Kitabı oku: «Die Abenteuer des Sherlock Holmes: Ein Skandal in Böhmen und andere Detektivgeschichten / The Adventures of Sherlock Holmes: A Scandal in Bohemia and Other Stories – Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) / Bilingual edition (German-English)», sayfa 5
Ich hielt den Zeitungsausschnitt an das Licht:
»Vermißt seit dem 14. morgens ein Herr, namens Hosmer Angel. Derselbe ist groß, kräftig gebaut, blaß, hat schwarzes Haar, eine kahle Stelle auf dem Kopf, starken, dunklen Backen-und Schnurrbart; er trägt eine dunkle Brille und hat einen kleinen Sprachfehler. Seine Kleidung bestand, als er zuletzt gesehen wurde, aus einem schwarzen eingefaßten Rock, schwarzer Weste mit goldener Kette, grauem Beinkleid und braunen Gamaschen über den Stiefeln. Der Vermißte arbeitete in einem Geschäft in Leadenhall-Street; wer über ihn irgendwelche Angaben usw.«
»Das genügt«, sagte Holmes, und nachdem er die Briefe überflogen, meinte er: »Höchst alltäglich; Herr Angel zitiert Balzac, das ist das einzig Bemerkenswerte. Und doch wird auch dir ein Umstand auffallen.«
»Daß die Briefe mit der Maschine geschrieben sind«, erwiderte ich.
»Nicht allein das, sondern auch die Unterschrift ist Typenschrift. Sieh, wie sauber hier unten das ›Hosmer Angel‹ steht. Hier ist ein Datum, aber keine genaue Ortsangabe, denn Leadenhall-Street allein kann nicht genügen. Diese Unterschrift läßt auf vieles schließen – ja, sie ist maßgebend.«
»Wofür?«
»Siehst du wirklich nicht ein, wie schwer das ins Gewicht fällt, alter Junge?«
»Ehrlich gesagt, nein, es sei denn, der Schreiber hoffte auf diese Weise seine Unterschrift abschwören zu können, falls er wegen Bruchs des Eheversprechens zur Rechenschaft gezogen würde.«
»Nein, das hatte er schwerlich im Auge. Indessen will ich zur Aufklärung des Sachverhalte zwei Briefe schreiben, den einen an eine Firma in der City, den andern an Herrn Windibank, den Stiefvater der jungen Dame; letzteren will ich bitten, morgen abend um sechs Uhr bei mir vorzusprechen. Es ist geratener, die Sache mit dem männlichen Teil der Familie zu verhandeln. Bis die Antworten auf diese Briefe da sind, ist weiter nichts zu tun, Doktor, und so wollen wir die Sache bis dahin auf sich beruhen lassen.«
Ein schwerkranker Patient nahm mich zur Zeit völlig in Anspruch, und ich konnte am nächsten Abend erst gegen sechs Uhr nach der Bakerstraße fahren; schon fürchtete ich zu spät zu kommen, um der Aufklärung des Rätsels noch beizuwohnen. Ich fand aber Sherlock Holmes allein; er lag halb schlafend im Lehnstuhl. Ein ganzes Regiment von Flaschen, Röhren und Tiegeln und der scharfe Geruch von allerhand Säuren wiesen darauf hin, daß er sich eifrig mit chemischen Untersuchungen abgegeben hatte, was eine Liebhaberei von ihm war.
»Hast du die Lösung gefunden?« fragte ich eintretend.
»Ja. Es war schwefelsaurer Baryt.«
»Nein, nein – ich meine das Rätsel!«
»Ach so! das! Ich dachte nur an das analysierte Salz. Rätselhaft ist in der Sache gar nichts, wenn ich auch gestern einige Einzelheiten interessant nannte. Es ist nur bedauerlich, daß wohl kein Gericht dem Spitzbuben etwas anhaben kann.«
»Wer ist es denn und was bezweckte er, indem er Fräulein Sutherland sitzen ließ?«
Ich hatte kaum ausgesprochen und Holmes noch nicht geantwortet, als sich auf dem Flur ein schwerer Tritt vernehmen ließ und an der Tür geklopft wurde.
»Das ist Windibank, der Stiefvater«, sagte Holmes. »Er schrieb mir, er würde sich um sechs Uhr bei mir einfinden. Herein!«
Der Eintretende, ein handfester, mittelgroßer Mann von etwa dreißig Jahren, war glatt rasiert, hatte eine gelbliche Gesichtsfarbe und ein paar auffallend lebendige, durchbohrende graue Augen; sein Wesen war verbindlich, fast untertänig. Er warf einen fragenden Blick auf uns, stellte seinen glänzenden Zylinderhut auf den Nebentisch und nahm mit einer leichten Verbeugung auf dem nächsten Stuhle Platz.
»Guten Abend, Herr Windibank«, empfing ihn Holmes. »Ich setze voraus, daß dieser mit der Maschine geschriebene Brief, wodurch Sie sich auf sechs Uhr anmelden, von Ihnen stammt.«
»Ganz recht. Fast fürchte ich, mich etwas verspätet zu haben, doch bin ich nicht ganz Herr meiner Zeit. Ich bedaure, daß Fräulein Sutherland Sie mit dieser Kleinigkeit belästigt hat – schmutzige Wäsche wäscht man am besten zu Hause. Sie kam gegen meinen Wunsch und Willen; Sie haben wohl bemerkt, daß das junge Mädchen etwas aufgeregter, leidenschaftlicher Natur ist und durchsetzt, was sie einmal will. Da Sie keine amtliche Gerichtsperson sind, so hat es weniger auf sich, daß Sie eingeweiht wurden, – aber jedenfalls ist es höchst unangenehm, wenn ein derartiges unglückliches Familienereignis weiter verbreitet wird; nebenbei macht es nur unnötige Kosten, denn wie sollten Sie diesen Hosmer Angel auftreiben können?«
»Im Gegenteil«, versetzte Holmes gelassen, »ich habe die beste Aussicht, den Herrn entdecken zu können.«
Windibank erschrak sichtlich und ließ seine Handschuhe fallen. »Wirklich! das freut mich sehr«, sagte er.
»Es ist doch merkwürdig«, warf Holmes ein, »daß die Maschinenschrift so gut ihre Eigenart hat, wie die Handschrift eines Menschen. Sobald die Maschinen nicht mehr ganz neu sind, schreiben nicht zwei vollkommen gleich. Manche Buchstaben wetzen sich schneller ab als andere, einzelne auch nur auf einer Seite. Sehen Sie selbst, Herr Windibank, hier in Ihrem Briefchen ist das ›e‹ nie ganz rein, und auch am ›r‹ fehlt etwas. Noch vierzehn andere Merkmale sind vorhanden, doch treten diese beiden am deutlichsten hervor.«
»Wir bedienen uns dieser Maschine für unsere ganze Korrespondenz im Geschäft, und so ist sie selbstverständlich etwas abgenutzt«, erwiderte Windibank und richtete seine lebhaften, kleinen Augen forschend auf Holmes.
»Und nun will ich Ihnen eine recht interessante Wahrnehmung mitteilen«, fuhr mein Freund fort. »Ich gedenke dieser Tage eine kleine Arbeit über die Maschinenschrift in ihren Beziehungen zum Verbrechen herauszugeben, nachdem ich mich mit diesem Gegenstand in letzter Zeit etwas beschäftigt habe. Hier sind vier Briefe, die von dem Vermißten stammen sollen. Alle vier sind mit der Schreibmaschine geschrieben. In jedem dieser Briefe ist nicht allein das ›e‹ defekt und das ohne Abschluß, sondern Sie werden, wenn Sie meine Lupe gefälligst zu Hilfe nehmen wollen, auch sehen, daß sich darin die andern vierzehn Merkmale wiederfinden, von denen ich sprach.«
Hastig sprang Windibank auf und griff nach seinem Hut. »An derartige Beobachtungen und Unterhaltungen kann ich meine Zeit unmöglich verschwenden, Herr Holmes. Können Sie den Mann fangen, so tun Sie es und benachrichtigen Sie mich davon, wenn es geschehen ist.«
»Gewiß«, versetzte Holmes, ging zur Tür und schloß sie ab. »So teile ich Ihnen denn mit, daß ich ihn habe.«
»Was! wo?« stieß Windibank hervor.
»Lassen Sie es nur gut sein, es hilft alles nichts«, meinte Holmes freundlich und gelassen. »Sie kommen nicht durch, Herr Windibank. Die Sache liegt gar zu klar, und Sie machen mir ein schlechtes Kompliment mit der Behauptung, daß ich unmöglich ein so einfaches Rätsel lösen könne. Setzen Sie sich nur gefälligst und lassen Sie uns das Weitere besprechen.«
Wie gebrochen sank unser Besucher in seinen Sessel zurück, der Angstschweiß perlte ihm auf der Stirn. »Man kann mir nichts anhaben!« stieß er mühsam hervor.
»Leider nicht. Aber, Herr Windibank, unter uns gesagt, ein solch herzloser, grausamer, selbstsüchtiger Streich hat mir kaum jemals vorgelegen. Lassen Sie mich kurz den Tatbestand erörtern, und belehren Sie mich, wenn ich fehlgehe.«
Völlig geknickt saß der Mann da und senkte den Kopf tief herab auf die Brust. Holmes streckte die Beine weit von sich, lehnte sich zurück, versenkte seine Hände in die Rocktaschen und fing an, mehr mit sich selbst als mit uns zu sprechen.
»Der Mann heiratet eine Frau um des Geldes willen«, sagte er, »und vom Gelde der Tochter hat er die Nutznießung, solange sie im elterlichen Hause bleibt. Für Leute in ihrer Lage war die Summe bedeutend, und ihr Ausfall hätte sich sehr fühlbar gemacht. Die Tochter, ein gutes, freundliches Wesen, bedurfte mit ihrem warmen Herzen der Liebe, und so stand zu erwarten, daß sie bei ihren persönlichen Reizen und ihrem Einkommen nicht lange unbegehrt bleiben würde. Da nun ihre Heirat für den Stiefvater den Verlust einer jährlichen Einnahme von hundert Pfund bedeutete, entschloß sich dieser, eine solche zu verhindern. Wodurch? Vorerst will er sie ans Haus fesseln und verbietet ihr, die Gesellschaft von jungen Leuten aufzusuchen. Bald aber sieht er ein, daß sich das unmöglich durchführen läßt. Das Mädchen widersetzt sich, beharrt auf ihren Rechten und erklärt kurz und bündig, einen bestimmten Ball besuchen zu wollen. Was tut da der geschickte Stiefvater? Es fällt ihm ein Aushilfsmittel ein, das seinem Kopf mehr zur Ehre gereicht als seinem Herzen: Im Einverständnis mit seiner Frau und mit deren Hilfe verkleidet er sich, verbirgt seine zu lebhaften Augen hinter dunklen Gläsern, legt einen falschen Schnurr-und Backenbart an, dämpft seine klare Stimme und flüstert nur leise; er baut getrost auf die Kurzsichtigkeit des Mädchens, erscheint als Herr Hosmer Angel und verscheucht die Kurmacher, indem er selbst die Kur schneidet.«
»Erst war es nur ein Spaß«, seufzte unser Besucher. »Wir ahnten nicht, daß sie gleich Feuer fangen würde.«
»Das mag wohl sein. Nichtsdestoweniger fiel das junge Mädchen gründlich hinein, und da sie fest glaubte, ihr Stiefvater sei in Frankreich, dachte sie nicht daran, Argwohn zu schöpfen. Die Artigkeiten des jungen Mannes schmeichelten ihr, und die Lobeserhebungen der Mutter machten sie noch eindrucksvoller. Dann machte Herr Angel seinen Besuch, denn die Kurmacherei mußte bis zu einem gewissen Punkt getrieben werden, sollte sie einen wirklichen Erfolg haben. Es folgten Zusammenkünfte und eine Verlobung, die schließlich die Neigung der jungen Dame von jeder anderen Persönlichkeit ablenken sollte. Auf die Dauer ließ sich die Täuschung nicht aufrechterhalten. Die vorgespiegelten Reisen nach Frankreich wurden unbequem. Der einzige Ausweg war, eine tragische Lösung herbeizuführen, die auf das junge Mädchen einen so tiefen, bleibenden Eindruck machen mußte, daß ihr auf längere Zeit hinaus alle Heiratsgedanken vergingen. Darum jener Schwur der Treue auf die Bibel, darum die Andeutungen auf ein mögliches Hindernis noch am Hochzeitsmorgen. James Windibank wünschte Fräulein Sutherland so fest an Hosmer Angel zu binden und sie über dessen Los so in Unsicherheit zu lassen, daß sie unbedingt in den nächsten zehn Jahren keinen andern Mann erhören sollte. Bis an die Kirchentür hat er sie gebracht, und da er nicht weiter gehen durfte, verduftete er im richtigen Augenblick; er bediente sich des alten Kniffes, zu einer Wagentür hinein-, zur anderen herauszuspringen. In dieser Weise, glaube ich, daß die Ereignisse etwa aufeinander gefolgt sind.«
Windibank hatte, während Holmes sprach, etwas von seiner Sicherheit wieder erlangt; jetzt stand er auf, es lag kalter Hohn auf seinen blassen Zügen.
»Das alles mag sein, mag aber auch nicht sein, Herr Holmes«, sagte er, »wenn Sie aber gar so klug sind, so sollten Sie auch wissen, daß Sie jetzt wider das Gesetz handeln – ich aber nicht. Ich habe vom ersten Anfang an nichts Gesetzwidriges getan, solange Sie aber diese Tür verschlossen halten, machen Sie sich der Vergewaltigung und der Freiheitsberaubung gegen mich schuldig.«
»Das Gesetz kann Sie nicht fassen, Sie haben recht«, erwiderte Holmes, schloß die Tür auf und öffnete sie weit »und doch hat nie ein Mann die Strafe mehr verdient als Sie. Besitzt die junge Dame einen Bruder oder einen Freund, so sollte der die Reitgerte auf Ihren Schultern tanzen lassen. Wahrhaftig!« fügte er rot vor Zorn hinzu, als er das höhnische Lachen des andern wahrnahm, »zu meinen Pflichten gegen meine Klienten gehört das nicht – hier aber hängt eine Hetzpeitsche, und ich muß mir selbst …« Er wollte die Peitsche holen, doch ehe er sie gefaßt hatte, stürmten Männerschritte die Treppe hinab, laut schlug die Haustür zu, und vom Fenster aus sahen wir Herrn James Windibank, so schnell ihn die Füße nur tragen konnten, die Straße entlang eilen.
»Ein kaltblütiger Schuft!« meinte Holmes, als er sich lachend wieder in seinen Lehnstuhl warf.
»Ich begreife die ganze Entwicklung deiner Folgerungen immer noch nicht«, bemerkte ich.
»Vom ersten Augenblick an stand außer Frage, daß dieser Herr Hosmer Angel einen wichtigen Grund für sein sonderbares Benehmen haben mußte, und es lag ebenso klar auf der Hand, daß der einzige Mensch, der einen Vorteil aus der Sache zog, der Stiefvater war. Dann gab der Umstand, daß die beiden Männer nie zusammentrafen, sondern stets einer in Abwesenheit des andern erschien, Anlaß zu Vermutungen. Mit den dunkeln Augengläsern, der sonderbaren Stimme und dem starken Bart ging es ebenso. Mein Verdacht wurde dadurch vollends bestätigt, daß er sich mit der Schreibmaschine unterzeichnete, denn das ließ vermuten, daß ihr seine Schrift ganz genau bekannt war. Nun siehst du wohl, wie alle diese Einzelheiten mit noch anderen geringfügigeren auf ein und dasselbe Ziel deuten.«
»Und wie gelang es dir, die Belege dafür zu finden?«
»Einmal dem Manne auf der Spur, hatte ich gewonnenes Spiel. Ich wußte, wo er arbeitet. Nachdem ich die gedruckte Personalbeschreibung gelesen, strich ich alles, was von einer Verkleidung herrühren konnte – den Schnurrbart, die Brille, die Stimme – schickte in das Geschäft und bat, mich wissen zu lassen, ob die Angaben auf einen der Geschäftsreisenden passen. Da ich einige besondere Merkmale der Schreibmaschine, mit welcher die Briefe an Fräulein Sutherland geschrieben waren, wahrgenommen hatte, bat ich den Stiefvater brieflich, zu mir zu kommen, und adressierte den Brief in das Geschäft. Wie ich erwartet hatte, antwortete er mit der Maschine, und die Schrift zeigte genau dieselben kleinen Fehler, wie die Hosmer Angels. Mit derselben Post zeigten mir Westhouse & Marbank aus Fenchurch-Street an, die Personalbeschreibung passe genau auf ihren Angestellten – James Windibank. Siehst du, so kam’s heraus!«
»Und Fräulein Sutherland?«
»Sage ich ihr die Wahrheit, so wird sie mir nicht glauben.«
Der Mord im Tale von Bascombe
Wir saßen eines Morgens beim Frühstück, meine Frau und ich, als uns das Dienstmädchen eine Depesche hereinbrachte. Sherlock Holmes telegraphierte folgendes:
»Hast du zwei Tage frei? Werde soeben telegraphisch nach Westengland gerufen wegen des Mordes im Tale von Bascombe. Freute mich, wenn du mitkämest. Luft und Gegend köstlich. Ab Paddington 11.15.«
»Was meinst du, lieber Mann, fährst du mit?« fragte meine Frau, zu mir herüberblickend.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll; meine Krankenliste ist eben jetzt ziemlich lang.«
»Ach was, Anstruther wird dich vertreten. Du siehst in letzter Zeit etwas angegriffen aus, und ein Ausspannen tut die gut; überdies interessieren dich ja Sherlock Holmes’ Fälle stets ganz besonders.«
»Wie sollten sie auch nicht, da ich ja einem derselben deine Bekanntschaft verdanke. Soll ich aber wirklich mit, so muß ich mich beeilen, es bleibt mir ja nur eine halbe Stunde.«
Das Lagerleben in Afghanistan hat wenigstens den Vorteil gehabt, aus mir einen jederzeit fix und fertigen Reisenden zu machen. Ich brauchte nicht viel unterwegs, saß deshalb bald mit meiner Reisetasche im Wagen und rollte dem Bahnhof von Paddington zu. Sherlock Holmes schritt bereits dort auf und ab; seine hohe, hagere Gestalt erschien im langen, grauen Reisemantel und in der knappen Tuchmütze noch größer und abgemagerter als sonst.
»Das ist wirklich hübsch von dir, daß du kommst, Watson«, sagte er. »Für mich ist’s ein großer Vorteil, einen ganz zuverlässigen Begleiter bei mir zu haben. Hilfe am Ort ist stets entweder wertlos oder parteiisch. Laß uns zwei Eckplätze belegen, hier habe ich die Fahrkarten.«
Wir blieben allein im Abteil mit einem ganzen Stoß Zeitungen und Papieren, die Holmes mitgebracht hatte.
Bis zur Station Reading blätterte er hin und her, las, schrieb Notizen auf und dachte dazwischen nach. Dann raffte er plötzlich alles zusammen und warf es oben in das Gepäcknetz.
»Hast du schon von dem Fall gehört?« fragte er.
»Kein Wort; ich las in den letzten Tagen keine Zeitung.«
»Die Londoner Presse brachte wenig ausführliche Berichte. Ich sah soeben die neuesten Zeitungen durch, um die Einzelheiten zu überblicken. Wie mir scheint, ist es einer jener ganz einfachen Fälle, die so außerordentlich schwierig sind.«
»Das lautet etwas widersprechend.«
»Und doch liegt tiefe Wahrheit darin. Je weniger absonderlich, je gewöhnlicher ein Verbrechen ist, desto schwieriger läßt es sich entdecken. In diesem Fall liegt eine schwere Anklage gegen den Sohn des Ermordeten vor.«
»Also handelt es sich um einen Mord?«
»Wenigstens nimmt man einen solchen an. Ich aber nehme nichts an, ehe ich nicht die Sache persönlich geprüft habe. Ich will dir in aller Kürze den Tatbestand mitteilen, soweit ich ihn selbst zu erkennen vermag.
Das Tal von Bascombe ist ein Landbezirk, nicht gar weit von Roß in Herefordshire gelegen. Der größte Landbesitzer dort ist ein Herr John Turner, der in Australien reich wurde und vor Jahren in die alte Heimat zurückkehrte. Eines seiner Güter, es heißt Hatherley, war an Herrn Charles Mc Carthy verpachtet – gleichfalls ein ehemaliger Australier. Die beiden Männer hatten sich in den Kolonien kennen gelernt, und so war es begreiflich, daß sie sich möglichst nahe beisammen niederließen. Turner war offenbar der reichere von beiden, deshalb wurde Mc Carthy sein Pächter, was ihn jedoch nicht abgehalten zu haben scheint, auf völlig gleichem Fuße mit jenem zu verkehren. Mc Carthy hatte einen Sohn von achtzehn Jahren, Turner eine Tochter in gleichem Alter, und beide waren Witwer. Sie scheinen jeden Verkehr mit den englischen Familien der Umgegend gemieden zu haben und lebten sehr zurückgezogen, obwohl Vater und Sohn Mc Carthy den Sport liebten und sich oft bei den Pferderennen der Nachbarschaft einfanden. Mc Carthy hielt zwei Dienstboten, einen Diener und eine Köchin, während Turner deren weit mehr, wenigstens ein halbes Dutzend, im Hause hatte. Das ist so ziemlich alles, was ich über die Familien zu erfahren vermochte. Und nun zu den Tatsachen, die mit dem Verbrechen selbst zusammenhängen.
Am 3. Juni – also vorigen Montag – verließ Mc Carthy sein Haus in Hatherley ungefähr um 3 Uhr nachmittags und ging hinab nach dem Bascombe-Teich, einem kleinen See, der durch die plötzliche Verbreiterung des Flusses unten im Tal entsteht. Am Morgen war er mit seinem Diener in Roß gewesen und hatte sich diesem gegenüber geäußert, er müsse sich beeilen, weil er auf 3 Uhr eine wichtige Besprechung verabredet habe; von dieser kehrte er nicht mehr lebendig zurück.
Das Pachthaus Hatherley liegt eine Viertelmeile vom Teich entfernt, und auf dem Wege dahin wurde Mc Carthy von zwei Personen gesehen: von einer alten Frau, deren Name nicht genannt wird, und von William Crowder, einem Wildhüter im Dienste Herrn Turners. Beide Zeugen sagen aus, daß Mc Carthy allein ging. Der Wildhüter fügt hinzu, er sei, wenige Minuten nachdem Mc Carthy vorübergegangen, auch dessen Sohne, John Mc Carthy, mit einer Flinte unterm Arm, auf demselben Wege begegnet, und er glaubt gewiß, der Vater müsse noch in Sicht gewesen sein, als ihm der Sohn folgte.
Er habe nicht weiter an die Sache gedacht, bis er abends von dem schrecklichen Ereignis hörte.
Auch noch später wurden die beiden Mc Carthy gesehen, nachdem sie der Wildhüter aus den Augen verloren hatte. Der Bascombe-Teich ist rings von dichtem Wald umgeben, nur hart am Ufer wächst ein Streifen Gras und Rohr. Patience Moran, die Tochter des Gutsaufsehers von Bascombe, war gerade im Walde, um Blumen zu pflücken. Sie sagt aus, daß sie von dort Herrn Mc Carthy und seinen Sohn dicht am Teich in augenscheinlich heftigem Streit gesehen habe; sie hörte, wie der Vater dem Sohn sehr harte Worte zurief, und sah auch, daß letzterer die Hand erhob, als wolle er den Vater schlagen. Über die Heftigkeit der beiden Männer erschrocken, rannte das junge Mädchen nach Hause, erzählte der Mutter, was sie bei dem Bascombe-Teich gesehen, und äußerte ihre Befürchtung, die beiden könnten zu Tätlichkeiten übergehen. Kaum hatte sie dies gesprochen, so stürzte auch schon der junge Mc Carthy herbei. Er rief, er habe seinen Vater tot im Walde gefunden, und bat den Aufseher um Hilfe. Er war sehr aufgeregt, trug weder Hut noch Gewehr, und an seiner rechten Hand und am rechten Ärmel waren Blutspuren sichtbar. Die Leute folgten dem jungen Mann und fanden die Leiche des Vaters im Grase neben dem Teich ausgestreckt. Der Schädel war durch wiederholte Schläge mit einer stumpfen Waffe eingeschlagen worden. Die Verletzungen konnten sehr wohl vom Flintenkolben des Sohnes herrühren; die Flinte lag nur wenige Schritte von der Leiche entfernt im Grase. Unter diesen Umständen wurde der junge Mann sofort verhaftet, und da nach der Voruntersuchung am Dienstag die Anklage auf »vorsätzliche Tötung« lautete, wurde er am Mittwoch der Staatsanwaltschaft von Roß zugeführt, die den Fall vor die nächste Schwurgerichtssession bringen wird. Das ist der einfache Hergang, wie er sich vor dem Untersuchungsrichter und auf dem Polizeiamt herausgestellt hat.«
»Ich kann mir kaum einen Fall denken«, bemerkte ich, »wo alle Umstände so bestimmt auf den Täter hinweisen, wie hier.«
»Mit diesen Indizienbeweisen steht es oft mißlich«, meinte Holmes nachdenklich. »Oft weisen sie sehr deutlich auf einen bestimmten Punkt hin, verändert man aber den eigenen Standpunkt nur ein klein wenig, so ergibt sich leicht, daß sie in ebenso unzweideutiger Weise ganz wo anders hinzielen. Hier freilich treten die Tatsachen sehr ernst gegen den jungen Mann auf, und es ist wohl möglich, daß er der Schuldige ist. Jedoch glauben einige in der Nachbarschaft – unter diesen auch Fräulein Turner, die Tochter des benachbarten Gutsherrn – an seine Unschuld; sie hat Lestrade, den du aus einer andern Geschichte kennst, gebeten, den jungen Mann zu verteidigen. Lestrade, dem die Sache etwas rätselhaft erschien, übertrug sie mir, und darum fahren wir zwei gesetzte Herren jetzt eben mit dem Schnellzug nach Westen, statt behaglich daheim unser Frühstück zu verdauen.«
»Ich fürchte, die Tatsachen sprechen hier so unverkennbar, daß für dich bei dieser Geschichte wenig Ruhm zu holen ist.«
»Nichts täuscht leichter als eine ›unverkennbare Tatsache‹«, erwiderte Holmes lachend. »Außerdem haben wir vielleicht Glück und stoßen auf eine andere ›unverkennbare Tatsache‹, die Herr Lestrade trotzdem verkannte. Nun – ohne ruhmredig sein zu wollen, was ich nicht bin, wie du weißt – möchte ich doch behaupten, daß ich seine Theorie entweder bestätigen oder zu nichte machen werde durch Mittel, zu deren Anwendung er nicht fähig ist, und die er vielleicht nicht einmal begreift. Nehmen wir einmal das erste Beispiel: Ich weiß genau, wenn ich dich ansehe, daß das Fenster in deinem Schlafzimmer auf der rechten Seite liegt, und doch bezweifle ich, ob Herr Lestrade selbst etwas so Unverkennbares bemerken würde.«
»Wie in aller Welt – – –?«
»Mein lieber Freund, ich kenne dich genau, kenne deine ganze militärische Pünktlichkeit. Du rasierst dich jeden Morgen, und zu dieser Jahreszeit rasierst du dich bei Tageslicht; da aber dein Rasieren immer mangelhafter wird, je weiter es nach links kommt, ja an der Rundung der Kinnlade geradezu nachlässig ist, so muß offenbar die linke Seite nicht so hell beleuchtet sein, wie die rechte. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß ein Mann wie du mit einem solchen Ergebnis zufrieden wäre, wenn er sich in gleichmäßigem Licht rasierte. Ich erwähne dies nur als ein geringfügiges Beispiel von Beobachtung und Folgerung. Darin eben liegt mein Handwerk, und möglicherweise wird es in der uns bevorstehenden Untersuchung von einigem Nutzen sein. Es sind einige nebensächliche Punkte in der Voruntersuchung zur Sprache gekommen, die der Betrachtung wert sind.«
»Und diese wären?«
»Wie es scheint, wurde der junge Mann nicht sofort verhaftet, sondern erst nach seiner Rückkehr im Pachthof von Hatherley. Als ihm seine Verhaftung angezeigt wurde, meinte er, das überrasche ihn nicht, er habe nichts anderes erwartet. Diese Bemerkung aus seinem Munde mußte selbstverständlich jeden Zweifel, den die Gerichtsleute noch hegen konnten, beseitigen.«
»Es war ein Geständnis,« rief ich aus.
»Nein, denn es folgten ihm Unschuldsbeteuerungen.«
»Zum Schluß einer solchen Reihe belastender Umstände war es wenigstens eine höchst verdächtige Bemerkung.«
»Im Gegenteil, Watson; für den Augenblick sehe ich es als den hellsten Lichtpunkt an, der die finsteren Wolken durchbricht. Wenn er noch so unschuldig ist, müßte er doch ein arger Dummkopf sein, um nicht einzusehen, wie schwer alles gegen ihn zeugt. Hätte er bei der Verhaftung Überraschung gezeigt oder Entrüstung geheuchelt, so wäre mir das höchst verdächtig erschienen, denn diese Empfindungen wären nach Lage der Sache unnatürlich gewesen, konnten aber doch dem Verbrecher als das Klügste erscheinen. Das offene Auftreten des Sohnes kennzeichnet entweder seine Unschuld oder seine große Festigkeit und Selbstbeherrschung. Was nun jene Äußerung betrifft, er habe nichts anderes erwartet, so war auch sie nicht unnatürlich, wenn du bedenkst, daß er vor dem entseelten Körper seines Vaters stand, und daß er zweifellos an jenem Tage seine kindliche Pflicht so weit vergessen hatte, um mit seinem Vater in Streit zu geraten, ja sogar – nach der so wichtigen Aussage des jungen Mädchens – die Hand wie zum Schlage wider ihn zu erheben. Der Selbstvorwurf und die Reue, die in seiner Bemerkung liegen, scheinen mir eher auf eine reine als auf eine schuldige Seele zu deuten.«
Ich schüttelte den Kopf. »Gar mancher wurde auf schwächere Beweisgründe hin gehenkt.«
»So ist’s – und gar mancher wurde unschuldig gehenkt.«
»Was sagt der junge Mann selbst über die Sache aus?«
»Ich fürchte, was er sagt, ist für seine Verteidiger wenig ermutigend; dennoch sind einige Punkte wohl zu beachten. Hier steht es. Lies selbst.«
Holmes suchte in seinem Aktenbündel eine Nummer des Lokalblattes von Herefordshire, und nachdem er die Seite durchflogen, deutete er auf den Abschnitt, in dem über die Aussage des unseligen jungen Mannes selbst berichtet wurde. Ich setzte mich bequem in die Ecke und las den Verhandlungsbericht mit Aufmerksamkeit:
Nunmehr wurde Herr James Mc Carthy, der einzige Sohn des Verstorbenen, vorgeführt; er sagte folgendes aus: »Ich war drei Tage von Hause abwesend und kehrte erst am Montagmorgen, am 3., von Bristol zurück. Bei meiner Ankunft traf ich meinen Vater nicht daheim, und das Dienstmädchen sagte mir, er sei mit dem Diener, John Cobb, nach Roß hinübergefahren. Kurz nach meiner Rückkehr hörte ich seinen Wagen im Hofe einfahren. Ich trat an das Fenster, sah ihn aussteigen und sich rasch vom Hofe entfernen – nach welcher Richtung hin, wußte ich selbst nicht. Da nahm ich mein Gewehr und schlenderte auf den Teich von Bascombe zu, mit der Absicht, auf der andern Seite desselben den Kaninchenbau zu durchsuchen. Unterwegs sah ich William Crowder, den Wildhüter, was derselbe bereits bestätigte; nur irrt er in seiner Annahme, daß ich dem Vater folgte. Ich hatte keine Ahnung, daß er vor mir ging. Etwa hundert Schritt vom Teich entfernt vernahm ich den Ruf: ›Cooee‹, [Sprich: ›Kuui‹] das gewöhnliche Zeichen zwischen meinem Vater und mir. Ich eilte der Stimme nach und fand meinen Vater am Wasser. Mein Erscheinen schien ihn etwas zu überraschen, und er fragte ziemlich barsch, was ich da wolle. Es entspann sich ein Gespräch, das bald zum Wortwechsel, ja fast zu Tätlichkeiten führte, denn mein Vater war ein sehr jähzorniger Mann. Als ich sah, daß sein Zorn keine Grenzen mehr kannte, verließ ich ihn und ging nach dem Pachthof von Hatherley zurück. Kaum war ich etwa 150 Schritte weit fort, so hörte ich hinter mir einen furchtbaren Schrei, der mich veranlaßte zurückzulaufen. Ich fand meinen Vater sterbend am Boden mit einer schweren Verletzung am Kopf. Ich warf mein Gewehr weg und hielt ihn in den Armen, doch starb er unmittelbar darauf. Ein Weilchen kniete ich neben ihm, dann eilte ich zum Gutswächter des Herrn Turner, dessen Haus zunächst lag, und bat um Hilfe. Als ich zurückkehrte, sah ich niemand in der Nähe meines Vaters, habe auch keine Ahnung, wie er zu seinen Verletzungen gekommen ist. Er war nicht eben beliebt, da in seinem Benehmen etwas Kaltes und Abweisendes lag; doch, soviel mir bekannt ist, hatte er keine wirklichen Feinde. Weiter weiß ich nichts zu sagen.«
Untersuchungsrichter: »Hat Ihnen Ihr Vater vor seinem Tode irgend welche Mitteilung gemacht?«
Zeuge: »Er murmelte einige Worte, doch konnte ich nur etwas wie ›a rat‹ (eine Ratte) verstehen.«
Untersuchungsrichter: »Um was handelte es sich bei Ihrem letzten Streit mit Ihrem Vater?«
Zeuge: »Ich bitte, mir die Antwort auf diese Frage zu erlassen.«
Untersuchungsrichter: »Ich bedaure, darauf dringen zu müssen.«
Zeuge: »Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Doch vermag ich Ihnen die Versicherung zu geben, daß es durchaus in keiner Beziehung zu dem stand, was nachher geschah.«
Untersuchungsrichter: »Darüber hat der Gerichtshof zu entscheiden. Ich brauche Sie nicht erst darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Weigerung, zu antworten, Ihrer Sache im bevorstehenden Verfahren nur Nachteil bringen kann.«
Zeuge: »Und dennoch muß ich es ablehnen.«
Untersuchungsrichter: »Verstehe ich Sie recht, so war der Ruf ›Cooee‹ das gewöhnliche Zeichen zwischen Ihnen und dem Vater?«
Zeuge: »Ja«.
Untersuchungsrichter: »Wie kam es wohl, daß er den Ruf ausstieß, ehe er Sie gesehen, ja ehe er überhaupt wußte, daß Sie aus Bristol zurückgekehrt waren?«
Zeuge – in sichtlicher Verlegenheit: »Das weiß ich nicht.«
Ein Beisitzer: »Haben Sie in dem Augenblick, wo Sie auf den Ruf Ihres Vaters zurückeilten und Ihren Vater schwer verletzt auffanden, nichts wahrgenommen, das Ihren Argwohn erregt hätte?«
Zeuge: »Nichts Bestimmtes.«
Untersuchungsrichter: »Was meinen Sie damit?«
Zeuge: »Ich war so ergriffen und aufgeregt, als ich aus dem Walde ins Freie lief, daß ich an nichts anderes denken konnte als an meinen Vater. Doch habe ich eine dunkle Vorstellung, als hätte ich beim Vorwärtsstürzen einen Gegenstand zu meiner Linken liegen sehen. Es schien mir etwas graufarbiges – irgend ein Rock oder vielleicht ein Plaid. Als ich mich wieder von meinem Vater aufrichtete, sah ich danach; doch es war fort.«