Kitabı oku: «Sherlock Holmes' Buch der Fälle»

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Vorwort

Der illustre Klient

Der erbleichte Soldat

Der Mazarin-Stein

Die Drei Giebel

Der Vampir von Sussex

Die drei Garridebs

Die Thor-Brücke

Der Mann mit dem geduckten Gang

Die Löwenmähne

Die verschleierte Mieterin

Shoscombe Old Place

Der Farbenhändler im Ruhestand

Editorische Notiz

Anmerkungen

Arthur Conan Doyle
Sherlock Holmes' Buch der Fälle

Impressum

Covergestaltung: Steve Lippold

Digitalisierung: Gunter Pirntke

ISBN: 9783955012410

2014 andersseitig

andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de

info@new-ebooks.de

(mehr unter Impressum-Kontakt)

Vorwort

Ich fürchte, daß es Mr. Sherlock Holmes wie einem jener beliebten Tenöre ergehen wird, die, obschon ihre Zeit vorbei ist, immer wieder in Versuchung geraten, ihrem nachsichtigen Publikum noch eine allerletzte Abschiedsvorstellung zu geben. Einmal muß dies freilich ein Ende haben, und er muß den Weg allen Fleisches, einerlei ob es real oder erfunden ist, gehen. Gleichwohl würde man sich gerne vorstellen, daß es für die Kinder der Phantasie ein imaginäres Zwischenreich gibt, irgendeinen seltsamen, unmöglichen Ort, wo die Stutzer Fieldings den Schönen von Richardson noch immer den Hof machen, wo Scotts Helden noch immer einherstolzieren, Dickens' ergötzliche Cockneys noch immer Gelächter hervorrufen und Thackerays Lebemänner weiterhin ihre verruchten Karrieren verfolgen. In einer bescheidenen Ecke eines solchen Walhallas werden vielleicht auch Sherlock und sein Watson eine Zeitlang ein Plätzchen finden, dieweil ein noch gewitzterer Detektiv mit einem noch minder gewitzten Gefährten die Bühne betreten mag, die sie nunmehr verlassen haben.

Seine Karriere hält nun schon recht lange an – wiewohl man ihre Dauer auch übertreiben kann; altersschwache Gentlemen, die an mich herantreten und erklären, daß seine Abenteuer die Lektüre ihrer Knabenzeit bildeten, erhalten von mir nicht die Antwort, die sie zu erwarten scheinen. Auf einen derart unhöflichen Umgang mit den eigenen Daten ist man nämlich nicht erpicht. Die nackte Wahrheit lautet: Holmes gab sein Debüt in Eine Studie in Scharlachrot sowie in Das Zeichen der Vier, zwei schmalen Büchlein, die zwischen 1887 und 1889 erschienen sind. Die erste aus der langen Reihe kurzer Erzählungen, Ein Skandal in Böhmen, erschien 1891 in ›The Strand Magazine‹. Das Publikum schien empfänglich und begierig nach mehr, so daß sie von da an, also vor neununddreißig Jahren, in unregelmäßiger Folge herausgegeben wurden; heute umfaßt die Reihe nicht weniger als fünfundsechzig Erzählungen, die in Die Abenteuer, Die Memoiren, Die Rückkehr und in Seine Abschiedsvorstellung bereits nachgedruckt worden sind; somit verbleiben noch die während der letzten paar Jahre veröffentlichten zwölf Geschichten, die hier unter dem Titel Sherlock Holmes' Buch der Fälle vorgelegt werden. Er trat seine Abenteuer inmitten der viktorianischen Ära an, überdauerte die allzu kurze Regierungszeit Edwards1 und hat es selbst in unseren fieberhaften Tagen geschafft, seine kleine persönliche Nische zu bewahren. Man kann daher mit Fug behaupten, daß seine ersten jungen Leser mittlerweile erleben, wie ihre herangewachsenen Kinder die nämlichen Abenteuer im nämlichen Magazin verfolgen. Das ist ein schlagendes Beispiel für die Geduld und Loyalität des britischen Publikums.

Ich war fest entschlossen, Holmes am Schluß von Die Memoiren sterben zu lassen, weil ich das Gefühl hatte, daß meine literarischen Energien nicht zu sehr in eine bestimmte Bahn gelenkt werden sollten. Jenes blasse, scharfgeschnittene Gesicht und die schlaksige Gestalt nahmen längst einen ungebührlich großen Teil meiner Phantasie in Anspruch. Ich verübte die Tat2; doch glücklicherweise äußerte sich kein Coroner3 zu den irdischen Überresten – und so hatte ich, nach einer langen Pause, keinerlei Mühe, der schmeichelhaften Nachfrage zu entsprechen und mein vorschnelles Handeln wegzuerklären4. Ich mußte es nie bereuen, denn in der Praxis stellte sich heraus, daß diese leichteren Skizzen mich nie daran gehindert haben, meine Grenzen in so unterschiedlichen Literaturzweigen wie Geschichtsschreibung, Poesie, Historischen Romanen, Spiritistischen Untersuchungen und Drama zu erforschen und zu erkennen. Selbst wenn Holmes nie existiert hätte, wäre ich nicht imstande gewesen, mehr zu leisten – wiewohl er der Anerkennung meiner seriöseren literarischen Arbeiten vielleicht doch ein bißchen im Wege gestanden haben mag.5

Und somit, Leser, nehmen Sie Abschied von Sherlock Holmes! Ich danke Ihnen für die langjährige Treue und kann nur hoffen, daß diese Art von Zerstreuung ein wenig für die Plackerei des Lebens entschädigt hat und jene anregende geistige Abwechslung gewährte, die man nur im Feenreich erfundener Geschichten finden kann.

ARTHUR CONAN DOYLE

Der illustre Klient

»Jetzt kann es keinen Schaden mehr anrichten«, lautete Mr. Sherlock Holmes' Kommentar, als ich wohl zum zehnten Mal in ebenso vielen Jahren seine Einwilligung erbat, die folgende Geschichte zu enthüllen. So erhielt ich endlich doch noch die Erlaubnis, das schriftlich festzuhalten, was in mancherlei Hinsicht den Höhepunkt in der Laufbahn meines Freundes bezeichnete.

Sowohl Holmes als auch ich hatten eine Schwäche für das türkische Dampfbad. Nirgendwo sonst habe ich ihn weniger verschwiegen und menschlicher erlebt als beim Rauchen in der wohligen Schlaffheit des Ruheraumes. Im oberen Stockwerk des Etablissements in der Northumberland Avenue gibt es eine abgesonderte Ecke, wo zwei Liegesofas nebeneinander stehen, und auf ebendiesen lagen wir am 3. September 1902, dem Tag, da meine Geschichte beginnt. Ich hatte ihn gefragt, ob es irgend etwas Aufregendes gebe, und als Antwort war aus den Laken, die ihn umhüllten, sein langer, dünner, sehniger Arm geschossen und hatte aus der Innentasche seines neben ihm hängenden Mantels einen Briefumschlag gezogen.

»Vielleicht handelt es sich nur um einen grundlos aufgeregten, wichtigtuerischen Narren, vielleicht geht es aber auch um Leben oder Tod«, sagte er, als er mir das Billett reichte. »Mehr als das, was diese Nachricht mir mitteilt, weiß ich nicht.«

Sie kam aus dem Carlton Club und datierte vom vergangenen Abend. Folgendes las ich:

Sir James Damery empfiehlt sich Mr. Sherlock Holmes und beabsichtigt, ihn morgen um 16.30 Uhr aufzusuchen. Sir James erlaubt sich zu erwähnen, daß die Angelegenheit, in der er Mr. Holmes zu konsultieren wünscht, höchst delikat und überdies äußerst wichtig ist. Er hofft daher zuversichtlich, daß Mr. Holmes sein Bestes tun wird, diese Unterredung zu gewähren, und daß er dies durch einen telephonischen Anruf im Carlton Club bestätigt.

»Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß ich es bestätigt habe, Watson«, sagte Holmes, als ich ihm das Papier zurückgab. »Wissen Sie irgend etwas über diesen Damery?«

»Nur, daß sein Name in der Gesellschaft geläufig ist.«

»Na, da kann ich Ihnen noch etwas mehr verraten. Er genießt einen ziemlichen Ruf als Vermittler bei delikaten Angelegenheiten, die nicht in die Zeitung kommen sollen. Sie erinnern sich vielleicht an seine Verhandlungen mit Sir George Lewis über den Hammerford-Will-Fall. Er ist ein Mann von Welt mit einer natürlichen Veranlagung zur Diplomatie. Ich bin daher gewiß, daß dies keine falsche Fährte ist und daß er unseren Beistand auch wirklich benötigt.«

»Unseren?«

»Nun, wenn Sie die Güte hätten, Watson.«

»Es soll mir eine Ehre sein.«

»Na denn, die Stunde ist Ihnen bekannt – sechzehn Uhr dreißig. Bis dahin können wir die Angelegenheit vergessen.«

Ich hatte damals meine eigene Wohnung in der Queen Anne Street, fand mich jedoch schon vor der angegebenen Zeit in der Baker Street ein. Punkt halb fünf wurde Colonel Sir James Damery gemeldet. Ihn zu beschreiben, ist wohl kaum erforderlich, denn viele werden sich dieser stattlichen, freimütigen und rechtschaffenen Persönlichkeit erinnern, jenes breiten, glattrasierten Gesichtes und vor allem jener angenehmen, sanften Stimme. Offenheit strahlte aus den grauen irischen Augen, und gute Laune umspielte die lebhaften, lächelnden Lippen. Sein glänzender Zylinder, der dunkle Gehrock –: von der Perlennadel in der schwarzen Seidenkrawatte bis zu den lavendelfarbenen Gamaschen über den Lackschuhen besprach in der Tat jedes Detail die penible Sorgfalt seiner Kleidung, für die er berühmt war. Der große, gebieterische Aristokrat beherrschte das kleine Zimmer.

»Selbstverständlich war ich darauf vorbereitet, auch Dr. Watson anzutreffen«, bemerkte er mit einer höflichen Verbeugung. »Seine Mitarbeit ist vielleicht sogar höchst erforderlich; bei diesem Fall, Mr. Holmes, haben wir es nämlich mit einem Mann zu tun, für den Gewalt etwas Alltägliches bedeutet und der buchstäblich vor nichts zurückschreckt. Ich möchte behaupten, es gibt keinen gefährlicheren Mann in Europa.«

»Ich hatte bereits mehrere Gegner, auf die man diese schmeichelhafte Bezeichnung anwandte«, sagte Holmes lächelnd. »Sie rauchen nicht? Dann entschuldigen Sie bitte, wenn ich mir meine Pfeife anzünde. Wenn Ihr Mann gefährlicher ist als der verstorbene Professor Moriarty oder der noch lebende Colonel Sebastian Moran6, dann lohnt es sich in der Tat, ihn kennenzulernen. Darf ich fragen, wie er heißt?« »Haben Sie schon einmal von Baron Grüner gehört?« »Sie meinen den österreichischen Mörder?« Colonel Damery hob lachend die in Glacéhandschuhen steckenden Hände. »Ihnen entgeht wohl gar nichts, Mr. Holmes! Wundervoll! Sie halten ihn also bereits für einen Mörder?«

»Es gehört zu meinem Beruf, die Verbrechen auf dem Kontinent eingehend zu verfolgen. Wie könnte jemand, der irgend etwas über die Geschehnisse in Prag gelesen hat, noch an der Schuld dieses Mannes zweifeln! Es war doch lediglich ein juristischer Kunstkniff und der verdächtige Tod eines Zeugen, was ihn rettete! Ich bin so sicher, daß er seine Frau getötet hat, als sich der sogenannte ›Unfall‹ am Splügenpaß7 ereignete, als ob ich ihm dabei zugeschaut hätte. Ich wußte auch, daß er nach England gekommen war, und mir schwante bereits, daß er mir früher oder später zu schaffen machen würde. Nun, was hat Baron Grüner denn angestellt? Ich nehme doch an, man hat nicht diese alte Tragödie wieder aufgegriffen?«

»Nein, es handelt sich um etwas Ernsteres. Ein Verbrechen zu ahnden, ist wichtig; aber es zu verhindern, ist noch wichtiger. Es ist schrecklich, Mr. Holmes, wenn man erkennt, wie sich ein entsetzliches Ereignis, eine gräßliche Situation vor den eigenen Augen anbahnt; wenn man klar begreift, wohin das fuhren muß, und dennoch gänzlich außerstande ist, es abzuwenden. Kann ein Mensch in eine mißlichere Lage geraten?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Dann werden Sie dem Klienten, dessen Interessen ich vertrete, Ihr Mitgefühl nicht versagen.«

»Ich wußte nicht, daß Sie nur Vermittler sind. Wer ist denn Ihr Auftraggeber?«

»Mr. Holmes, ich muß Sie bitten, nicht auf dieser Frage zu bestehen. Es ist wichtig, daß ich ihm zusichern kann, daß sein angesehener Name auf keinen Fall in die Sache mit hineingezogen wird. Seine Beweggründe sind in höchstem Maße ehrenhaft und ritterlich, aber er zieht es vor, unerkannt zu bleiben. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß Ihr Honorar gesichert ist und daß man Ihnen vollkommen freie Hand läßt. Der wirkliche Name Ihres Klienten ist doch gewiß ohne Belang?«

»Bedaure«, sagte Holmes. »Ich bin es zwar gewohnt, daß bei meinen Fällen am einen Ende ein Rätsel steht; aber an beiden Enden – das ist zu verwirrend. Ich fürchte, Sir James, ich muß ablehnen.«

Unser Besucher war sehr verstört. Sein breites, empfindsames Gesicht verdüsterte sich vor Erregung und Enttäuschung.

»Sie sind sich der Konsequenz Ihrer Handlungsweise wohl kaum bewußt, Mr. Holmes«, sagte er. »Sie bringen mich in ein äußerst ernstes Dilemma – ich bin mir nämlich sicher, daß Sie den Fall mit Stolz übernähmen, wenn ich Ihnen die Fakten mitteilen könnte; aber ein Versprechen verbietet mir, sie gänzlich zu enthüllen. Darf ich Ihnen wenigstens das darlegen, was mir anzugeben möglich ist?«

»Durchaus, solange wir darüber einig sind, daß ich mich dadurch zu nichts verpflichte.«

»Das versteht sich von selbst. Zunächst einmal: Sie haben doch zweifellos schon von General de Merville gehört?«

»Der berühmte de Merville vom Khyberpaß8? Ja, ich habe von ihm gehört.«

»Er hat eine Tochter, Violet de Merville, jung, reich, schön, gebildet – ein Wunderweib in jeder Beziehung. Und just diese Tochter, dieses liebliche, unschuldige Mädchen aus den Klauen eines Satans zu retten, sind wir zur Zeit bemüht.«

»Dann hat also Baron Grüner eine gewisse Macht über sie?«

»Die stärkste aller Mächte, die für eine Frau von Belang sind – die Macht der Liebe. Der Bursche sieht, wie Sie vielleicht schon gehört haben, außerordentlich gut aus, hat bezaubernde Manieren, eine sanfte Stimme und jenes Air von Romantik und Geheimnis, das einer Frau so viel bedeutet. Es heißt, daß ihm das ganze weibliche Geschlecht zu Füßen liege und daß er sich diesen Umstand auch weidlich zunutze mache.«

»Aber wie kommt ein solcher Mann dazu, eine Lady vom Stand der Miss Violet de Merville kennenzulernen?«

»Es geschah auf einer Yachtreise im Mittelmeer. Obwohl es sich um eine geschlossene Gesellschaft handelte, bezahlte jeder die Passage selbst. Ohne Zweifel waren sich die Veranstalter über den wahren Charakter des Barons erst im klaren, als es zu spät war. Der Schurke nahm die Lady für sich ein, und das mit solchem Erfolg, daß er voll und ganz ihr Herz gewonnen hat. Die Feststellung, daß sie ihn liebt, drückt den Sachverhalt nur unzureichend aus. Sie ist vernarrt in ihn, sie ist von ihm besessen. Außer ihm gibt es nichts auf der Welt. Sie will kein Wort gegen ihn hören. Alles wurde bereits unternommen, um sie von ihrer Verrücktheit zu kurieren, aber vergeblich. Kurz, sie beabsichtigt, ihn nächsten Monat zu heiraten. Da sie volljährig ist und einen eisernen Willen hat, ist guter Rat teuer, wie man sie daran hindern könnte.«

»Weiß sie von der österreichischen Episode?«

»Der schlaue Teufel hat ihr von jedem schmutzigen öffentlichen Skandal seiner Vergangenheit erzählt; aber immer so, daß er sich dabei als unschuldigen Märtyrer darstellt. Sie nimmt ihm seine Version uneingeschränkt ab und will von keiner anderen hören.«

»Meine Güte! Aber ist Ihnen nun der Name Ihres Klienten nicht doch noch unabsichtlich entschlüpft? Zweifellos handelt es sich um General de Merville.«

Unser Besucher ruckte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

»Ich könnte Sie ja täuschen, indem ich es behauptete, Mr. Holmes; aber es wäre nicht die Wahrheit. De Merville ist ein gebrochener Mann. Der unbeugsame Soldat wurde von diesem Vorfall vollständig demoralisiert. Er hat den Mut, der ihn auf dem Schlachtfeld nie im Stich ließ, verloren und ist zu einem schwachen, zitternden Greis geworden, der völlig unfähig ist, es mit einem brillanten, kräftigen Halunken wie diesem Österreicher aufzunehmen. Mein Klient ist jedenfalls ein alter Freund – einer, der den General seit vielen Jahren genau kennt und an diesem jungen Mädchen, schon seit sie noch Kinderkleidchen trug, väterliches Interesse nimmt. Er kann nicht tatenlos mit ansehen, wie sich diese Tragödie vollzieht. Für Scotland Yard gibt es hierbei keinerlei Handhabe. Es war sein Vorschlag, Sie zu konsultieren; aber dies geschah, wie ich schon erwähnt habe, unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er persönlich nicht in die Sache hineingezogen würde. Ich zweifle nicht daran, Mr. Holmes, daß Sie mit Ihren hervorragenden Fähigkeiten die Spur zu meinem Klienten mühelos zurückverfolgen könnten, aber ich muß Sie bitten, es als Ehrensache zu betrachten, daß Sie dies unterlassen und sein Inkognito nicht verletzen.«

Holmes lächelte verschmitzt.

»Ich glaube, das kann ich mit Sicherheit versprechen«, sagte er. »Ich möchte hinzufügen, daß mich Ihr Problem interessiert und daß ich bereit bin, mich damit zu befassen. Wie kann ich mit Ihnen in Verbindung bleiben?«

»Man findet mich über den Carlton Club. Aber für Notfalle gibt es einen privaten Telephonanschluß: XX.31.«

Holmes notierte die Nummer und saß, noch immer lächelnd, mit dem geöffneten Notizbuch auf dem Knie da.

»Und die gegenwärtige Adresse des Barons, bitte?«

»Vernon Lodge, in der Nähe von Kingston. Es ist ein großes Haus. Er hatte bei einigen ziemlich anrüchigen Spekulationen Glück und ist ein reicher Mann, was ihn natürlich zu einem noch gefährlicheren Gegner macht.«

»Hält er sich gegenwärtig zu Hause auf?«

»Ja.«

»Können Sie mir abgesehen von dem, was Sie mir bereits mitgeteilt haben, noch weitere Informationen über den Mann geben?«

»Er hat kostspielige Neigungen. Er ist Pferdezüchter. Eine kurze Zeit lang spielte er Polo in Hurlingham, aber dann erregte diese Prager Affäre Aufsehen, und er mußte damit aufhören. Er sammelt Bücher und Gemälde. Er hat auch eine ausgeprägte künstlerische Seite. Er ist, soviel ich weiß, eine anerkannte Autorität für chinesische Keramik und hat darüber bereits ein Buch geschrieben.«

»Ein vielseitiger Geist«, sagte Holmes. »Das haben alle großen Verbrecher so an sich. Mein alter Freund Charlie Peace9 war ein Violinvirtuose. Wainwright10 war kein übler Künstler. Ich könnte noch viele anführen. Nun gut, Sir James, Sie können Ihrem Klienten ausrichten, daß ich mein Augenmerk auf Baron Grüner richten werde. Mehr kann ich jetzt nicht sagen. Ich besitze ein paar eigene Informationsquellen und glaube, wir werden Mittel und Wege finden, die Sache in Gang zu setzen.«

Als unser Besucher gegangen war, saß Holmes so lange in tiefen Gedanken da, daß es mir vorkam, als habe er meine Anwesenheit vergessen. Aber schließlich fand er unvermittelt auf den Boden der Wirklichkeit zurück. »Na, Watson, schon eine Idee?« fragte er.

»Ich würde es für das beste halten, wenn Sie einmal mit der jungen Lady selbst sprächen.«

»Mein lieber Watson, wenn ihr armer alter gebrochener Vater sie nicht umstimmen kann, wie soll dann ich, ein Fremder, es schaffen? Falls jedoch alle Stricke reißen, hat der Vorschlag etwas für sich. Aber ich glaube, wir müssen den Hebel woanders ansetzen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß Shinwell Johnson uns dabei weiterhilft.«

Ich hatte in diesen Memoiren noch keine Gelegenheit, Shinwell Johnson zu erwähnen, weil ich meine Darstellungen nur selten den späteren Phasen der Karriere meines Freundes entnommen habe. Er wurde während der ersten Jahre dieses Jahrhunderts zu einem wertvollen Gehilfen. Johnson, ich sage es mit Bedauern, machte sich zuerst als sehr gefährlicher Schurke einen Namen und büßte zweimal eine Strafe in Parkhurst11 ab. Schließlich bereute er und verbündete sich mit Holmes, indem er als sein Agent in Londons riesiger Unterwelt agierte und zu Informationen gelangte, die sich oft als lebenswichtig erwiesen. Wäre Johnson ein Polizeispitzel gewesen, hätte man ihn bald entlarvt; aber da er sich nur auf Falle einließ, die nicht gleich vor Gericht kamen, wurden seine Aktivitäten von seinen Kumpanen niemals bemerkt. Der Glanz seiner beiden Verurteilungen verschaffte ihm Zutritt zu jedem Nachtclub, jeder Absteige und jeder Spielhölle der Stadt, und seine scharfe Beobachtungsgabe sowie sein rascher Verstand machten ihn zu einem idealen Agenten für die Beschaffung von Informationen. Und just an diesen Mann gedachte Sherlock Holmes sich nun zu wenden.

Es war mir nicht möglich, Holmes' unmittelbar anschließende Schritte zu verfolgen, da ich meinerseits einige dringende berufliche Verpflichtungen hatte; aber ich traf ihn, wie verabredet, noch am gleichen Abend im Simpson's, wo wir an einem kleinen Tisch am Vorderfenster saßen, auf den dahinrauschenden Lebensstrom des Strand12 hinabblickten und er mir einiges von dem erzählte, was inzwischen geschehen war.

»Johnson ist schon auf der Pirsch«, sagte er. »Er wird in den dunkleren Schlupfwinkeln der Unterwelt wohl manchen Unrat auflesen, denn genau dort unten, inmitten der schwarzen Wurzeln des Verbrechens, müssen wir auf die Geheimnisse dieses Mannes Jagd machen.«

»Wenn aber die Lady nicht glauben will, was längst bekannt ist, warum sollte dann irgendeine neue Enthüllung von Ihnen sie von ihrem Vorsatz abbringen?«

»Wer weiß, Watson? Frauenherz und Frauensinn sind dem Manne unlösbare Rätsel. Sie mögen einen Mord verzeihen oder rechtfertigen; aber irgendein geringeres Vergehen kann ihr Herz zernagen. Baron Grüner sagte mir ...«

»Er sagte Ihnen!«

»Ach so, natürlich, ich hatte Ihnen ja nichts von meinen Plänen erzählt. Tja, Watson, ich liebe nun mal die direkte Auseinandersetzung mit meinem Gegner. Ich stehe ihm gerne Auge in Auge gegenüber und deute mir selbst den Stoff, aus dem er gemacht ist. Nachdem ich Johnson seine Instruktionen erteilt hatte, nahm ich eine Droschke nach Kingston und traf den Baron in höchst leutseliger Stimmung an.«

»Wußte er, wer Sie sind?«

»Das war nicht schwierig, ich habe ihm nämlich einfach meine Karte geschickt. Er ist ein vortrefflicher Gegner, eiskalt, mit seidenweicher Stimme; er wirkt besänftigend wie eine Ihrer ärztlichen Autoritäten und ist gleichwohl giftig wie eine Kobra. Er besitzt Lebensart – ein echter Aristokrat des Verbrechens, der einem obenhin den Nachmittagstee anbietet, während darunter die ganze Grausamkeit des Grabes lauert. Ja, ich bin froh, daß meine Aufmerksamkeit auf Baron Adelbert Grüner gelenkt worden ist.«

»Sie sagen, er war leutselig?«

»Ein schnurrender Kater, der sich seiner Mäuse sicher fühlt. Die Leutseligkeit mancher Menschen ist tödlicher als die Gewalttätigkeit gröberer Seelen. Seine Begrüßung war charakteristisch. ›Ich dachte mir fast, daß ich Sie früher oder später kennenlernen würde, Mr. Holmes‹, sagte er. ›Zweifellos hat Sie General de Merville engagiert, damit Sie sich bemühen, meine Heirat mit seiner Tochter Violet zu verhindern. So ist es doch, nicht wahr?‹

Ich gab es zu.

›Mein Lieber‹, sagte er, ›Sie werden sich dabei nur Ihren wohlverdienten Ruf ruinieren. Das ist kein Fall, den Sie erfolgreich abschließen könnten. Fruchtlose Arbeit käme auf Sie zu, zu schweigen von mancher Gefahr, der Sie sich aussetzen würden. Lassen Sie mich Ihnen aufs nachdrücklichste raten, sich unverzüglich aus der Sache zurückzuziehen.‹

›Seltsam‹, antwortete ich, ›aber genau diesen Rat wollte ich Ihnen eigentlich geben. Ich achte Ihren Verstand hoch, Baron, und das wenige, was ich von Ihrer Person bis jetzt kennengelernt habe, hat meine Wertschätzung nicht verringert. Ich will von Mann zu Mann an Sie appellieren. Niemand möchte Ihre Vergangenheit aufrühren und Ihnen unnötige Unannehmlichkeiten bereiten. Das ist vorbei, und die Wogen haben sich nun geglättet für Sie; aber wenn Sie auf dieser Heirat bestehen, werden Sie einen Schwarm von mächtigen Feinden heraufbeschwören, die Sie so lange nicht in Ruhe lassen, bis Ihnen der Boden Englands zu heiß geworden ist. Ist das die Sache wert? Sie täten wahrhaftig klüger daran, die Lady in Ruhe zu lassen. Es wäre nicht angenehm für Sie, wenn man sie mit den Taten Ihrer Vergangenheit bekanntmachen würde.‹

Der Baron trägt einen Schnurrbart mit kleinen gewichsten Spitzen – wie die kurzen Fühler eines Insekts. Diese zitterten vor Vergnügen, während er zuhörte; schließlich brach er in ein leises Kichern aus.

›Entschuldigen Sie meine Heiterkeit, Mr. Holmes‹, sagte er, ›aber es ist wirklich drollig anzuschauen, wie Sie ohne ein Blatt in der Hand versuchen, Ihre Karten auszuspielen. Ich glaube zwar nicht, daß dies irgend jemand besser könnte als Sie, aber ziemlich rührend ist es trotzdem. Keinen einzigen Trumpf in der Hand, Mr. Holmes, nichts als die allerschlechtesten Karten.‹

›Das glauben Sie.‹

›Das weiß ich. Lassen Sie sich das von mir klar gesagt sein; mein eigenes Blatt ist nämlich so stark, daß ich mir leisten kann, es aufzudecken. Ich war so glücklich, die völlige Zuneigung dieser Lady zu gewinnen. Und die schenkte sie mir trotz der Tatsache, daß ich ihr ganz offen von all den unglücklichen Vorfallen meiner Vergangenheit erzählt habe. Ich sagte ihr auch, daß gewisse böswillige und hinterhältige Personen – ich hoffe, Sie erkennen darin sich selbst wieder – zu ihr kommen und ihr all diese Dinge erzählen würden, und habe sie darauf hingewiesen, wie man diesen Leuten begegnet. Sie haben doch schon einmal von posthypnotischer Suggestion gehört, Mr. Holmes? Nun, Sie werden ja sehen, wie sie wirkt; ein Mann von Persönlichkeit kann von der Hypnose nämlich ohne vulgäre Handauflegungen und Mätzchen Gebrauch machen. Sie ist also auf Sie vorbereitet und wird Ihnen wohl, daran zweifle ich nicht, eine Zusammenkunft gewähren, da sie ja dem Willen ihres Vaters absolut ergehen ist – mit Ausnahme dieser einen kleinen Sache.‹

Tja, Watson, mehr gab es anscheinend nicht zu sagen, deshalb verabschiedete ich mich mit so viel kalter Würde, wie ich nur aufbringen konnte; doch als ich die Hand bereits an der Türklinke hatte, hielt er mich auf.

›Übrigens, Mr. Holmes‹, sagte er, ›kannten Sie Le Brun, den französischen Agenten?‹

›Ja‹, sagte ich.

›Wissen Sie auch, was ihm zugestoßen ist?‹

›Ich habe gehört, daß er im Stadtteil Montmartre von einigen Apachen niedergeschlagen und lebenslänglich zum Krüppel gemacht wurde.‹

›Sehr richtig, Mr. Holmes. Ein merkwürdiger Zufall wollte es, daß er sich erst eine Woche zuvor noch eingehend mit meinen Angelegenheiten beschäftigt hatte. Lassen Sie es bleiben, Mr. Holmes; es bringt kein Glück. Schon manche haben diese Erfahrung gemacht. Mein letztes Wort an Sie lautet: Gehen Sie Ihrer Wege, und lassen Sie mich die meinigen gehen. Good bye!‹ So, das wär's, Watson. Nun sind Sie auf dem laufenden.«

»Der Bursche scheint gefährlich zu sein.«

»Überaus gefährlich. Einem Großmaul schenke ich keine Beachtung, aber der hier gehört zu der Sorte von Männern, die weniger sagen, als sie eigentlich denken.«

»Müssen Sie sich denn unbedingt einmischen? Ist es denn wirklich so wichtig, ob er das Mädchen heiratet?«

»Wenn ich in Betracht ziehe, daß er seine letzte Ehefrau ohne jeden Zweifel ermordet hat, würde ich sagen, es ist sehr wichtig. Außerdem, der Klient! Je nun, wir brauchen das nicht weiter zu erörtern. Wenn Sie Ihren Kaffee getrunken haben, kommen Sie am besten mit mir nach Hause; vermutlich wartet dort nämlich schon der muntere Shinwell mit seinem Bericht.«

Wir trafen ihn tatsächlich an – ein riesiger, ungeschlachter, vom Skorbut befallener Mann mit rotem Gesicht und einem Paar lebhafter schwarzer Augen, die als einziges äußeres Kennzeichen seine außerordentliche Gerissenheit verrieten. Er war anscheinend in sein ganz spezielles Reich hinabgetaucht: Neben ihm auf dem Sofa saß ein Musterexemplar, das er mit heraufgebracht hatte, eine schlanke, flammenartige junge Frau mit blassem, angespanntem Gesicht; es war jugendlich und doch schon so ausgelaugt von Sünde und Sorge, daß man ablesen konnte, was für schreckliche Jahre ihre leprösen Spuren hinterlassen hatten.

»Das ist Miss Kitty Winter«, sagte Shinwell Johnson, indem er sie mit einem Wink seiner feisten Hand vorstellte. »Was die nicht alles weiß ... Na, das kannse ja selber sagen. Hab sie schnurstracks aufgetrieben, noch nicht mal 'ne Stunde nach Ihrer Nachricht.«

»Bin ja auch leicht zu finden«, sagte die junge Frau. »Hölle, Zweigstelle London, das geht nie fehl. Gleiche Adresse wie Porky Shinwell. Wir sind ja auch alte Kumpel, Porky, du und ich. Aber potz Teufel! Da gibt's einen, der müßt in einer noch schlimmeren Hölle schmoren als wir, wenn's in dieser Welt irgendeine Gerechtigkeit gab! Und das ist der Mann, hinter dem Sie her sind, Mr. Holmes.«

Holmes lächelte. »Demnach begleiten uns dabei Ihre guten Wünsche, Miss Winter.«

»Wenn ich mithelfen kann, ihn dahin zu bringen, wo er hingehört, bin ich bis zum letzten Schnaufer die Ihrige«, sagte unsere Besucherin mit wildem Nachdruck. In ihrem weißen, starren Gesicht und den lodernden Augen lag Haß von einer Intensität, zu der Frauen nur selten und Männer wohl nie fähig sind. »Sie brauchen nicht meine Vergangenheit auszuforschen, Mr. Holmes. Die tut hier nix zur Sache. Außer daß mich Adelbert Grüner zu der gemacht hat, die ich bin. Wenn ich ihn bloß mit runterziehen könnte!« Ihre Hände griffen wie rasend in die Luft. »Oh, wenn ich ihn nur in den Abgrund ziehen könnte, in den er schon so viele getrieben hat!«

»Sie wissen also, wie die Dinge liegen?«

»Porky Shinwell hat's mir gerade erzählt. Er ist hinter irgend'ner anderen armen Närrin her und will sie diesmal sogar heiraten. Und Sie wollen das durchkreuzen. Na, Sie wissen ja sicher genug über diesen Teufel, um zu verhindern, daß ein anständiges Mädchen, was noch bei Sinnen ist, mit ihm in derselben Kirche stehen möchte.«

»Sie ist aber nicht bei Sinnen. Sie ist wahnsinnig verliebt. Man hat ihr bereits alles über ihn erzählt. Es kümmert sie nicht.«

»Auch über den Mord?«

»Ja.«

»Mein Gott, muß die Nerven haben!«

»Sie tut das Ganze als Verleumdung ab.«

»Könnten Sie ihr nicht 'n Beweis vor die einfältigen Augen halten?«

»Nun, können Sie uns denn dabei helfen?«

»Bin ich nicht selbst Beweis genug? Wenn ich mich vor sie hinstelle und ihr erzähle, wie er mich benutzt hat ...«

»Das würden Sie tun?«

»Na, und ob!«

»Nun, einen Versuch könnte es wert sein. Er hat ihr allerdings die meisten seiner Sünden bereits gebeichtet, und sie hat sie ihm verziehen; ich nehme an, sie will diese Frage nicht wieder aufgreifen.«

»Ich könnt wetten, er hat ihr nicht alles gebeichtet«, sagte Miss Winter. »Ich hab nämlich ein oder zwei Morde so am Rand mitbekommen; und zwar andere als den einen, der so viel Wirbel gemacht hat. Ab und zu hat er in seiner samtweichen Art von jemand gesprochen und mich dann unverwandt angeguckt und gesagt: ›Noch im selben Monat war er tot.‹ Und das war nicht bloß heiße Luft. Aber es hat mich nicht weiter bekümmert – verstehen Sie, ich war ja damals selber in ihn verliebt. Mir war immer alles recht, was er getan hat, so wie dieser armen Närrin auch! Eins hat mich allerdings mal ins Wanken gebracht. Ja, potz Teufel! Wenn nicht sein giftiges, verlogenes Mundwerk gewesen war, mit dem er alles erklärt und einen einlullt, dann hätt ich ihn noch in derselben Nacht verlassen. Er hat da nämlich so 'n Buch – 'n braunes Lederbuch mit Verschluß und seinem Goldwappen obendrauf. Ich glaub, er war in der Nacht 'n bißchen betrunken, sonst hätt er mir's bestimmt nicht gezeigt.«

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