Kitabı oku: «Sherlock Holmes - Seine Abschiedsvorstellung»
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Vorwort
Wisteria Lodge
I. Das eigenartige Erlebnis des Mr. John Scott Eccles
2. Der Tiger von San Pedro
Die Pappschachtel
Der Rote Kreis
I
II
Die Bruce-Partington-Pläne
Der Detektiv auf dem Sterbebett
Das Verschwinden der Lady Frances Carfax
Der Teufelsfuß
Seine Abschiedsvorstellung
Ein Sherlock-Holmes-Epilog
Editorische Notiz
Anmerkungen
Sir Arthur Conan Doyle
Seine Abschiedsvorstellung
Impressum
Covergestaltung: Steve Lippold
Digitalisierung: Gunter Pirntke
ISBN: 9783955012403
2014 andersseitig
andersseitig Verlag
Dresden
(mehr unter Impressum-Kontakt)
Vorwort
Die Freunde von Mr. Sherlock Holmes werden mit Genugtuung vernehmen, daß er nach wie vor gesund und munter ist, wenn ihm auch gelegentliche rheumatische Anfalle zu schaffen machen. Er hat viele Jahre auf einem kleinen Landgut in den Downs, fünf Meilen von Eastbourne entfernt, mit dem Studium der Philosophie und der Landwirtschaft verbracht. Während dieser Zeit der Ruhe hat er sich trotz fürstlicher Angebote geweigert, weitere Fälle zu übernehmen, da er beschlossen hatte, daß sein Rückzug ins Privatleben endgültig sei. Das Heraufziehen des Weltkrieges veranlaßte ihn indessen, seine außergewöhnliche Kombination von intellektuellen und praktischen Fähigkeiten in den Dienst der englischen Regierung zu stellen, was historische Resultate zeitigte, von denen in Seine Abschiedsvorstellung berichtet wird. Eine Reihe früherer Erlebnisse, die lange in meiner Mappe gelegen haben, sind dieser Geschichte beigesellt, um den Band zu vervollständigen.
JOHN H. WATSON, M.D.1
Wisteria Lodge
I. Das eigenartige Erlebnis des Mr. John Scott Eccles
In meinem Notizbuch finde ich vermerkt, daß es ein trüber und windiger Tag gegen Ende März des Jahres 1892 war. Während wir beim Mittagessen saßen, hatte Holmes ein Telegramm erhalten und rasch eine Antwort hingekritzelt. Er äußerte sich nicht dazu, aber die Angelegenheit schien ihn weiter zu beschäftigen, denn etwas später stand er mit nachdenklicher Miene vor dem Feuer, rauchte seine Pfeife und warf hin und wieder einen Blick auf die Nachricht. Plötzlich wandte er sich mit einem schalkhaften Funkeln in den Augen mir zu.
»Ich würde doch sagen, Watson, daß man Sie als einen Mann von Bildung zu betrachten hat«, sagte er. »Wie würden Sie denn das Wort ›grotesk‹ definieren2?«
»Seltsam – merkwürdig«, schlug ich vor.
Er schüttelte den Kopf ob meiner Definition.
»Es steckt mit Sicherheit noch mehr darin«, entgegnete er; »ein Unterton von Tragik und Schrecken schwingt da mit. Wenn Sie Ihre Gedanken zu einigen jener Erzählungen zurückschweifen lassen, mit denen Sie Ihre langmütige Leserschaft traktiert haben, wird Ihnen auffallen, wie oft das Groteske ins Verbrecherische umgeschlagen ist. Denken Sie nur etwa an jene Episode mit den Rotschöpfen. Die hätte am Anfang kaum grotesker sein können, und doch lief sie zum Schluß auf den tollkühnen Versuch eines Bankraubs hinaus. Oder auch jene äußerst grotesk anmutende Angelegenheit mit den fünf Orangenkernen, welche in direkter Verbindung mit einem Mordkomplott stand. Mich macht dieses Wort hellhörig.«
»Steht es da drin?« fragte ich.
Er las mir das Telegramm vor.
Hatte soeben äußerst unglaubliches und groteskes Erlebnis. Darf ich Sie konsultieren?
SCOTT ECCLES
Postamt Charing Cross
»Mann oder Frau?« fragte ich.
»Ah, ein Mann natürlich. Eine Frau würde nie ein Telegramm mit bezahlter Rückantwort senden. Sie würde einfach herkommen.«
»Werden Sie ihn empfangen?«
»Mein guter Watson, Sie wissen doch, wie sehr ich mich langweile, seit wir Colonel Carruthers hinter Schloß und Riegel gebracht haben. Mein Geist ist wie eine Maschine, die leerläuft und sich selbst in Stücke reißt, weil sie nicht mit dem Räderwerk gekoppelt ist, für das sie konstruiert wurde. Das Leben ist banal; die Zeitungen sind geistlos; Wagemut und Romantik scheinen auf immer aus der Welt des Verbrechens entschwunden zu sein. Wie können Sie mich da noch fragen, ob ich gewillt bin, ein neues Problem in Augenschein zu nehmen, wie trivial auch immer es am Ende sein mag. Aber da ist, wenn mich nicht alles täuscht, ja unser Klient.«
Man hörte einen gemessenen Schritt im Treppenhaus, und einen Augenblick später wurde eine große, stattliche, auf imposante Weise respektabel wirkende Gestalt mit grauem Backenbart ins Zimmer geführt. In seiner gravitätischen Miene und seinem würdevollen Auftreten stand die Geschichte seines Lebens geschrieben. Von den Gamaschen bis zu der goldgeränderten Brille war er ein Konservativer, Kirchgänger und rechtschaffener Bürger, orthodox und traditionsverhaftet bis zum Äußersten. Aber irgendein bestürzendes Erlebnis hatte die ihm eigene Gemütsruhe gestört und in seinem wirr abstehenden Haar, auf den zorngeröteten Wangen und in seinem aufgescheuchten, erregten Gebaren Spuren hinterlassen. Er sprudelte sogleich sein Anliegen hervor.
»Mr. Holmes, ich habe ein äußerst eigenartiges und unerfreuliches Erlebnis hinter mir«, sagte er. »Nie in meinem ganzen Leben bin ich in eine solche Situation gebracht worden – eine äußerst unschickliche, äußerst empörende Situation. Ich muß auf einer Erklärung bestehen.« Er schnaubte und prustete vor Wut.
»Nehmen Sie doch bitte Platz, Mr. Scott Eccles«, sagte Holmes in beschwichtigendem Ton. »Darf ich zuerst einmal fragen, was Sie überhaupt zu mir führt?«
»Nun, Sir, die Sache schien mir nicht gerade ein Fall für die Polizei zu sein, und doch werden Sie, sobald Sie die Einzelheiten vernommen haben, zugeben müssen, daß ich sie nicht einfach auf sich beruhen lassen konnte. Privatdetektive sind zwar eine Sorte Menschen, der ich nicht die geringste Sympathie entgegenbringe, aber da ich Ihren Namen früher einmal ...«
»Schon gut. Und dann, zum zweiten, möchte ich wissen, weshalb Sie nicht sofort gekommen sind.«
»Wie meinen Sie das?«
Holmes blickte auf seine Uhr.
»Es ist jetzt Viertel nach zwei«, sagte er. »Ihr Telegramm ist ungefähr um ein Uhr aufgegeben worden. Aber ein Blick auf Ihren Aufzug genügt, um zu sehen, daß Ihre Verstörung vom Zeitpunkt ihres Erwachens herrührt.«
Unser Klient fuhr sich mit der Hand über das ungekämmte Haar und betastete sein unrasiertes Kinn.
»Sie haben recht, Mr. Holmes. Ich habe keinen Gedanken an meine Toilette gewendet. Ich wollte nur so schnell wie möglich hinaus aus einem solchen Haus. Aber dann bin ich herumgerannt und habe Erkundigungen eingezogen, bevor ich zu Ihnen gekommen bin. Ich war beim Häusermakler, wissen Sie, und dort hat man mir gesagt, daß Mr. Garcias Miete ordnungsgemäß bezahlt sei und daß alles seine Richtigkeit habe mit Wisteria Lodge.«
»Nur gemach, Sir«, sagte Holmes lachend. »Sie sind wie mein Freund Dr. Watson, der die schlechte Angewohnheit hat, seine Geschichten am verkehrten Ende anzufangen. Bitte ordnen Sie Ihre Gedanken und teilen Sie mir dann schön der Reihe nach mit, welcher Art genau die Ereignisse waren, welche Sie dazu veranlaßt haben, sich zerzaust und ungekämmt, die Galastiefel und die Weste schief geknöpft, auf die Suche nach Rat und Beistand zu begeben.«
Unser Klient blickte mit zerknirschter Miene an seinem unkonventionellen Äußeren hinab.
»Ich muß einen äußerst unvorteilhaften Eindruck machen, Mr. Holmes, und ich wüßte nicht, daß mir zeit meines Lebens dergleichen schon passiert wäre. Aber ich will Ihnen die ganze sonderbare Geschichte erzählen, und danach werden Sie bestimmt zugeben, daß ich reichlich entschuldigt bin.«
Indes, seine Erzählung wurde noch im Keim erstickt. Draußen rührte sich etwas, und dann öffnete Mrs. Hudson die Tür, um zwei stämmige, beamtenhaft aussehende Individuen einzulassen, in deren einem wir Inspektor Gregson erkannten, den mutigen, tatkräftigen und – in seinen Grenzen – auch tüchtigen Polizeibeamten von Scotland Yard. Er schüttelte Holmes die Hand und stellte seinen Begleiter als Inspektor Baynes von der Constabulary3 der Grafschaft Surrey vor.
»Wir sind gemeinsam auf der Jagd, Mr. Holmes, und unsere Fährte führt in diese Richtung.« Er richtete seinen Bulldoggenblick auf unseren Besucher. »Sind Sie Mr. John Scott Eccles vom Popham House in Lee?«
»Der bin ich.«
»Wir sind schon den ganzen Vormittag hinter Ihnen her.«
»Zweifellos haben Sie ihn aufgrund des Telegramms aufgespürt«, sagte Holmes.
»Ganz recht, Mr. Holmes. Wir haben im Postamt Charing Cross seine Witterung aufgenommen und sind dann hierhergekommen.«
»Aber weshalb sind Sie hinter mir her? Was wollen Sie von mir?«
»Wir wünschen eine Aussage von Ihnen, Mr. Scott Eccles, die Ereignisse betreffend, die gestern nacht zum Tode von Mr. Aloysius Garcia, wohnhaft auf Wisteria Lodge bei Esher, geführt haben.«
Unser Besucher hatte sich mit starrem Blick in seinem Stuhl aufgerichtet, und aus seinem fassungslosen Gesicht war jede Spur von Farbe gewichen.
»Tot? Haben Sie gesagt, er sei tot?«
»Ja, Sir, er ist tot.«
»Aber wie? Ein Unfall?«
»Mord – so sicher wie nur je etwas auf Erden.«
»Allmächtiger Gott! Das ist ja furchtbar! Aber Sie wollen doch nicht – Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie mich verdächtigen?«
»In einer Tasche des Toten hat man einen Brief von Ihnen gefunden, dem wir entnehmen, daß Sie vorhatten, gestern in seinem Haus zu übernachten.«
»Das habe ich auch getan.«
»Ach, haben Sie das, tatsächlich?«
Und schon wurde das amtliche Notizbuch gezückt.
»Warten Sie, Gregson«, sagte Sherlock Holmes. »Alles, was Sie wollen, ist doch eine schlichte Aussage, nicht wahr?«
»Und es ist meine Pflicht, Mr. Scott Eccles darauf aufmerksam zu machen, daß sie gegen ihn verwendet werden kann.«
»Mr. Eccles wollte uns gerade von dieser Sache berichten, als Sie ins Zimmer traten. Watson, ich glaube, ein Brandy mit Soda könnte ihm nichts schaden. Also, Sir, ich schlage vor, daß Sie von diesem Zuwachs an Publikum gar keine Notiz nehmen und Ihre Geschichte genau so vortragen, wie Sie es getan hätten, wenn Sie nie unterbrochen worden wären.«
Unser Besucher hatte seinen Brandy hinuntergestürzt, und die Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt. Nach einem argwöhnischen Seitenblick auf das Notizbuch des Inspektors sprudelte er seine ungewöhnliche Aussage hervor.
»Ich bin Junggeselle«, begann er, »und da ich recht gesellig bin, pflege ich einen großen Freundeskreis. Dazu zählt auch die Familie eines ehemaligen Bierbrauers namens Melville, die in Albemarle Mansion in Kensington wohnt. An ihrer Tafel lernte ich vor einigen Wochen einen jungen Mann namens Garcia kennen. Soweit ich wußte, war er spanischer Abstammung und hatte irgend etwas mit der Botschaft zu tun. Er sprach perfekt Englisch, hatte angenehme Umgangsformen und war einer der bestaussehenden Männer, die ich mein Lebtag gesehen habe.
Irgendwie kam es, daß wir rasch Freundschaft miteinander schlössen, dieser junge Bursche und ich. Er schien von Anfang an Gefallen an mir zu finden, und gleich am Tag nach unserer ersten Begegnung kam er mich schon in Lee besuchen. Eins gab das andere, und zu guter Letzt lud er mich ein, ein paar Tage in Wisteria Lodge, seinem Haus, das zwischen Esher und Oxshott liegt, zu verbringen. Gestern abend fuhr ich also nach Esher, um dieser Einladung Folge zu leisten.
Er hatte mir seinen Haushalt schon vorher geschildert. Er lebe mit einem getreuen Diener zusammen, einem Landsmann, der für all seine Bedürfnisse sorge. Dieser Bursche spreche Englisch und führe ihm den Haushalt. Außerdem habe er einen wundervollen Koch – ein Halbblut, das er von einer seiner Reisen zurückgebracht habe –, der ein ausgezeichnetes Mahl zu bereiten verstehe. Ich erinnere mich noch an seine Bemerkung, was für ein sonderbarer Haushalt dies doch sei, so mitten im Herzen von Surrey, und ich gab ihm recht, nicht ahnend, daß dieser Haushalt sich noch als weit sonderbarer erweisen sollte, als ich je erwartet hatte.
Ich fuhr also dorthin. Das Haus, etwa zwei Meilen südlich von Esher, ist groß und liegt etwas abseits der Straße, mit einer geschwungenen, von hohen, immergrünen Hecken gesäumten Einfahrt. Es ist halb verfallen und in einem Zustand unglaublicher Verwahrlosung. Als mein Einspänner auf der grasüberwachsenen Einfahrt vor der fleckigen, verwitterten Eingangstür anhielt, kamen mir Zweifel, ob es klug war, einen Mann zu besuchen, den ich nur so oberflächlich kannte. Er selbst öffnete mir jedoch die Tür und begrüßte mich mit allen Anzeichen großer Herzlichkeit. Dann übergab er mich der Obhut seines Dieners, eines dunkelhäutigen, melancholischen Menschen, der mir meine Tasche abnahm und den Weg zu meinem Schlafgemach wies. Von dem ganzen Ort ging etwas Bedrückendes aus. Unser Abendessen verlief als ein tête-à-tête, und wiewohl mein Gastgeber sich alle Mühe gab, mich zu unterhalten, schien es, als ob seine Gedanken ständig abschweiften, und was er sagte, war so unklar und verworren, daß ich Mühe hatte, ihm zu folgen. Er trommelte unablässig mit den Fingern auf den Tisch, kaute an seinen Nägeln und ließ andere Zeichen nervöser Ungeduld erkennen. Das Essen selbst wurde weder gut serviert, noch war es gut zubereitet, und die düstere Präsenz des schweigsamen Dieners trug auch nicht gerade zu unserer Aufheiterung bei. Ich versichere Ihnen, ich habe mich im Laufe dieses Abends manches Mal nach einer Ausrede gesehnt, die mir erlaubt hätte, nach Lee zurückzukehren.
Da fällt mir etwas ein, was im Zusammenhang mit der Sache, in der Sie beide, Gentlemen, ermitteln, von Wichtigkeit sein könnte, wenn ich mir auch, als es passiert ist, nichts weiter dabei gedacht habe. Gegen Ende des Abendessens brachte der Diener eine Nachricht, nach deren Lektüre mein Gastgeber, wie mir schien, noch zerstreuter und seltsamer war denn zuvor. Er versuchte jetzt gar nicht mehr, den Schein einer Konversation aufrechtzuerhalten, sondern saß, eine Zigarette nach der anderen rauchend, ganz in seine Gedanken versunken da, erwähnte jedoch mit keinem Wort, was ihn beschäftigte. Als es etwa elf war, war ich froh, zu Bett gehen zu können. Einige Zeit später sah Garcia bei mir herein – das Zimmer war mittlerweile dunkel – und fragte mich, ob ich geläutet hätte. Ich sagte nein. Er entschuldigte sich für die späte Störung und erwähnte dabei, es sei schon fast ein Uhr. Danach nickte ich ein und schlief fest bis zum Morgen.
Und jetzt komme ich zu dem befremdlichsten Teil meiner Erzählung. Als ich aufwachte, war es heller Tag. Ich warf einen Blick auf meine Uhr und sah, daß es kurz vor neun war. Ich hatte ausdrücklich darum gebeten, um acht Uhr geweckt zu werden, und diese Nachlässigkeit erstaunte mich aufs höchste. Ich sprang aus dem Bett und läutete nach dem Diener. Nichts rührte sich. Ich läutete noch einmal und dann noch einmal – mit demselben Ergebnis. Ich kam darauf zum Schluß, daß die Klingel defekt sein müsse. Hastig streifte ich meine Kleider über und stürmte in übelster Laune nach unten, um heißes Wasser zu verlangen. Was glauben Sie, wie überrascht ich war, als ich ganz einfach niemanden dort vorfand. Ich rief in der Eingangshalle. Keine Antwort. Dann rannte ich von Zimmer zu Zimmer. Alle verlassen. Am Abend zuvor hatte mir mein Gastgeber sein Schlafzimmer gezeigt. Ich klopfte also dort an. Keine Antwort. Ich drehte den Türknauf und trat ein. Das Zimmer war leer, das Bett unberührt. Er war verschwunden, genau wie die anderen. Der fremdländische Gastgeber, der fremdländische Lakai, der fremdländische Koch, sie alle hatten sich im Lauf der Nacht in Luft aufgelöst! Dies war das Ende meines Besuches in Wisteria Lodge.«
Sherlock Holmes rieb sich schmunzelnd die Hände, während er diesen bizarren Vorfall seiner Sammlung seltsamer Geschehnisse einverleibte.
»Ihr Erlebnis ist, soweit ich weiß, vollkommen einzigartig«, sagte er. »Darf ich fragen, Sir, was Sie danach getan haben?«
»Ich war außer mir vor Wut. Mein erster Gedanke war, ich sei das Opfer irgendeines absurden Streiches geworden. Ich packte meine sieben Sachen, warf die Haustür hinter mir zu und machte mich, meine Tasche in der Hand, auf den Weg nach Esher. Dort sprach ich bei Allan Brothers, den wichtigsten Grundstücksmaklern des Dorfes, vor und erfuhr, daß die Villa durch sie vermietet worden war. Plötzlich kam mir der Gedanke, daß das Ganze wohl nicht einfach zu dem Zweck inszeniert worden war, mich zum Narren zu halten, sondern daß es in erster Linie darum gegangen sein mußte, sich vor der Zahlung der Miete zu drücken. Wir haben Ende März, der vierteljährliche Zahlungstermin steht also vor der Tür. Aber diese Theorie erwies sich als falsch. Der Makler zeigte sich zwar sehr verbunden für meine Warnung, sagte mir aber, die Miete sei schon im voraus bezahlt worden. Darauf fuhr ich in die Stadt zurück und sprach bei der spanischen Botschaft vor. Der Mann war dort unbekannt. Als nächstes suchte ich Melville auf, in dessen Haus ich Garcia kennengelernt hatte, mußte jedoch feststellen, daß er noch weniger über ihn wußte als ich selbst. Und als ich schließlich Ihre Antwort auf mein Kabel erhielt, bin ich zu Ihnen gekommen, da Sie, wenn ich richtig orientiert bin, ein Mann sind, der in schwierigen Fällen Rat weiß. Nun entnehme ich aber dem, was Sie, Herr Inspektor, beim Eintreten gesagt haben, daß meine Geschichte eine Fortsetzung hat und daß ein tragisches Ereignis eingetreten ist. Ich kann Ihnen indes versichern, daß jedes Wort, das ich gesagt habe, wahr ist und daß ich, außer dem, was ich Ihnen erzählt habe, nichts, aber auch gar nichts über das Schicksal dieses Mannes weiß. Ich habe keinen anderen Wunsch, als dem Gesetz auf jede erdenkliche Weise behilflich zu sein.«
»Davon bin ich überzeugt, Mr. Scott Eccles, davon bin ich überzeugt«, sagte Inspektor Gregson in überaus liebenswürdigem Ton. »Ich kann nicht umhin zu sagen, daß alles, was Sie uns erzählt haben, durchaus mit den Fakten übereinstimmt, die wir bisher in Erfahrung bringen konnten. Zum Beispiel diese Nachricht, die während des Abendessens eingetroffen ist. Haben Sie zufälligerweise bemerkt, was weiter damit geschehen ist?«
»Ja, das habe ich. Garcia hat sie zusammengeknüllt und ins Kaminfeuer geworfen.«
»Was haben Sie dazu zu sagen, Mr. Baynes?«
Der Detektiv vom Lande war ein stämmiger Mann mit einem roten, aufgedunsenen Gesicht, das lediglich von seinen zwei außergewöhnlich lebhaften Augen, die unter den üppigen Wülsten von Stirn und Wangen beinahe verschwanden, vor dem Eindruck von Plumpheit bewahrt wurde. Mit bedächtigem Lächeln zog er ein zerknittertes und verfärbtes Stück Papier aus der Tasche.
»Da war ein korbförmiger Feuerrost, Mr. Holmes, und Garcia hat das Papier darüber hinaus geworfen. Ich hab es unverbrannt dahinter hervorgeholt.«
Holmes lächelte anerkennend.
»Sie müssen das Haus sehr gründlich durchsucht haben, wenn es Ihnen gelungen ist, ein so unscheinbares Papierbällchen zu finden.«
»Das habe ich, Mr. Holmes. Das ist so meine Art. Soll ich es vorlesen, Mr. Gregson?«
Der Londoner Polizeibeamte nickte.
»Die Nachricht ist auf gewöhnlichem, cremefarbenem Papier ohne Wasserzeichen geschrieben. Es handelt sich um einen Viertelbogen, der durch zwei Schnitte mit einer kurzschneidigen Schere abgetrennt wurde. Er ist dreifach gefaltet und mit rotem Siegellack versiegelt, der in aller Eile appliziert und mit einem flachen, ovalen Gegenstand angedrückt worden ist. Adressiert ist die Nachricht an Mr. Garcia, Wisteria Lodge. Der Wortlaut ist der folgende:
Unsere Farben, grün und weiß. Grün offen, weiß geschlossen. Haupttreppe, erster Korridor, siebte rechts, grüner Boi4. Gott schütze Sie. D.
Es ist eine Frauenhandschrift, geschrieben mit einer sehr spitzen Feder; die Adresse jedoch ist entweder mit einer anderen Feder oder nicht von derselben Hand geschrieben worden; sehen Sie, die Buchstaben sind kräftiger und fetter.«
»Eine höchst bemerkenswerte Nachricht«, sagte Holmes, als er sie überflog. »Sie haben bei deren Untersuchung eine Aufmerksamkeit für Details gezeigt, zu der ich Ihnen gratuliere, Mr. Baynes. Ein paar kleine Ergänzungen ließen sich vielleicht noch anbringen. Das ovale Siegel ist ohne Zweifel ein ganz kommuner Manschettenknopf; ich wüßte nichts anderes, was diese Form hätte. Bei der Schere handelt es sich um eine Nagelschere, denn so kurz die einzelnen Schnitte auch sein mögen, so läßt sich doch bei beiden dieselbe leichte Krümmung feststellen.«
Der Detektiv vom Lande schmunzelte.
»Ich war der Meinung, den letzten Tropfen Saft herausgepreßt zu haben, aber offensichtlich war noch ein bißchen was übrig«, sagte er. »Ich muß im übrigen gestehen, daß ich der Mitteilung selbst nicht eben viel entnehmen kann, außer daß da etwas im Busch war und daß, wie üblich, eine Frau dahintersteckt.«
Mr. Scott Eccles war während dieses Gesprächs unruhig auf seinem Stuhl hin und her gerutscht.
»Ich bin froh, daß Sie den Brief gefunden haben«, sagte er, »da er das, was ich Ihnen erzählt habe, bestätigt. Ich möchte nun aber doch darauf hinweisen, daß man mir noch immer nicht gesagt hat, was Mr. Garcia widerfahren ist und was aus seiner Dienerschaft geworden ist.«
»Was Garcia betrifft«, erwiderte Gregson, »das läßt sich rasch beantworten. Man hat ihn heute früh tot aufgefunden, auf der Allmende von Oxshott, beinahe eine Meile von seinem Haus entfernt. Sein Kopf war regelrecht zu Brei gehauen, durch wuchtige Schläge mit einem Sandsack oder einem ähnlichen, nicht scharfkantigen, sondern stumpfen Gegenstand. Es ist einsam dort, im Umkreis von einer Viertelmeile findet sich kein einziges Haus. Offensichtlich ist er zuerst von hinten niedergestreckt worden; sein Angreifer muß jedoch noch weiter auf ihn eingeschlagen haben, als er schon längst tot war. Eine ungeheuer wütende Attacke. Fußspuren oder andere Hinweise auf die Täter konnten wir keine ausmachen.«
»Ist er ausgeraubt worden?«
»Nein, es gab keine Anzeichen von Raub.«
»Das ist sehr schmerzlich – sehr schmerzlich und furchtbar«, sagte Mr. Scott Eccles mit kläglicher Stimme, »aber mich trifft es wirklich ganz besonders hart. Ich hatte doch nichts damit zu tun, daß mein Gastgeber sich auf einen nächtlichen Ausflug begeben und dabei ein so trauriges Ende gefunden hat. Wie kommt es denn, daß ich in diesen Fall hineingezogen werde?«
»Ganz einfach, Sir«, erwiderte Inspektor Baynes. »Das einzige Schriftstück, das wir in der Tasche des Toten gefunden haben, war ein Brief von Ihnen, in welchem geschrieben stand, daß Sie ihn besuchen würden, in der Nacht seines Todes. Durch den Umschlag dieses Briefes haben wir Namen und Adresse des Toten erfahren. Als wir dann heute morgen kurz nach neun bei seinem Haus anlangten, fanden wir weder Sie noch sonst jemand darin vor. Ich kabelte Mr. Gregson, er solle Sie in London aufspüren, während ich Wisteria Lodge unter die Lupe nahm. Darauf bin ich in die Stadt gefahren, um mich Mr. Gregson anzuschließen, und da sind wir nun.«
»Ich glaube, es wäre jetzt angebracht, der Sache mehr offizielles Gepräge zu geben«, sagte Gregson und erhob sich. »Wollen Sie so gut sein, Mr. Scott Eccles, uns zum Polizeirevier zu begleiten, damit wir Ihre Aussage schriftlich festhalten können?«
»Aber gewiß, ich komme sofort. Ihre Dienste, Mr. Holmes, möchte ich jedoch weiterhin in Anspruch nehmen. Ich wünsche, daß Sie weder Kosten noch Mühen scheuen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.«
Mein Freund wandte sich an den Inspektor vom Lande.
»Ich hoffe, Sie haben gegen meine Mitarbeit nichts einzuwenden, Mr. Baynes?«
»Ganz im Gegenteil, Sir, ich fühle mich hoch geehrt.«
»Ich habe den Eindruck erhalten, daß Sie in allem, was Sie bisher unternommen haben, sehr rasch und professionell vorgegangen sind. Darf ich fragen, ob es irgendeinen Hinweis darauf gibt, wann genau der Mann den Tod gefunden hat?«
»Er muß seit ein Uhr dort gelegen haben. Um diese Zeit hat es zu regnen angefangen, und sein Tod ist ohne jeden Zweifel vor dem Regen eingetreten.«
»Aber das ist doch völlig unmöglich, Mr. Baynes«, rief unser Klient. »Seine Stimme ist unverwechselbar. Ich könnte schwören, daß er es war, der um eben diese Zeit in meinem Schlafzimmer das Wort an mich gerichtet hat.«
»Bemerkenswert allerdings, jedoch keineswegs unmöglich«, entgegnete Holmes lächelnd.
»Haben Sie schon einen Anhaltspunkt?« fragte Gregson.
»Auf den ersten Blick erscheint dieser Fall nicht sonderlich kompliziert, wenngleich er einige neuartige und interessante Züge aufweist. Ehe ich mich jedoch darauf einlasse, ein eindeutiges und endgültiges Urteil darüber abzugeben, muß ich erst weitere Fakten in Erfahrung bringen. Übrigens, Mr. Baynes, haben Sie bei Ihrer Untersuchung des Hauses außer diesem Brief sonst noch etwas Bemerkenswertes gefunden?«
Der Detektiv schaute meinen Freund mit einem eigenartigen Blick an.
»Es gab da ein, zwei sehr bemerkenswerte Dinge«, erwiderte er. »Hätten Sie vielleicht Lust, mit mir hinauszufahren, sobald ich auf der Wache fertig bin? Dann könnten Sie mir sagen, was Sie davon halten.«
»Ich stehe voll und ganz zu Ihren Diensten«, sagte Sherlock Holmes und läutete die Glocke. »Wollen Sie bitte diese Gentlemen hinausgeleiten, Mrs. Hudson, und seien Sie doch so freundlich und schicken Sie den Jungen los mit diesem Telegramm. Er soll fünf Shilling für die Rückantwort bezahlen.«
Nachdem unsere Besucher gegangen waren, saßen wir eine Zeitlang schweigend da. Holmes paffte heftig vor sich hin; seine Brauen über den wachsamen Augen waren zusammengezogen und sein Kopf in der für ihn so charakteristischen Weise energisch vorgereckt.
»Nun, Watson«, fragte er, indem er sich unvermittelt mir zuwandte, »was halten Sie von der Sache?«
»Was ich von dem Verwirrspiel mit Scott Eccles halten soll, das weiß ich überhaupt nicht.«
»Und das Verbrechen?«
»Nun, wenn man das Verschwinden der Gefährten dieses Mannes in Rechnung stellt, so würde ich meinen, daß sie wohl auf irgendeine Weise mit diesem Mord zu tun hatten und vor der Justiz geflohen sind.«
»Das ist gewiß ein möglicher Standpunkt. Sie müssen allerdings zugeben, daß es auf den ersten Blick höchst seltsam anmutet, daß diese zwei Bediensteten, falls sie sich gegen ihren Herrn verschworen haben, ausgerechnet diese eine Nacht, in der er einen Gast hatte, ausgewählt haben sollten, um ihn umzubringen. An jedem anderen Abend der Woche wäre er ihnen ja ganz allein ausgeliefert gewesen.«
»Aber warum sind sie dann geflohen?«
»Genau das ist die Frage. Warum sind sie geflohen? Ein gewichtiges Faktum. Ein anderes, nicht minder gewichtiges Faktum ist das merkwürdige Erlebnis unseres Klienten Scott Eccles. Nun, mein lieber Watson, sollte es wirklich die Grenzen menschlichen Scharfsinns übersteigen, eine Erklärung zu finden, die diese beiden gewichtigen Fakten umfaßte? Falls sie dann zudem noch so beschaffen sein sollte, daß sie auch diesen geheimnisvollen Brief mit seinem höchst kuriosen Wortlaut einbezöge, wohlan, dann könnte man sie gar als vorläufige Hypothese gelten lassen. Und sollten sich dann auch noch die neuen Fakten, auf die wir stoßen werden, alle in dieses Schema einfügen, dann könnte aus unserer Hypothese nach und nach eine Lösung werden.«
»Aber wie lautet denn unsere Hypothese?«
Holmes lehnte sich mit halbgeschlossenen Augen in seinem Lehnstuhl zurück.
»Sie müssen zugeben, mein lieber Watson, daß die Idee, es könnte sich um einen Streich handeln, unhaltbar ist. Wie die weitere Entwicklung gezeigt hat, waren schwerwiegende Dinge im Gang; und die Tatsache, daß Mr. Scott Eccles nach Wisteria Lodge gelockt worden ist, steht in irgendeinem Zusammenhang damit.«
»Aber welcher Art könnte dieser Zusammenhang sein?«
»Lassen Sie uns einmal Schritt für Schritt vorgehen. Schon auf den ersten Blick hat man doch das Gefühl, daß an dieser seltsamen und plötzlichen Freundschaft zwischen Scott Eccles und dem jungen Spanier etwas faul war. Letzterer war es, der der Sache Dampf aufsetzte. Er stattete Eccles, der am anderen Ende von London wohnt, schon am ersten Tag, nachdem sie miteinander bekannt geworden waren, einen Besuch ab und blieb in engem Kontakt mit ihm, bis er ihn soweit hatte, daß er nach Esher kam. Nun, was wollte er von Eccles? Was konnte Eccles ihm schon bieten? Ich sehe nicht, was dieser Mann für einen Reiz haben könnte. Er ist nicht besonders intelligent – wohl kaum der ebenbürtige Gesprächspartner für einen gewitzten Südländer. Was war es also, das ihn für Garcias Pläne so besonders geeignet machte, daß dieser aus all den Leuten, die er kennengelernt hatte, gerade ihn auswählte? Besitzt er irgendeine herausragende Eigenschaft? Das möchte ich meinen. Er ist der Inbegriff englischer Respektabilität, und damit der geeignete Mann dafür, in der Rolle des Zeugen auf jeden anderen Engländer den gebührenden Eindruck zu machen. Sie haben ja selbst mitansehen können, wie keiner der beiden Inspektoren auch nur im Traum daran gedacht hätte, seine Aussage anzuzweifeln, so ungewöhnlich sie auch war.«
»Aber was hätte er denn bezeugen sollen?«
»Nichts, so wie die Dinge jetzt liegen; aber alles, wenn sie einen anderen Verlauf genommen hätten. Das ist jedenfalls meine Auffassung von der ganzen Sache.«
»Ah, ich verstehe; er hätte ein Alibi liefern sollen.«
»Genau, mein lieber Watson; er hätte ein Alibi liefern sollen. Wir wollen einmal, rein spekulationshalber, annehmen, daß sämtliche Haushaltsmitglieder von Wisteria Lodge an irgendeinem Komplott beteiligt waren. Das Vorhaben, was immer es im einzelnen sein mag, sollte, sagen wir mal, vor ein Uhr ausgeführt werden. Nun ist es durchaus möglich, daß Scott Eccles durch irgendeine Manipulation an den Uhren dazu gebracht wurde, früher zu Bett zu gehen, als er meinte; auf jeden Fall ist anzunehmen, daß zu dem Zeitpunkt, da Garcia sich so viel Mühe machte, ihm einzureden, es sei ein Uhr, es in Wirklichkeit nicht später als zwölf war. Wenn es nun Garcia gelang; zu tun, was immer er tun wollte, und zu der besagten Zeit wieder zurückzusein, dann konnte er jedwede Anklage parieren. Denn da war dieser untadelige englische Ehrenmann, der bereit war, vor jedem Gericht zu beschwören, daß der Beschuldigte die ganze Zeit über zu Hause gewesen war. Das Ganze war eine Vorsichtsmaßnahme für den schlimmsten Fall.«