Kitabı oku: «Arthur Holitscher: Drei Monate in Sowjet-Russland», sayfa 3

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Georgi Wassiljewitsch Tschitscherin – Георгий Васильевич Чичерин – 1872 – 1936

Ich habe den Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Tschitscherin, kennengelernt, habe ungefähr zu sehen bekommen, wie sein Kommissariat arbeitet. Außerdem habe ich auch neben anderen Kommissariaten das Kommissariat für Volkserziehung des Genossen Lunatscharski zu beobachten Gelegenheit gehabt.

Ich kann nicht sagen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Tüchtigkeit „des inneren Kreises und der äußersten Kreise“ ein und desselben Kommissariats besteht, und ich will nicht sagen, welches von den erwähnten Kommissariaten mir diese Überzeugung beigebracht hat. Ich weiß nur, dass Tschitscherin, ein kränklicher, hüstelnder Asket, von den achtzehn Arbeitsstunden, die er täglich leistet, reichlich zehn an Organisationsfehlern innerhalb seines Kommissariats einbüßen muss. Lunatscharski mag ein Mann von grandiosen Ideen sein, und manches, was in seinem Kommissariat durchgesetzt ist, wird die Welt in stärkere Erschütterung versetzen, als sie das Kommissariat der Arbeit oder irgendeines wirtschaftlichen Departements hervorzurufen vermag – aber er ist der typische Intellektuelle, verschwindet von Zeit zu Zeit, um Konrad Ferdinand Meyer zu übersetzen oder um ein Drama zu schreiben, in dem Marx mit Faust und Bakunin mit Mephisto und andere unzüchtige Paarungen stattfinden, und die Arbeit des Kommissariats trägt die Folgen.

Je stärker sich der Kommunismus einwurzelt, im Maße, in dem das System in dem ganzen ungeheuren Lande erstarkt, im Maße, in dem alle zur Zentralorganisation gehörenden Zweige der Verwaltung und der Produktion in den Bereich der Zentralisierung einbezogen werden, macht sich die Notwendigkeit der Auffüllung des Beamtenkörpers, der Zuziehung von Massen neuer und immer neuer Mitarbeiter bemerkbar. Es lässt sich nicht vermeiden, dass sich Elemente in diesen Scharen einfinden, die durch Faulheit, Korruption, durch bewusst feindliche Gesinnung gegenüber dem System den ganzen Apparat schwächen und diskreditieren. Die „inneren“ Vorkämpfer der revolutionären Idee fordern von ihren Untergebenen mit mehr oder minderer Energie dieselbe Aufopferung, denselben Idealismus, dieselbe Gläubigkeit, die sie in sich hegen, und die letzten Grundes die Ursache dafür ist, dass der russische Kommunismus sich seit drei Jahren siegreich in Russland behauptet hat und eine nie mehr vergängliche Umwandlung der Geister in der ganzen Welt bewirkte.

Aber diesem seelischen Druck geben nur jene nach, die die Vorbedingungen der Aufopferung, des Idealismus, der Gläubigkeit in ihren Herzen besitzen. Bei den anderen, die, um zu leben, sich dem Sowjet-Apparat freiwillig, aufgefordert oder notgedrungen zur Verfügung gestellt haben, keimt und schwillt mächtig und immer mächtiger Hass, Böswilligkeit und Vernichtungssucht an.

Wenn es die Eigenschaft des Staates ist, dass er einen enormen Beamtenapparat nötig hat, so trägt der Staat seinen Krankheits- und Todeskeim in sich, und es ist fraglich, wie sich aus dem vorläufig allmächtigen Gebilde des Staates jemals unser utopischer Traum der freien Gemeinschaft kleiner Kreise entwickeln soll. In Russland habe ich das unerhörteste, ungemessenste Leiden in fast allen Schichten der Bevölkerung gefunden, fröhlich aber und guter Dinge habe ich (außer den Kindern) nur eine Schicht gesehen, nämlich eine im wirklichen Sinne des Wortes parasitäre, bürgerliche Mittelschicht von neuem Beamtentum, die sich weiß Gott woher zusammen gefunden hat, sich über den wissbegierigen und ernst und eifrig den Zusammenhängen nachforschenden Fremdling lustig macht, ihn durch Ignoranz oder bewusste Irreführung bei seiner Arbeit behindert. Ich sprach schon vorhin von der Schwierigkeit, durch Informationen die Wahrheit über die innere Struktur des Apparates zu erhalten. Diese Schicht einer, man kann es ruhig so nennen, neuen Bourgeoisie, der sogenannten Sowjet-Bourgeoisie, ehrgeizige, zynisch unzuverlässige Menschen, werden durch Maulwurfsarbeit den Staatskörper unterminieren und würden vermutlich die ersten sein, die auf den Trümmern, wenn es jemals Trümmer geben könnte, die weiße Fahne oder irgendeine andere hissten.

Die inneren Kreise kennen diese Zustände, kennen diese Leute ganz genau. Von Zeit zu Zeit „kämmen sie sie aus“, d. h. sie schütteln sie ab unter Hinweis auf die Notwendigkeit, dass die Front junger Männer bedarf, dass in einem entfernten Ort des weiten Landes ein Posten vakant geworden ist, auch wird der kommunistische Samstag oft als willkommener Anlass dazu ersehen, die zu geistiger wie zu körperlicher Dienstleistung Unwilligen zu entlarven, sich ihrer zu entledigen. Aber es fragt sich, ob der Ersatz, der für diese Ausgekämmten geschaffen wird, nicht aus noch trüberen Elementen besteht. Es ist in den Russland feindlich gesonnenen Ländern immer wieder die Rede davon, dass die Rote Armee es sein wird, die letzten Endes die Bolschewiki stürzen wird. Dieser Hoffnung muss sich die vereinte kapitalistische Welt entschlagen. Die neue Sowjet-Bourgeoisie schenkt ihrerseits dieser kapitalistischen Welt eine erneute, wenn auch beträchtlich geringere Hoffnung. Es ist unwahrscheinlich, dass die Sowjet-Führer diesen Krebsschaden früher oder später vollkommen auszuschneiden fähig sein werden.

Die Kommunistische Partei Russlands ist zahlenmäßig gering. Sie beträgt nach neuester Schätzung dreiviertel Millionen bei einer gesamten Volkszahl von 150 Millionen, und von dieser dreiviertel Million ist, gering bemessen ein Drittel, und zwar gerade das wertvollste, verlässlichste und opferwilligste Drittel an den Fronten, wo es in den vordersten Gräben die Sache der Sowjets verficht. Welches Maß von Heroismus an diesen Fronten von den überzeugungstreuen, opferwilligen Kommunisten stündlich bezeugt wird, kommt nie ans Tageslicht. Die letzte Woche des Wrangel-Abenteuers, die ich in Russland verlebt habe, weist auf eine Epopöe hin. Kämen diese verlässlichen, erprobten Menschen zurück, das Übel wäre über Nacht in nichts vergangen.

Es ist unzweifelhaft, dass eine Schwäche, nicht der Führer allein, sondern des ganzen Systems darin liegt, dass die konterrevolutionären, die sabotierenden, faulen und korrupten Elemente nicht radikal beseitigt werden können. Schwierig dürfte es ja sein, die „Spez“ hinauszuwerfen. „Spez“ ist ein ebensolches Schimpfwort wie „Spek“. „Spez“ ist der Spezialist, „Spek“ der Spekulant. Beide zugleich Spekulanten und Spezialisten der alten, nur unvollkommen vernichteten Wirtschaft und Gesinnung. Der Spez ist ehemaliger Kaufmann, Fabrikant, Kapitalist, Ausbeuter, aber gründlicher Kenner seines Produktions- oder Verteilungsgebietes. Er ist nicht leicht durch Männer der geraden Gesinnung, aber mangelnden Sachkenntnis zu ersetzen.

Eine Vereinfachung des Beamtenkörpers wäre indes wohl durchführbar, und dadurch könnte eine ungeheure Schar überflüssigen, herumlungernden, Witze und Zoten reißenden Gelichters aus den Ämtern entfernt werden. Sie tun ja doch nichts. Man gerät in gelinde Wut, wenn man auf sie angewiesen ist. Unsereiner, der nur wenige Wochen und Monate in den großen Zentren der Arbeit und Verwaltung verweilen kann, leidet Höllenqualen. Die Ämter sind in Villen oder Palästen untergebracht, die ehemals reichen Leuten gehört haben und so ziemlich an der Peripherie der Stadt gelegen sind, nur wenige im Zentrum. Telefon funktioniert nicht, oder, wenn es funktioniert, nur einseitig. Eine Maschine, d. h. ein Automobil, das einem nebst Sekretär, Übersetzer und anderen schönen Dingen versprochen worden ist, tritt nicht in Erscheinung. Man ist also gezwungen, entweder zu Fuß zwölf Werst zu laufen oder sich in eine Droschke zu setzen, deren Lenker für eine Strecke wie vom Brandenburger Tor nach dem Anhalter Bahnhof 5.000 Rubel verlangt und auch bekommt. Der Monatsgehalt eines Sowjet-Beamten, Arztes oder anderen Funktionärs macht selten mehr als diese Summe aus; daher kann sich nur ein Spekulant eine Droschke leisten; infolgedessen entzieht sich der Droschkenlenker, der früher 10 bis 15 Kopeken für die Fahrt bekommen hat, der irdischen Gerechtigkeit.

Man hat fest ein Stelldichein verabredet mit einem Funktionär zweiten, dritten oder fünften Grades; rast mit dem Iswostschik durch die Stadt. Der Funktionär ist nicht zugegen, verreist, noch nicht ins Büro gekommen, kommt wahrscheinlich auch nicht, hat vergessen oder – ist nicht aufgelegt. Aber das ist es nicht, was einem die heilige Wut gegen das Beamtentum allmählich in den Adern gerinnen lässt. Es sind nicht nur die Einzelnen, auch nicht Gruppen, wie jene Chemiker im Gouvernement Wiatka (?), die sich an die Zentralstelle in Moskau mit dem schamlosen Ersuchen gewendet haben, keine Kommunisten zu schicken, sondern Leute, die Chemie verstehen; es ist auch nicht eine Kreatur wie jene Oberärztin in dem Petersburger Gefängnis, die uns mit sadistischer Wollust in ihrem Bereich herumführte, dann mit unverhohlenem Zynismus ihre Vorgesetzten wegen ihrer kommunistischen Gesinnung verhöhnte und uns, als wir ihr aus unserer Gesinnung kein Hehl machten, mit naiver Miene fragte: wie kann man nur?

Es kann passieren, dass einem, nachdem man in einem Amt mehr oder weniger sichere und erschöpfende Auskunft bekommen hat und hoch befriedigt das Zimmer verlässt, ein kleines verdächtiges Lachen nachgesandt wird. Man wendet sich dann um, sieht eine Gruppe von vollkommenen unwissenden Leuten, die sich soeben eine Menge Lügen aus den Fingern gesogen haben und jetzt den Bauch halten über die Naivität des Fremdlings, der wirkliches Wissen vorausgesetzt hat und mit wirklichem Wissen abzuziehen vermeint. Gogolsche Revisorstimmung. All' das sind wohl Geringfügigkeiten, obzwar sie sich traurig genug anhören. Aber durch solche Unzuverlässigkeiten geschieht es, was ich einmal in einer mir interessant und wertvoll dünkenden Bildungsstätte in Moskau erlebt habe. Dort war eine Reihe von Werkstätten geschlossen, einfach, weil aus Nachlässigkeit der vorgesetzten Behörde die Grenzfrage der Belieferung mit Materialien durch das eine oder das andere Kommissariat, das Kommissariat für professionelle Arbeit oder das Kommissariat für Volksaufklärung ungefähr fünfviertel Jahr lang unentschieden geblieben war. Man wundert und ärgert sich schließlich nicht mehr, zieht seine Schlüsse und geht seiner Wege, d. h. man geht, wenn man überhaupt noch zu gehen imstande ist. Als ich infolge totaler Erschöpfung und des erbärmlichen Pflasters von Moskau in einer Nacht auf der Straße hingeflogen war und mir Knie und Ellenbogen blutig geschlagen hatte, war ich gezwungen, mich nach einem Stock oder irgendeiner Stütze umzusehen. Der normale Weg wäre gewesen, ein Gesuch an die mir übergeordnete Behörde, das Auswärtige Amt, einzureichen und zu begründen, weshalb ich einen Stock benötige. Dieser Instanzenweg hätte, wenn es an den städtischen Verteilungsstellen wirklich so etwas wie einen Stock gegeben hätte, was man mir aber sofort verneinte, ungefähr zwei Wochen gedauert ... Ebenso die Besohlung von Amts wegen meines zweiten Paares total durchgelaufener Stiefel. Ich zog es vor, auf den Markt zu gehen, von dem ich später ausführlich sprechen werde, wo aber keine Stöcke, sondern nur Besen zu haben waren. Ein Besen kostete 12.000 Rubel. Ich hätte den Besenstiel entzwei sägen müssen, und er wäre nur eine notdürftige Stütze gewesen. Infolgedessen brach ich von meinem Regenschirm das untere Holz ab und ging so mit einer etwas breiteren Basis wochenlang in Russland spazieren. Kleine Fehler der Organisation, aber man spürt sie am eigenen Leibe.

Was soll nun aus dieser maßlosen Zentralisation, aus diesem weiter und immer weiter überwuchernden Beamtenkörper, diesem parasitären wilden Fleisch an dem gesunden Leib eines Arbeitervolkes werden?

Oft fuhr ich nachts aus einem Alptraum auf. Ich sah die Menschheit der Zukunft in zwei Lager gespalten. Die eine Hälfte saß in den Ämtern, die andere wartete in Vorzimmern. Die ganze Entwicklung der Politik kam mir so vor: die in den Vorzimmern strebten danach, selbst die Macht an sich zu reißen, d. h. drin in den Amtszimmern zu sitzen, damit jene, die jetzt im Amt saßen, sich draußen in den Vorzimmern in Reihen stellen müssten. Am ersten Tage meiner Anwesenheit auf ehemals russischem Boden, in Reval, während ich auf das Visum meines Passes im Auswärtigen Amt der Republik Eesti wartete, habe ich mir ein Andenken an diese drei Stunden mitgenommen. Das Außenministerium der Republik Estland ist in einem wunderschönen ehemaligen Herrenhaus, einem großen Haus aus dunkelroten Holzstämmen mit schwarzen Ornamenten außen, weißen Räumen mit enormen Kachelöfen und Empiremöbeln innen untergebracht. Im Empfangszimmer, in dem ich auf meinen Pass wartete, drei Stunden lang wartete – es gingen derweil junge Beamte und Beamtinnen aus und ein, saßen auf den hübschen Empiremöbeln, erhielten von Leuten, die Anliegen hatten, Bonbonpakete, Blumen und anderes zugesteckt – in diesem schönen Vorzimmer habe ich eine Quaste von einem der Empiremöbel abgedreht. All' die Empiresessel und Fauteuils hatten seidene Borten, die von nervösen, stundenlang wartenden Vorzimmerkreaturen in unzählige Fasern zerpflückt und zerrissen über die Lehnen und Beine herunterhingen. Meine Verzweiflungstat vollendete nur das Zerstörungswerk ungezählter Vorgänger in den Empirefauteuils. Wenn ich nachher im Laufe der Monate in Ämtern zu tun und zu warten hatte, zupfte ich in der Tasche an dieser ersten Quaste, fühlte, dachte und betete. Ich betete: lieber Gott, man hat dich abgeschafft; ehe du aber vollkommen von der Erde verschwindest, erlöse uns von diesem Übel. Ich kenne keinen anderen Weg. An wen soll ich mich wenden? An einen Volkskommissar?


William Morris – 1834 – 1896

britischer Maler, Architekt, Dichter, Kunstgewerbler, Ingenieur und Drucker

Und dann dachte ich an William Morris und mein Lieblingsbuch „Märchen von Nirgendwo“. An den wunderbaren Traum, den vor Morris schon Fourier geträumt hat, von dem Schmetterlingstrieb im Menschen, dem Trieb, sich nicht in einer einzigen Beschäftigung zu verknöchern, kein Spezialist zu sein, sondern aus dem Leben an Abwechslungsmöglichkeiten all' das herauszuschlagen, was es enthält und freiwillig hergibt, ohne geschlagen zu werden, wenn die Menschen sich nur ein bisschen helfen wollen, statt sich zu unterdrücken. Ich dachte an die „kleinen Horden“, die Kinder, die so gern im Schmutz wühlen, die daher in der Gesellschaft der Zukunft die Kloaken reinigen werden. Welche Menschenklasse wird in der Gesellschaft der Zukunft die Ämter anfüllen? Gibt es denn Menschen, die das Brot des Bürokraten aus andern Gründen als aus der absoluten Notwendigkeit, zu leben, die es aus dem Trieb, dem Mitmenschen das Leben so sauer wie möglich zu machen, verzehren?

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Subbotnik

Subbotnik

Aus der Moskauer „Prawda“ vorn 17. Mai 1919:

„Das Arbeiten auf revolutionäre Art“

Kommunistische Samstage

Das Schreiben des Zentralexekutivkomitees der Kommunistischen Partei über das Arbeiten auf revolutionäre Art hat den Kommunisten und ihren Organisationen einen mächtigen Ansporn gegeben. Die allgemeine Begeisterung hat viele Eisenbahner unter den Kommunisten nach der Front geführt. Doch die meisten durften ihre verantwortlichen Posten nicht verlassen, um neue Methoden der Revolutionsarbeit zu suchen. Die lokalen Berichte über die Langsamkeit der Demobilisierung und den bürokratischen Schlendrian veranlassten die Untersektion der Eisenbahn Moskau-Kasan, ihre Aufmerksamkeit dem Mechanismus des Eisenbahnbetriebs zuzuwenden. Es stellte sich heraus, dass aus Mangel an Arbeitskräften und infolge geringer Arbeitsintensität dringende Bestellungen und eilige Lokomotiven-Reparaturen verzögert wurden. Am 7. Mai wurde in der Generalversammlung der Kommunisten und ihrer Freunde in der Untersektion der Eisenbahn Moskau-Kasan die Frage aufgeworfen, wie man von Worten zu Taten übergehen könne, um den Sieg über Koltschak zu erringen.


Alexander Wassiljewitsch Koltschak – Александр Васильевич Колчак – 1874 – 1920

Die angenommene Resolution lautete folgendermaßen:

In Anbetracht der schweren inneren und äußeren Lage, die von der Notwendigkeit geschaffen wird, den Klassenfeind niederzuringen, haben die Kommunisten und ihre Freunde sich von neuem aufzuraffen und ihre Ruhezeit um noch eine Stunde zu verkürzen, d. h. ihren Arbeitstag um eine Stunde zu verlängern. Die Überstunden sind zusammenzulegen, und am Samstag sind hintereinander sechs Stunden körperlicher Arbeit zu leisten, um unmittelbar einen realen Wert zu schaffen. In der Meinung, dass Kommunisten weder ihre Gesundheit noch ihr Leben für die Errungenschaften der Revolution schonen dürfen, wollen wir die Arbeit unentgeltlich tun. Der Kommunistische Samstag soll in der ganzen Untersektion bis zum vollständigen Sieg über Koltschak durchgeführt werden.

Nach einigem Hin und Her wurde dieser Vorschlag einstimmig angenommen.

Am Samstag, den 10. Mai, traten um sechs Uhr nachmittags die Kommunisten und ihre Freunde wie Soldaten zur Arbeit an, stellten sich in Reih und Glied und bekamen ohne Umstände von den Meistern ihre Arbeitsplätze angewiesen. (Es folgt die Tabelle der hier und anderweitig geleisteten Arbeit.) Die Gesamtkosten der Arbeit hätten bei normalem Tarif fünf Millionen Rubel betragen. Da diese in Überstunden geleistet wurde, hätte sie eineinhalbmal so hoch berechnet werden müssen.

Die Arbeitsleistung beim Verladen überstieg die Norm um 270 Prozent. Die übrigen Arbeiten weisen ungefähr dieselbe Mehrleistung auf.

So wurden Verzögerungen dringender Aufträge von sieben Tagen bis zu drei Monaten vermieden, die infolge Arbeitermangel und schleppender Arbeit eingetreten wären.

Die Arbeit wurde mittels schadhafter Werkzeuge verrichtet, die zwar leicht auszubessern waren, deren Instandsetzung aber einzelne Gruppen 30 bis 40 Minuten aufhielt.“ –

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In seiner Broschüre „Die große Initiative“, aus der der vorstehende „Prawda“-Bericht wörtlich abgedruckt ist, nennt Lenin den freiwilligen Arbeitsentschluss der Moskau-Kasaner Eisenbahner die Keimzelle der neuen sozialistischen Gesellschaft, einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhang, eine neue Arbeitsdisziplin, einen Sieg des russischen Arbeiters über den kleinbürgerlichen Egoismus und die eigene Trägheit, den ersten Schritt zu einer wirklich revolutionären Tat, zum faktischen Anfang des Kommunismus. Das Beispiel der Moskau-Kasaner Eisenbahner fand begeisterten Widerhall und enthusiastische Nachahmung in allen Teilen des weiten Landes, wo der kommunistische Grundgedanke der Arbeit für die Gemeinschaft bereits Fuß gefasst hatte und in seinem tiefen Wesen begriffen worden war.

Wir im Westen horchten auf. Für uns war der 10. Mai 1919 ein geschichtliches Datum, das uns mächtig erschütterte, fast so mächtig, wie der Gedanke an den 25. Oktober 1917, an dem das Proletariat die Macht ergriffen hatte. Wir sahen die Tat der Kasaner Genossen von einer blendenden, die Jahrhunderte überglänzenden Schönheit umflossen. Wir achteten atemlos auf die Brandung, den Glanz, der aus dem Nordlicht herüber schwellen sollte zu den Proletariern der anderen Länder; wir hofften, glaubten und warteten.


Alexander Schljapnikow – Александр Гаврилович Шляпников – 1885 – 1937

Als ein Jahr später Genosse Schljapnikow, der Führer der russischen Gewerkschaften vor dem Vorstand der U.S.P. Deutschlands in Berlin einen Vortrag über Russlands ökonomische Lage und Arbeitsprobleme hielt, fragte ich ihn in der Diskussion, warum er es verabsäumt habe, über die kommunistischen Samstage zu sprechen. Ich bekam eine Antwort, die mich verwirrte und verstummen ließ; sie war ungenügend und vage und schien mir auf den Wesenskern nicht einzugehen. Stand doch der kommunistische Samstag vor meinem Gewissen als etwas Leuchtendes, Heroisches, als ein Beispiel von antiker Größe, denn ich wusste ja, was es für arme, hungrige und übermüdete, dabei träge geborene und jahrhundertelang misshandelte Menschen heißt, freiwillig noch Bürden auf sich zu laden, das einzige hinzugeben, was sie besitzen, ihre Arbeitskraft, und immer wieder Arbeit – für eine Idee, für die Idee!

Als ich Anfang September 1920 nach Moskau kam, erkundigte ich mich nach dem Subbotnik und nahm auch bald darauf an dem kommunistischen Samstag der Beamten, Arbeiter und Angestellten des Auswärtigen Amtes, dem ich zugeteilt war, teil. Nachmittags um drei Uhr begab ich mich zum Hotel Metropol, dem zweiten Sowjet-Haus, in dessen Seitenflügel das Auswärtige Amt untergebracht ist. Unterwegs hielt mich ein Schauspiel, eine kleine Episode auf. Auf dem Platze vor der Oper, vor dem Blumenbeet, in dem aus bunten Blüten und Gräsern in naiver Zeichnung der Kopf von Karl Marx zusammengestellt ist, stand ein alter Kerl von riesigem Wuchs, mit einem Bocksgesicht und einer Rohrflöte vor den Lippen. Zu seinen Füßen lag sein Hut, und in den Hut und um ihn herum hatte man Rubelscheine, Hunderter und Tausender, außerdem noch Äpfel, Stücke Brot geworfen, sogar ein Ei, eine kostbare Seltenheit, eine fast unerschwingliche Kostbarkeit, hatte jemand vorsichtig auf den Haufen zerknüllter Scheine gelegt. Der Alte flötete mit zusammengekniffenen Augen, wie es mir schien, wunderbar und mit erstaunlicher Leidenschaft die wildlieblichen, herzzerreißend melancholischen Weisen Russlands.

Ich hatte mich über Gebühr lang im kleinen Park vor dem Theater aufgehalten und traf unten vor dem Hotel Metropol schon fast sämtliche Beamte, Arbeiter und Angestellten des Auswärtigen Amtes an. Ich stellte mich in Reih und Glied; wir waren etwa 80 an der Zahl, Männer und Frauen, ältere und jüngere Leute. Unter uns waren Korrespondenten vieler Nationen, Stenotypistinnen, ein Staatssekretär (oder von ähnlichem Rang), Delegierte der Internationale, Diener, Beamte aller Kategorien und auch unser Freund, der Quäker, war gekommen. Es ging militärisch zu, unsere Namen wurden von einer großen Liste abgelesen, und hinter die Namen, die sich nicht meldeten, ein Zeichen gemacht. Wir formten uns zu Reihen, zu viert, dann auf offener Straße zu Zweien und zogen in scharfem Marschschritt nach dem Petersburger Bahnhof im Norden der Stadt.

Es war ein etwa halbstündiger Weg, den wir in gutem Tempo zurücklegten. Ich ging neben einem österreichischen Genossen, der mich von Berlin her kannte, wo er mich sprechen gehört hatte. Wenn wir nicht sangen, unterhielten wir uns über den Subbotnik. Wir sangen nämlich viel und herzhaft. Es war ein schöner Herbsttag, sonnig und glasklar. Aus den Seitengossen der Mjasnitzkaja strömten uns ähnliche Züge von Subbotnikern entgegen. Einer von ihnen hatte seine eigene Musikkapelle mit, und bald marschierten wir unter den Klängen der Kapelle, die unser Gesang überbrauste, vorwärts. Die Warschawianka, der Rotgardisten-Marsch. Wunderbare Rhythmen, wie belebtet ihr meine alten Füße!

In den Zwischenpausen gab mir der Genosse Auskunft. Der Subbotnik ist längst keine freiwillige Handlung mehr, sondern ist Pflicht geworden, so für die Kommunisten wie für alle Arbeiter und Angestellten der Sowjet-Behörden, der Regierungsämter, der Betriebsbelegschaften. Es werden Listen geführt, und wessen Name das zweite oder dritte Mal einen Haken angestrichen bekommt, der wird erst gelinde verwarnt, dann ernsthaft zur Rede gestellt und schließlich „ausgekämmt“. Was auch in der Form geschehen kann, dass der Saumselige, Arbeitsunwillige in das Konzentrationslager gesperrt wird, das gefürchtete Lager für Wucherer, Diebe, Gegenrevolutionäre und andere ungetreue Mitglieder der Gesellschaft. Der Subbotnik ist also gewissermaßen ein Prüfstein für die Gesinnung geworden wie etwa der Ruf an die Front.

Auf dem Bahnhof, so hieß es, sollten wir Holz aus Waggons abladen; als wir aber angekommen waren, wies uns der Betriebsleiter des Bahnhofs zu einem Schuppen, wo wir Spaten und Schaufeln aus Eisen und Holz vorfanden; wir hatten für eine geplante Trambahnlinie längs des Eisenbahngleises eine Strecke von 70 Metern Länge und 10 Metern Breite von zähem, seit sechs Jahren angestautem und verhärtetem Schmutz und Schlamm zu säubern. Wir stellten uns nun in eine Reihe auf, entledigten uns unserer Oberkleider und begannen zu schaufeln. Freund Quäker machte rasch ein paar Kodak-Aufnahmen und stand dann in herrlichem grauleinenen Overall, dem amerikanischen Arbeitsgewand, Hose, Weste und Hosenträger aus einem Stück, der Zukunftskleidung der Kommunisten, „Internationalka“ genannt, da; er arbeitete für vier. Ich erkannte viele aus dem Amt, die mich in dieser letzten Woche mürrisch und ohne Freundlichkeit behandelt, die an mir vorübergeblickt und mir unwillig Auskunft gegeben hatten. Jetzt nickten wir einander zu, waren freundlich zueinander, alles Misstrauen schien geschwunden; wir standen ja da und schaufelten gemeinschaftlich knöcheltief in demselben zähen Dreck.

Der Tag war so heiter und glasklar. Hinter uns auf einem Gleise stand ein langer Zug mit heimkehrenden österreichischen, tschechischen und ungarischen Kriegsgefangenen, die uns verwundert anblickten.


Wir arbeiteten, und hier und dort wurde auch gesungen. Wenn auch nicht überall und von allen. Neben mir stand eine junge litauische Arbeiterin, die ihre Spatenhiebe in den Kot mit kleinen Ausrufen begleitete. Einmal sagte sie: wenn nur jeder vor seiner Tür den Mist wegschaufeln wollte, wir brauchten nicht hier zu stehen. Ihre Nachbarin, Sowjet-Bourgeoise, leicht geschminkt und mit Spuren ehemals gewellten Haares seufzte: man lebt zum Glück nur einmal. Der kleine junge Staatssekretär, dünn und zart wie ein Knabe, mühte sich mit einem im Schlamm festgebackenen Wurzelstamm ab. Unsere Arbeit war ziemlich schwer, sie war auf 4 Stunden berechnet, aber in 2½ Stunden hatten wir sie getan. 70 Meter weit war der zähe Schlamm von Jahren weggeräumt, die Trambahnlinie konnte morgen gebaut werden.

Ein Signal: wir marschierten zur Station zurück, stellten uns in Reih und Glied auf und bekamen, jeder und jede, den Schwerarbeiterpajok, d. h. die Lebensmittelzulage eingehändigt: ein halbes Pfund Brot und eine Tüte mit Körnerzucker.

Im rotdunklen Nebel des Abends zogen wir an den phantastischen Türmen Moskaus vorbei durch die Stadt zurück.


Aus anderen Straßen strömten uns Züge entgegen, die Arbeiter und Angestellten der Bekleidungszentralstelle, eine Abteilung roter Soldaten, die Genossen aus dem Kommissariat für Volkswohlfahrt. Hier und da schlüpfte ein Pärchen von kleinen Sowjet-Bourgeoisen, leicht geschminkt und kokett bebändert, aus unserem militärisch stramm über das holprige Pflaster dahin stapfenden Zug auf das glattere Trottoir hinüber. Mit hurtigem Griff hatte ein hinzuspringender Genosse die Ausreißer beim Wickel und zog sie in unsere geordnete Kolonne zurück.

Die Warschawianka, das Lied von der Roten Fahne, die Internationale – wir sangen sie alle in den braunen Abendnebel, an den Türmen Moskaus vorbei. Der alte Faun mit der Pansflöte hatte sich jetzt vor dem Denkmal Feodorows, des ersten Buchdruckers, am Fuße der Chinesischen Mauer der geschlossenen Inneren Stadt, Kitai Gorod, aufgepflanzt. Lockend und leidenschaftlich klangen die hellen trockenen Töne des Rohrs durch den Abend. Wir stapften vorbei. Vor dem Auswärtigen Amt schüttelten wir uns die Hände, und jeder trottete nach Haus. Beine und Arme taten mir weh, mein Herz aber war froh. Ich wünschte ... ich wünschte, ein Zwang käme irgendwoher, und jeder von uns alten und jungen geistigen Arbeitern in Deutschland, Amerika, der ganzen Welt müsste einmal in der Woche mit Kameraden nützliche und harte körperliche Arbeit leisten. Um der Arbeit willen, der einen unteilbaren Arbeit der Hand und des Kopfes willen, der guten, lächelnden, helläugigen Kameradschaft willen, für die Idee der Gemeinschaft und der Zukunft verhärteten Schlamm aus dem Wege räumen mit harten Spatenhieben.

Aber wenn es nach mir ginge, es dürfte kein Unlustiger, kein Widerstrebender dazu gezwungen werden, nicht mit Namenlisten, nicht mit Verwarnung, nicht mit Konzentrationslagern. Um der Arbeit willen und die heilige Gemeinschaft.

Todmüde trottete ich durch die hereinbrechende Nacht in mein entferntes Quartier heim. Plötzlich bemerkte ich, dass ich meinen „Pajok“ noch in der Hand hielt. Ein Arbeiter kam mir entgegen, mit ihm ein Roter, Soldat. Dem Arbeiter gab ich das Brot, dem Soldaten den Zucker.

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Die dritte Phase des Subbotnik heißt Woskressennik, das ist die Sonntagsarbeit. Bei Winteranbruch, wenn die Tage kurz werden, verlegt man den Subbotnik auf den Sonntagmorgen. Aus der freien samstägigen Überstundenarbeit der Kasaner ist eine allrussische allsonntägliche sechsstündige Zwangsarbeit geworden. Uns Ausländern folgte der Woskressennik in unser Haus nach. Am ersten Wintersonntag waren die Bewohner unseres Hauses verpflichtet, von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags im Hofe unseres Hauses Holz zu sägen, zu spalten und in die Kellerräume zum Zentralofen zu befördern. Diese Arbeit hatte einen leicht humoristischen Beigeschmack der Parodie an sich. Die im Hause ansässigen Arbeiter nämlich leisteten in zehn Minuten dieselbe Arbeit, die wir anderen Dilettanten in zwei Stunden zusammenstümperten, mit verrenkten Schulterblättern, blutig geschlagenen Daumennägeln und angesägten Hosenschäften. Immerhin hatten wir Holzhacken gelernt, auch war das Holz in den Kellerraum befördert, und es begab sich jeder in sein Zimmer, um nach dem Mittagessen: Krautsuppe, Grütze und Tee, seine gute Müdigkeit auszuschlafen.

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Der Zweck des Subbotnik-Woskressennik ist erhöhte Arbeitsleistung. Wie eingangs erwähnt wurde, fördert das psychische Moment der freiwilligen, aber auch der notgedrungenen Arbeit in einer guten, freudigen Gemeinschaft die Leistung in beträchtlichem Maße. Immerhin darf man Bedenken gegen diese Umwandlung und Vergewaltigung eines ursprünglich wahrhaft religiösen Triebes in Zwang äußern. Die Heiligkeit der Arbeit – alle äußere Not ist nicht fähig, kann nicht geltend gemacht werden zur Rechtfertigung der Entheiligung der Arbeit. Die neue Justiz Russlands hat die Geldstrafe aufgehoben – oder doch in fast allen Fällen aufgehoben – und Freiheitsstrafen verwandeln sich immer mehr unter dem Druck der Notwendigkeit einer mit allen Mitteln forcierten Produktion in Zwangsarbeit. Die Arbeit für die Gemeinschaft, Wesenskern und Sinn des Kommunismus, verliert mehr und mehr die ihr innewohnende ethische Bedeutung.

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