Kitabı oku: «LiebesTaumel», sayfa 3

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Kapitel 6

Mittwochmorgen.

Vivian stieg die Stufen zur Notariatskanzlei von Dr. Geller langsam und gedankenverloren hinauf. Neben ihr lief ihre Mutter. Wortlos. Seit ihrem Streit am letzten Freitag hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt.

Vivian hatte ihre Mutter vor etwa zwanzig Minuten abgeholt, und sie waren gemeinsam und schweigend nebeneinander hierhergegangen.

Von Clemens hatte Vivian in der Zwischenzeit nur zwei kurze SMS bekommen. Er hat viel zu tun, wie er geschrieben hatte. Vielleicht würden sie sich am Wochenende sehen. Vielleicht. Er würde sich aber noch melden. Sie würde sich nicht melden, das hatte sie sich vorgenommen. Sie lief ihm nicht hinterher.

Doch jetzt wartete etwas anderes auf Vivian, etwas, auf das sie sich nicht hatte vorbereiten können, etwas Ungewisses – und davor hatte sie Angst. Mit ihrer Mutter konnte sie leider nicht reden, und das machte alles noch schwerer. Denn was wollte ihre Mutter ihr all die Jahre ersparen?

Sie betraten die Kanzlei, und augenblicklich umgab sie eine merkwürdige Ruhe, eine zurückhaltende, vornehme Ruhe. Vivian fühlte sich für einen Moment sehr unwohl, underdressed, dem Anlass nicht angemessen angezogen, denn wie immer hatte sie halbhohe Pumps an, heute in Schwarz, eine enge und verwaschene Jeans, die ihre langen Beine und die Hüften wunderbar betonte, und ein weißes Top mit einer pinkfarbenen Hemdbluse darüber. Wie immer, und ändern konnte sie jetzt auch nichts mehr.

»Wir haben einen Termin«, sagte ihre Mutter, nachdem sie das Sekretariat betreten hatten, und sie zog den Brief des Notars aus ihrer Handtasche.

»Sie sind ...?«

»Sabine Schreiber.«

»Und Vivian Schreiber«, ergänzte Vivian.

Die Sekretärin stand auf. »Testamentseröffnung Graf zu Hohenberg. Sie werden bereits erwartet. Alle anderen, die geladen wurden, sind schon da.« Und sie blickte zur Uhr. Eine Minute vor zehn. »Dann waren die anderen wohl überpünktlich. Ich darf vorgehen?«

Sehr resolut bahnte sich die Sekretärin den Weg an Mutter und Tochter vorbei.

Die anderen?, dachte Vivian, und sie spürte Panik in sich aufsteigen. Geh wieder, geh einfach wieder, sagte sie sich. Du hast hier nichts verloren. Doch sie folgte der Sekretärin.

Sie gingen einen langen, hellen Flur entlang. Vivian wagte es nicht, den Kopf zu drehen und ihre Mutter anzusehen. Wie gern hätte sie jetzt die Hand ihrer Mutter in ihrer gefühlt, wie gern wäre sie jetzt einfach wieder nur die kleine Tochter gewesen. Aber das ging nicht. Und wieder fühlte sich Vivian furchtbar alleingelassen. Von allen.

Sie betraten den Raum, in dem die Testamentseröffnung stattfinden sollte, und augenblicklich richteten sich acht oder neun Augenpaare auf sie. Der Notar stand am Fenster und hatte hinausgeblickt, drehte sich um und kam, mit einem freundlichen Lächeln, auf die beiden Frauen zu und gab ihnen die Hand. Er war etwas größer als Vivian, Ende fünfzig, schlank und sportlich mit grauem, vollem Haar. Er wirkte auf den ersten Blick sehr sympathisch, was Vivian ein wenig beruhigte.

»Sie sind Frau Sabine Schreiber? Und Sie sind Frau Vivian Schreiber?«

Die beiden Frauen nickten.

»Dann nehmen Sie bitte Platz.«

Zwei Stuhlreihen waren vor einem mächtigen alten und dunklen Schreibtisch aufgestellt. In der zweiten Reihe waren am Rand vor ihnen noch zwei Plätze frei. Vivian setzte sich vorsichtig auf den äußeren Stuhl und wagte nicht, die anderen Anwesenden anzusehen, sie hielt den Kopf leicht gesenkt und blickte nur auf den Notar. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass ihre Mutter sich ganz anders verhielt, sie saß erhobenen Hauptes und aufrecht auf ihrem Stuhl, ohne die Lehne zu berühren, und betrachtete den Notar mit einem erwartungsvollen und ruhigen Blick. Es schien, als wollte sie deutlich machen: Ich kenne euch fast alle, die ihr hier sitzt, aber ihr interessiert mich nicht.

Der Notar setzte sich an den mächtigen Schreibtisch und begann: »Nachdem nun alle, die geladen wurden, erschienen sind, beginne ich mit der Testamentseröffnung.

Wir haben heute den dritten März, es ist kurz nach zehn Uhr, ich öffne jetzt das Testament des verstorbenen Hektor Graf zu Hohenberg.«

Eine angespannte Ruhe kam unverzüglich auf. Der Frühling, der sich in den letzten Tagen mehr und mehr durchgesetzt hatte, drängte jetzt bereits, am frühen Vormittag, durch zwei große Fenster hinter dem Schreibtisch in den Raum – doch schien es niemand zu bemerken.

»Mein letzter Wille«, setzte der Notar seine Ausführungen fort. »Im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte und im Beisein meines Hausarztes Dr. Ewald Schröder sowie meines Notars Dr. Bernhard Geller verfüge ich folgende Aufteilung meines Besitzes:

Frau Hilde Menzke und Herr Josef Menzke, meine Hausangestellten auf meinem Landgut in Wasserburg, erhalten lebenslanges und kostenfreies Wohnrecht im Anbau, den sie jetzt schon bewohnen. Dieses Wohnrecht ist bereits im Grundbuch eingetragen. Ferner erhalten sie ab sofort eine monatliche Zuwendung von zweitausend Euro, die pro Jahr um zwei Prozent erhöht wird. Das Wohnrecht und die Zuwendung gelten bis an das Lebensende von Frau Hilde Menzke und/oder Herrn Josef Menzke, es ist also nicht vererbbar. Solange sie noch auf dem Landgut ihrer normalen Tätigkeit nachgehen, wird diese entsprechend ihren Arbeitsverträgen gesondert vergütet. Ich wünsche beiden einen sorgenfreien Lebensabend.«

Neben Vivians Mutter hielt sich ein älteres Ehepaar an den Händen fest und der Frau, offensichtlich Hilde Menzke, liefen Tränen der Dankbarkeit über die Wangen.

Vivian freute sich für die beiden, würden die mit diesen Zuwendungen doch ganz sicher einen sorgenfreien Lebensabend genießen können. Und irgendwie entsprach dieser Auftakt der Testamentseröffnung auch dem Bild, das sie von ihrem Vater hatte, er war nett gewesen – auch hier wieder.

»Nun zu Sabine Schreiber.«

Ein angespanntes Raunen ging durch den Raum. Eleonore Gräfin von Seestedten, die in der ersten Reihe ganz links saß, warf kurz einen bissigen, unheilvollen Blick auf Vivians Mutter, die aber weiter unbeirrt den Notar ansah.

»Leider, meine liebe Sabine hast du vor unsagbar vielen Jahren meinen Heiratsantrag abgelehnt und hast dich dann auch gänzlich aus meinem Leben zurückgezogen. Mir ist nie wieder eine Frau, wie du es bist, begegnet, vielleicht auch deshalb nicht, weil ich keine Frau mehr so dicht an mich herangelassen habe. Ich liebe dich noch heute und habe noch immer nicht wirklich verstanden, warum damals alles so schnell vorbei sein musste. Ich wollte dich auf Händen tragen, doch du wolltest andere Wege gehen. Und deshalb werde ich diese Liebe auch mit ins Grab nehmen. Doch möchte ich, dass du dich immer an mich erinnern sollst, deshalb vermache ich dir das Gemälde von Gerold Richter ›Die verschwommene Kerze‹. Ich weiß noch heute, dass du dieses Gemälde stets mit großer Freude betrachtet hast. Da ich davon ausgehe, dass du es nicht veräußern wirst, übernimmt das Bankhaus Hohenberg die jährlichen Versicherungskosten und alle finanziellen Aufwendungen, die erforderlich sind, um es sicher in deiner häuslichen Umgebung erhalten zu können.«

Der Notar ließ diese Sätze langsam im Raum verklingen. Und bevor er seine Ausführungen fortsetzen konnte, sagte Gräfin Eleonore mit wütender und herablassender Stimme: »Da werden wohl keine Kosten auf uns zukommen. Wie ich Sabine kenne, wird sie das Bild schnell veräußern und mit den zwei oder drei Millionen ihre Tochter finanzieren.«

»Ich bitte Sie, gnädige Frau«, rief Dr. Geller die Gräfin in ruhigem Ton zur Ordnung.

Gräfin von Seestedten nickte hochmütig, und wieder trat ein Augenblick der Stille ein.

Vivian sah ihre Mutter aus aufgeregten und großen Augen fragend an. Er hat dich geliebt! Er hat dich bis ans Ende seiner Tage geliebt! Doch was war dann so schlimm an ihm gewesen? Zumal er dich ... heute ... so großzügig beschenkt hat? Ein Gerold Richter, das ist unvorstellbar.

Ihre Mutter blickte unbeirrt und ruhig den Notar an, der sodann fortfuhr:

»Außerdem berufe ich Sabine Schreiber in den Stiftungsrat der Hohenberg-Stiftung zur Förderung junger Wissenschaftler. Der Stiftungsvorsitzende Dr. Geller wird die Einzelheiten mit Sabine Schreiber in einem getrennten Gespräch erörtern.«

Zum ersten Mal lächelte Vivians Mutter und nickte dem Notar beifällig zu. Es schien, sie war damit nicht nur einverstanden, sie war glücklich darüber.

Und noch bevor ein nächstes Gemurmel ausbrechen konnte, fuhr Dr. Geller mit erhobener Stimme fort:

»Nun zu meiner Nichte Sandra und meinem Neffen Maximilian. Ihr erbt jeder eine Million Euro, die euch das Bankhaus Hohenberg in den nächsten Tagen anweisen wird. Und du, Gideon, bekommst die 5-Zimmer-Wohnung in Berlin überschrieben. Ich denke, das dürfte auch eine Million Euro an Wert darstellen.

Und nun zu dir, meine liebe Schwester ...«

Hämisches und abfälliges Gelächter brach aus, und Eleonores Kinder, Sandra und Maximilian, begannen leise zu diskutieren. Sie wirkten sichtlich unzufrieden, hatten sie doch wohl mit Anteilen an der Bank gerechnet.

Vivian nutzte diese Unterbrechung und fragte sich, warum sie hier hatte erscheinen sollen? Sie freute sich für ihre Mutter, unbestritten, doch hatte das testamentarisch nichts mit ihr zu tun. Und plötzlich, als hätte sie ihre Gedanken gehört, nahm Sabine die Hände ihrer Tochter und blickte Vivian dabei endlich wieder tief und liebevoll in die Augen.

»Warte ab, mein Kind«, sagte sie schließlich. »Ich befürchte Schlimmes.«

Schlimmes? Aufgeregt erwiderte Vivian den Blick.

»Wenn ich um Ruhe bitten dürfte«, sagte Dr. Geller mit leicht erhobener Stimme.

Und langsam kehrte die gebotene Ruhe wieder ein.

»Also … Nun zu dir, meine liebe Schwester. Dich habe ich hergebeten, um dir zu sagen, dass du bereits genug hast. Du hast alles, was zu einem auskömmlichen Leben nötig ist, und ich denke, du hast sogar noch viel mehr. Deshalb wirst du nichts erben.«

Wieder begann ein Geflüster in der ersten Reihe. Und Vivian hatte das erste Mal das Gefühl, ihr Vater war vielleicht doch nicht ganz so nett. Hat er mich am Ende hierher gebeten, um Mama eine Hilfe zu sein? Oder um mit ansehen zu müssen, wie sich seine Familie zerfleischt? Denn unverkennbar saßen in der ersten Reihe nur enttäuschte Gesichter.

»Ich bitte Sie, meine Herrschaften, wir sind noch nicht fertig.«

Doch diesmal dauerte es sehr viel länger, bis endlich wieder alle zur Ruhe gekommen waren.

»Nun zu meinem Haupterben, meiner Haupterbin.

Alle festen und beweglichen Güter, mein Landgut, die dazugehörigen Liegenschaften, die siebzig Prozent meiner Anteile an der Privatbank Hohenberg, mein Haus auf Sylt et cetera, vermache ich meiner Tochter, Vivian Schreiber.«

»Sie ist nicht seine Tochter!«, schrie Eleonore Gräfin von Seestedten augenblicklich dazwischen. »Er hat sie nie anerkannt!«

Nun wurde es laut, sehr laut, doch Dr. Geller ließ sich nicht mehr unterbrechen und brüllte jetzt die weiteren Ausführungen in den Raum: »Da ich weiß, dass meine Schwester jetzt zumindest innerlich toben wird, liegt diesem Testament eine DNA-Analyse bei, die den eindeutigen Beweis dafür liefert, dass Vivian Schreiber meine leibliche Tochter ist ...«

Vivian sah ihre Mutter an und fragte sich sogleich, wie ihr Vater an ihre DNA gekommen war. Sabine blickte unbeirrt nach vorn zu Dr. Geller, sie schien Vivians Blick aber zu spüren.

»Ich erkläre dir das alles später. Nicht jetzt. Nicht heute.«

»Du wirst mir viel erklären müssen.«

»Ich weiß.«

»... Ferner ist dafür gesorgt«, setzte Dr. Geller seine Ausführung unvermindert laut und deutlich fort. »Dass Vivian, meine Tochter, den Titel Gräfin zu Hohenberg ab sofort tragen darf.«

Noch einmal gab es ein kurzes Gemurmel, doch kehrte schließlich wieder Ruhe ein, und Dr. Geller fuhr in normaler Lautstärke fort: »Ich hoffe, meine liebe Sabine, du hast nichts dagegen, dass du in Zukunft eine Gräfin als Tochter haben wirst. Sollte ...«

Aber Eleonore hielt es nun doch nicht mehr auf ihrem Platz, sie stand auf und wollte gerade, mit vor Hass verzerrtem Gesicht, etwas sagen, als Dr. Geller sehr laut, fast schreiend dazwischen ging.

»Gleich dürfen Sie sich austauschen!! Wir sind gleich fertig!«

Und tatsächlich, die Gräfin setzte sich wieder, und das letzte Mal trat ein Moment voller Ruhe ein, voll hässlicher Ruhe.

Und der Notar fuhr fort: »Außerdem berufe ich meine Tochter Vivian Schreiber ebenfalls in den Stiftungsrat der Hohenberg-Stiftung zur Förderung junger Wissenschaftler.

Sollte meine Tochter weder Titel noch Erbe antreten wollen, so verfällt der Titel, was ich unendlich bedauern würde, und die Erbschaft fließt in die Hohenberg-Stiftung.

Ich gehe davon aus, dass viele mit meinem Letzten Willen nicht zufrieden sein werden, ich bin es.

Unterzeichnet: Hektor Graf zu Hohenberg sowie die Zeugen Dr. Ewald Schröder und Dr. Bernhard Geller.«

Der Notar klappte die Akte zu und blickte langsam und verantwortungsvoll jeden Einzelnen an.

Doch nicht das erwartete Gebrüll begann, sondern grüblerische Ruhe erfüllte den Raum.

Eleonores Strategie war nicht aufgegangen. Das Erbe war weg, so oder so. Oder doch nicht? Diese Frage stand nur zwei Menschen in dem Raum vor Augen, zwei Menschen, die aus einem Holz geschnitzt waren – gleichwohl hielten sie sich zurück.

Vivians Mutter war die Erste, die sich rührte. Sie stand auf, drängelte sich an ihrer Tochter vorbei und wollte nach vorn, zum Notar.

»Mama, warte, bitte.«

Sabine Schreiber drehte sich um und sah ihre Tochter fragend an. Vivian stellte sich neben sie.

»Er hat dich geliebt, Mama. Bis zum Schluss. Ich verstehe dich jetzt noch weniger.«

Sabine hatte plötzlich Tränen in den Augen.

»Glaube mir, das hatte ich nicht gewusst, bis ... Das hatte ich nicht einmal geahnt ... und doch, ich hätte ihn nie geheiratet. Mein Entschluss war richtig gewesen. Damals und auch heute.«

Vivian verstand noch etwas anderes nicht. »Du hattest es nicht gewusst, bis ... bis wann?«

Sabine huschte ein kurzes Lächeln über das Gesicht.

»Letztens hatten wir kurz Kontakt zueinander, doch auch dazu später mehr.«

»Wann, Mama? Wann erzählst du mir endlich mehr? Auch von diesem DNA-Test.«

»Bald, mein Kind, bald.«

Vivian blickte nun hilflos zu Boden. Sie standen etwas abseits vor einem der vielen Aktenregale.

»Aber was soll ich machen, Mama? Ich begreife das alles nicht. Was habe ich denn da überhaupt alles geerbt?«

Sabine lächelte aufmunternd.

»Ein Bankhaus und einen Adelstitel und ... und ... und.«

»Aber ... was soll ich damit? Das Einzige, was mich interessieren würde, wäre diese Stiftung.«

»Das ist eine schöne Sache. Davon wusste ich auch nichts und deshalb möchte ich jetzt mit Dr. Geller darüber sprechen.«

»Aber ... was soll ich machen?«

Sabine zuckte die Achseln, es schien, als wollte sie ihrer Tochter nichts anraten. Und auch von nichts abraten.

»Soll ich es überhaupt annehmen?«

In dem Moment nickte Sabine unmerklich. »Es ist der Wille deines Vaters.«

»Aber du hast nie über ihn gesprochen, hast mir nur immer gesagt, dass du mir das alles ersparen wolltest, dass du mich vor ihm schützen wolltest.«

Sabine schüttelte den Kopf.

»Nicht vor ihm. Doch schützen will ich dich noch immer.«

Vivian verstand ihre Mutter immer weniger.

Doch Sabine wollte heute augenfällig nicht mehr dazu sagen, sie drehte sich weg und ging zum Notar.

Eleonore Gräfin von Seestedten betrachtete während der ganzen Zeit Vivian, die Alleinerbin, sehr eindringlich und sie schien zu überlegen, schien innerlich ihre Möglichkeiten abzuwägen. Plötzlich lächelte sie, straffte den Oberkörper, trat auf Vivian zu und reichte ihr die Hand.

»Entschuldige, mein Kind. Mein Bruder war manchmal ein furchtbar garstiger Mensch. Du hast es ja eben selbst mitbekommen, er hat mich herbestellt, um mir zu sagen, dass ich nichts erben würde. Das ist schon sehr niederträchtig. Aber ich verzeihe ihm, denn am Ende war er schon sehr durcheinander. Ich denke, ihm war letztlich alles zu viel geworden, und vielleicht rührt daher auch dieser schreckliche Herzinfarkt. Aber dessen ungeachtet gratuliere ich dir, mein Kind. Und herzlich willkommen in der Familie.«

Vivian war nicht die Einzige, die Eleonore verwundert ansah, auch ihre Kinder Maximilian und Sandra schienen überrascht, schienen ihre Mutter nicht zu verstehen. Die Erklärung war am Ende einfach, fast zu einfach, aber nur Gideon verstand sie wohl.

Vor ihrem nächsten Satz machte Eleonore schließlich noch eine kurze künstliche Pause, wobei sie Vivian anlächelte – doch es war ein kaltes Lächeln.

»Dann bin ich wohl deine Tante.«

»Du bist nicht ihre Tante, Eleonore«, mischte sich nun Vivians Mutter mit zorniger Stimme ein. Sie war die zwei Schritte zurückgekommen, als sie gesehen hatte, wie Eleonore auf ihre Tochter zugegangen war. »Du bist und bleibst die Gräfin von Seestedten. Nicht mehr und nicht weniger.«

Eleonore wendete sich mit einem aufgesetzten Lächeln an Vivians Mutter.

»Sabine, ich bitte dich, wollen wir unsere Feindseligkeiten nicht ein für alle Mal begraben. Hektor würde sich ganz sicher darüber freuen.«

Ein ärgerliches Nicken, und dann wollte sich Sabine, ohne ein weiteres Wort, wieder abwenden, doch Eleonore packte sie fest am Arm, zog sie drei Schritte in eine ruhige Ecke und sagte leise: »Meine liebe Sabine, denk an dieses Schreiben. Ich habe es noch immer.«

Fast schien es, als hätte Sabine Schreiber schon lange auf diese Worte gewartet, und für einen kurzen Moment zog ein wütendes Flimmern über ihr Gesicht, ein Flimmern, das Vivian noch nie an ihrer Mutter gesehen hatte, das angsteinflößend war. Und laut, für alle hörbar, sagte Sabine: »Du machst mir keine Angst mehr, Eleonore. Damals war ich jung und naiv, aber heute ... Tu, was immer du tun musst, doch glaube mir, ich werde mich zu wehren wissen. Heute weiß ich es.«

Sie drehte sich ab und ging nun endgültig zum Notar, der angelehnt am Fenster stand und das Geschehen im Raum verfolgte. Als er Sabine auf sich zukommen sah, legte sich ein Ausdruck der Freude über die bis dahin beunruhigte Miene.

Eleonore blieb zurück und lächelte unsicher, versuchte, unbeeindruckt zu wirken, zog ein Kärtchen aus ihrer Handtasche und reichte es Vivian.

»Hier, mein Kind. Ich würde mich freuen, wenn du mich einmal besuchen kämst.«

Fast ein wenig verzagt nahm Vivian das Kärtchen an sich und wusste nicht, was sie von all dem halten sollte. War Eleonore Gräfin von Seestedten am Ende die Frau, vor der ihre Mutter sie schützen wollte? Nur ... warum sagte sie es dann nicht? Warum blieb sie noch immer stumm?

Aber langsam begriff Vivian auch, dass sie hier Mittelpunkt eines Geschehens war, das sie nicht verstand, das sie dennoch verstehen wollte – verstehen musste.

Und plötzlich stand Gideon neben ihr, beugte sich vor und flüsterte ihr, nicht ganz leise, ins Ohr: »Sei vorsichtig, meine Mutter will nur dein Erbe. Sie hat ein Herz aus Stein.«

»Gideon, sei ruhig!«, unterbrach Eleonore ihren Sohn. »Lass dir nichts einreden, mein Kind. Mein Angebot steht. Ich würde mich freuen, von dir zu hören.«

Eleonore versuchte erneut, zu lächeln, was ihr aber wieder nicht wirklich gelang, und sie drehte sich ab. Neben ihren Kindern Sandra und Maximilian verließ sie den Raum. Erstaunt blickte Vivian ihr hinterher.

»Du willst doch da nicht hingehen, oder?« Aus wasserblauen Augen lächelte Gideon sie warm an, und das war das Nächste, das Vivian nicht verstand.

»Sie ist doch deine Mutter, oder?«

»Ja, natürlich. Entschuldige, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt ... Gideon Erbgraf von Seestedten. Ich bin ihr jüngster Sohn. Offensichtlich aber etwas aus der Art geschlagen.«

»Aus der Art ... aha?«

Gideon sah Vivian verwundert an und schüttelte den Kopf. »Ist dir nicht aufgefallen, dass sie alle ziemlich trübe Gesichter gemacht haben ... meine Geschwister, meine ich, und auch meine Mutter? Die Ärmste, sie bekommt nun gar nichts. Die anderen bekommen immerhin eine Million, obwohl sie alle mit mehr gerechnet hatten, mit viel mehr. Ich bin wohl der Einzige, der sich wirklich freut. Mein Onkel hat mir eine Wohnung in Berlin vermacht. Damit hätte ich nie gerechnet.«

Er hatte recht, sie hatten wirklich enttäuscht gewirkt. Gideon hatte sie nicht sehen können, er war auch in der zweiten Reihe gesessen. Hatte er nicht betrübt ausgesehen? Und ... warum hatte er nicht mit mehr gerechnet?

»Mochte mein ... mein Vater dich nicht?«

Gideon schnaubte verächtlich und dabei auch ein wenig wehmütig.

»Vivian, das ist eine lange Geschichte. Vielleicht hast du ja einen Moment Zeit. Wir könnten irgendwo einen Kaffee trinken gehen, und ich könnte dir wenigstens in Ansätzen ein wenig zu meiner ... entschuldige, zu unserer Familie erzählen.«

Das war ein guter Vorschlag, denn endlich würde Vivian etwas von der Familie ihres Vaters erfahren, aus erster Hand sozusagen, und sicherlich auch von ihm etwas hören, von ihrem Vater, von Hektor Graf zu Hohenberg. Und vielleicht würde sie sogar Genaueres darüber in Erfahrung bringen, wovor ihre Mutter sie immer hatte schützen wollen.

»Gern«, sagte sie dann auch. »Ich sage nur eben meiner Mutter –«

»Entschuldigen Sie bitte, wir möchten Sie nicht lange stören, aber ...«, begann Hilde Menzke und reichte Vivian die Hand. »Mein Mann und ich möchten Ihnen unser Bedauern und unsere Segenswünsche zu ... na ja, zu all dem hier aussprechen.«

»Euch kann man ja auch nur beglückwünschen«, mischte sich Gideon mit lockerer Art in das Gespräch ein und strich Hilde Menzke über den Arm. »Das sind übrigens Hilde und Josef Menzke, die guten Seelen des Landgutes meines Onkels. Ich möchte mal sagen, ohne sie wäre er ganz schön vereinsamt. Auf seinem riesigen Besitz. Oder stimmt das nicht, Hilde? Du hast ihn doch wie eine Mutter umsorgt. Und ganz sicher möchtest du es jetzt bei Vivian fortsetzen, obwohl du schon weißt, dass sie noch eine eigene Mutter hat. Aber so ist sie nun einmal, die gute Hilde«, sagte Gideon, mit einem Lächeln in der Stimme, an Vivian gerichtet.

Hilde Menzke wirkte augenblicklich irritiert und auch ein wenig empört, ließ den Blick aber kleinmütig sinken, nickte nur und sah Vivian schließlich wieder an, diesmal fast ein wenig untertänig.

»Wir wollten Sie auch nur ganz kurz ansprechen. Mein Mann hat hier, eben rasch, aufgezeichnet, wie Sie das Landgut am besten erreichen. Wir würden uns freuen, wenn Sie in den nächsten Tagen einmal vorbeischauen würden. Unsere Telefonnummern hat er auch notiert. Wir wissen ja jetzt nicht ...«

Bekümmert zuckte Hilde Menzke die Achseln. Doch wieder antwortete Gideon.

»Vielleicht begleite ich Vivian ja auch. Und ihr müsst ganz sicher keine Sorge haben, es wird alles so weitergehen wie bisher, denke ich doch mal, oder?«, wobei er die Frage an Vivian richtete.

»Natürlich. Ich komme auch gern in den nächsten Tagen einmal vorbei.«

»Das freut uns. Und entschuldigen Sie bitte unsere Störung. Wir fahren jetzt zurück.«

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