Kitabı oku: «Marylin», sayfa 2
II.
Marylin mietete bei der Witwe Perkins im achten Stock das drittletzte von sechs kleinen Zimmern, die an einem langen, dunklen Gang lagen.
Philip stand dabei, während die kurze Unterhaltung über den Preis, über das Frühstück und die Badezeit geführt wurde.
Mrs. Perkins sah, daß die beiden soeben erst in New York angekommen waren. Als alles erledigt war, hätte sie ein zweites Zimmer gern an Philip vermietet, aber Philip quartierte sich drei Stockwerke tiefer ein.
Nach einer Viertelstunde kam er zu Marylin herauf. Sie hatte nur ihre kleine Handtasche mit den Toilettetaschen geöffnet, sie rief »Herein!« und stand wie wartend aufrecht da, die Hand nachlässig auf die Tischplatte gestützt.
Sie fragte Philip nicht: »Warum sind Sie mir nachgereist?« oder: »Wie haben Sie es angestellt?« Sie sagte auch nicht: »Eines Tages werde ich doch wieder fortsein.«
Philip fragte nicht: »Warum laufen Sie so hartnäckig vor mir davon?«, er forschte nicht: »Haben Sie einen anderen gern?« oder: »Was steckt hinter alledem?«
Philip machte ein paar Schritte auf Marylin zu. Die kleine Hand auf der Tischplatte paßte nicht zu dem schmalen Gelenk, sie war eine volle, rundliche Hinterhand mit zwei Grübchen auf dem Rücken.
Philip sah von der Kinderhand aufwärts in Marylins Augen, die geweint hatten. Sein stummer Blick sagte: »Hab’ keine Angst, Baby!« Und: »Später einmal, aber nur, wenn du es ebenso wollen wirst wie ich, werden wir eine kleine Wohnung haben, und wir werden Kinder haben, und dann werden wir die Wohnung gegen eine größere wechseln, in einer besseren Gegend, und dann das gleich noch zwei- oder dreimal, so oft ich es eben dahin bringen werde, daß wir einen Schritt höher klettern.« Alles das sprach aus seinem zuversichtlichen Blick.
Wenn ein zum Tode Verurteilter in seiner letzten Minute den Henker anschaute, sein Blick wäre dem Marylins ähnlich, der zu fragen schien: »Warum ist es gerade dieser? Ich hab’ ihm doch nichts getan.«
Dann sprach Philip das erste Wort: »Ich werde hier bleiben, Miß Palmer, in New York und bei Ihnen. Aber ich werde Sie nicht quälen. Ich werde warten, bis wir einig sind. Sind Sie damit einverstanden?«
Sie zögerte nur ganz kurz, dann nickte sie mit dem Kopf.
Aber im nächsten Moment wandte sie sich ab und begann wild zu schluchzen. Philip sah das Zucken, das ihren Körper durchschüttelte; zuletzt hob und senkte sich nur noch der Rücken, dann wurde sie ruhig.
Philip blickte auf die Uhr. Sie waren am späten Nachmittag angekommen, jetzt war es dunkel geworden. Er zog an der kleinen Kette des Beleuchtungskörpers, der von der Decke herabhing, und es wurde hell. »Sie waren während der Reise nur ein einziges Mal im Speisewagen, Miß Palmer, Sie müssen was essen. Ich denke, wir wollen hinuntergehen.«
In dem kleinen Restaurant sprachen sie so wenig wie Leute, die seit langer Zeit täglich um die gleiche Stunde miteinander die Mahlzeit einnehmen und sich nach einem ereignislosen Tag nichts zu erzählen haben. Sie saßen am Ende eines langen Tisches einander gegenüber; mitten im Essen mußten beide zu gleicher Zeit lachen, aus Müdigkeit, aus Erregung oder weil sie von der Selbstverständlichkeit, mit der sie hier saßen, überrascht waren, vielleicht auch in einem Wohlgefühl, ähnlich jenem, mit dem man nach einer Seefahrt die erste Mahlzeit am Lande einnimmt.
Als sie fertig waren, griff Philip nach den beiden kleinen Rechenzetteln, die die Kellnerin neben ihre Teller gelegt hatte. Marylin wehrte sich gegen seine Absicht, mit beiden Zetteln zur Kasse zu gehen und zu zahlen. Aber Philip erklärte: »Von morgen an wird jeder das seinige erledigen. Heute müssen Sie es mir schon erlauben, heute sind Sie mein Gast, Miß Palmer. Denn Sie sind ja meinetwegen und mit mir hierher gereist.« Da lachten beide noch einmal und Philip durfte zahlen.
Die große Seidenstrumpffabrik von Indianapolis im Staate Indiana hatte auch in New York ein Verkaufsbureau. Freilich hatte Marylin, als sie in Cleveland, durch Philips Brief aufgeschreckt, die Stellung so plötzlich verließ, nicht daran gedacht, sich ein paar Zeilen an den New Yorker Manager mitgeben zu lassen; sie hätte es auch nicht gewagt, da sie so plötzlich fortging, daß sie nicht einmal das Ende der Woche abwartete.
Während sie hinter der Barriere stand, sah Marylin, daß sich hier alles genau so abspielte, wie sie es von Chicago und Cleveland her kannte. Die Bestellungen der Kaufleute und Privatkunden wurden auf Formulare übertragen, mit Rubriken für die Sorten und für die Größen, für die Anzahl der bestellten Paare und für die Farben, die ihr alle geläufig waren: Malve, Melone, Rosagrau, Champagne, Mondschein und Atmosphere. Es wurden ebensoviele Blätter Carbonpapier zwischen die Formulare gelegt wie in Chicago und Cleveland, sie hielten auch hier bei der »Fünften Jahres-Rabatt-Offerte«, die dem Käufer progressiv immer mehr Freipaare gewährte, je größer sein Auftrag war.
Daß Marylin alles das wiedersah, steigerte ihre Sicherheit für die Unterhaltung mit dem Manager. Als sie hineingerufen wurde, begann sie sofort: »Ich bin erst gestern abend in New York angekommen, ich habe schon in anderen Bureaus der Real Silk gearbeitet und kenne die ganze Organisation, alles, auch die ›Fünfte Jahres-Rabatt-Offerte‹. Ich bleibe jetzt ständig in New York. Wenn Sie mich brauchen könnten, würde ich gern schon am Montag anfangen.«
»Kommt mir ganz gelegen«, sagte der Manager, der ihre Angaben sofort als zuverlässig erkannte. »Wieviel haben Sie …«
»In Cleveland.«
»… in Cleveland pro Woche bekommen?«
»Fünfundzwanzig Dollar.«
»Also gut, das gleiche. Und – seit wann sind Sie aus dem Clevelander Bureau fort?«
»Erst seit Mittwoch, Sir. Ich – mußte plötzlich von Cleveland weg.«
»Hm – warum? Ich hoffe, es ist …«
»Nein, es hat nichts Unangenehmes gegeben. Es ist nur – es ist jemand hier in New York, der mich heiraten will und deshalb … aber bis dahin wird’s noch eine gute Weile dauern, ja.«
»Also, am Montag früh, das ist ja schon übermorgen. Vergessen Sie nicht, draußen Ihren Namen und Ihre Adresse anzugeben. Wiedersehen.«
Sonntag vormittags kam Philip in Marylins Zimmer, die beiden wollten zur Kirche gehen. Da sie fremd waren, erkundigten sie sich bei Mrs. Perkins, die ihnen ihre Kirche nannte.
Es war ein kleiner romantischer Bau; der Geistliche, ein junger Mensch, predigte über den Herbst als die Zeit der Ernte und Erfüllung. Die beiden waren von der Predigt wenig befriedigt, weil sie schwunglos war und ohne Beziehung zu den Dingen des Lebens. In Chicago, meinten sie, gab es bessere Prediger.
Dann gingen sie eine Weile planlos durch die Straßen. Nach einem leichten Lunch beschlossen sie, in die untere Stadt zu fahren, um von der Spitze der Landzunge Manhattan aus den Hafen zu sehen und auf dem Weg dorthin das Viertel von Wall Street.
Sie nahmen die Tramway, die den Broadway entlang geht. Sie wunderten sich, daß sie die einzigen Passagiere im Wagen waren. Was taten denn die Millionen New Yorker um diese Zeit, um die Mittagsstunde eines sonnigen Herbsttages? Wo waren sie denn? Warum sah man so wenige Menschen auf der Straße?
Je niedriger die Nummern an den Broadway-Häusern wurden, umso stiller war es. An der Trinitaskirche stiegen sie aus und bogen in die Wall Street ein, und dann in die Broad Street und dann in die Beeaver Street und spazierten so im Kreis herum. Überall waren sie die einzigen Menschen.
Sie gingen wie durch eine tiefe, einsame Schlucht. Hoch über ihnen hing mit gezackten Rändern ein Streif des klarblauen New Yorker Himmels. Auf der einen Seite waren die obersten Stockwerke der Riesenhäuser von der Mittagssonne grell beschienen, alles andere lag in tiefgrauem Schatten. Die Asphaltsohle der Schlucht war kühl.
Sie hatten unwillkürlich das Trottoir verlassen, gingen mitten auf dem Straßendamm. Nirgends, nirgends ein Mensch zu sehen. Ihre Schritte hallten durch die Stille.
Marylin dachte an einen Ausflug ins Gebirge, den sie einmal gemacht hatte, als sie noch im Westen war. Damals war sie auch durch eine Schlucht gegangen, von der vorher viel gesprochen wurde als von dem schönsten und seltsamsten Teil der Partie. Dort war’s ebenso frostig, aber man ging über moosbewachsene Steine, die steilen Seitenwände waren zerklüfteter Fels, oben lief zwischen Stein und Himmel ein grüner Saum entlang. Hier war’s unheimlicher.
Philip sagte: »Das ist Wall Street. Hier haben sich gestern mittag die Menschen gedrängt, so daß man nur mühsam vorwärts kam, und morgen früh wird’s wieder so sein. Wir hätten vielleicht nicht am Sonntag hierherkommen sollen. Man glaubt kaum, daß in diesen toten Häusern die größten Banken der Welt ihren Sitz haben. Nicht wahr, Miß Palmer?«
Dann fanden sie den Ausweg aus dem steinernen Irrgarten, gelangten zum Battery Park, besichtigten im Vorübergehen das Aquarium und saßen am Ende eine Stunde lang auf einer Bank vorn am Wasser.
Philip sagte: »Eines Tages werden wir hier besser Bescheid wissen. Unsere Kinder werden in dieser Stadt zu Hause, werden New Yorker sein.«
Marylin ging am nächsten Morgen ins Bureau der Real Silk, Philip suchte fast drei Wochen hindurch vergeblich eine Stellung.
Eines Mittags traf Philip auf dem Dach eines Omnibusses Charles Newton, der vor Jahren einmal mit Philips Schwester verlobt gewesen war und sich am Ende nicht ganz gut benommen hatte. Sie waren einander seit damals aus den Augen gekommen.
»Hallo, Philip, auch in der großen Stadt? Schon lange?«
»Noch ganz frisch. Noch auf der Suche nach einem Platz. Bin, weißt du, Architekt geworden, war zuletzt in Chicago.«
»Na und?«
»Scheint nicht ganz leicht, hier das zu finden, was ich suche.«
Newton überblickte sofort die Lage. »Muß es denn durchaus und gleich zu Beginn bei einem Architekten sein? Ich – bin in einem Hotel, Assistent des Managers, es ist ein großes Haus. Wenn du willst, spreche ich mal mit Edward Tylor. Du machst eine gute Figur, ich glaube, ich könnte es durchsetzen, wenn irgend was frei ist.«
»Du meinst, daß das klüger ist, als die Bureaus der Bauleute abzuklappern? Um dir die Wahrheit zu sagen: Es steigert nicht gerade die Courage, überall sich anzutragen und immerfort ›Nein‹ zu hören.«
Ein paar Tage später stand Philip früh um 8 Uhr hinter dem Empfangstisch des Prince Albert Hotels. Er hatte sein schwarzes Jacket und das gestreifte Beinkleid an, er tat vorläufig nichts, aber es sah aus, als hätte er immer hier gestanden.
Nach einer halben Stunde führte Newton ihn an den Posttisch, an dem die Gäste ihre Zimmerschlüssel abgaben und ihre Briefe verlangten. Hier blieb Philip. Newton, der hinter seiner dienstlichen Miene Gefälligkeit und tätige Freundschaft verbarg, kam hin und wieder, die Hände auf dem Rücken, vorüber; gegen Mittag warf auch Tylor einen Blick auf den neuen Mann.
Es ging nicht übel, Philips gute Manieren bewährten sich, es machte ihm auch Spaß, die Promenade der Gäste an sich vorüberziehen zu sehen, immer bereit zu sein und auf lässige und hastige Fragen gleichmäßig flott zu antworten.
Von dem Fünfzig-Dollar-Wochenlohn war Philip freilich weit entfernt. Aber er brauchte, da er eine Mahlzeit im Hause bekam, nicht länger vom Ersparten zu leben.
Marylin freute sich, als Philip ihr von Charles Newton und dem Posten im Prince Albert Hotel erzählte. Sie ertappte sich dabei, daß sie beim Anhören der endgültigen Nachricht einen tiefen Atemzug tat, wie von einer Last befreit. Ja, jetzt, da sie auf diese drei Wochen der Unsicherheit zurückschaute, konnte sie sich’s nicht verhehlen: Philips vergebliche Wege hatten ihr Sorge bereitet.
Als sie eines Abends in ihrem Zimmer saß, trat ihr das Erlebnis mit Philip zum erstenmal als ein Ganzes ins Bewußtsein. Ein Fremder verfolgt sie, anfangs ohne daß sie es merkt, dann spricht er zu ihr. Er verfolgt sie nicht nur von einem Straßenblock zum andern, nein, in fremde Städte über Hunderte von Eisenbahnmeilen hinweg. Dann legt er die Hand auf ihre Schulter, wie einer, der den Ausweis in der Tasche hat.
Sie hat vergeblich darum gekämpft, ihr Leben für sich allein zu führen, jedem einen Einblick verwehrend, und sei es auch um den Preis eines Opfers an Lebensglück.
War Philip für sie etwas wie Glück? Oder war nicht schon daß sie ihm Macht über sich einräumte, Beginn unabwendbaren Unglücks?
Sie war allein, als das alles langsam durch ihren von der Tagesarbeit ermüdeten Kopf rann.
Glück? Unglück? – sie neigte den Kopf zur Seite, Mund und Augen schienen zu lächeln. Sie gab sich dem Bewußtsein hin, daß einer, der nicht der schlechteste war, um sie warb, daß es aussah, als wollte er nie fortgehen.
Am Ende sank ihr Kopf kraftlos abwärts, so daß ein Teil ihres kurzen Haares, auch jener blonde Streif, nach vorn fiel. Sie hatte aufgehört zu denken, sie war fast ohne Bewußtsein ihrer selbst.
Plötzlich und ohne Anlaß fuhr sie in die Höhe.
Sie stand da, trotzig, mit einer harten, senkrechten Falte auf der Stirn, die Finger zusammengekrampft, ein Bild ekstatischer Abwehr; der Schaukelstuhl hinter ihr machte, als erhole er sich allmählich von einem Schrekken, noch ein paar letzte Bewegungen, bis er zur Ruhe kam.
So schwankte Marylin von der Schwäche und Hingabe zu Trotz und Auflehnung.
Niemand sah diesen Kampf, am sorgfältigsten wurde er vor Philip verborgen.
Philips Dienststunden im Prince Albert waren nicht immer die gleichen. Bisweilen hatte er früh um sieben Uhr da zu sein und war von drei Uhr ab frei, an anderen Tagen trat er um drei Uhr nachmittags an, dann waren seine acht Stunden erst am Abend um elf Uhr vorüber.
Als er sich ans Mechanische der Arbeit und an die ständige Sprungbereitschaft gewöhnt hatte, begannen die zwölfhundert Brieffächer, an denen er hantierte, für ihn mehr zu sein als tote Rechtecke aus Glas und Holz.
Der Gast exponierte sich dem Mann am Posttisch nur ein- oder zweimal während der täglichen Dienstzeit, aber mancher ließ trotzdem ein Erinnerungsbild zurück. Mitten in der Platte des Tisches befand sich ein Schlitz, in den, wer sein Zimmer verließ, den Schlüssel warf; aus der Schublade unterhalb der Öffnung wurden die Schlüssel dann nach ihren Nummern sortiert und an die kleinen Haken verteilt, die in jedem der zwölfhundert Brieffächer angebracht waren.
Morgens kamen zuerst die Frühaufsteher, waren frisch, zeigten heitere Mienen, warfen mit leichter Handbewegung den Schlüssel zum Schlitz. Die sich nur schwer entschließen konnten, dem Tag ins Auge zu sehen, mühsam und spät aufstanden, neigten eher zu übler Laune, manche sogar zu Melancholie.
Freilich gab es Ausnahmen. 615, der täglich seine Post persönlich zu einem der Frühzüge schaffen mußte, erfüllte die Pflicht unwillig und gegen seine Natur. 712, vollblütig und korpulent, war ein heiterer Langschläfer.
580 lieferte nie seinen Schlüssel ab, trug ihn, auch wenn er ausging, bei sich, was mancherlei Mißverständnisse schuf und oft Anlaß war zu unnötigen Liftfahrten der kleinen farbigen Grooms. Die Tochter von 1113 bekam täglich mit der zweiten Post einen Brief ihres Liebsten, sie lauerte am rückwärtigen Eingang dem Postboten auf und störte dann das Geschäft des Sortierens. Der Deutsche von 411 kam mit einer Geste zum Tisch, als wäre er der einzige, der nach Briefen fragte; einmal, als er das Fach leer fand, herrschte er Philip an: »Wieso ist nichts da? Gestern abend ist der Dampfer gekommen. Ich weiß genau, wann die Dampfer kommen, jawohl.«
Philip sah das alles nicht aus Freude an der Vielfältigkeit der Gesichter und Charaktere, sondern übte, als wäre es ein Sport, sein Gedächtnis. Jedem, der drei Tage im Haus war, ersparte er’s, die Zimmernummer zu nennen, griff unfehlbar ins richtige Fach und gab ungefragt Bescheid. Tylor sah dieser Praxis befriedigt zu, Newton augenzwinkernd und beinahe mit Stolz.
Rechts vom Posttisch, auf einer eingebauten Holzbank, lümmelten die farbigen Grooms, balgten sich, wenn alle sechs da waren, um die Sitzgelegenheit, denn die Bank bot nur dreien Platz, höchstens vieren, wenn sie sich sehr zwängten. Aber wenn der Knirps Teddy, der beinahe so breit war wie hoch, Dienst hatte, dann nützte das Zwängen nichts, dann gingen um keinen Preis vier auf die Bank.
So träge und langsam die Jungen in ihrer Ruhezeit waren, so flink waren sie auf den Beinen, sobald ein Gast oder ein Angestellter des Hotels sie rief. Philip mußte oft über die staunenswerte Wirkung seines Winks lachen, wenn er ein Zeichen gab und wenn dann, wie aus der Schachtel gesprungen, einer der Kleinen jenseits des Tisches stramm stand in der enganliegenden Uniform mit den glänzenden Kugelknöpfen vom Kinn bis zum Nabel.
Aber blind und taub gegen alles Winken und Rufen von irgendwoher waren die Jungen, sobald Bill Patterson sich in der Halle zeigte, der große Negerboxer, der seit acht Tagen im Prince Albert wohnte.
Natürlich nahm Tylor sonst keinen Schwarzen im Haus auf, aber Bill Patterson – das war eine andere Sache. Bill war zu Ende des letzten Winters aus Milwaukee zu einem Match mit Benjamin Foster nach New York gekommen, hatte Foster in der ersten Runde besiegt und kurz darauf fast ebenso spielend leicht Sam Chase.
Foster und Chase waren aussichtsreiche Anwärter auf die Mittelgewichtsmeisterschaft; der Stil, in dem Bill Patterson beide hingelegt hatte, machte ihn schnell zum Helden.
Bill war eine Attraktion für das Prince Albert. Überdies war er ein Mann von Erziehung, er hatte Hampton besucht und trotz seiner vierundzwanzig Jahre die medizinischen Kurse an der Howard-Universität in Washington absolviert. Bill war der bestgekleidete unter allen Gästen des Hauses, die Anzüge, die sein Athletenkörper trug, stammten aus der Werkstatt eines ersten Londoner Schneiders.
Um Patterson und die Nummer seines Zimmers dem Gedächtnis einzuprägen, bedurfte es für Philip natürlich keinerlei Mühe. Wie alle Angestellten des Hauses wandte er ihm besonderes Interesse zu, und er suchte, so oft Bill an den Posttisch kam, die Chance, ein paar Worte mit ihm zu reden.
»Wie geht’s, Mr. Patterson?«
»O, danke, alles in Ordnung.« Patterson antwortete von dem Telegramm aufblickend, das er soeben geöffnet hatte.
»Wann wird denn die Sache mit dem Holländer sein? Will natürlich hingehen.«
Bill zog die ohne Schneiderkunst breiten Schultern hoch: »Keine Ahnung, Sir. Brown, mein Manager, kabelt mir gerade, er hofft, in der letzten Januarwoche.« Dann schob er das zusammengefaltete Telegramm in die Seitentasche seines Sakkos, nickte und ging nach dem Frühstücksraum.
Keiner der sechs Grooms war fort, alle waren zur Stelle. Aber die Bank in der Nische war leer.
Wenn Philip Frühdienst hatte, holte er manchmal Marylin aus dem Real-Silk-Office ab. Es lag am mittleren Broadway auf der Höhe der Vierziger Straßen.
Der Winter hatte mit einem mächtigen Schneesturm eingesetzt. Er hatte Gebirgszüge von Wolken aus Nord-Nordwest zur Atlantischen Küste getrieben, und nun schneite es schon drei Tage und drei Nächte. Wenn in den Abendstunden dem Straßenpassanten am Broadway der Gedanke kam, aufwärts zu blicken, sah er durch einen dichten weißen Schleier hoch oben die Lichtreklamen nur als einen magisch bewegten Schein: Unklar umrissene helle Flecken tauchten auf und verschwanden, drehten sich im Kreis, wuchsen von links nach rechts in der Richtung der schreibenden Hand, verloschen dann und kamen wieder. Unten schob sich an den Häuserfronten entlang eine niedrige schwarze Mauer: New York auf dem Heimweg nach der täglichen Arbeit an Schreibmaschinen, Geschäftsbüchern und Kartotheken. Der Schnee auf dem Pflaster machte den Schritt unhörbar, vom Straßendamm her kamen Hupen, das Klingeln der Tramway und ungeduldige Rufe.
Philip erwartete Marylin im Haustor am Lift. Er trug ein kleines Paket, er wollte in seinem Zimmer zu Abend essen und dann auf ein Glas Tee zu Marylin kommen. Marylin aß um sieben, also verabredeten sie sich für acht.
Philip brachte ein paar Orangen mit, und für Marylin, die es gern hatte, ein paar Stück Konfekt und Schokolade.
Er zog eine Zigarettenschachtel hervor: »Darf ich?«
»Natürlich. O, Melachrino? – Dann will ich auch eine haben.«
»Sie rauchen?«
»Ja, manchmal. Das wußten Sie nicht?«
Sie sahen sich fast täglich, jeder wußte immer, was der andere tat, und doch wurde ihnen oft die unnatürliche Fremdheit klar, die zwischen ihnen herrschte.
Marylin kannte den Westen und den Mittelwesten, ihr war eine neue Stadt nicht so sehr ein großes Ereignis wie für Philip. Aber bei allem Neuen, das er sah, vergaß Philip an keinem Tag, was ihn nach New York geführt hatte. Er sprach fast nie zu Marylin darüber. Er wußte, daß es auch in ihr fortlebte. Er wollte warten, ohne ungeduldig zu werden, er schwieg, so viel Beherrschung es ihn auch manchmal kostete.
Das kleine Zimmer war überheizt, in Abständen pochte es in den Rohren, den Heizer im Keller hatten die Schneemassen wohl verführt, mehr zu tun, als nötig war.
Da saßen sie an einem Winterabend bei Tee und Früchten und Näschereien in diesem sehr kleinen Zimmer und rauchten jeder seine Zigarette.
Vielleicht sprachen sie so wenig, weil beide die Nähe der Gefahr spürten.
Marylin begann eine Orange zu öffnen. Dann hörte sie mittendrin auf.
»Was war im Bureau?«, unterbrach Philip das Schweigen.
»Nichts. Und im Hotel?«
»Auch nichts.«
Marylin war wieder mit der Orange beschäftigt. Sie hielt die Zigarette im Mundwinkel und bog den Kopf zurück, um den Rauch von den Augen fernzuhalten.
Philip war unvermittelt aufgestanden, war von seinem Platze nach der Zimmerecke gegangen, aber war doch nur drei oder vier Schritte von Marylin entfernt.
Er streifte mit beiden Händen über sein nach hinten gekämmtes Haar und sagte scheinbar sehr ruhig: »Ich weiß nicht – ich weiß nicht, ob es noch lange so gehen wird.«
Keine Antwort.
Marylins Finger, die die Orange teilen wollten, tasteten unsicher um die Frucht. Dann fiel ihre Zigarette zu Boden auf den Teppich. Sie bückte sich, Philip sprang gleichzeitig heran und war eher am Ziel.
Er kniete vor ihr. Marylin sah über ihn hinweg ins Leere, sie spürte zwei Hände auf ihren Knien.
Sie fühlte, daß sie zu zittern begann, schnellte in die Höhe. Philip stand neben ihr, ganz nahe neben ihr.
Da legte er seinen Arm um ihre Schultern und preßte sie, die keinen Widerstand leistete, an sich.
Seine Hand glitt über ihren Rücken abwärts zur schlanken Hüfte. Er spürte den Duft dieses Körpers, dem er zum erstenmal so nahe war. Ein neuer, fremdartiger, süßer Duft, er zog ihn zögernd, aber gierig ein.
Er suchte ihre Lippen, dann ergriff er ihre Hände, küßte beide närrisch auf Rücken und Innenflächen, drückte ihre Finger gegen seine Stirn und stürzte ohne Hut aus dem heißen Zimmer.
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