Kitabı oku: «Der Bund der Rothaarigen»

Yazı tipi:

Arthur Conan Doyle

Der Bund der Rothaarigen und andere Detektivgeschichten

Impressum

Covergestaltung: Steve Lippold

Digitalisierung: Gunter Pirntke

ISBN: 9783955012311

2014 andersseitig

andersseitig Verlag

Dresden

(mehr unter Impressum-Kontakt)

Inhalt

Impressum

Skandalgeschichte im Fürstentum O. . . .

Der Bund der Rothaarigen

Der Mord im Tale von Bascombe

Eine sonderbare Anstellung

Der Mann mit der Schramme

Die Geschichte des blauen Karfunkels

Skandalgeschichte im Fürstentum O. ...

In dem großen, dunkel getäfelten Wohnzimmer Doktor Watsons saßen die Gäste um den Kamin. Die Türen zum Garten standen offen, man hörte das feine gleichmäßige Rieseln des Regens auf den schon herbstgelben Blättern. Ein würziger Erdgeruch strömte herein. Das Feuer im Kamin gab dem halbdunkeln Raum wohlige Wärme. Die Schatten der Flammen tanzten an den Wänden, es war wie ein Spiel flüchtiger Gestalten, die sich immer wieder trennen, um sich immer aufs neue wieder zu vereinen.

Die Gespräche, die während des Abendessens so lebhaft geführt wurden, waren verstummt. Jedes überließ sich für eine Weile der Stille und Geborgenheit dieser Abendstunde, die noch erhöht wurde durch den leise fallenden Regen draußen und den eigenen Gedanken, die wie die Schatten an der Wand kamen und gingen, ohne Spuren zu hinterlassen.

»Es ist seltsam, Doktor«, nahm eine junge Frau das Wort und rückte ihren Sessel näher zum Feuer, »es ist seltsam, daß man Ihren Freund, Herrn Holmes, eigentlich nie bei Ihnen antrifft. Liebt er keine Gesellschaften oder hat er tatsächlich keine Zeit dafür?«

Die Frau des Arztes lächelte. »Beides mag wohl in gewissem Sinn zutreffen«, sagte sie. »Wenn Herr Holmes bei uns ist, hat er es auch meist sehr eilig, wieder wegzukommen. Und nicht selten entführt er mir bei dieser Gelegenheit auch meinen Mann«, setzte sie scherzend hinzu. »Ich habe Herrn Holmes stark im Verdacht, daß er sich gern über uns Frauen lustig macht«, warf eine lebhafte dunkelhaarige Frau ein.

Doktor Watson blies mit leichtem Lächeln den Rauch seiner Zigarette in die Luft. »Es ist nicht ganz so, wie Sie denken«, sagte er. »Freilich hat mein Freund im Laufe seiner Tätigkeit schon allerlei Erfahrungen über weiblichen Scharfsinn gemacht, die – entschuldigen Sie, wenn ich es so offen bekenne – ihn nicht gerade von der überragenden Denkweise der Frau überzeugten, sondern ihn eher belustigten und seinen Spott hervorriefen. Doch einmal hat ihm die Schlauheit einer Frau auch tatsächlich Achtung abgerungen, ja, sie hat ihm dadurch sogar das Spotten abgewöhnt.«

»Wirklich, Doktor?« fragte die lebhafte kleine Frau. Und Kapitän Erswell bat: »Erzählen Sie, Doktor!«

»Ja, bitte, erzählen Sie!« fielen die übrigen Gäste mit ein.

»Schön«, sagte Doktor Watson. Er streckte sich behaglich in seinem Sessel aus, zündete sich eine neue Zigarette an und begann.

Skandalgeschichte im Fürstentum O. . . .

Ich war damals erst kurz verheiratet und hatte darum eine Zeitlang nur wenig von meinem Freunde Sherlock Holmes gesehen. Mein eigenes Glück und meine häuslichen Interessen nahmen mich völlig gefangen, wie es wohl jedem Mann ergehen wird, der sich ein eigenes Heim gegründet hat, während Holmes, seiner Zigeunernatur entsprechend, jeder Art von Geselligkeit aus dem Wege ging. Er wohnte noch immer in unserem alten Logis in der Bakerstraße, begrub sich unter seinen alten Büchern und wechselte zwischen Kokain und Ehrgeiz, zwischen künstlicher Erschlaffung und der aufflammenden Energie seiner scharfsinnigen Natur. Noch immer wandte er dem Verbrecherstudium sein ganzes Interesse zu, und seine bedeutenden Fähigkeiten, sowie seine ungewöhnliche Beobachtungsgabe ließen ihn den Schlüssel zu Geheimnissen finden, welche die Polizei längst als hoffnungslos aufgegeben hatte. Von Zeit zu Zeit drang irgend ein unbestimmtes Gerücht über seine Tätigkeit zu mir. Ich hörte von seiner Berufung nach Odessa wegen der Mordaffäre Trepoff, von seiner Aufklärung der einzig dastehenden Tragödie der Gebrüder Atkinson in Trimonale und schließlich von der Mission, die er im Auftrage des holländischen Herrscherhauses so taktvoll und erfolgreich zu Ende geführt hatte. Sonst wußte ich von meinem alten Freund und Gefährten wenig mehr als alle Leser der täglichen Zeitungen.

Eines Abends, es war im März, führte mich mein Weg durch die Bakerstraße; ich kam gerade von einer Konsultation her, da ich wieder meine Privatpraxis aufgenommen hatte. Als ich mich der wohlbekannten Tür näherte, ergriff mich der unwiderstehliche Drang, Holmes aufzusuchen, um zu erfahren, welcher Angelegenheit er augenblicklich sein außergewöhnliches Talent widmete. Seine Zimmer waren glänzend erleuchtet, und beim Hinaufsehen gewahrte ich den Schatten seiner großen, mageren Gestalt. Den Kopf auf die Brust gesenkt und die Hände auf dem Rücken, durchmaß er schnell und eifrig das Zimmer. Ich kannte seine Stimmungen und Angewohnheiten viel zu genau, um nicht sofort zu wissen, daß er wieder in voller Tätigkeit war. Er hatte sich aus seinen künstlich erzeugten Träumen emporgerafft und war nun einem neuen Rätsel auf der Spur. Ich läutete sofort und wurde in das Zimmer geführt, das ich früher mit ihm geteilt hatte.

Sein Benehmen war nicht übermäßig herzlich zu nennen. Das war bei ihm überhaupt selten der Fall, und doch hatte ich das Gefühl, daß er sich freute, mich zu sehen. Er sprach kaum ein Wort, aber nötigte mich mit freundlichem Gesicht in einen Lehnstuhl, reichte mir seinen Zigarrenkasten herüber und zeigte auf ein Likörschränkchen in der Ecke. Dann stellte er sich vor das Feuer und betrachtete mich in seiner sonderbar forschenden Manier.

»Die Ehe bekommt dir, Watson«, bemerkte er. »Ich glaube, du hast siebeneinhalb Pfund zugenommen, seit ich dich zuletzt sah.«

»Sieben«, antwortete ich.

»Wirklich? Ich hätte es für etwas mehr gehalten. Nur eine Kleinigkeit mehr, Watson. Und du praktizierst wieder, wie ich bemerke; du erzähltest mir nichts von deiner Absicht, wieder ins Joch gehen zu wollen.«

»Woher weißt du es denn?«

»Ich sehe es, ich folgere es eben. Ich weiß auch, daß du kürzlich in einem tüchtigen Unwetter draußen gewesen bist, und daß du ein sehr ungeschicktes, nachlässiges Dienstmädchen haben mußt.«

»Mein lieber Holmes,« sagte ich, »nun hör' auf; vor einigen Jahrhunderten würden sie dich wahrscheinlich verbrannt haben. Ich habe allerdings am vorigen Donnerstag eine Landtour gemacht und kam furchtbar durchnäßt und beschmutzt nach Hause, aber woraus du das schließen willst, weiß ich doch nicht, da ich ja sofort meine Kleider wechselte. Und unser Mädchen ist wirklich unverbesserlich, meine Frau hat ihr schon den Dienst gekündigt, aber um alles in der Welt, wie kannst du das wissen?«

Er lachte in sich hinein und rieb seine schmalen, nervösen Hände.

»Das ist doch so einfach«, meinte er; »meine Augen sehen deutlich, daß auf der Innenseite deines linken Stiefels, die gerade jetzt vom Licht erhellt wird, das Leder durch sechs nebeneinander laufende Schnitte beschädigt ist. Das kann nur jemand getan haben, der sehr achtlos den getrockneten Schmutz von den Rändern der Sohle abkratzen wollte. Daher meine doppelte Vermutung, daß du erstens bei schlechtem Wetter ausgegangen bist, und zweitens, ein besonders nichtswürdiges, stiefelaufschlitzendes Exemplar der Londoner Dienstbotenwelt hast. Und was nun deine Praxis betrifft, so müßte ich doch wirklich schwachköpfig sein, wenn ich einen Herrn, der nach Jodoform riecht, auf dessen rechtem Zeigefinger ein schwarzer Fleck von Höllenstein prangt, während die Erhöhung seiner linken Brusttasche deutlich das Versteck seines Stethoskops verrät, nicht auf der Stelle für einen praktischen Arzt halten würde.«

Ich mußte lachen, mit welcher Leichtigkeit er diese Folgerungen entwickelte. »Wenn ich deine logischen Schlüsse anhöre, erscheint mir die Sache lächerlich einfach, und ich glaube es ebensogut zu können«, bemerkte ich. »Und doch überrascht mich jeder Beweis deines Scharfsinnes aufs neue, bis du mir den ganzen Vorgang erklärt hast. Nichtsdestoweniger sehe ich genau so gut wie du.«

»Sehr richtig«, entgegnete er, steckte sich eine Zigarette an und warf sich in den Lehnstuhl. »Du siehst wohl, aber du beobachtest nicht. Der Unterschied ist ganz klar. Du hast z. B. häufig die Stufen gesehen, die vom Flur in dies Zimmer hinaufführen.«

»Sehr häufig.«

»Wie oft?«

»Nun sicher einige hundertmal.«

»Dann wirst du mir wohl auch sagen können, wieviel es sind?«

»Wieviel? Nein, davon hab' ich keine Ahnung.«

»Siehst du wohl, du hast zwar gesehen, aber nicht beobachtet. Das meine ich ja eben. Ich weiß ganz genau, daß die Treppe siebzehn Stufen hat, weil ich nicht nur gesehen, sondern auch beobachtet habe. – A propos, da ich dein Interesse für meine kleinen Kriminalfälle kenne, – du hattest sogar die Güte, eine oder zwei meiner geringen Erfahrungen aufzuzeichnen, – wird dich vermutlich auch dies interessieren.« Er reichte mir einen Bogen dicken, rosenfarbenen Briefpapiers, der geöffnet auf dem Tisch lag. »Dies Schreiben kam mit der letzten Post an, bitte lies vor.«

Der Brief, der weder Datum noch Unterschrift und Adresse trug, lautete: »Ein Herr, der Sie in einer sehr bedeutungsvollen Angelegenheit zu sprechen wünscht, wird Sie heute abend um dreiviertel acht aufsuchen. Die Dienste, die Sie unlängst einem regierenden europäischen Hause erwiesen, geben den Beweis, daß man Ihnen Dinge von allerhöchster Wichtigkeit anvertrauen kann. Dies Urteil wurde uns von allen Seiten bestätigt. Bitte also zur bezeichneten Zeit zu Hause zu sein und es nicht falsch zu deuten, wenn Ihr Besucher eine Maske trägt.«

»Dahinter steckt ein Geheimnis«, bemerkte ich. »Kannst du dir das erklären?«

»Bis jetzt habe ich noch keine Anhaltspunkte. Es ist aber ein Hauptfehler, ohne dieselben Vermutungen aufzustellen. Unmerklich kommt man so der Theorie zuliebe zum Konstruieren von Tatsachen, statt es umgekehrt zu machen. Doch was schließt du aus dem Brief selbst?«

Ich prüfte sorgfältig Schrift und Papier.

»Der Schreiber lebt augenscheinlich in guten Verhältnissen«, meinte ich, bemüht, das Verfahren meines Freundes so getreu als möglich zu kopieren. »Das Papier ist sicher kostspielig, es ist ganz besonders stark und steif.«

»Ganz richtig bemerkt«, sagte Holmes. »Auf keinen Fall ist es englisches Fabrikat. Halte es mal gegen das Licht.«

Ich tat es und sah links als Wasserzeichen ein großes E. und C. und auf der rechten Seite ein fremdartig aussehendes Wappen in das Papier gestempelt. »Nun, was schließt du daraus?« fragte Holmes.

»Links ist der Namenszug des Fabrikanten.«

»Gut, aber rechts?«

»Ein Wappen als Fabrikzeichen, ich kenne es jedenfalls nicht«, antwortete ich.

»Dank meiner heraldischen Liebhaberei, kann ich es dir verraten«, sagte Holmes. »Es ist das Wappen des Fürstentums O.«

»Dann ist der Fabrikant vielleicht Hoflieferant«, meinte ich.

»So ist's. Doch der Schreiber dieses Briefes ist ein Deutscher. Fiel dir nicht der eigentümliche Satzbau auf? ›This account of you we have from all quarters received.‹ Ein Franzose oder Russe kann das nicht geschrieben haben, nur der Deutsche ist so unhöflich gegen seine Verben. Ha, ha, mein Junge, was sagst du dazu?«

Seine Augen funkelten, und aus seiner Zigarette blies er große, blaue Triumphwolken.

»Nun müssen wir noch herausfinden, was dieser Deutsche wünscht, der auf diesem fremdartigen Papier schreibt und es vorzieht, sich unter der Maske vorzustellen. Wenn ich nicht irre, kommt er jetzt selbst, um den Schleier des Geheimnisses zu lüften.«

Der scharfe Ton von Pferdehufen und das knirschende Geräusch von Rädern ließ sich hören, dann wurde draußen sehr stark geläutet. Holmes pfiff. »Das klingt ja, als wären es zwei Pferde«, sagte er. Er blickte aus dem Fenster. »Ja«, fuhr er fort, »ein hübscher Brougham und ein Paar Prachtgäule, jeder mindestens seine hundertundfünfzig Guineen wert. Na, Watson, wenn auch sonst nichts an der Sache ist, jedenfalls ist da Geld zu holen.«

»Ich glaube, es ist wohl besser, ich gehe jetzt.«

»Auf keinen Fall, Doktor, du bleibst, wo du bist; was sollte ich wohl ohne dich anfangen? Außerdem verspricht die Geschichte interessant zu werden, und warum willst du dir das entgehen lassen?«

»Aber dein Klient?«

»Darüber mach' dir keine Skrupel. Vielleicht brauchen wir beide wirklich deine Hilfe. Er kommt jetzt. Setz' dich ruhig in den Lehnstuhl und paß auf.«

Ein langsamer, schwerer Tritt, den man auf der Treppe und dem Gang gehört hatte, hielt plötzlich vor der Tür an. Gleich darauf wurde laut und energisch geklopft.

»Herein!« sagte Holmes.

Ein Mann trat ins Zimmer, dessen Größe wohl sechs Fuß sechs Zoll betragen mochte, er hatte die Brust und die Glieder eines Herkules. Seine Kleidung war auffallend reich, aber kein feiner Engländer hätte sie für geschmackvoll gehalten. Breite Streifen von Astrachan schmückten die Ärmel und den Kragen seines doppelreihigen Rockes, der tiefblaue Mantel, den er über die Schultern geworfen hatte, war mit flammendroter Seide gefüttert und wurde am Halse durch einen funkelnden Beryll zusammengehalten. Seine Stiefel reichten bis zur halben Wade und waren oben mit reichem braunem Pelzwerk besetzt; sie vervollständigten den Eindruck fremdartiger Pracht, den seine ganze Erscheinung hervorbrachte. Er trug einen breitkrempigen Hut in der Hand; die schwarze Halbmaske, die den oberen Teil seines Gesichtes bedeckte, mußte wohl eben erst angelegt sein, denn seine Hand hielt sie noch beim Eintritt gefaßt. Die starke, etwas vorstehende Unterlippe und das lange, gerade Kinn sprachen von Entschlossenheit, wenn nicht Eigensinn.

»Sie haben meinen Brief erhalten?« fragte er mit tiefer, rauher Stimme und ausgeprägt deutschem Akzent. »Ich habe Sie auf mein Erscheinen vorbereitet« – er blickte ungewiß von einem zum andern.

»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Holmes. »Dies ist mein Freund und Kollege Dr. Watson, der die Güte hat, mir gelegentlich bei schwierigen Fällen zu helfen. Mit wem habe ich die Ehre?« »Nennen Sie mich Graf von Kramm – aus X. Ich nehme an, daß ich in Ihrem Freunde einen Mann von Ehre und Diskretion vor mir habe, dem ich eine Sache von höchster Wichtigkeit anvertrauen darf. Sonst würde ich es vorziehen, mit Ihnen allein zu verhandeln.«

Ich erhob mich sofort, um das Zimmer zu verlassen, doch Holmes ergriff mich am Handgelenk und drückte mich auf meinen Sitz nieder. »Entweder beide oder keiner«, erklärte er fest. »Was Sie mir zu sagen haben, darf dieser Herr ebensogut anhören.«

Der Graf zuckte seine breiten Schultern. »Dann muß ich Sie beide auf zwei Jahre zu absolutem Schweigen verpflichten. Später hat die Sache bis auf meinen Namen keine Bedeutung mehr. Es ist aber nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß augenblicklich die betreffende Angelegenheit imstande wäre, einen Einfluß auf die europäische Geschichte auszuüben.«

»Ich verpflichte mich zu schweigen«, sagte Holmes.

»Ich ebenfalls.«

»Sie entschuldigen diese Maske«, fuhr unser seltsamer Besucher fort, »doch ist es der Wunsch der hohen Persönlichkeit, in deren Auftrag ich handle, daß sein Agent Ihnen unbekannt bleibe. Gleichzeitig muß ich bekennen, daß ich mich unter falschem Namen eingeführt habe.«

»Das wußte ich«, sagte Holmes trocken.

»Die Umstände erfordern das äußerste Zartgefühl. Ein großer Skandal muß unter allen Umständen von einem fürstlichen Hause abgewendet werden, der es ernstlich kompromittieren könnte. Offen gestanden, die Angelegenheit betrifft das erlauchte Geschlecht der . . ., das regierende Haus in O.«

Holmes lehnte sich bequem in den Lehnstuhl zurück und schloß die Augen. »Das wußt' ich auch schon«, murmelte er.

Anscheinend überrascht blickte der Fremde auf die lässig hingestreckte Gestalt des geschicktesten und tatkräftigsten Polizeiagenten Europas: Holmes hob langsam die Lider und sah ungeduldig zu seinem hünenhaften Klienten auf.

»Wenn Eure Hoheit nur geruhen wollten, mir den Fall zu erzählen«, bemerkte er, »ich wäre dann viel besser imstande, einen Rat zu erteilen.«

Der Mann sprang von seinem Stuhle auf und schritt erregt im Zimmer auf und ab. Zuletzt riß er mit einer Gebärde der Verzweiflung die Maske vom Gesicht und warf sie zu Boden. »Sie haben recht«, rief er, »Ich bin der Fürst. Warum soll ich es zu verbergen suchen?«

»Ja, warum eigentlich?« murmelte Holmes. »Bevor Eure Hoheit ein Wort äußerten, wußte ich, mit wem ich die Ehre hatte, zu unterhandeln.«

Unser sonderbarer Besucher nahm wieder Platz und strich mit der Hand über seine hohe, weiße Stirn. »Aber Sie verstehen, Sie müssen verstehen, daß ich nicht gewöhnt bin, mich persönlich mit solchen Dingen zu befassen. Und doch konnte ich diese delikate Angelegenheit keinem Vermittler anvertrauen, ohne mich gänzlich in seine Hand zu geben. In der Hoffnung auf Ihren Rat bin ich inkognito nach London gekommen.«

»Dann sprechen Sie bitte«, sagte Holmes, wieder die Augen schließend.

»Die Tatsachen sind in Kürze folgende: Vor fünf Jahren machte ich während eines längeren Aufenthaltes in Warschau die Bekanntschaft einer wohlbekannten Abenteurerin: Irene Adler. Der Name wird Ihnen wahrscheinlich nicht fremd sein.«

»Sei doch so gut, Doktor, und schlage in meinem Verzeichnis nach«, sagte Holmes, ohne die Augen zu öffnen. Schon vor Jahren hatte er angefangen, alles ihm wichtig Erscheinende, mochte es nun Menschen oder Dinge betreffen, systematisch einzutragen, so daß man kaum eine Person oder Sache erwähnen konnte, von der er nichts Näheres zu berichten wußte. Diesmal fand ich die gesuchte Biographie zwischen der eines Rabbiners und der eines Kontre-Admirals, des Verfassers einer Abhandlung über die Tiefseefische.

»Nun wollen wir mal sehen«, meinte Holmes. »Hm! Geboren in New-Jersey. Altstimme hm. La Scala hm! Primadonna an der kaiserlichen Oper in Warschau – ja! Von der Bühne zurückgetreten – aha. Lebt in London – ganz recht! Eure Hoheit knüpften nun mit dieser jungen Person Beziehungen an und schrieben ihr einige kompromittierende Briefe, deren Rückgabe jetzt wünschenswert wäre. Ist's nicht so?«

»Ganz genau so – aber wie –«

»Hat eine heimliche Ehe stattgefunden?«

»Nein.«

»Es existieren auch keine Verträge oder Abmachungen?«

»Keine.«

»Dann begreife ich Eure Hoheit nicht recht. Wenn diese junge Person die fraglichen Briefe behufs Erpressung oder zu anderen Zwecken benutzen wollte, wie vermöchte sie dann deren Echtheit zu beweisen?«

»Aber die Handschrift?«

»Pah! Fälschung!«

»Doch mein besonderes Briefpapier?«

»Ist gestohlen.«

»Mein Siegel?«

»Nachgeahmt.«

»Meine Photographie?«

»Gekauft.«

»Aber wir sind ja beide zusammen auf dem Bilde.«

»O weh! Das ist sehr bös. Damit haben Hoheit allerdings eine Unvorsichtigkeit begangen.«

»Ich war verrückt – von Sinnen.«

»Eure Hoheit haben sich ernstlich kompromittiert.«

»Ich war damals noch sehr jung und nicht an der Regierung. Ich zähle jetzt erst dreißig.«

»Das Bild muß wieder herbeigeschafft werden.«

»Bis jetzt war alles vergebens.«

»Haben Sie es mit Geld versucht?«

»Sie gibt es um keinen Preis her.«

»Na, dann wird es gestohlen.«

»Das ist schon fünfmal versucht worden. Zweimal ließ ich in ihrer Wohnung einbrechen, einmal wurde ihr Gepäck auf einer Reise durchstöbert. Zweimal wurde sie überfallen. Alles umsonst.«

»Keine Spur davon?«

»Nicht die geringste.«

Holmes lachte. »Die kleine Geschichte ist ja recht nett.«

»Aber für mich ist sie verteufelt ernst«, meinte der Fürst vorwurfsvoll.

»Das stimmt. Was beabsichtigt sie nur mit der Photographie?«

»Sie will mich ins Unglück stürzen.«

»Wie das?«

»Ich stehe im Begriffe, mich zu verheiraten.«

»Ich hörte davon.«

»Und zwar mit Klotilde, der zweiten Tochter des Königs von . . . Sie kennen wahrscheinlich die starren Grundsätze dieser Familie, die Prinzessin selbst ist die personifizierte Empfindsamkeit. Fiele der leiseste Schatten auf mich, würde man den Plan sofort aufgeben.«

»Und Irene Adler?«

»Droht ihnen das Bild zu schicken. Sie tut es auch, ich weiß, daß sie es tut; Sie kennen ihren eisernen Willen nicht. Ach, ihr liebliches Madonnenantlitz verrät ja leider nichts davon. Es gibt nichts, dessen sie nicht fähig wäre, um diese Heirat zu verhindern, absolut nichts!«

»Es ist gewiß, daß sich das Bild noch in ihrem Besitz befindet?«

»Sicher.«

»Woher wissen Sie's?«

»Sie hat geschworen, es erst am Tage der Bekanntmachung der Verlobung abzuschicken. Der ist am nächsten Montag.«

»O, dann haben wir noch drei Tage vor uns«, sagte Holmes gemütlich. »Das trifft sich ja sehr glücklich, denn jetzt muß ich mich noch ein oder zwei wichtigen Angelegenheiten widmen. Hoheit bleiben doch fürs erste in London?«

»Gewiß. Sie finden mich bei Langham unter dem Namen des Grafen v. Kramm.«

»Dann werde ich also dorthin über unsern Erfolg berichten.«

»Ich bitte darum. Sie können sich meine Aufregung vorstellen.«

»Nun bleibt noch die Geldfrage zu erledigen.«

»Sie haben Vollmacht.«

»Vollständig?«

»Eines meiner Schlösser wäre mir nicht zu viel für das Bild.«

»Und die augenblicklichen Ausgaben?«

Der Fürst zog eine dicke Geldtasche unter dem Mantel hervor und legte sie auf den Tisch.

»Hier sind dreihundert Pfund in Gold und siebenhundert in Papier«, sagte er.

Holmes kritzelte eine Empfangsbescheinigung auf ein Blatt seines Notizbuches und überreichte es ihm.

»Die Adresse der Dame?«

»Ist Briony Lodge, Serpentine Avenue, St. John Wood.«

Holmes notierte sie sich. »Noch eine andere Frage: war es ein Kabinettbild?«

»Allerdings.«

»Nun gute Nacht, Hoheit, und ich darf wohl die Hoffnung aussprechen, bald günstige Nachrichten senden zu können. Gute Nacht auch, Watson«, fügte er hinzu, als die Räder des fürstlichen Wagens die Straße hinabrollten. »Ich würde mich sehr freuen, wenn du mich morgen nachmittag um drei Uhr aufsuchen würdest, ich möchte gern mit dir über die Sache plaudern.«

II

Pünktlich um drei Uhr erschien ich in der Bakerstraße, aber Holmes war noch nicht heimgekehrt. Die Wirtin erzählte mir, er wäre kurz vor acht Uhr morgens fortgegangen. Ich setzte mich mit der festen Absicht an den Kamin, ihn unter allen Umständen zu erwarten. Der vorliegende Fall erregte mein höchstes Interesse, und wenn er auch nicht den schrecklichen, seltsamen Charakter trug, wie die beiden Verbrechen, die ich schon früher aufzeichnete, so gab ihm doch die Natur der Sache und die erlauchte Persönlichkeit des Klienten ein ganz eigenartiges Gepräge. Nebenbei gewährte es mir stets aufs neue ein Vergnügen, die klare, schlagende Logik meines Freundes zu beobachten und den meisterhaften Griff, mit dem er eine Situation erfaßte. Ich war an das beständige Gelingen seiner Aufgaben so gewöhnt, daß mir die Möglichkeit eines Mißerfolges überhaupt nie in den Sinn kam. Kurz vor vier Uhr wurde die Tür von einem angetrunken aussehenden Reitknecht mit schlechtgekämmtem Haar und Backenbart geöffnet, das gerötete Gesicht und die nachlässige Kleidung machten entschieden einen heruntergekommenen Eindruck. Trotzdem ich die auffallende Geschicklichkeit meines Freundes in Verkleidungen kannte, dauerte es doch geraume Zeit, bis ich sicher war, ihn vor mir zu haben. Mit einem leichten Kopfnicken verschwand er im Schlafzimmer und erschien nach fünf Minuten elegant gekleidet und tadellos wie immer. Die Hände in den Taschen streckte er sich behaglich vor dem Kamin aus und fing herzlich an zu lachen.

»Das ist wirklich gut«, rief er und brach wieder in sein anhaltendes Lachen aus, bis er atemlos und erschöpft innehalten mußte.

»Was ist denn los?«

»Es ist zu komisch. Du errätst sicher nicht, womit ich mich heute beschäftigt habe, und wie ich meine Tätigkeit beschloß.«

»Keine Ahnung. Vermutlich hast du Haus und Gewohnheiten von Fräulein Irene beobachtet?«

»Ganz recht, und ich habe allerlei Merkwürdiges erlebt. Laß dir erzählen. Ich verließ also als stellenloser Knecht heute früh meine Wohnung. Ich sage dir unter diesen Pferdemenschen herrscht eine wunderbare Kameradschaft. Gehöre zu ihnen, und du erfährst alles, was du wissen willst. Ich fand denn auch bald die Wohnung. Die zweistöckige Villa ist wirklich ein bijou, hinten dehnt sich ein Garten aus, während die Vorderseite des Hauses bis dicht an die Straße grenzt. Rechter Hand befindet sich ein geräumiges, schön ausgestattetes Wohnzimmer, mit großen, fast zum Boden reichenden Fenstern und jenem dummen englischen Fensterverschluß, den jedes Kind öffnen kann. Sonst war nichts Bemerkenswertes zu entdecken, höchstens die Möglichkeit, vom Dach des Kutscherhauses in das Flurfenster zu gelangen. Ich schlenderte die Straße hinab und fand richtig meine Erwartungen nicht getäuscht; in einem Gäßchen, das sich an einer der Gartenmauern entlang zog, lag ein Pferdestall. Ich half den Stallknechten beim Abreiben ihrer Pferde und verdiente damit ein Trinkgeld, ein Glas Bier und so viel Auskunft über Fräulein Adler, als ich nur wünschte. Natürlich mußte ich dafür die Biographien von mindestens zwölf Leuten aus der Nachbarschaft, die mich nicht im geringsten interessierten, mit in Kauf nehmen.«

»Nun und Irene Adler?« fragte ich.

»Oh, sie hat allen Männern im ganzen Stadtteil die Köpfe verdreht. Sie ist das entzückendste Geschöpf unter der Sonne, darüber herrscht nur eine Stimme in den Pferdeställen der Serpentine Avenue. Sie lebt sehr zurückgezogen, singt in Konzerten und fährt täglich um fünf Uhr aus, um sieben kehrt sie dann zum Essen zurück. Zu anderer Tageszeit verläßt sie selten das Haus. Sie empfängt nur die häufigen Besuche eines brünetten und auffallend hübschen Herrn. Er kommt täglich ein-, ja auch zweimal und ist ein Herr Godfroy Norton aus dem ›Inner Temple‹. Da siehst du, welch einen Vorteil es bringt, Kutscher zu Vertrauten zu haben! Sie hatten ihn mindestens ein dutzendmal nach Hause gefahren und waren genau über ihn orientiert. Als ihr Redefluß versiegt war, wanderte ich langsam in der Nähe auf und ab und entwarf meinen Feldzugsplan.

»Dieser Herr Norton war entschieden ein nicht zu unterschätzender Faktor in dieser Angelegenheit. Er ist Jurist, das klang fatal. Welche Beziehungen bestanden zwischen diesen beiden und welchen Grund hatte er zu seinen häufigen Besuchen? War sie seine Klientin, Freundin oder seine Geliebte? Im ersteren Falle hatte sie ihm wahrscheinlich das Bild in Verwahrung gegeben, im letzteren war das weniger zu befürchten. Hiervon hing es aber doch ab, ob ich in der Villa meine Nachforschungen fortsetzen oder das Feld meiner Tätigkeit in die Wohnung des Herrn verlegen mußte. Das war ein sehr knifflicher Punkt und machte die ganze Sache weit verwickelter. Ich fürchte, diese Details langweilen dich, aber zum weiteren Verständnis der Situation sind sie durchaus notwendig.«

»Ich folge dir sehr aufmerksam«, antwortete ich.

»Ich war mit der Geschichte noch nicht im klaren, als ein Wagen sich näherte und vor der Villa hielt. Ein auffallend hübscher Mann, mit einer Adlernase in seinem bärtigen Gesicht, sprang heraus, zweifellos derselbe, der mir beschrieben wurde. Er schien große Eile zu haben, befahl dem Fahrer zu warten und eilte an dem öffnenden Mädchen mit der Miene eines Mannes vorüber, der sich völlig zu Hause fühlt. Sein Aufenthalt dauerte ungefähr eine halbe Stunde, ich konnte ihn zuweilen durch das Fenster des Wohnzimmers erblicken, in dem er erregt sprechend und lebhaft gestikulierend auf und nieder schritt. Von ihr war keine Spur zu entdecken. Plötzlich kam er in verstärkter Aufregung wieder heraus. Bevor er einstieg, warf er einen Blick auf seine Uhr. ›Fahren Sie wie der Teufel‹, befahl er, ›zuerst zu Groß und Hankey in Regents Street und dann nach der Kirche St. Monica in Edgeware Road. Eine halbe Guinee, wenn die Fahrt nur sieben Minuten dauert!‹

»Fort ging es, und ich überlegte eben, ob ich ihnen nicht folgen sollte, als ich einen hübschen, kleinen Viersitzer das Gäßchen heraufkommen sah. Der Fahrer hatte kaum vor der Türe gehalten und war noch nicht damit fertig, die Knöpfe seines Rockes zu schließen, als sie schon eilig aus der Haustür schlüpfte und selbst den Schlag aufriß. ›Nach der Kirche St. Monica, John‹, rief sie, ›und einen halben Sovereign, wenn du in sieben Minuten dort bist‹.

»Ich sah sie nur ganz flüchtig, doch es genügte, um jede Torheit eines Mannes begreiflich zu finden. – Die Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen, Watson. Glücklicherweise fand ich ein Fahrzeug in der Nähe, das mich aller Zweifel enthob, auf welche Weise ich dasselbe Ziel erreichen konnte. Der Fahrer wußte nicht recht, was er aus seinem schäbigen Fahrgast machen sollte, aber, ehe er noch Zeit zu irgendwelchen Einwendungen fand, saß ich schon im Wagen. ›Ein halber Sovereign, wenn Sie die Kirche von St. Monica in sieben Minuten erreichen!‹ Es fehlen noch zehn und eine halbe Minute an zwölf Uhr, und es lag klar auf der Hand, was vor sich gehen sollte. Mein Wagen fuhr sehr rasch, aber sie waren doch früher zur Stelle. Als ich ankam, hielten die beiden Wagen schon vor der Kirchtür. Ich bezahlte meinen Fahrer und ging schnell hinein. Außer den beiden Gesuchten und einem sehr bestürzt aussehenden Geistlichen, der eifrig auf sie einsprach, war keine Seele weiter dort zu sehen. Alle drei standen in einer dichten Gruppe vor dem Altar. Ich schlenderte mit der Miene eines Müßiggängers, der zufällig in eine Kirche geraten ist, durch das Seitenschiff. Zu meiner großen Überraschung richteten plötzlich die drei ihre Aufmerksamkeit auf mich, und Godfroy Norton schritt rasch auf mich zu.

»Gott sei Dank«, rief er, »Sie können uns einen sehr großen Dienst erweisen. Kommen Sie schnell, schnell!«

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