Kitabı oku: «Die Wahrheit kann warten», sayfa 2
EINIGE WORTE ÜBER DEN PANTHEISMUS
§ 68 Die in jetziger Zeit unter den Philosophieprofessoren geführte Kontroverse zwischen Theismus und Pantheismus könnte man allegorisch und dramatisch darstellen durch einen Dialog, der im Parterre eines Schauspielhauses in Mailand während der Vorstellung geführt würde. Der eine Kollokutor, überzeugt, sich in dem großen, berühmten Puppenspieltheater des Girolamo zu befinden, bewundert die Kunst, mit welcher der Direkteur die Puppen verfertigt hat und das Spiel lenkt. Der andere sagt dagegen: Ganz und gar nicht! Sondern man befände sich im Teatro della Scala, der Direkteur und seine Gesellen spielten selbst mit und steckten in den Personen, die man da vor sich sehe, wirklich drin; auch der Dichter spiele mit.
Ergötzlich aber ist es zu sehen, wie die Philosophieprofessoren mit dem Pantheismus wie mit einer verbotenen Frucht liebäugeln und nicht das Herz haben, zuzugreifen. Ihr Verhalten dabei habe ich bereits in der Abhandlung über die Universitätsphilosophie geschildert, wobei wir an den Weber Bottom im Johannisnachtstraum erinnert wurden. – Ach, es ist doch ein saures Stück Brot, das Philosophieprofessorenbrot! Erst muss man nach der Pfeife des Ministers tanzen, und wenn man nun das recht zierlich geleistet hat, da kann man draußen noch angefallen werden von den wilden Menschenfressern, den wirklichen Philosophen: Die sind imstande, einen einzustecken und mitzunehmen, um ihn als Taschenpulcinello zur Aufheiterung bei ihren Darstellungen gelegentlich hervorzuziehen.
§ 69 Gegen den Pantheismus habe ich hauptsächlich nur dieses: dass er nichts besagt. Die Welt Gott nennen heißt nicht, sie erklären, sondern nur die Sprache mit einem überflüssigen Synonym des Wortes Welt bereichern. Ob ihr sagt „Die Welt ist Gott“ oder „Die Welt ist die Welt“ läuft auf eins hinaus. Zwar wenn man dabei von Gott, als wäre er das Gegebene und zu Erklärende ausgeht, also sagt: „Gott ist die Welt“, da gibt es gewissermaßen eine Erklärung, sofern es doch ignotum auf notius4 zurückführt; doch ist es nur eine Worterklärung. Allein wenn man von dem wirklich Gegebenen, also der Welt, ausgeht und sagt „Die Welt ist Gott“, da liegt am Tage, dass damit nichts gesagt oder wenigstens ignotum per ignotius5 erklärt ist.
Daher eben setzt der Pantheismus den Theismus als ihm vorhergegangen voraus: Denn nur sofern man von einem Gott ausgeht, also ihn schon vorweg hat und mit ihm vertraut ist, kann man zuletzt dahin kommen, ihn mit der Welt zu identifizieren, eigentlich, um ihn auf eine anständige Art zu beseitigen. Man ist nämlich nicht unbefangen von der Welt als dem zu Erklärenden ausgegangen, sondern von Gott als dem Gegebenen. Nachdem man aber bald mit diesem nicht mehr wusste wohin, da hat die Welt seine Rolle übernehmen sollen. Dies ist der Ursprung des Pantheismus. Denn von vornherein und unbefangenerweise diese Welt für einen Gott anzusehen wird keinem einfallen. Es müsste ja offenbar ein übel beratener Gott sein, der sich keinen besseren Spaß zu machen verstände, als sich in eine Welt wie die vorliegende zu verwandeln, in so eine hungrige Welt, um daselbst in Gestalt zahlloser Millionen lebender, aber geängstigter und gequälter Wesen, die sämtlich nur dadurch eine Weile bestehen, dass eines das andere auffrisst, Jammer, Not und Tod ohne Maß und Ziel zu erdulden, zum Beispiel in Gestalt von sechs Millionen Negersklaven, täglich, im Durchschnitt, sechzig Millionen Peitschenhiebe auf bloßem Leibe zu empfangen und in Gestalt von drei Millionen europäischer Weber unter Hunger und Kummer in dumpfigen Kammern oder trostlosen Fabriksälen schwach zu vegetieren und dergleichen mehr. Das wäre mir eine Kurzweil für einen Gott, der als solcher es doch ganz anders gewohnt sein müsste!
Demnach ist der vermeintliche große Fortschritt vom Theismus zum Pantheismus, wenn man ihn ernstlich und nicht bloß als maskierte Negation, wie oben angedeutet, nimmt, ein Übergang vom Unerwiesenen und schwer Denkbaren zum geradezu Absurden. Denn so undeutlich, schwankend und verworren der Begriff auch sein mag, den man mit dem Worte Gott verbindet, so sind doch zwei Prädikate davon unzertrennlich: die höchste Macht und die höchste Weisheit. Dass nun ein mit diesen ausgerüstetes Wesen sich selbst in die oben beschriebene Lage versetzt haben sollte, ist geradezu ein absurder Gedanke. Denn unsere Lage in der Welt ist offenbar eine solche, in die sich kein intelligentes, geschweige denn ein allweises Wesen versetzen wird. – Pantheismus ist notwendig Optimismus und daher falsch. Der Theismus hingegen ist bloß unerwiesen, und wenn es auch schwer zu denken fällt, dass die unendliche Welt das Werk eines persönlichen, mithin individuellen Wesens, dergleichen wir nur aus der animalischen Natur kennen, sei, so ist es doch nicht geradezu absurd. Denn dass ein allmächtiges und dabei allweises Wesen eine gequälte Welt schaffe, lässt sich immer noch denken, wenngleich wir das Warum dazu nicht kennen. Daher, selbst wenn man demselben auch noch die Eigenschaft der höchsten Güte beilegt, die Unerforschlichkeit seines Ratschlusses die Ausflucht wird, durch welche eine solche Lehre immer noch dem Vorwurf der Absurdität entgeht. Aber bei der Annahme des Pantheismus ist der schaffende Gott selbst der endlos Gequälte und, auf dieser kleinen Erde allein, in jeder Sekunde einmal Sterbende, und solches ist er aus freien Stücken. Das ist absurd. Viel richtiger wäre es, die Welt mit dem Teufel zu identifizieren. […]
Offenbar geben diese Pantheisten dem Sansara6 den Namen Gott. Denselben Namen geben hingegen die Mystiker dem Nirwana. Von diesem erzählen sie jedoch mehr als sie wissen können, welches die Buddhisten nicht tun, daher ihr Nirwana eben ein relatives Nichts ist. – In seinem eigentlichen und richtigen Sinn gebrauchen das Wort Gott die Synagoge, die Kirche und der Islam. Wenn unter den Theisten welche sind, die unter dem Namen Gott das Nirwana verstehen, so wollen wir um den Namen mit ihnen nicht streiten. Die Mystiker sind es, welche es so zu verstehen scheinen. Re intellecta, in verbis simus faciles.7
Der heutzutage oft gehörte Ausdruck „Die Welt ist Selbstzweck“ lässt unentschieden, ob man sie durch Pantheismus oder durch bloßen Fatalismus erkläre, gestattet aber jedenfalls nur eine physische, keine moralische Bedeutung derselben, indem, bei Annahme dieser letzteren, die Welt allemal sich als Mittel darstellt zu einem höheren Zweck. Aber eben jener Gedanke, dass die Welt bloß eine physische, keine moralische Bedeutung habe, ist der heilloseste Irrtum, entsprungen aus der größten Perversität des Geistes.
4 Das Unbekannte auf Bekannteres.
5 Das Unbekannte durch das noch Unbekanntere.
6 Immerwährender Zyklus des Seins bzw. Kreislauf der Wiedergeburten in den indischen Religionen (Hinduismus, Jainismus, Buddhismus).
7 Etwa: Wenn das Verständnis der Sache gegeben ist, dann mögen wir nicht um Worte streiten.
ZUR PHILOSOPHIE UND WISSENSCHAFT DER NATUR
§ 70 Die Natur ist der Wille, sofern er sich selbst außer sich erblickt, wozu sein Standpunkt ein individueller Intellekt sein muss. Dieser ist ebenfalls sein Produkt.
§ 72 Wenn man betrachtet, wie die Natur, während sie um die Individuen wenig besorgt ist, mit so übertriebener Sorgfalt über die Erhaltung der Gattung wacht, mittels der Allgewalt des Geschlechtstriebes und vermöge des unberechenbaren Überschusses der Keime, welcher, bei Pflanzen, Fischen, Insekten, das Individuum oft mit mehreren Hunderttausenden zu ersetzen bereit ist, so kommt man auf die Vermutung, dass, wie der Natur die Hervorbringung des Individuums ein Leichtes ist, so die ursprüngliche Hervorbringung einer Gattung ihr äußerst schwer werde. Demgemäß sehen wir diese nie neu erstehen […] und die höchst wenigen untergegangenen Species der jetzt die Erde bevölkernden Fauna […] vermag die Natur, obwohl sie in ihrem Plan gelegen haben, nicht wieder zu ersetzen – daher wir stehen und uns wundern, dass es unserer Gier gelungen ist, ihr einen solchen Streich zu spielen.
§ 74 Unter philosophisch rohen Leuten, denen alle die beizuzählen sind, welche die kantische Philosophie nicht studiert haben […], welche getrost auf der Grundlage ihres Katechismus philosophieren, besteht noch der alte, grundsätzliche Gegensatz zwischen Geist und Materie. […]
In Wahrheit aber gibt es weder Geist noch Materie, wohl aber viel Unsinn und Hirngespinste in der Welt. Das Streben der Schwere im Stein ist geradeso unerklärlich wie das Denken im Menschlichen Gehirn, würde also aus diesem Grund auch auf einen Geist im Stein schließen lassen. Ich würde daher zu jenen Disputanten sagen: Ihr glaubt eine tote, das heißt vollkommen passive und eigenschaftslose Materie zu erkennen, weil ihr alles das wirklich zu verstehen wähnt, was ihr auf mechanische Wirkung zurückzuführen vermögt. Aber wie die physikalischen und chemischen Wirkungen euch eigenständig unbegreiflich sind, solange ihr sie nicht auf mechanische zurückzuführen wisst, geradeso sind diese mechanischen Wirkungen selbst, also die Äußerungen, welche aus der Schwere, der Undurchdringlichkeit, der Kohäsion, der Härte, der Starrheit, der Elastizität, der Fluidität usw. hervorgehen, ebenso geheimnisvoll wie jene, ja, wie das Denken im Menschenkopf. Kann die Materie, ihr wisst nicht warum, zur Erde fallen, so kann sie auch, ihr wisst nicht warum, denken. Das wirklich rein und durch und durch, bis auf das Letzte, Verständliche in der Mechanik geht nicht weiter als das rein Mathematische in jeder Erklärung, ist also beschränkt auf Bestimmungen des Raumes und der Zeit. Nun sind aber diese beiden, samt ihrer ganzen Gesetzlichkeit, uns a priori bewusst, sind daher bloße Formen unseres Erkennens und gehören ganz allein unseren Vorstellungen an. Ihre Bestimmungen sind also im Grunde subjektiv und betreffen nicht das rein Objektive, das von unserer Erkenntnis Unabhängige, das Ding an sich selbst. Sobald wir aber selbst in der Mechanik weiter gehen als das rein Mathematische, sobald wir zur Undurchdringlichkeit, zur Schwere, zur Starrheit oder Fluidität oder Gaseität kommen, stehen wir schon bei Äußerungen, die uns ebenso geheimnisvoll sind wie das Denken und Wollen des Menschen, also beim direkt Unergründlichen: Denn ein solches ist jede Naturkraft. Wo bleibt nun also jene Materie, die ihr so intim kennt und versteht, dass ihr alles aus ihr erklären, alles auf sie zurückführen wollt? – Rein begreiflich und ganz ergründlich ist immer nur das Mathematische, weil es das im Subjekt, in unserem eigenen Vorstellungsapparat Wurzelnde ist. Sobald aber etwas eigentlich Objektives auftritt, etwas a priori nicht Bestimmbares, da ist es auch sofort in letzter Instanz unergründlich. Was überhaupt Sinne und Verstand wahrnehmen, ist eine ganz oberflächliche Erscheinung, die das wahre und innere Wesen der Dinge unberührt lässt. Das wollte Kant. Nehmt ihr nun im Menschenkopf, als Deus ex machina, einen Geist an, so müsst ihr, wie gesagt, auch jedem Stein einen Geist zugestehen. Kann hingegen eure tote und rein passive Materie als Schwere streben oder als Elektrizität anziehen, abstoßen und Funken schlagen, so kann sie auch als Gehirnbrei denken. Kurz, jedem angeblichen Geist kann man Materie, aber auch jeder Materie Geist unterlegen, woraus sich ergibt, dass der Gegensatz falsch ist. […]
§ 93 Das Leben lässt sich definieren als der Zustand eines Körpers, darin er, unter beständigem Wechsel der Materie, seine ihm wesentliche (substanzielle) Form allezeit behält. – Wollte man mir einwenden, dass auch ein Wasserstrudel oder Wasserfall seine Form unter stetem Wechsel der Materie behält, so wäre zu antworten, dass bei diesen die Form durchaus nicht wesentlich, sondern, allgemeine Naturgesetze befolgend, durch und durch zufällig ist, indem sie von äußeren Umständen abhängt, durch deren Veränderung man auch die Form beliebig ändern kann, ohne dadurch das Wesentliche anzutasten.
§ 99 Mir hat die Ansicht gar sehr eingeleuchtet, dass die akuten Krankheiten, von einigen Ausnahmen abgesehen, nichts anderes sind als Heilungsprozesse, welche die Natur selbst einleitet, zur Abstellung irgendeiner im Organismus eingerissenen Unordnung; zu welchem Zwecke nun die vis naturae medicatrix8, mit diktatorischer Gewalt bekleidet, außerordentliche Maßregeln ergreift, und diese machen die fühlbare Krankheit aus. Den einfachsten Typus dieses so allgemeinen Hergangs liefert uns der Schnupfen. Durch Erkältung ist die Tätigkeit der äußeren Haut paralysiert und hierdurch die so mächtige Exkretion mittels der Exhalation9 aufgehoben, welches den Tod des Individuums herbeiführen könnte. Da tritt alsbald die innere Haut, die Schleimhaut, für jene äußere vikarierend10 ein: Hierin besteht der Schnupfen, eine Krankheit. Offenbar ist aber diese bloß das Heilmittel des eigentlichen, aber nicht fühlbaren Übels, des Stillstandes der Hautfunktion. Diese Krankheit, der Schnupfen, durchläuft nun dieselben Stadien wie jede andere: den Eintritt, die Steigerung, die Akme11 und die Abnahme. Anfangs akut, wird sie allmählich chronisch und hält nun als solche an, bis das fundamentale, aber selbst nicht fühlbare Übel, die Lähmung der Hautfunktion, vorüber ist. Daher ist es lebensgefährlich, den Schnupfen zurückzutreiben. Derselbe Hergang macht das Wesen der allermeisten Krankheiten aus, und diese sind eigentlich nur das Medikament der vis naturae medicatrix. […]
8 Die heilende Kraft der Natur.
9 Ausscheidung mittels Ausdünstung.
10Stellvertretend.
11Höhepunkt.
ZUR ETHIK
§ 108 Physikalische Wahrheiten können viel äußere Bedeutsamkeit haben, aber die innere fehlt ihnen. Diese ist das Vorrecht der intellektuellen und moralischen Wahrheiten, welche die höchsten Stufen der Objektivation des Willens zum Thema haben, während jene die niedrigsten. Zum Beispiel wenn wir Gewissheit darüber erlangen, dass, wie man jetzt nur mutmaßt, die Sonne am Äquator Thermoelektrizität, diese den Magnetismus der Erde und dieser das Polarlicht verursacht, so wären diese Wahrheiten von vieler äußeren Bedeutsamkeit, an innerer aber arm. Beispiele von dieser letzteren hingegen liefern nicht nur alle hohen und wahren Philosopheme, sondern auch die Katastrophe jedes guten Trauerspiels, ja auch die Beobachtung menschlichen Handelns in den extremen Äußerungen der Moralität und Immoralität desselben, also der Bosheit und Güte: Denn in allen diesen tritt das Wesen hervor, dessen Erscheinung die Welt ist, und legt, auf der höchsten Stufe der Objektivation, sein Inneres zutage.
§ 109 Dass die Welt bloß eine physische, keine moralische Bedeutung habe, ist der größte, der verderblichste, der fundamentale Irrtum, die eigentliche Perversität der Gesinnung, und ist wohl im Grunde auch das, was der Glaube als den Antichrist personifiziert hat. Dennoch und allen Religionen zum Trotz, welche sämtlich das Gegenteil davon behaupten und solches in ihrer mythischen Weise zu begründen suchen, stirbt jener Grundirrtum nie ganz auf Erden aus, sondern erhebt immer, von Zeit zu Zeit, sein Haupt von Neuem, bis ihn die allgemeine Indignation abermals zwingt, sich zu verstecken. […]
§ 114 Immer von Neuem fühlt sich, wer unter Menschen lebt, zu der Annahme versucht, dass moralische Schlechtigkeit und intellektuelle Unfähigkeit eng zusammenhängen, indem sie direkt einer Wurzel entsprössen. […] Jener Anschein, der bloß daraus entspringt, dass man beide so gar oft beisammen findet, ist gänzlich aus dem sehr häufigen Vorkommen beider zu erklären, infolgedessen ihnen leicht begegnet, unter einem Dache wohnen zu müssen. Dabei ist aber nicht zu leugnen, dass sie einander zu gegenseitigem Vorteil in die Hände spielen, wodurch denn die so unerfreuliche Erscheinung zustande kommt, welche nur zu viele Menschen darbieten, und die Welt geht, wie sie geht. Namentlich ist der Unverstand dem deutlichen Sichtbarwerden der Falschheit, Niederträchtigkeit und Bosheit günstig, während die Klugheit diese besser zu verhüllen versteht. Und wie oft hindert andererseits die Perversität des Herzens den Menschen, Wahrheiten einzusehen, denen sein Verstand ganz wohl gewachsen wäre.
Jedoch, es erhebe sich keiner. Wie jeder, auch das größte Genie, in irgendeiner Sphäre der Erkenntnis entschieden borniert ist und dadurch seine Stammverwandtschaft mit dem wesentlich verkehrten und absurden Menschengeschlecht beurkundet, so trägt auch jeder moralisch etwas durchaus Schlechtes in sich, und selbst der beste, ja edelste Charakter wird uns bisweilen durch einzelne Züge von Schlechtigkeit überraschen, gleichsam, um seine Verwandtschaft mit dem Menschengeschlecht, unter welchem jeder Grad von Nichtswürdigkeit, ja Grausamkeit, vorkommt, anzuerkennen. Denn gerade kraft dieses Schlechten in ihm, dieses bösen Prinzips, hat er ein Mensch werden müssen. Und aus demselben Grunde ist überhaupt die Welt das, als was mein treuer Spiegel derselben sie gezeigt hat. […]
Daher eben kommen die vierbeinigen Freundschaften so vieler Menschen besserer Art: Denn freilich, woran sollte man sich von der endlosen Verstellung, Falschheit und Heimtücke der Menschen erholen, wenn die Hunde nicht wären, in deren ehrliches Gesicht man ohne Misstrauen schauen kann? – Ist doch unsere zivilisierte Welt nur eine große Maskerade. Man trifft daselbst Ritter, Pfaffen, Doktoren, Advokaten, Priester, Philosophen und was nicht alles an! Aber sie sind nicht, was sie vorstellen: Sie sind bloße Masken, unter welchen, in der Regel, Geldspekulanten (moneymakers) stecken. Doch nimmt auch wohl einer die Maske des Rechts, die er sich dazu beim Advokaten geborgt hat, vor, bloß um auf einen anderen tüchtig losschlagen zu können; wieder einer hat, zum selben Zweck, die des öffentlichen Wohls und des Patriotismus gewählt; ein Dritter die der Religion, der Glaubensreinigkeit. Zu allerlei Zwecken hat schon mancher die Maske der Philosophie, wohl auch der Philanthropie und dergleichen mehr vorgesteckt. […]
Der Mensch ist im Grunde ein wildes, entsetzliches Tier. Wir kennen es bloß im Zustand der Bändigung und Zähmung, welche Zivilisation heißt. Daher erschrecken uns die gelegentlichen Ausbrüche seiner Natur. Aber wo und wann einmal Schloss und Kette der gesetzlichen Ordnung abgefallen und Anarchie eintritt, da zeigt sich, was er ist. – Wer inzwischen auch ohne solche Gelegenheit sich darüber aufklären möchte, der kann die Überzeugung, dass der Mensch an Grausamkeit und Unerbittlichkeit keinem Tiger und keiner Hyäne nachsteht, aus hundert alten und neuen Berichten schöpfen. […]
Gobineau (des races humaines12) hat den Menschen l’animal méchant par excellence13 genannt, welches die Leute übel nehmen, weil sie sich getroffen fühlen. Er hat aber recht. Denn der Mensch ist das einzige Tier, welches anderen Schmerz verursacht ohne weiteren Zweck als eben diesen. Die anderen Tiere tun es nie anders, als um ihren Hunger zu befriedigen, oder im Zorn des Kampfes. Wenn dem Tiger nachgesagt wird, er töte mehr, als er auffresse, so würgt er alles doch nur in der Absicht, es zu fressen, und es liegt bloß daran, dass, wie die französische Redensart es ausdrückt, ses yeux sont plus grands que son estomac14. Kein Tier jemals quält, bloß um zu quälen, aber dies tut der Mensch, und dies macht den teuflischen Charakter aus, der weit ärger ist als der bloß tierische. Von der Sache im Großen ist schon geredet, aber auch im Kleinen wird sie deutlich, wo denn jeder sie zu beobachten täglich Gelegenheit hat. Zum Beispiel wenn zwei junge Hunde miteinander spielen, so friedlich und lieblich anzusehen – und ein Kind von drei bis vier Jahren kommt dazu, so wird es sogleich mit seiner Peitsche oder seinem Stock heftig dareinschlagen, fast unausbleiblich, und dadurch zeigen, dass es schon jetzt l’animal méchant par excellence ist. Sogar auch die so häufige zwecklose Neckerei und der Schabernack entspringen aus dieser Quelle. Zum Beispiel hat man etwa über irgendeine Störung oder sonstige kleine Unannehmlichkeit sein Missbehagen geäußert, so wird es nicht an Leuten fehlen, die sie gerade deshalb zuwege bringen: l’animal méchant par excellence! Dies ist so gewiss, dass man sich hüten soll, sein Missfallen an kleinen Übelständen zu äußern, sogar auch umgekehrt sein Wohlgefallen an irgendeiner Kleinigkeit. Denn im letzteren Fall werden sie es machen wie jener Gefängniswärter, der, als er entdeckte, dass sein Gefangener das mühsame Kunststück vollbracht hatte, eine Spinne zahm zu machen, und an ihr seine Freude hatte, sie sogleich zertrat: l’animal méchant par excellence! Darum fürchten alle Tiere instinktmäßig den Anblick, ja die Spur des Menschen – des animal méchant par excellence. Der Instinkt trügt auch hier nicht: Denn allein der Mensch macht Jagd auf das Wild, welches ihm weder nützt noch schadet. […]
Wirklich also liegt im Herzen eines jeden ein wildes Tier, das nur auf Gelegenheit wartet, um zu toben und zu rasen, indem es andern wehe tun und, wenn sie gar ihm den Weg versperren, sie vernichten möchte: Es ist eben das, woraus alle Kampf- und Kriegslust entspringt; und eben das, welches zu bändigen und einigermaßen in Schranken zu halten die Erkenntnis, sein beigegebener Wächter, stets vollauf zu tun hat. Immerhin mag man es das radikale Böse nennen, womit wenigstens denen, welchen ein Wort die Stelle einer Erklärung vertritt, gedient sein wird. Ich aber sage: Es ist der Wille zum Leben, der, durch das stete Leiden des Daseins mehr und mehr erbittert, seine eigene Qual durch das Verursachen der Fremden zu erleichtern sucht. Aber auf diesem Wege entwickelt er sich allmählich zur eigentlichen Bosheit und Grausamkeit. Auch kann man hierzu die Bemerkung machen, dass, wie – nach Kant – die Materie nur durch den Antagonismus der Expansions- und Kontraktionskraft besteht, so die menschliche Gesellschaft nur durch den des Hasses, oder Zorns, und der Furcht. Denn die Gehässigkeit unserer Natur würde vielleicht jeden einmal zum Mörder machen, wenn ihr nicht eine gehörige Dosis Furcht beigegeben wäre, um sie in Schranken zu halten; und wiederum diese allein würde ihn zum Spott und Spiel jedes Buben machen, wenn nicht in ihm der Zorn bereit läge und Wache hielte.
Der schlechteste Zug in der menschlichen Natur bleibt aber die Schadenfreude, da sie der Grausamkeit eng verwandt ist, ja eigentlich von dieser sich nur wie Theorie und Praxis unterscheidet, überhaupt aber da eintritt, wo das Mitleid seine Stelle finden sollte, welches, als ihr Gegenteil, die wahre Quelle aller echten Gerechtigkeit und Menschenliebe ist. In einem andern Sinne dem Mitleid entgegengesetzt ist der Neid, sofern er nämlich durch den entgegengesetzten Anlass hervorgerufen wird: Sein Gegensatz zum Mitleid beruht also zunächst auf dem Anlass, und erst infolge hiervon zeigt er sich auch in der Empfindung selbst. Daher eben ist der Neid, wenngleich verwerflich, doch noch einer Entschuldigung fähig und überhaupt menschlich, während die Schadenfreude teuflisch und ihr Hohn das Gelächter der Hölle ist. Sie tritt, wie gesagt, gerade da ein, wo Mitleid eintreten sollte; der Neid hingegen doch nur da, wo kein Anlass zu diesem, vielmehr zum Gegenteil desselben vorhanden ist; und eben als dieses Gegenteil entsteht er in der menschlichen Brust, mithin so weit noch als eine menschliche Gesinnung: Ja, ich befürchte, dass keiner ganz frei davon befunden werden wird. Denn dass der Mensch beim Anblick fremden Genusses und Besitzes den eigenen Mangel bitterer fühle, ist natürlich, ja unvermeidlich; nur sollte dies nicht seinen Hass gegen den Beglückteren erregen. Gerade hierin aber besteht der eigentliche Neid. […]
Wenn man nun aber, wie hier geschehen, die menschliche Schlechtigkeit ins Auge gefasst hat und sich darüber entsetzen möchte, so muss man alsbald den Blick auf den Jammer des menschlichen Daseins werfen und wieder ebenso, wenn man vor diesem erschrocken ist, auf jene: Da wird man finden, dass sie einander das Gleichgewicht halten, und wird der ewigen Gerechtigkeit inne werden, indem man merkt, dass die Welt selbst das Weltgericht ist, und zu begreifen anfängt, warum alles, was lebt, sein Dasein abbüßen muss, erst im Leben und dann im Sterben. So nämlich tritt das malum poenae15 mit dem malum culpae16 in Übereinstimmung. […]
§ 117 Man hat die Frage aufgeworfen, was zwei Menschen, die in der Wildnis, jeder ganz einsam, aufgewachsen wären und sich zum ersten Male begegneten, tun würden: Hobbes, Pufendorf, Rousseau haben sie entgegengesetzt beantwortet. Pufendorf glaubte, sie würden sich liebevoll entgegenkommen; Hobbes hingegen, feindlich; Rousseau, schweigend aneinander vorübergehen. Alle drei haben recht und unrecht: Gerade da würde sich die unermessliche Verschiedenheit angeborener moralischer Disposition der Individuen in so hellem Lichte zeigen, dass hier gleichsam der Maßstab und Gradmesser derselben wäre. Denn Menschen gibt es, in denen der Anblick des Menschen sogleich ein feindliches Gefühl aufregt, indem ihr Innerstes den Ausspruch tut: „Nicht-Ich!“ – Und andere gibt es, bei welchen jener Anblick sogleich freundliche Teilnahme erregt; ihr Inneres sagt: „Ich noch einmal!“ – Dazwischen liegen unzählige Grade. – Aber dass wir in diesem Hauptpunkt so grundverschieden sind, ist ein großes Problem, ja ein Mysterium. […]
§ 119 Das Beispiel wirkt zunächst entweder hemmend oder befördernd. Ersteres, wenn es den Menschen bestimmt, zu unterlassen, was er gern täte. Er sieht nämlich, dass andere es nicht tun, woraus er im Allgemeinen abnimmt, dass es nicht rätlich sei, also wohl der eigenen Person, oder dem Eigentum, oder der Ehre Gefahr bringen müsse: Daran hält er sich und sieht sich gern eigener Untersuchung überhoben. Oder er sieht gar, dass ein anderer, der es getan hat, schlimme Folgen davonträgt: Dies ist das abschreckende Bespiel. Befördernd hingegen wirkt das Beispiel auf zweierlei Weise: nämlich entweder so, dass es den Menschen bewegt, zu tun, was er gern unterließe, jedoch ebenfalls besorgt, dass die Unterlassung ihm irgendwelche Gefahr bringen oder ihm in der Meinung anderer schaden könne; oder aber es wirkt so, dass es ihn ermutigt, zu tun, was er gern tut, jedoch bisher aus Furcht vor Gefahr oder Schande unterließ: Dies ist das verführerische Beispiel. Endlich kann auch noch das Beispiel ihn auf etwas bringen, das ihm sonst gar nicht eingefallen wäre. Offenbar wirkt es in diesem Fall zunächst nur auf den Intellekt. Die Wirkung auf den Willen ist dabei sekundär und wird, wenn sie eintritt, durch einen Akt eigener Urteilskraft oder durch Zutrauen auf den, der das Beispiel gibt, vermittelt werden. – Die gesamte, sehr starke Wirkung des Beispiels beruht darauf, dass der Mensch in der Regel zu wenig Urteilskraft, oft auch zu wenig Kenntnis hat, um seinen Weg selbst zu explorieren, daher er gern in die Fußstapfen anderer tritt. Demnach wird jeder dem Einfluss des Beispiels umso mehr offenstehen, je mehr es ihm an jenen beiden Befähigungen gebricht. Diesem gemäß ist der Leitstern der allermeisten Menschen das Beispiel anderer, und ihr ganzes Tun und Treiben, im Großen wie im Kleinen, läuft auf bloße Nachahmung zurück: Nicht das Geringste tun sie aus eigenem Ermessen. Die Ursache hiervon ist ihre Scheu vor allem und jedem Nachdenken und ihr gerechtes Misstrauen gegen das eigene Urteil. Zugleich zeugt dieser so auffallend starke Nachahmungstrieb im Menschen auch von seiner Verwandtschaft mit dem Affen. Nachahmung und Gewohnheit sind die Triebfedern des allermeisten Tuns der Menschen. Die Art der Wirkung des Beispiels aber wird durch den Charakter eines jeden bestimmt: Daher dasselbe Beispiel auf den einen verführerisch, auf den andern abschreckend wirken kann. Dies zu beobachten geben gewisse gesellschaftliche Unarten, welche, früher nicht vorhanden, allmählich einreißen, uns leicht Gelegenheit. Beim ersten Wahrnehmen einer solchen wird einer denken: „Pfui, wie lässt das! Wie egoistisch, wie rücksichtslos! Wahrlich, ich will mich hüten, je Dergleichen zu tun.“ Zwanzig andere aber werden denken: „Aha! Tut der das, darf ich‘s auch!“
In moralischer Hinsicht kann das Beispiel, eben wie die Lehre, zwar eine zivile oder legale Besserung befördern, jedoch nicht die innerliche, welches die eigentliche moralische ist. Denn es wirkt stets nur als ein persönliches Motiv, folglich unter Voraussetzung der Empfänglichkeit für solche Art der Motive. Aber gerade dies, ob ein Charakter für diese oder für jene Art der Motive überwiegend empfänglich sei, ist für die eigentliche und wahre, jedoch stets nur angeborene Moralität desselben entscheidend. Überhaupt wirkt das Beispiel als ein Beförderungsmittel des Hervortretens der guten und schlechten Charaktereigenschaften, aber es schafft sie nicht; daher Senecas Ausspruch velle non discitur17 auch hier Stich hält. Dass das Angeborensein aller echten moralischen Eigenschaften, der guten wie der schlechten, besser zur Metempsychosenlehre18 der Brahmanisten und Buddhisten, derzufolge „dem Menschen seine guten und schlechten Taten aus einer Existenz in die andere, wie sein Schatten, nachfolgen“, als zum Judentum passt, welches vielmehr erfordert, dass der Mensch als moralische Null auf die Welt komme, um nun, vermöge eines undenkbaren liberum arbitrium indifferentiae19, sonach infolge vernünftiger Überlegung, sich zu entscheiden, ob er ein Engel oder ein Teufel oder was sonst etwa zwischen beiden liegt, sein wolle – das weiß ich sehr wohl, kehre mich aber durchaus nicht daran: Denn meine Standarte ist die Wahrheit. Bin ich doch eben kein Philosophieprofessor und erkenne daher nicht meinen Beruf darin, nur vor allen Dingen die Grundgedanken des Judentums sicherzustellen, selbst wenn solche aller und jeder philosophischen Erkenntnis auf immer den Weg verrennen sollten. Liberum arbitrium indifferentiae, unter dem Namen „die sittliche Freiheit“, ist eine allerliebste Spielpuppe für Philosophieprofessoren, die man ihnen lassen muss – den geistreichen, redlichen und aufrichtigen.
12Über die menschlichen Rassen.
13Das schlechterdings böse Tier.
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