Kitabı oku: «Bergrichters Erdenwallen», sayfa 6
Nach etwa einer halben Stunde erschien hoch oben am Scheitelpunkt des Stadtberges das erste gelbe Faß im Wagen, dessen Fahrt mit allgemeiner Aufmerksamkeit verfolgt wurde.
Die Bauern standen mit offenem Mund und staunten. Nur der Angerer machte Bemerkungen, und als das Faß am Seil sich im Steilgehänge senkte, da rief er: „Aftn kimmt's ins Rutschen, sell hun i mir gleich 'denkt!“
Doch gehorsam, in vorschriftsmäßiger Entfernung und regelrechtem Tempo kam das Faß am Seil herab, durchlief die Rollen der Stützanlagen, und langte im Magazin an. Hinterdrein nun in 150 m Abständen Faß an Faß. Da zeterten der Angerer und im Chorus die Bauern: „Es wird alleweil schöner, jetzt können wir unsere Ross' aufhängen und uns dazu!“
Auf Einladung des Fabrikherrn begaben sich die Honoratioren zu einer „Jause“ (Vesperbrot) in Ratschillers Wohnung. Der offerierte Imbiß wuchs sich aber in splendider Weise zu einem reichen kalten Büffet aus, und alsbald knallten die Propfen aus den rotbehelmten Heidsikflaschen.
Ein Hoch der Industrie!
Hundertpfund hatte geschickt operiert, um neben der älteren Tochter Josephine zu sitzen zu kommen, der er unverkennbar und ziemlich ungeniert huldigte. Und das Fräulein, um ein Jahr jünger als Franz, nahm die Aufmerksamkeiten des Fabrikleiters mit der Freude eines Mädchens, das endlich doch einen Werber bekommt, entgegen.
Die hübsche Doktorin merkte das augenblicklich und wechselte die Farbe. Nervös zuckten ihre Händchen, wirre Gedanken durchzuckten ihren zierlichen Kopf, ein wilder Schmerz peinigte sie, ihr ist, als sollte sie aufschreien, in wildem Haß auf den Mann stürzen, den sie geliebt, der jetzt ihrer überdrüssig, sich zu einer anderen wendet, und da es die Tochter des reichen Fabrikanten ist, zweifellos ernsthaft um deren Hand werben wird.
Ekel erfaßt die kleine Frau und in dieser Empfindung stößt sie das Sektglas so heftig zurück, daß es umstürzt und dessen Inhalt sich über das kostbar gestickte Tischtuch ergießt.
Verwundert fragte Ehrenstraßer, ihr Tischnachbar, was denn der gnädigen Frau fehle.
Jetzt erschrak die Doktorin, und ob des forschenden Blickes aus des Richters Augen verwirrt, stammelte sie eine nahezu sinnwidrige Entschuldigung, schützte Unwohlsein vor, und verließ das Ratschillerhaus.
Unwillkürlich sagte sich Ehrenstraßer, daß da etwas nicht in Ordnung sei, doch grübelte er nicht weiter darüber nach. Der alte Fabrikherr zeigte sich als der Fröhlichsten einer, das Gelingen des großen Unternehmens stimmte ihn zur Freude und Lust. Er hatte auf den Erbauer seiner Luftbahn bereits einen schwungvollen Toast ausgebracht, und eben schlug er wieder an sein Glas, und begann zu erzählen, wer eigentlich der Vater des ins Werk umgesetzten Gedankens sei.
Hundertpfund brach die Flüsterrede mit Fräulein Josephine ab, er erriet sogleich, daß der Chef ihm eine Ehrung erweisen will, und bescheiden senkte er den Kopf.
Richtig brachte Ratschiller sen. ein Hoch auf seinen Fabrikleiter aus, der den Gedanken zuerst ausgesprochen habe, also der geistige Veranlasser der neuen Unternehmung sei.
Hell klangen die Gläser zusammen.
IX
Todmüde von langer Streifung war Gendarm Sittl ins Städtchen gekommen, müde zum Umfallen, doch gewissenhaft schleppte sich der wackere Mann noch zum Richter, um zu melden, daß der Deserteur Cajetan endlich gefunden worden sei.
Ehrenstraßer saß noch bei Lampenschein in der Kanzlei, als Sittl Rapport erstattete und unwillkürlich rief der Richter: „Endlich!“
„Zu Befehl, ja, Herr Bezirksrichter! Aber der Mann ist tot aufgefunden worden.“
„Armer Teufel!“ flüsterte Ehrenstraßer, und fügte dann laut bei. „Das weitere wird amtlich verfügt werden. Der Steckbrief und Haftbefehl ist erledigt! Gehen Sie nur gleich zur Ruhe, Sittl! Sie werden müde sein!“
„Zu Befehl, ja! Nur gestatten Herr Bezirksrichter die Frage, ob mit dem Tode des Cajetan auch jene Fluchtbegünstigung durch den Einödpater erledigt ischt?“
„Dem Pater dürfte zweifelsohne das nötige Bewußtsein einer straffälligen That gefehlt haben und dadurch entfällt jede weitere Verfolgung der Angelegenheit. Wir können diesen Fall als erledigt betrachten!“
„Zu Befehl! Geruhsame Nacht, Herr Bezirksrichter!“
„Gute Nacht, Sittl! Erholen Sie sich nur recht gut von der strapaziösen Patrouille!“
Bald nach dem Abgang des Gendarmen entfernte sich auch Ehrenstraßer aus dem Gerichtsgebäude in der Absicht, seine Häuslichkeit aufzusuchen. Unterwegs traf er jedoch den Bezirksarzt, der ihn einlud, ein Dämmerschöpple im „Ochsen“ mitzutrinken.
„Topp, es gilt! Bin sonst zwar kein Wirtshausverehrer, aber auf ein oder zwei Vierschtele Röthel soll es nicht ankommen!“ erwiderte Ehrenstraßer.
Im Honoratiorenstübchen des „Ochsen“-Wirtshauses war eine kleine Tafelrunde von Beamten der Bezirkshauptmannschaft und des Gerichtes versammelt, welche die beiden eintretenden Herren freundlichst begrüßte und ihnen bereitwilligst Platz machte. Der Bezirkskommissar, ein lebhaftes Männchen, wendete sich sogleich an Ehrenstraßer mit der Bemerkung: „Herr Bezirksrichter kommen wie gerufen, um als unser bester Jurist eine heikle Frage zu entscheiden, über welche wir eben debattierten, ohne einen Ausweg finden zu können!“
Ehrenstraßer liebte nun das „Fachsimpeln“ am Wirtshaustische absolut nicht, doch wollte er sich nicht vorneweg ablehnend verhalten und fragte daher höflich: „Welche Frage ischt das, meine Herren?“
Lebhaft sprach der Kommissar: „Die Frage lautet: Ischt Selbstmord strafbar?“
Aller Augen richteten sich erwartungsvoll auf den Richter, welcher ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken konnte.
Den Kommissar reizte dieses Lächeln der Überlegenheit und des Spottes, sofort zu sagen: „Die Frage ist durchaus nicht lächerlich! Der Selbstmord wird heutzutage nicht bestraft, weil ihn das Strafgesetzbuch nicht kennt. Es hat dies aber seine bedenklichen Konsequenzen. Es muß doch unnatürlich erscheinen, jemanden, der einen anderen, in einer vielleicht vorübergehenden widerlichen Lage Befindlichen zum Selbstmord bestimmt hat, vollständig straffrei zu lassen!“
„Jawohl! Wir möchten auch wissen, ob Selbstmord, streng genommen, strafbar sein müsse!“ riefen einige Herren der Tafelrunde.
Ehrenstraßer erwiderte in der ihm eigenen Ruhe: „In solcher Form gestellt ischt diese Frage ein ebenso guter Witz, als wenn man fragt: Ischt Sterilität vererblich? Die Frage kann nur lauten: Ischt versuchter Selbstmord oder Beihilfe zum Selbstmord sträflich? Meines Wissens bestrafen nur England, Nordamerika und Ungarn den versuchten Selbstmord. Österreich aber nicht. Beihilfe zum Selbstmord, z.B. durch Verabreichung von Gift, dürften wohl alle civilisierten Staaten strafen, Österreich speziell als Übertretung der §§ 431 und 435, eventuell als Vergehen nach § 335 des Strafgesetzbuches. Wenn man mit Worten spielen wollte, ließe sich die gewaltsame Hinderung eines Selbstmordes allerdings als öffentliche Gewaltthätigkeit durch Beschränkung der persönlichen Freiheit auffassen, allein man darf nicht vergessen, daß ein Gesetz und Strafgesetz nicht ein Konglomerat von Worten und Sätzen, sondern ein auf einem wissenschaftlich aufgebauten einheitlichen System beruhendes Werk, resp. ein Teil eines solchen ischt, und daß nach jedem Strafgesetz nur das, was rechtswidrig ischt, und das öffentliche Wohl verletzt – bei Verbrechen überdies in höherem Grade – strafbar ischt. Das kann wohl von der Hinderung des Selbstmordes nicht behauptet werden!“
Die Absicht, durch diese sinngemäße Erklärung einer zwecklosen Wirtshausdebatte ein Ende zu machen, erzielte Ehrenstraßer nicht, im Gegenteil verbissen sich die Herren, Juristen wie Laien, förmlich in dieses Thema und brachten schließlich die monströse Behauptung fertig, daß eine Staatsanwaltschaft sich gegen die Strafprozeßordnung verfehle, wenn sie gegen Leute nicht einschreite, welche einen anderen mit Gewalt von einer Selbstmordshandlung zurückhalten, zu welcher derselbe berechtigt war.
Dem Richter ward dies zu bunt, kurz erwiderte er: „Das ischt Rabulistik!“ trank aus, zahlte und ging.
Wider Willen beschäftigte Ehrenstraßer das Thema und zwar just in dem Augenblick, da er unter der Luftseilbahn der Ratschillerschen Cementfabrik hindurchschritt und das Knattern der Laufwagenräder beim Passieren des Stützbaues ihn aufmerksam machte. Die Gedanken bewegten sich dahin, daß eine Fahrt in einem solchen Wägelchen hoch in der Luft einem Selbstmord gleichkomme, sofern der Mitfahrende nicht absolut schwindelfrei und mit der Sache einigermaßen vertraut sei.
Wie Ehrenstraßer aber in die Nähe seiner Wohnung kam und trotz der späten Abendstunde seine Mädels lärmen hörte, war das Thema vergessen.
X
Der nächste Tag im k. k. Bezirksgericht brachte das einmal in der Woche übliche Spezifikum des sogenannten „Amtstages“ und damit eine Qual für den Richter, der an diesem Tage Advokat, Rechtslehrer, Notar, Vermittler, Rater und wo thunlich, Helfer sein muß. Es ist am bestimmten „Amtstag“ jedermann gestattet, sein Anliegen dem Gerichtsvorstand vorzutragen, Ansuchen, Beschwerden &c. in Streitangelegenheiten und Strafsachen, sowie im „außerstreitigen Verfahren“ (Erbschaften, Vormundschaftswesen und dergl.) kostenlos zu Protokoll zu geben. Dieß ist eine große Wohlthat für die Bevölkerung, die jeder Bauer bis in die entlegensten Einöden hinauf genau kennt und von welcher meist ausgiebiger Gebrauch gemacht wird. Zum Amtstag kommen alle, welche ein Anliegen bedrückt; zu Ehrenstraßer um so lieber, da dieser humane Richter in den Augen der Bevölkerung ein sogenannter „gemeiner Mann“ ist, d.h. leutselig, warmfühlend und nicht hochfahrend, also ein Herz für die Bevölkerung hat. Ein Amtstag verlangt viel Lungenkraft vom Richter, der Auskunft und Belehrung meist doppelt und dreifach erteilen muß, bis der Bergbauer verstanden hat und zufriedengestellt ist. Des weiteren muß der Richter an solchen Tagen eine wahrhaftige Engelsgeduld haben, denn die Naivität des Bergvolkes ist groß und unausrottbar.
So frühe Ehrenstraßer auch in seiner Kanzlei erschienen war, es warteten bereits Leute auf den Beginn des „Amtstages“ im Vorzimmer, und es fing der Richter die Amtshandlung an, bevor die Uhr die sonst übliche Beginnstunde anzeigte.
Perathoner ließ die zuerst erschienene Partei vor und aus den Ladezetteln ersah Ehrenstraßer den Zweck sogleich.
Eine Näherin aus dem Mittelgebirge hatte die „mündliche“ Vorladung5 eines Bauers gefordert, weil dieser sie öffentlich als Hexe verschrieen habe.
Auf heute war nun der Sühneversuch angesetzt und sowohl die Klägerin wie der Beklagte standen vor dem Richter.
Der Bauer gab auf Vorhalt zu, das Weib als Hexe verschrieen zu haben, weil die Näherin seiner Kuh einen bösen Blick zugeworfen habe.
„Aber Jörgel! Ein Blick schadet doch nichts!“ meinte Ehrenstraßer.
„So meinst, Herr Tagrichter! Seit die Hex' im Haus war, giebt meine Kuh keine Milch mehr, und es war eine so gut milchende Kuh!“
Ehrenstraßer bemühte sich im Dialekt eine Zeitlang, derlei Ansichten als puren Aberglauben hinzustellen und als Unsinn zu erklären, doch der Bauer schüttelte nur den dicken Kopf.
„So willst du das Schimpfwort nicht zurücknehmen, Jörgel?“
„Nu (nein)!“
„Gut; es ischt solches Wort eine Beleidigung, und diese wird bestraft. Der Jörgel wird daher fünf Gulden Strafe zahlen müssen und zwar gleich da auf den Tisch!“
„Zahlen thu' ich nix!“
„Dann wirst halt auf drei Tag' eingelocht!“
„Sell möcht' ich mir decht ersparen!“
„So mußt du die Beleidigung zurücknehmen!“
„Muß ich dann nix zahlen?“
„Nein!“
„Ich nimm die „Hex'“ z'ruck!“
Endlich hatte Ehrenstraßer die Leute so weit, daß die Näherin die Klage zurückzog und mit der Revokation zufrieden, sich entfernte. Der Bauer blieb aber in der Kanzlei stehen, so daß der Richter fragte, was denn noch gewünscht werde.
Jörgel rief gedämpften Tones: „Herr Gerichtshallunk!6 Ich will Euch nur sagen, selles Mensch hat mir meine Kuh decht verhext!“ und sprang zur Thüre hinaus.
Auf das Klingelzeichen trat die zweite Partei7 in die Kanzlei, eine Frauensperson in den dreißiger Jahren von nichts weniger denn begehrenswertem Äußern, die sich verbeugte und sogleich in medias res eingehend, zum Bezirksrichter sagte. „Herr Scharfrichter, ich brauchet einen Kindesvater!“
Ergraut in der Praxis, unterdrückte Ehrenstraßer das Lächeln und erwiderte. „Und den soll ich Euch wohl verschaffen, was?“
„Ja, gnä' Herr! Ich thät' schön bitten, suchen's Ihnen den besseren aus von den Mannsbildern, viere sind es! Der Seppele ischt aber der mindescht, der hat nix und kann auch nixn zahlen! Sust (sonst) haben Sie aber die Wahl! Ich bitt'!“
Vergeblich blieb alle Belehrung. Der Richter schickte die naive Person mit der Mahnung heim, es solle sich das Weibele die Sache derweil überlegen und selber wählen und dann in drei Wochen wiederkommen.
Kaum war die Person fort, brachte der Amtsdiener die eben eingelaufene Morgenpost in die Kanzlei, und erlaubte sich die Bemerkung. „Herr Bezirksrichter, ich glaub', dasmal ischt 'was Besonderes dabei!“
„Warum?“
„Weil ein Briefumschlag mit roter Tinte geschrieben ischt!“
„Schon gut, geben Sie her! Die nächste Partei soll warten, bis ich klingle!“
Während sich Perathoner entfernte, griff Ehrenstraßer, den doch die Neugierde etwas reizte, nach dem Brief mit roter Adresse. „Soll mich wundern, wenn das nicht mit einer Kindsangelegenheit zusammenhängt!“ dachte der Richter, riß den Umschlag auf und suchte die Unterschrift. Richtig, anonym, Poststempel vom gestrigen, im Städtchen aufgegeben. Der mit roter Tinte geschriebene Brief hatte folgenden Wortlaut:8
„Bittgesuch!
an das löbliche k. k. Bezirksgericht.
Daß ich mir die Freiheit nehme, mein dringendes Bittgesuch an Sie zu richten, wollen Sie doch entschuldigen. Da ich ein lediges Frauenzimmer in bedrängten Vermögensverhältnissen bin, so wage ich es, meine Notlage an Sie zu melden und sollte es auch für mich Nutzen schaffen, für welche Zwecke ich es hauptsächlich unternehme, so werde ich dann, als jetzt nicht Unterzeichnete, mich bei Ihnen persönlich schuldig bedanken. Wie ich schon hörte, sind Sie ein guter Vertreter Ihrer Unterthanen und man weiß ja, daß Sie der Vater aller ledigen Kinder im Bezirke sind. Sie sind also auch ein guter Vertreter der ledigen Kinder, deren Vaterpflicht oft entzogen ist und lobe deshalb Ihre gutmütige Vorsorge, daß Sie diese schon welche derzeit geboren, während Sie im Orte sind, hauptsächlich dessen Vater zu Ihrer Pflicht angehalten haben.
Da es aber noch viele ältere Kinder, welche derzeit von ihrem Vater sehr wenig oder noch gar nichts erhalten haben, zur Unterstützung für daß Fortkommen, so bitte ich deshalb gehorsamst, Ihre wohlwollende Gütte, möchten auch dieser Kinder Väter sammt Vormund einvernehmen, welche schon älter sind, da wohl etliche derselben noch keinen Vormund haben, und mit der Kindesmutter, auf welcher alle Sorge lastet, wird Mutwillen getrieben, so daß selbe oft selbst bereits nichts mehr anzuziehen hat, noch vielweniger das Kind. Wenn man dann was verlangt für das Kind, so giebt es alle möglichen Ausreden, wenn z.B. das Kind und dessen Kind anderer Glaubens-Confesion ist, als der Vater, so heißt es, mußt mir halt das Kind lassen, sonst zahl' ich nichts, wenn schon dann auch auf das Kind schlecht geschaut wird beim Vater, – oder kannst thun was du willst, es gehört nicht mein, trotzdem oft im Mindesten kein Zweifel noch Ursach' wäre, über die Gewißheit der Vaterschaft, oder – ein Bauernsohn kann nichts geben, weil er bei der Militär ist, obschon die Interessen vom väterlichen Erbteil völlig wären, kurz und gut, wenn oft sonst keine Ausrede ist, so heißt es, mußt mich halt anzeigen, was ich nicht zu fürchten habe, überhaupt wenn einer schon mehrere Kinder hat, weil ich selbst nicht habe, obschon sie es im Vorhinein nicht sagen, das sie nichts haben. Da heißt es noch oft, so und so viel hab' ich Vermögen und das und jenes bekommst du von mir oder ich werde dich heirathen und die einfältigen Frauenzimmer lassen sich so unbewußt oft bethören, oder wie schon vorkommen ischt, daß einer ein Geld von etlichen hundert Gulden hatte in der Sparkasse, und wie er für seine fünfte Kindsmutter sämtliche Kosten zu zahlen hatte, behob er vorläufig den Betrag von der Sparkasse, verschwändete den größten Teil davon selbst und das andere lieh er sammt Schuldschein Jemanden und sagt nicht wem, ohne für die Kinder was anzuwenden.
Jetzt gute Herren habe ich erwähnt in diesen Bittgesuch für mich und im Namen aller Betrefenden wie es so häufig unter den gewissenlosen Leuten vorkommt und wird noch einmal gebeten um Anordnung und Einvernehmung der Persohnen für Kinder, welche schon früher gebohren worden, da Sie noch nicht in der Stadt waren, so wird Ihre Güte viel Dank erwerben. Insbesondere bitte ich, das Sie, Herr Bezirksrichter und Kindsvater, sich um mich und mein zwölfjähriges Dirndl vor Gericht annähmen, weil ich mich schenihre des Weiteren, so möchten Sie die Sache kriminalisch doch ohne Angabe meines Nahmens und Wohnortes betreiben. Sind Sie doch so wohl!
Hochachtungsvol und auf Ihre Gütte hoffend zeichnet
N. N.“
Ehrenstraßer lachte, daß ihn die Thränen in die Augen kamen. „‚Vater aller ledigen Kinder im ganzen Bezirk‘, das ischt ausgezeichnet! Da muß ich doch recherchieren lassen, wer die Absenderin dieses famosen Briefes ischt! Helfen soll ich, aber die Verfasserin des Bittgesuches wünscht unbekannt zu bleiben. Ein Kunststück, solche Hilfe! Ja, das Bergvolk!“
Wieder ruhig geworden, klingelte Ehrenstraßer und abermals trat ein Paar ein, eine Weibsperson von etlichen 40 Jahren und ein Mann, den ersichtlich die Jugend nicht mehr plagte. Das Weib begann sogleich über die schlechten Zeiten zu jammern, über Not und Teuerung und Geldmangel.
„Schön! Und was hat der Mann auf dem Herzen?“ fragte der Richter.
„Herr Tagrichter! Ich kann's beschwören, daß ich nix hab' und nix zahlen kann!“
„Also wieder die leidige Sache einer Alimentierung! Seid doch gescheit, Leute, und macht solcher Geschichte durch Heirat ein Ende!“
Unisono rief das Paar: „Sell sind wir ja eh (ohnehin)!“
Nun vermochte Ehrenstraßer doch seine Überraschung nicht zu verbergen und rief. „Na, also! Wenn ihr ein kirchlich getrautes Paar seid, was wollt ihr denn dann vor Gericht?“
Der Mann stammelte beklommen: „Mit Verlaub, Herr Richter! Verheiratet sind wir schon, aber jedes mit einem anderen!“
Um nicht laut auslachen zu müssen, biß sich Ehrenstraßer auf die Lippen und winkte den Leuten, sich zu entfernen.
Die nächste Partei war eine Bergbäuerin, die ächzend einen Korb in die Kanzlei schleppte, ihn vor dem Gerichtstisch niederstellte und über den weiten Weg zu jammern begann.
„Willst du klagen, Weibets?“
„Freilich, Herr Rat! Der Weg ischt soviel schlecht aus 'm Graben ausser (heraus)!“
„Ich meine, ob du gegen jemand in einer Streitsache klagen willst?“
„Ah so wohl! Freilich!“
„Wie heißt du, Bäuerin?“
Das Weib strich die Kittelfalte glatt und schwieg.
„Wie schreibst dich denn, Weibets?“
„I kann nit schreiben!“
Mit Engelsgeduld fragte Ehrenstraßer abermals nach dem Begehren. Jetzt stand die Bäuerin auf, öffnete den Korbdeckel und sagte: „Ich thät schön bitten, Herr Rat, es san die ersten – kaufen S' mir den Korb schöne Kerschen (Kirschen) ab!“
Was wollte der Richter machen! Er läutete, der Amtsdiener führte die Bäuerin hinaus und bedeutete ihr, daß das Hausieren bei Gericht verboten sei.
Die Uhr zeigte gegen zwölf, da trollte noch ein Bauer herein, der sich beim Eintritt in die Kanzlei bekreuzte, eine Kniebeugung wie vor dem Allerheiligsten im Hochaltar der Kirche machte und dann um geneigtes Gehör bat.
„Red' nur von der Leber weg!“
„Mit Verlaub, gnä' Herr! Ich möcht' klagen, weil meine Alte ein furchtbares Maul hat!“
„Was?“ rief Ehrenstraßer vor Überraschung.
„Wohl, wohl, es ischt schun so! Das Weib schimpft von früh bis spat, ich kann der Alten gar nichts mehr recht machen!“
„Ischt denn dein Weib so eifersüchtig? Oder hast du dein Eheweib etwa vernachlässigt?“
„Na, na, keinen Schein davon!“
„Was thust du denn, wenn das Weib schimpft?“
„Aftn (hernach) schimpf' ich ô!“
„So! Da kann ich dir nur raten. Thue so, als wenn du torret (taub) wärest! Je ärger das Weib schimpft, desto freundlicher mußt du sein. Deine Alte will dich wohl bloß in Zorn bringen. Gelingt ihr das nimmer, so hört sie schon zu schimpfen auf!“
Der Bauer stand perplex, mit weit offenstehendem Mund. Dreimal wiederholte Ehrenstraßer seine Meinung, erst zum viertenmale verstand der Bauer so viel, daß er sein Weib „extrig guet“ behandeln solle. Darob schüttelte der Bergler den Kopf, bekreuzte sich wieder, offenbar aus höchstem Respekt vor Kanzlei und Richter und entfernte sich.
Der Richter aber rief ins Vorzimmer hinaus, daß jetzt Pause bis drei Uhr nachmittags gemacht werde, die Parteien also um diese Zeit sich wieder einfinden sollen. Dann ging Ehrenstraßer heim zu Tisch.
Die Wiederaufnahme des Dienstes am Nachmittag brachte schon in der ersten Partei, die Ehrenstraßer persönlich bekannt ist, eine ergötzliche Scene. Der Grillhofer aus einem Orte, der gut vier Stunden vom Städtchen entfernt ist, bat um die Erlaubnis, seinem Herzen Luft machen zu dürfen.
Solche Einleitung kennt der Richter aus Erfahrung als sehr gefährlich in Bezug auf epische Breite, und seufzend winkt er.
Mit entsetzlicher Weitschweifigkeit schilderte Grillhofer die Situation daheim, die von ihm und einem Nachbar gemeinsam zu benutzende Brücke, die Hecheleien gegenseitig &c. Zweimal habe der Nachbar nun schon die Brücke dadurch unfahrbar gemacht, daß er Bäume aus derselben herausgezogen und in den Bach geworfen habe.
Grillhofer machte eine Schnaufpause, die der Richter geschickt benutzte zur Frage: „Mit welcher Klage willst du den Gegner belangen?“
„Sell müßt Ihr schon wissen, Ihr seid ja der kaiserliche Richter!“
„Na, wenn es dir recht ischt, werde ich den Gegner wegen Besitzstörung vorladen zum nächsten Amtstag!“
„Das ischt mir schon recht!“
Nun füllte Ehrenstraßer flink einen Vorladezettel zum nächsten Amtstag aus und wollte denselben Grillhofer einhändigen behufs Übergabe an den Nachbar.
„Ich dank'! Aber wie ischt es mit dem Wiederkemmen (kommen)?“
„Wenn die Sache zum Austrag kommen soll, ischt beiderseitiges Erscheinen zweckfördernd!“
„Also müßt' ich in acht Tagen wiederkemmen?“
„Freilich!“
„Na, so ischt es nicht gemeint! Ich wollt' Enk (Ihnen) nur sagen, was für ein boshafter Mensch mein Nachbar ischt! Helfen thu' ich mir schon selm (selber)! Grüß Gott, Herr!“ Und weg war der Bauer.
Ehrenstraßer atmete auf und ließ die nächste Partei vor, einen Salinenarbeiter, der in einer wahren Zerknirschung hereinschlich und leise zu sprechen begann, daß der Richter rief: „Red' er lauter, ich versteh' kein Wort!“ Der Mann zuckte zusammen und blickte hilflos um sich.
„Will Er klagen?“
Der Arbeiter schüttelte den Kopf.
„Braucht Er einen Ratschlag?“
„Ja!“
„In welcher Angelegenheit?“
Leise sprach der Salinenarbeiter: „Das – Wählen – ischt – so – viel – schwer!“
„Das Wählen? Ja so, wir stehen ja vor der Wahl zum Reichsrat! Da soll ich, der Richter, dir wohl gar sagen, wen du wählen sollst?“
„Sein thuet's a Elend mit 'm Wählen!“
„Mensch! Die Wahl ischt ja geheim! Es erfährt ja niemand, wen du gewählt hascht!“
„Schun! Aber ich hab' halt decht Ängsten!“
„Unbegreiflich! Der Wahlzettel wird ja zugebogen in die Urne gegeben. Kein Mensch kann wissen, welcher Name darauf steht!“
„Kann sein, kann aber auch nicht sein! Die Sach' ischt elend gefährlich!“
„Wieso denn?“
„Ja, schauen S', Herr Tagrichter! Gieb' ich meine Stimm' einem Liberalen, so verlier' ich meine Pension als Salinenarbeiter!“
„Heiliger Gott, welche Einfalt!“ schrie Ehrenstraßer.
„Sehen S', Herr kaiserlicher Gerichtshof, Sie sagen jetzt selber, die Sach' ischt gefährlich!“
„O sancta simplicitas!“
„Ich bitt', reden S' um Gotteswillen nicht in einer fremden Sprach', mich thät's gleich umbringen.“
„Bischt du denn ein Liberaler?“
„Was ischt dös?“
„Mein Lieber, für dich ischt das Beschte, du legst dich am Wahltag ins Bett und sagst, du bischt marod! Auf diese Weis' behaltest wenigstens ganz gewiß deine – Pension!“
„Bin ich aber jetzt froh! Ich hab' mir's gleich gedenkt, es ischt a Elend mit 'm Liberalismus! Ich dank' halt recht schön, Herr Richter! Und wählen thu' i' nimmer! Es ischt viel zu gefährlich! Grüß Gott!“
Ehrenstraßer mußte sich setzen, die Beine versagten den Dienst und herzlich klang das Lachen über solche Naivität, die man nicht für möglich halten sollte.
Eine Partei zum Amtstag war nicht mehr vorhanden, das Vorzimmer leer. Schon wollte sich der ausatmende Richter daranmachen, einen Akt in Angriff zu nehmen, da wurden draußen Stimmen laut und deutlich konnte Ehrenstraßer den Amtsdiener schimpfen hören, daß die Vorladung auf den morgigen Tag laute und man sich daher zu entfernen habe.
Das gute Herz, das Mitleid des Richters für Leute, die vielleicht einen vielstündigen Weg zurückgelegt haben, siegte, Ehrenstraßer öffnete die Thüre und fragte, was denn los sei.
„Ich bitt', Herr Bezirksrichter!“ erwiderte der Amtsdiener. „Der Maroner ischt erst auf morgen in Grundbuchsachen vorgeladen!“
Scheu und verlegen stand genannter Einschichtbauer mit einem großen, in der Mitte abgebundenen Sack an der Thüre.
Ehrenstraßer stieg eine Ahnung auf, daß dieser Bauer wahrscheinlich nicht lesen könnte, auf gut Glück zu Gericht kam und weiß Gott welche Schriften mitbringe zufolge der ergangenen Aufforderung an alle Grundbesitzer, ihre Urkunden, Schirmbriefe, Kaufverträge, Servitutsverbriefungen &c. zu Gerichte einzuliefern.
„Na, weil du einmal da bischt und sonst keine Tagpartei mehr anwesend ischt, will ich dich vornehmen, Maroner! Komm mit deinem Sack herein!“
Höchlich zufrieden trägt der Bauer seinen Sack in die Kanzlei des Richters und spricht: „Da bin i, 's hat g'hoaßen, i sull alle meene G'schriften mitbringen und da hun i alles mitbracht!“ Wohlgefällig streichelte Maroner den Sack und auf Geheiß öffnete er denselben.
Was Ehrenstraßer befürchtete, sollte sich bewahrheiten: Der Bauer hat die Aufforderung völlig mißverstanden und nichts als Käsezettel und schriftliche Aufzeichnungen über verkauftes Vieh und Holz zu Gericht gebracht. Nicht eine der benötigten Urkunden &c. war im Sack.
„Geduld verlaß mich nicht!“ seufzte der Richter, nahm die Grundbuchsmappe und zeigte dem verdutzten Bauer das ihn betreffende Blatt. „Da schau her, Maroner, ischt dein Besitztum da wohl richtig angegeben? Das sind die dir gehörigen Parzellen, und was Wiesen sind, ischt grün gefarbelt. Verstehst?“
Freudig antwortete Maroner: „Ischt wuhl schön!“
„Paß auf! Es handelt sich nicht darum, ob die Mappe schön ischt, sondern darum, ob deine Grundstücke richtig eingezeichnet sind!“
„Meine Grundstück' sind daham, die lass' ich mir nit wegschleppen!“
„Kannst du lesen und schreiben?“
„Nu (nein)!“
„Also weißt du auch nicht, daß jeder Bauer, welcher nicht lesen und nicht schreiben kann, verpflichtet wurde, einen mit solchen Kenntnissen ausgerüsteten Vertrauensmann zu Gericht mitzubringen?“
„Der Vorsteher hat dergleichen daher geredet und mein Nachbar ischt woltern mitgegangen. Er steht unten am Haus und 'traut sich nit einer (herein)!“
„Hol' ihn herauf!“
Nach wenigen Minuten stand auch dieser Nachbar in der Gerichtsstube, scheu und ängstlich.
Wieder zeigte Ehrenstraßer die Grundbuchmappe, welche der Nachbar sofort als „sehr schön“ bezeichnete und bewunderte.
Die Vermutung, abermals einen Analphabeten vor sich zu haben, erwies sich als richtig, und so blieb dem Richter nichts anderes übrig, als einen neuen Termin anzuberaumen, und dem Bauern einen Ladezettel für den Vorsteher mitzugeben, auf daß doch der Bauernbürgermeister als Vertrauensmann mithelfe bei Fixierung der Grundbesitzverhältnisse im Grundbuch.
Die Bauern wurden entlassen, gingen aber nicht.
„Was wollt ihr denn noch?“
Maroner trat vor und sprach. „Ich thät' schön bitten! Wie ischt's mit der – Zeugengebühr?“
„Hinaus!“ donnerte der Richter.
Erschreckt ergriffen die Bauern nun die Flucht.