Kitabı oku: «Aus Kroatien: Skizzen und Erzählungen», sayfa 7
Für Reisen im Kraftwagen sind immer von Wichtigkeit die Straßenverhältnisse und Charaktereigenschaften der Bevölkerung des jeweils zu durchfahrenden Landes. Die Gutmütigkeit des kroatischen Volkes, solange der Kroat keinen Schnaps im Leibe hat, wird gerühmt; dicht neben ihr sitzt aber die „negative Intelligenz“, die sich in Kopflosigkeit äußert, wenn ein Automobil herankommt. Ein lammfrommes Pferd muß erschrecken, so der Fuhrmann ihm plötzlich mit den Händen an den Kopf greift und die Augen verdeckt. Just im gefährlichsten Moment, da der Kraftwagen vorüberfährt, erweist sich die Neugierde viel stärker als die Vorsicht; der Bauer benötigt zweifellos die Hände zum – Schauen, zieht sie also von den Augen des Pferdes weg, und der Zusammenprall ist fertig….
Wenige Stunden hinter Karlstadt beginnt die Melancholie des Karstlandes, genannt Lika, ein begrüntes Gebiet, aus dem stellenweise stattliche Berge, kahle Felshäupter aufragen; tief eingerissen sind die wenigen Flußtäler mit Wasserläufen, die plötzlich im Boden verschwinden, unterirdisch Seen bilden und unvermittelt wieder zutage treten. Auch die Korana hat solche „Mucken“. Eine eigenartige Welt, echtes Karstgebiet mit seinen Eigenheiten, das im nördlichen Teil der fruchtbaren Täler und Dolmen nicht entbehrt. Herbe spärliche Schönheit in tiefster Melancholie, wie sie aus Lenaus Gedichten weht….
Beim türkisch angelegten Städtchen Slujn prahlt die lichtblaue Korana erstmals mit ihrer Schönheit in überraschenden Wasserfällen.
Nach Süden steigert sich die öde der Lika zur Schaurigkeit, überall steile Höhen, tiefe Schluchten, freiliegendes Gestein, in den Dolinen wenig Ackerboden, geringwertige Weideplätze. Winzige Dörfer, deren trostlose Häuschen tief im Boden stecken, mit Stroh oder Dünger gedeckt sind. So eine „Wohnstätte“ enthält einen einzigen Raum, den die Familie, Ziegen, Schweine, Hühner und etliche Gänse „bewohnen“. Der Winter soll in der Lika sehr streng und lang (6-7 Monate) sein und enorme Schneefälle bringen. Die Lika umfaßt 6212 Quadratkilometer, hat eine Bevölkerung von rund 192000 Seelen und besaß (1890) im Städtle Gospic eine einzige Apotheke für die ganze Provinz!
Stundenlang währte die Fahrt durch dieses melancholische Karstgelände.
Dann endlich erklomm das ratternde Auto eine letzte Anhöhe, bekrönt von einer steinernen Kanzel hart an der schmalen Straße. Ein auffallendes Bauwerk in weltentlegener, schauriger Einsamkeit, das eine Zweckerforschung geradezu erzwingt.
Ein Blick in die Tiefe, ein Ruf höchster Überraschung!
In einer wohl hundert Meter tiefen Erosionsschlucht entwickelt die hier smaragdgrüne Korana die zaubervollste Romantik: viele weißschäumende Kaskaden, blaue Bassins, graugrüne Seen, entzückend geformte Terrassen inmitten wuchtig starrender Sturzfelsen. Wahrhaftige Wasserwunder, märchenschöne Gebilde, erzeugt von einem einzigen Wildbach. Die Pforte zu einem Paradiese auf südkroatischem Boden!
In drängender Sehnsucht nun weiter mit der Höchstgeschwindigkeit des Kraftwagens, hinein in die Märchenwelt von Plitvice.
Ein blauschimmernder See, umrahmt von herrlich prangenden Wäldern, die Üppigkeit einer Tropenwelt; hochstämmige Buchen mit mächtigsten Kronen, dichtbemantelte Edeltannen, Ahorn massenhaft mit großartigem Wuchs.
Nicht minder häufig die Eibe, doch nur als Gestrüpp. Ein ungeheurer Naturpark, überwältigende Waldeinsamkeit bei einem unglaublichen Wasserreichtum. Der untere (Kozjak-) See schillert in seltsamen Farbentönen, bald tiefblau, dann smaragdgrün, gelb und grau.
Auf grüner Anhöhe thront das vom Agramer Komitee zur Erschließung der Plitvicer Wasserpracht erbaute Hotel.
Auf die Länge von acht Kilometern sind hier zusammengedrängt 13 (!) Seen und 30 (!) entzückende Wasserfälle bei einem Höhenunterschiede von rund 200 Metern. Wasserwunder der bescheidenen blauen Korana, der Tochter des Kapelagebirges, die nach dem Verlassen des Plitvicer Märchengebietes alsbald im Karstboden versinkt, später wieder zutage tritt, als unscheinbares Flüßchen nach Norden eilt und sich bei Karlstadt mit der schiffbaren Kulpa vereinigt.
Jeder der dreizehn Seen von Plitvice (kroatisch und russisch plit = Felsplatte) zeigt sich anders hinsichtlich der Konfiguration und Wasserfarbe; das Farbenspiel ist von der Temperatur abhängig, unter fünfzehn Grad Celsius erscheinen alle Seen grau!
So alt das Haus Habsburg geworden war, von männlichen Mitgliedern hatte sich kein Prinz je nach – Plitvice „verirrt“. Die Kronprinzessin Stefanie, jetzige Gräfin Lonyay, ließ sich gelegentlich einer Quarnerofahrt bereden, von Zengg an der kroatischen Küste aus die Märchenwelt von Plitvice zu besuchen. So qualvoll die Wagenfahrt gewesen, die Dame hatte den Besuch nicht bereut; sie war sprachlos vor Überraschung.
Wenn es erlaubt ist, meinen Eindruck mit einem einzigen Wort zu erwähnen, so wäre zu sagen, daß ich „tirolisch“ gerufen habe: „Oha!“ Mehr Worte standen nicht zur Verfügung…. Das Staunen war zu groß. Der Eindruck viel gewaltiger als etliche Tage später hoch am Vratnik beim ersten Anblick der tief unten blauenden Adria, die der „Benzinist“ bereits kannte. Daß das Erscheinen eines Reichsdeutschen in Plitvice, im südlichsten Zipfel Kroatiens, Aufsehen erregte, ist begreiflich; haben ja noch wenige – Kroaten den weiten mühevollen Weg „hinunter“ gefunden. Die Regierung Kroatiens hatte sich Jahrzehnte hindurch bemüht, der Pester „Hegemonie“ eine Bahnverbindung von Ogulin nach Plitvice zur Erschließung der Wasserwunder abzuringen. Immer vergeblich! Plitvice liegt auf – kroatischem Boden, nicht auf ungarischer bzw. magyarischer Erde. Vor etwa acht Jahren war es gelungen, eine Verbindung mit Hilfe eines – Postautomobils zu schaffen. Sechs Personen hatten darin Platz, und zur Besichtigung der Wasserwunder von Plitvice war – eine ganze Stunde Zeit gegeben. Wer diese Verfügung ersonnen, hätte verdient, strafweise „Präsident“ der „Država SHS“ zu werden…. Oder „Ehrenbürger von München“ während der „wonnigen Tage der Räterepublik 1919“.
An sich aber war die Verfügung sehr nett, nämlich als durchschlagender Beweis, daß „St. Bureaukratius“ auch in der slavischen Welt gedeiht! Eine einzige Stunde Besichtigungszeit für das größte Wasserwunder des Erdballs!!! Einfach „köstlich“! Doch es gibt auch für jenen südslavischen St. Bureaukratius eine Entschuldigung in der Person jenes Altmünchener Hausbesitzers, der in jener Zeit, als München noch München, eine reinliche gemütliche Stadt und nicht spartakistisch durchseucht war, nach Paris fuhr, drei Tage später aber schon wieder im „königlich bayerischen“ Hofbräuhause saß und die erstaunten Freunderln bezüglich der überraschend schnellen Rückkehr dahin aufklärte, daß in Paris „auch nichts los“ sei. Alles gesehen, alles sei genau wie in München. „Auf dem Père la chaise einmal – herumgetanzt, is aa nix!“ – — —
In Plitvice kann man, was im Flachlande Kroatiens unmöglich ist, reichlich und gefahrlos – Wasser trinken. Wein ist aber besser, der Slibovitz ausgezeichnet.
Wir haben uns bemüht, möglichst viel von den Wasserwundern dieser südkroatischen Märchenwelt auf die photographische Platte zu bringen. Doch der beste Apparat kann nicht das unsäglich schöne Farbenspiel offenbaren. Wollte ein gottbegnadeter Künstler sie malen, den Menschen möchte ich kennen lernen, der beim Anschauen der Bilder dem Maler glaubt, die Wahrheit auf die Leinwand gezaubert zu haben….
In Agram kann man immer viel Dinge hören, die man nicht zu glauben braucht. Die Versicherung, daß es in der Lika schon längst keine Räuber mehr gibt, das Reisen völlig sicher und gefahrlos sei, hatte mein „Automobilherr“ mit Vergnügen entgegengenommen. Mir war in Erinnerung, in einem Geschichtswerk gelesen zu haben: „Ni gora bez vuka, ni Lika bez hajduka!“ (Weder ist das Gebirge ohne Wölfe noch die Lika ohne Räuber!) Der Spruch stammt aus unruhigen Zeiten, als noch den Nordkroaten und Slavoniern Likabewohner und Räuber sinnverwandte Worte waren. Zu lesen war aber auch, daß der Likaner damals nicht aus Habsucht Hajduk wurde, sondern aus gekränktem – Ehrgefühl wegen Verprügelung; unter dem überstrengen Grenzregime wurde das geringste Vergehen grausam mit Stockschlägen usw. bestraft. Entehrenden Strafen zu entgehen, flohen die kurzhändig Verurteilten ins Gebirge; bitterste Not und Verzweiflung machten die Hungernden dann zu Räubern. Als Kaiser Franz Joseph die Leibesstrafe, die grausame Verprügelung, aufhob, hörten in der Lika die Räubereien sehr rasch auf. Der letzte Hajduk namens Toma Kovačević aus Vranik wurde im Jahre 1872 hingerichtet.
Von alledem sagte ich kein Wort. Aber als „Justamentmensch“ und echt bayerischer Dickschädel wollte ich bezüglich der öffentlichen Sicherheit im südlichsten Zipfel Kroatiens und hart an der bosnischen Grenze, also „fern von Europa“ eine „Probe auf das Exempel“ machen, es auf einen räuberischen Überfall ankommen lassen. Also wurde die Geldtasche im Kasten des Hotelzimmers versperrt, als einzige Waffe wie immer nach alter Gewohnheit das griffeste Jagdmesser mitgenommen. Speiste vorher mit den Reisegenossen zu abend, und dann ging ich bei salzburgischem Schnürlregen „im Mondschein spazieren“. Ein Ausflug in pechschwarzer Nacht auf einsamer Landstraße zur bosnischen Grenze. Mutterseelenallein und furchtlos, neugierig und erpicht, mit likanischen Räubern Bekanntschaft zu machen und etliche Worte auf Südkroatisch wechseln zu können.
„Schrecklich solide“ Leute diese Likaner. Bleiben bei Muttern zu Hause, wenn es finster ist und schnürlregnet, lieben die Trockenheit und Wärme. Ein Vergnügen war dieser frostige Spaziergang so tief im Süden wirklich nicht; aber „poetisch“ das Geheul frierender Dorfköter in langgezogenen elegischen Tönen.
Unweit des zweiten Dorfes auf dieser einsamen trutzigen Wanderung endlich ein verdächtiges Geräusch. Ein Knacken von Holz, das etwas Ähnlichkeit mit dem Aufziehen von Gewehrhähnen hatte. Also doch! Und gleich mehrere Räuber und schußbereit!
Nein! Richtige Raubgesellen machen vor dem Angriff nicht so blöden Lärm; auch ist es nicht üblich, daß echte Hajduken sich angesichts des Menschen, der überfallen werden soll, am Boden wälzen….
Zwei Esel waren die Spektakelmacher, zwei arme Langohrige, die zur Nachtruhe die Packsättel los werden wollten. Eine Grausamkeit höherer Art, den armen Lasttieren niemals die Traggestelle vom Rücken zu nehmen. Damals war mir noch nicht bekannt, daß nicht Grausamkeit vorliegt, sondern tiefgewurzelter, bei den Südslaven unausrottbarer Aberglauben, wonach die Stellen, wo sich Esel wälzten, dem Menschen „fürchterliches“ Unglück bringen. Man läßt, beispielsweise auf der Insel Lissa, dem Grauen den Packsattel ständig auf dem Rücken, damit der Esel sich nie richtig wälzen kann…. In der Nähe des lissanischen Städtchens Comisa hielt mich mein Begleiter mit – Gewalt ab, den Fleck zu betreten, auf dem ein Langohr Wälzversuche machte, um das lästige Gestell vom Rücken zu bringen.
Mit dem Raubüberfall war es also nichts. Demgemäß weitergewandert auf der einsamen Landstraße durch Nacht und Finsternis. Auf südkroatischem Boden mit dem Eigensinn und Trotz des niederbayerischen Dickschädels!
Irgendein Mensch, Kroat oder Bosniak, wird mir doch begegnen in dieser Finsternis. Und wissen, erleben wollte ich, ob der südslawische Mitmensch den einsamen Bajuvaren anbetteln oder niederzuschlagen versuchen werde.
Der Schnürlregen hatte aufgehört; kühl wehte ein „südliches“ Windchen, glitschigfeucht war die Straße. Ein schlechtes Wandern.
Im Dickschädel regte sich die – Vernunft mit dem Gedanken, daß das Hotel in Plitvice erreicht werden müsse, bevor der Pförtner sich zur Nachtruhe begibt. Denn dem Wanderer fehlte der Hausschlüssel, und Hotelportiers im ersten Schlafe „orgeln“ überall sehr fest, hören in diesem Zustande schlecht.
Jetzt umkehren? Ohne einem Kroaten auf einsamer nachtumfangener Landstraße begegnet und angegriffen worden zu sein? Nicht um das ganze Königreich Kroatien! Auch dann nicht, wenn die kühle regenfeuchte Nacht „fern von Europa“ im Freien obdachlos verbracht werden müßte!
Der Dickschädel aus Niederbayern gibt nicht nach ohne Zwang! Und der Zwang muß überwältigend stark sein; ansonsten erreicht er nur gesteigerten Trotz.
Justament wurde weitergewandert.
Irgendwo vor mir erscholl Hundegebell. Also mußte ein Dorf oder doch ein Gehöft an der Straße liegen, ein Mensch durchgewandert oder doch vorübergegangen sein. Vielleicht pilgerte der nächtliche Wanderer mir entgegen? Wenn ja, bräuchte ich nicht länger weiterzumarschieren, könnte alsbald umkehren, in das Hotel zurückkehren; vorausgesetzt, daß der Dickschädel noch im Besitz seiner Spazierhölzer und sonst heilgeblieben sein wird.
Der Trotz schließt die Vorsicht nicht aus. Niederschlagen lassen lediglich aus Interesse für kroatische Verhältnisse wäre – übertriebene Sympathie, Abwehr eines Angriffs hingegen Pflicht der Selbsterhaltung. Demgemäß wurde der hemmende Wettermantel, wiewohl tropfnaß, gerollt und auf die linke Schulter genommen, das Jagdmesser in der Scheide gelockert, griffbereit gemacht.
Zu sehen war der „Entgegenkömmling“ nicht, aber zu hören, denn fest der Tritt auf der quietschendnassen Straße. Demnach kein Bosniak in Opanken, sondern ein Kroat in soliden Stiefeln, oder ein Obersteirer in grobgenähten Goiserner Bergschuhen.
Der Luftzug wehte entgegen, brachte aber keine „Witterung“ von dem nächtlichen Wanderer, der Kerl rauchte nicht. Ein Kroat, der nicht raucht, ist deshalb zwar noch nicht „suspekt“, aber immerhin eine Ausnahme, wenn er Tobak besitzt. Ein leidenschaftlicher Raucher ohne Rauchzeug kann unter Umständen gefährlich werden.
Vorsichtshalber wurde das Jagdmesser nun doch ganz aus der Lederscheide genommen, die scharfgeschliffene Klinge in der Hand bereitgehalten. Hieb oder Stich je nach Bedarf augenblicklich möglich. In Notwehr selbstverständlich.
Auf Entfernung von etwa zwanzig Schritten mußte der Kerl gemerkt haben, daß ihm ein Mensch entgegenkam; er blieb stehen und horchte.
Das tat auch meine Wenigkeit. Überdies schnupperte ich, da der Wind etwas wie – Schafwitterung an die Nase brachte. Sind – Schafhirten gefährlich? Ich glaubte nicht daran und schritt weiter.
Nur noch fünf Schritte Entfernung. Schafdunst zum Übelwerden.
Distanz zwei Schritt. Der Kerl hob einen Arm in die Höhe. Das sah aus, als sei ein Schlag auf mein deutsches „Denker“haupt beabsichtigt. Aber der „Schafene“ hatte keinen Stock in der Faust. Ob etwa einen Stein, das war in der Finsternis nicht zu erkennen. Groß und demgemäß gefährlich konnte der „Stein“ nicht sein. Ein Steinchen brauchte der festgebaute bayerische Dickschädel nicht zu fürchten. Also drauf ankommen lassen! Schlägt der Kerl zu, bekommt er im selben Augenblick die Klinge des Jagdmessers in die Brust.
Ein Zuruf, zwei Worte in kroatischer Sprache: „Dobro noć!“ (Gute Nacht!) Weich im Dialekt gesprochen, Schafwitterung dazu, dick und aufdringlich.
Dank meinerseits im Vorübergehen: „Lahko noć!“ (Leichte Nacht!) und dazu ein Auflachen der Selbstverspottung wie des Vergnügens darüber, daß der Kerl sich vor mir – gefürchtet hatte.
So endete das „furchtbare“ Abenteuer zu nächtlicher Stunde auf einsamer Landstraße tief im Süden Kroatiens, im „Räuberwinkel“ „fern von Europa“.
Eine Wahl ohne Ochsen, ohne Wein
Im Kroatien der dreißiger Jahre stand die ungarische Feudalverfassung in Geltung; der Schwerpunkt des gesamten Verwaltungssystems lag in der Autonomie der Komitate. An der Spitze der Komitate standen jeweils entweder ein erblicher oder ein vom König ernannter Obergespan (supremus comes, kroatisch: veliki župan = großer Führer). Dem Obergespan untergeordnet waren zwei Vizegespane (podžupani), die Ober- und Vizestuhlrichter sowie die Notare als Vollzugsorgane der Verwaltung und der Rechtsprechung (Gerichte). Justiz und Verwaltung waren damals wie überall in diesen Organen vereinigt (so z.B. in Tirol, in Bayern usw.). Diese Organe wurden in Kroatien – gewählt und zwar von der „Kongegration“ des im Komitat ansässigen Adels auf jeweils drei Jahre. „Dekretiert“ war, daß diese Wahl, die zu jener Zeit auf lateinisch „restauratio“ genannt wurde, „frei“ sein sollte, von der Regierung nicht beeinflußt werden durfte. Was eine „Wahl“ nach ungarischem Muster, „frei“ und von der Regierung nicht „beeinflußt“, bedeutet, weiß heutzutage jeder Gymnasiast und Realschüler. Wie aber vor 1848 in Kroatien „gewählt“ wurde, erzählt Dr. von Tkalac in seinen „Jugenderinnerungen“ auf Grund von Mitteilungen, die er aus dem Munde des – bereits genannten – Agramer Obergespans Nikola von Zdenčaj, eines „berühmten Wahlmachers“, selbst erhalten hatte. Die Darstellung ist, wie mir auf mehrfache Umfragen bestätigt wurde, richtig und einwandfrei, wiewohl sie jedem Begriff von „Wahl“ ins Gesicht schlägt und das Dekret, betr. „Nichtbeeinflussung“, in noch nicht dagewesener Weise verhöhnt. Doch zu den Verhältnissen jener Feudalzeit paßte der Vorgang im Komitat Turopolje (Türkenfeld) zu Agram, Anfang der dreißiger Jahre, ganz ausgezeichnet; die Wahl eines Vizegespans bleibt typisch und ist wohl in Ewigkeit bezüglich „Freiheit“ und „Nichtbeeinflussung“ nicht zu übertreffen. Sogar die gegenwärtige jugoslavische Briefzensur in Agram, so Erstaunliches sie leistet, ist kaum ein Abglanz jener großartigen Willkürherrschaft seitens der Komitatsgewaltigen.
Der Agramer Obergespan des Komitates Turopolje, Nikola von Zdenčaj, sah der nötig gewordenen Neuwahl des ersten Vizegespans, der „Restauration“, aus dem Grunde mit gewissem Unbehagen entgegen, weil sich sein Gehilfe Lentulaj (etwa mit Ruderer, Steuerer, Lenker zu übersetzen) der Neuwahl unterziehen mußte, Zdenčaj diesen sehr verständigen, rechtlichen und diensterfahrenen Beamten nicht verlieren wollte. Die Gefahr solchen Verlustes war groß, da die Gegenpartei nicht Lentulaj, sondern einen Herrn Čegetek (Zwitscherer), einen kreuzbraven Mann, aber von geringen Verwaltungsfähigkeiten, „korteschierte“, d. h. für ihn die Wahlagitation betrieb. Ein Teil des Landadels ließ ziemlich viel Geld springen, Gutsbesitzer spendeten Wein in Gebinden und Ochsen, welch letztere im ganzen am Spieß zur Belebung der Wahlstimmung auf dem Marktplatz in Agram gebraten werden sollten, jeden Abend zwei Ochsen bis zum Wahlschluß. „Wein in Strömen“. Kein Wunder deshalb, daß die Turopoljer in dichten Scharen schon vor dem Wahltage nach Agram zogen und die schöne Stadt „bevölkerten“. Für Speise und Trank war ja reichlich gesorgt; außerdem zogen diese Scharen lärmend und singend zur Belebung der Wahlstimmung unter Führung von Anhängern Čegeteks von Kneipe zu Kneipe.
Verbieten konnte der Komitatsgewaltige diese Umzüge der Turopoljer nicht, überhaupt vor der Wahl nicht eingreifen; das „Dekret“ mußte „beachtet“ werden „vor“ den Wahltagen, wenigstens der Schein der Nichtbeeinflussung gewahrt werden. Mit Wein und Bratochsen zugunsten des ihm sympathischen Wahlkandidaten Lentulaj durfte Herr von Zdenčaj nicht „operieren“.
Lentulaj selbst ließ angesichts der starkbetriebenen „Korteschierung“ Čegeteks die Ohren hängen und die Hoffnung sinken. Am letzten Abend vor der Wahl sah er sich den Rummel auf dem Hauptplatz an, wo die Anhänger Čegeteks in weinseliger Begeisterung die am Bratspieß „duftenden“ Ochsen betrachteten und ihren Kandidaten „hochleben“ ließen.
Es war nichts zu wollen, gegen Čegeteks Freunde nicht aufzukommen. In gedrückter Stimmung ging Lentulaj zum Chef, dem Obergespan Nikola von Zdenčaj, und klagte ihm das Wahlleid: „Keine, nicht die geringste Aussicht, amice, selbst wenn ich Geld für zehn Ochsen und hundert Fässer Wein bester Sorte hätte! Ich werde nicht gewählt werden, mit Glanz durchfallen!“
Der Komitatsgewaltige hatte zwar noch keine Idee, wie der sympathische Wahlwerber und Vizegespan „durchgedrückt“ werden könnte, aber entschlossen war Herr von Zdenčaj zu einer „männlich festen“ Tat. Also lachte er zunächst und sprach die aufmunternden Worte. „Laß mich nur machen! Du wirst zum ersten Vizegespan ‚gewählt‘ werden, ohne Wein und ohne Ochsen! Ich bürge dafür!“
Lentulaj dankte, glaubte nicht an solche Möglichkeit, hoffte aber doch, da er die – Willenskraft des Obergespans aus dem Dienstleben kannte, und verbrachte eine schlechte Nacht zwischen schmerzlichem Verzicht und beseligender Hoffnung.
Schon um acht Uhr morgens war der Sitzungssaal des Komitathauses, „Aula“ genannt, als Wahllokal, von Wahlberechtigten und Neugierigen, die dort nichts zu tun hatten, dicht gefüllt. Der Obergespan Nikola von Zdenčaj konnte sich durch die Menschenmenge nur mit Mühe hindurchdrängen und seinen Platz an dem Präsidialtische erreichen.
Sonst als Komitatsgewaltiger ein kleiner Herrgott, war der Obergespan diesmal nur eine geduldete, wenig beachtete Persönlichkeit, der Wahlleiter, weiter nichts. Im Stimmengewirr, dem Summen in einem Bienenkorbe ähnlich, ging seine Ansprache völlig verloren; die Wähler hörten wenig, die Anhänger Čegeteks gar nicht auf die Rede Zdenčajs, mit der die Wahlhandlung eröffnet wurde.
Verärgert forderte der Obergespan „Silentium“, und dann schrie er in den menschenüberfüllten Saal die Mitteilung, daß zwei Kandidaten, die Herren von Lentulaj und Čegetek, zur Wahl stehen, einer von ihnen für den Posten des Vizegespans zu wählen sei, und zwar der Einfachheit halber „per acclamationem“, durch Zuruf.
Diese „Einfachheit“ paßte den Anhängern Čegeteks, die in erdrückender Mehrheit im Saale erschienen waren, ausgezeichnet in den Kram.
Donnerähnlich wuchtig und brausend erschollen die Rufe aus Hunderten von Kehlen. „Wir wollen den Čegetek!“
Über die Lage konnte kein Zweifel mehr bestehen: es stand ein einziger Mann, der Obergespan allein, gegen eine erdrückende Mehrheit von Gegnern, die fest entschlossen waren, nicht zu wanken, nicht nachzulassen, bis ihr Wille durchgesetzt sei. Den Willen, nicht Čegetek, sondern seinen erprobten Amtshelfer von Lentulaj „wählen zu lassen“, hatte aber der Obergespan. Und zum Willen hatte Herr von Zdenčaj auch noch die Kaltblütigkeit, wiewohl er gleich den Wählern Kroate, ein sonst hitziger Südslave war. Also rief der Obergespan dröhnend in den Saal: „Silentium! Ich kandidiere zwei Herren: Lentulaj und Čegetek? Wer davon ist genehm? Lentulaj oder Čegetek?“
Ein ohrenbetäubendes Gebrüll brach los. Sämtliche Anwesende im Saale, ausgenommen die Herren am Präsidialtische, tobten und brüllten den Namen: „Čegetek!“
Obergespan v. Zdenčaj blieb ruhig und klaren Kopfes, wiewohl er den Ausruf zum dritten Male in den Saal schrie: „Silentium! Čegetek oder Lentulaj!“
In höchstgesteigerter Erregung, gereizt und aufgestachelt durch das Verhalten des Präsidenten, der immer wieder den Namen des Gegenkandidaten nannte, brüllte die Mehrheit. „Čegetek! Nur Čegetek!
Kein anderer! Čegetek!“
Ein Stocktauber, ja ein – Toter hätte den Donnerruf, den in fanatischer Wut gebrüllten Namen: „Čegetek!“ hören müssen.
Der Obergespan wollte ihn aber nicht hören. Herr von Zdenčaj legte die Hand als Schallbecher an das rechte Ohr, tat so, als horche er angestrengt, und schüttelte in prachtvoll geheuchelter Gelassenheit den Kopf.
Augenblicklich wurde es still im Saale.
Jetzt verkündete der Obergespan mit köstlichem ruhigem Spott: „Ich höre nur den Namen – Lentulaj!“
Ein Stutzen erst, dann brach der Entrüstungssturm los, donnernd, kreischend, vom Baß hinaufreichend bis zu den Fisteltönen hellster Wut. „Nicht Lentulaj, sondern Čegetek!“
Bisher hatte Nikola von Zdenčaj, in Wahrung seiner Würde als Komitatsgewaltiger, von seinem rotgepolsterten Fauteuil aus, sitzend zur Wählermasse gesprochen. Nun stand er auf zum Zeichen, daß eine offizielle Mitteilung verkündet werde.
Die Wähler verstummten in gespanntester Erwartung und horchten.
Herr von Zdenčaj in unerschütterlicher Ruhe erklärte: „Ich habe bisher nur den Namen ‚Lentulaj‘ vernommen. Demgemäß proklamiere ich amtlich in meiner Eigenschaft als Obergespan und Leiter der Wahlhandlung Herrn von Lentulaj als gewählt durch Akklamation zum ersten Vizegespan! Herr von Lentulaj ist – gewählt!“ Sprachs und setzte sich.
Viel Hunderte Wutschreie gellten durch den Saal, ein Orkan der Entrüstung entlud sich, wie wahnsinnig tobten die geprellten nhänger Čegeteks und brüllten den Protest: „Gewaltstreich! – Nichtswürdigkeit!
– Gemeinheit! – Sind wir in der Türkei? Wir protestieren – zu Protokoll!
Die Proklamation gilt nicht! Sie ist ungiltig!“
Statuengleich saß der Obergespan auf dem roten Fauteuil und wartete ruhig, geduldig. Herr von Zdenčaj kannte seine Leute und ließ sie toben, brüllen, protestieren, austoben.
Das dauerte eine Weile – dann aber flaute der Sturm ab. Es wurde etwas ruhiger im Saale.
Der Obergespan verneigte sich leicht gegen die Wählerschaft, wandte sich zum Obernotar am Präsidialtische und befahl mit lauter Stimme: „Die Proklamation Lentulajs ist zu protokollieren!“
Im Saale erst allgemeine Verblüffung. Die Leute waren sprachlos vor Überraschung; denn viele hatten es doch nicht für möglich gehalten, daß der Obergespan angesichts des deutlich genug zum Ausdruck gebrachten Willens der erdrückenden Stimmenmehrheit genau das Gegenteil feststellen werde. Seine Gelassenheit, die souveräne Nichtbeachtung der Mehrheit flößte wie immer jenes Höchstmaß von „Respekt“ ein, das teils ein Lachen hilfloser Verlegenheit bewirkt, teils zu Anzeichen ungefährlicher Drohungen reizt. Während ein Teil der übertrumpften Anhänger Čegeteks lachte, ballten andere die Fäuste in ohnmächtiger Wut gegen den schlaueren Obergespan, der klug genug war, jetzt erst recht gelassen zu bleiben und alles unterließ, was einen neuen Sturm hätte erzeugen können. Herr von Zdenčaj erhob sich und forderte die Wähler auf, mit Zuruf für die Stelle des zweiten Vizegespans entweder Herrn Čegetek oder Herrn von Busić zu wählen.
Abermalige Verblüffung. Die Aufforderung mit Nennung des Namens „Čegetek“ an erster Stelle hatte die Wirkung eines kalten Wasserstrahles auf die erhitzten Köpfe. Die Leute glaubten, daß der Obergespan jetzt ihren Willen erfüllen, Čegetek zum zweiten Vizegespan haben möchte. Das aber wollten die Wähler justament nicht; sie wünschten Rache zu nehmen und Zdenčajs „Plan“ zu vereiteln.
Mit donnernden Zurufen wurde Herr – Busić gewählt.
Der Obergespan beherrschte sich völlig, nichts deutete an, daß mit dieser Wahl ihm ein Wunsch erfüllt worden war, die Wähler abermals „reingefallen“ waren.
Nach erfolgter Protokollierung wurde das Wahlgeschäft geschlossen; die „Komödie“ war – aus. Langsam leerte sich der Saal. Und schier jeder Čegetekianer guckte noch einmal nach dem Gewaltigen am Präsidialtische, hoffend, ein Lächeln oder eine Geste des Triumphes erspähen zu können. Doch Herr von Zdenčaj wahrte die undurchdringliche Gelassenheit und eiserne vornehme Ruhe, bis er sich in seinem Arbeitszimmer und ohne Beobachter befand. Dann erst schmunzelte er vergnügt.
Nach Jahren äußerte er sich zum jungen Herrn von Tkalac, der ihn wegen dieser „Wahlhandlung“, die in Kroatien viel besprochen und belacht worden war, befragte, mit dem Behagen einer angenehmen Erinnerung. „Es kommt bei solchen Gelegenheiten nur auf Willenskraft und Kaltblütigkeit des Obergespans an; wer diese nicht besitzt, wird bei der ‚Restauration‘ immer geschlagen werden. Das Geschrei von hundert Eseln ist nicht soviel wert wie die einzige Stimme eines verständigen und ehrlichen Menschen.“
Ob nach Umfluß von drei Jahren jener Herr von Lentulaj nochmals ohne Ochsen und ohne Wein zum ersten Vizegespan gewählt wurde, ist nicht festzustellen, da gegenwärtig jede Verbindung mit dem Agramer Komitatsarchiv unmöglich erscheint.