Kitabı oku: «Die Abenteuer des Sherlock Holmes: Ein Skandal in Böhmen und andere Detektivgeschichten / The Adventures of Sherlock Holmes: A Scandal in Bohemia and Other Stories – Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) / Bilingual edition (German-English)», sayfa 2

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»Vollständig. Wahrscheinlich wird es zu einigen Mißhelligkeiten kommen; kümmere dich nicht darum. Wenn ich, was die Hauptsache ist, ins Haus geschafft werde, hört jeder Streit auf. Vier bis fünf Minuten später wird das Fenster des Wohnzimmers geöffnet werden. Du mußt dich in der Nähe dieses offenen Fensters halten.«

»Ja.«

»Du kannst mich von draußen erblicken und darfst mich nicht aus den Augen lassen.«

»Sobald ich nun meine Hand erhebe, wirfst du den Gegenstand ins Zimmer, den ich dir geben werde, und schreist zur selben Zeit: Feuer! Merkst du dir auch alles?«

»Aufs genaueste.«

»Es ist nichts Gefährliches«, sagte er und zog eine lange, zigarrenförmige Rolle aus der Tasche. »Es ist nur eine gewöhnliche Rauchrakete, wie sie die Bleiarbeiter bei uns gebrauchen, an beiden Enden mit Zündhütchen versehen, welche die Selbstentzündung verursachen. Darauf beschränkt sich deine ganze Aufgabe. Dein Feuerruf wird rasch verbreitet werden. Du gehst dann ruhig die Straße hinunter, und in ungefähr zehn Minuten bin ich wahrscheinlich bei dir. Hoffentlich habe ich mich deutlich ausgedrückt?«

»Ich muß neutral bleiben, mich dem Fenster nähern, dich beobachten, auf dein Zeichen dies hineinwerfen, dann Feuer schreien und dich an der Straßenecke erwarten?«

»Ganz richtig.«

»Du kannst dich völlig auf mich verlassen.«

»Vortrefflich. Doch nun ist’s wohl Zeit, mich auf meine Rolle vorzubereiten.«

Er begab sich in sein Schlafzimmer und kehrte nach wenigen Minuten als ein liebenswürdiger, schlicht aussehender Methodisten-Prediger zurück. Sein breiter, schwarzer Hut, seine weiten Beinkleider, die weiße Perücke, das milde Lächeln und der eigentümliche, stets damit verbundene Ausdruck im Verein mit wohlwollender Neugier konnten kaum treffender dargestellt werden. Aber Holmes wechselte nicht nur seinen Anzug. Seine Züge, sein Benehmen, ja sein ganzes Wesen schien ebenfalls mit jeder neuen Rolle zu wechseln.

Zehn Minuten vor sieben waren wir in der Serpentine Avenue. Es war schon dämmrig, und die Laternen wurden eben erleuchtet; wir wanderten vor der Villa auf und ab, um ihre Bewohnerin zu erwarten. Das Haus war genau so, wie ich es mir nach Holmes’ kurzer Beschreibung vorgestellt hatte, doch die Gegend hatte ich mir viel einsamer gedacht. Sie erschien mir für eine kleine Straße in ruhiger Nachbarschaft sogar sehr belebt. In einer Ecke plauderte eine Gruppe fröhlicher, rauchender Müßiggänger, drüben hielt ein Scherenschleifer mit seinem Rade, und in der Nähe schäkerten zwei Soldaten mit einem Kindermädchen. Mehrere gut gekleidete junge Leute schlenderten, die Zigarre im Munde, langsam auf und ab.

»Siehst du«, bemerkte Holmes, »diese Heirat vereinfacht die Sache außerordentlich. Jetzt ist die Photographie ein zweischneidiges Schwert geworden. Ich glaube nicht, daß ihr viel daran liegt, sie Herrn Norton zu zeigen, ebensowenig wie unser Klient sie von seiner Prinzessin bewundert sehen möchte. Die Frage ist nur, wo finden wir das Bild?«

»Ja, wo?«

»Es ist höchst unwahrscheinlich, daß sie es stets mit sich herumträgt. Ein Bild in Kabinettformat ist viel zu groß, um es leicht in einem Frauenkleide zu verbergen. Vermutlich hat sie es daher nicht bei sich.«

»Wo mag es dann stecken?«

»Vielleicht bei ihrem Bankier oder ihrem Rechtsanwalt. Beide Möglichkeiten sind nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Warum sollte sie es einem anderen übergeben? Auf sich selbst konnte sie sich verlassen, aber sie wußte nicht, ob auch ein Geschäftsmann jedem politischen oder indirekten Einfluß widerstehen würde. Bedenke außerdem, daß sie entschlossen ist, es in den nächsten Tagen zu gebrauchen, es muß deshalb stets zur Hand sein. Folglich kann sie es nur in ihrer eigenen Wohnung haben.«

»Hat man dort nicht schon zweimal eingebrochen?«

»Pah! sie verstanden eben nicht zu suchen.«

»Und wie willst du das anfangen?«

»Ich werde gar nicht suchen.«

»Was denn?«

»Sie soll es mir selbst zeigen.«

»Sie wird sich sicher weigern.«

»Dazu gebe ich ihr keine Möglichkeit. Horch der Wagen kommt! Nun befolge ganz genau meine Vorschrift!«

Der Schein der Wagenlampen wurde sichtbar, und ein eleganter, kleiner Viersitzer rollte auf die Villa zu. Er hielt kaum, als schon einer der herumlungernden Leute herbeistürzte, um für das Öffnen der Türe ein Trinkgeld zu erlangen. Ein anderer hegte dieselbe Absicht und stieß ihn beiseite. Ein heftiger Streit brach aus, die beiden Soldaten mischten sich hinein und nahmen für den ersten Partei, während der Scherenschleifer sich auf die Seite des andern schlug. Es kam zu einer förmlichen Schlägerei, und im Augenblick war die aus dem Wagen gestiegene Dame der Mittelpunkt einer Gruppe aufgeregter, zankender Menschen, die mit Fäusten und Stöcken aufeinander losgingen. Holmes stürzte sich zum Schutze der Dame mitten ins Gewühl, aber er hatte sie noch nicht erreicht, als er einen Schrei ausstieß und mit blutüberströmtem Gesicht zu Boden fiel. Dieser Anblick veranlaßte die ganze Bande, nach verschiedenen Seiten Reißaus zu nehmen, nur einige Personen aus dem besser gekleideten Publikum, die teilnahmlose Zuschauer der Szene geblieben waren, beeilten sich, der Dame und dem Verletzten zu Hilfe zu kommen. Irene Adler war die Stufen emporgeeilt, auf der Schwelle blieb sie zögernd stehen und blickte auf die Straße zurück, wobei sich ihre prachtvolle Figur vom erleuchteten Hintergrunde scharf abhob.

»Ist der arme Herr schwer verletzt?« fragte sie.

»Er ist tot«, schrieen mehrere Stimmen.

»Nein, noch ist Leben in ihm«, meinte ein anderer, »aber ehe er ins Hospital kommt, ist’s aus mit ihm.«

»Das ist ‘n braver Mensch«, sagte eine Frau. »Wär’ er nicht dazu gekommen, hätten sie der Dame Uhr und Kette weggerissen. Das war ‘ne böse Sorte. Da, er rührt sich noch!«

»Hier kann er nicht länger liegen bleiben, dürfen wir ihn hineintragen, Madamchen?«

»Gewiß, bringen Sie ihn ins Wohnzimmer, da ist ein bequemes Sofa. Bitte hier.«

Langsam und feierlich wurde er ins Haus getragen und im besten Zimmer niedergelegt; vom Fenster aus konnte ich den ganzen Vorgang genau beobachten. Ich sah Holmes auf dem Sofa liegen, da die Vorhänge hinter den erleuchteten Scheiben noch nicht zugezogen waren. Verursachte ihm sein falsches Spiel in diesem Augenblick nicht doch Gewissensbisse? Jedenfalls fühlte ich mich tief beschämt, gegen diese schöne Frau Ränke zu schmieden, die mit so entzückender Freundlichkeit und Grazie für den Verwundeten sorgte. Und doch, jetzt konnte und durfte er nicht mehr zurück, und darum versuchte auch ich jedes Reuegefühl abzuschütteln und zog die Rauchrakete aus meinem Überrock. Ich beruhigte mich damit, daß ihr selbst ja kein Leid geschehen sollte und wir sie nur daran hindern wollten, anderen zu schaden. Holmes hatte sich aufgerichtet, er machte eine Bewegung, als wenn er ersticken müßte.

Ein Dienstmädchen beeilte sich, das Fenster zu öffnen. Im selben Moment sah ich ihn die Hand erheben, warf meine Rakete ins Zimmer und schrie aus Leibeskräften: »Feuer!« Mit Windesschnelle verbreitete sich der Ruf weiter und lockte eine Menge Menschen herbei. Dicke Rauchwolken ballten sich im Zimmer und zogen aus dem geöffneten Fenster. Ich sah undeutlich die Schatten von hin und her laufenden Menschen und hörte gleich darauf die Stimme Holmes’ von innen versichern, es sei nur ein falscher Alarm gewesen. Ich drückte mich aus dem lärmenden Haufen und hatte noch nicht zehn Minuten an der Ecke gewartet, als Holmes seinen Arm in den meinigen schob und wir erleichtert und befriedigt den Heimweg antraten. Einige Minuten ging er rasch und schweigend neben mir, bis wir in die ruhigen Straßen von Edgeware Road einbogen.

»Du hast es sehr geschickt gemacht, Doktor«, bemerkte er. »Besser konnte es gar nicht gehen. Nun ist alles in Ordnung.«

»Du hast also die Photographie?«

»Das nicht, aber ich weiß, wo sie ist.«

»Wie hast du das nur herausbekommen?«

»Sie hat’s mir gezeigt, – wie ich dir voraussagte.«

»Das ist mir noch unklar.«

»Nun, ein Geheimnis will ich nicht daraus machen«, sagte er lachend. »Die ganze Geschichte ist höchst einfach. Du wirst natürlich erraten haben, daß auf der Straße alle im Einverständnis waren. Sie waren alle für den Abend engagiert.«

»Ich hab’ es mir fast gedacht.«

»Als nun der Skandal losging, hielt ich etwas feuchten, roten Farbstoff in meiner Handfläche. Beim Hinstürzen schlug ich sie mir vors Gesicht und sah nun natürlich zum Erbarmen aus. Das ist ein alter Kniff.«

»Das ahnte ich auch.«

»Man trug mich hinein. Was konnte sie dagegen machen? Und gerade in ihr Wohnzimmer, auf welches ich mein Hauptaugenmerk hatte. Es stößt an ihr Schlafzimmer, mir konnte also nichts entgehen. Sie legten mich nieder, ich schnappte nach Luft, das Fenster wurde geöffnet, und du kamst an die Reihe.«

»Was konnte dir das helfen?«

»Oh, sehr viel. Wenn eine Frau glaubt, ihr Haus brenne, wird sie instinktmäßig auf den Gegenstand losstürzen, der ihr am teuersten ist. Das ist vollständig naturgemäß, und ich habe es mehr als einmal zu meinem Vorteil ausgebeutet. Eine verheiratete Frau und Mutter greift nach ihrem Kinde, eine unverheiratete Frau nimmt ihren Schmuckkasten. Für mich stand es fest, daß für unsere Dame das wertvollste Gut eben der in Frage kommende Gegenstand sein mußte. Sie würde alles aufbieten, ihn in Sicherheit zu bringen. Der Feuerlärm wurde großartig ausgeführt. Der Rauch und das Geschrei hätten selbst Nerven von Stahl erschüttert. Sie reagierte denn auch vortrefflich darauf. Die Photographie befindet sich in einer Nische hinter einer verschiebbaren Wandfüllung, gerade über dem Klingelgriff. Frau Irene war sofort zur Stelle, und ich überzeugte mich mit einem raschen Seitenblick, daß sie wirklich ein Bild erfaßt hatte. Als ich dann rief, es wäre alles nur ein falscher Lärm gewesen, legte sie es wieder zurück, besah sich die Rakete und eilte aus dem Zimmer. Nachher habe ich sie nicht wieder gesehen. Ich stand auf und machte mich mit vielen Entschuldigungen aus dem Staube. Ich zögerte allerdings, ob ich nicht schnell die Photographie in meinen Besitz bringen sollte, doch der Diener war hereingekommen und ließ mich nicht aus den Augen. So hielt ich es denn für besser, zu warten, da eine kleine Überstürzung alles verderben konnte.«

»Und jetzt?« fragte ich.

»Ja, eigentlich bleibt kaum noch etwas zu tun. Morgen früh statte ich ihr mit dem Fürsten einen Besuch ab, falls du Lust hast, kannst du uns begleiten. Wir werden dann ersucht werden, im Wohnzimmer auf die Dame zu warten, aber ob sie uns oder die Photographie bei ihrem Erscheinen noch vorfindet, ist fraglich. Vielleicht bereitet es Seiner Hoheit eine besondere Genugtuung, das Bild mit eigener Hand wiederzugewinnen.«

»Wann soll der Besuch stattfinden?«

»Morgens acht Uhr. Dann wird die Dame noch nicht aufgestanden sein, und wir haben freie Bahn. Wir müssen natürlich pünktlich sein, da man nicht wissen kann, welche Veränderungen diese Heirat in ihrem Leben und ihren Gewohnheiten hervorruft. Ich werde sofort den Fürsten benachrichtigen.«

Während unseres Gespräches hatten wir die Bakerstraße erreicht und standen vor der Haustüre. Er suchte in der Tasche nach dem Schlüssel, als ihm ein Vorübergehender zurief: »Gute Nacht, Herr Holmes!« Das Trottoir war um diese Zeit ziemlich belebt, doch der Gruß schien von einem jungen Menschen in einem faltigen Überrock herzurühren, der eilig vorwärts schritt.

»Die Stimme habe ich schon irgendwo gehört«, sagte Holmes, die schwach erleuchtete Straße hinunterblickend, »wer, zum Teufel, mag das gewesen sein?«

III.

Ich schlief diese Nacht in der Bakerstraße, und wir nahmen am andern Morgen eben unser Frühstück ein, als der Fürst hereinstürmte. »Sie haben es wirklich?« rief er, Holmes bei den Schultern packend und ihm gespannt ins Gesicht sehend.

»Bis jetzt noch nicht.«

»Aber Sie haben doch Hoffnung?«

»Die hab’ ich.«

»Dann, bitte, kommen Sie, ich vergehe vor Ungeduld.«

»Wir müssen erst einen Wagen holen lassen.«

»Mein Brougham hält vor der Tür.«

»Um so besser.« Wir stiegen ein, und fort ging es nach Briony Lodge.

»Irene Adler ist verheiratet«, bemerkte Holmes.

»Verheiratet? Seit wann?«

»Seit gestern.«

»Und mit wem?«

»Mit einem englischen Rechtsanwalt namens Norton.«

»Wirklich? Nun, lieben kann sie ihn jedenfalls nicht.«

»Und doch wäre das im Interesse Eurer Hoheit nur zu wünschen.«

»Aber aus welchem Grunde?«

»Weil das Eure Hoheit vor jeder späteren Unannehmlichkeit sichern würde. Falls die Dame ihren Gatten liebt, liebt sie nicht Eure Hoheit. Und liebt sie Eure Hoheit nicht, warum sollte sie dann die Zukunftspläne Eurer Hoheit zerstören wollen?«

»Sehr richtig! Und dennoch – Ach, ich wünschte, sie wäre mir ebenbürtig – welch’ eine Fürstin wäre sie gewesen!« Er versank in nachdenkliches Schweigen, das auch bis zu unserem Ziel nicht unterbrochen wurde. Die Haustür von Briony Lodge war weit geöffnet, auf der Schwelle stand eine ältliche Frau. Sie verfolgte unser Aussteigen mit wahrhaft sardonischem Lächeln.

»Herr Sherlock Holmes, nicht wahr?« fragte sie.

Mein Freund warf ihr einen fragenden, ja bestürzten Blick zu. »Allerdings, ich bin Herr Holmes.«

»Wirklich! Meine Herrin hat mich schon auf Ihr wahrscheinliches Kommen vorbereitet. Sie ist heute früh in Begleitung ihres Gatten mit dem 5.15-Zuge von Charing Croß nach dem Kontinent abgereist.«

»Was?« Bleich bis in die Lippen fuhr Sherlock Holmes zurück. »Wollen Sie damit sagen, daß sie England verlassen hat?«

»Ja, für immer.«

»Und die Papiere?« fragte der Fürst heiser. »Also alles verloren?«

»Wir müssen zusehen.« Er schob die Dienerin zur Seite und eilte ins Zimmer, der Fürst und ich folgten ihm auf dem Fuße. Die Möbel standen verschoben und unordentlich im Zimmer umher, die offenstehenden Schränke und Schubladen schienen vor der plötzlichen Abreise noch schnell durchwühlt und teilweise geleert zu sein. Holmes flog zum Klingelgriff, schob ein kleines Türchen in die Täfelung zurück und zog eine Photographie und einen Brief aus der Öffnung. Das Bild zeigte Irene Adler in Gesellschaftstoilette, der Brief war an Herrn Sherlock Holmes adressiert. Mein Freund riß den Umschlag auf, und wir lasen ihn alle drei gleichzeitig. Er war um Mitternacht des vorigen Tages geschrieben und lautete folgendermaßen:

Mein lieber Herr Holmes!

Sie führten Ihre Rolle wirklich bewunderungswürdig durch, und es gelang Ihnen vollständig, mein Vertrauen zu gewinnen. Bis der Feuerlärm vorüber war, hegte ich nicht den geringsten Argwohn, doch dann sah ich ein, daß ich mich verraten hatte, und wurde nachdenklich. Vor Monaten wurde ich schon vor Ihnen gewarnt, und Sie mir als der einzige bezeichnet, den der Fürst als Agenten verwenden würde. Ihre Adresse erfuhr ich ebenfalls. Doch dies alles bringt mich auf Ihren Wunsch zurück. Anfangs schämte ich mich meines Mißtrauens gegen einen so liebenswürdigen, alten Prediger, aber Sie wissen, ich bin selbst Schauspielerin gewesen und verstehe mich daher auf eine gute Maske. Ich habe sogar oft genug selbst von Verkleidungen Gebrauch gemacht. Ich schickte meinen Diener John als Aufpasser ins Zimmer und warf mich oben in meinen ›Wanderanzug‹, wie ich ihn nenne. Ich wurde noch rechtzeitig fertig, um Ihnen bis zu Ihrer Haustür folgen zu können und mich selbst zu überzeugen, daß ich für den berühmten Herrn Holmes ein Gegenstand des Interesses sei. Unvorsichtig wünschte ich Ihnen sogar ›Gute Nacht‹ und beeilte mich meinen Gatten aufzusuchen. Wir hielten es beide für das beste, uns einem so furchtbaren Gegner durch die Flucht zu entziehen. Sie werden daher morgen nur ein leeres Nest vorfinden. Wegen des Bildes mag Ihr Klient völlig beruhigt sein. Ich liebe und werde von einem viel edleren Manne, als er ist, geliebt. Der Fürst mag völlig nach seinem Belieben handeln, ich werde ihm, trotz seiner schweren Schuld gegen mich, nicht mehr in den Weg treten. Das Bild behalte ich in meiner sicheren Hut, es soll mich nur gegen spätere Angriffe schützen. Ich hinterlasse eine Photographie, auf deren Besitz der Fürst vielleicht Wert legt, und verbleibe, lieber Herr Sherlock Holmes, für immer Ihre ergebene

Irene Norton, geb. Adler.

»Welch eine Frau – nein, welch eine Frau«, rief der Fürst, als wir das Schriftstück beendet hatten. »Sagte ich Ihnen nicht, wie schnell und entschlossen sie handelt? Würde sie nicht eine großartige Fürstin geworden sein? Es ist ein Jammer, daß sie nicht mit mir auf gleicher Höhe steht!«

»Nach dem, was ich von ihr gesehen habe, scheint sie mir allerdings einen ganz anderen Standpunkt einzunehmen als Eure Hoheit«, äußerte Holmes kühl. »Ich bedaure nur, die Angelegenheit nicht zu einem besseren Abschluß gebracht zu haben.«

»Im Gegenteil, mein lieber Herr«, rief der Fürst lebhaft, »einen besseren Erfolg kann ich mir gar nicht wünschen. Ihr Wort steht felsenfest. Die Photographie ist jetzt ebenso sicher, als wäre sie ins Feuer geworfen.«

»Die Worte Eurer Hoheit machen mich sehr glücklich.«

»Ich bin tief in Ihrer Schuld. Bitte sagen Sie mir, womit ich Ihnen danken kann. Dieser Ring« – – er zog einen Smaragdreifen vom Finger und hielt ihn Holmes auf der offenen Hand hin.

»Hoheit besitzen etwas, das viel höheren Wert für mich hätte.«

»Bitte nennen Sie es nur.«

»Diese Photographie.«

Der Fürst sah ihn erstaunt an. »Irenes Photographie? Aber natürlich, wenn Sie sie haben wollen.«

»Besten Dank, Hoheit. In der Sache läßt sich nun nichts mehr tun. Ich habe die Ehre, guten Morgen zu wünschen.« Er verbeugte sich und ging, ohne die ausgestreckte Hand des Fürsten zu bemerken.

Auf diese Weise wurde der drohende Skandal im Fürstentum O. glücklich verhütet und die scharfsinnigsten Pläne Sherlock Holmes’ durch die Schlauheit einer Frau vereitelt. Sonst hatte er sich stets über die Weiberschlauheit lustig gemacht, später habe ich nie mehr ein spöttisches Wort darüber von ihm gehört.

Der Bund der Rothaarigen

Als ich im vorigen Herbst eines Tages meinen Freund, Sherlock Holmes, aufsuchte, traf ich ihn in eifrigem Gespräch mit einem dicken, blühend aussehenden, älteren Herrn, der feuerrotes Haar hatte. Schon wollte ich mich mit einer Entschuldigung wieder entfernen, als mich Holmes rasch in das Zimmer zog und die Tür hinter mir schloß.

»Gelegener konntest du nicht kommen, lieber Watson«, sagte er herzlich.

»Ich fürchtete, du seiest beschäftigt«, entgegnete ich.

»Das bin ich – und zwar sehr.«

»So will ich im Nebenzimmer warten.«

»Nein, nein, bleibe nur hier. – Doktor Watson«, sagte er, mich dem Fremden vorstellend, »hat mir vielfach in meinen wichtigsten Fällen mit Rat und Tat zur Seite gestanden, und ich bezweifle nicht, daß er mir auch in Ihrer Angelegenheit, Herr Wilson, von großem Nutzen sein wird.«

Der dicke Herr erhob sich halb von seinem Sitz und nickte grüßend, indem er aus seinen kleinen, von Fettpolstern umgebenen Augen schnell einen forschenden Blick auf mich warf.

»Nimm Platz«, bat Holmes, in seinen Lehnstuhl zurücksinkend, und legte die Fingerspitzen aneinander, wie er es in kritischer Stimmung zu tun pflegte. »Ich weiß, lieber Watson, daß du meine Vorliebe für alles Absonderliche teilst, für alles, was nicht zum ledernen Einerlei des Alltagslebens gehört. Du hast das durch die Wärme bewiesen, mit welcher du einige meiner eigenen, unbedeutenden Erlebnisse wiedergegeben, ja – entschuldige – gewissermaßen ausgeschmückt hast.«

»Allerdings interessierten mich deine Fälle stets ganz besonders«, erwiderte ich.

»Du wirst dich erinnern, daß ich neulich, als wir es mit Fräulein Mary Sutherlands einfacher Angelegenheit zu tun hatten, die Bemerkung machte, wie die sonderbarsten Vorfälle und die merkwürdigsten Verwicklungen im Leben selbst zu finden sind. Die Wirklichkeit bringt weit Überraschenderes hervor als die lebhafteste Einbildungskraft.«

»Eine Behauptung, die ich mir anzuzweifeln getraute.«

»Das tatest du, und dennoch wirst du dich zu meiner Ansicht bekehren müssen, sonst häufe ich Beweise auf Beweise, bis du überführt bist und mir recht gibst. Herr Jabez Wilson hier war so freundlich, mich heute morgen aufzusuchen, um mir etwas zu erzählen, was man nicht alle Tage zu hören bekommt. Ich sagte schon früher, daß ungewöhnliche Dinge häufiger bei kleinen als bei großen Verbrechen vorkommen, ja in Fällen, bei denen es zuweilen sogar zweifelhaft ist, ob überhaupt ein Verbrechen vorliegt. Vielleicht handelt es sich auch im vorliegenden Falle um kein Verbrechen; – so viel ist aber gewiß, daß er höchst merkwürdig ist. Hätten Sie wohl die große Gefälligkeit, noch einmal von vorn anzufangen, Herr Wilson? Ich bitte nicht allein darum, weil mein Freund den ersten Teil nicht gehört hat, sondern, weil mir daran liegt, jede in Betracht kommende Einzelheit möglichst genau zu vernehmen. Gewöhnlich vermag ich mir schon bei oberflächlicher Angabe der Begebenheiten ein Bild vom Ganzen zu machen durch den Vergleich mit den zahllosen, ähnlichen Fällen, deren ich mich entsinne. Hier aber läßt mich jegliche Mutmaßung im Stich.«

Mit einem gewissen Stolz warf sich der behäbige Klient in die Brust und zog ein schmutziges, zerknittertes Zeitungsblatt aus der Rocktasche. Während er vorgebeugt den Anzeigenteil des Blattes durchsah, das er auf seinen Knieen ausbreitete, hatte ich Zeit, den Mann ruhig zu betrachten und nach Art meines Freundes zu versuchen, ob ich aus seinem Äußeren gewisse Anhaltspunkte gewinnen könnte, um mir ein Urteil über ihn zu bilden. Viel kam dabei jedoch nicht heraus.

Unserem Besucher war der Stempel eines ganz gewöhnlichen Durchschnittsmenschen aufgeprägt; sein wohlgenährtes, schwerfälliges und bedächtiges Aussehen bestätigte das, – vermutlich gehörte er dem Kaufmannsstande an. Er trug sehr weite graukarrierte Beinkleider, einen nicht allzu sauberen schwarzen Rock, der nicht zugeknöpft war, eine hellgraue Tuchweste und eine schwere vernickelte Uhrkette, an deren Ende ein viereckiges Metallstück als Verzierung baumelte. Ein abgeschabter Zylinder und ein ebensolcher Überzieher mit runzeligem Sammetkragen lagen auf dem Stuhl neben ihm. So gespannt ich den Mann auch betrachtete, fand ich an ihm weiter nichts Bemerkenswertes als sein feuerrotes Haar und einen Ausdruck von Verdruß und Mißmut in seinen Zügen.

Sherlock Holmes’ geübtem Auge entging mein Versuch nicht, und lächelnd schüttelte er den Kopf über meine forschenden Blicke. Dann sagte er: »Daß Herr Wilson eine Zeit lang Handarbeiter war, daß er schnupft, daß er Freimaurer ist, daß er in China war und kürzlich sehr viel geschrieben hat, sind Dinge, die klar auf der Hand liegen – weiter kann ich ihm aber nichts ansehen.«

Jabez Wilson schrak auf seinem Stuhl zusammen; den Zeigefinger auf der Zeitung, starrte er nach meinem Freunde hin.

»Woher in aller Welt wissen Sie das alles, Herr Holmes?« fragte er. »Woher wissen Sie z.B., daß ich Handarbeiter war? Richtig ist’s, weiß Gott! Ich fing als Schiffszimmermann an.«

»Das sehe ich Ihren Händen an, mein werter Herr; die rechte Hand ist weit größer als die linke. Da Sie mit jener arbeiteten, hat sich deren Muskulatur viel kräftiger entwickelt.«

»Gut – aber das Schnupfen und die Freimaurerei?«

»Ich traue Ihnen so viel Scharfsinn zu, Herr Wilson, daß Sie erraten, woraus ich das entnehme – besonders, weil Sie, wohl etwas gegen die strengen Statuten Ihres Ordens, Bogen und Kompaß als Busennadel tragen.«

»Ja, allerdings, das hatte ich vergessen. Und die Schreiberei?«

»Auf was sonst läßt hier rechts diese fünf Zoll lange, durchgeriebene Falte schließen und der glänzende Fleck am Ellenbogen – da wo der Arm auf dem Pult ruht?«

»Auch gut – aber China?«

»Nur in China konnte der Fisch dort über Ihrem rechten Handgelenk eingeätzt werden. Ich beschäftigte mich etwas mit tätowierten Zeichen, bereicherte sogar die Literatur hierüber; weiß also, daß die Kunst, die Fischschuppen so zart rötlich zu färben, speziell chinesisch ist. Sehe ich obendrein eine chinesische Münze an Ihrer Uhrkette, so ist die Sache noch einfacher.«

Jabez Wilson lachte laut; »Alle Wetter!« rief er aus, »erst glaubte ich, Sie verstünden Wunder was – jetzt sehe ich, daß schließlich blutwenig daran ist.«

»Allmählich komme ich dahinter, Watson, daß ich ein Tor bin mit meinen Erklärungen. Du weißt: Omne ignotum pro magnifico, und mein bißchen Ruf geht in die Brüche, wenn ich zu aufrichtig bin. – Sie können wohl die Anzeige nicht finden, Herr Wilson?«

»Ja, jetzt habe ich sie«, erwiderte der Gefragte und legte seinen dicken, roten Finger mitten auf die Spalte. »Da steht’s – damit fing die ganze Geschichte an. Lesen Sie gefälligst selbst, Herr Doktor.«

Ich nahm das Blatt und las folgendes:

An den Bund der Rothaarigen. Zufolge des Vermächtnisses des verstorbenen Ezekiah Hopkins von Libanon, Pennsylvania (Ver. Staaten), ist wieder eine Stelle zu besetzen, die ein Mitglied des Bundes zu einer Einnahme von 4 £ wöchentlich berechtigt gegen rein nominelle Leistungen. Alle an Leib und Seele gesunden Rothaarigen, die das einundzwanzigste Jahr zurückgelegt haben, können sich bewerben. – Persönliche Anmeldung Montag um 11 Uhr bei Duncan Roß, im Bundeslokal, Popes Court, 7 Fleet-Street.

»Was in aller Welt soll das heißen?« rief ich aus, nachdem ich die sonderbare Anzeige zweimal durchgelesen hatte.

Holmes wälzte sich förmlich vor Lachen auf seinem Stuhl, wie er es immer tat, wenn er guter Laune war.

»Nicht wahr, das ist absonderlich?« rief er. »Und nun, Herr Wilson, legen Sie los und erzählen Sie uns von sich, Ihrem Haushalt und von der Wirkung dieser Zeilen auf Ihr Lebensglück. – Du, Doktor, notierst gefälligst Namen und Nummer der Zeitung.«

»Es ist der ›Morning Chronicle‹ vom 27. April d. J. Das Blatt erschien genau vor zwei Monaten.«

»Gut. Bitte, fangen Sie an, Herr Wilson.«

»Also«, sprach Jabez Wilson, sich die Stirn trocknend, »wie ich Ihnen schon sagte, Herr Holmes – ich bin Inhaber einer kleinen Trödelbude in Coburg-Square, unweit der City. Ein sehr bedeutendes Geschäfts ist’s nicht, und in den letzten Jahren warf es nur so viel ab, wie ich zum Leben brauchte. Früher konnte ich zwei Gehilfen halten, jetzt aber habe ich nur einen, und es würde mir sauer werden, den zu bezahlen, wenn er nicht freiwillig für halben Lohn arbeitete, weil er das Geschäft erlernen will.«

»Wie heißt dieser gefällige Jüngling?« fragte Holmes.

»Er heißt Vincent Spaulding und ist gerade kein Jüngling mehr. Sein Alter läßt sich schwer bestimmen. Einen gewandteren Gehilfen kann ich mir gar nicht wünschen, Herr Holmes. Ich weiß wohl, daß er leicht eine bessere Stellung finden und doppelt so viel verdienen könnte, als ich ihm gebe. Da er aber zufrieden ist, weshalb sollte ich ihm einen Floh ins Ohr setzen?«

»Ja, allerdings weshalb? Sie können sich glücklich schätzen, einen Angestellten mit geringen Ansprüchen zu haben. Heutzutage kommt das im Geschäftsleben nicht oft vor. Mir scheint Ihr Gehilfe kaum weniger absonderlich zu sein als Ihre Anzeige.«

»Nun, er hat auch seine Fehler«, meinte Wilson. »Er ist ganz versessen auf das Photographieren. Auf einmal geht er mit seinem Apparat davon, läßt die Arbeit im Stich und verkriecht sich im Keller wie ein Karnickel in seinem Loch, um die Aufnahmen zu entwickeln. Das ist sein Hauptfehler, sonst ist er ein tüchtiger Arbeiter; ich kann nicht über ihn klagen.«

»Ich setze voraus, daß er noch bei Ihnen ist?«

»Ja, Herr Holmes. Er und ein vierzehnjähriges Mädchen, das etwas kochen kann und das Reinmachen besorgt – ist mein ganzes Personal im Hause. Wissen Sie, ich bin kinderloser Witwer. Wir drei leben ruhig bei einander, und wenn wir es auch nicht weit bringen, so haben wir doch unser Auskommen und machen keine Schulden. – Alles ging glatt, bis die Anzeige erschien. Gerade heute vor acht Wochen tritt Spaulding mit diesem Blatt in der Hand ins Geschäft und spricht:

»Wollte Gott, Herr Wilson, ich hätte rote Haare!«

»Weshalb?« fragte ich.

»Weshalb?« gibt er zurück, »weil hier wieder eine Freistelle im Bunde der Rothaarigen ausgeschrieben ist. Für den, der sie kriegt, ist’s wirklich ein kleines Vermögen, und wie ich sehe, gibt es mehr freie Stellen als Bewerber, so daß die Verwaltung nicht mehr weiß, wohin mit dem Gelde. Ließe sich doch mein Haar umfärben – in dies behagliche Nestchen setzte ich mich gern«.

»Nanu, wie verhält sich denn die Sache?« fragte ich. »Sehen Sie, Herr Holmes, ich bin eine richtige Hausunke, und da ich des Geschäfts wegen nicht auszugehen brauche, setze ich den Fuß oft wochenlang nicht über die Schwelle. Auf diese Weise erfahre ich wenig von dem, was draußen vor sich geht, und freue mich daher immer, etwas Neues zu hören.«

»Wissen Sie gar nichts vom Bunde der Rothaarigen?« fragte er und riß die Augen auf.

»Gar nichts.«

»Wirklich nicht? Das nimmt mich wunder, denn Sie selbst könnten Ansprüche auf eine Stelle erheben.«

»Und was wirft sie denn ab?« fragte ich.

»Mehr nicht als ein paar hundert im Jahr, doch ist die Arbeit gering, und man kann dabei auch seinen sonstigen Beschäftigungen nachgehen.«

»Da können Sie sich wohl denken, Herr Holmes, daß ich die Ohren spitzte, denn in den letzten Jahren ging das Geschäft nicht brillant, und so ein paar hundert nebenbei wären mir gerade gelegen gekommen.«

»Erzählen Sie mir Näheres davon«, bat ich.

»Sie sehen ja selbst«, sagte Spaulding und wies auf die Anzeige, »daß eine Vakanz des Bundes ausgeschrieben ist, und hier ist die Adresse, an die man sich zu wenden hat. Soviel ich in Erfahrung bringen konnte, wurde der Verein durch einen amerikanischen Millionär, Ezekiah Hopkins, gegründet, der ein rechter Sonderling gewesen sein muß. Bei seinem Tode fand sich ein Testament, in welchem er sein enormes Vermögen zur Errichtung einer Stiftung für Rothaarige bestimmte. Die Zinsen des Kapitals sollten dazu verwendet werden, solchen Leuten eine bequeme und auskömmliche Existenz zu verschaffen.«

»Da werden sich wohl Millionen Rothaarige melden?« warf ich ein.

»Keineswegs«, erwiderte er. »Die Stiftung beschränkt sich auf die Londoner und auf erwachsene Männer. Der Amerikaner hatte seine Jugend in London verlebt und wollte der alten Heimat eine Wohltat erweisen. Ferner hörte ich, es sei ganz nutzlos sich zu melden, wenn das Haar nur rotblond oder rotbraun ist; auf ein grelles, brennendes Rot kommt es an. Sollten Sie Lust haben, sich zu melden, so ist Ihnen die Stelle sicher; vielleicht aber lohnt es sich kaum für Sie, sich wegen ein paar hundert Pfund zu bemühen.« –

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
13 kasım 2024
Hacim:
730 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9788026813088
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
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