Kitabı oku: «Aus meinem Leben - 3. Teil», sayfa 3

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Für uns in Leipzig war durch die Berliner Massenausweisung die Situation sehr verbösert worden. Jetzt galt es aufs neue für die brot- und existenzlos gewordenen Genossen Stellung und für sie und ihre Familien während ihrer Existenzlosigkeit Mittel zum Unterhalt zu beschaffen. Auer ging nach Hamburg und fand dort an der neugegründeten »Gerichtszeitung« Stellung. Rackow, der Geschäftsführer der Berliner Genossenschaftsbuchdruckerei, wanderte nach London aus. Eine kleine Zahl der ausgewiesenen Genossen schwamm über den »großen Teich« nach den Vereinigten Staaten, die Mehrzahl kam nach Leipzig – darunter F.–W. Fritzsche – und Hamburg. Um neue Mittel zu schaffen, verfaßte ich im Einverständnis mit den übrigen Komiteemitgliedern folgendes Rundschreiben, das ich an alle mir geeignet scheinenden Persönlichkeiten sandte.

»Leipzig, Datum des Poststempels.

Geehrter Herr!

Infolge von Vorgängen, die Ihnen hinlänglich bekannt geworden sein dürften, sind eine große Anzahl von Personen heimat- und existenzlos geworden und mit ihren Angehörigen bitterster Not überantwortet.

Diese Notleidenden soweit als möglich zu unterstützen und ihnen zu einer anderweitigen Existenz zu verhelfen, dürfte ein Gebot der einfachsten Menschenpflicht sein, und erlaube ich mir deshalb im Einverständnis einer Anzahl meiner Freunde, auch an Sie die dringende Bitte zu richten, ein Scherflein für die Notleidenden beitragen zu wollen und in gleichem Sinne im Kreise Ihrer Freunde zu wirken.

Ihren Beitrag wollen Sie gütigst unter der Adresse: Herrn M. Kobitsch, Dresden, an der Frauenkirche 6 und 7, oder an Frau J. Bebel, Hauptmannstraße 2, Leipzig, einsenden.

Gewissenhafter Verwendung eingehender Beträge und diskretester Behandlung der ganzen Angelegenheit dürfen Sie sich versichert halten.

Hochachtungsvoll A. Bebel.«

Die vorsichtige Fassung des Rundschreibens zeigt, wie sehr wir im Dunkeln tappten. Wir mußten vorerst feststellen, wie weit wir auf Grand des Gesetzes würden gehen können, denn die Sammlung der Gelder konnte nicht verborgen bleiben. Tatsächlich erfolgte auch einige Monate später bei mir eine ergebnislos gebliebene Haussuchung und eine Anklage auf Grund des Sozialistengesetzes wegen verbotener Geldsammlungen. Ich wurde aber freigesprochen. Damals gingen die Gerichte noch nicht so weit, Sammlungen für die Ausgewiesenen zu bestrafen, später aber, als die Behörden solche Sammlungen ausdrücklich auf Grund des Sozialistengesetzes verboten, wurde die Rechtsprechung eine andere. Wir mußten jetzt die Sammlungen ausschließlich für die Familien der Ausgewiesenen vornehmen.

Meine Aufforderung zur Geldsammlung wurde von einem Erfolg gekrönt, den ich nicht erhofft hatte. Später, als die Handhabung des Gesetzes immer strenger wurde und die Zahl der Ausgewiesenen immer größer, veranstalteten auch einzelne Abgeordnete der Linken im Reichstag Geldsammlungen. Sogar der Abgeordnete Lasker, dem sehr bald das Gewissen wegen seiner Zustimmung zum Gesetz schlug, beteiligte sich an einer solchen.

Die Unterbringung der Ausgewiesenen in eine Arbeitsstelle wurde uns, wie ich schon ausgeführt, sehr schwer gemacht. Die wirtschaftliche Krise befand sich noch auf voller Höhe. Ein Überangebot von Arbeitskräften war in fast allen Branchen vorhanden. Und war es einem Ausgewiesenen geglückt, eine Stelle zu erhalten, flugs erschien die Polizei und denunzierte den armen Teufel seinem Arbeitgeber, der oft widerwillig den eben erst angenommenen Arbeiter entließ. Der mußte jetzt sein Ränzel aufs neue schnüren und zum Wanderstab greifen. Für Männer in vorgeschrittenen Jahren ein hartes Los.

Die fortgesetzten Ausweisungen und die Schikanierung der Ausgewiesenen durch die Polizei hatten aber einen Erfolg, den unsere Staatsretter nicht vorausgesehen. Durch die Verfolgungen aufs äußerste verbittert, zogen sie von Stadt zu Stadt, suchten überall die Parteigenossen auf, die sie mit offenen Armen aufnahmen, und übertrugen jetzt ihren Zorn und ihre Erbitterung auf ihre Gastgeber, die sie zum Zusammenschluß und zum Handeln anfeuerten. Dadurch wurde eine Menge örtlicher geheimer Verbindungen geschaffen, die ohne die Agitation der Ausgewiesenen kaum entstanden wären. Der Vorgang erinnert an die Verfolgung der Christen in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung durch die römischen Cäsaren und ihre Werkzeuge. In die äußersten Winkel des Reiches vor den Verfolgungen flüchtend, predigten sie überall die neue Lehre, wegen der sie verfolgt wurden, und untergruben so am meisten das Reich, das sie als Umstürzler fürchtete. Es muß ausgesprochen werden, daß die Ausgewiesenen, meist kenntnisreiche energische Männer, damals der Partei die größten Dienste leisteten und ihr doppelt und dreifach vergalten, was die Partei an finanziellen Opfern für sie bringen mußte. Das kam auch allmählich unseren Feinden zum Bewußtsein. Von den Bürgermeistern der kleinen Städte und den Landratsämtern liefen fortgesetzt Klagen bei den höheren Instanzen ein über das Unheil, das diese Ausgewiesenen in ihren Bezirken anrichteten. So kam es, daß man vom Jahre 1886 an wenigstens in Berlin nur ganz ausnahmsweise auswies. Man sagte geradezu denjenigen, die man auf verbotenen Wegen ertappte, nachdem sie ihre Strafe verbüßt: Wir weisen euch nicht aus, draußen agitiert ihr, aber hier haben wir euch unter der Fuchtel und legen euch das Handwerk.

Mit welchen Augen ich die Lage Ende 1878 beurteilte, nachdem das Gesetz etwas über zwei Monate in Kraft gewesen war, mag folgender Brief vom 12. Dezember an Vollmar zeigen, der zu jener Zeit noch im Landesgefängnis zu Zwickau wegen Preßvergehens eine lange Straftat verbüßte.

»Wenn ich Sie so lange mit einigen Zeilen von mir warten lasse, so muß ich zu meiner Entschuldigung das alte Lied wiederholen: Überhäufung mit Arbeit. Die Maßregelungen, die Ausweisungen usw. haben mir eine Menge von Arbeiten gebracht, an die ich bei Kreierung des Gesetzes nicht gedacht. Statt daß es recht stille werden sollte, habe ich mehr zu tun wie die ganzen Jahre zuvor, und zum Glück setzt mich meine längere Anwesenheit hier in die Lage, wieder erledigen zu können, was mir sonst unmöglich wäre. Wir haben jetzt alle Hände voll zu tun, um für die existenz- und heimatlos Gewordenen das Nötige aufzubringen. Doch bin ich mit dem Resultat zufrieden. Trotz der erbärmlichen Zeiten – denn die Geschäfte gehen im allgemeinen sehr schlecht, und wir haben bis jetzt den ungünstigsten Winter, den wir in den letzten Jahren gehabt – opfern die Genossen, was sie vermögen; und beschämen so jene traurigen Wichte und jenes erbärmliche Lumpengesindel, welches sich namentlich jetzt in schamlosester Weise in der Presse zeigt.

Sie haben schwerlich einen Begriff davon, wie seit Monaten unausgesetzt und selbst jetzt, wo man uns mundtot gemacht, die liberale Preßmeute mit Beschimpfungen und Denunziationen über uns herfällt. Es ist eine böse Saat, die gesät wird, und sie wird keine guten Früchte bringen.

Ihre Ausweisung ist uns natürlich bekannt, selbstverständlich werden Sie appellieren, aber ebenso selbstverständlich ohne Erfolg. Jetzt darf man sich gegen Sozialdemokraten alles erlauben. Recht und Gesetz gibt es für uns nicht.

Am heitersten sind die Entscheidungen der hohen Reichskommission auf die Beschwerden gegen die Unterdrückungsmaßregeln; die übertrumpft noch die Polizei. Nach den letzten Vorgängen in Berlin übrigens selbstverständlich.

Kayser war diese Woche auch hier, er war noch stark gelb angelaufen; er will nach Breslau.

Kann ich Ihnen in irgendeiner Weise dienen, so wollen Sie mir nur ungeniert schreiben; was zu tun möglich ist, soll geschehen. Im übrigen bewahren Sie sich die nötige philosophische Ruhe. Wären Sie jetzt in der ›Freiheit‹, so würden Sie auch viel Ärger und Verdruß haben, für uns ist Deutschland heute nur Zuchthaus.

Herzliche Grüße von uns.

Ihr A. Bebel.«

Erläuternd bemerke ich: Die Ausweisung, die Vollmar traf, sobald er das Gefängnis verließ, erfolgte auf Grund eines alten sächsischen Gesetzes, wonach jede mit Gefängnis bestrafte Person aus ihrem Wohnort ausgewiesen werden konnte. Von dieser Gesetzesbestimmung machte man zu jener Zeit gegen bestrafte Sozialdemokraten umfassenden Gebrauch. Insbesondere waren damals Max Kayser und Wilhelm Ufert, die durch das halbe Königreich von Ort zu Ort verfolgt wurden, die Gehetzten.

Meine Bemerkungen über die Reichskommission, über deren Wirksamkeit ich mich schon früher äußerte, mögen ergänzt werden durch einen Auszug aus den Tagebuchaufzeichnungen des verstorbenen Kultusministers Bosse, die erklärlich machen, daß diese Beschwerdekommission nicht anders handelte. Die Art ihrer Zusammensetzung sorgte dafür. Bosse schreibt unter dem 20. Oktober 1878:

»Zunächst brachte Bismarck die Ausführung des Sozialistengesetzes zur Sprache! Annahme im Bundesrat, dann sofort Vorlage an den Kronprinzen um schleunigste Publikation... Als richterliche Mitglieder der Beschwerdekommission sind ihm die Mitglieder des Obertribunals v. Grävenitz, Clauswitz, Hahn und Delius als praktisch vollkommen zuverlässig bezeichnet worden. Der Justizminister schlug noch den Obertribunalrat v. Holleben vor und benützte den Anlaß, um – wie mir schien wenig taktvoll und geschickt – die preußischen Richter überhaupt als praktisch zuverlässig herauszustreichen. Fürst Bismarck meinte, wenn die preußischen Juristen alle so wären wie der Staatsanwalt Tessendorf, dann wären sie in der Rekursinstanz zu brauchen; aber die preußischen Staatsanwälte fühlten sich meist nicht als Regierungsbeamte, sondern als souveräne Richter. Den badischen Oberstaatsanwalt Kiefer bezeichnete er als abschreckendes Beispiel. An badische Richter könne man also für die Kommission nicht denken.«

Ein zweiter Brief, den ich fünf Monate später unter dem 28. März 1879 an Vollmar über unsere Lage schrieb, lautet:

»Ihr Brief vom 23. dieses ist in meinen Besitz gelangt. Ich hätte Ihnen schon längst geschrieben, wenn ich nicht fortgesetzt mit den widersprechendsten und häufig auch unangenehmsten Arbeiten überlastet wäre und infolgedessen allmählich in eine Aufregung gekommen bin, die mein Befinden zu keinem erfreulichen gemacht hat. Wenn man von allen Seiten um Rat und Hilfe angegangen wird, die volle Notwendigkeit dazu anerkennt und doch so wenig zu leisten vermag, so ist dies eine höchst unangenehme Situation. Was ich Ihnen, ich glaube schon einmal vor Monaten schrieb, die Krisis ruiniert uns materiell weit mehr als das Sozialistengesetz, gilt auch heute noch und mehr als früher in vollem Umfang. Die einzelnen Unternehmungen haben überall stetig an Halt verloren, und wenn das so fortgeht, so läßt sich mathematisch genau berechnen, wann sie aufhören existenzfähig zu sein. Daß unter solchen Umständen namentlich bei den überall beschränkten Fonds weit mehr an eine Reduzierung als an eine Vermehrung der Arbeitskräfte gedacht werden muß, brauche ich nicht erst zu sagen.

Von unseren älteren und bekannteren Leuten sind Motteler und Kayser noch vollständig stellungslos, Wiemer hat die Fabrikation von Federhaltern aus Schilf ergriffen, Vahlteich will, da man ganz neuerdings ihn zwangsweise von hier fortgebracht – er wohnte unangemeldet hier –, in Chemnitz zur Schusterei greifen, der einarmige Seifert will es mit der Kolportage versuchen, Kayser, Hasenclever und Liebknecht werden zur Not noch hier gehalten, auf wie lange, wage ich bei dem Stand der Dinge nicht zu sagen, da die ›Neue Welt‹ bedeutend an Abonnenten verloren hat und hart am Rande des Defizits steht und die anderen Unternehmungen sich auch nur soso durchschlagen. Wie in dieser Lage für Sie passende Stellung gefunden werden soll, weiß ich bei dem besten Willen nicht. Vielleicht ließe sich mit Übersetzungsarbeiten, welche in Broschürenform gedruckt und, verbreitet werden können, aber selbstverständlich nicht der Gefahr der Unterdrückung ausgesetzt sein dürfen, etwas machen. Die hiesige Genossenschaft könnte sie in Verlag nehmen; doch wird dies immerhin nur eine mäßige Hilfe abwerfen. Ich will einmal mit Liebknecht reden, ob sich für auswärts eine Korrespondenz findet. Daß Sie bei S. nicht ankommen konnten, habe ich gefürchtet, S. ist furchtbar vorsichtig, bis zur Feigheit vorsichtig.

Da fällt mir eben ein, daß Sie vielleicht eine Korrespondenz an der von Curti und Rüegg in Zürich am 1. April gegründeten »Züricher Post« bekommen könnten. Als ich kurz nach Ostern dort war, waren sie mit dem Stand des Blattes zufrieden. Viel werden sie freilich nicht leisten können. Curti war früher einer der Redakteure der ›Frankfurter Zeitung‹, schreiben Sie direkt an ihn, Brief wird jedenfalls unter der Adresse der Zeitung ankommen, und berufen Sie sich auf mich, wenn Sie ihn persönlich nicht kennen.«

Unsere Verlegenheiten waren also nicht gering, aber sie mußten überwunden werden und sie wurden überwunden. Daß die Partei scheinbar alles geduldig über sich ergehen ließ, führte irre. Dem Reichskanzler paßte diese scheinbare Fügsamkeit gar nicht, er hätte am liebsten gesehen, wir ließen uns zu Putschen hinreißen. Von der geleisteten Minierarbeit hatte er keine Vorstellung. In jenen Tagen wurde ihm die Äußerung zugeschrieben: »Man muß die Sozialdemokratie so lange schikanieren und drangsalieren, bis sie losschlägt, um sie dann gründlich ausrotten zu können.« Dieselbe Auffassung vertrat er noch gegen Ende des Gesetzes, als Wilhelm II. durch, die Einberufung der internationalen Arbeiterschutzkonferenz und den bekannten Februarerlaß von 1890 andere Wege einschlug. Auch in anderen maßgebenden Kreisen, namentlich den militärischen, war der Glaube verbreitet, die Sozialdemokratie werde auf die Verkündung des Ausnahmegesetzes durch offenen Aufruhr antworten, und war überrascht, daß dies nicht geschah. Man sah darin nur einen Beweis unserer Feigheit. So erzählte mir im Frühjahr 1880 die Schwester des Philosophen Mainländer, deren persönliche Bekanntschaft ich gemacht hatte, sie sei vor kurzem einige Wochen zu Besuch in Berlin gewesen – die Dame wohnte in Offenbach – und sei bei dieser Gelegenheit in eine größere Gesellschaft gekommen, in der sich auch mehrere Gardeoffiziere befanden. Im Laufe des Abends sei die Unterhaltung auch auf die Sozialdemokratie gekommen, und da sei sie erschrocken über den Haß, den die Offiziere gegen uns bekundeten. So habe der eine geäußert: Hätten die Kerls den Mut loszuschlagen, wir wateten bis an die Knöchel in ihrem Blut.

Um aber auch die entsprechende Stimmung bei dem alten Kaiser gegen uns immer mehr zu schüren, unterhielt man ihn mit den schlimmsten Märchen über unsere angeblichen Pläne. So nur war es möglich, daß, als der alte Herr nach monatelanger Abwesenheit am 7. Dezember 1878 – neun Tage nach Verhängung des kleinen Belagerungszustandes über Berlin – dorthin zurückkehrte, er zu den ihn begrüßenden Stadtverordneten äußerte: »Es ist bewiesen, daß weitverzweigte Verbindungen bestehen, mit dem ausgesprochenen Prinzip, die Häupter der Staaten zu beseitigen.« Mit solchen Geschichten schüchterte man Wilhelm I. ebenso ein, wie man durch die gleichen Geschichten nachher unter dem Ministerium Feilitzsch Ludwig II. von Bayern vor der Sozialdemokratie ängstigte. Und man versuchte die gleichen Mittel bei Wilhelm II. anzuwenden. Mir haben Bekannte, die das kaiserliche Schloß besuchten, wiederholt berichtet, daß im Arbeitszimmer Wilhelms I. auf dessen Schreibtisch die bösesten Hetz- und Schandschriften über unsere Partei gelegen hätten. Zu welchem Zweck ist klar.

Den Herren da oben geht es wie anderen Sterblichen, sie glauben zu schieben und werden geschoben, sie glauben zu regieren und werden regiert.

Die ersten öffentlichen Lebenszeichen der Partei

In den bürgerlichen Kreisen glaubte man vielfach, wir seien mausetot. Was der Mensch gern hofft, das glaubt er. Weil wir so wenig äußere Lebenszeichen von uns gaben, was war wahrscheinlicher, als daß wir kaum noch lebten. Aber wir lebten. Als es im Februar 1879 in Breslau-West zu einer Nachwahl kam, trat auch die Partei in die Schranken, und wenn sie auch keinen Sieg erfocht und weniger Stimmen auf ihren Kandidaten vereinigte als bei der Hauptwahl im Jahre 1878, im Vergleich zu den bürgerlichen Parteien hatten wir am wenigsten eingebüßt. Ein zweiter Vorgang in Breslau zeigte in noch deutlicherem Maße, daß die Partei noch am Leben sei. Am 22. Mai war der Abgeordnete für Breslau-Ost, der Genosse Klaus Peter Reinders an der Proletarierkrankheit gestorben. Reinders, der selbst bis zum letzten Atemzuge mit Leib und Seele für die Partei tätig gewesen, dem die Partei das Höchste war, bekam eine Leichenfeier, wie sie Breslau noch nie gesehen hatte. Und der Erfolg bei der Nachwahl für ihn übertraf unsere kühnsten Erwartungen. Zwar griff mit einer bisher nie gekannten Brutalität die Polizei in den Wahlkampf ein, sie verbot zum Beispiel alle Wahlversammlungen, so daß Hasenclever, der als Kandidat aufgestellt war, und Max Kayser, der ihn im Wahlkampf unterstützen wollte, nur in einer Versammlung in der freien Gemeinde sprechen konnten. Das Resultat der Wahl am 8. Juli war engere Wahl zwischen Hasenclever und dem fortschrittlichen Kandidaten, und in dieser siegte Hasenclever mit 1200 Stimmen Mehrheit. Die Gegner waren betroffen, um so mehr begrüßte die Partei mit großer Genugtuung diesen Sieg. Der Beweis war erbracht, daß auch unter dem Sozialistengesetz allen Schikanen und Gewalttaten zum Trotz die Partei zu siegen verstand.

Dem Breslauer Sieg folgte ein schwerer Verlust für die Partei. Am 1. August starb nach kurzem Krankenlager August Geib am Herzschlag. Man darf es aussprechen, der scheinbar so robuste Mann mit dem prächtigen langbärtigen Männerkopf starb im 38. Lebensjahr als ein Opfer des Sozialistengesetzes. Ohne dessen Aufregungen, Ärgernisse und Sorgen hätte er noch viele Jahre gelebt. Die ganze Liebe und Verehrung für den Mann, der im Rate der Partei stets einer der Ersten und Besten gewesen, kam bei seinem Begräbnis zum Ausdruck. Über dreißigtausend Arbeiter folgten seinem Sarge. Hamburg, die stolzeste Feste der Partei bewies nachher, daß der Same aufgegangen, den Geib als Sämann mit ausgestreut hatte. Aus Anlaß seines Todes schrieb die Frau des schon damals schwer erkrankten Bracke an meine Frau:

»Braunschweig, den 2. August 1879.

Meine liebe Julie!

Es drängt mich, Dir heute einige Zeilen zu schreiben. Beim Empfang dieses Briefes wird es Dir gewiß auch schon bekannt sein, daß Herr Geib gestern am Herzschlag gestorben. Es tut uns sehr sehr leid, er war ein braver Mann und ein treuer, wackerer Kämpfer im Dienste der Sozialdemokratie. Mein Mann wurde heute morgen so von seiner inneren Stimmung beherrscht, daß ihm die Tränen in die Augen traten, und ich fühle es der armen Frau Geib nur zu gut nach. Sie haben keine Kinder, und so war ihr Mann ihr alles. O, es ist überwältigend, mit einem Schlage so elend in der Welt dazustehen, das Leben muß einem zu einer traurigen Einöde werden. Gestern hatten wir die große Freude, Deinen lieben Mann bei uns zu sehen. Wir machten auch einen kleinen Ausflug ins Gehölz per Wagen, denn mein Mann kann leider immer noch nicht gut gehen. Die Füße sind ihm wie gelähmt, es ist kein Leben darin. Dein Mann wird Dir's späterhin erzählen. Wieviel Angst und Sorge mir dieser Zustand macht, brauche ich Dir wohl kaum zu sagen. Man sieht keine Besserung, und das macht einen mut- und hoffnungslos. Wenn ich daran denke, wie er früher gut zu Fuß war und tüchtig marschieren konnte, und wenn ich ihn jetzt dahingehen sehe, so blutet mir das Herz. Der Gedanke, daß es ihm auch so ergehen könnte, wie dem Großpapa, will mir gar nicht aus dem Sinn, und er ist ja doch noch so jung, wieviel schwerer ist ein solches Schicksal doch für einen jungen Mann, als für jemand, dessen Lebensabend schon ziemlich weit vorgerückt ist. In acht Tagen wird mein Mann eine Kur gebrauchen in Baden-Baden. Mein Bruder ist soeben nach Hamburg zu Geibs Begräbnis. Er wird hoffentlich Deinen guten Mann auch dort antreffen. Mein Mann hat dem Deinigen nach Hannover telegraphiert. Derselbe wird sich auch sehr erschrocken haben, wir sprachen noch über Geibs Kranksein. Für Eure freundliche Einladung tausend Dank, wie gern käme ich mal nach Leipzig, doch daran ist gar nicht zu denken. Dahingegen hat mir aber Dein Mann versprochen, daß Du mit Frida diesen kommenden Herbst uns besuchen sollst. Eine größere Freude könnte es für mich nicht geben. Wir werden uns später noch darüber schreiben. Für heute sage ich Dir Adieu, ich muß hinunter, das Abendbrot zu besorgen. Lebe recht wohl und schreibe mir bald einmal ein paar Zeilen wieder. Tausend herzliche Grüße von uns allen auch für Frida in treuer Liebe Deine

Emilie Bracke.«

Als Frau Bracke diesen Brief schrieb, ahnte sie nicht, daß ehe ein Jahr verging, sie ebenfalls Witwe war.

Dem schweren Verlust, den uns der Tod August Geibs zugefügt, folgten wieder Erfolge. Im August 1879 fanden in Sachsen die Landtagsergänzungswahlen statt, bei denen nach dem Gesetz nur ein Drittel der Wahlkreise beteiligt ist. In einem der Wahlkreise, Leipzig Land, siegte Liebknecht und in Zwickau Land Rechtsanwalt Puttrich. Ein bedeutendes Mehr an Stimmen gegen früher erhielten wir in einem der Dresdener Landwahlkreise und in einem Wahlkreise der Stadt Chemnitz. In letzterer Stadt tobte die Polizei wie besessen. So verhaftete sie kurz vor dem Wahltag zwanzig Parteigenossen, die Flugblätter und Stimmzettel falzten, und führte sie wie ein Bündel Zigarren mit einem Strick umschnürt nach dem Polizeiamt. Dort wurden die meisten der Verhafteten wieder entlassen; dagegen wurden Julius Vahlteich, der Kandidat der Partei, und einige andere wider Recht und Gesetz für mehrere Tage in Haft genommen. Eine Anklage konnte nicht erhoben werden. Zweck dieser Prozedur war, unsere Wahlagitation zu durchkreuzen. Dieser Zweck wurde durch die schnöde Rechtsverletzung, die sich die Chemnitzer Polizei zuschulden kommen ließ, auch erreicht.

Bei den Reichstagsnachwahlen in Erfurt und in Magdeburg schnitt die Partei sehr günstig ab. Diese Erfolge wirkten so niederschlagend auf die gegnerische Presse, daß ein Teil derselben jetzt befürwortend dafür eintrat, das Sozialistengesetz über den 31. Oktober 1881 hinaus zu verlängern. Anfang Januar 1880 sah Bracke sich genötigt, sein Mandat für den 17. sächsischen Reichstagswahlkreis Glauchau-Meerane-Hohenstein niederzulegen. Dieser Rücktritt vom Mandat veranlaßte die gegnerische Presse zu allerlei plumpen Verdrehungen und Unwahrheiten. Bracke sollte das Mandat niedergelegt haben, weil er weder mit dem »Sozialdemokrat« einverstanden sei, noch sich in Übereinstimmung mit Liebknecht und mir befinde. Weiter hätten geschäftliche Rücksichten ihn zum Rücktritt aus der Öffentlichkeit veranlaßt. Darauf antwortete Bracke in der Nummer 15 des »Sozialdemokrat« vom 11. April 1880:

»Ich erkläre erstens: Mein Gesundheitszustand ist leider ein so trauriger, daß noch vor Weihnachten mein Arzt Dr. med. Otto Müller, wie er mir nach der seit einigen Monaten eingetretenen Besserung sagte, die ernstesten Bedenken hegte. Auch jetzt leide ich noch an periodisch auftretenden, äußerst heftigen Katarrhen, welche allein genügen, mich zum Stillsitzen zu zwingen; an einem rheumatischen Zustande, der mir oftmals nicht erlaubt, ohne Hilfe wenige Schritte im Zimmer zu gehen; an einem Nervenleiden, welches jede größere Anstrengung und Aufregung als gefährlich, wenn nicht tödlich erscheinen läßt. Wenn an diese Krankheit aber in Braunschweig kein Mensch glaubt, so muß sich die Mehrheit der Einwohner über Nacht in Tiere oder Engel verwandelt haben. Zweitens: Geschäftliche »Rücksichten«, wie überhaupt materielle Interessen haben mich nie in meinem Leben davon abgehalten, für meine Überzeugung meine Pflicht zu tun. Die Behauptung des Gegenteils bei Gelegenheit der mir jetzt auferlegten Zurückhaltung ist eine höchst leichtfertige und grobe Beleidigung. »Auf eine Anzahl adeliger Großgrundbesitzer« habe ich bisher nie »Rücksicht« genommen und glücklicherweise auch keine zu nehmen. Diejenigen Herren, welche bisher mit mir verkehrt, fanden offenbar Geschmack an meinen geschäftlichen Grundsätzen und fragten nicht nach meinem politischen Standpunkte, und diejenigen, welche sich erdreisten möchten, hiernach zu fragen, tun am besten, mir fern zu bleiben. (Bracke führte das väterliche Geschäft: Getreide- und Mehlhandlung. A. B.) Drittens: Ich bedaure allerdings jedes gewalttätige Vorgehen; aber die Geschichte zeigt, daß noch jedesmal die Gewalttat von oben die Gewalttat von unten erzeugte. Ich befinde mich deshalb auch mit meinen Freunden Bebel und Liebknecht wie mit dem »Sozialdemokrat« in Zürich in vollem Einverständnis. Von einem ›Verlust‹ in ihrem Sinne kann deshalb nicht die Rede sein, wenn ich allerdings auch vorläufig zu den Ganzinvaliden gehöre.«

Diese Erklärung war Brackes letztes Hervortreten in der Öffentlichkeit. Kaum vierzehn Tage später, am 27. April, abends 8 Uhr, starb er an den Folgen eines schweren Blutsturzes im Alter von kaum 38 Jahren. Ein großes Herz hatte aufgehört zu schlagen, einer der liebenswürdigsten Menschen war nicht mehr. Die Partei hatte einen hochintelligenten, unermüdlichen, opferwilligen Parteigenossen verloren, sein Weib und seine vier Kinder einen Gatten und Vater, der mit schwärmerischer Liebe an ihnen hing, seine alten Eltern – der Vater war selbst schon jahrelang leidend – einen liebevollen Sohn. Wir, die wir ihm persönlich näherstanden, einen stets heiteren, lieben Freund und Kameraden, »einen bessern findst du nit«.

Sonntag, den 2. Mai, wurde Bracke unter enormer Beteiligung der Bevölkerung zur letzten Ruhe bestattet. Und jetzt zeigte sich wieder einmal die Polizei in ihrer ganzen Barbarei und erbärmlichen Nichtswürdigkeit; sie verbot das Tragen von Traueremblemen im Zug und jede Rede am Grabe. Das nahm aber der Feier nicht ihre Würde. Die Parteigenossen Braunschweigs schaufelten selbst das Grab zu, und ihre Frauen bestreuten den Grabhügel mit frischen Blumen, um ihn wurde ein Berg von Kränzen und Palmen aufgebaut. Jahrzehntelang war es üblich, daß die Braunschweiger Genossen am Todestage ihres unvergeßlichen Führers an seinem Grabe eine Gedächtnisfeier veranstalteten.

Nachdem Bracke sein Mandat niedergelegt hatte, wurde im 17. sächsischen Wahlkreis Ignaz Auer als Kandidat aufgestellt, für dessen Wahl ich in Nummer–5 des »Sozialdemokrat« einen Aufruf zur Geldsammlung veröffentlichte. Am 2. März siegte Auer mit 8225 Stimmen über seinen Gegner, der 7256 Stimmen erhielt. Die Beteiligung an der Wahl war eine mäßige und die Mehrheit Auers keine große. Das lag nicht an ihm. Im Winter von 1879 auf 1880 war namentlich unter den damals im Verhältnis sehr zahlreichen Handwebern die Not aufs höchste gestiegen und hatte allgemein Entmutigung im Gefolge. Die Notlage, besonders unter den Handwebern der Weberdörfer im sogenannten Mülsengrund, war eine so große, daß ich mich veranlaßt sah, über deren Lage eine Enquete zu veranstalten und, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Zustände zu lenken, eine Broschüre veröffentlichte unter dem Titel »Wie unsere Weber leben«, die in zwei Auflagen erschien. Bei Bearbeitung des Materials legte ich mir wiederholt die Frage vor: Wie können diese Menschen überhaupt noch leben?

Ein anderer Umstand, der auf die Wahlbeteiligung ungünstig einwirkte, war der, daß die Behörde die Wirte bestimmte, keinen Saal zu Versammlungen herzugeben. Und als Auer dieses dadurch auszugleichen suchte, daß er von Ort zu Ort zog und in die Wirtschaften Leute zusammenrufen ließ, um in der Privatunterhaltung sich auszusprechen, hatten die Gendarmen Anweisung, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen. Doch diese Art bornierter Staatsretterei, in der damals die sächsischen Behörden von der obersten Spitze bis zum letzten Gendarmen schwelgten, hatten, wie gezeigt, nicht den gewünschten Erfolg. Es sei hier kurz auf die unsäglichen Gemeinheiten hingewiesen, denen zu jener Zeit Auer in Hamburg seitens einer Clique Hamburger Genossen ausgesetzt war, denen Most in der »Freiheit« sekundierte. Sie beschuldigen Auer und Rackow neben anderem, sie hätten sich nach der Verhängung des kleinen Belagerungszustandes in Berlin mehr Gelder auszahlen lassen, als ihnen gebührte. Ein gewisser Krahnstöver war der Hauptwortführer für diese Beschuldigungen, welche die bürgerliche Presse mit Wollust weiter verbreitete und entsprechend glossierte. Auer und Rackow klagten gegen Krahnstöver. Der Prozeß ergab nicht das geringste, was die Ehre der beiden beflecken konnte. Die Hamburger Presse berichtete auch durchaus objektiv über den Prozeß, nur die Berliner »Post«, die damals wie heute zu den giftigsten und unfairsten Gegnern der Partei gehörte, griff Auer aufs häßlichste an. Das veranlaßte mich, dem Krahnstöver und Genossen öffentlich zu sagen, daß sie aus Haß gegen Auer ein Bubenstück an ihm verübt hätten. Da aber zu jener Zeit wiederholt solche Zänkereien mit gegenseitigen Beschimpfungen vorkamen, wobei das bemerkenswerteste war, das stets der Teil, der Unrecht bekam, ins Mostsche Lager abschwenkte, veröffentlichte ich in Nummer 7 des »Sozialdemokrat« von 1880 einen geharnischten Artikel, in dem ich ausführte:

»Es war schon früher Taktik der gegnerischen Presse, Differenzen, die zwischen einzelnen Sozialisten vorkamen, geflissentlich zu vergrößern und in ein gehässiges Licht zu stellen, in der Hoffnung, damit Mißtrauen und Spaltung in die Parteikreise zu werfen. Neuerdings hat sich diese Taktik mehrfach wiederholt. Die sozialistenfeindliche Presse hofft jetzt eine Spaltung mit um so größerem Erfolg herbeiführen zu können, da durch das Ausnahmegesetz die Parteipresse und das Versammlungsrecht in Deutschland unterdrückt sind und es damit uns unmöglich gemacht wurde, Angriffe und Verdächtigungen zurückzuweisen und die gegnerische Taktik gebührend an den Pranger zu stellen. Um so mehr muß es sich jeder Parteigenosse zur Pflicht machen, im Kreise der Gesinnungsgenossen der Verbreitung gehässiger Darstellungen entgegenzuwirken und, wo er selbst nicht genügend unterrichtet ist, durch Anfrage bei solchen Genossen, von denen er weiß, daß sie besser unterrichtet sind, sich Aufklärung zu verschaffen. Solange die sozialistische Partei besteht, hat es keine Zeitperiode gegeben, in welcher das Gefühl der Solidarität aller so notwendig gewesen ist wie gegenwärtig. Wird dieses Gefühl abgeschwächt oder wird es dadurch untergraben, daß einzelne, sei es aus persönlicher Gehässigkeit gegen diesen und jenen oder aus angeborener Klatsch- und Händelsucht, sich zum Mundstück perfider Anklagen hergeben, so hört die Partei auf zu sein, was sie ist, sie wird eine Clique, von der sich schließlich die, welche es ehrlich mit der Sache meinen, aus Ekel zurückziehen, wohingegen die unfruchtbaren und unfähigen Skandalmacher das Feld behaupten.«

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