Kitabı oku: «Die Abenteuer des Sherlock Holmes: Ein Skandal in Böhmen und andere Detektivgeschichten / The Adventures of Sherlock Holmes: A Scandal in Bohemia and Other Stories – Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) / Bilingual edition (German-English)», sayfa 8
»Vollkommen.«
»Denken Sie jetzt weder an Rache noch an sonst dergleichen. Das werden wir wohl später auf gesetzlichem Wege erlangen können. Für jetzt haben wir unser Netz noch zu spinnen, während der Feind bereits seine Beute umgarnt hat. Vor allem gilt es, der großen Gefahr zu entgehen, die Sie bedroht. Dann muß der Schleier gelüftet werden, und die Schuldigen finden ihre Strafe. Wie kehren Sie zurück?«
»Mit dem Zuge vom Waterloobahnhof.«
»Es ist noch nicht neun Uhr. Die Straßen sind jetzt belebt, und so hoffe ich, Sie sind sicher. Doch können Sie nicht vorsichtig genug sein.«
»Ich bin bewaffnet.«
»Das ist recht. Morgen nehme ich Ihren Fall in Angriff.«
»So darf ich Sie in Horsham erwarten?«
»Nein, Ihr Geheimnis liegt in London verborgen; hier muß ich danach forschen.«
»So werde ich Sie in den allernächsten Tagen aufsuchen und Ihnen über Kasten und Papiere berichten. Ihr Rat soll genau befolgt werden.«
Er reichte uns die Hand und verabschiedete sich. Draußen heulte der Wind noch immer, und der Regen schlug an die Fenster. Es war, als hätten die entfesselten Elemente diese merkwürdige Begebenheit zu uns hereingeweht – wie einen von den Wogen angeschwemmten Büschel Seetang, den nun das tobende Meer wieder verschlang.
Schweigend saß Sherlock Holmes und starrte sinnend in die rote Feuerglut. Dann steckte er seine Pfeife an, lehnte sich bequem zurück und blickte den einzelnen Rauchringen nach, die zur Decke emporstiegen.
»Mich dünkt, Watson,« bemerkte er endlich, »ein so phantastischer Fall ist uns noch nicht vorgekommen.«
»Höchstens der des ›Zeichen der Vier‹.
»Nun ja, den nehme ich aus. Und doch glaube ich, daß John Openshaw in noch größerer Gefahr schwebt, als damals die Scholtos.«
»Hast du irgend welche bestimmte Vermutung über die Art dieser Gefahr?«
»Darüber ist kein Zweifel möglich.«
»So sprich! Wer ist dieser K. K. K., und warum verfolgt er die unglückliche Familie?«
Sherlock Holmes schloß die Augen, stützte die Ellenbogen auf die Lehnen seines Stuhles und legte die Fingerspitzen aneinander. »Der vollendete Denker,« sagte er, »müßte eigentlich imstande sein an der Hand einer einzigen Thatsache, welche ihm in allen ihren Beziehungen klar geworden ist, sowohl die Begebenheiten, die daraus folgten, als auch diejenigen, welche vorausgingen, zu ermitteln. Genau so, wie Cuvier den Bau eines ganzen Tieres bei der Betrachtung eines einzigen Knochen festzustellen vermochte. Wir sind uns noch viel zu wenig bewußt, was wir alles durch bloße Geistesarbeit erreichen können. Mit Hilfe des Studiums vermag man Probleme zu lösen, an welchen diejenigen verzweifeln, die die Lösung nur vermittelst ihrer fünf Sinne zu finden trachten. Der Höhepunkt der Kunst läßt sich jedoch nur erreichen, wenn der Forscher es versteht, alle Fakta zu benutzen, die zu seiner Kenntnis gelangen. Das hat aber ein so universelles Wissen zur Voraussetzung, wie es selbst in unserer Zeit freier und allgemeiner Bildung nur wenigen zugänglich ist. Dagegen scheint es mir nicht so ganz unmöglich, daß ein Mensch alles Wissen besitzt, das ihm in seinem Fach nützlich werden kann, und dies zu erwerben habe ich mich redlich bemüht. Entsinne ich mich recht, so hast du einmal in den Tagen unsrer frühsten Freundschaft die Grenzen meiner Fähigkeiten sehr genau verzeichnet.«
»Jawohl,« erwiderte ich lachend, »es war eine gelungene Liste. Philosophie, Astronomie und Politik waren darin – wenn ich mich recht erinnere – mit einer Null versehen. In Botanik warst du ungleich, in Geologie dagegen sehr gründlich, namentlich mit Bezug auf Dreckspuren aus jeder beliebigen Gegend im Umkreis von London; mit Chemie stand’s brillant; Kenntnisse in Anatomie unsystematisch; in Kriminalliteratur ein hervorragender Kenner. Im übrigen guter Boxer, Fechter, Jurist. So lauteten wohl die Hauptpunkte meiner Analyse.«
Holmes lachte. »Und ich sage heute wie damals: Der Mensch soll seine kleinen Gehirnkammern mit dem füllen, was er voraussichtlich brauchen wird, das übrige kann er in den dunkelsten Winkel seiner Bibliothek stecken, wo er es im Notfall findet. In einem Fall, wie der uns heute abend vorgelegte, gilt es eine Musterung von allem, was uns nur irgend zu Gebote steht. Bitte, reiche mir den Buchstaben K der Amerikanischen Encyklopädie, die aus dem Regal hinter dir steht. – Danke. – Nun laß uns die Sache näher betrachten und sehen, was man daraus folgern kann. Vor allem ist mit ziemlicher Gewißheit anzunehmen, daß Oberst Openshaw einen sehr triftigen Grund hatte, Amerika zu verlassen. Männer seines Alters ändern nicht leicht ihre Gewohnheiten und vertauschen nicht gern das liebliche Klima Floridas gegen das einsame Leben einer englischen Provinzialstadt. Seine übergroße Zurückgezogenheit in England läßt uns vermuten, daß er sich vor jemand oder vor etwas fürchtete, und daß ihn diese Furcht aus Amerika vertrieben hat. Was dies Befürchtete war, können wir uns aus den schrecklichen Briefen folgern, die er und seine Familie erhielten. Hast du die Postzeichen auf den Briefen bemerkt?«
»Der erste kam aus Ponditscherri, der zweite aus Dundee und der dritte aus London.«
»Aus Ost-London. Was folgerst du daraus?«
»Es sind drei Seehäfen. Also war der Schreiber an Bord.«
»Vortrefflich. Da halten wir schon einen Faden. Es ist unbedingt anzunehmen – ja, fast zweifellos, daß der Schreiber an Bord eines Schiffes ist. Und nun ein zweiter Punkt: Nach dem Brief aus Ponditscherri verstrichen sieben Wochen zwischen Warnung und Ausführung, nach dem aus Dundee nur drei bis vier Tage. Giebt uns das keinen Anhalt?«
»Im ersteren Fall war eine größere Entfernung zurückzulegen.«
»Aber dies gilt auch von dem Brief.«
»Dann werde ich nicht klug daraus.«
»Es liegt wenigstens die Vermutung nahe, daß der Mann oder die Männer an Bord eines Seglers sind. Fast scheint es, sie schicken ihre eigentümliche Warnung oder ihr Zeichen voraus, sobald sie sich auf den Weg machen, um ihre Absicht auszuführen. Du siehst, wie rasch die That auf den Brief aus Dundee folgte. Wären die Leute auf einem Dampfer von Ponditscherri gekommen, so würden sie fast zugleich mit ihrem Brief angelangt sein. Es steht aber fest, daß sieben Wochen dazwischen verstrichen. Mir scheint, diese sieben Wochen bilden den Unterschied in der Zeit zwischen der Fahrt des Postdampfers, der den Brief beförderte, und dem Segler, der den oder die Schreiber brachte.«
»Das ist möglich.«
»Mehr als das – es ist wahrscheinlich. Und nun begreifst du die Dringlichkeit dieses neuen Falles und weshalb ich den jungen Openshaw zur Vorsicht ermahnte. Der Schlag fiel stets, wenn die Zeit um war, deren der Absender bedurfte, um selbst die Entfernung zurückzulegen. Der letzte Brief kommt aus London, und so ist nicht auf Aufschub zu rechnen.«
»Großer Gott!« rief ich aus, »was mag diese erbarmungslose Verfolgung bedeuten?«
»Sichtlich sind die Papiere, welche Openshaw besaß, der Person oder den Personen auf dem Segler von größter Wichtigkeit. Offenbar sind es ihrer mehrere. Ein Mann allein hätte schwerlich zwei derartige Mordthaten auszuführen vermocht. Es müssen entschlossene, verwegene Leute sein. Sie wollen ihre Papiere – mag sie haben, wer da will. Wie mir scheint, sind diese drei K nicht sowohl die Anfangsbuchstaben eines Einzelnen, als das Kennzeichen einer Verbindung – aber welcher Verbindung? – Hast du nie,« fragte Sherlock Holmes, sich vorbeugend und leiser sprechend, »vom Ku-Klux-Klan reden hören?«
»Niemals.«
Holmes blätterte in dem Buche auf seinem Knie. »Da ist’s,« sagte er.:
Ku-Klux-Klan. Das Wort kommt von der sonderbaren Aehnlichkeit seines Klanges mit dem Spannen einer Feuerwaffe. Dieser schreckliche Geheimbund wurde von einigen exkonföderierten Soldaten in den Südstaaten nach dem Bürgerkrieg geschlossen, und schnell verzweigte er sich in verschiedenen Gegenden, besonders in Tennessee, in Louisiana, Carolina, Georgia und Florida. Seine Macht diente politischen Zwecken, hauptsächlich dazu, die Neger-Wähler, welche für die Stimmberechtigung der Neger eintraten, zu terrorisieren und diejenigen zu morden oder aus dem Lande zu treiben, die sich den Prinzipien der geheimen Gesellschaft widersetzten. Ihren Gewaltthaten ging meist eine Warnung an das ausersehene Opfer voraus, ein phantastisches, leicht zu erkennendes Zeichen – ein Büschel Eichenlaub in manchen Gegenden, in anderen Melonen-oder Apfelsinenkerne. Nach Empfang solcher Warnung mußte der Betreffende entweder seine Gesinnung ändern oder die Gegend schleunigst verlassen. Bot er Trotz, so war er unrettbar verloren, und der Tod ereilte ihn meist auf sonderbare, unerwartete Weise. Die Organisation der Verbindung war so vollendet, ihre Methode so systematisch, daß sich kaum von einem Fall berichten läßt, wo es einem Menschen gelungen wäre, sich ihr ungestraft zu widersetzen oder die Urheber zu ermitteln. Viele Jahre hindurch nahm der Bund einen immer größeren Aufschwung trotz aller Anstrengungen der Regierung wie der angesehensten Bürger im Süden. Im Jahr 1869 geriet er aber ganz plötzlich in Verfall, und nur vereinzelt kamen von jener Zeit an noch durch ihn verübte Gewaltthätigkeiten vor.
»Beachte wohl,« sagte Holmes, das Buch beiseite legend, »daß das plötzliche Aufhören dieses Geheimbundes mit der Zeit zusammenfällt, wo Openshaw mit jenen Papieren Amerika verließ. Wer weiß, ob nicht Ursache und Wirkung hier nahe bei einander liegen. Da wäre es kein Wunder, wenn einzelne der Unversöhnlichsten es auf ihn und seine Familie abgesehen hätten. Du begreifst, was von diesen Registern und Notizen für manche hochgestellte Persönlichkeit in den Südstaaten abhängen kann, und daß da mancher nicht ruhig schläft, ehe die Papiere wieder herbeigeschafft sind.«
»Demnach enthielte das Blatt, das wir gesehen haben …«
»Was zu erwarten stand. Irre ich nicht, so hieß es dort: ›Die Kerne wurden zugestellt an A, B und C,‹ – das bedeutet so viel wie: die Warnung der Verbindung wurde ihnen zugeschickt. Dann folgten Angaben, wonach sich A und B rechtfertigten oder auswanderten, C aber nahm, wie ich fürchte, ein schlimmes Ende. Ich hoffe, Doktor, es wird uns gelingen, den Schleier dieser dunkeln Geschichte zu lüften; einstweilen aber kann der junge Openshaw nichts thun, als was ich ihm riet. Heute ist alles weitere Reden und Handeln überflüssig – darum reiche mir meine Geige! Wir wollen versuchen, auf eine halbe Stunde das garstige Wetter und das noch garstigere Gebaren unserer Mitmenschen zu vergessen.«
* * *
Der Himmel hatte sich am nächsten Morgen aufgehellt, und in gedämpfter Klarheit schien die Sonne durch den grauen Schleier, der gewöhnlich über der Großstadt schwebt.
Sherlock Holmes frühstückte bereits, als ich herabkam.
»Entschuldige, daß ich nicht gewartet habe,« sagte er, »voraussichtlich bekomme ich heute für den jungen Openshaw tüchtig zu thun.«
»Was sind deine ersten Schritte?«
»Die hängen vom Ergebnis meiner ersten Erkundigung ab. Vielleicht muß ich doch nach Horsham.«
»So fängst du nicht damit an?«
»Nein, mein erster Weg ist nach der City. – Klingle gefälligst. Das Mädchen bringt dir den Kaffee.«
Während ich wartete, warf ich einen Blick in die noch ungelesene Zeitung; er fiel auf einen Bericht, bei dem es mich kalt überlief.
»Holmes!« rief ich aus, »du kommst zu spät.«
»Was?« sagte er und stellte die Tasse hin. »Ich befürchtete es schon! Wie ist’s geschehen?« Er sprach gelassen, doch sah ich, daß er tief erschüttert war.
Ich hatte den Namen Openshaw gelesen und darüber stand: »Tragödie an der Waterloo-Brücke« Da ist der Bericht.
Gestern abend zwischen neun und zehn Uhr vernahm der Schutzmann Cook von der Division H., bei der Waterloo-Brücke stationiert, einen Hilferuf und einen Fall ins Wasser. Die Nacht war so stürmisch und finster, daß trotz der Hilfe mehrerer Vorübergehenden jegliche Rettung unmöglich blieb. Die Stadtpolizei wurde alarmiert, und es gelang, den Körper herauszuziehen. Der Ertrunkene ist ein junger Mann, Namens John Openshaw, wohnhaft zu Horsham, wie sich aus einem Briefumschlag erwies, den er in seiner Tasche trug. Es ist anzunehmen, daß er zum letzten Zug an die Waterloo-Station wollte; bei seiner Hast und der außerordentlichen Dunkelheit hat er wohl den Weg verfehlt und ist auf einen der schmalen Stege geraten, die den Flußdampfern zur Landung dienen. Der Leichnam trug keine Zeichen der Gewaltthat, und so war der Verstorbene also offenbar das Opfer eines Unglücksfalles, durch den sich die Behörden veranlaßt sehen sollten, ihre Aufmerksamkeit auf den Zustand der Landungsstellen am Fluß zu lenken.«
Stumm saßen wir beisammen, Holmes war niedergedrückter, als ich ihn je gesehen.
»Das verletzt meinen Stolz, Watson,« sagte er endlich. »Es mag ein kleinliches Gefühl sein – aber es verletzt meinen Stolz. Jetzt betrachte ich die Sache als meine persönliche Angelegenheit, und erhält mich Gott gesund, so soll mir diese Bande nicht entgehen. – Bei mir suchte er Hilfe, und ich – ich schicke ihn in den Tod!« Er sprang auf und rannte erregt im Zimmer hin und her; seine fahlen Wangen waren gerötet, und mit nervösem Zucken öffneten und schlossen sich seine langen, schmalen Hände.
»Das müssen verschmitzte Teufel sein!« rief er endlich aus. »Wie vermochten sie ihn dort hinunter zu locken? Der Landungsplatz liegt nicht auf dem direkten Wege nach der Station. Gewiß war die Brücke, selbst in solcher Nacht, zu belebt für ihr Vorhaben. Aber, Watson, wir wollen sehen, wer von uns den kürzeren zieht. Ich gehe jetzt aus.«
»Auf die Polizei?«
»Nein. Ich will selbst meine Polizei sein. Die mag die Fliegen fangen, wenn ich das Netz gesponnen habe. Vorher nicht.«
Den ganzen Tag hatte ich in meinem Beruf zu thun, und erst am späten Abend kam ich nach der Bakerstraße zurück. Sherlock Holmes war noch nicht heimgekehrt. Kurz vor zehn trat er blaß und müde ein. Er ging nach dem Büffet, brach ein Stück Brot ab, verschlang es gierig und spülte es mit einem Trunk Wasser hinunter.
»Du bist hungrig,« bemerkte ich.
»Ganz ausgehungert. Ich habe noch gar nicht daran gedacht. Seit dem Frühstück habe ich nichts zu mir genommen.«
»Nichts?«
»Keinen Bissen. Mir fehlte die Zeit, daran zu denken.«
»Und was hast du erreicht?«
»Viel.«
»Bist du den Spitzbuben auf der Spur?«
»Ich halte die Kerle fest. Lange soll John Openshaw nicht auf Rache warten. Ihr eigenes Teufelszeichen wollen wir ihnen aufdrücken, Watson. Es ist gut ausgedacht!«
»Was meinst du?«
Er nahm eine Apfelsine aus dem Schrank, brach sie auseinander und drückte die Kerne heraus auf den Tisch. Fünf davon steckte er in einen Umschlag. Auf die Innenseite des Verschlusses schrieb er: › S. H. für J.O.‹ dann siegelte er und adressierte an: »Kapitän James Calhoun, Barke ›Lone Star‹, Savannah. Georgia.« »Das soll ihn bei der Einfahrt in den Hafen erwarten,« sagte er höhnisch. »Es mag ihm eine schlaflose Nacht bringen und wird ihm ein so sicherer Vorbote seines Geschickes sein, wie sein Brief für Openshaw gewesen ist.«
»Wer ist dieser Kapitän Calhoun?«
»Der Anführer der Rotte. Die anderen kriege ich nachher. Erst muß er dran.«
»Wie kamst du ihm auf die Spur?«
Holmes zog einen großen Bogen aus der Tasche, der mit Namen und Daten bedeckt war.
»Den ganzen Tag durchsuchte ich Akten und Register des Lloyd und folgte dem Kurs aller Schiffe, die im Januar und Februar 1883 Ponditscherri berührten. 36 Schiffe guter Löschung liefen während dieser Monate dort ein; unter diesen fesselte eines, der ›Lone Star‹, sofort meine Aufmerksamkeit. Nach dem Bericht wäre es nämlich von London ausgelaufen, während es in Wirklichkeit von einem amerikanischen Staate kommt.«
»Wahrscheinlich aus Texas.«
»Ich bin dessen nicht sicher, so viel aber steht fest, daß das Schiff amerikanischer Herkunft sein muß.«
»Was weiter?«
»Ich forschte dann in den Berichten von Dundee nach, und als ich fand, daß der ›Lone Star‹ im Januar 1885 dort lag, wurde mein Verdacht zur Gewißheit. Ich erkundigte mich nach den Schiffen, die jetzt im Hafen von London sind. Der ›Lone Star‹ war vorige Woche hier angekommen. – Ich ging nach dem Albert-Dock und erfuhr, das Schiff sei mit der Morgenflut ausgelaufen und auf dem Heimweg nach Savannah begriffen. Ich telegraphierte nach Gravesend. Es war bereits vorüber gesegelt; der Wind weht von Ost, also muß es unbedingt über die Sandbank von Godwin hinaus sein und nicht weit von der Insel Wight.«
»Und nun?«
»Nun halte ich ihn unter dem Daumen. Nur er und zwei Matrosen an Bord sind geborene Amerikaner; die übrigen sind Deutsche und Finnländer. Auch erfuhr ich, daß sie vorige Nacht alle drei nicht auf dem Schiff waren. Der Stauer, der die Ladung löschte, hat es mir gesagt. Bei der Einfahrt des Schiffes in Savannah wird der Postdampfer bereits diesen Brief abgeliefert haben, und die Polizei von Savannah hat durch das Kabel schon erfahren, daß auf die drei Herren von hier aus eines Mordes wegen gefahndet wird.« –
Wie schlau der Mensch aber auch seine Pläne ersinnen mag, sie werden doch oft vereitelt. John Openshaws Mörder sollten nie und nimmer die fünf Kerne erhalten, die ihnen bewiesen hätten, daß ein anderer, der nicht minder verschmitzt und entschlossen war wie sie selbst, ihnen auf die Spur gekommen sei.
Die Aequinoktalstürme waren in diesem Jahr besonders heftig und unheilvoll. Vergeblich warteten wir lange Zeit auf Nachrichten über den ›Lone Star‹ aus Savannah.
Endlich hörten wir, daß irgendwo, weit draußen im Atlantischen Ozean, ein zerbrochener Hintersteven mit den Buchstaben L. S. gezeichnet, den die Wogen umhertrieben, aufgefunden wurde, – Das ist alles, was je vom Schicksal des ›Lone Star‹ zu uns gedrungen ist.
Der Mann mit der Schramme
Isa Whitney, der Bruder des weiland Elias Whitney, Doktors der Theologie und Rektors des Predigerseminars von St. Georgen, war ein starker Opiumraucher. Soviel ich weiß, kam er durch eine Jugendeselei dazu, als er noch auf der Schule war. Dabei ging es ihm aber wie schon so manchem vor ihm: er fand, daß es viel leichter ist, eine Gewohnheit anzunehmen, als sie wieder abzulegen; so blieb er jahrelang ein Sklave dieses Giftes und wurde seinen Freunden und Verwandten zum Gegenstand des Abscheus oder auch des Mitleids. Noch sehe ich ihn vor mir in einem Lehnstuhl zusammengekauert mit dem gelben, aufgedunsenen Gesicht, den schlaffen Augenlidern und den bis zum Umfang eines Stecknadelknopfes verkleinerten Pupillen, die traurige Ruine eines ursprünglich edlen Menschen.
Eines Abends, so um die Zeit, wo der Mensch anfängt zu gähnen und nach der Uhr zu sehen, wurde an meinem Hause heftig geklingelt. Ich fuhr in die Höhe, und meine Frau ließ mit verstimmtem Gesicht ihre Handarbeit in den Schoß sinken. »Ein Kranker«, sagte sie. »Du wirst nochmals fortgehen müssen.«
Ich seufzte, denn soeben war ich von schwerem Tagewerk heimgekehrt.
Wir hörten die Haustüre gehen, vernahmen ein paar hastige Worte und dann rasche Schritte auf dem Linoleum. Unsere Zimmertür flog auf, und herein trat eine dunkel gekleidete, schwarz verschleierte Dame.
»Entschuldigen Sie meinen späten Besuch«, begann sie, doch plötzlich allen Halt verlierend, stürzte sie auf meine Frau zu und warf sich ihr schluchzend um den Hals.
»Ach, ich bin in entsetzlicher Lage!« rief sie aus, »und bedarf dringend des Beistandes.«
»Was, das ist Käte Whitney?« sagte meine Frau und schlug ihrem Gaste den Schleier zurück. »Wie du mich aber erschreckt hast, Käte! Als du hereinkamst, hatte ich keine Ahnung, wer du seist.«
»Ach, ich wußte keinen andern Ausweg, als zu dir zu flüchten.«
Es war die alte Geschichte; jeder, der in Not war, kam zu meiner Frau, wie die Vögel zum Leuchtturm fliegen.
»Wie lieb von dir, daß du gekommen bist. Jetzt trinke nur erst ein Glas Wein mit Wasser und setze dich behaglich her, dann erzählst du uns alles. Oder möchtest du lieber, daß ich James zu Bett schicke?«
»Nein, gewiß nicht! denn ich bedarf auch des Doktors Rat und Beistand. Es handelt sich um meinen Mann. Seit zwei Tagen ist er nicht mehr nach Hause gekommen, und ich bin in entsetzlicher Angst um ihn!«
Nicht zum erstenmal sprach sie mit uns von ihrem Kummer um den Gatten, mit mir als Arzt und mit meiner Frau als alter Freundin und Vertrauten noch von der Schule her. Wir beruhigten und trösteten sie nach Kräften. Ich fragte, ob sie wisse, wo sich ihr Gatte aufhalte; ob wir ihr helfen könnten, ihn nach Hause zu schaffen.
Es schien so. Sie hatte in Erfahrung gebracht, daß er in letzter Zeit, wenn ihn der krankhafte Drang überkam, eine Opiumhöhle im entferntesten Osten der Stadt aufgesucht habe. Bisher hatten sich seine Orgien immer nur auf einen Tag beschränkt, worauf er dann wankend und gebrochen am Abend heimkehrte. Aber diesmal war er schon seit zweimal vierundzwanzig Stunden im Banne seiner Leidenschaft und lag ohne Zweifel irgendwo, um das Gift in sich aufzunehmen oder dessen Folgen zu verschlafen. Dort in der »Goldschenke« in der Oberen Swandamstraße wäre er, meinte sie, sicherlich zu finden. Aber was könnte sie da tun? Wie sollte sie, die junge, ängstliche Frau, in einen solchen Ort eindringen und ihren Gatten aus der Mitte des Gesindels, das sich dort aufhielt, herausholen?
So lagen die Dinge, und in der Tat gab es nur einen einzigen Ausweg. Ob ich sie nicht dorthin begleiten wollte? Oder – ob es am Ende besser wäre, ich ginge allein?
Ich sei ja ihres Mannes ärztlicher Ratgeber und besäße als solcher Einfluß auf ihn. Ich wäre viel unbehinderter in allem. Ich gab ihr mein Wort darauf, ihn binnen zwei Stunden in einem Wagen heimzusenden, vorausgesetzt, daß ich ihn wirklich an dem von ihr bezeichneten Orte fände. Und zehn Minuten später hatte ich auch schon den Lehnstuhl und das behagliche Wohnzimmer im Rücken und fuhr davon in einer Angelegenheit, die mir von vornherein höchst absonderlich vorkam, wenn sich auch erst später herausstellte, wie absonderlich sie in der Tat werden sollte.
Der erste Teil meiner Expedition ging ohne Schwierigkeit von statten. Die Obere Swandamstraße ist eine häßliche Gasse, die hinter den großen Lagerhäusern steckt, welche sich an der Nordseite der Themse bis östlich von London-Bridge hinziehen. Zwischen einer Trödelbude und einer Schnapskneipe führte eine steile Treppe zu einem Loche, finster wie ein Kellerschacht, und damit hatte ich die gesuchte Spelunke gefunden. Ich hieß den Fahrer warten und stieg die Stufen hinab, die von dem unausgesetzten Wandel trunkener Füße in der Mitte stark ausgetreten waren. Beim flackernden Schein einer Öllampe über der Tür fand ich die Klinke und trat in einen langen niedrigen Raum, der von braunem Opiumrauch dick angefüllt und wie das Zwischendeck eines Auswanderungsschiffes mit übereinander geschichteten hölzernen Pritschen ausgestattet war.
In all dem Qualm vermochte man kaum die Gestalten zu erkennen, die in sonderbar phantastischen Stellungen umherlagen, mit eingezogenen Achseln, gekrümmten Knieen, zurückgeworfenem Kopfe und aufwärts gekehrtem Kinn. Ab und zu richtete sich ein dunkles, glanzloses Auge auf den Ankömmling. Aus den düsteren Schatten glommen kleine rote Lichtstreifen auf, bald heller, bald matter, je nachdem das brennende Gift in den Köpfen der Metallpfeifen zu-oder abnahm. Die meisten der Leute lagen stumm da; doch murmelten einzelne vor sich hin, während andere wieder mit seltsam leiser, eintöniger Stimme sich miteinander unterhielten, die Sätze heftig hervorstoßend, um dann plötzlich in Schweigen zu versinken; jeder spann an seinen eigenen Gedanken weiter, ohne sich viel an das Gerede des Nachbarn zu kehren. Am andern Ende des Raumes stand ein kleines Becken mit glühenden Kohlen, neben dem ein hagerer alter Mann auf einem dreibeinigen Stuhle saß. Er hatte das Kinn auf die Fäuste und die Ellenbogen auf die Kniee gestützt und blickte starr in die Glut.
Bei meinem Eintritt sprang ein schmutziger Malaie mit einer Pfeife und einem Quantum Opium auf mich zu und wollte mir eine leere Lagerstelle anweisen.
»Ich danke Ihnen, meine Absicht ist nicht zu bleiben«, sagte ich. »Ein Freund von mir, Herr Isa Whitney, befindet sich hier, und diesen wünsche ich zu sprechen.«
Bei diesen Worten bewegte sich etwas zu meiner Rechten, und ich vernahm einen Ausruf. Ich sah hin und erkannte in dem Dunst Whitney, der blaß und verstört mit wirren Haaren dasaß und mich anstierte.
»Mein Gott, Sie sind’s, Watson!« sagte er. Er war in einem kläglichen Zustand der Nachwirkung des Giftes, und jeder Nerv an ihm zitterte.
»Wieviel Uhr ist es denn, Watson?«
»Bald elf.«
»Und welchen Tag haben wir?«
»Freitag, den 19. Juni.«
»Gerechter Gott! Ich glaubte, es sei Mittwoch. Und es ist auch Mittwoch. Wie können Sie einen armen Kerl nur so erschrecken?« Mit diesen Worten begrub er sein Gesicht in den Händen und begann laut zu schluchzen.
»Ich versichere Sie, daß es wirklich Freitag ist, Sie Mann des Jammers. Ihre Frau wartet nun seit zwei Tagen auf Sie. Sie sollten sich vor sich selber schämen!«
»Das tue ich auch. Aber Sie täuschen sich, Watson, denn ich bin erst seit ein paar Stunden hier, drei – vier Pfeifen etwa – ich weiß nicht mehr, wie viele. Doch ich will mit Ihnen nach Hause gehen, denn ich möchte Käte, mein armes, liebes Kätchen, nicht ängstigen. Geben Sie mir Ihre Hand! Haben Sie einen Wagen hier?«
»Ja, er wartet draußen.«
»Dann will ich ihn benutzen. Doch, ich muß noch etwas schuldig sein. Sorgen Sie doch dafür, Watson. Ich bin ganz verwirrt und unfähig, mir selbst zu helfen.«
Um der Einwirkung der abscheulichen, betäubenden Giftdämpfe zu entgehen, schritt ich mit angehaltenem Atem den schmalen Gang zwischen der Doppelreihe von Schläfern entlang und suchte nach dem Wirt. Als ich an der hageren Gestalt bei dem Kohlenbecken vorüberkam, fühlte ich mich am Rockschoß gezupft, und eine leise Stimme flüsterte mir zu: »Gehe an mir vorüber, und dann sieh dich nach mir um.« Diese Worte trafen mein Ohr ganz deutlich. Ich blickte auf. Sie konnten nur von dem Alten neben mir herrühren, und doch saß er so geistesabwesend, schlotterig und vom Alter gebeugt da wie zuvor; seine Opiumpfeife baumelte ihm zwischen den Knieen, als wäre sie eben den schlaffen Fingern entglitten. Ich ging zwei Schritte weiter und sah zurück. Und nun bedurfte ich meiner ganzen Selbstbeherrschung, um nicht einen Schrei maßlosen Erstaunens auszustoßen. Er hatte sich so umgewendet, daß ihn niemand außer mir sehen konnte. Seine Gestalt war voll geworden, die Runzeln waren verschwunden, die matten Augen hatten ihr Feuer wieder gewonnen – kurz, der Mann, der da am Feuer saß und sich an meiner Überraschung höchlich belustigte, war niemand anders als Sherlock Holmes. Er gab mir einen Wink, mich ihm zu nähern, und als er das Gesicht den andern wieder zuwandte, nahm es sofort wieder den Ausdruck schlaffen Alters an.
»Holmes!« flüsterte ich, »wie kommst du nur in dieses Loch?«
»So leise wie möglich«, antwortete er, »mein Gehör ist vorzüglich. Wenn du die Güte hättest, dich deines jammervollen Freundes dort zu entledigen, so wäre es mir sehr erwünscht, ein wenig mit dir zu plaudern.«
»Draußen habe ich einen Wagen stehen.«
»Dann schicke ihn doch nach Hause. Es ist keine Gefahr dabei, denn er fühlt sich zu schlaff und matt, um weiteres Unheil anzurichten. Auch möchte ich dir empfehlen, deine Frau durch den Fahrer wissen zu lassen, daß wir etwas zusammen vorhaben. Wenn du so lange draußen warten willst, so bin ich in fünf Minuten bei dir.«
Sherlock Holmes etwas abzuschlagen, war äußerst schwierig, denn er trug seine Bitten stets mit der größten Ruhe und Entschiedenheit vor. Zudem hatte ich das Gefühl, daß, sobald Whitney im Wagen säße, auch meine Verpflichtung gegen ihn zu Ende sei; und was konnte ich mir eigentlich Besseres wünschen, als eines der wunderlichen Abenteuer mitmachen zu dürfen, wie sie meinem Freunde zum Lebensbedürfnis geworden waren? In wenigen Minuten war der Zettel an meine Frau geschrieben, Whitneys Rechnung bezahlt, er selbst in den Wagen gesetzt und durchs Dunkel der Nacht davongefahren.
Kurz darauf stieg eine verkommene Gestalt aus der Opiumhöhle empor, und an meiner Seite schritt Sherlock Holmes. Zwei Straßenlängen weit schleppte er sich mühsam mit gebücktem Rücken und unsicherem Tritt vorwärts. Dann blickte er um sich, richtete sich auf und brach in ein herzliches Lachen aus.
»Und nun Watson«, sagte er, »bildest du dir gewiß ein, daß nun auch noch das Opiumrauchen zu den Kokaineinspritzungen und all den andern kleinen Schwächen gekommen ist, die mir die schätzenswerte Bekanntschaft mit deiner medizinischen Erfahrung nebenbei eingetragen hat.«
»Allerdings war ich überrascht, dich hier zu sehen.«
»Und ich nicht minder dich …«
»Ich suchte einen Freund.«
»Und ich einen Feind.«
»Einen Feind?«
»Ja, einen meiner natürlichen Feinde, oder, daß ich es richtiger sage, meine natürliche Beute. Mit einem Wort, Watson, ich stecke eben in einer ganz merkwürdigen Geschichte und hatte gehofft, in dem unzusammenhängenden Geschwätz dieser Kerle einen Schlüssel zu finden, wie mir das schon mehrfach geglückt ist. Wäre ich jedoch in diesem Loche erkannt worden, so war’s um mich geschehen, denn ich habe es früher schon für meine Zwecke ausgebeutet, und der Malaie, der Schurke von einem Wirt, hat mir Rache zugeschworen. An der Rückseite des Gebäudes befindet sich eine Falltür, in der Nähe der Paulswerfte, die könnte Schaudergeschichten erzählen von dem, was in mondlosen Nächten da schon hinabgestürzt ist.«
»Wieso? Du meinst doch nicht etwa, daß Leichen …?«
»Jawohl, Leichen, Watson; wir wären reiche Leute, wenn wir für jeden armen Teufel, der dort auf ewig stumm gemacht worden ist, unsere tausend Pfund bekämen. Es ist die scheußlichste Mördergrube auf dieser ganzen Uferseite, und ich fürchte sehr, daß Neville St. Clair hier hineingeraten ist, um nie wieder herauszukommen.« Damit steckte er beide Zeigefinger zwischen die Zähne und ließ einen schrillen Pfiff ertönen, dem ein ähnlicher aus einiger Entfernung antwortete, worauf sich Rädergerolle und Pferdegetrappel hören ließen. »Nun, wie ist’s, Watson«, fragte Holmes, als ein großer Jagdwagen aus der Dunkelheit auftauchte, dessen Seitenlaternen zwei lange goldene Lichtstreifen vor sich herwarfen. »Du gehst doch mit?«
»Gern, wenn ich dir nützlich sein kann.«
»Ein treuer Freund ist immer nützlich und vollends noch, wenn er zugleich ein Mann der Feder ist. Mein Zimmer ›zu den Cedern‹ hat zwei Betten.«