorgen und mich auch sonst dort umsehen. Die Schwester Berta war bereit, mich zu begleiten, bei der Auswahl der Hose behilflich zu sein und nachher, mit mir zusammen in einem Gartenkaffee ein Eis zu essen. Der Hauptmann spie aus seinen Augen giftige Hochspannungsblitze.
So fing es an. Die Fortsetzung waren meist Spaziergänge an den Nachmittagen hinaus ins Freie – meist hinter den stillen Friedhof mit seinen schwarzen Zypressen, wo sich fast nie eine Menschenseele zeigte. Viel mehr, als küssen konnten wir uns da nicht. Wenn wir auch an der Front Brom ins Essen bekamen und wahrscheinlich hier auch, so war ich nach Liebe ausgehungert, wie die Löwen, ehe sie in die Arena gelassen wurden, um Christen zu verspeisen. So versprach mir Berta, sobald ihr Urlaub abgelaufen sein werde, schon am Nachmittag des Vortages nach Matulje zu fahren, wo wir zusammen dann übernachten würden. Das durfte ich zwar nicht, ich verließ mich jedoch auf meinen guten Stern, meinen diskreten Schlafkameraden und auf meine Protektion.
Nach einer Woche war es so weit. Nachdem ich Berta am Morgen zum Zug begleitet hatte – Gott! hatte sie Augenringe – und der Zug meinen Blicken entschwunden war, fuhr ich in der kühlen Morgenluft nach Lovrano zurück.
Mein guter Stern ließ mich im Stich. Wem mußte ich ausgerechnet in die Arme laufen, als ich gähnend die Straßenbahn verließ? Meinem Rivalen, dem Hauptmann! »Na, du scheinst ja heute nicht viel geschlafen zu haben«, sagte er nur, als ich ihn stramm salutierend grüßte. Der Schuft geht jetzt direkt zum Alten mich anzeigen, dachte ich mir. Nein, er war viel raffinierter. Er ging zur Ordonnanz der Villa, in der ich wohnte und fragte diese, wann ich gestern abends nach Hause gekommen sei. Da nützte nichts. Wollte der Mann nicht riskieren, seine Stelle zu verlieren und an die Front zu gehen, mußte er melden, daß ich die Nacht nicht zu Hause geschlafen hatte. Als ich zum Frühstück kam, sah ich – wie erwartet – mich auf der schwarzen Tafel stehen. Das bedeutete, daß ich um neun Uhr beim Rapport zu erscheinen hatte.
»Wo waren Sie heute nacht, Herr Leutnant?«, empfing mich Oberstabsarzt Sternschuß.
»Ich bedaure, die Antwort verweigern zu müssen!«
Ich hatte den Eindruck, ein belustigtes Aufleuchten in seinen strengen Augen wahrnehmen zu können.
»Waren Sie heute Nacht zu Hause?«
»Nein!«
»Vierzehn Tage Stationsarrest«, und dann fügte er hinzu, »Ich will dir ihn erleichtern, das heißt, daß du nicht nach Abbazia fahren und ins Kino gehen darfst. An der Offizierstafel darfst du jedoch essen – auch ins Kaffeehaus hier in Lovrano gehen.«
Damit war ich entlassen.
Hätte er mich nicht weiter an der gemeinsamen Tafel essen lassen, hätte er mir weitere vierzehn Tage Stationsarrest erspart.
Das kam so: beiläufig eine Woche später fing ich die Bemerkung »feiges Judenpack« eines Ulanenoberleutnants schräg gegenüber auf. Das war nicht nur eine bodenlose Gemeinheit, sondern auch noch eine nicht zu überbietende Dummheit. Ich stand auf und gefolgt von den Blicken aller in der Nähe sitzenden Offiziere ging ich langsam um die Tafel herum, verabreichte dem Kerl eine schallende Ohrfeige, wartete einen Moment und ging dann wieder auf meinen Platz zurück. Es gab einen nicht geringen Wirbel. Sternschuß bestellte uns beide zum Rapport, der Ulane schickte mir seine Sekundanten. Ich bekam einen Zuschuß zu meinem Zimmerarrest von weiteren vierzehn Tagen, der Oberleutnant ging am nächsten Tag an die Front zurück.
Vorher wurde noch ein Duell auf Pistolen – auszutragen nach dem Krieg – vereinbart. Ich habe von dem Mann nie mehr etwas gehört. Vielleicht ist er gefallen – vielleicht hat er es vorgezogen, zu vergessen, daß er mich totzuschießen habe. Möglicherweise ist auch eine Nazigröße aus ihm geworden und hatte er keine Zeit sich mit solchen Kleinigkeiten, wie einem einzelnen Juden, abzugeben.
Einige Tage später ließ mich Oberleutnant Langer rufen. »Ich habe da so eine dumme Zuschrift von deiner Brigade bekommen, daß du dringend benötigt werdest. Wir sollen ihnen mitteilen, wann du wieder einrücken wirst.«
»Schreib ihnen, daß ich noch sechzehn Tage Stationsarrest abzusitzen habe und daher nicht kommen könne – und nachher auch nicht, da ich bei der Ersatzbatterie in Wien ebenfalls dringendst benötigt werde.«
»Mach keine dummen Witze – die Sache ist ernst.«
»Nun ich glaube, daß Sternschuß der Einzige ist, der bestimmen kann, ob ich fronttauglich bin oder nicht. Schreib, daß nicht daran zu denken ist, daß ich bei meinem Nervenzustand in absehbarer Zeit wieder an die Front könnte.«
Er versprach zu machen, was er könne. Ich zweifelte nicht an seinem Erfolg – und hatte recht.
So war es Ende September geworden und es nahte sich der Augenblick, der entscheiden sollte, ob ich zurück zu meiner Batterie an die Front gehen würde oder – was ich hoffte – zu meiner Ersatzbatterie in Wien. Da kam eine zweite Anfrage von der Brigade! Nun lag die Entscheidung bei Sternschuß. Wie ich begriff, würde diese neue Anfrage es wesentlich erschweren, mich dem Heldentod vorzuenthalten.
Ich mußte also kämpfen – und zwar hier! Ich wurde wieder einmal zum Rapport bestellt. Diesmal sollte ich keinen Stationsarrest ausfassen – leider – sondern die Entscheidung über mein weiteres Schicksal erfahren.
Der Empfang war nicht günstig. Der Oberstabsarzt empfing mich mit dem Dienstzettel von der Brigade in der Hand: »Es tut mir leid Herr Leutnant, aber ich muß dem Wunsch der Brigade entsprechen!«
»Herr Oberstabsarzt, ich bitte zu bedenken, daß der Brigade nicht damit gedient wäre, wenn ich dort einrücken würde und nach wenigen Tagen wieder ins Krankenhaus abgehen müßte.«
»Na ja – aber was soll ich machen? Wenn sie dich unbedingt haben wollen!«
Damit war ich entlassen. War wirklich nichts mehr zu machen?
Der Sanitäter rief: »Der Nächste der Herren bitte.«
Der Nächste, der zur Verwunderung von Sternschuß und Langer hereinkam, war ich. »Was willst du noch?«
»Herr Oberstabsarzt ich habe es mir überlegt. Herr Oberstabsarzt sind der Einzige, der beurteilen kann, ob ich fronttauglich bin; daher können auch allein Herr Oberstabsarzt entscheiden, ob ich an die Front zurückkehren kann oder weiter nach Wien soll, um mich da der Superarbitrierungskommission zu stellen. Es wäre ein Eingriff des Brigadekommandos in die Kompetenz des Herrn Oberstabsarztes, da mitentscheiden zu wollen. Herr Oberstabsarzt wissen bestimmt, daß ich nicht in meinem derzeitigen Zustand an die Front könne und würden eine solche Entscheidung sicher auch nicht – nicht einmal vor sich selbst – (das war so eine sanfte Anspielung auf meinen Onkel Generalstabsarzt) verantworten können.«
Sternschuß verstand es. War wohl auch über meine Frechheit etwas belustigt. Er drehte sich zu Langer um. Dieser lächelte und nickte. Auch Sternschuß lächelte und nickte: »Du kannst gehen!« Langer zwinkerte mir zu. Doch erst nach über einer ewigen Stunde, ehe Langer endlich nach dem Rapport zu sprechen war, wurde mir die freudige Bestätigung meiner Annahme zuteil.
Ich fuhr nach Wien – respektive sollte am nächsten Tag fahren. Ich erhielt die Papiere und mit mir auch Lechner Franzl. Dieser packte eifrig und freudig.
Als ich mich am nächsten Morgen von meinen neuen Bekannten und vor allem von Langer verabschieden und Sternschuß danken wollte, sagte mir der Erstere: »Ich muß dir einen Tropfen Essig in deine Freude träufeln – ab heute sind beide Transporte in beiden Richtungen eingestellt – nicht einmal Post und das Geld für die Gagen ist angekommen. Ich weiß nicht, wie lange das dauern kann. Scheinbar bereitet sich etwas Großes an der Front vor.«
Ich erschrak: »Und was ist, wenn noch eine Anfrage meinetwegen von der Brigade kommt?«
»Erstens kann keine kommen, wenn die Post nicht geht – und wenn etwas kommen sollte, so antworte ich, daß du schon zur Ersatzbatterie aus Gesundheitsgründen abgegangen bist. Halte dich aber bereit, damit du in dem Moment, wenn eine Möglichkeit besteht, sofort verschwindest!«
Darauf schickte ich Lechner Franzl los auf Feldwache, auszuspähen, wann der erste Zug wieder abgehen würde.
Da zeigte es sich zum ersten Mal, was für einen guten Fang ich mit ihm gemacht hatte: »Herr Leutnant ich würde mir erlauben vorzuschlagen, daß ich nach Fiume fahre. Wenn nämlich, wie ich gehorsamst glaube, die Züge wieder gehen werden, wird so ein Gedränge sein, daß wir in Matulje nicht mehr in den Zug hineinkommen. Ich fahre mit dem Schiff hinüber und werde auszukundschaften, wie die Sache aussieht.«
Ich konnte ihm nur recht geben und bewunderte seinen gesunden Menschenverstand. Am Abend kam er zurück: »Herr Leutnant, melde gehorsamst, Herr Leutnant können sich gar nicht vorstellen, was los ist! Ein Zug nach dem anderen geht in Richtung zur Front – lauter Munition und Kanonen und Mannschaft!«
Also bekam Lechner Franzl Befehl täglich am Morgen die circa halbstündige Dampferfahrt nach Fiume anzutreten und abends Bericht zu erstatten. So verging ein Tag nach dem anderen und ich wurde immer nervöser. Ebenso meine Kameraden, die in der gleichen Lage waren wie ich und deren Zahl ständig wuchs. Ich hatte schon Schulden an allen Ecken und Enden.
Mitte Oktober kam endlich wenigstens die Post mit den Gagen. Ein leichter Hoffnungsschimmer, daß wir bald würden fahren können, war getrübt durch die Befürchtung, daß nun auch von der Brigade, wieder eine Urgenz kommen könnte. Endlich eines Abends kam Lechner Franzl aufgeregt nach Hause, daß er von einem Eisenbahner, mit dem er sich angefreundet hatte, erfahren habe, daß in Fiume ein Zug zusammengestellt werde – ganz hinten auf einem Nebengeleise, der vielleicht schon morgen abfahren würde.
Wir erreichten, das Gepäck gemeinsam schleppend, was Lechner Franzl schrecklich aufregte, den letzten Dampfer nach Fiume und dort auf dem Bahnhof schon bei Dunkelheit, den Zug. Nur mit Müh’ und Not bekam ich einen Platz in einem Wagen II. Klasse, während Franzl mit dem Gepäck in einem Viehwagen unterkam. In Matulje hingen die Soldaten bereits wie Trauben auf den Trittbrettern, in Laibach hielt der Zug vorsichtshalber nur draußen auf einem Abstellgeleis, da dort hunderte von Soldaten und Offizieren auf den Abtransport ins Hinterland warteten. Bis Wien konnte der Zug niemanden mehr aufnehmen. Wir fuhren drei Tage in derart überfüllten Abteilen, daß es ausgeschlossen war, die Aborte zu erreichen. Zwischen den Sitzen standen Offiziere. Wir lösten einander ab. Wenn einer »mußte«, so entstand ein Herumgeschiebe, solange bis der Betreffende das heruntergelassene Fenster erreicht hatte. Auch mit Lebensmitteln halfen wir einander aus, so gut wir konnten. Wie es Lechner Franzl zuwegebrachte, daß er in einzelnen Stationen bis zu meinem Wagen auf dem Bahnsteig vordrang, um mir aus unseren Vorräten etwas zu bringen, und dann wieder in seinem Wagen unterkam, war mir ein Rätsel. In Wien verriet er mir dann seinen Trick. Er gab sich als Pfeifendeckel eines Obersten aus, worauf ihm ein Kamerad bereitwillig bei der Tür einen Platz freihielt.
Erschöpft kam ich endlich in Wien an. Ich fuhr ins Grand-Hotel, wo mein Vater immer abzusteigen pflegte. Der Direktor erkannte mich und begrüßte mich sehr entgegenkommend, gab mir auch sofort ein gutes Zimmer, wo ich solange bleiben wollte, bis ich irgendwo privat etwas Geeignetes gefunden hätte. Ich war fest entschlossen, bis zum Kriegsende in Wien zu bleiben.
Es war der 25. Oktober und ich erfuhr den Grund unserer unfreiwilligen Gefangenschaft im Lovrano: die große österreichisch-deutsche Offensive mit ihrem Durchbruch bei Tolmein hatte begonnen. Doch ich mußte ja nicht überall dabeisein und war ganz zufrieden, daß ich statt dessen in Wien war.
Finis Austriae
In Wien angekommen schickte ich zuerst Lechner Franzl in die Strohgasse zu Langendorfs, meine ganze Pracht an Uniformen zu holen. Dann sollte er nach Hause fahren, um seine Familie zu begrüßen. Ganz aus Eigenem besorgte er die notwendigen Sternchen, nahm meine ganze Ausstattung mit und ließ sie von seiner Frau vom Fähnrich zum Leutnant avancieren.
Ich fuhr unterdessen nach Kaiser-Ebersdorf in die Kaserne, um mein Einrücken zu melden. Als ich den Kasernenhof überquerte, hatte ich Herzklopfen. Wie sollte ich mich benehmen? Forsch? Oder kränklich und schwach?
Ich wählte den Mittelweg: Stramm aber mit meinem Trick mit dem Tic.
Von da an »ticte« ich, wo und wann immer ich mit Offizieren meiner Batterie oder irgendwelchen Dienststellen in Berührung kam. Allerdings mußte ich darauf achten, daß diese Kontakte sich nicht allzu lange hinzogen oder ich wenigstens für einige Minuten verschwinden konnte, denn nach einer halben Stunde waren die betreffenden Muskeln derart ermüdet, daß ich einen erstklassigen Tic nicht mehr fertigbrachte.
Ich betrat die Kommandantur meines Regimentes. Da saßen an zwei einander gegenüberstehenden Schreibtischen ein Hauptmann und ein Oberleutnant. Der Hauptmann sah recht freundlich aus. Ich kannte ihn bisher ebensowenig wie den Oberleutnant. Dieser war der richtige Typ eines Bonvivant, etwas rundlich, mit schütterem Haar und lustigen Äuglein.
Nach meiner Meldung schaute Hauptmann Brink den Oberleutnant Fuchs hilflos an. »Was soll ich mit dem Leutnant Schück machen? Ich hab’ doch keine Einteilung für ihn.« Fuchs überlegte ein Weilchen, dann sagte er: »Teil ihn mir als Stellvertreter zu.« Der Hauptmann brach in ein Gelächter aus. Es klang wie das Brüllen eines Löwen, der einem Beagle begegnete. Ich sah zuerst verständnislos den Hauptmann an, dann blickte ich fragend zu Fuchs hinüber. Der sagte nur: »Komm, ich werde dich in deine Obliegenheiten einführen.«
Ich schlug vor Brink die Fersen zusammen und folgte ihm. Oberleutnant Fuchs war, wie er mir später einmal erzählte, in Zivil Holzhändler in Alexandria, hatte seine Beziehungen und echte ägyptische Zigaretten – die nebenbei gesagt recht scheußlich schmeckten, aber billig waren – in jedem Quantum zur Verfügung. Sie waren ein hervorragendes Tauschobjekt für Lebensmittel und für Lechner Franzl der Schlüssel, der ihm die Türen zu allen Theater- und Konzertkassen öffnete, bei denen er für mich ständig Schlange stand – respektive eben nicht stand!
Auf meinen fragenden Blick verriet mir Fuchs endlich das Geheimnis, das den Hauptmann Brink so erheitert hatte. »Also – damit du es verstehst, wir haben für den ganzen Kasernenkomplex einen Offizial als Verpflegungsoffizier. Der macht seine Sache hervorragend. Wo der immer all den Fraß auftreibt, ist mir ein Rätsel. Jedenfalls klappt alles immer tadellos. Dieser hat nun bei jeder Ersatzbatterie einen Stellvertreter, der nichts – aber schon gar nichts – zu tun hat. Bei unserer Batterie bin dieser Proviantoffizierstellvertreter ich. Nun bist du mein Stellvertreter – oder sagen wir, damit das Kind auch seinen Namen hat, mein Substitut. Du wirst mir also helfen – nichts zu tun! Verstanden?« Nun lachten wir beide.
Es war nicht leicht beim Lachen meinen Tic zu erzeugen.
»Da du so nett warst, mir diesen nicht allzu anstrengenden Posten zu verschaffen, so will ich mich auch revanchieren.«
Als er meine Frage, ob er auch die Offiziersmesse* unter sich habe, bejaht hatte, fügte ich hinzu: »Du wirst mir jede Woche am Freitag einen Dienstzettel für eine Fahrt nach Prag und zurück ausstellen lassen. Ich werde diese »Dienstreise« Freitag abends antreten und Montag am Morgen – sagen wir lieber vormittags – fünf Kilo feinstes doppelgriffiges Weizenmehl für die Offiziersmesse abliefern.«
»Wie willst du das machen?« Nun erklärte ich ihm meine Stellung in Prag. Er strahlte. So war die Angelegenheit meiner Einteilung zu aller Zufriedenheit gelöst. Ich war Proviantoffizierstellvertretersubstitut, was es eigentlich gar nicht gab!
Ich war mein Freiherr und kam nur zweimal wöchentlich in die Kaserne: Am Freitag und dann wieder am Montag, vormittags. Nach dem Mittagessen, das ich an diesen beiden Tagen in der Offiziersmesse einnahm – schon wegen des Kontaktes mit den anderen Offizieren und vor allem dem Kommandanten und Fuchs –, fuhr ich gleich wieder nach Wien zurück.
Natürlich rief ich sofort nach meiner Rückkehr aus der Kaserne Elsa an. Es war mir bereits aufgefallen, daß ich in der letzten Zeit an der Front von ihr nur recht spärlich Post erhalten hatte. Auch hatte ich das Gefühl, daß ihre Briefe irgendwie nichtssagend und schablonenhaft waren. Dann kam allerdings die Postsperre, in der ich überhaupt keine Nachricht erhalten konnte. So war ich recht unruhig und voller Vorahnungen. Am Telephon hatte ich das Empfinden, daß sie überrascht war, mich in Wien zu wissen. Sie war zwar liebenswürdig, jedoch irgendwie zurückhaltend. Es verstimmte mich, als sie mit Bedauern erklärte, am nächsten Tag keine Zeit zu haben – das war noch nie vorgekommen – und mich bat, am übernächsten Tag den Kaffee mit ihr einzunehmen. Da sagte sie mir dann, daß ihr Hausfreund, der seit langem in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen war, nun vor einigen Wochen als Austauschgefangener zurückgekehrt sei. In Zukunft könne sie daher nur meine Cousine und gute Freundin sein. Ich war also ein Lückenbüßer gewesen (wobei allerdings der Ausdruck »Büßer« inhaltlich nicht ganz zutreffend ist). Elsa war eben eine gute, anständige Frau, die ihrem Hausfreund treu geblieben war. Es war wohl mehr verletzte Eitelkeit als Liebe, was mich aufrührte. Ich brauchte einige Wochen, um mein Gleichgewicht wieder zu gewinnen. So endete diese Episode.
Gleich am ersten Abend nach meiner Vereinbarung mit Fuchs, hatte ich zu Hause angerufen. Meine Eltern hatten bereits gewußt, daß ich in Lovrana gewesen war. Nun sollten sie auch wissen, daß ich glücklich in Wien angelangt sei, und daß ich am Samstag früh nach Prag kommen würde. Wie ich das regelmäßige Weekend erzielt hatte, teilte ich ihnen vorsichtshalber nur schriftlich mit.
Infolge der Postsperre an der Südfront erfuhr ich jetzt in Wien, daß in Rußland seit der zweiten Septemberhälfte eine neue Revolution tobte. Ich verfolgte die Ereignisse mit großem Interesse und mit Sympathie. Allerdings waren die Nachrichten, die nach dem Westen gelangten, recht spärlich und widersprechend.
Die Offiziere in der Messe diskutierten eifrig über die Lage und waren ebenso optimistisch, wie alle meine Freunde – und auch ich selber. Es war die allgemeine Ansicht, daß – da nun bald die Kräfte an der russischen Front frei werden würden – der Krieg so gut wie gewonnen sei. Welcher Laie wußte schon, daß den Krieg nicht nur die Fähigkeit einzelner Heerführer entscheide, sondern vor allem auch die Möglichkeit des Einsatzes von Massen an Material und dessen Qualität.
Wie erschöpft die Mittelmächte in dieser Hinsicht waren, ahnte niemand. Wir merkten nur den Mangel an Lebensmitteln, der allerdings ebenfalls begann, katastrophale Ausmaße anzunehmen. Der Eintritt der Vereinigten Staaten war entscheidend und wog den Ausfall Rußlands mehr als auf.
Zum Unterschied von meinen Kameraden interessierten mich die Ereignisse in Rußland nicht nur vom strategischen Standpunkt aus. Meine Neugier – ich war immer schon sehr neugierig gewesen – galt vor allem den sozialen Problemen. Ich hatte viel von dem großen Elend der Muschiks* gehört. Ich sympathisierte mit den Roten und bewunderte Lenin. Ich war jung und ein Idealist. Ich stellte mir vor, daß durch eine Aufteilung des Grundbesitzes und Beteiligung der Arbeiter an den Produktionsmitteln, das Problem von Not und Elend einfach zu lösen wäre. Ich trompetete diese meine Ansichten wohlweislich in den Offizierskreisen nicht laut heraus. Ich las jedoch neben der »Freien Presse« auch täglich die »Arbeiterzeitung« – und dies sogar ganz offen in der Bahn auf meiner Fahrt in die Kaserne.
Als einmal ein Korporal mit Verwunderung laut ausrief: »Nein so was! Da Herr Lajnant tät d Arbeitazeitung lesa!« Antwortete ich ihm ruhig: »Warum denn nicht? Sie ist doch eine der Besten!« Das sprach sich unter den Leuten herum und bald galt ich unter der Mannschaft als der »rote Leutnant«.
Meine Begeisterung und mein Interesse gingen so weit, daß ich ein Inserat in die Zeitung einrücken ließ, daß ich einen gebürtigen Russen zwecks Stunden in dieser Sprache suche. Unter den recht spärlichen Antworten suchte ich mir einen schmächtigen, blassen Mann mit Brille, so um die dreißig Jahre alt, aus, der mir genügend intelligent aussah. Ich war ein fleißiger Schüler. Das erste Mal in meinem Leben.
Je zahlreicher und präziser jedoch seit 1918 die Nachrichten kamen, je gräßlicher die Meldungen über das Massenmorden unschuldiger Bürger, vom Sterben von Millionen von Bauern vor allem im Wolgagebiet infolge des Versagens der herrschenden Funktionäre, umso rascher kühlte mein Enthusiasmus ab, bis er dann viel später nach den Moskauer Schauprozessen ins Gegenteil umschlug. Das, was da unter der Fahne von Karl Marx praktiziert wurde, war überhaupt keine Demokratie. Das war Staatskapitalismus, der – selbst wenn er von noch so fähigen Persönlichkeiten in den einzelnen Fachbereichen geleitet worden wäre – eine Diktatur darstellte, mit einem Riesenaufgebot von Polizei, Geheimpolizei und Spitzeln, vergleichbar nur mit den extremsten faschistischen Regimen.
Der einzelne Mensch – sowohl der manuell als auch der geistig arbeitende vor allem – hatte so gut wie keine Rechte und Freiheiten, ja kaum ein Privatleben. Der materielle Ertrag seiner Arbeit lag tief unter dem, den er bei gleicher Leistung in einem demokratisch geführten Staat – bei all seinen Mängeln und Unvollkommenheiten – erhalten würde. Trotz »kapitalistischer Ausbeutung«!
Das Zusammenleben der Menschen verlangt Kompromißbereitschaft und Toleranz, die sich bemüht einen Ausgleich zu schaffen, zwischen den Bedürfnissen und Wünschen aller. Und eben diese Eigenschaften sind bei jeder Diktatur – ob rot, braun, schwarz oder grün – infolge ihres fanatischen Dogmaglaubens ausgeschlossen.
So war es damals – und so ist es noch heute nach zwei Generationen (!) unabhängig von den geringen Abweichungen bei den verschiedenen Regimen – und so wird es wohl noch recht lange in den kommunistisch beherrschten Ländern bleiben.
Inzwischen führte ich in Wien ein geradezu fürstliches Leben. Ich ging fleißig in die Oper, aber auch ins Burgtheater und in das Theater in der Josefstadt. Gelegentlich auch in die Operette. Damals wurde gerade die »Czardasfürstin« von Kalman zum fünfhundertsten Mal aufgeführt. In der Hofoper sah ich den Don Giovanni noch in der Einstudierung und mit den Kräften von Gustav Mahler unter dem Taktstock von Schalk. Dann das Ballett »Josefslegende« und die Oper »Feuersnot« von Richard Strauß, die ich seitdem auf keinem Programm mehr fand. Restlos begeistert war ich vom Rosenkavalier mit der Lotte Lehmann. Dagegen hatte sich das Schicksal verschworen, daß ich nicht ein einziges Mal Gelegenheit hatte, Mozarts Figaro zu sehen. Jedesmal, wenn er auf dem Programm erschien – und das war nicht allzu selten – hatte ich entweder Dienst, war in Prag oder hatte sonst eine unaufschiebbare Verabredung.
Von meinen Konzertbesuchen hinterließ den nachhaltigsten Eindruck auf mich die Jupitersymphonie. Ich besorgte mir nach dem Konzert eigens die Eulenburgpartitur, um sie zu Hause gründlich zu studieren. Ich kannte damals von ihr jeden Ton auswendig. Wenn ich auch bereits vor dem Krieg Mozarts Violinsonaten gekratzt hatte, die ich liebte und noch heute nicht minder liebe, das richtige Verständnis für Mozart ging mir erst damals auf.
Die Hauptarbeit von Lechner Franzl bestand außer der Besorgung von Theater- und Konzertkarten im Auftreiben von Bonbonnieren für meine Freundinnen. Das war damals nicht nur eine Schwerarbeit, sondern auch eine Kunst. Wie das Lechner Franzl mit seinem Exterieur fertig brachte, war mir ein Rätsel. Becircen* konnte er die Verkäuferinnen nicht. So viel Charme und Witz hatte er nicht. Aber Mutterwitz und Eifer, die hatte er. Auf meine Frage gab er endlich nach langem Drehn und Wenden zögernd sein Geheimnis preis.
Er war ausgelernter Schuster und vor seiner Einberufung in den Eisenbahnwerkstätten tätig. Dort hatte er noch gute Freunde. Von denen beschaffte er sich billig – mehr als billig – ärarisches* Leder. In seiner freien Zeit und, wenn es sein mußte, auch bei Nacht fertigte er den Verkäuferinnen schöne, handgearbeitete Schuhe an. Damals eine Kostbarkeit. So also war mein Luxus das Produkt von k. u. k. ärarischem Material und der unbezahlten Arbeit von Lechner Franzl! Wenn das nicht Ausbeutung war! Aber Lechner Franzls Dankbarkeitssucht, weil ich ihn von der mörderischen Isonzofront in die Arme seiner Familie gebracht hatte, war unheilbar.
Ja – ich sagte Freundinnen. Es waren zwei hintereinander, die mir halfen, Elsa zu verwinden. Die erste lernte ich ohne Absicht, ja ohne zu ahnen, wie sie aussähe, rein zufällig kennen. Jeden Sonntag fand im großen Saal des Parkhotels in Hietzing ein Konzert statt. Der Kaffee war damals schon sehr bohnenarm, sodaß die mikroskopische Gabe von Zucker nicht allzusehr als Mangel empfunden wurde. Dafür waren die Konzerte recht gut, wenn auch das Programm meist populär – etwa Ouvertüren von Rossini und Suppé, Familie Strauß, Schuberttänze und Ähnliches. Ich ging gelegentlich hin, wenn ich nichts Besseres vorhatte.
Eines Tages nun, als ich so gegen sechs Uhr wegehen wollte und meinen Garderobezettel abgab, bekam ich statt meines Offiziersmantels – einen schönen Damenmantel mit Biberkragen und Manschetten. Die Garderobiere hatte den Zettel bereits in den Papierkorb geworfen, sodaß sie nicht feststellen konnte, welche Nummer es gewesen war. So blieb mir nichts übrig, als mit dem Mantel über dem Arm zu warten, bis die zu ihm gehörende Dame erschien. Da das Konzert zu Ende war, dauerte es nicht lange, bis zwei Mädchen erschienen und die eine zu ihrem größten Erstaunen einen Offiziersmantel erhielt. Sie war blond, zwischen achtzehn und zwanzig Jahren, schlank und ausgesprochen hübsch – eine typische Wienerin.
Ich sprach sie an: »Falls Sie für den Offiziersmantel keine Verwendung haben sollten, bin ich gerne bereit, ihn gegen diesen Damenmantel einzutauschen – unter der kleinen Bedingung, daß ich Sie begleiten darf, denn ich habe mich in der halben Stunde, die ich ihn schon halte, an ihn gewöhnt.« Beide Mädchen lachten und so gingen wir zusammen weg.
Es dauerte lange – und ich mußte schwören – ehe ich sie überzeugte, daß das wirklich kein Zufall war und kein Trick von mir. »Und wenn schon?« Ich glaube, daß die beiden nie an den Zufall geglaubt haben, nahmen es mir aber nicht übel. Wir gingen in ein Kino und nachher noch essen. Infolgedessen kam Franzi spät nach Hause, hatte mit ihren Eltern einen großen Krach und hatte zur Strafe am nächsten Tag Hausarrest. Sie konnte daher zu dem Rendezvous im Kaffee Prückel nicht kommen. Es kam ihre Freundin, um mir den Grund zu melden.
Als ich erfuhr, daß das arme Ding allein zu Hause saß, erklärte ich: »Dann fahren wir zu ihr, um sie zu unterhalten. Dazu bin ich als Schuldtragender geradezu verpflichtet.«
»Das geht doch nicht.«
»Warum? Ich bin Ihr Bruder oder Cousin, der von der Front auf Urlaub gekommen ist. Wählen Sie.«
»Dann müßten wir einander duzen.«
»Na und?«
»Nun gut – also Cousin, Bruder habe ich keinen.«
»Die wird Augen machen!«, sagte die Freundin unterwegs.
Und was für Augen sie machte! So eine Frechheit war ihr noch nicht vorgekommen. Auf dem Türschild las ich den Namen ihres Vaters. Er kam mit irgendwie bekannt vor. Ich zerbrach mir jedoch darüber nicht den Kopf. Sie hieß Franzi, das genügte mir vorläufig. Da ich mich mit ihrer Freundin duzen mußte, um nicht aus der Rolle zu fallen, falls unerwartet ihre Eltern zurückkommen würden, ehe wir verschwanden, mußten auch wir uns duzen – auf die Gefahr hin, in diesem Falle aus der Rolle zu fallen. Das »Du« wurde mit einem nicht ganz brüderlichen Kuß besiegelt. So fing es an.
Zu Franzis Zeiten bekam ich so ein unangenehmes Gefühl, daß ich von einigen Offizieren meiner Batterie wegen meiner Einteilung und der mit ihr verbundenen »Schwerarbeit« beneidet wurde. Es war mir peinlich, daß ich mich zum Unterschied von den anderen nur zweimal in der Woche in der Kaserne zeigte und einmal in der Zeit, wenn ich Dienst hatte. So bot ich mich freiwillig dem Hauptmann an, jeden Mittwoch das Terrainreiten mit den Einjährigen zu übernehmen. Er war damit sehr einverstanden – vor allem aber auch Oberleutnant Engelmann, den ich dadurch entlastete. So kam ich außer Montag und Freitag auch noch am Mittwoch in die Kaserne. Diese Ritte bereiteten mir aber auch ein großes Vergnügen.