Kitabı oku: «Sol Tenebrarum»

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Dieses Buch ist gewidmet jenen, die es wagen, in das Herz der Dunkelheit hinabzusteigen, die dunklen Labyrinthe des Geistes zu durchwandern, in einer wunderschönen, fortdauernden Suche nach der schwarzen Sonne, dem Licht des Göttlichen im Innern, das nur im tiefsten Abgrund der Melancholie zu finden ist.

1. Auflage 2012

Copyright © 2010 by Edition Roter Drache.

Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, Postfach 10 01 47,

D-07391 Rudolstadt. edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org

Übersetzung aus dem Englischen: Helge Lange.

Lektorat: Georg Dehn.

Buch- und Umschlaggestaltung: Asenath Mason.

Titelbild: Asenath Mason.

Gesamtherstellung: Jelgavas Tipografija, Jelgava.

Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdrucks sind vorbehalten.

1. Digitale Auflage 2012

Digitale Veröffentlichung: Zeilenwert GmbH

ISBN 9783944180120

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis

Einführung

Kapitel I

Die Lehre der Elemente

Mikrokosmos und Makrokosmos

Die Elemente

Säfte und Temperamente

Die esoterischen Korrespondenzen der Elemente

Die Symbolik der Melancholie

Kapitel II

Die Welt der Melancholie

Die Entstehung der Säfte

Mittelalterliche religiöse Lehren und der Aufschwung der Medizin

Die Renaissance: Ruhm und Abwertung des menschlichen Wesens

Angst und Furcht im siebzehnten Jahrhundert

Die Aufklärung: Vom Geist zum Fleisch

Das neunzehnte Jahrhundert: Begeisterung und Spleen

Hin zur modernen Psychiatrie

Kapitel III

Furor Divinus

Die antike Sicht des Wahnsinns

Bacchische Riten und ritueller Rausch

Propheten und Orakel

Künstlerische Manie und Besessenheit der Sinne

Kriegertrance der Raserei

Rituelle Besessenheit und chamanische Mysterien

Religiöse Manie

Der astrale Garten der Verrücktheit

Kapitel IV

Lycanthropia

Die Legende

Die heilige Krankheit

Mensch zu Wolf

Saturnalien

Tiergeister

Gestaltwandlung

Lycanthropos

Kapitel V

Die schwarze Essenz

Atra Bilis

Die spirituelle Essenz

Kundalini

Der Aufstieg und der Fall

Abstieg in die Schwärze

Die Biologie des Prozesses

Hin zum Licht

Kapitel VI

Der unruhige Geist

Die Wiederkehr der Leidenschaften

Manisch-depressive Verrücktheit & feiner Wahnsinn

Ennui & Spleen

Gegen den Strich

Leiden bis zum Tod

Trauer und Melancholie

Depression

Kapitel VII

Acedia

Spirituelle Erstarrung

Weltschmerz

Faulheit

Die tödlichste der Sünden

Kapitel VIII

Das dunkle Weibliche

Die Dame Melancholie

Tochter des Saturn

Die Hure

Blut auf dem Altar des Saturn

Anima Mundi

Kapitel IX

Kinder des Saturn

Der verschlingende Vater

Das goldene Zeitalter

Astrologische Symbolik

Der saturnische Mensch

Die Vision der Trauer

Kapitel X

Die schwarze Sonne

Der Schatten der Sonne

Visita Interiora Terrae Rectificando Invenies Occultum Lapidem

Der schwarze Stein

Nigredo

Das Herz der Dunkelheit

Anhang

Quellenverzeichnis

Die Autorin

Einführung
Einführung


Seit des Aufstiegs der Philosophie haben Gelehrte und Denker der Erfahrung von Kummer, Depression, Traurigkeit und Schwermut mit tiefsinniger Aufmerksamkeit bedacht. Viele von ihnen lebten selbst in abgeschiedener Einsamkeit. Sie widmeten ihr Lebens der Kontemplation über ihre Psyche in dem Versuch, die veränderlichen Geisteszustände durch physiologische Theorien, geistige Störungen oder esoterische Interpretationen zu erklären. Die betörendste Vorstellung war die der inneren Dunkelheit der Seele, der schwärzung der Sinne, des Abbaus von Emotionen und Gefühlen oder ihrer Steigerung zur göttlichen Ekstase. Diese Erfahrung von Dunkelheit wurde „Melancholie” genannt. Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte zu einem der faszinierendsten Phänomene für Philosophen, Ärzte, Künstler, Musiker, Schriftsteller, Dichter und insbesondere die Adepten der okkulten Künste.

Aufzeichnungen über Depression, Schwermut, Verrücktheit und manische Stimmungswechsel tauchen in fast allen Kulturen aller Geschichtsepochen auf. Die medizinischen Schriften des alten Ägypten beschreiben pathologische Ursachen depressiven Verhaltens und die griechische Mythologie stellt oft Helden dar, die gegen den Wahnsinn kämpfen. Hippokrates, Plato, Aristoteles, Theophrastos und andere Vertreter der antiken Philosophie und Medizin analysierten Depression und Melancholie. Dramatiker der Klassik wie Aeschylos oder Euripides enthalten zahlreiche Beschreibungen von Traurigkeit, Gram, Erschöpfung und spirituellem Leiden. In den alten Zeiten wurde die Melancholie als eine Krankheit der Seele angesehen, als Triumph der inneren spirituellen Dunkelheit über das göttliche Licht der Vernunft und die rationale Harmonie im Menschen. Antike Ärzte versuchten die Melancholie als eine körperliche Störung zu erklären. Sie formulierten eine Theorie der Säfte, die Humoralpathologie. Nach der resultiert die Melancholie aus einer Disharmonie der Körperflüssigkeiten und einer Vorherrschaft der schwarzen Galle, der verderblichsten und schädlichsten der Säfte. Der griechische Begriff mélaina cholé (μέλαινα χολή) erlangte weite Verbreitung in Bezug auf diese mysteriöse schwarze Flüssigkeit.

Mehr als zweitausend Jahre lang wurde die Humoralpathologie die annahm, dass Körper und Geist mystisch verbunden seien, zur Erklärung von Charakterzügen, Zuständen, Geschmäckern, Aussehen, emotionalen Zuständen und körperlichen Funktionsstörungen verwendet. Viele alte Traditionen basierten auf dem Konzept von Flüssigkeiten, die im Körper zirkulieren, oft durch metaphorische Darstellungder Energieflüsse. Im Laufe der Zeit wandelten sich diese Vorstellungen sukzessive in die von Hormonen, Enzymen, Partikeln usw. Ihre mystische Bedeutung blieb nur in bestimmten Teilgebieten der okkulten Philosophie erhalten.

Die Melancholie wurde jedoch nicht nur mit dem schwarzgalligen Temperament gleichgesetzt. Es war ein Zustand, der jeden befallen konnte, abhängig von der wechselnden Menge an schwarzer Galle, die im Winter zunahm, bei Nacht, im Prozess des Alterns und anderen Lebensabschnitten, mit denen das Element Erde und der Einfluss des Saturn assoziiert wurde.

So war die Melancholie auch nicht nur körperliche Erkrankung, sondern auch eine geistige Störung, resultierend aus der Disharmonie zwischen Körper und Seele in Verbindung mit Schwäche und dem Mangel an Lebensenergien. In diesem Sinne kann sie als eine universelle Erfahrung der Menschheit betrachtet werden, die unabhängig von Kultur oder Einstellung dieselben Aspekte beinhaltet. Robert Burton, der Autor des berühmten Kompendiums der Melancholie aus dem siebzehnten Jahrhundert, beobachtete, dass es immer einen inhärenten Zustand der Sterblichkeit gab. Burton glaubte auch, dass die Melancholie nicht nur eine Serie von Anfällen, sondern eine fixe Gewohnheit war, ein immanenter Zustand, der die ganze Welt und alle menschlichen Institutionen betreffen konnte, Königreiche, Zivilisationen und Familien, als eine grundlegende Eigenschaft der menschlichen Existenz.

Der Begriff „Melancholie” als solcher, wird durch eine große Unschärfe und Vieldeutigkeit charakterisiert. Heute neigen wir dazu, Melancholie mit Kummer oder Depression zu verwechseln. In der westlichen Kultur wurde sie jedoch immer sowohl in depressiven Zuständen als auch in Exzessen manischer Begeisterung gesehen. Bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts gab es auch eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Melancholie und Melancholia. „Melancholie” bezog sich traditionell auf jede Störung, die durch ein Ungleichgewicht der Säfte oder den schädlichen Einfluss der schwarzen Galle verursacht wird, konnte aber auch alle natürlichen Zustände und Charakterzüge meinen. „Melancholia” umfasste einen weiten Bereich von medizinischen Störungen, insbesondere geistiger und emotionaler Art. In diesem Sinne wurde der Begriff in der aufstrebenden Psychiatrie und dem Studium der geistigen Krankheiten vom achtzehnten Jahrhundert an gebraucht. Oft wurden diese beiden Begriffe abwechselnd verwendet. Ich behalte die ursprüngliche Bedeutung von „Melancholie” als kultureller Idee, aber ich werde diesen Begriff auch in Bezug auf das ganze Phänomen verwenden, das alle Arten von geistigen, emotionalen und spirituellen Zuständen umfasst, ebenso wie körperliche Symptome: Die Krankheit des Fleisches und des Geistes.

Dieses Buch konzentriert sich auf die alten Konzepte der Melancholie und ihre Interpretationen in der modernen westlichen Kultur, im zeitgenössischen Kontext. Es zeigt sich, dass diese frühen Ideen nicht aus der modernen Esoterik verschwunden sind. Darum enthalten die folgenden Kapitel viele Bezüge zu ausgewählten Aspekten oder Phänomenen, die mit der esoterischen Weltanschauung assoziiert werden und nicht immer in direktem Zusammenhang mit der Melancholie stehen, aber notwendig sind zum Verständnis des Ursprungs, der Natur und des Einflusses, den diese mystische Idee auf die westliche Kultur ausübte. Dabei werde ich mich auf die philosophischen und praktischen Grundlagen der Tradition konzentrieren, die in der westlichen Esoterik als der linkshändige Pfad bekannt ist.

Die Melancholie war nie eindeutig philosophisch, religiös oder esoterisch einzuordnen. Traditionen, die Ordnung und perfekte Struktur im Universum anstreben, die die Welt in ein Idealschema von göttlicher Schöpfung einzupassen versuchen, konnten die Melancholie nicht vereinnahmen. Sie war immer ein mehrdeutiges, komplexes und stets veränderliches Prinzip, das unmöglich zu greifen war, weder im christlichen Schöpfungsplan noch in der Mystik der Kabbala und ihrem Lebensbaum noch in den gnostischen Lehren.

Melancholie bezeichnet die Dunkelheit, die außerhalb der Strukturen der Schöpfung existiert und wird mit der linken, unbewussten Seite der menschlichen Psyche assoziiert. Sie ist das dunkle Prinzip in der Natur, im mikrokosmischen wie im makrokosmischen Sinne. Sie wird auch mit dem Weiblichen, der lunaren Sphäre, der Nacht und dem Irrationalen assoziiert. Melancholie ist der innere Abgrund, vollkommen schwarz und bar des Lichts, das Ordnung und kosmische Harmonie bedeutet. Dieser Abgrund wird von den Dämonen des Unbewussten bewohnt – atavistischen Urinstinkten und Impulsen, die vom Bewusstsein im Schöpfungsprozess unterdrückt wurden. Sie liegen in den Tiefen des Unbewussten, schlafend, „tot, aber träumend”, Ungeheuer und schreckliche Geschöpfe des Urchaos. Gelegentlich steigen sie aus dem Abgrund auf und Eindrücke ihrer Natur schlüpfen in unser Bewusstsein. In diesen Momenten müssen wir unsere innere Dunkelheit konfrontieren, das schwarze Reich der vergessenen Archetypen. Es wird als Depression, Furcht, Wahnsinn, Obsessionen oder Selbstmordgedanken erlebt. Wenn wir auf diese Konfrontation nicht vorbereitet sind, können wir uns in den Labyrinthen des Irrationalen verlieren.

Melancholie kann aber auch ein Weg zu Selbsterkenntnis sein, zu tiefgehender Innenschau, zur Selbstinitiation in die Mysterien der Seele. Die Reise durch die Melancholie ist die sprituelle Pilgerfahrt in den schwarzen Abgrund des inneren Geistes. Dieser Pfad führt durch schmerzhafte Transmutation, die alchemistische Nigredo, die dunkle Nacht der Seele, in der das einzige Licht die geheimnisvolle Illumination der schwarzen Sonne ist. Es ist die Reise ohne Anfang und Ende, eine immerwährende Passage durch das Labyrinth von Düsternis und Wonne, Verzweiflung und Ekstase, Wahnsinn und Weisheit, Besessenheit und Leere, Trauer und Vergnügen, Chaos und ultimativer Stille.

Wir sollten uns dieser Reise nicht verweigern. Wir sollten sie genießen und den Abgrund unserer Psyche zu erforschen lernen, weil wir dort das Unerwartete, das Vergessene, das Irrationale finden können – die verborgene Kraft, die unser Leben und unsere Art, die Welt zu sehen, beständig ändern wird. Der Danse melancholique ist ein der menschlichen Existenz zugehöriges Element, und widersprüchliche Erfahrungen verweben sich beständig in dem mystischen Reich unserer Imagination.

Dieses Buch wurde fertiggestellt nach über zehn Jahren, die dem Studium der Melancholie, ihrer Ursprünge und Interpretationen in der westlichen okkulten Praxis gewidmet waren. Ich hoffe, dass dieses Werk den modernen Leser wieder in diese wunderschöne Vorstellungswelt einführt und dass jene, die vom schwarzen Abgrund der Melancholie verschlungen werden, es hilfreich finden beim Verständnis ihrer mystischen Bedeutung und den Zweifel und die Verzweiflung in eine lohnende innere Erfahrung umwandeln werden.

Asenath Mason im Frühling 2010

Kapitel I - Die Lehre der Elemente
Mikrokosmos und Makrokosmos


„Alle Menschen haben das Potential, sich selbst zu erkennen.”1

Die ersten Zeilen der Tabula Smaragdina, des uralten Textes, der die philosophischen Grundlagen der traditionellen und modernen hermetischen Lehre liefert, enthalten das berühmte Motto „wie oben, so unten”. Es reflektiert die Erkenntnis, die im menschlichen Geist immer gegenwärtig war: Das ganze Universum ist eins und alle Dinge enthalten dieselben Prinzipien und Elemente. In den alten Schulen des Denkens wurde das menschliche Wesen als das wichtigste von allen lebenden Geschöpfen im Universum betrachtet, und man glaubte deshalb, dass der Mensch von den Göttern als ein lebendes Abbild des Kosmos und der ganzen Natur erschaffen wurde. So setzten diese Lehren den Menschen über alle anderen Lebewesen. Er war der Knotenpunkt der gesamten Schöpfung und ein Prinzip, das jedes Element enthielt, aus dem das Universum zusammengesetzt war. Erde, Feuer, Wasser und Luft – sie alle spiegelten sich im menschlichen Körper und Geist. Als Abbild der Götter war der Mensch der Vermittler zwischen der unteren (dem Reich der Pflanzen und Tiere) und der oberen Welt (der Domäne der Götter) und enthielt Aspekte von beiden, wodurch er die kosmische Kluft zwischen den gegensätzlichen Prinzipien Materie (der sterbliche Körper) und Geist (die unsterbliche Seele) überbrückte.

Die pythagoräische Lehre beschrieb den Menschen als eine „kleine Welt”, weil er die Fähigkeiten des Universums besaß: Die gottgleiche der Vernunft sowie die Natur der Elemente in den Prinzipien der Ernährung, des Wachstums und der Fortpflanzung. Gleichzeitig war der Mensch unvollkommen in jeder dieser Fähigkeiten, ganz so wie „der Wettkämpfer im Fünfkampf, der dem Athleten unterlegen ist, der sich auf nur einen Teil spezialisiert.”2 Und so wurde die Gabe der Vernunft weniger bedeutend gesehen als die heiligen Eigenschaften der Götter. Die Elemente waren im Menschen nicht so üppig vorhanden wie in den Elementen selbst, die menschlichen Energien und Wünsche waren schwächer als die der Tiere und die Kräfte der Ernährung und des Wachstums waren geringer als die der Pflanzen. Deshalb fand der Mensch als ein Gemisch aus vielen und verschiedenen Elementen sein Leben schwierig zu beherrschen:

Denn jedes andere Geschöpf wird von einem Prinzip geleitet, aber wir werden von unseren verschiedenen Fähigkeiten in unterschiedliche Richtungen gezogen. Zum Beispiel werden wir einmal vom gottgleichen Element zum Besseren hingezogen, und ein andermal von der Herrschaft des tierischen Anteils in uns zum Schlechten.3

Diese komplexe Natur des Menschen stellte von der frühesten Vorzeit bis heute eine Quelle des Interesses dar. Philosophen und Ärzte analysierten die möglichen Korrespondenzen zwischen dem Menschen (Mikrokosmos) und dem Universum (Makrokosmos). Analog zur Lehre der Elemente, die den ganzen Kosmos einschloss, schufen sie die Lehre der Säfte (Humoralpathologie) im menschlichen Organismus, die, wie sie dachten, die vier Elemente der Natur widerspiegelten. Die vier grundlegenden Säfte waren Blut (Luft), gelbe Galle (Feuer), Schleim (Wasser) und schwarze Galle (Erde).

Der Gelehrte und Okkultist der Renaissance Agrippa von Nettesheim schrieb in seinem berühmten Buch De occulta Philosophia, „die Knochen ähneln der Erde, das Fleisch der Luft, der Lebensgeist dem Feuer.”4 Dies kennzeichnet auch menschliche Qualitäten: Erde sind langsame und sichere Bewegungen, Wasser Furchtsamkeit, Trägheit und Nachlässigkeit bei der Arbeit, Luft Fröhlichkeit und ein freundliches Wesen und Feuer ein aufbrausendes, schnelles und zorniges Temperament. Die ganze Philosophie des Menschen, einschließlich seiner Wesensart, seines Aussehens und seiner Lebensweise, wurde durch dieselben Elemente bestimmt, die die Grundlagen des Universums bildeten.

Die Elemente


„Die Elemente sind deshalb das erste von allen Dingen, und alle Dinge bestehen aus ihnen oder stimmen mit ihnen überein, und sie sind in allen Dingen und verbreiten ihre Tugenden durch alle Dinge.”5

Einer der ersten Philosophen, die die Elemente identifizierten und unterschieden, war Empedokles. Er erklärte die Welt der Materie als aus vier Grundprinzipien bestehend: Erde, Luft, Feuer und Wasser, neben den zwei Hauptkräften Harmonie und Missklang. Er verglich die vier Elemente auch mit den vier Hauptgottheiten des griechischen Pantheons: Zeus (Luft), Hera (Erde), Hades (Feuer) und Nestis (Wasser). Die antike Philosophie versuchte jedem Element auch bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben. Ein Jahrhundert bevor Empedokles seine Theorie vorstellte, unterschied Anaximander, ein anderer griechischer Denker, die heiße/kalte und trockene/feuchte Qualität in allen Dingen der Natur. Es war jedoch Aristoteles, der diese Theorie weiterentwickelte, indem er eine Einflussanalyse der Elemente entsprechend ihrer gegensätzlichen Qualitäten lieferte:


Element Qualität
Erde kalt und trocken
Wasser kalt und feucht
Luft heiß und feucht
Feuer heiß und trocken

Aristoteles erklärte, dass zwar jedes Element zwei Hauptqualitäten teilt, aber eine immer vorherrscht. Und deshalb ist Erde hauptsächlich trocken, Wasser kalt, Luft feucht und Feuer heiß. Die heiße und kalte Qualität sind aktiv, die trockene und die feuchte sind passiv. Die aktiven Qualitäten werden mit Energie gleichgesetzt, die passiven mit der Materie. Erde und Wasser sind schwer und weiblich. Feuer und Luft sind leicht und männlich. Alle Dinge existieren als Resultat der Polarisierung und Fluß der vier Elemente.

Eine andere Analyse der Elemente schloss ihre Korrespondenzen mit den Planeten ein. Erde wurde mit Saturn assoziiert, Wasser mit Venus oder Mond, Luft mit Jupiter und Feuer mit Mars. Man dachte auch, dass die Planeten die elementaren Qualitäten beeinflussten:


Planet Qualität
Saturn kalt und trocken
Jupiter heiß und feucht
Mars heiß und trocken (extrem)
Sonne heiß und trocken (gemäßigt)
Venus kalt und feucht (extrem)
Merkur heiß mit heiß, kalt mit kalt usw.
Mond kalt und feucht (gemäßigt)

Die Verbindung zwischen den Elementen und den Planeten wies jedem Element ein bestimmtes Zeichen des Tierkreises zu. Die Astrologen unterteilten die zwölf Tierkreiszeichen in vier Gruppen, die jeweils die Qualitäten des ihnen zugewiesenen Elements repräsentierten. Deshalb gab es eine Triade der Erde, bestehend aus Stier, Jungfrau und Steinbock, eine Triade des Wassers, bestehend aus Fische, Krebs und Skorpion, eine Triade der Luft, bestehend aus Wassermann, Zwillinge und Waage, die Triade des Feuers, bestehend aus Widder, Löwe und Schütze.

Nach Aristoteles sind die gegensätzlichen Qualitäten der Elemente der Schlüssel zum Verständnis der Prozesse in der Natur. Das Heiße trennt und macht die Dinge subtil und leicht. Das Kalte bindet, vermischt Dinge miteinander und macht sie grob und schwer. Die feuchte Qualität wird mit Flexibilität, Veränderlichkeit und Ausdehnung assoziiert. Trockenheit ist die Qualität der Starre. Sie definiert Formen und Begrenzungen und wird mit Festigkeit und Struktur assoziiert. In der folgenden Aufstellung finden sich die nach unterschiedlichen Philosophien gemeinsamen Qualtiäten:

Erde wird durch die kalte – bindende und trockene – starre Qualität definiert und ist deshalb das festeste Element. Sie schafft die Basis für die anderen Elemente und definiert eine Struktur, in der sich alles Leben manifestieren kann. Sie ist das Zentrum der Existenz, weil sie den festen Boden für alle lebenden Dinge bildet. Xenophanes und seine Anhänger betrachteten die Erde als das Urelement, das Grundprinzip aller Dinge.

Wasser erlaubt den Dingen wegen seiner feuchten Qualität Gestalt anzunehmen, zu schmelzen und sich auszudehnen. Feuchtigkeit hindert die Trockenheit am Zerbröseln und zugleich hindert Trockenheit die Feuchtigkeit am Zerfließen. Wasser breitet sich aus, versickert in die Umgebung, dringt in alle Dinge ein und versorgt sie mit Feuchtigkeit, die essentiell für das Leben ist. Für Thales von Milet war Wasser das Urelement. Nach ihm stammt alles aus dem Wasser und besteht aus Wasser. Diese Ansicht, findet sich in vielen Mythologien, wie der chinesischen, der vedischen oder der sumerischen.

Luft macht Dinge leicht, flüchtig und fähig zum Aufstieg in höhere Sphären. Anaximenes hielt sie statt Wasser oder Erde für die wahre Essenz aller Dinge, das Urelement. Ihre vorherrschende Qualität ist Feuchtigkeit, die sie sich ausdehnen und aktiv ausbreiten lässt. Zusammen mit dem Feuer ist Luft das aktive Element, der Atem des Lebens in allen Kreaturen. Sie ist der Wind, der die Natur belebt, der Blitz als Zeichen der Götter, und der Raum für alle Bewegung und Lebensprozesse. Sie wird oft durch das Licht charakterisiert, den Geruch der Natur, den Flug der Vögel und das Prinzip der Schöpfung.

Feuer verfeinert, raffiniert und verbindet Dinge. Es durchdringt und trennt. Seine Kraft ist sowohl schöpferisch (es spendet Wärme) als auch zerstörerisch (es verbrennt alles). Es überwindet die Kälte von Erde und Wasser und bewahrt deshalb die Harmonie zwischen den Elementen. Feuer war das Urelement in der Philosophie des Heraklit – es war das Agens der Transformation, das dynamische Prinzip der Veränderung in der gesamten Natur. Heraklit glaubte an die Wandlungsfähigkeit der gesamten Natur, in der es keinen Anfang und kein Ende gibt und die Dinge beständig durch das Feuer in einem Kreislauf fließen und sich verändern: Die Welt löst sich im Feuer auf und erschafft sich erneut aus dem Feuer. „Die Welt, eine Wesenheit aus allem, wurde weder von Göttern noch von Menschen erschaffen, sondern war, ist und wird ewig lebendiges Feuer sein, das regelmäßig entzündet und regelmäßig ausgelöscht wird.”6

Die Elemente bilden auch den lebenden Organismus. Erde waren die Knochen von Menschen und Tieren, die Luft das Fleisch, Feuer der Lebensgeist und Wasser die Säfte. Genauso die spirituellen Gaben. Nach Agrippa ist, Feuer das Verständnis, Luft der Verstand, Wasser die Imagination, und Erde die Sinne. Die Sinne unterteilte er noch in Unterkategorien:

Das Sehen ist feurig, weil es ohne Feuer und Licht nichts wahrnehmen kann; das Gehör ist luftig, weil ein Ton aus Luftbewegung besteht; der Geruch und Geschmack ähnelt dem Wasser, ohne dessen Feuchtigkeit es keinen Geruch oder Geschmack gibt; und das Gefühl schließlich ist ganz irdisch und seine Sache sind die groben Körper.7

Der Fluß der Elemente erzeugt die Energie, die die ganze Schöpfung, das Leben und alle vitalen Prozesse im Universum ermöglicht. Die gängigste Richtung der Umwandlung war folgendermaßen: Erde wird zu Wasser, Wasser wird zu Luft, Luft wird zu Feuer und Feuer wird zu Erde – wodurch der Prozess zum Anfang zurückkehrt und erneut beginnt. Die primäre Bewegkraft der Wandlung war das Feuer, wie Heraklit erklärt: „Die Transformationen des Feuers sind zuallererst das Meer, und eine Hälfte des Meeres ist Erde und die andere Hälfte ist leuchtender Blitz. Alle Dinge werden durch Feuer ersetzt und Feuer durch alle Dinge.”8 In Heraklits Lehre sind die üblichen Muster der „Rotation“ umgekehrt: „Das Feuer lebt den Tod der Erde, und die Luft lebt den Tod des Feuers, das Wasser lebt den Tod der Luft und die Erde den des Wassers.”9 Dasselbe Muster ist in Empedokles Reinigungen zu finden. Außerdem unterschied Empedokles zwei Primärkräfte, die die Elemente dazu veranlassen, sich zu trennen und zu verbinden: Streit und Liebe (Eris und Eros). Feuer als die Bewegkraft der Umwandlung kann mit dem Prinzip des Streits gleichgesetzt werden, weil der Streit zwischen den Gegensätzen die Quelle der Schöpfung und der Lebensenergie ist. Die Wandlung der Elemente konnte auch nach folgendem Muster gesehen werden: Wasser – Anpassung, Luft – Ausdehnung, Feuer – Erzeugung, und Erde – Schrumpfung. Dieses Muster des natürlichen Wechsels spiegelt sich in vielen anderen Phänomenen der Natur wie den Jahreszeiten, den Stadien des menschlichen Lebens, dem zyklischen Aufstieg und Fall von Institutionen und anderen Dingen.

Der vierfältige Kreislauf der Natur korrespondiert mit den vier Phasen des Mondes – das erste Viertel, der Vollmond, der abnehmende Mond und die dunkle Phase des Neumonds. Ebenso war das menschliche Leben dem Kreislauf von Tod und Wiedergeburt unterworfen, wie es das Gesetz des Karma besagt, das kosmische Gesetz von Ursache und Wirkung, das über eine Lebenszeit hinaus reicht. Menschen sterben und werden in einem kosmischen Prozess wieder inkarniert, und all ihre vergangenen Taten beeinflussen die folgenden Inkarnationen. Die Welt ist ein Ozean von Leben und Tod, das Rad der Zeit, das das Schicksal aller lebenden Geschöpfe und alle Prozesse in der Natur beherrscht.

In heidnischen Traditionen unterliegt nicht nur das menschliche Leben dem Kreislauf der Wiedergeburt, sondern die ganze Welt verändert sich zyklisch. So u.a. in der nordischen Mythologie, wo Ragnarök nicht das abschließende Ende der Welt ist, sondern zu ihrer Wiedergeburt führt. Es ist der Neuanfang. Entsprechende Konzepte sind das hinduistische eines zyklischen Schicksalstages, an dem Kali die Welt zerstört. Kali ist die Göttin der Zeit, Kala. Sie ist das Prinzip der Zerstörung und Auflösung, der Nacht, der Dunkelheit und des Todes. Ihre erhobene Hand mit dem Schwert erinnert an den Tod, doch in der anderen Hand hält sie Sangrail, den Vinum sabbati, das Elixier des Lebens. Sie tanzt auf der Leiche von Shiva, was den Tod bedeutet, aber ihr Tanz findet auf seinem erigierten Penis statt, was den Samen der neuen Schöpfung impliziert. Die monotheistische Apokalypse ist das jüngste Gericht, die endgültige Zerstörung der materiellen Welt. Die Zeit ist hier linear. In heidnischen Traditionen ist die Zeit zyklisch. Alles stirbt und wird wiedergeboren. Der Tod ist ein beständiger Initiator neuen Lebens. Das Rad der Zeit dreht sich beständig, es gibt keinen Anfang und kein Ende.

Der Fluß der Elemente und das Prinzip der Transformation sind auch Thema der Alchemie. In der alchemistischen Transmutation wird die Erde zu Wasser, wenn sie geschmolzen oder aufgelöst wird, Wasser wird zu Luft durch Kochen, Luft wird zu Feuer (einen trockenen Dunst) durch Erhitzen, und Feuer wird wieder zu Erde, indem es zu einem festen Material kondensiert. Symbolisch wird das durch die vier alchemistischen Prozesse dargestellt (Nigredo – Erde, Albedo – Wasser, Citrinitas – Feuer, Rubedo – Luft)10, in denen Materie aufgelöst und wieder kondensiert wird nach der Formel solve et coagula. In der Phase des Nigredo werden die alten Strukturen aufgelöst und können verfaulen (putrefizieren). Dies ist der Beginn des alchemistischen Prozesses, in dem die prima materia weiteren Veränderungen erfährt. Im Stadium des Albedo wird sie zu Silber transmutiert und dann auf der Stufe der Citrinitas das Silber zu Gold. Die Rubedo als letzte Phase veredelt das Gold mit dem Geist und ermöglicht dadurch die Vollendung des alchemistischen großen Werkes. Der Prozess wird in einem Kerotakis, einem Rückflusskondensator durchgeführt, einem der ältesten alchemistischen Instrumente. Der Kerotakis besteht aus zwei symmetrischen Gefäßen, die eins über dem anderen miteinander verbunden sind. Diese zwei Gefäße entsprechen den hermetischen Prinzipien der „oberen Dinge” und der „unteren Dinge” und wurden oft Himmel und Erde (manchmal auch Hades) genannt. Im Kerotakis wird die Materie in Geist umgewandelt und die Elemente ineinander. Es gibt eine beständige Zirkulation zwischen aktiven und passiven Prinzipien, heiß und kalt, feucht und trocken. Das Ziel des Prozesses ist der Stein der Weisen, in dem alle Elemente vereint sind. Dadurch repräsentiert der Stein selbst das fünfte Element, die Quintessenz. In einem alchemistischen Text aus dem sechzehnten Jahrhundert ist zu lesen: „Unser Stein ist aus den vier Elementen” und sie alle sind zu gleichen Teilen darin vereint.

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