Kitabı oku: «Mit dem Rücken zur Wand», sayfa 3
Wer in seiner Jugend solche Erfahrungen beim Trampen gemacht hat, dem bleibt einerseits eine nostalgische Stimmung, andererseits ist man auch stolz auf die Gegend oder das Land, das man bereist hat. 1926 gab es nur ungefähr ein Dutzend Siedlungen in der Küstenebene zwischen Haifa und Tel Aviv, und der größte Teil der Ebene bestand aus Sanddünen, Wüste und Sümpfen. Heute bilden die Siedlungen eine lückenlose Kette, und die Landstraße führt an einem grünen Teppich künstlich bewässerten Kulturlandes vorbei, in dem nur gelegentlich ein Flecken Sand unversehens an die Vergangenheit gemahnt. Und jedes Mal, wenn wir an solchen Wüstenflecken vorbeikamen, befiel mich dieses alberne Gefühl des Besitzerstolzes, den man empfindet, wenn man einem Touristen seine Heimatstadt zeigt. Bewohner, die die rasante Entwicklung ihres jungen Pionierlandes mit eigenen Augen verfolgt haben, neigen in besonderer Weise dazu. Selbst der New Yorker Intellektuelle kann, wenn er Besucher herumführt, nicht umhin, den Eindruck zu erwecken, er habe das Empire State Building mit eigenen Händen erbaut. Kein Wunder also, dass der Bürger Israels, dessen persönlicher Anteil an dem, was hier entstand, doch ungleich größer ist und für den der Bau eigener Städte wahrlich ein historisches Novum darstellt, immer noch wie berauscht ist vom Stolz über jeden Hektar kultivierter Wüste, über jede Kuh, die darauf grast, und jede Tomate, die darauf wächst. Für seine Vorfahren im Ghetto galt eine Kuh als wildes Tier, und eine Tomate war eine Ware, die wie durch ein Wunder im Lebensmittelladen auftauchte.
Zusammengehalten durch eine Religion aus grauer Vorzeit, haben Juden seit Jahrhunderten vertrauten Umgang mit dem Übernatürlichen gepflegt, und darüber war ihnen die Natur fremd geworden. Daher ihre naive Begeisterung für jüdische Kühe und jüdische Wiesen, jüdische Tomaten und jüdische Eier. Sie bestaunen das Küken, welches, kaum geschlüpft, schon picken kann; es ist ein Wunderkind wie diejenigen, die mit sieben Jahren ganze Kapitel der Heiligen Schriften auswendig hersagen können. Die grünen Weiden Israels sind einer zweifachen Wüste entsprossen: dem trockenen Boden des Landes und der ausgedörrten Vergangenheit dieser Nation.
Für Außenstehende ist dieser naive, selbstzufriedene Enthusiasmus zunächst sehr anrührend, dann aber ebenso ermüdend. Einer meiner Freunde, ein amerikanischer Journalist, wurde von einem Regierungsbeamten herumgeführt. Als dieser ihm zum zwanzigsten Mal erzählte, Tel Aviv sei auf Sand erbaut worden, seufzte er in gespielter Verzweiflung: «Ich wünschte, sie hätten es gelassen.» Die Miene des Beamten versteinerte, und mein Freund galt fortan als Antisemit. Extreme Empfindlichkeit und ein fehlender Sinn für Humor sind typische Merkmale der Pioniermentalität.
Wir überqueren die Straße, die Tulkarem und Netanya verbindet. Dies ist die Wespentaille Israels. Die Küstenebene verengt sich hier auf gut 15 Kilometer zwischen dem Meer und der arabischen Grenze. Die Front verläuft zurzeit etwa fünf Kilometer östlich der Kreuzung.
Etliche Dörfer entlang der Straße sind noch von Arabern bewohnt. Einige arbeiten sogar auf den Feldern, und eine kleine, verhutzelte Araberin verkauft aus ihrer Korbtrage heraus Orangen an jüdische Soldaten. Der Krieg ist für sie wie Hekuba, also ohne Bedeutung, und sie ist ohne Bedeutung für den Krieg. Aber nicht mehr lange. In wenigen Wochen werden einige arabische Burschen von diesen Dörfern aus jüdische Lastwagen aus dem Hinterhalt beschießen. Die jüdische Armee wird daraufhin die Dorfbewohner zusammentreiben, ihre Häuser sprengen und die jungen Männer in Konzentrationslager stecken. Die Alten hingegen werden eine Matratze und eine Messingkaffeekanne auf den Esel binden, die alte Frau wird vorausgehen und den Esel am Zügel führen, während der alte Mann auf ihm reitet, eingehüllt in seine Kufiya und versunken in düstere Betrachtungen über die verpasste Gelegenheit, sich an seinem jüngsten Enkelkind zu vergehen. Wie alle Kriege ist auch dieser ein Festzug der Halbwahrheiten in schimmernder Wehr. Der Sieger ist nie vollständig im Recht, und es gibt keine unschuldigen Opfer.
Tel Aviv, Montag, 7. Juni 1948
Seit wir in der Hauptstadt angekommen sind, empfinde ich dieses irritierende Gefühl der Unwirklichkeit noch stärker. Wir haben unsere ersten Luftangriffe erlebt, haben gesehen, wie Leute Unterstände ausheben, und haben die Kommuniqués gelesen. Aber es ist schon merkwürdig, in biblischem Hebräisch zu lesen, dass unsere Truppen ihre Stellungen rund um den Berg Kanaan ausgebaut haben und dass am See Genezareth alles ruhig bleibt. Jedenfalls fällt es schwer, daran zu glauben, dass Israel ein wirklicher Staat ist, seine Armee eine richtige Armee und dieser Krieg ein richtiger Krieg.
Mit Sicherheit handelt es sich aber um den kuriosesten Krieg der jüngeren Geschichte. Die unbedeutenden Stimmen der Führer dieses Zwergstaates gehen unter in einem weltweiten Echo. Die unerheblichen Tatsachen, die hier geschaffen werden, werfen einen gewaltigen Schatten. Die Floskeln der Frontberichte sind überfrachtet mit historischen Anspielungen. Auf der einen Seite Heiliger Krieg und Tausendundeine Nacht, auf der anderen Seite die Bibel und die Makkabäer. Jeder Hügel oder jedes Wadi, wo heute Maschinengewehre rattern, kann bezeugen, wie in den Tagen Josuas die Sonne stillstand oder dass Christus dort ein Wunder vollbrachte. Die Wirklichkeit versinkt in Archetypen.
Es gibt aber noch einen anderen Grund für den kaum greifbaren, traumartigen Charakter der ganzen Angelegenheit. Wie in allen Träumen haben die Symbole, die im Kopf Gestalt annehmen, mehrere Bedeutungsebenen. Was wir hier erleben, ist eine Art Umkehrung dessen, was in Pompeji geschah. In Pompeji wurden Schuljungen, die gerade mit ihren Murmeln spielten, urplötzlich von der Lava erstickt, und sie erstarrten zu Monumenten. Schlagartig wurden sie von der alltäglichen auf die tragische Ebene versetzt. Alle Katastrophen haben eine ähnliche Wirkung. Sie veranschaulichen auf drastische Art und Weise die ansonsten unsichtbare Wandlung trivialer Ereignisse in historische Fakten. Denn Gegenwart ereignet sich hauptsächlich auf der trivialen Ebene, Historie hingegen immer auf der tragischen.
Der Pompeji-Effekt besteht darin, dass sich diese ansonsten allmähliche Wandlung jäh und wie unter einem Brennglas ereignete. Von Menschen gemachte Katastrophen – Kriege und Revolutionen – haben die gleiche Wirkung. Dantons erhobener Arm erstarrt mitten in der Luft zur Geste eines Bronzedenkmals. Napoleons Leber und Kleopatras Nase gehören gleichzeitig der trivialen wie der tragischen Ebene an. In den schöpferischen wie in den zerstörerischen Umwälzungen ahnen die Akteure meistens nichts von ihrer Rolle. Sie wissen nicht, wo genau die beiden Ebenen aufeinandertreffen, auf welche Weise ihre persönlichen Eigenheiten sich zu Legenden auswachsen und an welchem Punkt eine subjektive Geste zu einem Fixpunkt der Geschichte gerinnt. Menschen, die bewusst versuchen, eine solche Wirkung zu erzielen und sich auf die historische Ebene zu katapultieren, sind für gewöhnlich größenwahnsinnig oder utopieverliebte Spinner.
In diesem Land jedoch spürt jeder, dass er soeben etwas erlebt, das umgekehrt verläuft wie in Pompeji. Alle empfinden ganz deutlich, dass sie mitten in einem Lavastrom der Geschichte stecken, in dem alles, was jetzt geschieht, für die Ewigkeit bewahrt wird. Selbst die Schuljungen, die mit ihren Murmeln spielen, spüren, wie ihnen die Geister der Makkabäer über die Schulter schauen.
Bei dieser Massenproduktion historischer Fakten sorgen nicht die Proklamationen, die Reden und die selbstbewussten Auftritte der Anführer für die faszinierenden und anrührenden Episoden. Vielmehr sind es die kleinen Pannen, die sich zwischendurch ereignen, die Löcher im Mantel der Geschichte, die hastig und improvisiert gestopft werden.
Da gibt es zum Beispiel die Geschichte der Nationalflagge Israels. Sie wurde uns am Tag unserer Ankunft von einem alten Freund erzählt, dem Maler Karl Rubin (der zwischenzeitlich zum israelischen Botschafter in Rumänien ernannt wurde).
Offenbar erschien vor ungefähr einer Woche eine amtliche Anzeige in den hebräischen Zeitungen, in welcher Künstler gebeten wurden, Vorschläge für die Nationalflagge Israels zu unterbreiten. Den Teilnehmern an diesem Wettbewerb räumte man für das Einsenden ihrer Vorschläge eine Frist von achtundvierzig Stunden ein! Rubin war empört, er eilte zu der genannten Adresse und fand heraus, dass dort niemand etwas von der Flagge wusste. Er eilte zu einer zweiten und dritten Adresse und erfuhr am Ende, dass irgendjemand einen Ausschuss eingesetzt hatte, dem drei bärtige Männlein angehörten, die über die zukünftige Flagge Israels entscheiden sollten. Die drei Männlein repräsentierten jeweils die Partei der Linken, der Rechten und der Mitte, entsprechend dem System des «Parteienschlüssels», das in diesem Land heilige Tradition ist. Es sieht vor, dass in jeder öffentlichen Einrichtung und Institution alle politischen Parteien proportional zu ihrer relativen Stärke vertreten sein müssen. Rubin fand außerdem heraus, dass keines der Mitglieder dieses Ausschusses jemals in seinem Leben mit Kunst oder Heraldik zu tun gehabt hatte. Es war ihnen noch nicht einmal in den Sinn gekommen, dass bei ihrer Aufgabe ästhetische Gesichtspunkte eine Rolle spielen könnten. Eine Flagge, erklärten sie Rubin, sei eine politische Angelegenheit. Der Vertreter der Linken hatte darauf zu achten, dass nicht zu viele religiöse Symbole auf der Flagge versammelt waren. Der Vertreter der Rechten sollte verhindern, dass zu viel Rot hineinkam. Der Vertreter der Mitte hingegen hatte ihre gegensätzlichen Ansichten auszugleichen, indem er verschiedene Stücke aus den verschiedenen Entwürfen der Wettbewerber herausnahm und zu einer Art Koalitionsflagge zusammensetzte – so, wie man auf der Basis von mehreren Vorlagen eine Resolution formuliert.
Rubin verzichtete auf weitere Diskussionen und wandte sich an die Regierung, wo alle mit dem laufenden Krieg beschäftigt waren. Am Ende erreichte er, dass die Frist für den Wettbewerb verlängert wurde, und er erhielt eine vage Zusage, dass ein Künstler in den Ausschuss aufgenommen werden sollte. Da aber Künstler, wie alle Einwohner Israels, der einen oder anderen Partei angehören, würde das kooptierte Mitglied den Parteienschlüssel durcheinanderbringen – und an diesem Punkt ruht die Angelegenheit im Augenblick.12
Die zweite Geschichte verläuft in gleicher Weise. Bei einer seiner ersten Zusammenkünfte wählte der israelische Staatsrat, der als provisorisches Parlament fungiert, den altgedienten Zionisten Professor Weizmann zu seinem Präsidenten. Da Israel bisher noch keine Verfassung hat, konnten sie ihn nicht zum Präsidenten der Republik ernennen, aber es war offensichtlich, dass die Wahl genau dies beinhaltete. Dann kam die Panne, das Loch im Mantel der Geschichte. Erstens musste der neue Präsident in Abwesenheit gewählt werden (er traf erst etwa vier Monate nach der Unabhängigkeitserklärung in Israel ein). Diese etwas ungewöhnliche Situation überging man stillschweigend angesichts der heiklen Gesundheit des Präsidenten und seines ebenso heiklen Verhältnisses zu Premierminister Ben Gurion. Zweitens war da aber noch die Frage der Staatsangehörigkeit des Präsidenten. Während des britischen Mandats genügten zwei Jahre mit Wohnsitz in Palästina, um als Bürger Palästinas anerkannt zu werden. Und es galt als patriotische Pflicht eines jeden jüdischen Einwanderers, offiziell ein Bürger Palästinas zu werden. Obwohl Dr. Weizmann sich wegen seiner Pflichten als Leiter der Zionistischen Weltorganisation zumeist im Ausland aufhielt, hätte er natürlich die palästinensische Staatsangehörigkeit erwerben können, ohne dass die Mandatsbehörde Schwierigkeiten gemacht hätte. Tatsächlich aber hatte er nie darum ersucht und es vorgezogen, seinen britischen Pass zu behalten. Als dann die Frage seiner Wahl auf der Tagesordnung stand, stellte einer der beiden Mitglieder der «Revisionisten» im Staatsrat, die zur Opposition gehören, unverfroren die berechtigte Frage, «ob ein Ausländer, und noch dazu ein Engländer, Präsident Israels werden» könne. Der Justizminister Dr. Rosenblueth brummelte verlegen, er werde diesen Punkt prüfen, doch die Angelegenheit wurde geflissentlich vergessen, und die Wahl erfolgte per Akklamation.
Gestern Morgen, unser erster in Tel Aviv, wurden wir um acht Uhr von der Detonation einer Bombe geweckt, die aus einem ägyptischen Flugzeug abgeworfen worden war. Sie fiel einige hundert Meter von unserem Hotel entfernt auf den Strand, eine kleine, fünfundzwanzig Pfund schwere Antipersonen-Bombe, die keinen Schaden anrichtete, außer dass in der Umgebung ein paar Schaufenster zu Bruch gingen. In Erinnerung an die V1- und V2-Angriffe auf London betrachteten wir die Lilliput-Bomben in diesem Lilliput-Krieg eher snobistisch. Dennoch waren eine Woche zuvor an einer Bushaltestelle einundvierzig Menschen während eines Luftangriffs getötet worden – deutlich mehr als die durchschnittliche Anzahl an Opfern, die einer einzelnen der etwa hundert Mal schwereren Bomben auf London zum Opfer fielen.
II.
DAVID UND GOLIATH
1
Genau eine Woche nach unserer Ankunft, am 11. Juni, trat der erste Waffenstillstand in Kraft. Vier Wochen später, am 9. Juli, wurden die Kampfhandlungen wieder aufgenommen. Zehn Tage danach, am 18. Juli, begann der zweite Waffenstillstand. Er wurde nicht offiziell, aber faktisch im Oktober und im Dezember durch zwei israelische Offensiven im Negev gebrochen, und auch an anderen Fronten brachen vereinzelt weitere Scharmützel aus. Diese wurden jedes Mal durch örtliche «Feuerpausen» und «Feuereinstellungen» beigelegt. Eckigen Klammern gleich, die innerhalb der runden Klammern stehen, waren sie über den gesamten Ablauf des Krieges verteilt.
Dieser Krieg zwischen Waffenstillständen, geführt wie auf Raten, war ein weiterer eigentümlicher Aspekt dieses eigentümlichen Feldzugs. Er erinnerte an jene alten Wildwest-Serien, in denen die Filme für gewöhnlich damit endeten, dass die Heldin mit wehendem Haar an einer Seilbrücke über dem Abgrund hing, und die Bildunterschrift versprach: «Eine weitere spannende Folge nächste Woche in diesem Lichtspielhaus.» Oder, um die Metapher abzuwandeln, es war, als ginge der Kampf zwischen David und Goliath über sechs Runden, und die UN als Schiedsrichter beendete immer genau dann jede Runde mit einem Gong, wenn die Angelegenheit gerade in Schwung kam. Das mag sich leichtfertig anhören, aber tatsächlich war dieser Heilige Krieg des Islam, der so lange Jahre in ihrer Fantasie herumgespukt war, für die Anhänger des Arabischen Mythos eine bittere Enttäuschung.
Wegen seiner vielen historischen Anklänge wurde dieser Krieg mehr als andere durch hochtrabende Halbwahrheiten verklärt. Propaganda, Phrasendrescherei und die Verdrehung von Tatsachen umgaben die spärlichen Fakten in einer Reihe von konzentrischen Kreisen. Wollte man an den Kern der Wahrheit herankommen, war es wie das Schälen einer Zwiebel, manchmal mit tränenden Augen. Die äußere und leicht zu durchschauende Schicht von Unwahrheiten – das waren die arabischen Siege in Folge, von denen in der Anfangszeit nicht nur in der britischen Presse, sondern auch in den meisten europäischen Zeitungen berichtet wurde. Diese wiederholten damit nur unkritisch die Märchen aus Tausendundeiner Nacht, die von Radio Kairo und Radio Bagdad verbreitet wurden – wirksam unterstützt von der Unerfahrenheit des Israelischen Amtes für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Als dann nach und nach durchsickerte, dass die israelischen Streitkräfte ihre Stellungen hielten und sogar zum Angriff übergingen, wurde die Wahrheit in die andere Richtung hin idealisiert: Wie durch ein Wunder waren 750 000 Juden gerade dabei, vierzig Millionen Araber niederzuringen – und das britische Weltreich gleich mit.
Diese Version wäre der Wahrheit schon um einiges näher gekommen, hätte man die arabischen Länder mit modernen europäischen Staaten vergleichen können, die in einem Krieg ihre gesamte militärische Stärke und Produktionskapazität aufbieten. Solche Vergleiche sind aber irreführend. Die soziale Rückständigkeit der arabischen Länder macht ihnen jegliche koordinierte nationale Kraftanstrengung unmöglich. Ihre Kampfeinheiten sind keine moderne Armee von Wehrpflichtigen, sondern ähneln eher einer mittelalterlichen Söldnertruppe – schlecht ausgebildete Analphabeten, von geringer Moral und völlig unfähig, einen modernen Krieg zu führen. Trotz aller Großsprecherei und Prahlerei der arabischen Regierungen und ihrer unnachahmlichen Rundfunksprecher: Die gesamte Truppenstärke, die von jenen sechs Ländern aufgebracht wurde, welche den Heiligen Krieg gegen die Juden angezettelt hatten, betrug nach groben Schätzungen 30 000 bis 40 000 Mann; darunter 4000 Angehörige der Arabischen Legion, 3000 Libanesen, 3000 bis 4000 Syrer, 5000 bis 6000 Iraker, 2000 bis 3000 aus Saudi-Arabien, 12 000 Ägypter und 3000 Freischärler unter Fawzi Kaukaji. Ihre Gesamtstärke entsprach also ungefähr der Streitmacht Israels, die vom 15. Mai an durch eine totale Mobilmachung aller verfügbaren Kräfte nach modernen Maßstäben zustande gekommen war.
Dennoch standen die Chancen für Israel sehr schlecht. Die vierzig Millionen Araber stellten immerhin eine Realität dar, und sei es nur als ein Reservoir an Einsatzkräften, das zwar kaum erschlossen wurde, aber praktisch unerschöpflich schien. Auf der anderen Seite waren für die 750 000 Juden die Gefallenen nicht zu ersetzen. Zweitens war der Unterhalt einer unverhältnismäßig großen Armee für die kleine jüdische Gemeinschaft eine enorme ökonomische Belastung, die sich noch verschärfte, als sich der Waffenstillstand endlos hinzog. Der dritte Nachteil war der schwerwiegendste, denn auch wenn die regulären arabischen Armeen zu Beginn des Krieges über eine nur geringe moderne Ausrüstung aus Panzern, Artillerie und Flugzeugen verfügten, so besaßen die Juden nichts von alledem. Im nachfolgenden Wettlauf, trotz des Waffenembargos Rüstungsgüter einzuschmuggeln, erwiesen sich für die Araber ihre weitläufigen Grenzen und Küstenstriche als Vorteil, denn sie machten eine Kontrolle durch UN-Beobachter praktisch unmöglich. Die Juden hingegen verfügten nur über einen leicht zu überwachenden Küstenstreifen von knapp 160 Kilometern und über drei oder vier streng kontrollierte Flughäfen. Und schließlich bot die winzige Fläche Israels – weniger als 160 Kilometer in der Länge und zwischen 25 und 32 Kilometer in der Breite – den Juden keine Gelegenheit zur Verteidigung in der Tiefe und keine Möglichkeit zum Rückzug. Sie mussten mit dem Rücken zur Wand kämpfen – und genau deshalb haben sie den Krieg gewonnen.
2
Wir haben mehr als vierzehn Tage gebraucht, um die nötigen Genehmigungen, Geleitbriefe, Transportmöglichkeiten und den Geleitschutz zusammenzustellen, um die Grenzabschnitte in Galiläa zu besuchen.
Unser Geleitschutz war ein junger Mann deutsch-jüdischer Herkunft mit Namen Shlomo (hebräisch für Salomon). Seinen Nachnamen haben wir nie erfahren, ebenso wenig wie den der anderen Offiziere oder örtlichen Kommandeure, mit denen wir redeten oder die Front entlangfuhren. Das gehörte alles zum Klima strenger Geheimhaltung, mit dem sich die Haganah umgab. Diese Männer hatten so lange im Untergrund gelebt, dass ihnen konspiratives Verhalten zur zweiten Natur geworden war, und nun kamen sie nicht mehr aus dieser Haut heraus. Die eigenartige Praxis, selbst die Namen des Generalstabs und der Armeekommandeure geheim zu halten, hatte in der ausländischen Presse bereits für üble Gerüchte gesorgt, etwa, dass die jüdische Armee von sowjetischen Generälen im aktiven Dienst befehligt werde. Bei der ersten Pressekonferenz, an der wir in Tel Aviv teilnahmen, stellte der Presseoffizier einen jungen Mann als Kommandierenden General vor, ohne seinen Namen zu nennen. Ein amerikanischer Journalist hakte nach und fragte: «Wie buchstabieren Sie Ihren Namen, Sir?», wurde aber belehrt, dass die Identität des K.G.s «aus Sicherheitsgründen» nicht preisgegeben werde. Tatsächlich hieß er Yigal Sukenik; er war der Sohn eines bekannten Archäologen von der Hebräischen Universität.
Einige Wochen später beendete man diese Anonymität, doch in jenen Tagen wurden nicht nur Namen, sondern auch die Adressen der Armee-Hauptquartiere in Tel Aviv und anderswo unter Verschluss gehalten, was zu endlosen Verwirrungen und Konfusionen führte. Im Verlauf unserer Reise nach Galiläa verhielt es sich dann so, dass unser Begleiter Shlomo in verschiedenen Städten oder Dörfern ausstieg, einen Soldaten herbeirief und konspirativ mit ihm beratschlagte, wo möglicherweise ein Hauptquartier zu finden wäre, bei dem er seine Sicherheitsanweisungen und weitere Genehmigungen, möglicherweise sogar zusätzlichen Geleitschutz, erhalten könnte. War Shlomo dann eine Weile auf der Suche nach einem Hauptquartier umhergefahren und hatte er das Gefühl, auf der richtigen Spur zu sein, verließ er für gewöhnlich das Auto und setzte seine Suche zu Fuß fort, um die Stellung nicht zu verraten. Wir trieben auf unserer Reise wie in einem schwer zu fassenden Fluidum, in dem es keine hilfreichen Fixpunkte gab, wie etwa Hauptquartiere oder verantwortliche Kommandanten. Es gab nur Orte «irgendwo in Israel» und irgendwelche Uris und Moshes und Rubens – Große Rubens, Kleine Rubens, Ruben aus Khanita und Ruben Nr. 3.
Wir fuhren wieder durch Haifa, und dort erfuhren wir die unglaubliche Geschichte, wie nämlich die Juden diesen wichtigen Hafen und diese bedeutende Stadt des Nahen Ostens eingenommen hatten, und das nach einem nur wenige Stunden dauernden Straßenkampf, der achtzehn jüdische und weniger als hundert arabische Todesopfer forderte. In erster Linie waren psychologische Gründe dafür ausschlaggebend. Die 70 000 Araber von Haifa verließen ihre Stadt nach kaum mehr als einem Scheingefecht, denn sie waren vollkommen demoralisiert durch die Fahnenflucht ihrer Anführer und durch die gegen sie gerichtete psychologische Kriegführung der Haganah. Die arabischen Würdenträger hatten sich einer nach dem anderen bei Nacht mit Motorjachten, auf die sie ihre Familien und ihren Hausstand verfrachtet hatten, nach Beirut oder Zypern abgesetzt. Durch das Anzapfen von Telefonleitungen erfuhr die Haganah von jeder dieser Desertionen und machte sie von ihrer illegalen Radiostation13 aus umgehend in Rundfunksendungen auf Arabisch bekannt.
Einige Tage vor der Entscheidungsschlacht verschwand der arabische Oberbefehlshaber Amin Bey Izzed Din unter dem Vorwand, Verstärkung zu holen, mit einem Motorboot in Richtung Beirut. Zu der Zeit benutzte die Haganah nicht nur ihre Radiostation, sondern auch Lautsprecherwagen, von denen aus die unheilvollen Nachrichten in die Umgebung der Souks dröhnten.
Sie forderten die arabische Bevölkerung auf, sich von den Quartieren der ausländischen Söldner fernzuhalten, die in die Stadt eingedrungen waren, rieten ihnen, ihre Frauen und Kinder wegzuschicken, bevor neue Kontingente brutaler Iraker einträfen, versprachen ihnen sicheres Geleit bis ins arabische Gebiet und deuteten schreckliche Folgen an, sollten diese Warnungen in den Wind geschlagen werden. In der Industriestadt Haifa waren Juden und Araber stets ausgesprochen gut miteinander ausgekommen, sodass die Araber, nachdem ihre Anführer sie im Stich gelassen hatten, eher geneigt waren, auf ihre jüdischen Nachbarn zu hören als auf die blumigen Ermahnungen aus dem Ausland.
Folglich setzte Haifa der ersten energischen Attacke der Haganah sehr wenig Widerstand entgegen. Nachdem die Araber die Stadt verlassen hatten, entdeckte die Haganah mehrere Waffenlager mit Maschinengewehren, die nie benutzt worden waren, und riesige Vorräte an Munition. Faktisch fiel Haifa, wie Jericho einst gefallen war, wobei die Lautsprecherwagen der Haganah die Trompeten ersetzten, welche die Mauern von Jericho zum Einsturz brachten.
Während des Bürgerkriegs spielte sich auch in den anderen Städten mit gemischter Bevölkerung mehr oder weniger die gleiche Geschichte ab. Die Flucht der Effendis, die Panik auslösenden Gerüchte und jüdische Improvisation und Propaganda, das alles zusammen bewirkte, dass die Moral der Araber zusammenbrach.
In erster Linie jedoch verloren die palästinensischen Araber den Bürgerkrieg, ohne dass es zu ernsthaften Kampfhandlungen kam, aus dem einfachen Grund, dass sie nichts hatten, das den Kampf lohnte. Schon vor langer Zeit hatten sie die Anwesenheit der Juden akzeptiert und sich auf örtlicher Ebene ganz gut mit ihnen arrangiert – jedenfalls soweit und solange es keine Einmischungen von außen gab. Sie waren ein unkompliziertes, friedliebendes und individualistisches Volk, mit begrenzten Interessen und keinerlei Nationalbewusstsein. Sie bewirtschafteten ihre kleinen Gärten, Cafés und Basar-Läden und besaßen keinen Ehrgeiz zu kämpfen. Sie hatten sich aus dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg herausgehalten, da er ihre Interessen nicht berührte, und auch dieses Mal hätten sie es ganz gern gesehen, wenn die Juden und die benachbarten arabischen Prinzen die Angelegenheit unter sich ausgemacht hätten. Sie wären vielleicht gegen Ende ein wenig zum Plündern gekommen und zum heimlichen Morden, wie es in diesen Breiten der Brauch ist.
Das alles spiegelt sich in der wohl typischsten und aufschlussreichsten Episode des Bürgerkrieges, dem Kampf um Safed.
In Israel spricht man vom «Wunder von Safed» – was den Traditionen dieses ehrwürdigen Zentrums mittelalterlicher jüdischer Mystik entspricht. Hier hat die Kabbala ihre Wurzeln, und im Umland haben jüdische Gelehrte und Mystiker mit ihren Familien seit der Zeit des antiken jüdischen Staates in ununterbrochener Folge gelebt. Doch Safed ist nicht nur ein geistliches Zentrum jüdischer Tradition, es hält auch eine strategische Schlüsselstellung im Norden Galiläas und ist einer der schönsten Orte in Palästina – es thront auf einem etwa 900 Meter hohen Hügel und bietet einen herrlichen Ausblick auf die Berge Galiläas.
Aus der Gegend um Hula an der syrischen Grenze kommend, fuhren wir am späten Abend hinauf nach Safed. Und während das Auto die Serpentinen zum Berg Kanaan hinaufkroch, konnten wir abwechselnd den See Genezareth im Osten oder das Mittelmeer im Westen ausmachen. Im Osten war es schon Nacht, und ein großer, orangefarbener Mond stieg über dem See empor. Im Westen hingegen tauchte die Sonne, die gerade im Mittelmeer versank, eine gänzlich andere Welt in farbiges Zwielicht.
In Safed angekommen, stiegen wir im Central Hotel ab, aus dem gerade eine ganze Schule auszog – evakuierte Kinder, die in ihre Siedlungen in Galiläa zurückkehrten, in denen sie nach dem letzten israelischen Vormarsch wieder sicher sein konnten. Besitzer des Hotels ist der alte Chaim Maiberg, der aus dem Kreis der ersten Einwanderer aus den 1880er Jahren stammt. Er begrüßte uns mit einer Flasche des berühmten Safed-Arrak, der kein Anis enthält und von Wasser nicht trüb wird.
Obwohl Safed wegen seiner Höhenlage als einer der kühlsten Orte in Israel gilt, war es so heiß, dass ich auf dem Balkon schlief. Am nächsten Morgen machten wir uns auf die Suche nach dem örtlichen Kommandeur der Haganah, dessen Identität und Aufenthaltsort selbstverständlich streng geheim waren. Als wir ihn schließlich in seinem Hauptquartier in der Altstadt fanden, stellte sich heraus, dass er der Sohn des alten Maiberg war, den wir soeben im Hotel beim Frühstück mit seinem Papa zurückgelassen hatten. Wie die meisten Befehlshaber der israelischen Armee war er ein Sabra14 und unglaublich jung, ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt. Typisch war auch der Gegensatz zwischen dem bärtigen, patriarchalen, ultrajüdischen Vater mit seiner schwarzen Kippa und dem blonden, gut aussehenden jungen Mann mit seinen unauffälligen, weniger markanten Gesichtszügen und den leicht anglisierten Umgangsformen – die er zusammen mit 30 000 anderen seiner Generation als Freiwilliger in der britischen Armee angenommen hatte. Der junge Kommandeur Maiberg erklärte uns, worum es sich bei dem «Wunder von Safed» im Kern handelte.
Zu Beginn der Kämpfe zählte die gesamte Bevölkerung der Stadt 12 000 Araber und 1500 Juden. Der Kommandeur der britischen Garnison schätzte die strategische Position der Juden in der Stadt so ein, dass sie sich nach Abzug der Garnison nicht länger als zwei Stunden würden halten können.
Der Lageplan der Stadt sieht wie folgt aus: Safed erstreckt sich über die Hänge eines Hügels, von dem aus die Hauptverkehrsstraßen durch Zentralgaliläa kontrolliert werden können und der vor 2000 Jahren während der Revolte des Flavius Josephus ein Hauptbollwerk gegen die Römer darstellte. Der Gipfel des Hügels ist ein ziemlich flaches, mit Strauchwerk bewachsenes Plateau, etwa 135 Meter lang und zwischen 18 und 27 Meter breit. Dieses kleine Plateau kontrolliert die ganze Stadt samt ihren Zugangswegen. Hier stand einmal eine mittelalterliche Festung, erbaut auf den Ruinen einer judäischen Festung, die wahrscheinlich ihrerseits auf den Ruinen einer kanaanäischen Festung errichtet worden war. Dieses Plateau wird Matzuba genannt. Als die Briten Safed verließen, wurde die Matzuba sofort von den Arabern besetzt.
Über die sanften Hänge von der Matzuba aus abwärts erstrecken sich die jüdischen und arabischen Viertel. Das jüdische Viertel nahm etwa ein Drittel des konischen Bergmantels ein, das arabische Viertel ungefähr zwei Drittel.
Der Hügel, um den herum Safed gebaut wurde, ist von anderen Hügeln umgeben, die, mit einer Ausnahme, alle in arabischer Hand waren. Die eine Ausnahme war der Berg Kanaan, der, abgesehen von seinen historischen Bezügen, für die Juden von geringem Wert war. Auf dem Hügel, der dem Berg Kanaan gegenüber liegt, genau nördlich von Safed, steht die eindrucksvolle Teggart-Festung. Es ist eine von zahlreichen Stahl-und-Beton-Festungen, die während der Arabischen Revolte15 von General Teggart überall im Land an strategisch wichtigen Orten errichtet worden waren. Die Festung in Safed ist die zweitgrößte in Palästina. Nur schwere Artillerie oder Fliegerbomben könnten ihr etwas anhaben – aber die schwersten Waffen, über die die Juden in Safed verfügten, waren drei Zwei-Zoll-Haubitzen, in ihrer Wirkung auf die Festung etwa mit der einer Erbsenpistole zu vergleichen.
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