Kitabı oku: «Der Dreißigjährige Krieg», sayfa 5
1.4 Schon einmal vorab: etwas Kriegsursachenforschung
1.4.1 Warum die Ursachenforschung am Zustand des Reichsverbandes ansetzen muss
Dieses Studienbuch wird in Kapitel 5 rückblickend fragen, worum denn da dreißig Jahre lang Krieg geführt worden ist. Es wird immer wieder und resümierend in Kapitel 5 Kriegsschuld zumessen, nach Stolpersteinen auf dem Weg zum Frieden fragen. Aber weil wir auf den letzten Seiten ziemlich ausführlich die Vorgeschichte analysiert haben, dürfen wir doch schon jetzt erste Fragen nach dem Warum aufwerfen. Wagen wir erste Sondierungen, die noch nicht den weiteren Verlauf des Krieges umgreifen können, sondern um Vorkriegszeit und Kriegsausbruch kreisen!
Dass die evangelischen Residenzen, wie soeben schon erwähnt, im Sommer 1618 gar nicht angestrengt nach Prag starren werden, liegt auch daran, dass es dort im Osten um sehr eigene, eben spezifisch böhmische (und übrigens keinesfalls nur konfessionspolitische) Probleme geht. Auftakt zur ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges, zum Böhmisch-Pfälzischen Krieg, ist der Prager Fenstersturz [<<53] (vgl. ausführlicher Kap. 2.1.2) – knapp gesagt versuchen im Mai 1618 einige Heißsporne unter den Ständeführern, den definitiven Bruch mit dem sich frühabsolutistisch gerierenden habsburgischen Regime zu erzwingen, indem sie zwei Exponenten schroffer Gegenreformation im Statthalterrat mitsamt ihrem Sekretär aus dem Fenster werfen. Alle drei überleben, aber es ist doch ein Mordanschlag auf Mitglieder der kaiserlichen Regierung, mithin ein recht gravierender Vorgang – aus Prager oder Wiener Warte.
Die böhmischen Querelen gehen Union und Liga eigentlich nichts an …
Was freilich hat das alles mit Deutschlands Protestanten und Katholiken, mit Union und Liga oder dem lädierten Reichsverband zu tun? Der Fenstersturz ereignete sich ja im Grenzsaum des Reiches, in einer Zone mit verdünnter Reichspräsenz – so wird der moderne Historiker die verwickelten staatsrechtlichen Befunde zusammenfassen. Akten des frühen 17. Jahrhunderts subsumieren Böhmen meistens gar nicht dem politischen Verband des Reiches. Als die böhmischen Aufständischen an die Hilfe der Auhausener appellierten, fanden diese im Staatsrecht nichts, was sie dazu hätte verpflichten können: Es sei nämlich (um aus dem Protokoll des Rothenburger Unionstags vom Herbst 1618 zu zitieren) „Bohemen dem reich nit underworffen“, urteilten sie. Die „unions Verfassung“ ziele „uf conservation der reichs Constitution“, Böhmen aber habe „aigene zunge, gesatzungen und ordnungen“. Es sei der Union „scopus uf ußländische nit gemeinet“. Tatsächlich war Böhmen, beispielsweise, nicht am Reichstag vertreten, nicht in die Kreisverfassung des Reiches einbezogen. Die einzige nennenswerte Klammer war diese: Der Böhmenkönig wählte das Reichsoberhaupt mit; an den anderen Aktivitäten des Kurkollegs beteiligte er sich hingegen nicht, er beschickte keine nichtwählenden Kollegialtage, war nicht im Kurverein.
Wir müssen solche staatsrechtlichen Sachverhalte aber gar nicht vertiefen, noch wichtiger ist nämlich dieser ganz eindeutige Befund: Hatten sich Union und Liga wegen des eskalierenden Auslegungsstreits um den Augsburger Religionsfrieden und zur Verteidigung ihrer eigenen, konfessionsspezifischen Lesarten des Texts von 1555 formiert, stritt man sich in Böhmen über einen anderen Text, ein Dokument von 1609 (namens „Majestätsbrief“ – wir werden ihn gleich kennenlernen). So gesehen gingen die Nöte der böhmischen Ständeführer die Union von Auhausen nichts an, und nichts die Nöte der Habsburger [<<54] in ihren Erbländern die katholische Liga – die beiden Konfessionsbündnisse hätten sich hierfür keinesfalls mobilisieren lassen müssen.
… aber die beiden Bündnisse lassen sich in den Konflikt hineinreißen
Aus Böhmen flog der sprichwörtliche Funken heran, der das Pulverfass zum Explodieren brachte. Seriöse Kriegsursachenforschung muss aber, um im Bild zu bleiben, an der explosiven Mischung ansetzen, die das Reich zum entzündbaren Pulverfass gemacht hat, nicht die Lunte inspizieren. Anstatt alle Kraft auf die Einhegung der regionalen böhmischen Querelen und die Abschirmung des Reiches von diesem Krisenherd zu verwenden, ließen sich die konfessionspolitischen Lager des polarisierten Reichsverbands sukzessive in die böhmischen Auseinandersetzungen hineinziehen.
Die Unionsfürsten sympathisieren eben 1618/19 nicht mit einem von seinen Untertanen bedrängten hochadeligen Standesgenossen, dem Habsburger. Sie sympathisieren vielmehr mit den aufbegehrenden Glaubensgenossen, und der Direktor der Union, Friedrich V. von der Pfalz, lässt sich von ihnen (wie wir ja schon wissen und noch genauer sehen werden) zum neuen Böhmenkönig wählen. Die darniederliegende Liga revitalisiert sich und kommt Ferdinand von Habsburg zu Hilfe – was kriegsentscheidend ist. Dass Friedrich von der Pfalz als frischgebackener Böhmenkönig nur einen Prager Winter erleben darf, entscheidet im November 1620, in der ersten berühmten Schlacht des Dreißigjährigen Krieges, ein Triumph der Ligatruppen. Der Direktor der Liga, Maximilian von Bayern, gibt persönlich den Schlachtruf aus – so hallen denn die Hänge des Weißen Berges am 8. November wider vom tausendfach ausgestoßenen „Maria, Maria, Sancta Maria“. Die geschlagenen Verteidigungstruppen unterstehen jenem Christian von Anhalt, den wir schon am Niederrhein antrafen. Die Anlässe waren zwar böhmisch. Aber die regionalen Querelen dieses Königreiches weiteten sich rasch zu Kämpfen zwischen Deutschlands Katholiken und Protestanten aus.
1.4.2 Kann die moderne Politik aus dem damaligen Desaster lernen?
Dass sich das Reich, nachdem es 1610 und 1614 zweimal (und nicht aus eigener Kraft!) um Haaresbreite an einem großen Krieg vorbeigeschrammt war, in die regionalen böhmischen Querelen hineinreißen [<<55] ließ, sagt etwas über den Zustand dieses politischen Systems aus. Der Reichsverband war nach 1555 eine Zeit lang unterwegs gewesen zu integrativer Verdichtung über weltanschauliche Gräben hinweg, aber am Ende relativierten nicht die systemimmanenten politischen Sachzwänge den konfessionellen Dissens, sondern das doppelte Wahrheitsmonopol schüttelte ihm nicht frommende Zwänge ab. Deren Sachlogik war indes unabweislich, das politische System wurde blockiert und trudelte dann in den dreißigjährigen deutschen Konfessionskrieg.
Der Versuch der Verrechtlichung des Wahrheitsdissenses ist damals gescheitert
Ist der Augsburger Religionsfrieden an allem schuld? Diese politische Friedenskonzeption eilte ihrer Zeit in mancherlei Hinsicht zu weit voraus. Ob sie gerade deshalb für die moderne Politik von Interesse sein kann? Verschiedene Dauerkonflikte, nicht nur der im Nahen Osten, entwickelten sich in den letzten Jahrzehnten vom Gegeneinander der Nationalismen zunehmend, auf dem Wege einer eminenten Re-Politisierung des Religiösen, zum Gegeneinander religiöser Fundamentalismen. Fundamentalisten lehnen Kompromisse ab – der Augsburger Text erwuchs großer Verhandlungs- und auch einer gewissen Kompromissbereitschaft. Fundamentalismen akzeptieren keine Grenzen – der Religionsfrieden versuchte die vielfältigen Besitzansprüche beider Seiten gegeneinander abzugrenzen. Der Augsburger Religionsfrieden versuchte zu erreichen, was derzeit vielerorts auf der Erde als so dringlich erachtet wird: religiösem Dissens seine politische Brisanz zu nehmen. Allerdings erwies sich der Augsburger Ansatz, das ausschließlich auf dem Wege der Verrechtlichung des Dissenses zu versuchen, als nicht dauerhaft tragfähig.
Warum es 1555 gar keine andere Möglichkeit gegeben hatte
Es gab 1555 gar keine realistische Alternative zum Versuch, den Wahrheitsdissens durch seine Verrechtlichung politisch handhabbar zu machen – durch seine Privatisierung politisch neutralisieren konnte man ihn nämlich nicht. Denn die Säkularisierung des einst christlichen Abendlandes, ob wir sie nun geistesgeschichtlich als Siegeszug der Toleranz beschreiben oder soziologisch als Ausdifferenzierung verschiedener Lebensbereiche, stand 1555 erst noch bevor.
Sie vollzog sich auf langen und verschlungenen Wegen, aber zwei Schübe, die nicht in strikter Scheidung aufeinanderfolgten, sondern gleichsam eine gemeinsame zeitliche Schnittmenge aufweisen, sind hierbei besonders wichtig gewesen: Jene Konfession, die einst alle Lebensbereiche vollständig imprägniert hatte, wurde zunächst einmal [<<56] zu einem öffentlich relevanten Teilbereich gesellschaftlicher Wirklichkeit neben anderen, wie der Politik oder dem Recht, die eigenen Sachlogiken folgen durften – im Fall der Politik der schon um 1620 geläufigen, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts inflationär beschworenen „Staatsräson“; sie wurde sodann, in einem zweiten lang gestreckten Schritt, einer Privatsphäre zugeordnet, in die die öffentliche Hand gar nicht mehr hineingreifen sollte – Kehrseite dieser neuen Freiräume war eine gewisse Einbuße an öffentlicher Relevanz. Jene „aufgeklärten“ intellektuellen Eliten des 18. Jahrhunderts, die die Weltanschauung zunehmend zur Privatsache erklärt haben, pochten ferner auf Respekt vor Teilwahrheiten und Heilschancen abweichender Glaubensbekenntnisse. Wenn auch andere Religionen Teilwahrheiten enthalten, der Mensch womöglich überhaupt nur Teilwahrheiten erhaschen kann, ist die Ausrottung anderer Weltanschauung nicht mehr sittlich geboten, sondern bei der Wahrheitssuche kontraproduktiv. Wenn jeder seines (irdischen und womöglich ewigen) Glückes Schmied ist, enthebt das den Staat seiner Verantwortung dafür. Jenes Seelenheil der „schäfelein“, das zentrales Anliegen staatlicher Politik im Konfessionellen Zeitalter gewesen war, kann nun der Privatsphäre zugewiesen, damit aus dem Raum des Politischen verbannt werden. Das Staatswohl definiert sich ohne Rücksicht aufs ewige Wohl der Bevölkerung.
Politik, Recht, Glauben; öffentlicher Raum und Privatsphäre: erst solche Segmentierungen erlauben es, die Suche nach Heilswahrheiten dem individuellen Gewissen aufzubürden und das ewige Wohl der Bevölkerung aus den Staatszielen auszuscheiden (womit es auch nicht mehr auf dem Gewissen der Obrigkeit lastet und weshalb es zu befördern nicht mehr als ihre vornehmste Amtspflicht gilt). Indes waren solche Ausdifferenzierungen zwischen Politik, Recht und Theologie in den Jahrzehnten um 1600 nur in den Augen weniger legitim. Für die meisten damaligen Menschen dürften sie noch nicht einmal denkbar gewesen sein. Auch eine konsequente Scheidung von öffentlichem Regelbereich und privatem Rückzugsraum hätten sie sich nur schwer vorstellen können. Ein damaliger Politiker war nicht mit sich im Reinen, wenn er nicht der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen und das Seelenheil möglichst vieler Menschen zu ermöglichen suchte: Dieses Kernproblem des konfessionell gespaltenen Reiches konnte [<<57] der Religionsfrieden nicht neutralisieren. Insofern hat er weniger den Konfessionsdissens als den Diskurs über ihn verrechtlicht.
Die Abdankung der Politik zugunsten der Rechthaberei
Die Konfessionsparteien der Jahrzehnte um 1600 kämpften nicht wirklich um Rechtspositionen, sondern im Dienste der von ihnen exklusiv besessenen universalen Wahrheit, sie kämpften um Seelen. Weil aber 1555 besiegelt worden war, dass der diskursive Austausch mit dem Widerpart auf der Bühne der Reichspolitik in den Begrifflichkeiten des Rechts erfolgte, weil die 1555 festgelegte diskursive Währung Paragrafen des Religionsfriedens auf die Verhandlungstische packte und nicht Glaubensartikel, hatte man die eigenen Wahrheiten als einzig wahre Auslegungen der Augsburger Ordnung zu verfechten.
Den damaligen Akteuren zu unterstellen, dass sie den Religionsfrieden dabei zynisch missbraucht, dass sie einfach verlogene Schlagworte vor sich hergetragen hätten, wäre unangemessen – nicht, weil Menschen des Konfessionellen Zeitalters edler und wahrhaftiger gewesen wären als der kapitalistische Homo oeconomicus (wer wollte das ermessen!), aber weil bei ihnen Recht, Politik und Theologie – in modernen Augen verschiedene Sachgebiete mit ihren je eigenen Sachlogiken – eben völlig ineinander verschränkt waren. Diese Menschen fochten für viel mehr als ‚nur‘ für Rechtspositionen, doch spricht nichts dafür, dass sie nicht davon überzeugt gewesen wären, dass das Recht auf ihrer Seite stand. Sie kämpften für ihr gutes Recht, von dem sie schon deswegen nicht abrücken konnten, weil es auf ihre Wahrheit und ihre Gerechtigkeit verwies. Weil man mit jeder Nachgiebigkeit auf dem juristischen Kampfplatz Seelenheil verspielte, konnte man nicht „durch die finger sehen“, wie das die Jahrzehnte um 1600 formulierten, konnte man, modern gesagt, nicht einfach bisweilen „alle Fünf grade sein lassen“, musste man vielmehr unerbittlich auf seinen Paragrafen herumreiten. Eben deshalb wirkte die „Verrechtlichung“ eines zentralen Problems der Reichspolitik in diesem Fall nicht befriedend.
Die 1555 ausgeklammerte Wahrheitsfrage drängte ein halbes Jahrhundert später machtvoll in die gelehrten und die politischen Diskurse zurück. Es wurde immer schwieriger, einen Kernbereich reichspolitischen Aushandelns und reichspolitischen Krisenmanagements gegen das anbrandende Wahrheitsproblem, die Konkurrenz eines doppelten, je exklusiven Wahrheitsmonopols abzuschirmen. Die [<<58] Verrechtlichung des Konfessionsdissenses mündete in die Abdankung der Politik zugunsten der Rechthaberei.
Setzt interkonfessioneller Frieden „Aufklärung“ und ein „liberales“ Menschenbild voraus?
Ob man wirklich aus der Geschichte – oder doch nur aus eigenen Fehlern lernen kann? Lernen wir aus der Geschichte, dass haltbare interkonfessionelle Friedensschlüsse nur zwischen Bekenntnisgemeinschaften möglich sind, die ihre Phase von „Aufklärung“ durchlaufen haben? Gar nur zwischen Gesellschaften mit individualistischer, liberal imprägnierter Anthropologie, die – mit vielen anderen Lebensbereichen – auch die Weltanschauung gleichsam privatisiert (oder doch, wie hier in Deutschland, jedenfalls teilprivatisiert) haben? Wissenschaftlich stringent beantworten kann Geschichtsschreibung solche Fragen nicht, sie kann sie nur aufwerfen.
1.5 Die böhmischen Anlässe des Dreißigjährigen Krieges
1.5.1 Rückblicke: lange Tradition konfessioneller Heterogenität und ständischer Aufmüpfigkeit
Dass die Funken, die seit 1620 Teile Europas in Brand setzten, aus Böhmen herüberwehten, ist ganz zufällig – wir sahen, dass das Reich ein Pulverfass war, das sich schon 1610 beinahe an niederrheinischem Konfliktpotenzial entzündet hätte. Dass die Funken, die seit 1620 Teile Europas in Brand setzten, aus Böhmen herüberwehten, ist höchst bezeichnend – auch so kann man es sehen: eine Frage der Perspektive.
Warum könnte man denn Böhmen gewissermaßen für seine Rolle prädisponiert sehen? Nun, zwei große politische Themen der Jahrzehnte um 1600, wohl die damals zentralen, waren erstens der Widerstreit der Konfessionen, zweitens der Widerstreit zwischen erstarkender Zentralgewalt im Vorhof des „Absolutismus“ und ständischen Partizipationsansprüchen. (Der Schulbüchern geläufige Terminus „Absolutismus“ gefällt vielen Wissenschaftlern nicht mehr als Epochenbegriff, manche verwenden den Terminus überhaupt nicht mehr – kein Thema für dieses Büchlein, das es, manchmal in Anführungszeichen, beim „Absolutismus“ belässt, schon weil sich bislang keine griffige Alternative etabliert hat.) Böhmen hatte damals eine schon lange Tradition weltanschaulicher Heterogenität; und es hatte ungewöhnlich [<<59] selbstbewusste Stände. Die beiden großen Antagonismen der Zeit waren in Böhmen schon seit Generationen virulent, wurden hier auf engem Raum ausgefochten. Zeittypisch waren der Kampf um Seelen und das Ringen um die Macht ineinander verknäuelt. Dennoch: Trennen wir beide Aspekte einmal der Übersichtlichkeit halber voneinander!
Warum die böhmischen Stände traditionell stark sind
Warum waren denn die böhmischen Stände besonders stark und selbstbewusst? Zum einen waren die Stände überall in Mittelosteuropa stark. Es hat auch ökonomische Gründe. Anders als die „Grundherren“ Westeuropas, die fast alles Land an weitgehend selbstständig arbeitende Bauern verliehen, bewirtschafteten die ostmitteleuropäischen Magnaten mithilfe der „niedergelegten“, faktisch zu Lohnarbeitern heruntergedrückten einstigen Bauern riesige Ländereien. Sie agierten dabei sprichwörtlich „nach Gutsherrenart“, ließen sich von der schwachen Zentrale nicht dreinreden. Bei den Ständen Habsburgs kam ein Zweites hinzu: Die Habsburgerlande grenzten ans osmanische Riesenreich, die „Türkengrenze“ lief mitten durch Ungarn, Böhmen war nicht weitab. Die Habsburger brauchten die Mitwirkung und Zahlungsbereitschaft ihrer Stände, waren gleichsam erpressbar. Die Stände hat auch dieser enorme Geldbedarf der Zentrale stark gemacht.
Die Steuerverwaltung war ständisch, wie vielerorts; auch die Aufbringung und Verwendung der indirekten Steuern, andernorts Ansatzpunkt frühabsolutistischer Vorstöße der Landesherren, war unter den Habsburgern Ständesache. Nicht einmal Kriegsherren waren die Habsburger unumschränkt, man war dort als Militär nicht habsburgischer, sondern „der Landschafft Kriegs officir“, der ständische Einfluss auf die „Landesdefension“ war groß. Sogar außenpolitisch wurden die Landstände bisweilen aktiv – so verhandelten sie beispielsweise in den Anfangsjahren der Union (wenn auch ohne bleibende Resultate) mit Vertretern dieses Konfessionsbündnisses über Kooperationsmöglichkeiten.
Kurz, die habsburgischen (auch, und zumal die böhmischen) Landstände agierten, als seien sie Reichsstände, eigene Herrschaftsträger. War es nicht ein signifikanter Unterschied, dass sich die Reichsstände zwar einem Habsburger unterstellten, den aber als Reichsoberhaupt frei und zu ihren – in der Wahlkapitulation festgehaltenen – Bedingungen wählten, während Böhmen Erbbesitz der Dynastie war? Sogar dieses Erbrecht der Habsburger wurde immer wieder angezweifelt [<<60] oder relativiert. So führte man bei jedem Herrscherwechsel Huldigungsverhandlungen – man stellte also seine Bedingungen für die ‚Unterwerfung‘, eben die Huldigung. Oder man behauptete ganz offen, die böhmische Krone sei tatsächlich eine Wahlkrone; Matthias (Böhmenkönig seit 1611) musste ein Dokument unterzeichnen, das seine Nachfolge als „freie Wahl“ der Landstände deklariert. Es gab unter den Landständen in dieser Frage drei Positionen: ein kleines Häuflein, das der Erbkrone das Wort redete; gemäßigte Anhänger der Wahlkrone; und radikalere. Letztere behaupteten, „Wahl“ meine nicht nur Auswahl innerhalb der angestammten Dynastie, sondern beinhalte auch die Möglichkeit des Dynastiewechsels.
Hinzu kommt, dass die im Konfessionellen Zeitalter so zentrale Kirchengewalt traditionell eher ständisch als landesherrlich war. Ungefähr vier Fünftel der von den katholischen Habsburgern regierten Adeligen waren im 16. Jahrhundert evangelisch geworden, sie nötigten diese Option auch ihren Hintersassen auf; was die Regierungen durch weitreichende Konzessionen absegneten. Faktisch besaß also in den Habsburgerlanden nicht die Landesherrschaft, sondern der landständische Adel das Ius reformandi.
Warum Böhmen schon lange nicht mehr geschlossen katholisch ist
Jetzt sind wir fast unvermerkt doch schon beim zweiten Aspekt angekommen: der konfessionellen Ausrichtung. Die meisten böhmischen Adeligen waren keine Mitglieder der römischen Kirche. Welcher Konfession gehörten sie denn an? Nun, zum Teil tendierten sie zu den neueren europäischen Reformationsströmungen (wie dem Calvinismus oder, häufiger, dem Luthertum); zum Teil standen sie in der älteren, einheimischen hussitischen Tradition.
In Böhmen gab es nämlich schon hundert Jahre vor der Publikation der lutherschen Ablassthesen Nichtkatholiken. Ein Prager Prediger, Jan Hus, fand mit seinen kirchenkritischen, in manchem die lutherische Reformation vorwegnehmenden Ansichten begeisterte Zustimmung. 1414 wurde er zum Konzil nach Konstanz geladen, mit einem Geleitbrief, der ungestörtes Reisen und ungehinderte Anhörung in Konstanz garantierte – und doch wurde er dort, am Bodensee, verhaftet und verbrannt. Jan Hus ist tot – der Hussitismus setzt sich in Böhmen weitgehend durch. Übrigens sah der damalige Kampf um Prag einen „Fenstersturz“: Einige reformunwillige Ratsherren stürzten in den Burggraben. Die Hussiten gewannen in Prag und anderswo, [<<61] genauer: ihr gemäßigter Flügel, die sogenannten „Utraquisten“. Es ging keine Sprengwirkung davon aus, die Bewegung, pointiert tschechisch von Anfang an, expandierte nicht in andere Teile Europas – anders als hundert Jahre später das Luthertum, dann der Calvinismus. Aber geschlossen „römisch-katholisch“ war Böhmen schon hundert Jahre vor Luther nicht mehr.
Böhmen als Bestandteil der habsburgischen Composite Monarchy
Freilich kam das Land dann in die Hände einer erzkatholischen Dynastie: der Habsburger. Im Jahr 1526 fiel der letzte Jagiellonenkönig im Kampf gegen das Osmanische Reich. Die Habsburger erhoben Erbansprüche auf die Kronen Ungarns und Böhmens, die Stefans- wie die Wenzelskrone. Den Anspruch auf Ungarn konnten sie nur zum kleinen Teil realisieren, sie regierten einen schmalen westlichen Gebietsstreifen, den Rest besetzte das Osmanische Reich. Mit der Stefanskrone hat das Haus Habsburg die welthistorische Aufgabe geerbt, das christliche Abendland gegen einen immer wieder die Expansion suchenden Islam zu verteidigen. Genau deshalb wird es in den nächsten beiden Jahrhunderten wieder und wieder den Kaiser stellen: In kurfürstlichen Wahlgutachten steht stets dieser Gesichtspunkt (wer kann das Alte Reich am wirkungsvollsten vor dem islamischen „Türken“ schützen?) im Zentrum.
Zu den Ländern der Wenzelskrone gehörte Böhmen. Dieses Königreich war nun habsburgisch, geschlossen römisch-katholisch wurde es deshalb (wie wir soeben schon sahen) noch lange nicht. Im Gegenteil, zu den alten hussitischen traten neue lutherische, später calvinistische Einflüsse. Mit der „Confessio Bohemica“ gaben sich die verschiedenen nichtkatholischen Bewegungen 1575 eine gemeinsame Rahmenordnung. Sie sollte politische Verhandlungen mit der Landesobrigkeit erleichtern, also politisch und nach außen wirksam sein, nicht die konfessionellen Binnenunterschiede einebnen.
Lang musste Habsburg zusehen, aber nicht ewig. Die Habsburgerlande gehörten zu denjenigen Gebieten, in denen der nachtridentinische Kampfkatholizismus seit den 1570er-Jahren am frühesten und entschiedensten Terrain zurückeroberte.
„Die Habsburgerlande“: Warum steht das hier im Plural? Nun, es handelt sich um eine „composite monarchy“. Solche „dynastische Unionen von Ständestaaten“ (wie der ältere deutsche Ausdruck hierfür lautet) waren im vormodernen Europa nicht untypisch: Territorien mit [<<62] ganz unterschiedlichen kulturellen Traditionen und administrativen Strukturen werden auf der obersten staatsrechtlichen Ebene dadurch verklammert, dass sie von Mitgliedern ein und derselben Dynastie regiert werden. Im zuletzt gestreiften Zeitraum der habsburgischen Gegenreformation gab es fast durchgehend drei regierende Habsburger, dementsprechend drei größere Happen vom Gesamtbesitz, die jeweils in sich mehrere historische Landschaften vereinten. Erstens sprach man von „Niederösterreich“ – meinte: die Erzherzogtümer Österreich ob der Enns (Hauptort Linz) und unter der Enns; Regierungssitz war Wien. Der dort residierende Erzherzog regierte außerdem, unter der Wenzelskrone, die böhmischen Länder: das Königreich Böhmen, die Markgrafschaft Mähren, das Herzogtum Schlesien, die Markgrafschaften Nieder- und Oberlausitz. Und er regierte ferner, unter der Stefanskrone, das „Königliche Ungarn“ (also jenen schmalen westlichen Teil von Ungarn, der nicht vom Osmanischen Reich besetzt war). Zweitens gab es „Innerösterreich“: die Herzogtümer Steiermark, Kärnten, Krain und einige kleinere Gebiete wie die Grafschaft Görz oder die Markgrafschaft Istrien, Regierungssitz war Graz. In unserem Zeitraum regierte sodann fast immer, und zwar von Innsbruck aus, ein weiterer, dritter Habsburger Oberösterreich (dessen Kernland Tirol war) sowie Vorderösterreich (also den Streubesitz im heutigen Oberschwaben sowie den Breisgau).
Energische habsburgische Gegenreformation
In fast allen Landesteilen (am wenigsten in Oberösterreich) fanden evangelische Anschauungen zeitweise großen Anklang. In den späten 1570er-Jahren setzte indes die habsburgische Gegenreformation ein. Sie zeitigte insgesamt große Erfolge, am durchschlagendsten in Innerösterreich; auch in Böhmen erstarkte der Katholizismus unübersehbar. Dann freilich schienen mehrere Turbulenzen die habsburgischen Terraingewinne infrage zu stellen: der Lange Türkenkrieg (1593–1606), der Bocskay-Aufstand sowie der „Bruderzwist“ im Hause Habsburg. Damit bewegen wir uns endlich wieder in den Jahren um und nach 1600.