Kitabı oku: «Fünf Apfelsinenkerne»
Arthur Conan Doyle
Fünf Apfelsinenkerne und andere Detektivgeschichten
Impressum
Covergestaltung: Steve Lippold
Digitalisierung: Gunter Pirntke
ISBN: 9783955012335
2014 andersseitig
andersseitig Verlag
Dresden
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Inhalt
Impressum
Fünf Apfelsinenkerne.
Der Katechismus der Familie Musgrave.
Die Gutsherren von Reigate.
Der Krüppel.
Der Doktor und sein Patient.
Der Marinevertrag.
Das letzte Problem.
Fünf Apfelsinenkerne.
Ueberblicke ich meine Berichte und Notizen über die von Sherlock Holmes behandelten Fälle aus den Jahren 1882-90, so treten mir so viele absonderliche, interessante Züge entgegen, daß es mir schwer wird, die besten auszusuchen. Indessen sind einige bereits durch die Zeitungen bekannt geworden, während andere zur Entfaltung gerade derjenigen Eigenschaften, welche meinen Freund in so hohem Grade auszeichneten, keine rechte Gelegenheit darboten. In einigen Fällen scheiterte sogar seine Kunst, und die Erzählung derselben würde sich nicht lohnen, während andere nur teilweise aufgeklärt worden sind, so daß ihre Lösung mehr auf Vermutung und Wahrscheinlichkeit beruht als auf jenem absolut logischen Beweis, an dem Sherlock Holmes seine ganz besondere Freude hatte. Einer dieser letzteren Kriminalfälle war jedoch in seinen Einzelheiten so merkwürdig, so schrecklich in seinen Folgen, daß ich davon berichten möchte, obwohl mancher Punkt darin nicht aufgeklärt wurde und sich wohl nie völlig aufklären wird.
Das Jahr 1887 war besonders reich an interessanten Fällen, über welche ich mir Aufzeichnungen gemacht habe. Ich finde darunter Berichte über die schwindelhafte Bettler-Gesellschaft, die einen luxuriösen Klub in den Kellerräumen eines Lagerhauses hatte, über die Thatsachen, die sich auf den Untergang des britischen Seglers ›Sophie Anderson‹ beziehen, über die merkwürdigen Erlebnisse der Patersons auf der Insel Uffa und schließlich über den Camberwellschen Giftmord. Bekanntlich hat Sherlock Holmes in dem letztgenannten Falle durch das Aufziehen der Uhr des Verstorbenen festzustellen vermocht, daß diese zwei Stunden vorher aufgezogen, und jener demnach um diese Zeit zu Bett gegangen war – ein Beweismittel, das sich zur Aufklärung des Thatbestandes von großer Wichtigkeit erwies. Auf alle diese Fälle komme ich vielleicht ein andermal ausführlicher zurück, aber kein einziger ist in seinem Verlauf so eigentümlich wie der, den ich mir für diesmal zur Wiedergabe ausgewählt habe.
Es war in den letzten Septembertagen, und die Herbststürme tobten mit ungewöhnlicher Macht. Vom Morgen an heulte der Wind, der Regen schlug dermaßen an die Fenster, daß wir auf Augenblicke von unserm gewohnten Thun und Treiben abgezogen wurden und uns selbst hier, inmitten des großen von Menschenhand erbauten London, gezwungen sahen, die Gewalt jener Naturkräfte anzuerkennen, welche durch die künstlichen Schranken der Zivilisation hindurch die Menschheit antoben und anbrüllen wie ungebändigte Tiere im Käfig.
Immer heftiger wurde der Sturm, als der Abend hereinbrach, und im Kamin seufzte und stöhnte es wie ein klagendes Kind. Verdrießlich saß Sherlock Holmes am Feuer und beschrieb die Rückenschilder seiner Kriminalakten, wahrend ich mich ihm gegenüber in einen der trefflichen Seeromane Clark Russells vertiefte.[*] Dieselben erschienen deutsch im Verlag von Robert Lutz in Stuttgart. Das Toben draußen stimmte völlig mit dem Text überein, und im Prasseln des Regens wähnte ich das lang hingezogene Rollen der Meereswogen zu vernehmen. Meine Frau war bei ihrer Tante auf Besuch, und so hatte ich wieder einmal mein früheres Heim in der Bakerstraße bezogen.
»Was?« sagte ich, auf meinen Freund blickend, »es hat wirklich geklingelt. Wer mag das sein heute abend? Vielleicht einer deiner Freunde?«
»Außer dir, Watson, habe ich keinen; ich lade niemand ein,« gab er zurück.
»So ist's ein Klient.«
»Ist's einer, so ist die Sache wichtig. Geringes führt keinen Menschen bei solchem Wetter und zu solcher Stunde her. Aber wahrscheinlich ist's eine alte Base der Wirtin.«
Sherlock Holmes hatte sich geirrt. Draußen ließen sich Schritte vernehmen, und es klopfte an die Thür. Er streckte den langen Arm aus, um das Lampenlicht von sich hinweg nach dem leeren Stuhl zu richten, auf den sich der Ankömmling setzen mußte.
»Herein,« rief er dann.
Der Eintretende, ein junger Mann von ungefähr 22 Jahren, war wohl gebaut, gut gekleidet, ja seine Erscheinung zeigte eine gewisse Gewandtheit und Eleganz. Der triefende Schirm in seiner Hand und der lange, glänzende Gummimantel legten vom Wetter draußen, das er nicht gescheut, beredtes Zeugnis ab. Er blickte, vom Lampenlicht geblendet, unruhig umher; seine Wangen waren blaß, und es lag ein Druck auf seinen Augen, wie das bei Menschen vorkommt, auf denen schwere Besorgnis lastet.
»Ich muß um Entschuldigung bitten,« sagte er und setzte seinen goldenen Klemmer auf. »Hoffentlich störe ich nicht. Ich bedaure, die Spuren des Wetters in Ihr behagliches Zimmer gebracht zu haben.«
»Geben Sie mir Schirm und Mantel,« bat Holmes, »hier am Kamin trocknet beides schnell, Sie kommen von Süd-West, wie ich sehe.«
»Ja, von Horsham.«
»Die Mischung von Thon und Kalk an Ihren Stiefelspitzen läßt daran nicht zweifeln.«
»Ich kam, mir Rat zu holen.«
»Den sollen Sie gern haben.«
»Auch Hilfe!«
»Die läßt sich nicht immer so leicht gewähren.«
»Ich hörte von Ihnen, Herr Holmes. Major Prendergast erzählte mir, wie Sie ihn aus dem Tankervilleklub-Skandal retteten.«
»Allerdings. Irrtümlich wurde er falschen Kartenspiels beschuldigt.«
»Er sagt, Sie bekämen alles heraus.«
»Da sagt er zuviel.«
»Sie ließen sich nie hinters Licht führen.«
»Viermal ist mir das passiert – dreimal von Männern, einmal von einer Frau.«
»Was ist das im Vergleich zu Ihren Erfolgen?«
»Allerdings hatte ich meist Erfolg.«
»Hoffentlich werden Sie den auch in meinem Fall haben.«
»Bitte, rücken Sie Ihren Stuhl näher an das Feuer, und teilen Sie mir gefälligst mit, um was es sich handelt.«
»Es ist nichts Alltägliches, was mich herführt.«
»In gewöhnlichen Fällen wendet man sich auch nicht an mich. Ich bin die letzte Instanz.«
»Und dennoch zweifle ich, ob Sie bei all Ihrer Berufserfahrung je einer dunkleren und unerklärlicheren Verkettung von Umständen begegneten, als die sind, welche ich aus meiner Familie zu berichten habe.«
»Sie wecken mein Interesse,« versetzte Holmes; »bitte, nennen Sie uns die Hauptpunkte von Anfang an, dann kann ich Sie über die Einzelheiten befragen, die mir am wichtigsten erscheinen.«
Der junge Mann rückte seinen Stuhl näher und streckte die nassen Füße nach dem Feuer aus.
»Mein Name,« hub er an, »ist John Openshaw, doch haben meine eigenen Verhältnisse mit der entsetzlichen Geschichte, soviel ich sehe, wenig zu thun. Es handelt sich um eine Erbschaftsangelegenheit, und so muß ich etwas zurückgreifen, um Ihnen die Sachlage zu erklären: Mein Großvater hatte zwei Söhne – meinen Oheim Elias und meinen Vater Joseph. Mein Vater besaß eine kleine Fabrik in Coventry, die er zur Zeit, wo das Radfahren aufkam, vergrößerte. Er war der Inhaber des Patents für die Openshawschen Sicherheits-Räder, was ihm großen Gewinn brachte, so daß er sein Geschäft verkaufen und von seinen Renten leben konnte.
»Mein Oheim Elias wanderte in jungen Jahren nach Amerika aus und wurde in Florida Pflanzer. Es soll ihm sehr gut gegangen sein. Während des Krieges kämpfte er in Jacksons Armee, dann unter Hood, wobei er zum Obersten avancierte. Als Lee die Waffen streckte, kehrte mein Oheim auf seine Plantagen zurück, wo er drei bis vier Jahre blieb. 1869 oder 70 kam er wieder nach Europa und kaufte ein kleines Anwesen in Sussex, in der Nähe von Horsham. Er hatte drüben in den Staaten ein sehr bedeutendes Vermögen erworben, verließ jedoch Amerika, weil er die Neger verabscheute und sich mit der republikanischen Politik, die ihnen die Freiheit gab, nicht befreunden konnte. Er war ein Sonderling, von heftigem und leidenschaftlichem Wesen und auffallend menschenscheu. Ich glaube kaum, daß er während der vielen Jahre, die er in Horsham lebte, je den Fuß in die Stadt setzte. Er hatte einen Garten und einige Felder am Hause; dort machte er sich die nötige Bewegung, verließ aber oft wochenlang nicht sein Zimmer. Er trank viel Branntwein, rauchte tüchtig, wollte keinen Menschen sehen, bedurfte keiner Freunde, ja, auch nicht seines eigenen Bruders. Gegen mich hatte er nichts, ja, er fand Gefallen an mir, als er mich als ungefähr zwölfjährigen Jungen zum erstenmal sah. Es mag dies wohl im Jahre 1878 gewesen sein, und er lebte damals schon seit 8-9 Jahren in England. Er bat meinen Vater, mich bei ihm wohnen zu lassen, und auf seine Weise zeigte er sich immer gut gegen mich. War er nüchtern, so spielte er gern Puff oder Dame mit mir. Dienstboten und Verkäufer wies er mit ihren Anliegen stets an mich, und so war ich mit 16 Jahren Herr im Hause.
»Ich hatte alle Schlüssel, konnte thun und lassen was ich wollte, wenn ich ihn nur nicht störte. Es gab hiervon nur eine einzige Ausnahme: oben auf dem Boden war eine stets verschlossene Rumpelkammer, deren Zutritt weder mir noch sonst jemand gestattet wurde. Mit knabenhafter Neugier guckte ich oft durchs Schlüsselloch, konnte aber nie etwas anderes erspähen als alte Koffer und Bündel, wie sie meist an solchem Ort vorhanden sind.
»Eines Tages – im März 1883 – lag ein Brief mit ausländischem Poststempel vor dem Teller des Obersten. Briefe erhielt er selten, denn seine Rechnungen bezahlte er bar, und Freunde irgend welcher Art hatte er nicht. ›Aus Indien!‹ sagte er, indem er den Brief nahm, ›der Stempel von Ponditscherri! Was kann das sein?‹ Er riß den Umschlag heftig auf, und fünf kleine, trockene Apfelsinenkerne fielen herab auf seinen Teller. Ich mußte darüber lachen, doch erstarb das Lachen auf meinen Lippen, als ich den Ausdruck in den Zügen meines Oheims gewahrte. Sein Mund war verzerrt, die Augen traten hervor, seine Farbe war aschgrau geworden, und noch immer starrte er auf den Umschlag in seiner zitternden Hand. ›K. K. K.!‹ stieß er hervor, ›mein Gott, meine Sünden kommen herab auf mein Haupt!‹
»›Was bedeutet das, Onkel?‹ rief ich aus.
»›Den Tod,‹ sagte er, stand auf, zog sich in sein Zimmer zurück und ließ mich entsetzt und schaudernd allein. Ich nahm den Umschlag und sah an der inneren Seite der Klappe, gerade über dem gummierten Strich, mit roter Tinte dreimal den Buchstaben K gekritzelt. Sonst war nichts darin als die fünf trockenen Kerne. Was mochte der Grund solch überwältigenden Schreckens sein? Ich verließ den Frühstückstisch, und als ich hinauf ging, kam mein Oheim die obere Treppe herab. In der einen Hand hielt er einen verrosteten, alten Schlüssel, der zu der Rumpelkammer gehören mußte, in der andern trug er ein Metallkästchen, das wie eine Geldkasse aussah.
»›Sie mögen thun, was sie wollen, ich führe sie alle ab!‹ rief er mit einem Fluch. ›Sage Mary, sie soll heute ein Feuer in meinem Zimmer machen, und schicke hinunter zu Fordam, dem Advokaten von Horsham.‹
»Ich that, wie er befohlen; als der Advokat kam, wurde ich hinauf in das Zimmer gerufen. Das Feuer loderte hell, und auf dem Rost lag dicke, schwarze Asche wie von verbranntem Papier – daneben stand der Metallkasten offen und leer. Ich fuhr zusammen, als ich auf dem Deckel dasselbe dreifache K bemerkte, das ich am Morgen auf dem Briefumschlag gesehen.
»›John,‹ sagte mein Oheim, ›ich will mein Testament machen, und du sollst Zeuge sein. Ich vermache meinen Besitz mit all seinen Vor- und Nachteilen meinem Bruder, deinem Vater, der ihn zweifellos dereinst auf dich übergehen lassen wird. Kannst du das Erbe in Frieden genießen, so ist alles in Ordnung. Siehst du aber ein, daß das nicht geht, dann, mein Junge, höre auf mich, überlasse es deinem Todfeind. Es thut mir leid, dir solch ein zweifelhaftes Vermächtnis zu hinterlassen, doch weiß ich nicht, wie sich die Dinge gestalten werden. Bitte, unterzeichne das Papier, wo Herr Fordam es dir zeigt.‹
»Ich unterschrieb nach Wunsch, und der Advokat nahm das Schriftstück mit. Der merkwürdige Vorfall machte, wie Sie wohl denken können, einen tiefen Eindruck auf mich, und ich grübelte und grübelte, ohne mir darüber klar zu werden. Dennoch vermochte ich nicht, ein unbestimmtes Gefühl von Bangigkeit abzuschütteln, welches auch zurückblieb, obwohl sich diese Empfindung abschwächte, als Wochen verstrichen und nichts den gewohnten Gang unseres Lebens störte. Bei meinem Oheim nahm ich jedoch eine Veränderung wahr: er trank mehr denn je und zeigte sich jeglichem Verkehr noch abholder als sonst. Die meiste Zeit brachte er in seinem Zimmer hinter fest verschlossener Thür zu; dann und wann stürzte er, in einer Art trunkenen Wahnes, aus dem Hause in den Garten, hielt einen Revolver in der Hand und schrie dabei, ihm sei vor keinem Menschen bange, und keiner – auch nicht der Teufel – werde ihn wie ein Schaf in die Hürde sperren. Waren diese Anfälle vorüber, dann stürmte er wieder herein, schloß und verrammelte die Thür hinter sich, wie ein Mensch, der die Schrecken eines peinigenden Gewissens nicht länger zu ertragen vermag. In solchen Stunden war sein Gesicht, selbst an kalten Tagen, geradezu in Schweiß gebadet.
»Ich eile zum Schluß, um Ihre Geduld nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen, Herr Holmes. Eines Nachts verfiel er wieder in solch einen trunkenen Wutanfall, aus dem er nicht wieder zu sich kam. Als wir nach ihm suchten, fanden wir ihn, mit dem Kopf nach unten, in einem kleinen, schmutzigen Teich, der am Ende des Gartens liegt. Kein Zeichen von Gewaltthat ließ sich wahrnehmen; das Wasser war nur zwei Fuß tief, und so lautete der Wahrspruch der Geschworenen – in Anbetracht seiner bekannten Exzentrizität – auf Selbstmord.
»Mir aber fiel es schwer, mich von diesem Ausspruch überzeugen zu lassen, wußte ich doch, wie sehr ihm stets vor dem bloßen Gedanken an den Tod gegraut hatte. Doch, es blieb dabei; mein Vater erbte die Besitzung und ungefähr 14 000 £, die zu seiner Verfügung auf der Bank lagen.«
»Einen Augenblick!« unterbrach ihn Holmes. »Ihr Bericht gehört, – so viel ist gewiß – zu den merkwürdigsten, die ich je vernommen. Geben Sie mir das Datum des Eingangs jenes Briefes an Ihren Oheim an, sowie das Datum seines vermutlichen Selbstmordes.«
»Der Brief traf am 10. März 1883 ein, sein Tod erfolgte sieben Wochen später, in der Nacht vom 2. Mai.«
»Danke; bitte weiter.«
»Damals, als mein Vater die Besitzung in Horsham übernahm, durchsuchte er, auf meine Bitte, die so sorgsam verschlossen gewesene Bodenkammer sehr genau. Wir fanden den Metallkasten, obwohl der Inhalt vernichtet worden war. An der inneren Deckelseite klebte ein Zettel, abermals mit K. K. K.; darunter stand: »Briefe, Mitteilungen, Quittungen und Register« Offenbar waren dies die von meinem Onkel vernichteten Papiere. Im übrigen fand sich nichts von Wichtigkeit in der Kammer, es sei denn eine große Menge von Papieren und Notizbüchern, die sich auf das Leben meines Oheims in Amerika bezogen. Manche stammten aus der Kriegszeit und bewiesen, daß er seiner Pflicht treulich nachgekommen war und den Ruf eines tapfern Soldaten genossen hatte; andere, aus der Zeit des Wiederauflebens der südlichen Staaten, bezogen sich hauptsächlich auf Politik; augenscheinlich hatte er gegen die Wanderagitatoren, die vom Norden ausgesandt wurden, entschieden Partei ergriffen.
»Zu Anfang des Jahres 1884 war mein Vater nach Horsham gezogen, und nichts störte unser Zusammenleben bis zum Januar 1885. Am vierten Tage im neuen Jahr vernahm ich einen lauten Ausruf des Staunens von den Lippen meines Vaters, als wir eben frühstückten. Da saß er mit einem eben geöffneten Briefumschlag in der einen Hand und fünf trockenen Apfelsinenkernen auf der ausgestreckten Fläche der andern. Er hatte stets über ›mein Märchen vom Obersten,‹ wie er es nannte, gelacht, jetzt aber, als ihm dieselbe Geschichte passierte, sah er höchst befremdet und verwundert drein.
»Was in aller Welt soll das heißen, John?« stotterte er.
»Mein Herz stand still. ›Es ist dasselbe K. K. K.‹ sagte ich.
»Er blickte in den Umschlag. ›Wahrhaftig!‹ rief er aus. ›Da sind sie, die Buchstaben! Was aber steht hier darüber?‹
»›Legt die Papiere auf die Sonnenuhr,‹ las ich, über seine Schulter blickend.
»›Welche Papiere? welche Sonnenuhr?‹ fragte er.
»›Die Sonnenuhr im Garten; eine andere giebt es nicht‹ antwortete ich; ›die Papiere aber müssen die zerstörten sein‹
»Ach was!« meinte er, indem er sich zu fassen suchte. »Wir leben hier in einem zivilisierten Land und können uns auf derartige Narrenspossen nicht einlassen. Woher kommt das Ding?«
»Von Dundee,« erwiderte ich, den Stempel betrachtend.
»›Irgend ein alberner Streich,‹ meinte er, »was habe ich mit Sonnenuhren und Papieren zu schaffen? Ich werde den Unsinn nicht weiter berücksichtigen‹
»›Es wäre wohl besser, die Sache anzuzeigen‹ schlug ich vor.
»›Und mich gründlich auslachen zu lassen. Nein – nichts davon‹
»›So laß mich es thun‹ bat ich.
»›Ich verbiete es dir,‹ gab er zurück. ›Wegen solcher Lappalie braucht kein Lärm geschlagen zu werden‹
»Weitere Erörterungen wären vergeblich gewesen, denn mein Vater war ein unbeugsamer Mann. Mich aber bedrückten schwere Ahnungen.
»Am dritten Tage nach Empfang des Briefes besuchte mein Vater einen alten Freund, Major Freebody, der auf einem der Forts auf Portsdown-Hill steht. Ich freute mich, daß er ging, denn mich dünkte stets, er sei auswärts weniger in Gefahr als daheim. Doch ich täuschte mich. Seit zwei Tagen war er fort, als ich vom Major telegraphisch gebeten wurde, sofort zu kommen. Mein Vater war in eine der vielen Kalkgruben der Umgegend gestürzt und lag besinnungslos mit zerschmetterter Hirnschale da. Ich eilte zu ihm, doch verschied er, ohne sein Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Wie es scheint, war er in der Dämmerung von Fareham heimgegangen; er kannte die Gegend nicht, die Kalkgrube war nicht umzäunt, und so lautete der Wahrspruch der Geschworenen auf ›Tod durch Unglücksfall‹ So genau ich jede Einzelheit untersuchte, die auf den Tod meines Vaters Bezug hatte, so fand ich nicht das Geringste, was auf Mord schließen ließ. Kein Zeichen von Gewalt, keine Fußtapfen, kein Raub, kein Fremder, der auf den Wegen gesehen worden war. Und doch begreifen Sie wohl, daß ich mich bei dem Ausspruch nicht beruhigen konnte und überzeugt blieb, mein Vater sei einem verbrecherischen Anschlag zum Opfer gefallen.
»Auf diese unheimliche Weise gelangte ich zu meinem jetzigen Besitz. Sie werden vielleicht fragen, weshalb ich ihn nicht veräußert habe. Darum, weil ich fest überzeugt bin, daß unser Geschick irgendwie mit einem Vorfall im Leben meines Oheims verknüpft ist, und so bliebe die Gefahr in diesem wie in einem andern Haus dieselbe.
»Mein armer Vater starb im Januar 1885; zwei Jahre und acht Monate sind seitdem verflossen. Inzwischen lebte ich zufrieden in Horsham, und schon hoffte ich, der Fluch sei mit der vorigen Generation von unserer Familie gewichen. Ich hatte mich zu früh beruhigt; gestern morgen traf mich der verhängnisvolle Schlag, genau wie er meinen Vater getroffen hatte.«
Der junge Mann holte einen zerknitterten Umschlag aus seiner Brusttasche und schüttelte fünf kleine, trockene Apfelsinenkerne, die darin waren, auf den Tisch.
»Das ist der Umschlag,« fuhr er fort. »Der Stempel ist vom Ost-Londoner Postamt. Es steht dasselbe darauf wie bei der letzten Sendung an meinen Vater: ›K. K. K.‹ und ›Legt die Papiere auf die Sonnenuhr‹«
»Was haben Sie gethan?« fragte Holmes.
»Nichts.«
»Nichts?«
»Offen gestanden« – er barg das Gesicht in seine zarten, weißen Hände – »ich fühle mich hilflos. Mir ist wie einem armen Kaninchen zu Mute, nach dem die Schlange den gierigen Rachen aufsperrt. Ich muß in der Hand eines unwiderruflichen, unwiderstehlichen Verhängnisses sein, das weder Vorsicht noch Sorge abzuwenden vermag.«
»Unsinn!« rief Sherlock Holmes, »handeln müssen Sie, junger Mann, sonst sind Sie verloren. Nur Energie vermag Sie zu retten. Zum Verzweifeln ist jetzt nicht die Zeit.«
»Ich habe die Sache bei der Polizei angezeigt.«
»So?«
»Dort hörten sie mir lächelnd zu. Ich weiß, man hält die Briefe für einen dummen Spaß, und die Todesfälle meiner Verwandten gelten dort nach dem Ausspruch der Gerichte für Unglücksfälle, die mit der Warnung in keinem Zusammenhang stehen.«
Holmes erhob seine gefalteten Hände: »Unerhörte Borniertheit!« rief er aus.
»Immerhin wurde mir ein Schutzmann zugewiesen, der mit mir im Hause bleiben darf.«
»Kam er heute abend mit Ihnen her?«
»Nein, sein Befehl lautet, im Hause zu bleiben.«
Wieder rang Holmes die Hände.
»Warum kamen Sie zu mir?« fragte er, »und vor allem, warum kamen Sie nicht gleich?«
»Ich wußte ja nichts von Ihnen. Erst heute sprach ich mit Major Prendergast, der mir riet, Sie aufzusuchen.«
»Es sind schon zwei Tage verflossen seit Empfang des Briefes. Wir hätten früher handeln sollen. Weitere Beweise haben Sie wohl nicht als die hier vorliegenden? – irgend etwas, das uns auf die Spur helfen könnte?«
»Doch, hier ist etwas,« sagte John Openshaw. Er durchsuchte seine Rocktasche, zog ein Stück bläulich gefärbtes Papier hervor und legte es auf den Tisch. »Ich erinnere mich dunkel, daß damals, als mein Oheim die Papiere verbrannte, die schmalen, unverkohlten Ränder in der Asche von solch eigentümlicher Farbe waren. Dieses einzelne Blatt fand ich am Boden in seinem Zimmer, und fast vermute ich, es könnte aus den Papieren herausgefallen und so der Zerstörung entgangen sein. Es sieht aus, als wäre es ein Blatt aus einem Tagebuch. Sie finden die Kerne darin erwähnt, sonst hat es wohl wenig Wert für uns. Die Schrift ist unbedingt die meines Oheims.«
Holmes zog die Lampe näher, und beide neigten wir uns auf das Blatt, dessen zerrissener Rand deutlich zeigte, daß es zu einem Heft gehört hatte. ›März 1869‹ stand obenan und darunter folgende rätselhafte Notizen:
»4. Hudson gekommen. Dieselbe alte Plattform.
»7. Die Kerne an Mc. Kauley, Paramore und John Swain von St. Augustine aufgegeben.
»9. Mc. Kauley erledigt.
»10. John Swain erledigt.
»12. Paramore besucht. Alles gut.«
»Danke,« sagte Holmes, faltete das Blatt und gab es dem jungen Mann zurück. »Und nun dürfen Sie um keinen Preis mehr einen Augenblick verlieren. Wir haben nicht einmal die Zeit, das Besprochene näher zu erörtern. Sie müssen sofort nach Hause und handeln.«
»Was soll ich thun?«
»Nur eines ist möglich, und das muß sofort geschehen: Dies Stück Papier, das Sie uns zeigten, muß in den Metallkasten kommen; Sie legen einen Zettel bei, der besagt, daß alle anderen Papiere von Ihrem Oheim verbrannt wurden und nur dieses zurückgeblieben ist. Sie müssen die Notiz so abfassen, daß sich an der Wahrheit Ihrer Aussage nicht zweifeln läßt. Dann stellen Sie das Kästchen auf die Sonnenuhr, wie verlangt wird. Haben Sie verstanden?«
»Vollkommen.«
»Denken Sie jetzt weder an Rache noch an sonst dergleichen. Das werden wir wohl später auf gesetzlichem Wege erlangen können. Für jetzt haben wir unser Netz noch zu spinnen, während der Feind bereits seine Beute umgarnt hat. Vor allem gilt es, der großen Gefahr zu entgehen, die Sie bedroht. Dann muß der Schleier gelüftet werden, und die Schuldigen finden ihre Strafe. Wie kehren Sie zurück?«
»Mit dem Zuge vom Waterloobahnhof.«
»Es ist noch nicht neun Uhr. Die Straßen sind jetzt belebt, und so hoffe ich, Sie sind sicher. Doch können Sie nicht vorsichtig genug sein.«
»Ich bin bewaffnet.«
»Das ist recht. Morgen nehme ich Ihren Fall in Angriff.«
»So darf ich Sie in Horsham erwarten?«
»Nein, Ihr Geheimnis liegt in London verborgen; hier muß ich danach forschen.«
»So werde ich Sie in den allernächsten Tagen aufsuchen und Ihnen über Kasten und Papiere berichten. Ihr Rat soll genau befolgt werden.«
Er reichte uns die Hand und verabschiedete sich. Draußen heulte der Wind noch immer, und der Regen schlug an die Fenster. Es war, als hätten die entfesselten Elemente diese merkwürdige Begebenheit zu uns hereingeweht – wie einen von den Wogen angeschwemmten Büschel Seetang, den nun das tobende Meer wieder verschlang.
Schweigend saß Sherlock Holmes und starrte sinnend in die rote Feuerglut. Dann steckte er seine Pfeife an, lehnte sich bequem zurück und blickte den einzelnen Rauchringen nach, die zur Decke emporstiegen.
»Mich dünkt, Watson,« bemerkte er endlich, »ein so phantastischer Fall ist uns noch nicht vorgekommen.«
»Höchstens der des ›Zeichen der Vier‹.[*] Siehe Band 2 der Sherlock Holmes-Serie.
»Nun ja, den nehme ich aus. Und doch glaube ich, daß John Openshaw in noch größerer Gefahr schwebt, als damals die Scholtos.«
»Hast du irgend welche bestimmte Vermutung über die Art dieser Gefahr?«
»Darüber ist kein Zweifel möglich.«
»So sprich! Wer ist dieser K. K. K., und warum verfolgt er die unglückliche Familie?«
Sherlock Holmes schloß die Augen, stützte die Ellenbogen auf die Lehnen seines Stuhles und legte die Fingerspitzen aneinander. »Der vollendete Denker,« sagte er, »müßte eigentlich imstande sein an der Hand einer einzigen Thatsache, welche ihm in allen ihren Beziehungen klar geworden ist, sowohl die Begebenheiten, die daraus folgten, als auch diejenigen, welche vorausgingen, zu ermitteln. Genau so, wie Cuvier den Bau eines ganzen Tieres bei der Betrachtung eines einzigen Knochen festzustellen vermochte. Wir sind uns noch viel zu wenig bewußt, was wir alles durch bloße Geistesarbeit erreichen können. Mit Hilfe des Studiums vermag man Probleme zu lösen, an welchen diejenigen verzweifeln, die die Lösung nur vermittelst ihrer fünf Sinne zu finden trachten. Der Höhepunkt der Kunst läßt sich jedoch nur erreichen, wenn der Forscher es versteht, alle Fakta zu benutzen, die zu seiner Kenntnis gelangen. Das hat aber ein so universelles Wissen zur Voraussetzung, wie es selbst in unserer Zeit freier und allgemeiner Bildung nur wenigen zugänglich ist. Dagegen scheint es mir nicht so ganz unmöglich, daß ein Mensch alles Wissen besitzt, das ihm in seinem Fach nützlich werden kann, und dies zu erwerben habe ich mich redlich bemüht. Entsinne ich mich recht, so hast du einmal in den Tagen unsrer frühsten Freundschaft die Grenzen meiner Fähigkeiten sehr genau verzeichnet.«
»Jawohl,« erwiderte ich lachend, »es war eine gelungene Liste. Philosophie, Astronomie und Politik waren darin – wenn ich mich recht erinnere – mit einer Null versehen. In Botanik warst du ungleich, in Geologie dagegen sehr gründlich, namentlich mit Bezug auf Dreckspuren aus jeder beliebigen Gegend im Umkreis von London; mit Chemie stand's brillant; Kenntnisse in Anatomie unsystematisch; in Kriminalitteratur ein hervorragender Kenner. Im übrigen guter Boxer, Fechter, Jurist. So lauteten wohl die Hauptpunkte meiner Analyse.«
Holmes lachte. »Und ich sage heute wie damals: Der Mensch soll seine kleinen Gehirnkammern mit dem füllen, was er voraussichtlich brauchen wird, das übrige kann er in den dunkelsten Winkel seiner Bibliothek stecken, wo er es im Notfall findet. In einem Fall, wie der uns heute abend vorgelegte, gilt es eine Musterung von allem, was uns nur irgend zu Gebote steht. Bitte, reiche mir den Buchstaben K der Amerikanischen Encyklopädie, die aus dem Regal hinter dir steht. – Danke. – Nun laß uns die Sache näher betrachten und sehen, was man daraus folgern kann. Vor allem ist mit ziemlicher Gewißheit anzunehmen, daß Oberst Openshaw einen sehr triftigen Grund hatte, Amerika zu verlassen. Männer seines Alters ändern nicht leicht ihre Gewohnheiten und vertauschen nicht gern das liebliche Klima Floridas gegen das einsame Leben einer englischen Provinzialstadt. Seine übergroße Zurückgezogenheit in England läßt uns vermuten, daß er sich vor jemand oder vor etwas fürchtete, und daß ihn diese Furcht aus Amerika vertrieben hat. Was dies Befürchtete war, können wir uns aus den schrecklichen Briefen folgern, die er und seine Familie erhielten. Hast du die Postzeichen auf den Briefen bemerkt?«
»Der erste kam aus Ponditscherri, der zweite aus Dundee und der dritte aus London.«
»Aus Ost-London. Was folgerst du daraus?«
»Es sind drei Seehäfen. Also war der Schreiber an Bord.«
»Vortrefflich. Da halten wir schon einen Faden. Es ist unbedingt anzunehmen – ja, fast zweifellos, daß der Schreiber an Bord eines Schiffes ist. Und nun ein zweiter Punkt: Nach dem Brief aus Ponditscherri verstrichen sieben Wochen zwischen Warnung und Ausführung, nach dem aus Dundee nur drei bis vier Tage. Giebt uns das keinen Anhalt?«
»Im ersteren Fall war eine größere Entfernung zurückzulegen.«
»Aber dies gilt auch von dem Brief.«
»Dann werde ich nicht klug daraus.«
»Es liegt wenigstens die Vermutung nahe, daß der Mann oder die Männer an Bord eines Seglers sind. Fast scheint es, sie schicken ihre eigentümliche Warnung oder ihr Zeichen voraus, sobald sie sich auf den Weg machen, um ihre Absicht auszuführen. Du siehst, wie rasch die That auf den Brief aus Dundee folgte. Wären die Leute auf einem Dampfer von Ponditscherri gekommen, so würden sie fast zugleich mit ihrem Brief angelangt sein. Es steht aber fest, daß sieben Wochen dazwischen verstrichen. Mir scheint, diese sieben Wochen bilden den Unterschied in der Zeit zwischen der Fahrt des Postdampfers, der den Brief beförderte, und dem Segler, der den oder die Schreiber brachte.«