Kitabı oku: «LiebesMut», sayfa 2

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Kapitel 3

Margitta wollte dann doch nicht mitgehen, und Astrid ließ einfach keine Ruhe, also war heute, Mittwoch, der Tag, an dem Julia endlich den Gutschein für das Fitnessstudio einlösen würde.

Freudlos hatte sie das Studio betreten, war aber ausgesprochen nett begrüßt worden, obwohl hier niemand wusste, wer sie war.

Das werde ich ganz sicher auch niemandem sagen, dachte Julia. In einer Stunde bin ich sowieso wieder weg.

Alexander, ein zuvorkommender Mitarbeiter des Studios, irgendwo Anfang dreißig, vielleicht ein Meter neunzig und damit beinahe einen Kopf größer als Julia, durchtrainiert, kein Fettpölsterchen, in weißem Muskelshirt und grauer Jogginghose, hatte sie herumgeführt. Er hatte ihr den Fitnessbereich gezeigt, anschließend die Saunen und das Schwimmbecken mit dem angrenzenden Ruheraum, der über weit geöffnete Glasschiebetüren auf eine Wiese führte, auf der fünfzehn oder zwanzig Sonnenliegen verstreut unter riesigen Sonnenschirmen auf Erholungssuchende warteten. Durch eine hohe, blickdichte Hecke war dieser Bereich von der Außenwelt gänzlich abgegrenzt und ließ die Anlage, einer verträumten Oase gleich, im Sonnenlicht dahindösen.

Lediglich zwei Liegen, nicht unter Sonnenschirmen, waren zurzeit von Frauen in Julias Alter belegt. Ein Fingerzeig, der Julia keineswegs umstimmte.

In einer Stunde werde ich wieder in meinem Auto sitzen – und damit basta. Julia hatte diese Entscheidung längst getroffen, vielleicht sogar schon am Geburtstag ihrer Tochter.

Alexander erklärte ihr ein paar Geräte – wie man sie benutzen sollte und welche Muskeln dadurch trainiert würden. Julia hörte kaum zu. Erst nachdem er ihr zwei Geräte nahegelegt hatte, an denen sie, nach dem Aufwärmen auf dem Ergometer, etwas für den Po-Bereich und den Bauch tun konnte, hatte sie wieder zugehört und wirkte innerlich ein wenig ungehalten. Sie hatte doch absichtlich ein extraweites schwarzes Sweatshirt zu den lilafarbenen Leggins gewählt, was offensichtlich völlig nutzlos war. Ihr Po, rund und sehr weiblich, der ihr gefiel, wie er war, war nicht bemerkt worden, es war ihr Bauch, der keineswegs riesig war, der aber mehr oder weniger unverhüllt, schlichtweg entblößt zu sein schien.

Aber aus Kleidergröße sechsunddreißig war im letzten Winter doch lediglich Größe achtunddreißig geworden, dachte Julia verzagt und war gleichzeitig auch bestürzt. Männern würde diese Veränderung, eine Kleidergröße, an sich selbst wohl kaum auffallen. Sie ziehen den Bauch ein, und alles ist gut.

Aber Alexander empfahl ihr, etwas für, genauer gesagt, gegen den Bauch zu tun.

Doch sie beruhigte sich – warum aufregen? In einer Stunde bin ich sowieso wieder weg.

Julia bedankte sich bei Alexander freundlich für den ersten Überblick, versprach, sich bei Fragen unbedingt an ihn zu wenden, und setzte sich auf eins dieser Ergometer. Fünfzehn Minuten hatte er empfohlen und angemahnt, den Puls keinesfalls über einhundertfünfundzwanzig kommen zu lassen. Nur den Körper, nur die Muskulatur aufwärmen, hatte er gesagt.

Bedächtig trat sie in die Pedalen und blickte durch eine andere große Glasscheibe wieder auf die Liegewiese. Die beiden Frauen waren in der Zwischenzeit verschwunden. Nun waren sämtliche Liegen verwaist, und die Oase schien still zu schlafen. Und das erste Mal vernahm Julia leise Musik, irgendwoher aus versteckten Lautsprechern. Esoterische Klänge, wie sie glaubte.

Julia lächelte, über sich, über diese merkwürdige Begebenheit, denn ihre innere Einstellung war dieser ganzen Sache hier, diesem Fitness, keineswegs gewogen – und würde es auch nie werden.

Was hast du dir nur dabei gedacht, Astrid?, fragte sie lautlos ihre Tochter, verlor sich in diesem Gedanken und trat ein wenig schneller in die Pedalen – in der Hoffnung, die Zeit damit überlisten zu können.

Dass in der Zwischenzeit neben ihr ein junger Mann seine Aufwärmphase begonnen und er Julia mit einem freundlichen »Hallo« begrüßt hatte, war ihr völlig entgangen. Erst als die Digitaluhr auf dem Display des Ergometers 15:00 Minuten anzeigte und sie endlich von dem Sattel rutschen durfte, fiel ihr Blick das erste Mal auf den jungen Mann.

»Hallo, na, wieder anwesend?«, sagte er lächelnd, schien aber keine Antwort zu erwarten.

Wieder anwesend? Kopfschüttelnd und wortlos wendete Julia sich rasch ab. Sie suchte kein Gespräch, schon gar nicht mit einem jungen Mann, der noch jünger schien als dieser Alexander und offensichtlich mindestens genauso gut trainiert war wie er.

Sie durchquerte den Saal, in dem die unterschiedlichsten Trainingsgeräte in Weiß, Schwarz und Chromfarben glänzten, bis sie endlich vor dieser Vorrichtung stand, die angeblich gut für ihre Bauchmuskulatur sein sollte.

Was hatte er gesagt? Wo konnte sie die Gewichte und damit die Trainingsstärke verändern?

Hilflos blickte Julia zur Rezeption, doch dieser Alexander war nicht zu sehen. Vielleicht wäre das jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu verschwinden.

Immerhin kann ich sagen, dass ich hier gewesen bin, dachte sie.

»Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«, vernahm Julia plötzlich eine Stimme.

Dir?, wiederholte Julia dieses eine Wort laut im Kopf. Dir?

Julia war entsetzt, drehte sich um und blickte in die Richtung, aus der die Frage, dieses Wort, diese unverschämte Anrede an sie gerichtet worden war. Mit welcher Dreistigkeit duzt man mich hier?, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Nicht einmal Alexander hatte sich das getraut, war distanziert beim Sie geblieben.

Es war wieder dieser junge Mann vom Ergometer, der sie lächelnd aus graublauen Augen ansah. Irgendwie unglaublich und frech, aber irgendwie auch offenherzig und sympathisch, das musste sie zugeben.

»Wissen Sie, wie das hier geht?«, antwortete Julia schließlich, wobei sie die Distanz deutlich betonte.

Doch schien ihn das keineswegs zu beeindrucken, geschweige denn zu irritieren.

»Hat Alex dir gesagt, dass du was für deinen Bauch tun sollst?«

Diese Ungehörigkeit machte Julia beinahe sprachlos. Ist mein Bauch für jedermann so deutlich sichtbar?, fragte sie sich und wurde einen kurzen Moment unsicher. Aber dann ging sie tatsächlich auf seine Frage ein – sie verstand sich selbst nicht mehr.

»Er hat gesagt, ich soll ...«

Doch noch bevor sie ihren Gedanken zu Ende bringen konnte, nahm dieser freche Kerl ihre Hand, hob sie hoch und sagte: »Dreh dich doch mal ... bitte.«

Und tatsächlich, Julia drehte sich, an der Hand dieses Kerls, um die eigene Achse. Sie machte eine Pirouette. Und nun war sie fürwahr fassungslos, weniger über diesen dreisten Kerl, als viel mehr über sich selbst. Machte sie sich gerade zum ... zum ... wie hieß das noch gleich? Ach ja, zum Tanzbären? Zur Tanzbärin?

Aber diese Frechheit hatte ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht.

»Ich finde, du hast eine tolle Figur. Und dein Bauch ...« Er ließ ihre Hand los und strich ihr wie zufällig und keineswegs anzüglich, einfach nur eine Tatsache feststellend, über ihr schwarzes Sweatshirt und damit über den Bauch. »Ich finde, dein Bauch ist doch ziemlich klein und, wenn du mich fragst, einfach zauberhaft. Machst du Yoga?«

Julia nickte nur. Seine Hand auf ihrem Bauch war dreist und frech, und sie glaubte ihren Gedanken, ihren auflebenden Gefühlen kaum selbst, denn ... seine Hand war auch irgendwie angenehm, normal. Wohltuend.

Noch kein Mann hatte Julia so behandelt, hatte es gewagt, sie so zu behandeln – nicht einmal Eckehard. Julia Fürstin von Metten galt als unnahbar, weithin als distanziert, ihre Schwester hielt sie sogar für unterkühlt – nett ausgedrückt. Und eben hatte sie eine Pirouette gedreht und für einen kurzen Moment hatte die Hand dieses dreisten jungen Mannes auf ihrem Bauch gelegen, und es hatte sich gut angefühlt, einfach nur gut.

»Machst du hier so eine Art Schnupperstunde?«

Wieder nickte Julia nur. Ihre Gedanken hörten nicht auf, sich zu drehen, waren völlig derangiert, dachten immer wieder nur an seine Hand auf ihrem Bauch. An diese Frechheit und an dieses ... dieses angenehme Behagen, das sie für eine Sekunde durchströmt hatte.

»Also, ich denke ...«, fuhr er fort und wirkte dabei völlig entspannt und irgendwie ehrlich. »Mach dein Yoga und zweimal in der Woche einen anständigen Waldlauf, und dein Hausarzt kann seine Praxis dichtmachen. Und ein Fitnessstudio brauchst du auch nicht.«

»Und du meinst wirklich, mehr ist nicht erforderlich?«

Julia hatte ihre Distanz verloren, war selbst auch zum Du übergegangen, und sie war froh, zufrieden und geradewegs erleichtert, allein und unerkannt hier zu sein.

Der junge Mann nickte nur. Zustimmend. »Wenn du willst ... Kennst du den Garstetter Wald?«

Natürlich kannte Julia den Garstetter Wald, denn an dessen Rand lag ihr Gut, ihr Zuhause.

»Ja, warum?«

»Samstags laufe ich da immer. Um zehn Uhr. Vom Parkplatz aus. Wenn du also Lust und Zeit hast? Du bist herzlich eingeladen.«

Julia nickte. Nicht zustimmend, eher nachdenklich.

»Ich überleg mir das.«

»Tu das. Ach, wie heißt du eigentlich?«

»Julia.«

»Ich bin Niklas.«

Er reichte ihr die Hand, förmlich und distanziert. Fast wirkte diese Geste ein wenig grotesk, nachdem diese Hand doch Augenblicke vorher schon prüfend über ihren Bauch gestrichen war.

»Vielleicht dann bis Samstag. Ach so, soll ich dir das Gerät hier noch erklären?«

Julia schüttelte den Kopf, und er lächelte wieder unaufdringlich.

»Ich muss jetzt an mein Foltergerät. Mein Rücken. Und das schon in meinem Alter. Schrecklich. Vielleicht dann bis Samstag«, sagte er freundlich.

Und weg war er.

Weltvergessen stand Julia noch eine Weile so da und konnte noch immer nicht begreifen, was hier eben geschehen war. Sie, die Unnahbare, die Zurückhaltende, die personifizierte Distanz, war wie ... wie Dornröschen aus einem langen Schlaf geweckt worden. Zwar nur für Sekunden – aber wie sehr hallten diese Sekunden in ihr nach.

Ohne sich weiter um irgendwelche Übungen zu kümmern, ging Julia zur Rezeption. Alexander war in der Zwischenzeit wieder aufgetaucht. Sie bedankte sich für seine Bemühungen und sagte freundlich: »Ich werde mir das alles einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.«

Höflich nahm sie noch einen Prospekt entgegen, ging in die Umkleidekabine, packte ihre Sachen - duschen würde sie gleich zu Hause - und verließ, wieder ganz die distanzierte Fürstin, das Fitnessstudio.

Doch diese eine Stunde, die merkwürdige Begegnung mit diesem Niklas trug sie wie eingemeißelt im Gedächtnis.

Am Samstag um zehn?, ging ihr sein Angebot durch den Kopf.

Natürlich nicht!

Sie setzte sich in ihren nachtblauen Mercedes und fuhr nach Hause.

Kapitel 4

Julia. Der Name ging ihm seit drei Tagen nicht mehr aus dem Kopf.

Er erinnerte sich an den Mittwoch, an ihre erste Begegnung: Ihre Augen wirkten anfänglich ein wenig abweisend und auch traurig und müde, doch am Ende hatten sie gelächelt. Auch die Mail von Lu drängte sich wieder nach vorn. Hatte sie die Neugier auf Julia ausgelöst? Niklas schüttelte den Kopf. Das Wort ›Neugier‹ gefiel ihm gar nicht. Aber was war es dann? Warum hatte er ihr angeboten, mit ihm zusammen zu joggen? Etwas, das er noch nie mit jemandem geteilt hatte. Dieses Laufen hatte schon immer ihm allein gehört. Dabei waren ihm stets die besten Ideen gekommen, auch sein Pseudonym: Edmond Beauville. Doch darüber und über seine Bücher würde er heute ganz sicher nicht sprechen.

Und wieder hatte Niklas nur ihren Namen im Kopf: Julia.

Niklas fuhr rasch über die Landstraße, Pappeln huschten links und rechts an ihm vorbei und warfen gleichmäßige Schatten auf sein Auto. Weite Spargelfelder ergossen sich neben der Straße und zogen sich hin bis zu anderen Landstraßen, Kartoffelackern oder Maisfeldern. Die heutige Spargelernte war beinahe fast abgeschlossen, nur noch vereinzelt waren Erntehelfer zu sehen, die dann aber bereits große Körbe für den Abtransport bereitstellten.

Es war ein schöner Samstagmorgen, fast wolkenlos, und es würde ein warmer Tag werden, trocken und frühsommerlich, jetzt mitten im Mai.

Kaum ein Auto war ihm seit Winsen, seit er auf dem Weg zum Garstetter Wald war, entgegengekommen.

Ganz sicher wird sie nicht kommen, dachte er.

Niklas wusste nicht, ob ihn das traurig machen sollte, oder ob damit nicht einfach nur ein angenehmer Traum zu Ende ging, ein Traum, in dem der Name Julia irgendwo in seinen Erinnerungen leise verklingen würde.

Denn warum sollte sie auch kommen?

Und was wollte er eigentlich von ihr? Eine Frage, die Niklas sich nicht beantworten konnte.

Sie war ganz sicher schon fünfunddreißig, und er war gerademal fünfundzwanzig. Aber war das nicht vielleicht schon die Antwort?

Doch was würden seine Freunde sagen? Gerd, Michael und Ingolf.

Sie würden ihn nicht einmal anhören.

Auch Ingolf nicht?, den er schon seit fünf Jahren kannte?

Niklas schüttelte innerlich den Kopf. Aber wenn sie ihn nicht anhörten, waren es dann überhaupt Freunde?

Langsam rollte sein schwarzer Golf auf den Parkplatz, und er sah sich um, einige Autos standen schon vorne an, unter den Bäumen im Schatten. Ein älteres Ehepaar mit Hund verschwand gerade im Zugang zum Wald. Doch weiter war niemand zu sehen.

Nirgends wartete eine wohl fünfunddreißigjährige Frau auf einen fünfundzwanzigjährigen Mann.

Niklas lächelte. Wie absurd dieser Gedanke doch gewesen war. Vielleicht nicht wegen des gemeinsamen Joggens, aber ganz sicher wegen all der weiteren Ideen, die ihm kurz durch den Kopf gestürmt waren.

Und unverzüglich war ihm klar, dass sie nicht kommen würde. Wozu auch? Joggen konnte sie auch allein, oder vielleicht sogar mit ihrem Mann, dafür brauchte sie ihn nicht.

Aber gab es überhaupt einen Mann in ihrem Leben? Ganz sicher. Eine solche Frau lebte bestimmt nicht allein. Vielleicht gab es ja sogar Kinder. Ein Gedanke, der Niklas erschaudern ließ. Bleib ganz ruhig, sagte er sich. Du hast sie nur zum gemeinsamen Joggen eingeladen.

Niklas stieg langsam aus. Einen Moment würde er aber trotzdem warten – man weiß ja nie.

Niklas blickte zur Uhr: 09.55 Uhr. Bis Viertel nach zehn werde ich warten, dachte er. Das akademische Viertel. Außerdem musste er sowieso noch seine Stretching-Übungen machen.

Niklas begann mit den Rumpfbeugen. Es waren die Übungen, die er am meisten hasste, die er aber auch am meisten benötigte. Noch nie hatte Niklas es geschafft, mit durchgedrückten Knien die Fingerspitzen bis zum Boden zu führen. Es störte ihn nicht weiter, doch ein Arzt hatte ihm einmal gesagt, wenn er nichts dagegen tat, würde er schon bald nicht mehr mit den Fingerspitzen bis zu seinen Knien kommen und würde irgendwann, vielleicht schon in zehn Jahren, Schwierigkeiten haben, sich im Stehen seine Boxershorts anziehen zu können. Doch das wollte er nicht. Niklas wollte nicht mit fünfunddreißig schon ein alter Mann sein. Er war jung – und das hoffentlich noch sehr lange.

Deshalb machte er regelmäßig und sehr ›brav‹ diese schrecklichen Übungen.

Vier Minuten später fuhr ein nachtblauer Mercedes auf den Parkplatz und blieb neben seinem Golf stehen. Vornübergebeugt dehnte Niklas gerade die Rückenmuskulatur und blickte kurz auf. Und tatsächlich, sie war es.

Julia war wirklich gekommen.

Niklas erhob sich, lächelte und betrachtete Julia das erste Mal etwas genauer. Schwarze wellige Haare, halblang, umspielten ihr Gesicht, die dunkelbraunen Augen hatte er noch in Erinnerung, aber nicht dieses wenige Lächeln, das sie heute umgaben, das irgendwie auch anders schien, strenger, nicht so herzlich, glaubte er, denn diese Strenge wäre ihm schon am Mittwoch aufgefallen. Aber die Lachfältchen, die ihn am Mittwoch schon unerklärlicherweise angezogen hatten, faszinierten ihn erneut.

Ihr dunkelgrüner Jogginganzug war etwas weiter geschnitten, trotzdem war deutlich zu erkennen, dass sie eine wundervolle Figur hatte. Ihr Busen war ganz sicher nicht sehr üppig, was aber auch nicht wirklich zu ihr gepasst hätte, doch ihr Po – sein Blick verweilte hier fast einen Augenblick zu lang – ihr Po war vollendet schön, weiblich rund, selbst unter diesem etwas weiten Jogginganzug war das zu erkennen.

»Und, alles in Ordnung an mir?«, fragte Julia ruhig, aber irgendwie auch ein wenig tadelnd. Sein Blick war ihr offensichtlich nicht entgangen.

Ganz sicher wären seine Wangen jetzt rot angelaufen, wären sie nicht, wie der Rest des Kopfes, durch das Rumpfbeugen, das er eben beendet hatte, sowieso schon rot gewesen.

»Alles in Ordnung«, gab er dann auch ziemlich lahm zurück und fügte ablenkend hinzu: »Hallo erst mal. Möchtest du dich auch eben ein wenig aufwärmen?«

»Ich denke, wir sollten einfach loslaufen.«

Sollten wir das?, dachte Niklas. Was ist los? Sie schien verändert, hatte nicht einmal auf sein »Hallo« geantwortet. Vielleicht wollte sie ja gar nicht kommen? Aber warum war sie dann hier? Fragen, über die er kurz nachdachte. Doch da lief Julia auch schon los – ohne auf ihn zu warten.

An der ersten Weggabelung, die in den Wald führte, bog Julia nach links ab.

»Halt!«, rief Niklas unmissverständlich und tatsächlich: Dieses eine Wort, laut und bestimmend, ließ sie stoppen.

Sie blickte ihn fragend an, während Niklas an ihr vorbeilief. »Wir laufen in die andere Richtung. Wir machen unsere Runde linksherum.«

Sie überlegte einen Moment und schüttelte schließlich den Kopf. »Linksherum, rechtsherum, spielt das eine Rolle?«

Als sie endlich neben ihm lief, unternahm Niklas einen Versuch, ihr das zu erklären.

»Im Stadion läuft man immer linksherum. Dem Herzen zu.«

Unversehens blieb sie stehen. »Sind wir hier in einem Stadion?«

Und sie lachte, nicht überschwänglich, eher abschätzend, es schien, als lachte sie über ihn, als lachte sie Niklas aus.

»Das nicht«, sagte er. »Es ist eher Gewohnheitssache.«

»Gewohnheitssache?«, wiederholte sie ein wenig mürrisch.

Doch das waren dann für die nächsten Augenblicke auch die letzten Worte, die sie miteinander wechselten.

Julia wirkte tatsächlich ein wenig angestrengt, ging es Niklas durch den Kopf. Vielleicht wollte sie das Ganze nur rasch hinter sich bringen, vielleicht hatte sie ihn von der ersten Begegnung ganz anders in Erinnerung. Oder vielleicht nahm sie ihm aber auch den etwas anzüglichen Blick auf ihren Po übel. Doch das glaubte er kaum.

Zumindest lief sie ziemlich rücksichtslos und schnell, viel zu schnell. Lange würde sie das nicht durchhalten, doch er wollte dem Ganzen schon früher ein Ende bereiten. Er wollte sie lachen sehen ... oder aber rasch verschwinden.

Niklas war ein geübter Läufer. Seit seiner frühesten Jugend lief er – mit Begeisterung. Vor acht Jahren war er saarländischer Jugendmeister über achthundert Meter gewesen. Doch weiter war seine Karriere nicht gegangen, einige Umzüge der Eltern, die sie am Ende hierher nach Norddeutschland gebracht hatten, waren daran nicht ganz schuldlos gewesen.

Seine Eltern lebten in der Zwischenzeit in der Schweiz, doch Niklas war hiergeblieben. Auch wegen Britta – seiner ersten wirklichen Freundin –, die ihn aber eines Tages einfach verlassen hatte, von heute auf morgen. Grundlos. Wortlos.

Ein Jahr hatte Niklas benötigt, um sich davon zu erholen. Und obwohl die Geschichte jetzt vier Jahre her war, hatte er die Trennung bis heute nicht verstanden – den Beweggrund nicht begriffen.

So sind die Frauen nun mal, hatten ihm seine Freunde gesagt. Mehr war aus ihrer Sicht an Erklärungen nicht nötig.

Vielleicht hatten sie ja recht. Und danach waren andere Frauen gekommen und ... gegangen.

In der Zwischenzeit war Britta ihm egal. Doch warum dachte er dann ausgerechnet jetzt an sie?

Niklas zuckte die Achseln und blickte zu Julia hinüber, die noch immer zu schnell lief, was er sogleich beenden würde.

Aus seiner Zeit als aktiver Läufer kannte er noch so einige kleine Tricks, wie man einen Mitläufer zermürben konnte.

So blieb er immer ein kleines Stück hinter Julia, gab ihr das Gefühl, das Tempo zu bestimmen, doch wurde er mal schneller und dann wieder langsamer und dann wieder schneller und wieder langsamer. Diesen Tempowechsel hält auf Dauer eine ungeübte Läuferin, wie Julia es war, nicht durch – das hatte er auf den ersten Blick gesehen.

Und tatsächlich ... nach etwa drei Minuten blieb sie schnaufend stehen.

»Ich kann nicht mehr!«

Endlich.

Tänzelnd lief Niklas um sie herum.

»Du bist ja auch losgerannt wie eine Irre. Entschuldige diesen harten Ausdruck. Ohne Aufwärmen, ohne dich langsam zu steigern. Außerdem läufst du auch völlig falsch.«

Für einen Augenblick vergaß Julia, dass sie außer Puste war, hörte auf zu atmen und sah Niklas empört an.

»Wer bist du? ... Zátopek? ... Rechtsherum, linksherum, nur weil man in einem Stadion linksherum läuft ... Und dann laufe ich auch noch falsch!

Willst du nicht lieber allein weiterlaufen?«

Julia war wirklich missmutig. Aber vielleicht hatte sie einfach nur einen schlechten Tag erwischt, war mit dem ›falschen Bein‹ aufgestanden.

Oder hatte all das etwas mit ihm zu tun? Warum sollte es.

*

Natürlich hatte Julia nicht zu diesem Jogging-Termin fahren wollen. Zu viele Gründe sprachen dagegen. Nicht nur, dass dieser Niklas vielleicht erst Mitte zwanzig war oder dass er ganz sicher in einer Beziehung lebte ... Viel schlimmer war, dass sie noch immer seine Hand auf dem Bauch spürte, dass sie noch immer dieses Gefühl, das sie dabei empfand, als wohlig und normal ansah.

Allein das war Grund genug, dort nicht hinzufahren.

Aber hätte sie ihn vergessen? Hätte sie nicht jeden Tag an dieses wundervoll normale Gefühl gedacht?

Ganz sicher. Und deshalb musste sie dort hin. Sie musste sich diese ganze Sinnlosigkeit noch einmal vor Augen führen – in aller Deutlichkeit. Denn ganz bestimmt würde sie dieses Gefühl der wohltuenden Normalität in seiner Gegenwart kein zweites Mal erleben.

Als sie jedoch auf den Parkplatz gefahren war und ihn gesehen hatte, kam eine innere Freude auf, die sie so noch nie erlebt hatte – noch nicht einmal bei Eckehard. Und dieses Gefühl erschreckte sie, ließ sie fast umkehren, aber dafür war es dann zu spät gewesen.

So gab es weder ein Vor noch ein Zurück. Julia fühlte sich ihrem Gefühl ausgeliefert, und das gefiel ihr gar nicht, machte sie missmutig.

Julia war ausgestiegen, hatte sich neben Niklas gestellt und wollte nicht weiter über diese Situation nachdenken, wollte dieses Treffen nur rasch hinter sich bringen, wie vor drei Tagen ihren einmaligen Besuch in diesem Fitnessstudio.

Doch als sie sah, wie er sie betrachtete, als sie dieses Wohlwollen, dieses Entzücken in seinen graublauen Augen wahrnahm, und als sie spürte, dass es ihr erneut gefiel, wie er sie ansah, wurde ihr deutlich, dass sie diesen ganzen Unsinn, der sich langsam in ihr ausbreitete, umgehend beenden musste. Umgehend!

So war sie ihm dann sehr übel gelaunt entgegengetreten und auch gleich losgelaufen – viel zu rasant, wie sie augenblicklich wusste –, doch sie wollte weg, weg von diesem ganzen Unsinn und vor allem ... weg von ihm. Aber Niklas war immer einen halben Schritt hinter ihr, ob sie schneller lief oder langsamer. Er ließ sich nicht abschütteln. Und dann bekam sie plötzlich keine Luft mehr – und sie blieb stehen.

Julia wurde ihn einfach nicht los, oder doch?

Du läufst falsch, hatte er plötzlich von sich gegeben und joggte dabei unentwegt und tänzelnd um sie herum.

Julia konnte es nicht fassen. Was bildete sich dieser Kerl ein? Nur weil er ein paar Jahre jünger war? Nur weil er ein wenig mehr Kondition besaß?

Sie war wütend geworden. Ihre wie Pfeile, wie Seitenhiebe herausgeschossenen Fragen waren noch nicht verklungen, da taten sie ihr auch schon leid.

Niklas war vor ihr stehen geblieben und hatte sie einen langen Moment angeblickt.

»Was ist mit dir los, Julia? Möchtest du vielleicht lieber allein laufen?«

Julia sah ihn an, sah zu ihm auf. Er war einen halben Kopf größer als sie, und aus den dunkelblonden welligen Haaren hatten sich an der rechten Schläfe zwei Schweißtropfen gelöst.

Zumindest schwitzt er auch schon ein wenig, dachte sie zufrieden und ließ ihren Blick weiter über das markante Kinn streichen, das sein Gesicht angenehm dominierte. Julias Blick wanderte zurück und in den graublauen Augen erkannte sie dann auch den Hauch eines Zweifels, einer Unschlüssigkeit. Sie war zu weit gegangen, das wusste sie augenblicklich. Vielleicht wäre sie besser nicht gekommen, doch jetzt war sie nun einmal hier.

»Es tut mir leid«, sagte sie. »Vielleicht bin ich heute einfach mit dem falschen Bein aufgestanden.« Vielleicht war das ja wirklich so, dachte sie und hoffte, sich damit auch selbst beruhigen zu können.

Plötzlich tat Niklas etwas, das sie vollkommen überraschte, womit sie nie gerechnet hätte: Er nahm sie in den Arm, strich ihr zweimal über den Rücken, ganz zart, und ließ sie wieder los.

»Manchmal hilft das. Zumindest ist das bei mir so.«

Es half Julia, und wie es ihr half. Mach das bitte noch einmal, hätte sie am liebsten gesagt. Dieser Mann, dieser junge Kerl, war unglaublich. Er tat ihr gut. Er tat ihr unendlich gut. Doch schnell lenkte Julia sich ab von diesem Gefühl.

»Was meinst du damit, dass ich nicht richtig laufe?«

Niklas sah sie an und schien sich zu fragen, ob sie ihn jetzt verspotten wollte, doch sie erwiderte seinen Blick sehr ernsthaft.

»Du läufst so«, sagte er schließlich und machte es ihr vor. »Du rollst nicht über die Ferse ab, du trittst in den Ballen.«

»Ja, schon, aber das machen doch viele.«

»Genau. Und davon lebt die Sportschuhindustrie.«

Nun musste Julia lachen, und sie spürte selbst, dass dieses Lachen das erste Mal an diesem Tag von Herzen kam.

Sein Blick verklärte sich, denn ein solches Lachen, das sich vom Haaransatz bis zur Kinnspitze ausbreitete, hatte Niklas noch nie gesehen oder gehört.

Für diesen Blick hätte Julia ihn jetzt gern in den Arm genommen. Nein, eigentlich wollte sie wieder von ihm in den Arm genommen werden. Dieses Gefühl war so wohltuend gewesen und würde wohl noch lange in ihr nachklingen.

Julia musste sich erneut ablenken, und sie lief los und versuchte, über die Ferse abzurollen.

»Und, besser?«, fragte sie ernst.

Er schüttelte nur den Kopf, und sie blieb stehen.

»Dann kann ich das wohl nicht. Dann kann ich wohl wirklich nicht laufen.«

»Doch, natürlich, jeder kann das. Ich zeig es dir. Lass dein Bein ganz locker.«

Noch bevor sie begriff, was er da tat, kniete er schon neben ihr, nahm ihr Bein an Wade und Spann und setzte es an der Ferse auf den Waldboden auf.

»Jetzt abrollen«, rief Niklas ihr voller Konzentration auf sein Tun zu, griff um, unterstützte hinten den Oberschenkel und ließ die Hand bis zum Po hochwandern. »Und jetzt das andere Bein, ohne meine Unterstützung«, sagte er und blieb kniend hinter ihr zurück.

Wieder hatte er sie berührt, diesmal am Oberschenkel und sogar am Po. Er war einfach unglaublich.

Sie wollte sich umdrehen, ihn ansehen, wollte in seinem Gesichtsausdruck vielleicht erkennen, was er sich dabei gedacht hatte, doch führte sie die Bewegung, wie er sie ihr anempfohlen hatte, erst zu Ende. Julia blieb schließlich stehen, drehte den Kopf und sah, dass er, noch immer konzentriert, ihren Bewegungsablauf verfolgt hatte.

»Richtig«, sagte er schließlich. »Genau so musst du es machen. Und dann wirst du sehen, dass das Laufen viel einfacher wird. Du nimmst alle Energie einfach mit.«

Wieder hatte Niklas sie wie ein Trainer berührt – ohne sinnliche Hintergedanken. Vermutlich.

In Julia flammte augenblicklich eine merkwürdige Frage auf: Empfand er tatsächlich nichts dabei? Nicht wie sie? Denn noch immer spürte sie seine Hand auf dem Oberschenkel und auf dem Po – allein die Erinnerung daran war unbeschreiblich angenehm.

Sollte sie jetzt nicht besser gehen? Sollte sie nicht rasch von hier verschwinden? Es rührte sich etwas in ihr, das sie nicht wollte, das vielleicht nur sie so empfand, das ihr am Ende wehtun könnte.

Also geh, sagte sie sich.

Ihre Gedanken blieben ihm verschlossen und mit einem erwartungsvollen Lächeln lief er langsam los.

»So, und jetzt laufen wir ganz langsam. Und du konzentrierst dich nur auf deinen Bewegungsablauf.«

Natürlich konnte Julia sich jetzt nicht umdrehen und gehen - sie konnte es einfach nicht. Unmöglich. Seine Nähe war so angenehm, so selbstverständlich. Das Du war ihr schon so vertraut, sie störte sich schon nicht mehr daran – obwohl sie noch immer nichts von ihm wusste. Er hieß Niklas und war furchtbar jung. Und er tat ihr gut. Das war alles.

Musste sie heute mehr von ihm wissen?

Nein.

Und so liefen sie langsam nebeneinander, wobei er stetig auf ihre Füße blickte.

»Jetzt hast du es. Spürst du es selbst?«

Der Unterschied schien ihr nicht erheblich, aber sie spürte tatsächlich etwas.

»Ja«, sagte Julia nur kurz, denn sie überholten gerade ein älteres Paar, das einen Hund an einer langen Leine führte.

Hoffentlich kennen die mich nicht, dachte sie. Erst jetzt wurde Julia deutlich, dass sie hier jederzeit Leuten begegnen konnte, die sie kannten und eventuell sogar grüßten.

Gut, dann war sie eben mit ihrem Trainer unterwegs. Dieser Gedanke gefiel ihr, und sie vollführte fast einen kleinen Hüpfer.

»Was ist mit dir?«

»Nichts.« Es fängt einfach nur gerade an, ein schöner Samstag zu werden, vollendete sie den Gedanken still im Kopf.

So liefen sie, ruhig und schweigsam und um die angenehme Nähe des anderen wissend, bis sie an eine weitere Weggabelung kamen.

Gedankenverloren nahm Julia den linken Weg, und unerwartet blieb Niklas stehen.

»Halt!«

Wieder klang seine Stimme ernst und unmissverständlich, und wieder blieb Julia stehen und drehte sich fragend um. »Was ist? Du hast doch gesagt, immer linksherum.«

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