Kitabı oku: «Falling for Tide», sayfa 2
3. Kapitel
Aria
Ich habe es mir mit einer Dose Cola Light und meinem Handy auf der aufblasbaren Matratze gemütlich gemacht und schaue mir lustige Katzenvideos an. Erst in zwei Tagen werde ich einen richtigen Internetzugang bekommen, was gut passt, da morgen mein Heimcomputer, mein Fernseher und meine Möbel geliefert werden. Wenn die Sachen hier sind, kann der Techniker alles Notwendige gleich mit anschließen. Während der letzten Tage habe ich nicht gearbeitet. Der Plan, eine romantische Komödie zu schreiben, wurde mittlerweile von der Idee einer anderen Lovestory ersetzt. Ich bin mir mittlerweile aber auch nicht sicher, ob ich diese Geschichte umsetzen kann, was bedeutet, dass ich keine Zeile zu Papier gebracht habe. Worüber sich meine Agentin und meine Verlegerin überhaupt nicht freuten.
Die Pause hat mir allerdings gutgetan. Obwohl ich über mein Smartphone Zugriff auf meine Autorenseiten und mein Postfach habe, fehlte das Bedürfnis, alle paar Minuten nachzuschauen. Wenn ich E-Mails erhalte, in der Regel von meiner Agentin und meiner Herausgeberin, antworte ich natürlich, aber ansonsten habe ich mich zurückgelehnt und diese dringend benötigte Auszeit genossen.
Es ist mir zudem gelungen, meinen Eltern aus dem Weg zu gehen, indem ich ihnen erzählte, dass der Hauskauf zwar abgeschlossen ist, ich aktuell aber damit beschäftigt bin, die notwendigen Vorbereitungen für das Umzugsunternehmen zu treffen. Sie waren nicht begeistert, aber ich habe sie mit einem Versprechen beschwichtigt, dass wir hier zusammen zu Abend essen, wenn alles eingerichtet ist.
Ich nehme einen weiteren Schluck von meiner Cola Light, um den Kloß in meinem Hals zu vertreiben, ehe ich meine halb volle Dose vorsichtig auf den Boden stelle. Dabei spüre ich leichte Vibrationen, die von unten kommen, und sofort schiebt sich ein Bild von Tide vor mein geistiges Auge, der momentan die Decke im Wohnzimmer ersetzt.
Ich sehe nur allzu deutlich vor mir, wie sich sein dunkelblaues T-Shirt eng um seine definierte Brust, seine Bauchmuskeln und seine durchtrainierten Arme spannt, während er eine Trockenbauwand festhämmert. An den letzten beiden Abenden habe ich beobachtet, wie er den Teppich rausriss und die nasse Decke entfernte. Auch wenn wir nur wenige Worte miteinander wechseln, schaue ich ihm bei der Arbeit zu, ohne dass er es bislang bemerkt hat. Ich versuche, ihm möglichst nicht in die Quere zu kommen, wenn ich aber ehrlich zu mir selbst bin, meide ich ihn.
Als ich ein lautes Krachen und derbes Fluchen höre, springe ich auf und laufe die Treppe runter. Im Wohnzimmer bleibe ich stehen und blicke mich um. An der Wand lehnt ein Stück ramponierte Gipskartonplatte und Tide stemmt eine weitere, intakte Platte über seinen Kopf, während er sich auf die Leiter in der Mitte des Raums zubewegt.
»Ist alles in Ordnung?«
Bei meiner Frage dreht er sich zu mir um. »Ja«, antwortet er ächzend und erklimmt mit gekonnten Schritten die Metallstufen. Rasch eile ich zu ihm, klettere die ersten sechs Stufen hinterher und helfe ihm, die Trockenwand an Ort und Stelle zu halten, als er die Nagelpistole aus dem Gürtel um seine Hüften zieht. »Babe, was zur Hölle machst du da? Geh runter.«
»Nein.« Ich sehe ihn nicht an, sondern steige noch eine Stufe höher, um meine Arme etwas zu entlasten, die unter dem Gewicht der Platte zu zittern beginnen.
»Geh runter.«
»Mach einfach«, zische ich und kämpfe gegen meine schwindenden Kräfte an. Gott, ich muss wirklich mehr trainieren.
»Zum Teufel«, knurrt er, bevor er loslegt. Bei jedem einzelnen Schuss der Nagelpistole zucke ich zusammen. Erst als ich sicher bin, dass es hält, lasse ich los und klettere die Leiter wieder runter. Als Stille eintritt, sehe ich auf und begegne Tides Blick. Er ist wütend. Auch wenn ich ihn nicht gut kenne, entgehen mir der aufgebrachte Ausdruck in seinen Augen und die Anspannung in seinem Kiefer nicht. »Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?« Der Klang seiner Stimme hallt durch den Raum und erfüllt mich bis in den letzten Winkel.
Ich straffe die Schultern und recke das Kinn. »Ich habe dir geholfen.«
»Mir ist klar, dass du das meinst, Babe, aber was hättest du gemacht, wenn die Leiter unter der Last von uns zwei nachgegeben hätte?«
Mist, das habe ich nicht bedacht.
»Siehst du ... Und was glaubst du, wäre passiert, wenn einer der Nägel abgeprallt wäre und dich getroffen hätte?«
Verdammt. Auf die Idee bin ich auch nicht gekommen. »Ist so was überhaupt möglich?«
»Frag mal meinen Freund Tiny, der kürzlich einen Nagel aus seiner Schulter entfernen lassen musste.«
Autsch.
»Ich habe nur versucht zu helfen«, erwidere ich leise.
»Das tust du, indem du mir nicht hilfst.«
Ich ziehe die Nase kraus. Er hat die ganze Zeit über allein gearbeitet und trotz seiner Kraft sowie Erfahrung ist es offensichtlich nicht einfach, ohne Unterstützung eine Decke anzubringen. »Warum lässt du dir nicht von jemandem helfen?«
»Weil ich hierbei kein weiteres Paar Hände brauche«, antwortet er, schiebt die Leiter ein Stück zur Seite und greift nach der nächsten Platte. Als er sie über seinen Kopf stemmt, beobachte ich das Spiel seiner Muskeln.
Als er jedoch die Metallstufen erreicht, trete ich instinktiv nach vorn und halte den Gipskarton in Waage, damit Tide ihn platzieren kann.
»Ernsthaft?«
Mich nicht noch einmal entschuldigend, warte ich ab, ohne Tide anzusehen. Er stößt ein genervtes Brummen aus, und einen Moment später zucke ich erschrocken zusammen, als erneut das Geräusch der Nagelpistole ertönt. Anschließend klettere ich zurück nach unten. Als sich eine warme, starke Hand um meine Finger schließt, halte ich inne – einen Fuß auf dem Boden, den anderen in der Luft.
»Was habe ich gesagt?«
Vorsichtig linse ich zu ihm hoch und oh Gott. Er wirkte vorhin schon sauer, was aber nichts gegen jetzt ist.
»Ich versuche nur, dir zur Hand zu gehen.«
»Was unnötig ist. Wenn ich Unterstützung bräuchte, würde ich einen meiner Jungs anrufen.«
»Also schön.« Ich werfe meine Arme in die Luft. »Aber lauf nicht heulend zu mir, wenn dir eine dieser Trockenbauwände auf den Kopf kracht und dich ausknockt.«
»Das wird nicht passieren«, meint er und greift nach der nächsten Deckenplatte. Als er wieder bei der Leiter ist, wirft er mir einen Blick zu, um sicherzustellen, dass ich nicht noch einmal Anstalten mache, ihm hinterherzuklettern.
»Ich rühre mich keinen Zentimeter.«
»Ja, und ich wette, es bringt dich förmlich um«, grummelt er, und ich schaue ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Er hat recht; es juckt mir in den Fingern, mich in Bewegung zu setzen und ihm zu helfen, aber wenn er ein chauvinistischer Alpha-Mann sein will, bitte sehr ...
»Machen Sie weiter, Sir.« Ich salutiere und entdecke, wie seine Mundwinkel zucken, als er die Stufen hinaufsteigt. Dann beobachte ich voller Ehrfurcht, wie er die Platte mühelos an der Decke festnagelt. Er scheint das wirklich im Alleingang bewerkstelligen zu können.
»Sieh mal einer an, jetzt herrscht plötzlich Ruhe auf den billigen Plätzen.« Grinsend stützt er seine Ellenbogen auf die Leiter. Himmel, er sieht viel zu gut aus.
»Angeben ist kein feiner Charakterzug.«
»Also möchtest du lieber, dass ich bewusstlos auf deinem Wohnzimmerboden ende, ohne Rettung in Sicht, weil du dich weigerst, mir zu helfen?«, neckt er und zieht eine Braue hoch.
»Geh mir nicht auf den Keks.« Ich drehe mich um und höre ihn hinter mir lachen, als ich in die Küche stürme. Ich öffne den Kühlschrank und hole die Zutaten für eines meiner Lieblingsgerichte heraus: ein einfaches Pfannengericht mit Reisnudeln, Hühnchen und Pad Thai-Sauce.
Nachdem das Fleisch, die Nudeln und das Gemüse fertig sind, gebe ich alles in einen Topf und füge die Sauce hinzu. Ich rühre mehrmals kräftig um, bis alles gleichmäßig damit bedeckt ist. Anschließend schnappe ich mir einen Pappteller und spähe hinüber zum Wohnzimmer. Mir ist klar, dass ich mich zurückhalten sollte, was mich aber nicht daran hindert, die halbhohe Wand zu umrunden.
»Ähm«, beginne ich, und als Tide mich ansieht, muss ich mir meine plötzlich schweißnassen Hände an der Vorderseite meiner Shorts abwischen. »Keine Ahnung, ob du schon gegessen hast, aber ich habe gekocht und du kannst gern etwas davon abhaben. Es ist genug da.«
»Ich dachte schon, ich müsste mir selbst zu einer Portion verhelfen, nachdem du nach oben verschwunden bist«, sagt er und kommt auf mich zu. »Es riecht gut.«
»Danke.« Am Saum meines Oberteils herumfummelnd, mache ich auf dem Absatz kehrt, um in die Küche zurückzukehren. »Magst du Thailändisch?«
»Ich habe es noch nie probiert«, entgegnet er, als ich einen weiteren Pappteller aus dem Schrank nehme und ihm in die Hand drücke.
»Sorry, das ist alles, was ich dahabe. Ich kriege meine Sachen erst in ein paar Tagen.«
»Willst du, dass ich mich schlecht fühle?«, fragt er, und ich halte inne – mit einem Pfannenwender voller Nudeln, Gemüse und Hühnchen im Griff. Tide zuckt mit den Schultern. »Ich lebe schon einige Jahre in meinem Haus und benutze immer noch Pappgeschirr. Vermutlich, weil ich ungern abspüle.«
»Du bist ein Mann. Ich bin mir sicher, es ist in deiner DNA verankert, jegliche Art von Putzen zu umgehen.«
»Touché.« Er grinst, und ich lade lachend eine riesige Portion auf seinen Teller, denn in Anbetracht seiner Statur scheint er nicht wenig zu essen. Anschließend reiche ich ihm eine Plastikgabel und eine Wasserflasche, die ich zuvor aus dem Kühlschrank geholt habe.
»Wir haben zwei Sitzmöglichkeiten – entweder die Verandastufen oder den Boden.«
»Die Veranda klingt gut«, meint er, und mit meiner Wasserflasche unter dem Arm geklemmt, gehe ich voraus und öffne die Vordertür. Draußen setze ich mich auf die oberste Stufe, platziere meinen Teller auf meinen Knien und stelle mein Wasser neben mir ab.
»Es ist wunderschön hier draußen«, sagt Tide und lässt sich neben mir nieder.
»Stimmt.« Ich frage mich, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde, an einem so traumhaften Ort zu leben. Wenn die untergehende Sonne durch die Blätter der Bäume scheint und Schatten wirft, sieht es aus wie das Setting eines Fantasy-Romans. Als könnte jeden Moment ein Ritter auf einem weißen Pferd den Weg hinaufreiten, während Feen aus den Bäumen stürzen und einen vor dem bevorstehenden Untergang warnen. Kopfschüttelnd wische ich meine Gedanken fort. »Als ich diese Immobilie sah, wollte ich sie haben. Beim Anblick der Innenräume kamen mir jedoch Zweifel.«
»Es hat ein gutes Fundament. Ein paar Erneuerungen sind nötig, aber du hast eine gute Wahl getroffen.«
»Danke.« Ich wickle einige Nudeln mit meiner Gabel auf und nehme einen Bissen. Obwohl ich dieses Gericht oft zubereitet habe, ist es schon eine Weile her, also stöhne ich genießerisch, als sich die köstlichen Aromen in meinem Mund ausbreiten.
»Verdammt, das schmeckt gut«, sagt Tide, und ich drehe mich zu ihm, um ihn anzulächeln. »Ich hatte lange keine hausgemachte Mahlzeit mehr.«
»Hausgemacht würde ich es nicht nennen. Es ist bloß eine Tüte Pfannengemüse, eine Packung Reisnudeln, Hühnchen und eine Flasche Thai-Sauce.«
»Es stammt nicht aus einem Drive-in, was für mich gleichbedeutend mit hausgemacht ist.«
Ich kann nicht anders, als ihn eingehend zu mustern. Er ist keineswegs dünn. Er ist groß und kräftig gebaut, voller Muskeln, die davon zeugen, dass er auf sich achtgibt. Dennoch wirkt er, als würde er auch mal ein Bier trinken und wüsste gutes Essen zu schätzen. Neben ihm fühle ich mich zierlich und auf seltsame Weise weiblicher.
»Ich schreibe dir gern das Rezept auf, dann kannst du es bei Gelegenheit ausprobieren. Es ist wirklich einfach, alles zusammenzuwerfen.«
»Ich nehme mir eigentlich nur Zeit zum Kochen, wenn ich meine Tochter bei mir habe, und sie ist ziemlich wählerisch.«
»Wie alt ist sie?«
»Vier, fast fünf.«
»Das ist ein lustiges Alter«, erwidere ich leise. Meine ehemalige Schwägerin hat zwei Jungen, und als ich mit meinem Ex zusammenkam, war der eine vier und der andere kurz vor dem sechsten Geburtstag. Einige meiner Lieblingserinnerungen sind an jenen Wochenenden entstanden, wenn wir die beiden zu uns nahmen. Selbst wenn ich erschöpft war, als sie nach Hause gingen, habe ich es stets genossen, sie bei mir zu haben.
»Wie alt ist dein Spross?«
»Was?«
»Dein Kind, wie alt ist er oder sie?«
»Ich habe keines«, widerspreche ich mit gerunzelter Stirn und frage mich, warum er das glaubt.
»Du hast gesagt, du wärst für jemand anderen verantwortlich. Da nahm ich an, du hättest welche.«
Meine Wangen fangen an zu glühen, als mir klar wird, wie missverständlich meine Worte zu interpretieren waren. Ich hefte den Blick auf meinen Teller. »Ich habe keine Kinder. Mein Ex-Mann arbeitete für mich und war während unserer Ehe finanziell von mir abhängig. Als wir uns scheiden ließen, verlangte er Unterhalt.«
»Ernsthaft?« Tide versucht nicht einmal, seine Abscheu zu verbergen. »Er hat tatsächlich gerichtlich durchgesetzt, dass du ihn nach der Trennung aushalten musst?«
»So was passiert ständig.« Ich weiß nicht, warum das meine erste Antwort ist. Sollte es nicht sein. Mein Ex Josh ist absolut in der Lage, zu arbeiten und für sich selbst zu sorgen; er möchte nur seinen derzeitigen Lebensstil nicht aufgeben. Da er alleine nicht genug Geld verdient, um das zu bewerkstelligen, erwartet er, dass ich den Rest aufbringe, und leider haben die Gerichte ihm zugestimmt.
»Du hast recht«, murmelt Tide und wendet sich wieder seinem Essen zu. Ich versuche, das Gleiche zu tun, fühle mich aber unbehaglich und verlegen. Jeder Biss kommt mir gezwungen vor. »Meine Ex hat mir Blumen geschickt.«
»Wie bitte?« Ich drehe mich zu ihm um, und er begegnet meinem Blick.
»An dem Tag, als sie mich verließ, schickte sie mir Blumen. Auf der beigelegten Karte stand, dass sie und meine Tochter bereits aus unserem gemeinsamen Haus ausgezogen wären, wenn ich das lese.«
»Autsch.«
»Mich verletzte nur, dass sie mir mein Kind weggenommen hat.« Angesichts des Schmerzes in seiner Stimme zieht sich mein Herz zusammen und ich lehne mich leicht an ihn.
»Es tut mir leid.«
»Bei jedem von uns ist etwas schiefgegangen.« Er stupst meine Schulter mit seiner an und deutet auf seinen Teller. »Aber lass uns damit aufhören und einfach das Essen genießen.«
Ich verbeiße mir ein Lächeln und folge seinem Vorschlag. Glühwürmchen erwachen um uns herum zum Leben und das Zirpen von Grillen erfüllt die Abendluft. Dieser Moment hat etwas Magisches an sich. Dabei sitze ich nur hier mit einem Mann, den ich kaum kenne, und teile eine Mahlzeit mit ihm. Mehr nicht.
4. Kapitel
Aria
Ein seltsames Klingeln reißt mich aus dem Schlaf. Ich taste den Boden neben mir nach meinem Handy ab, um nach der Uhrzeit zu schauen, halte aber inne, als jemand unten gegen die Haustür hämmert.
»Mist.« Ich werfe die Decke beiseite, rutsche von meiner Luftmatratze und rapple mich auf. Rasch suche ich den Raum nach etwas ab, das ich mir über mein Nachthemd ziehen kann, und entdecke einen Hoodie auf meinem Koffer liegen. Ich schlüpfe hinein und eile nach unten. Keine Ahnung, wie spät es ist, aber heute wollten die Leute vom Umzugsunternehmen kommen, die vermutlich gerade so vehement Einlass verlangen.
Als ich um die Ecke schlittere, hinter welcher der Eingang ist, lege ich mich beinahe der Länge nach hin, kann mich aber rechtzeitig abfangen. Ich öffne ruckartig die Tür und werde sofort von grellem Sonnenlicht geblendet. »Hi«, keuche ich und füge in Gedanken Cardio-Training der Liste von Dingen hinzu, die ich wahrscheinlich nie machen werde, aber eigentlich tun sollte.
»Aria Spencer?«, fragt ein ziemlich verwegen aussehender Herr mit einem Klemmbrett in der Hand.
»Ja.« Ich ziehe mein Nachthemd, das unter meinem Hoodie hervorlugt, ein Stück weiter runter, als er seinen Blick auf meine Beine heftet.
Er räuspert sich und schaut mich wieder an. »Wir sind hier, um ihre Sachen abzuliefern.«
»Super.« Ich schiebe die Tür ein Stück zu und versuche, möglichst dahinter zu verschwinden. »Können Sie mir zehn Minuten geben, um mich anzuziehen?«
»Na klar.« Er tritt einen Schritt zurück. »Haben Sie etwas dagegen, wenn wir den LKW bis an die Veranda ranfahren?«
»Nein, kein Problem.« Ich bedenke ihn mit einem Lächeln und er wendet sich zum Gehen. Sobald er an der Treppe ist, schließe ich ab und renne nach oben, wo ich in eine Leggings und ein übergroßes T-Shirt schlüpfe. Dann putze ich mir die Zähne, bürste mir mein rotblondes Haar und binde es zu einem Pferdeschwanz zusammen. Als ich fertig bin, gehe ich wieder nach unten und lasse die drei Männer herein, die bereits auf der Veranda warten.
Die nächsten fünf Stunden verbringe ich damit, den Möbelpackern zu sagen, wo sie alles hinstellen sollen. Die Sachen für das Wohnzimmer parke ich im Eingangsbereich und in der Küche, da sowohl die Wände noch gestrichen als auch der Teppich verlegt werden muss. Nachdem sie fertig sind, gebe ich ihnen ein paar hundert Dollar Trinkgeld, woraufhin sie lächelnd von dannen ziehen. Ich wiederum bin erschöpft. Alles wurde dort platziert, wo es hingehört, aber die Kisten müssen ausgepackt, mein Bett zusammengebaut und alles eingeräumt werden. Ich werde Wochen, wenn nicht Monate brauchen, um Ordnung in dieses Chaos zu bringen.
Mit einem Seufzer begebe ich mich zum Kühlschrank, um mir eine Cola Light zu holen. Da sich die Couch zurzeit in der Küche befindet, lasse ich mich darauf fallen und lege die Füße hoch. Nachdem ich die Hälfte getrunken habe, stelle ich die Dose auf den Boden und bette meinen Kopf auf der Rücklehne. Ich will nur für ein paar Minuten die Augen zumachen ...
»Aria.« Etwas Warmes berührt meine Wange, und ich hebe blinzelnd die Lider. Tides Gesicht ist lediglich wenige Zentimeter von meinem entfernt. »Hi, du hast nicht geantwortet, als ich geklopft habe«, sagt er, als ich mich aufsetze.
»Wie spät ist es?«
»Fast sechs.« Er nimmt neben mir auf der Couch Platz.
»Ernsthaft?« Ich werfe einen Blick auf die Uhr in der Küche, denn er muss lügen. Ich war noch nie die Art von Person, die mitten am Tag ein Nickerchen macht, egal wie müde ich bin, und ganz sicher döse ich keine fünf Stunden lang, obwohl ich nachts genug geschlafen habe.
»Ernsthaft.« Seine Mundwinkel zucken belustigt, als er sich umschaut. »Deine Sachen sind heute eingezogen.«
»Ach nein, wie kommst du darauf?« Ich schnappe mir meine Getränkedose, stehe auf und höre ihn lachen. »Jetzt muss ich nur alles einräumen«, sage ich, kippe den Rest der Flüssigkeit in den Abfluss und werfe das Metall in den Wertstoffeimer. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass er mich mustert. Ich ignoriere seinen Blick und rede weiter. »Wenn das für dich in Ordnung ist, werde ich anfangen, mein Schlafzimmer und Badezimmer einzurichten, da es wegen all der Möbel hier drin keinen Sinn macht, mit der Küche zu starten.«
»Brauchst du Hilfe?«
»Hilfe?« Irritiert ziehe ich die Brauen zusammen.
»Dabei, deinen ganzen Kram auszupacken?« Er erhebt sich und kommt auf mich zu. »Ich sollte Freitag mit dem Streichen und dem Teppich fertig werden, also könnte ich dir am Wochenende zur Hand gehen.«
»Ähm ...«
»Du kannst mich mit einem Abendessen bezahlen.«
»Abendessen?«
Seine Lippen verziehen sich zu einem klitzekleinen Grinsen. »Ja. Du weißt schon, die Mahlzeit, die nach dem Mittagessen kommt.«
»Natürlich weiß ich, was du meinst, aber bist du sicher, dass du mir helfen willst?«
»Meine Tochter bleibt am Wochenende noch bei ihrer Mom, also kann ich entweder hier nützlich sein oder etwas Zeit mit meinem Kumpel Colton und seiner Frau verbringen. Allerdings sind die beiden so süß zusammen, dass mir eine Alternative lieber wäre.«
»Er hat Brittany geheiratet?«, entgegne ich überrascht. Ich erinnere mich an Colton, Tides besten Freund aus der Highschool, und seine Langzeitfreundin Brittany, die kein bisschen nett, aber trotzdem eines der beliebtesten Mädchen war.
»Woher kennst du Colton?« Tide runzelt die Stirn und sieht mich fragend an.
»Ich ...« Oh Gott, ich möchte ihm nicht sagen, wer ich bin, aber mir ist klar, dass ich auch nicht lügen kann. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
Er verengt die Augen und die Falten auf seiner Stirn werden tiefer. »Colton und ich waren während der Highschool schon eng befreundet, aber an dich erinnere ich mich nicht.«
Wahrscheinlich, weil ich dank meiner Hungeraktionen ungefähr fünfzehn Kilo leichter war. Diesen Gedanken spreche ich aber nicht laut aus. »Ja, wir hingen nicht mit denselben Leuten rum.«
»Heilige Scheiße.« Mit weit hochgezogenen Brauen weicht er einen Schritt zurück, als wäre ich überaus ansteckend. »Aria Spencer. Ich dachte neulich schon, dass du mir bekannt vorkommst, aber ...«, sein Blick wandert über meinen Körper und sofort fühle ich mich unwohl in meiner Haut, »... ich habe zwei und zwei nicht zusammengezählt.«
»Jap, die bin ich.« Ich mache eine unwirsche Geste mit der Hand und wünschte, ich könnte mich irgendwie in Luft auflösen. »Also haben Colton und Brittany tatsächlich geheiratet, was?«, versuche ich, das Thema zu wechseln.
»Himmel, zum Glück nicht. Brittany ist eine dämliche Kuh. Seine Frau heißt Gia. Sie ist erst vor Kurzem hierhergezogen.«
»Oh ... Nun ...« Ich befeuchte meine trockenen Lippen. »Schön für ihn.«
»Ja«, bestätigt er und wirkt, als würde er sich ein Lachen verkneifen. Unbehaglich trete ich von einem Fuß auf den anderen, weil ich nicht recht weiß, was ich sagen oder tun soll. Als er anfängt zu grinsen, werde ich stocksteif. »Aria-bloß-nicht-ansprechen-Spencer ist zurück in der Stadt.«
»Bloß nicht ansprechen?«
»Babe, während der gesamten Highschool-Zeit wuss-ten alle Jungs, dass du off-limits warst.«
Ich ziehe die Nase kraus. »Keine Ahnung, was das bedeuten soll.«
»Es bedeutet, wir wussten, dass du zu gut für uns bist, daher haben wir uns von dir ferngehalten.«
Seufzend verdrehe ich die Augen. »Das ist lächerlich.«
»Aber wahr.« Er schüttelt den Kopf. »Verdammt, ich hätte bemerken sollen, dass du es bist, als ich deine Augen gesehen habe.«
»Meine Augen?«
»Ja, groß und blau wie bei Bambi, und ziemlich schwer zu vergessen.«
»Oh.« Keine Ahnung, ob das ein Kompliment war.
»Also, was das Wochenende angeht ...?«, hakt er nach, und plötzlich tanzen Schmetterlinge in meinem Bauch.
»Dieses Wochenende?«
»Deine Sachen auspacken?« Ein Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln.
»Stimmt.« Ich lasse meinen Blick schweifen und beäuge all die Kisten und Möbel, die um uns herumstehen. Nicht einmal ich habe Lust auf diese Arbeit, also kann ich nur schwer glauben, dass er freiwillig den Nerv dazu aufbringt. »Bist du sicher, dass du mir helfen willst?«
»Ich hätte es nicht angeboten, wenn nicht.«
»Nun.« Ein weiteres Mal befeuchte ich meine Lippen. »Okay, ich wüsste deine Unterstützung sehr zu schätzen.«
»Gut, ich wäre so oder so aufgetaucht, selbst wenn du Nein gesagt hättest.« Er schmunzelt, und ich muss lachen, als mein Magen plötzlich so laut knurrt, dass beinahe die Wände erzittern. Peinlich berührt, bedecke ich meinen Bauch. »Hast du heute schon was gegessen?«
»Ähm ...« Ich überlege. »Keine Ahnung, es war ein verrückter Tag.«
»Das bedeutet wahrscheinlich nein.« Er zieht sein Handy aus der Hosentasche und wendet sich dem Display zu. »Ich hatte noch kein Abendbrot, wie wäre es, wenn ich uns Chinesisch bestelle?«
»Oh.« Meine Mund fühlt sich staubtrocken an. »Klar, warum nicht.« Ich zucke mit den Schultern und er hält sich lächelnd das Handy ans Ohr.
»Was möchtest du?«
»Hühnchen und gebratenen Reis mit Ananas«, antworte ich, woraufhin er mich mit einem Blick bedenkt, der ganz klar sagt, dass er die Vorstellung allein widerlich findet. »Was denn? Das ist lecker.«
»Ich glaub dir einfach mal«, erwidert er, bevor er unsere Bestellung aufgibt und sein Telefon wieder einsteckt. »Das Essen sollte in zwanzig Minuten fertig sein. Schnapp dir ein paar Schuhe, damit wir es zusammen abholen können.« Er dreht sich um, und ich sehe ihm nach, ehe ich mein übergroßes T-Shirt, meine Leggings und meine nackten Füße betrachte.
Zusammen abholen? Etwa in seinem Truck? Allein mit ihm?
Mir einen Grund zurechtzulegen, warum ich nicht mit ihm fahren kann, hat offenbar eine gefühlte Ewigkeit gedauert, denn er kommt zurück in die Küche und runzelt irritiert die Stirn. »Ari, wir müssen los. Es sei denn, du willst kaltes Essen.«
»Okay.« Ich reibe meine Lippen aneinander. »Ich bin gleich wieder da.« Ich warte nicht auf seine Antwort, sondern mache auf dem Absatz kehrt und eile nach oben. In meinem Schlafzimmer angekommen, ziehe ich mir einen Batik-Hoodie über, schlüpfe in ein Paar Flip-Flops und schnappe mir meine Handtasche. Unten finde ich Tide im Wohnzimmer vor, wo er die Farbkanister begutachtet, die er gestern vorbeigebracht hat. »Es kann losgehen«, sage ich, und er schaut mich über seine Schulter hinweg an, ehe er sich so anmutig zu seiner vollen Größe aufrichtet, dass es beinahe faszinierend auf mich wirkt.
»Alles klar, dann lass uns fahren.« Er holt seinen Schlüssel hervor und hält mir die Haustür auf. Ich schließe hinter uns ab und gehe zu seinem Truck. Er überrascht mich, indem er mir auch die Autotür aufhält. Als er hinters Lenkrad rutscht, habe ich mich bereits angeschnallt und umklammere meine Tasche wie einen Rettungsring, weil ich nicht recht weiß, was ich mit meinen Händen machen soll.
»Du musst dir ein Alarmsystem für dein Haus anschaffen«, meint er, als er mit dem Wagen die große Baumgruppe vor der Veranda umrundet, ehe er der Auffahrt zur Hauptstraße folgt. »Du bist eine alleinlebende Frau, da solltest du ein paar Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.«
»Ich habe bereits einen Termin mit einer Sicherheitsfirma ausgemacht. Aber ich muss erst mein Internet installieren, damit die Leute kommen können, und damit wollte ich warten, bis ich meinen Fernseher und meinen Computer wiederhatte«, informiere ich ihn, genervt darüber, dass er wie alle anderen denkt, ich sei nicht in der Lage, auf mich selbst aufzupassen. Mir ist klar, dass mich das nicht ärgern sollte, doch das tut es. Dementsprechend kann ich mir einen frustrierten Seufzer nicht verkneifen, bevor ich aus dem Fenster sehe.
»Ari?«
»Ja?« Ich drücke meine Handtasche ein wenig fester an meinen Bauch, in dem wieder Schmetterlinge herumflattern, weil ich Tide so nahe bin. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn.
»Ich würde meiner Schwester genau das Gleiche sagen.«
»Hm.« Dass er mich in dieselbe Kategorie wie seine Schwester einordnet, stimmt mich nicht glücklicher, insbesondere, da ich in den letzten Nächten mehr als einmal aus Träumen von uns beiden erwacht bin, die nicht gerade jugendfrei waren.
»Babe.«
»Ja?« Ich halte den Atem an und warte darauf, dass er noch mehr sagt.
»Egal.« Er schüttelt den Kopf und konzentriert sich wieder auf die Straße. Den Rest der Fahrt über schweigen wir, und als wir das chinesische Restaurant erreichen, springt er raus und kommt ein paar Minuten später mit einer Tüte voll Essen wieder, die er mir reicht.
Das Knurren meines Magens und die leise Musik im Hintergrund sind die einzigen Geräusche auf der Fahrt zurück zu mir. Als wir in die Einfahrt biegen, springt mir sofort ein Mercedes Benz ins Auge, der vor dem Haus geparkt ist.
»Oh nein«, stöhne ich, als die Scheinwerfer seines Trucks meine Eltern erfassen, die auf der Veranda stehen. Auch wenn ich selbstverständlich weiß, dass es sinnlos ist, ziehe ich die Kapuze meines Hoodies über mein Haar und ducke mich auf meinem Sitz, in dem Versuch, mich zu verstecken.
»Sie haben dich bereits gesehen«, setzt mich Tide amüsiert in Kenntnis. Als er den Motor abschaltet, wird es dunkel im Inneren des Wagens.
»Ich weiß.« Ich funkle ihn finster an, auch wenn ich bezweifle, dass er meinen bösen Blick angesichts des fehlenden Lichts überhaupt mitbekommt. »Ich versuche gerade, meine magischen Fähigkeiten anzuzapfen und mich in eine andere Dimension zu beamen.«
»Mist, hast du etwa dein Teleportationsamulett vergessen?«, witzelt er.
»Halt die Klappe.« Lachend richte ich mich auf und löse meinen Anschnallgurt.
»Das sind deine Eltern, oder?«, fragt er plötzlich ernst, und ich nicke.
»Ja«, flüstere ich.
»Ich nehme mal an, dass du sie nicht erwartet hast.«
»Korrekt.« Ich atme tief durch. »Ich habe ihnen gesagt, wir könnten bei mir zusammen zu Abend essen, sobald meine Möbel geliefert wurden. Allerdings hätte ich nicht gedacht, sie würden hier einfach auftauchen.«
Tide schaut durch die Windschutzscheibe und seine finstere Miene verrät mir, dass er meine Eltern kennt. Der Ausdruck auf seinem Gesicht überrascht mich nicht. Meine Eltern sind in der Stadt bekannt. Jedoch nicht, weil sie die Art von Menschen sind, die einen bleibenden positiven Eindruck hinterlassen.
»Es wird schon gut werden. Vielleicht bleiben sie nicht lange.« Er fasst nach dem Türgriff und Panik erfüllt meine Brust. Ich möchte ihn auf keinen Fall der Gesellschaft meiner Eltern aussetzen.
»Warte.« Rasch umschließe ich seinen Arm und halte ihn auf. »Ich ...« Ich räuspere mich. »Du solltest besser fahren, denke ich.«
»Fahren?«, wiederholt er und klingt dabei sauer oder verletzt. Was von beidem es ist, kann ich nicht sagen, und dass ich seine Mimik nicht lesen kann, ist auch nicht hilfreich.
»Es ist nur ...«
»Du musst es nicht erklären. Ich verstehe schon. Man darf dich nicht mit der einfachen Hilfskraft zusammen sehen.« Er lässt den Griff los, und ich ziehe meine Hand so schnell weg, als hätte er mich verbrannt.
»Tide.«
»Geh rein, Aria.« Er lässt den Motor des Trucks an und schaut aus der Windschutzscheibe.
Ich mustere einen Moment sein Profil und flehe stumm darum, dass er zu mir sieht. Als das nach mehreren Sekunden nicht passiert, werde ich wütend. »Nur damit du es weißt, ich finde es ziemlich mies, dass du das Schlimmste von mir denkst, ohne mir die Möglichkeit zu geben, es zu berichtigen.« Ich stelle die Tüte mit dem Essen auf den Sitz zwischen uns und ignoriere ihn, als er meinen Namen ruft, steige aus und werfe die Wagentür zu. Seine Scheinwerfer beleuchten den Weg zu meiner Veranda, und erst als ich die unterste Treppenstufe erreiche, wendet er den Truck und fährt davon.