Kitabı oku: «Wie Satan starb », sayfa 8
IX
Landrat und Oberst verständigten sich innerhalb weniger Augenblicke.
Schließlich sagte der Oberst:
»Das Aeußerste, was ich konzedieren könnte, wäre, daß Ihr Schwager seinen Arrest erst nach Ihrer und seiner Braut Abreise antritt.«
»Im Interesse der militärischen Disziplin glaube ich, dies Entgegenkommen nicht erbitten zu sollen,« erwiderte der Landrat. »Der Vorgang als solcher und das Verhalten meines Schwagers Herrn Oberst gegenüber ist derart skandalös, daß bei mir jedes verwandtschaftliche Gefühl hinter dem was das vaterländische Interesse erheischt, zurücktritt.«
»Nach dem Geist, der, wie ich aus Ihren Worten entnehme, bei Ihnen herrscht, habe ich für das renitente Wesen Ihres Schwagers, der so gar nicht weiß, was er als Offizier im neutralen Auslande seinem Vaterlande schuldig ist, kein Verständnis.«
»Es gibt in jeder Familie Außenseiter, Herr Oberst,« entschuldigte sich der Landrat. »Wir haben schon viel mit ihm durchgemacht. Aber wie das so ist: der Vater früh gestorben und die Mutter dem einzigen Sohne gegenüber schwach.«
»Er sollte aktiv werden,« meinte der Oberst. »Da ist die Aussicht, daß er ein brauchbarer Mensch wird, am größten.«
»Wenn Sie ihn dazu bestimmen könnten, Herr Oberst!«
»Ich? Das glaube ich kaum. Aber Sie, die Familie, sollte es versuchen.«
Draußen läutete es.
»Wer kommt denn jetzt noch?« fragte der Oberst. Im selben Augenblick hörte man im Flur auch schon Margots Stimme:
»Ich weiß, daß er Besuch hat. Der Landrat von Moll ist bei ihm. Dessenwegen gerade komme ich; um ihn unschädlich zu machen.«
»Was bedeutet denn das?« fragte der Oberst erstaunt und riß die Tür auf, in der im selben Augenblick auch schon Margot stand.
»Sie wünschen?« fragte der Oberst.
»Sie zu sprechen.«
»Jetzt?«
»Ja! Sofort. Ich bin Margot Rosen.«
»Das besagt nichts,« fiel ihr der verdutzte Oberst ins Wort.
»O doch!« widersprach sie. »In diesem Falle besagt das viel. Insofern nämlich, als ich die Braut Dr. von Reinharts, und dadurch notwendigerweise die Schwägerin dieses Herrn da bin.«
Der Oberst veränderte Haltung und Benehmen, schlug die Hacken zusammen und stellte sich vor:
»Von Strachwitz. – Sie sprechen vermutlich von dem Oberleutnant von Reinhart,« sagte er.
»Ja, gibt es denn zwei dieses Namens?«
»Das nicht. Aber für uns hier gibt es nur einen Oberleutnant von Reinhart.«
»Das ist mir zu hoch,« erwiderte Margot. »Im übrigen: ich meine Peter; Sie auch?«
»Allerdings!«
»Na, also. Und dieses Peters wegen, hören Sie, habe ich fünf Jahre lang alle Partien, darunter die glänzendsten, ausgeschlagen. Und das, ohne zu wissen, ob ich ihn je wiedersehe. Wissen Sie, wie man das nennt? Treue. Herr Strachwitz?«
»Von Strachwitz,« verbesserten Oberst und Landrat gleichzeitig.
»Meinetwegen von Strachwitz,« wiederholte Margot. »Das ändert ja doch an der Sache nichts. Und an Ihnen als Menschen am Ende auch nichts.«
Oberst und Landrat widersprachen.
»Gut! Gut!« erwiderte Margot. »Es soll nicht wieder vorkommen! – Jedenfalls: nach fünfjährigem Warten taucht Peter endlich wieder auf. Und zwar ausgerechnet hier oben, wo sich die Füchse Gute Nacht sagen. Mama, die eine sehr kluge Frau ist, meinte: Hast du fünf Jahre auf ihn gewartet, so wird es auf die paar Monate auch nicht mehr ankommen. Laß dich suchen, mein Kind, dräng’ dich nicht auf! Mama hat ja recht. Aber ich hatte mich in diesen Peter nun mal so hineingeredet, daß ich viel zu unruhig und neugierig war, um geduldig in Berlin zu sitzen und weiter auf ihn zu warten. Ich ließ also alles im Stich – ich kann Ihnen sagen, Herr Oberst, es ist viel los jetzt in Berlin, fragen Sie nur Ihren Gesinnungsgenossen, den Herrn Landrat, der weiß Bescheid! – Also ich auf und hierher, eine endlose Reise! Und noch dazu in einer Gesellschaft – na, ich sag’ lieber nichts, sonst ersucht mich der Landrat wieder ›ebenso höflich wie dringend‹, und schließlich, ich habe ja auch kein Interesse daran, Sie vor diesem Herrn von« – betonte sie – »Strachwitz lächerlich zu machen. Kurz und gut: abgehetzt komme ich nach endloser Fahrt hier an, um endlich meinen Bräutigam kennen zu lernen. Zeit war es wahrhaftig! Jeder Mensch fragt einen: wie ist er? wie sieht er aus? Ja, man muß doch etwas antworten. Natürlich habe ich ein genaues Bild von ihm entworfen. Also, ich platze vor Neugier, mich zu überzeugen, ob ich ihn so einigermaßen richtig geschildert habe. Aber statt seiner erwartet mich sein Freund, der Lux, an der Bahn. Ein allerliebster Bursche, den ich selbstredend für Peter halte. Ich warf mich ihm an den Hals. Eine nette Blamage, für die Sie verantwortlich sind, Herr Strachwitz. Von, von, von,« verbesserte sie schnell, »und wenn Sie wollen, so erhebe ich Sie sogar in den Grafenstand, das kommt mir gar nicht drauf an, aber meinen Peter, den will ich heraus haben, und zwar schleunigst, heut abend noch!«
»Unmöglich!« erwiderte der Oberst, und der Landrat trat einen Schritt auf Margot zu und erklärte:
»Peter hat die Strafe verdient.«
»Sind Sie Staatsanwalt?« fragte Margot. »Ich dachte, Sie wären Landrat.«
»Hier handelt es sich um militärische Fragen. Arrest ist eine Strafe genau wie Stalldienst oder Nachexerzieren.«
»Meinetwegen lassen Sie ihn Stalldienst oder sonst was machen, wenn Sie das für geboten und geschmackvoll halten,« erwiderte Margot. »Mir ist es egal. Aber sperren Sie ihn nicht ein und trennen Sie ihn nicht von mir.«
»Dienst ist Dienst,« sagte der Landrat.
»Und Quark bleibt Quark.«
»Wollen Sie damit etwa . . .« fragte der Landrat.
»Nichts will ich,« fiel ihm Margot ins Wort. »Ich gebe Ihnen sämtliche Ehrenerklärungen und noch eine dazu. Und ich verlange dagegen nichts weiter, als daß Sie diesen blöden Arrest aufheben.«
»Also, verehrtestes Fräulein,« erwiderte der Oberst. »Ihr Herr Schwager selbst, der den Fall doch gewiß nicht rigoros beurteilt, hat mir erklärt, daß es seinem Gewissen nach bei dem Arrest bleiben müsse.«
»Darf ich Sie dann bitten, Herr Oberst, den Fall ohne meinen gewissenhaften Schwager mit mir zu besprechen?«
»Ja, ich kann doch unmöglich . . .«
»Sie meinen, Sie können ihm nicht die Tür weisen? Gewiß, das können Sie nicht. Aber Sie erlauben, daß ich ihm sage, daß es ein Vertrauensbruch, wenn nicht gar ein Wortbruch ist, für mich hierher zu gehen, um Peters Freilassung zu erwirken, und Ihnen dann diese Freilassung durch albernen Gewissensschmus unmöglich zu machen.«
Der Landrat richtete sich auf und sagte:
»Sie beleidigen mich!«
»Wenn Sie die Wahrheit als etwas Beleidigendes empfinden – um so schlimmer für Sie. – Aber Sie scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, daß ich mit dem Herrn Oberst unter vier Augen sprechen will!« – Dabei sah sie zur Tür.
»Ich bin hier in des Herrn Obersten Hause,« erwiderte der Landrat.
»Es steht natürlich in Ihrem Ermessen, den Wunsch der Dame zu respektieren,« sagte der Oberst.
Der Landrat, der vergebens ein vermittelndes Wort des Obersten erwartet hatte, verbeugte sich und ging.
Margot entschuldigte sich in aller Form für den Auftritt.
»Ich begreife ja Ihren Wunsch und Ihre Erregung,« sagte der Oberst. »Und es tut mir leid, daß nach so langer Wartezeit Sie hier einen so unerfreulichen Empfang hatten. Aber Sie werden verstehen: auf mir ruht die ganze Verantwortung.«
»Nach allem, was ich höre, zeigt sich Oberleutnant von Reinhart renitent,« sagte Margot, und mühte sich, in seiner Sprache mit ihm zu reden. —
»Leider!« bestätigte der Oberst.
»Ich dachte es mir. Er hat kein Verständnis für die Situation, in der er sich befindet.«
»Das ist es!« stimmte der Oberst bei.
»Es fehlt ihm an Takt!«
»Wie richtig Sie ihn beurteilen.«
»Ich bitte Sie, ich werde den Mann, den ich heiraten will, doch kennen.«
»Das versteht sich.«
»Ich kenne seine Schwächen wie kein zweiter und ich stimme Ihnen vollkommen zu, Herr Oberst, daß vermieden und unterdrückt werden muß, was geeignet ist, das Deutschtum im Auslande zu schädigen und« – diese Worte hatte Margot irgendwo und irgendwann gelesen – »das deutsche Offizierkorps zu mißkreditieren.«
»Sie sprechen mir aus dem Herzen, gnädiges Fräulein.«
»Daß es in Verfolg dieses Zieles keine Kompromisse gibt und gegebenenfalls Strenge am Platze ist, begreife ich vollkommen.«
»Wenn doch alle meine Offiziere dächten wie Sie.«
»Gewiß, das wäre gut. Aber bei der großen Zahl ist es ja für Sie, Herr Oberst, unmöglich, auf jeden einzelnen einzuwirken.«
»Leider ist das so! Und da ich mir meiner großen Verantwortung voll und ganz bewußt bin, so leide ich natürlich darunter!«
»Haben Sie niemanden, Herr Oberst, der Sie darin unterstützt?«
»Die Herren Offiziere sind, wie das nach so langer Gefangenschaft natürlich ist, zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Dadurch verlieren sie das große Ganze aus dem Auge.«
»Sie sollten durch die Familienmitglieder auf sie einzuwirken suchen.«
»Glauben Sie, daß die sich während ihres kurzen Urlaubes dazu bereit finden würden?«
»Wenn sie Geist von unserm Geiste sind.« – Diese Wendung gefiel Margot so gut, daß sie sie wiederholte: »Freilich, das müßten sie schon sein: Geist von unserm Geiste.«
»Was meinen gnädiges Fräulein damit?« fragte der Oberst, und nun holte Margot aus:
»Damit meine ich: einmal, daß ihnen das Vaterland mehr gilt als die Familie.«
»Ausgezeichnet!« rief der Oberst, den das erwärmte.
»Sodann, daß sie sich der patriotischen Pflicht bewußt sind, Sie, Herr Oberst, auf Ihrem exponierten und verantwortungsvollen Posten nach Möglichkeit zu unterstützen.«
Das war ziemlich unverständlich, dem Ohr des Obersten aber schmeichelte es sich ein wie eine altbekannte Melodie. Es schmeckte gradezu nach Kaisergeburtstagsfeier.
»Das Vaterland über alles!« schmetterte sie heraus.
Der Oberst stand auf und reichte ihr gerührt die Hand.
»Ich jedenfalls«, fuhr Margot fort, »erachte es als meine vornehmste Pflicht, meinen mit Genehmigung der zuständigen militärischen Stelle mir bewilligten Aufenthalt in Engelberg dazu zu benutzen, um in diesem Sinne auf Oberleutnant von Reinhart einzuwirken.«
»Das wollten Sie tun?« fragte der Oberst erfreut.
»Ich verspreche es Ihnen.«
»Sie dürfen meines und des Vaterlandes Dank versichert sein,« beteuerte der Oberst, in dessen Mechanismus Margot die Walze aufgezogen hatte, die ihren Platz da hat, wo bei anderen das Gefühl sitzt.
»Leider bleibe ich nur kurz. Aber ich will die Zeit nutzen.«
»Wenn Sie wüßten, wie erhebend solche Augenblicke für mich sind!«
Margot stand auf.
»Ich will keine Zeit verlieren,« sagte sie; und so ganz nebenbei: »Richtig, den Arrest müssen wir, so sehr er ihn verdient hätte, natürlich der großen Sache opfern.«
Der Oberst nickt überzeugt mit dem Kopfe und sagte:
»Selbstredend!«
»Ich werde mir erlauben, Ihnen täglich Bericht zu geben,« versprach Margot.
Der Oberst begleitete sie hinaus und schloß hinter ihr die Tür.
»Das lob’ ich mir!« sagte er und rieb sich vor Wohlbehagen die Hände. »Selbstlos bis zur Aufopferung.«
Margot eilte schnell die Treppe hinunter. Die Verstellung war ihr nicht leicht gefallen.
Ein Sieg der Diplomatie über das Militär! dachte sie und war froh, nun endlich am Ziel zu sein.
X
Frau Julie war freudig überrascht, der Landrat völlig verdutzt, als Margot in das Hotelvestibül stürzte und rief:
»Er ist frei!«
»Wie haben Sie das nur angestellt, meine Liebe?« fragte Frau Julie, und Margot erwiderte:
»Gescheit!«
»Raffiniert,« verbesserte der Landrat.
Margot, die seine unsauberen Gedanken erriet, sagte:
»Jeder fühlt entsprechend dem, was er ist; der anständige Mensch hat saubere, das Schwein ferklige Gedanken.«
»Wa . . . wa . . . wa . . .?« sagte der Landrat empört und verriet sich.
»Erkannt!« rief ihm Margot übermütig schon von der Treppe aus zu und lief den breiten Gang des Hotels entlang zu Peters Zimmer.
»Wie findest du sie?« fragte Frau Julie ihren Schwiegersohn, und der erwiderte:
»Unter aller Kritik!«
Frau Julie sah ihn an und sagte:
»Sie ist kein wertloser Mensch; nur falsch erzogen ist sie; oder vielmehr: gar nicht! Aber ich fange bereits an, sie zu schätzen, und ich kann mir denken, daß ich sie sogar einmal lieb gewinne.« —
Peter stand in tiefen Gedanken am Fenster, als es an seine Tür klopfte.
»Ich darf niemanden empfangen,« rief er. »Ich habe Arrest.«
»Sind Sie sonst empfangsfähig?« fragte eine sympathische weibliche Stimme.
»Inwiefern?«
»Ich meine, sind Sie angezogen oder im Pyjama oder in noch weniger?«
»Ja, was heißt denn das?«
»Bitte, antworten Sie!«
Peter trat vor den Spiegel und sagte:
»Ich bin zwar angezogen, aber ich habe Arrest.«
Margot riß die Tür auf und stürmte mit dem Trieb, sich ihm an den Hals zu werfen, ins Zimmer. Als sie ihn sah, stutzte sie und blieb, die Augen weit aufgerissen, stehen. Auch Peter staunte sie an.
»Wer sind Sie?« fragte er.
Sie gab ihm keine Antwort; sie hörte es kaum. Sie stand nur immer und sah ihn an. Dann sagte sie, als wenn sie es gar nicht fassen könne:
»Das sind Sie?«
Peter, der sich mühsam aus schweren Gedanken quälte, blieb an dem äußern Bild haften. Margots Ausdruck, den niemand je zuvor an ihr gesehen hatte, bannte ihn. Was sah sie nur? Sah sie tiefer als andre? Ihm war, als wenn ihr Blick die Stelle traf, die ihn schmerzte.
»Wer sind Sie?« lag es ihm wieder auf der Zunge. Und obschon er es nicht aussprach, fühlte er doch, daß sie ihn verstand. Langsam trat sie an ihn heran, hob die schöne, weiße Hand, legte sie ihm aufs Herz, schmiegte sanft den Körper an ihn an, sah mit den klaren, klugen Augen zu ihm auf und sagte:
»Peter! Ich bin’s!«
Er zog sie in seine Arme, schloß die Augen und sagte:
»Du! – Was weißt denn du von mir?«
Sie lächelte, schüttelte den Kopf und sagte:
»Nichts. – Aber mir ist so schwer.«
»Du fühlst, daß ich leide?«
»Ich weiß es nicht, Peter.«
»Warum bist du zu mir gekommen?«
»Um dir zu helfen.«
»Du bist gut.«
»Nein! Ich habe noch nie jemandem geholfen. Ich kann auch dir nicht helfen. – Du bist so ganz anders, als ich dachte. Daher erschrak ich. – Das heißt: Schreck war es eigentlich nicht. Eher ein Schmerz.« – Sie führte die Hand ans Herz und machte ein bitteres Gesicht.
Und Peter, der jetzt wußte, wer vor ihm stand, sah sie gütig an und sagte:
»Auch ich hatte Sie mir anders gedacht, Margot.«
Margot hob den Kopf, sah ihn fest an und sagte:
»Ich bin auch anders. – Ganz anders bin ich. – Ich wundre mich über mich selbst. Aber irgend etwas an dir, ich weiß selbst nicht was, rührt und bedrückt mich. – Es ist nichts Aeußeres, glaub’ ich. Wenigstens kann ich es nicht bezeichnen. Daß du gelitten hast, sieht man. Aber, daß du noch leidest, das kann man nur fühlen.« – Sie betrachtete ihn genau. – »Viel, viel hübscher bist du, als ich dich in der Erinnerung hatte. Fein siehst du aus und gescheit. Weißt du, dumme Männer wirken auf mich abschreckend. Aber, daß du nicht dumm bist, das sieht man dir an. Sonst wäre ich nicht so unsicher dir gegenüber.«
»Auf den Verstand legen Sie also den Hauptwert?« fragte Peter.
»Ja! Das heißt beim Mann. Bei der Frau spielt wohl der Charme die größte Rolle.«
»Und das Gefühl?« fragte Peter.
»Gefühl?« wiederholte Margot. »Ja, weißt du, das ist, wie alles, was man nicht direkt wahrnehmen kann, so eine unsichere Sache. Gefühl kann man vortäuschen. Verstand nicht.«
»Doch wohl nicht auf die Dauer,« erwiderte Peter.
»Ich bitte dich, eine Frau, die weiß, worauf ihr Mann fliegt, und die sich innerlich darauf einstellt, kann Jahre hindurch Gefühle vortäuschen, die sie nicht hat.«
»Könnten Sie das auch?« fragte Peter.
Margot war sich durchaus der Bedeutung dieser Frage bewußt. Sie wollte lügen und sagen: »Ich nicht.« – Sie sah ihm ins Gesicht und mußte die Wahrheit sagen:
»Gewiß! Das könnte ich!« gestand sie.
»Auch mir gegenüber?«
Wahrheitsgemäß sagte sie:
»Nein!«
»Und wieso grade mir gegenüber nicht?« fragte Peter.
Das weiß ich nicht. Aber irgend etwas muß es doch sein. Vielleicht, daß das vergeht, und ich später auch dir gegenüber heucheln könnte. Ich müßte dich besser kennen, Peter. Solange diese Scheu, oder was es nun sonst sein mag, was ich dir gegenüber empfinde, anhält, solange könnte ich dir jedenfalls nicht Gefühle vortäuschen, die ich nicht habe.«
»Bedrückt diese Scheu Sie?«
»Gewiß! Sie macht mich unsicher. Das merkst du ja. Wenn du wüßtest, wie ich sonst bin: unbefangen, dreist, übermütig.«
»Und du hast keine Erklärung dafür?«
Margot schüttelte den Kopf.
»Ich kann mir nur denken, daß irgend etwas in dir ist, was ich fühle, aber nicht verstehe.«
»Und glaubst du, daß du die Geduld und die Lust hättest, zu ergründen, was es ist?«
Margot dachte nach.
»Gewiß! Ich wüßte es gern. Denn – ich will nicht sagen, du bist mein Typ, das wäre falsch, aber jedenfalls: etwas hast du, was mich reizt und fesselt. So etwas fühlt man ja sofort. Aber bei dir ist es etwas anderes, und hat weder mit deinem Aeußern, noch mit deinem Wesen und Charakter etwas zu tun. Von alledem weiß ich ja so gut wie nichts.«
»So gib dir Mühe, Margot, es zu ergründen!« sprach er ihr zu.
»Ich möchte schon, Peter. Aber weißt du, ich kenn’ mich. Ich bin so unbeständig und habe so wenig Geduld. Alles das macht mich nervös. Und ich glaube, daß es auch für dich viel besser ist, ich bleibe oberflächlich, bin heiter und kleide mich gut. Davon hast du auf die Dauer viel mehr, als wenn ich mich qualvoll in die Tiefen deines Innern versenke, um am Ende ebenso schwermütig daraus hervorzugehen. Das Ende wäre, daß wir gemeinsam Trübsal blasen.«
»Dumm bist du nicht. Und was du sagst, leuchtet mir ein. Aber ich glaube, du unterschätzt dich. Die Rolle, die du dir da zugedacht hast, wird dich auf die Dauer nicht befriedigen.«
»Bei der nötigen Zerstreuung geht es schon.«
»Hast du keinerlei tiefere Interessen?« fragte Peter.
Margot schüttelte den Kopf.
»Ich sagte dir ja: alles oberflächlich. Ein bißchen Musik, ein bißchen Gesang, Französisch, Englisch und Italienisch für den Hausgebrauch, Kurse in Literatur und Kunstgeschichte – sehr wichtig, nicht? – auch Kurse im Kochen, Nähen und Handarbeiten, aber nichts gründlich. Alles nur eben so, daß man seinen Tischherrn oder allenfalls einen minderbegabten Gatten bluffen kann.«
»Ich begreife,« sagte Peter und merkte deutlich, wie sein Interesse zunahm. »Und ich freue mich, daß du bei mir nicht den Versuch machst.« – Das »du« fiel ihm nicht leicht.
Aber er hatte den Wunsch, sie nicht zu kränken, und wunderte sich über sich selbst, daß es ihm überhaupt vom Munde kam.
»Das hätte wohl wenig Zweck,« sagte Margot. »Und dann hängt auch das mit jener Scheu zusammen. Nicht etwa, daß ich Respekt vor dir hätte – i Gott bewahre! das Gefühl kenne ich überhaupt nicht, habe ich nie gekannt; selbst als Kind in der Schule nicht. – Aber irgend etwas an dir, Peter, nötigt mir . . . na, wie soll ich’s nennen? – Achtung ist zuviel, Mitleid ist es auch nicht; aber so ein Mittelding zwischen beidem – ich glaube, das ist es. Und ich fürchte, daß ich dich daher auch nie werde belügen können.«
»Du fürchtest das?« fragte er erstaunt.
»Nun ja! Glaubst du, daß es eine Ehe gibt, die ohne Lüge bestehen kann? – Ich nicht.«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
»Na, ich kann dir auf Grund der Erfahrungen, die ich bei meinen Freundinnen gemacht habe, verraten, daß es Musterehen nur da gibt, wo beide Ehegatten talentierte Lügner sind.«
»Demnach müßte unsere Ehe ja die wahre Hölle werden.«
»Ich muß dir offen sagen, daß ich mir die Ehe mit dir auch nicht so kompliziert vorgestellt habe. Ich dachte, du wärst so der übliche Fall: nicht blöd, nicht gescheit; eingebildet, oberflächlich, blasiert, dabei verträglich und von guten Manieren. Na, du weißt ja, das übliche Cliché der Berliner jeunesse dorée, oder, wie dein verehrter Schwager, der Landrat, sagen würde: ›Goldjugend‹. – Na, mit der Art Weltbeglücker kenne ich mich aus. Die Sorte wickle ich um den kleinen Finger. Einen wie den andern. Und so dachte ich, wärst du auch.«
»Und so was wolltest du heiraten?«
»Ich wollte?« wiederholte Margot erstaunt. »Wie kommst du darauf? Mama wollte. Das heißt, eigentlich wollte deine Familie. Wir beide sind meines Wissens nicht viel mit den Vorbereitungshandlungen geplagt worden.«
»Ja, und nun, wo du mich so ganz anders findest, als du dachtest, so sehr viel unbequemer, um in deiner Sprache zu reden, da tätest du vielleicht gut, dir die Sache noch einmal zu überlegen.«
»Danke! Erstens will ich mich nach fünfjähriger Verlobungszeit nicht lächerlich machen; und dann vor allem reizt du mich. Nie im Leben ist mir das passiert, daß mein Gefühl mit mir durchgeht. Wo es sich bisher überhaupt kaum je bemerkbar machte. Ich stehe da vor einem Rätsel. Wo warst du nur mit deinen Gedanken, ehe ich zu dir kam.«
»Darüber wolltest du dir doch den Kopf nicht zerbrechen, Margot.«
»Du liebst!« platzte sie heraus und nahm ihn bei der Hand. »Gesteh’ es! – Eine Französin! aus der Zeit deiner Gefangenschaft! Wie sieht sie aus? Schwarz natürlich! Schlank! Ist sie mir ähnlich? Korrespondiert ihr miteinander?« – Sie stürzte zum Schreibtisch und suchte nach Briefen.
Peter ließ sie nicht aus den Augen. Sie gefiel ihm. Hübscheres, Graziöseres, Lebhafteres, Klügeres – das alles gestand er sich jetzt – hatte er nie gesehen. Aber von einer tieferen Regung war keine Rede. Sein Auge ruhte auf ihr wie auf einem schönen Bilde; er nahm sie wie eine Art Liebhaberei, die man zufällig entdeckt, begehrt, an die man sich klammert, und die man für jeden Preis erwerben und als besonders schönes Stück seiner Sammlung einverleiben will.
»Aber Margot,« sagte er in völlig ruhigem Tone und hing an den weißen, schmalen Händen, deren schlanke und gepflegte Finger hastig alle Briefschaften durcheinander wühlten, »wie paßt das zu dir, du bist ja eifersüchtig.«
»I Gott bewahre! Das Gefühl kenn’ ich nicht. Im Gegenteil! Weißt du, was ich mir vorgenommen hatte? Schon, um mich nicht dumm machen zu lassen. Ich wollte dir als erstes sagen: Lieber Peter, ich habe verheiratete Freundinnen und weiß Bescheid! Aber ich bitte dich, halte deine Liebschaften vor mir geheim. Nicht, weil sie mich kränken. Keine Spur! Sie gehen mich nichts an! – Und dann vor allem: zeige Geschmack! Aus Rücksicht auf mich. Denn eine Frau kennt man an den Mätressen ihres Mannes. Macht eine Mätresse einen schlechten Eindruck, so folgert man: wie muß da die Frau erst sein, wenn er sie mit der betrügt? Siehst du, das wollte ich dir sagen.«
»Das hast du ja nun getan.«
»Nein!« widersprach Margot lebhaft. »Das ist nicht wahr! Ich wollte. Weil ich dachte, du wärst der übliche Fall. Für den hatte ich mir das zurecht gelegt, um ein für alle Male über diesen wichtigen Punkt gleich zu Beginn Klarheit zu schaffen.«
»Ja, wollen wir uns denn da auf einer anderen Basis einigen?« fragte Peter, um sie auf die Probe zu stellen.
»Peter!« rief sie und kam vom Schreibtisch aus auf ihn zu. »Gib die Person auf! Sieh, du kannst ja noch alles aus mir machen. Du kannst es! Ich fühle es. Sieh, es gibt für uns nur die Möglichkeiten: ganz oder gar nicht.«
»Ja, aber wieso denn?«
»Das weiß ich nicht. Am Ende liebe ich dich gar. Und das äußert sich nun so. Sag’, hältst du das für möglich, daß man sich so schnell in einen Menschen verliebt? Ich dachte, das gibt es nur in Romanen. Aber irgend so etwas muß es sein. Ich habe das Gefühl, als käme ich nicht mehr von dir los. Als müßte ich dir helfen. Und dann wieder, als wärst du der Mann, der aus mir etwas machen könnte. Das sind doch Widersprüche.«
»Vielleicht nur scheinbar,« sagte Peter.
»Eben! eben!« stimmte Margot lebhaft zu. »Du wirst sehen, Peter, wenn du dir Mühe mit mir gibst, dann werde ich so, wie du es brauchst. Dann will ich alles tun, damit du deine Ruhe wiederfindest.«
»Ich vertraue dir!« sagte Peter und reichte ihr die Hand.
»Und an meinem Wesen stößt du dich nicht? – Weißt du, das liegt an meiner Erziehung und an Mama und an allem. Ich durfte immer tun, was ich wollte. Ich bin nicht trainiert. Mama sagt immer: du kannst ruhig etwas frei sein bei unserm Gelde! Na, und da bin ich denn so geworden; und fand alles so überflüssig und dumm; überall derselbe Schwindel, in welche Gesellschaft man auch kam. Dieselben Ansichten, dieselben Lügen, dasselbe Theater! Der einzige Unterschied bestand im Essen. Wie das meinem Gefühle nach auch das allein Rationelle war. – Ist es ein Wunder, daß ich da so wurde? – Mein Amüsement bestand darin, daß ich den weiblichen Affen ein paar äußerliche Tricks absah und die männlichen Affen, die mich entsetzlich langweilten, aufzog.«
»Und du bist nie einem Manne begegnet, den du ernst nahmst?«
Margot dachte nach. Dann sagte sie:
»Nein! In unseren Kreisen nie. Unten im Volke eher. Schon, weil da der Schein wegfiel. Aber bei uns, da trägt jeder eine Maske. Und Pose bei Männern wirkt auf mich nun einmal lächerlich. – Siehst du, das ist schon etwas, was mich an dir reizt,« sagte sie lebhaft, »deine Natürlichkeit; daß du nicht wirken und nicht scheinen willst. Auf dem Wege von der Bahn zum Hotel, auf der kurzen Strecke, bin ich etwa einem Dutzend deiner Kameraden begegnet. Willst du glauben; nicht einer, der nicht, als er mich ansah, äußerlich ein andrer wurde, Gang und Gesichtsausdruck änderte und zu wirken suchte. Ja, ist es zu verwundern, wenn man die Menschen da nicht ernst nimmt? Es ist so komisch, aber wenn ich mit einem so geschniegelten und gespreizten Monokelhelden rede, dann stelle ich mir ihn immer in seinem Naturzustande, in seinen vier Wänden vor. Das ist sehr unschicklich, ich weiß es; auch, daß ich dir das sage. Aber der Gedanke kommt mir nun einmal, wenn ich in Gesellschaft solcher Leute bin. Manchmal werde ich diese Vorstellung den ganzen Abend über nicht los. Das ist störend, ja, mehr als das: es ist ekelhaft.«
»Geht es dir auch so?« fragte Peter interessiert, »daß du dich von Gedanken nicht loszureißen vermagst, daß sie dir folgen, überallhin, dich beherrschen, quälen. Aber, daß du auch wieder die Qual selbst suchst und dich danach sehnst, allein zu sein; nur, um ungestört deinen Gedanken leben zu können.«
Margot dachte nach und erwiderte:
»Ich sagte dir ja, Peter, wie oberflächlich und unergiebig bisher mein Erleben war; daß nichts sich ereignet hat, was einen Eindruck bei mir hinterließ. – Aber du hast auf mich gewirkt, Peter! Ganz stark. Gleich, als ich dich sah und du noch gar nicht recht wußtest, was vorging und noch ganz in Gedanken warst – da traf mich irgend etwas, was von dir ausging, du hast ja gesehen, Peter, wie befangen ich war. Weißt du, was ich glaube? Es war Gefühls- oder Gedankenübertragung; daß du stark an etwas dachtest, und mit so starkem Gefühl, daß auch ich ganz unbewußt davon berührt wurde. – Und dann glaube ich auch, daß ich nun mit dir verbunden bin und immer an dich werde denken müssen.«
Peter empfand das überaus wohltuend. Eine Frau von ungewöhnlichem Reiz, entschlossen, gütig, klug, die sich innerlich auf ihn einstellte und vom ersten Augenblick an die Schmerzen mitfühlte, an denen er litt.
»Ich glaube wohl, wir können es wagen,« sagte er. »Auch ich kann nur mit einem Menschen leben, der mich versteht und dem ich mich ganz erschließen kann.«
Margot sah strahlend zu ihm auf.
»Du kannst es!« sagte sie aus ehrlichem Herzen.
»Ich glaube es, denn ich fühle es. – Aber siehst du, Liebe, das eine mußt du gleich wissen, später wirst du mich dann verstehen: Ich leide! Um es vorweg zu sagen: nicht um eine Frau! Ich will dich lieben und habe vor dir nur eine geliebt – die ist tot.« – Er schloß die Augen, dachte an Aenne und fühlte, daß es mehr als nur ein schmerzliches Erinnern war. Dann fuhr er fort:
»Ich werde dir von ihr erzählen und auch du wirst sie liebgewinnen. Die Erinnerung wird uns nur enger aneinander schließen. Aber das meinte ich nicht, als ich dir sagte, daß ich leide. Nicht um Tote, um Sterbende handelt es sich. Um Menschen, die mit meinem Schicksal verknüpft waren in der Gefangenschaft, und die da unten nun ohne mich unter den grausamsten Martern zu Tode gequält werden. Von denen komme ich nicht los, zu denen zieht es mich und mit denen leide ich. Tag und Nacht. Alles, was ich durchgemacht habe, durchlebe ich an ihrer Seite noch einmal, so intensiv, daß ich es als Wirklichkeit empfinde. Nur in der Wirkung verdoppelt. Nicht nur, daß ich die körperlichen Schmerzen fühle und dir genau die Stellen bezeichnen kann, wo mich die Schläge und Stöße treffen. Das wäre zu ertragen. Aber der seelische Schmerz! Dadurch, daß ich die andern in ihrer Seelennot tröstete, ihnen in ihrer Todesangst beistand, sie ermutigte und sie schließlich immer wieder aus ihrer Agonie riß, dadurch erhielt ich mir den Glauben an einen Zweck, weiterzuleben, der, seitdem ich sie verließ, fortfällt. Niemand ist bei ihnen, der das nun für mich tut. Ich war der einzige! Siehst du, das ist es! Und darum, Margot, muß ich zurück!«
Margot war tiefernst und traurig.
»Hast du mich verstanden?« fragte Peter.
Sie nickte mit Tränen in den Augen und sagte:
»Ja!«
Da schoß es Peter durch den Kopf, sie zu gewinnen. Ein starkes Gefühl, Besitz von ihrer Seele zu ergreifen, die sich so schnell in ihn hineinfühlte, trieb ihn.
»Komm! komm!« rief er. »Ich habe dich lieb!«
Er nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und küßte sie auf die Stirn.
»Sei ein Mensch wie ich, Margot! Leide mit mir! All die verruchten Verbrechen, die sie an uns armen, wehrlosen Menschen begingen, höre, fühle und ertrage sie!«
Sie schmiegte sich fest an ihn und sagte:
»Erzähle, Peter!«
Auf einem Sessel sitzend erzählte er im halbdunklen Zimmer. Sie kniete auf einem Kissen vor ihm, stützte die Ellbogen auf seine Knie und sah ihn an.
»Eine ewige Schande für die Franzosen!« unterbrach sie ihn schon nach den ersten Sätzen.
»Wir alle sind Sünder, Margot!« sagte er. »Wir alle haben gefehlt.«
»Auch unsere Schuldigen soll man richten!« forderte sie lebhaft, »deren gewissenloser Dünkel Millionen in den Tod getrieben hat.«
»Sie taten’s für eine Idee,« verteidigte sie Peter gegen seine Ueberzeugung, fügte dann aber hinzu: »die freilich schon der Mittel wegen ruchlos war.«
Margot nickte. Und mit vor verhaltener Empörung roten Wangen sagte sie:
»Aber denen da unten, denen die Menschenschändung Selbstzweck war, sollte man das Brandmal der Schande auf die Stirn drücken. Zeit ihres Lebens müßten sie es weit sichtbar mit sich herumtragen. Alle, die diese Schandtaten begingen, um sie wußten, sie duldeten und sie mit ansahen.«
»Laß andre sie strafen!« sagte Peter. »Es gibt etwas, was höher und edler ist als Rache! Gutmachen! Die von ihnen Geschlagenen aufrichten und sie dem Leben wieder zuführen.«