Kitabı oku: «Im Bann des Eichelhechts», sayfa 2
REISEN 2
Wohlbehalten in Sprachland angekommen, werden wir nun unsere Unterkunft beziehen.
Mancher von uns hat vielleicht schon vor der Anreise mit dem Vermieter korrespondiert. Stellvertretend für all jene möchte ich aus dem Schreiben zitieren, das Leserin O. von ihrem italienischen Vermieter erhielt.
Mit vielem Verdruß muss ich in Verbindung stehen, dass Wohnungen (zwei) während des verlangten Zeitraums sie die Zustände sind, die von zwei Familien, von einem englischen und von Franzosen aufgehoben werden. Für trovarvi ein sistemazione, das, ich habe zu einem meinem Freund gebeten, der ein villetta zu Capodarco di Fermo hat und die Verwendbarkeit bis sieben Personen haben würde und habe gesagt, dass sie ospitarvi für € 450 ausschloß das Leinen könnte (Blatt, zum federe, zu den Tüchern, zum Bademantel). Wenn sie auch sich setzen müssen, bedecken Sie an Hand, zum federe und Tücher ist eine Integration der Preisunterseite von € 100 notwendig (450 +100). Wenn diese Lösung interessarvi kann, lege ich Ihnen in Kommunikation mit der Familie meiner Freunde vor, folglich, das Sie fähiges scambiarvi andere Informationen durch Post sind.
Mit vielem Verdruß muss ich in Verbindung stehen – mit dieser geradezu hiobschen Lebensklage beginnt eine plötzlich ganz liebenswürdige Satzfolge voll überraschender Wendungen (»die von zwei Familien aufgehobenen Zustände«) und Vokabeln (»Preisunterseite«), ein so elegantes Schweben durch die verschiedenen Sprachen (»wenn diese Lösung interessarvi sein kann«), dass man einfach nur noch zuhören möchte, ja, man möchte sich zum Bademantel setzen, man will sich zum federe und den Tüchern bedecken, man möchte bloß noch scambiarvi sein, ein fähiges scambiarvi möchte man sein.
Nicht mehr und nicht weniger.
Ganz ähnlich ist es mit dem Schreiben, das Leser S. in seinem Hotel in Rimini vorfand.
In italianische Gegend(E.U.) Stunde des Restes ist zwischen den 00.00 und 07.00 a.m.; spater beten wir,um auch zu respektieren unser Hotel zu Ihnen der gleiche Zeitplan,im kontraren Fall, diagreeably, das wir zwingen zu Ihnen,um Sie einzuladen ,zu uns zu verlassen sind. Die Service-Nachfragen und- bezahlung zu Ihnen schließen nicht Abende,die Art Festlichkeiten mit mehreren zu Ihnen eiladen, Freunde, ETC … sind infolgedessen nicht das agreste nell mit ein,das von den Hotelwiedervereinigungen inner sind, Besuche und« Besuche«.Innerhalb Hotel naherte nur sich den kunden.
Ja, das ist eine Bleibe, in der man nicht stickum Handtücher oder Seife stehlen wird, aus der man keinen Bademantel als Erinnerungsstück entwendet, nein: Man wird Wörter mit nach Hause nehmen, die unvergessliche Stunde des Restes ganz sicher, auch dieses fremd-schöne diagreeably, das man am liebsten selbst künftig ab und zu mal in einen Satz einstreuen würde (»Sind Sie nicht, gnädige Frau, diagreeably auch der Meinung …«), die Hotelwiedervereinigungen, die sorgfältige Unterscheidung zwischen Besuche und Besuche«, überhaupt das feine und« mit den zwei Härchen ganz rechts, und«, und«, und«, ein und«, das man sich daheim in die Vitrine stellen möchte, und immer, wenn man es sieht, denkt man: Ach, damals in Rimini, dieser Abend auf der Piazza, das gute Essen dort, die Besuche und auch die Besuche«, und« danach tranken wir noch eine Flasche auf dem Balkon – und« …
Das Schreiben schließt mit einem Satz, der uns in eine Art sprachliches Nirwana führt, jeder Bedeutung enthoben, ein dadaistisches Manifest ist geradezu eine behördliche Mitteilung dagegen.
-jedes das sconforto .das mit Gerechtigkeit von
Teilengen tal gekennzeichnet wurde ‚behob
zutreffenden Kunden in der nützlichen Zeit.
Und was finden wir in einem Bungalow auf Madeira?
Ich lese: Jeder Wohnsitz hat einen Raum mit einer sortierten Königin.
Ich lese weiter: Die Küche wird mit allen notwendigen Electro-Hausangestellten ausgerüstet.
Oder hier, Poole in Südengland, wohin Frau P. und Herr M. reisten.
Der Tee/Kaffee, die die Ausstattung machen, die frische Kiste Mini – für die frische Milch. (Die Milch wird alle Tage geliefert, wenn Sie mehr bitte machen müssen, unentschlossen sind zu verlangen). Der Haartrockner (die Grundassistentenschublade Frisösen). … Das Bad von dem demi-cadratin-suit e mit den Schmeichelhaften Artikeln der Toilette … Das Ersatzbettzeug wird auch zu keinem zusätzlichen Preis geliefert Sie es zu finden in den Lagerungsgefäßen tief in der Garderobe.
Im griechischen Thassos fand Herr S. sogar folgende Notiz.
Es gibt eine Person im Schrank in Ihrem Zimmer, zu dem nur Sie Zugang haben.
Welche Person mochte das sein? Ein Grundassistent? Eine sortierte Königin? Der Electro-Hausangestellte? Die Super Frau?
S. versichert, er habe nachgeschaut, aber es sei niemand da gewesen. Was die Sache noch geheimnisvoller macht: Wo war die Person? Unsichtbar verborgen in den Lagerungsgefäßen? Handelte es sich um einen Nicht-Einwohner, wie es sie in der Tempelanlage des Jupiter Anxur in Terracina südlich von Rom gibt, wo jeder auf einem Schild lesen kann:
INPUT DIE VORTEILE DER NUR BAR SERVICE TAKE:Nicht-Einwohner 1,00 €Bewohner nur an Feiertagen 1,00 €
Wir müssen aber nun der Tatsache ins Auge sehen, dass ein Aufenthalt in Sprachland nicht frei von Gefahren ist, mag sein, dass wir plötzlich mit einem Verdruß in Verbindung stehen, mag auch sein, dass man die Bänder nicht richtig an den Enkeln befestigt hat. Doch kann man gewiss sein, dass im Fall von Bedrohungen für Schutz gesorgt ist, jedenfalls lesen wir im Merkblatt des Camping Municipal du Soleil von La Rochelle in Frankreich:
In der Eventualität, wo sich ein Vorfall in diesem Fall ereignete, ist es unbedingt den Campern gebeten, in der Anwendung die durch die Macht des Lagers gegebenen Anweisungen zu legen, die den Alarm auslösen wird:
1) In der Meldung der Macht des Lagers gehorchen.
2) Sich sofort zu Fuss bis zum Zentrum des Campings gehen, neben dem (Holzkohl) Grill; bitte dem blau markierten Weg Folgen.
3) Sich gruppiert bewegen, den Anweisungen der Mächte bis zum Turnanstalt »Falorni«.
Jawohl, im Ernstfall wird hier durchgegriffen, das kann man wohl sagen, aber es geht hier, bitte sehr, nur um Eventualitäten, in denen Vorfälle sich in gewissen Fällen ereignen. So etwas ist sehr selten.
Ansonsten einfach immer die Turnanstalt »Falorni« im Auge behalten.
Falls jemand Hunger hat: Frau B. meldete aus Dreieich, sie habe das Wohnzimmer betreten, als ihr Mann und der kleine Sohn gerade eine ZDF-Dokumentation über die Eisfelder Grönlands sahen. Fasziniert von den Bildern sei sie in der Tür stehen geblieben und habe mitgeschaut, »ein akustisch offenbar suboptimaler Standort«. Jedenfalls habe sie vernommen, wie ein Schweizer Grönland-Forscher auf die Frage, ob ihm bei der einsamen Arbeit im eintönigen Eis nicht langweilig werde, wörtlich antwortete: Nein, hier gebe es Currywurstbuden, eine Mutter und ein Kind sind da vorbeigelaufen, und dazu gibt es auch viele seltene Pflanzen.
Currywurstbuden?
In Grönland?
Na ja, er hatte gesagt: Karibuspuren.
Und nie vergessen: Für all das, für jede Gefahr, jeden Alarm und jede Anweisung der Mächte, werden wir entschädigt, zum Beispiel so, wie es meiner Leserin H. bei Airbnb verheißen wurde.
Am Morgen wachen wir auf zum Lied der großen Titten, die auf dem Baum vor dem Zimmer stehen und in der Nacht können Kühe unter den Fenstern grasen.
Natürlich erhebt sich hier, wie überall, die Frage: Wie konnte es zu einer solchen Übersetzung kommen? Des Rätsels Lösung: Im Italienischen, aus dem übersetzt wurde, ist die Rede von il canto delle cinciarelle, dem Gesang der Blaumeisen. Der Übersetzungsautomat überträgt das alles in der Regel erst einmal vom Italienischen ins Englische, wo die cinciarella, die Meise also, tatsächlich tit heißt, und wenn man tit dann weiter ins Deutsche überträgt … Das Adjektiv groß ist dann allerdings einer klassischen freudschen Fehlleistung zuzuschreiben, denn Blaumeisen sind immer klein.
Und auch dies hier noch!
Man sollte in Erinnerung behalten, was auch Leser H. an einer Bushaltestelle auf Teneriffa ganz unverhofft ins Gedächtnis gerufen wurde: Dort stand Destino Destiny – Schicksal. Das heißt: Am Ende aller Reisen landen wir alle am gleichen Ziel, el destino – im Spanischen ein Wort mit mehreren Bedeutungen: einmal der Zielbahnhof, aber auch das Schicksal. Man muss sich also beim Übersetzen entscheiden. Im Englischen wäre der Zielbahnhof the final destination, »das Schicksal« aber eben the destiny. Und genau an dieser Zweigstelle ist der Übersetzer jenes Haltestellenschildes auf Teneriffa falsch abgebogen (falsch aber nur, wenn man an einer korrekten Übersetzung interessiert ist, richtig hingegen, wenn man nach Sprachland möchte): Im Laufe der langen Reise ist destino irgendwie und ohne dass es jemand wirklich bemerkt hätte, zu destiny geworden und damit dann im weiteren Verlauf des Übersetzens vom Englischen ins Deutsche zum Schicksal, zur großen, letzten und immer geöffneten Lebenshaltestelle.
Und diese Haltestelle befindet sich in Sprachland.
Aber was haben wir nicht alles erlebt auf unserem Weg hierher?!
Wir trafen die Super Frau und den Grundassistenten, wir begegneten Bewohnern, Nicht-Einwohnern und der sortierten Königin, wir folgten den Anweisungen der Mächte, wir wurden in der nützlichen Zeit behoben und lauschten dem Lied der großen Titten.
Diagreeably, würde ich sagen.
REISEN 3
Denke ich ans Reisen, fällt mir ein katholisches Kirchenlied ein, das gerne zu Weihnachten gesungen wird.
Es beginnt so:
Menschen, die ihr wart verloren,
lebet auf, erfreuet euch!
Heut ist Gottes Sohn geboren,
heut ward er den Menschen gleich.
Dazu bekam ich etliche Briefe, allesamt von Menschen, die den Text an einer winzigen, doch bedeutsamen Stelle falsch verstanden hatten, sie hatten als Kinder bei dem Wörtchen wart sozusagen ein großes W gehört, Wart also.
Menschen, die ihr Wart verloren.
Aber was das sein könnte, dieses Wart, das da verloren gegangen war, das wusste sich niemand zu erklären. Es war auch irgendwie egal, »Trost und Rettung nahte ja durch die Geburt Jesu«, schrieb mir Frau D. (Immerhin schien übrigens nie jemand das zweite ward falsch verstanden zu haben, es wird ja auch mit d geschrieben, vielleicht liegt es daran.)
Verblüffenderweise passt aber auch das groß geschriebene Wart bestens in den Text, und zwar in fast allen Schattierungen seiner früheren Bedeutungen. Ganz ursprünglich war darunter ja ein Hüter oder Wächter zu verstehen, wie er heute noch als Wortteil im Kassenwart oder Torwart existiert und wie wir ihn in jenen Menschen sehen, die in der Werkstatt unser Auto warten, und wie er dann eben in der Warte wiederkehrt, von der aus man ins Land schauen kann: den Zinnen, den Türmen, den Festen, den Wällen, den Mauern, den Dämmen.
Von Jerusalem die Warten
Lagen schon in rothem Duft.
Stand der Patriarch im Garten,
Glockenklang ging durch die Luft.
So dichtete Eichendorff, und bei August Graf von Platen war die Wart dann endgültig eine Art Leuchtturm. Er schrieb:
Wenn ich bei Nacht die finstre See befahre,
Wer zündet Licht mir auf den hohen Warten?
Natürlich sind die Worte wart verloren im menschheitsschicksalhaften Sinne weit umfassender als das doch eher kindlich-konkrete Wart verloren, aber letztlich …
Ach, letztlich …
Beim Herumstöbern entdeckte ich dann noch ein Gedicht Friedrich von Matthissons, der Zeitgenosse und Freund Hölderlins war, auch von Schiller und übrigens Beethoven hoch geschätzt. (Doch nach seinem Tode war Matthisson rasch vergessen.) Das Todtenopfer heißt dieses Gedicht, darin die Zeilen:
Aus Warten und aus Klüften
Fleugt scheu die Eul’ empor;
Es gehn aus ihren Grüften
Die Geister leis’ hervor;
Still tanzen, in Ruinen,
Die Gnomen und die Fey’n,
Vom Glühwurm bleich beschienen,
Den abendlichen Reih’n.
Ach, wer je des Nachts vom Glühwurm bleich beschienen war, der wird verstehen, wie ich diese Art des Reisens schätze: Man startet mit einem Kirchenlied und kommt bei einem längst vergessenen Dichter an.
ZEIT
Es ist sehr lange her, dass mir Frau S. aus Bad Godesberg schrieb: »In meiner frühen Jugend gab es noch Straßensänger. Sie sangen in Hinterhöfen von Mietshäusern, oft von einem Ziehharmonika- oder Geigenspieler begleitet. Wir wurden als Kinder öfters zu einer Schneiderin gefahren, die in einem solchen Mietshaus im – vielleicht – dritten Stock wohnte und uns Kleider nähte, resp. umänderte. Das war für uns langweilig, doch dann kamen meistens die Straßensänger in den Hof, es wurden Münzen in ein Zeitungspapier gewickelt und runtergeworfen. Das Faszinierendste und Zauberhafteste, das ich da hörte und nie vergessen habe, lautete:
Das muss ein Stück vom Himmel sein,
wie wunderfein, wie wunderfein …
Über Jahre habe ich gerätselt, was es wohl mit diesem wunderfeinen Stück Himmel auf sich haben könnte, und erst viele Jahre später, als erwachsener Mensch erfuhr ich die ernüchternde Lösung:
Es hieß nicht ›wie wunderfein‹ im Liede, sondern ›Wien und der Wein‹.«
Das Schöne an Sprachland ist aber nun, dass wir die ernüchternde Lösung hier ignorieren können, ja, wir müssen sie nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Für uns gibt es sie einfach nicht.
Wir leben nämlich in einem Land, in dem eine kleine Münze wirklich ein Stück vom Himmel ist, ja, der Himmel ist voller Bargeld, und es wird der Tag kommen, an dem auch mal ein Hunderter von oben herabsegelt und sanft auf unserem Scheitel landet – und noch einer und noch einer …
Wie wunderfein das sein wird!
Aber es ist, andererseits, nicht wichtig.
Sprachlandbewohner sind erstens an Geld nicht interessiert, sondern an Poesie, an Irrtümern, an Missverständnissen. Und zweitens ist es eben so: Wenn sie Geld benötigen, singen sie ein Lied – und Münzen wie Scheine fallen auf sie herab.
Das ist einfach selbstverständlich.
Und weil das so ist, haben sie Zeit. Sie können schlafen, bis sie wirklich wach sind, kein Wecker holt sie aus dem Dämmer, sie haben keine Termine und wenn doch …? Wenn also wider Erwarten eine Verabredung im Kalender stehen sollte, dann stecken sie diese einfach in den Mund und essen sie auf, weg ist die Verabredung, so wie auf jenem Frühstücksbuffet, auf dem es Dates gab. Was einerseits Datteln bedeutet, aber eben auch, wie man auf dem kleinen Hinweisschild über der Dattelschale sofort erkannte, weil es dort geschrieben stand: Termine.
Also, gehen wir heute einfach auf den Markt oder ins Obstgeschäft, kaufen ein paar Dates und essen die, sie sind reich an Ballaststoffen und Antioxidantien, enthalten kaum Fett, aber viele Vitamine, auch Kalium und Magnesium, zudem die Aminosäure Tryptophan, die der Körper schnurstracks in das Hormon Melatonin umwandelt.
Das beruhigt die Nerven und lässt uns gut schlafen.
Man isst Termine und schläft wie ein Baby.
Und so liegen wir in Sprachland oft im Gras und zwinkern ins Licht, beobachten ein paar Scheine, die uns direkt in die Börsen segeln, und schauen in den Himmel, wo die Vögel sind, die Wildgänse zum Beispiel, ja, genau sie: aus Walter Flex’ einst berühmtem, von Robert Götz vertontem Gedicht Wildgänse rauschen durch die Nacht, das von Wandervögeln und Wehrmacht, von Pfadfindern wie Hitlerjungen gleichermaßen gesungen wurde.
Wildgänse rauschen durch die Nacht,
mit schrillem Schrei nach Norden.
Unstäte Fahrt,
Habt Acht, habt Acht!
Die Welt ist voller Morden.
Dazu schrieb mir Frau T. aus Springe, ihre Freundin, Jahrgang 1926, habe als Kind immer Halb acht, halb acht! verstanden und es mit leichter Verwunderung hingenommen, »dass die Gänse bei ihrer immerhin unsteten Fahrt doch stets pünktlich um halb acht Uhr über des Liederdichters Kopf hinwegzogen«.
So ist das eben hier: Auf diese Welt ist Verlass, auch auf die schrill mahnend die Nacht durchrauschenden Wildgänse, und sei die Welt auch voller Morden: Wenn sie zu uns kommen, kann man nach ihnen die Uhr stellen. Es läuft, bei großer Entspanntheit, alles präzise.
Übrigens gibt es ein schönes kleines Buch des Bostoner Physikers Alan Lightman: Und immer wieder die Zeit heißt es. Der Autor stellt sich darin neue Zeit-Welten vor, eine etwa, in der die Zeit auf den Bergen langsamer vergeht als im Tal, oder eine andere, in der Zeit ein lokales Phänomen ist, in jedem Ort gehen die Uhren anders. Lightman überlegt, was jeweils die Folgen sein könnten. Würden die Menschen im Fall eins auf den Bergen leben, weil sie dort mehr Zeit haben? Würden sie im Fall zwei das Reisen vermeiden, weil nach einem Aufenthalt dort bei der Rückkehr zum Beispiel die Kinder älter wären als man selbst?
An dieses Buch musste ich denken, als mich Herr K. aus Mittenwald seinerzeit auf die (heute leider nicht mehr aktive) Rezeptseite turkiyeninrehberi.com hingewiesen hatte und ich daraufhin dort ein Rezept entdeckte, in dem es hieß: 5 Minuten vor dem Ende der kochenden Zeit, Fügen Sie die Erbsen und schwarzen Pfeffer, Decke mit einer Serviette hinzu, und reisen Sie nach 20 Minuten ab.
Die kochende Zeit. Was wäre das für eine Welt, in der die Zeit zum Kochen gebracht werden kann?
Klingt auf jeden Fall nach Abreisen, nicht wahr? Wer möchte leben, wo die Zeit siedet, da verschwindet einer lieber, bevor er sich die Finger verbrennt.
Doch was ist, wenn man eines Tages wieder zurückkehrt?
Wird dann nicht die Zeit – wie ja auch das Wasser, wenn man es nur lange genug vor sich hin kochen lässt – verschwunden sein? Eingekocht und dann verkocht? Werden wir vor dem Zeitkochtopf stehen, und da wird nichts mehr sein? Wo ist die Zeit dann, nach dem Kochen? Verschwunden? Für immer weg? Nein, das gibt es nicht, auch die Wassermoleküle haben sich ja nach dem Verkochen nicht in nichts aufgelöst, ihre Bestandteile sind nur aufgestiegen und haben sich mit der Luft vermählt.
Also, richtig, die Zeit wird verdampft sein, und wenn wir nach unserer Rückkehr die Zeitküche betreten, dann atmen wir die Zeit ein, sie füllt unsere Lungen, sie bereichert unseren Stoffwechsel, Sekunden, Minuten, Stunden werden wir in uns aufnehmen – und das ist zweifellos ein großartiger Gedanke: dass die Zeit ein Teil von uns wird. In keinem anderen Land ist das möglich, glauben Sie mir, ich habe schon Menschen an ihren Armbanduhren lecken sehen, ich habe sie beobachtet, wie sie den Sand aus ihren Eieruhren löffelten und mit einem Glas Wasser herunterspülten, ja, ich war Zeuge, wie Leute an den Stäben von Sonnenuhren knabberten.
Es war verzweifelt und sinnlos.
Zeit in sich aufnehmen, Zeit atmen, das geht nur hier, in Sprachland, wo wir ja auch Termine essen können und also gewöhnt sind, Zeit zu inkorporieren.
Übrigens entdeckte ich die zentrale Zeiteinheit dieses Landes bei einem Besuch in Österreich, in einem Hotel am Wolfgangsee. Dort wollte ich das Wellness-Zentrum aufsuchen und sah bei einem Blick auf die Angebotsliste, dass hier weder in Stunden noch in Tagen gerechnet wurde, nein, die einzig maßgebliche Maßeinheit der Zeit hier war die Verwöhnminute. Jede mögliche Körpermaßnahme, sei es die Faszien- oder die Teilmassage oder die Lymphdrainage, wurde in Verwöhnminuten bemessen, 30 Verwöhnminuten für dies, 45 Verwöhnminuten für jenes.
Wenn es aber Verwöhnminuten gibt, müssen dann nicht auch Verwöhnstunden, Verwöhntage, Verwöhnwochen, Verwöhnmonate, ja, Verwöhnjahre existieren?
Und siehe da: Natürlich gibt es sie. Das ganze Internet ist voll davon, Hotels, Kosmetiksalons, Wellness-Oasen, überall wird die Zeit in Verwöhneinheiten organisiert, nirgends ist hier die einfache Minute, der simple Tag, die ordinäre Woche genug. Anderswo gibt es die Schrecksekunde, den Minutentakt, die Arbeitsstunde, den Sitzungstag, die Sechstagewoche, den Fastenmonat, das Dienstjahr, all diese harten, Entbehrungen benennenden Begriffe: der Takt der Ackerer und Rackerer, der Wulacker und Malocher, der Klotzer und Roboterer, der Schaffer und Knechter.
In Sprachland aber perlt die Zeit dahin. Sie tropft auf deine Stirn wie Öl bei einer ayurvedischen Massage, sie fließt über deinen Rücken wie Schweiß in der Sauna, sie schäumt dein Haar wie Sandelholzshampoo, sie dringt in deine Haut wie milde Mandarinencreme, sie bedeckt dein Gesicht wie eine Gurken-Minze-Maske, sie nuckelt an deiner Epidermis wie ein Schröpfglas und lockert deine Fußreflexzonen wie ein kundiger Masseursdaumen.
Du isst sie. Du atmest sie ein.
Diese Zeit ist gut zu dir, Verwöhnminute für Verwöhnminute.
Frau W. aus Cottbus schrieb mir einmal, ihr Lebensgefährte habe als kleiner Junge, vor damals mehr als fünfzig Jahren, mit seinem Bruder zusammen einen Kriegsfilm im Fernsehen gesehen. Das sei in der DDR gewesen und ziemlich grauenhaft, Bomben, Explosionen, Getöse. Auf dem Höhepunkt des Ganzen sei der Opa ins Zimmer gekommen und habe gesagt:
»Ja, das war früher.«
Danach sei die Zeit vergangen, eines Tages sei es Frühling geworden, die beiden Buben und der Großvater waren im Garten, und der Opa habe sich in der Sonne gerekelt und gesagt:
»Jetzt ist Frühjahr.«
Schreiend seien die beiden weggerannt, um sich zu verstecken.
Sie hatten verstanden:
»Jetzt ist früher.«
Und gedacht, jetzt kämen die Bomben und alles werde wie im Film. »Die Aufklärung der Geschichte«, so W., »ließ lange Zeit auf sich warten, denn obwohl gründlich von den Eltern befragt, waren die Jungen vor Entsetzen verstummt.«
Jetzt ist früher.
Das ist interessant.
Denn es klingt nach Zeitmaschine. Opa sitzt im Garten und sagt Jetzt ist früher. Man muss sich ja nur mal vorstellen, das würde wirklich funktionieren, früher muss ja nicht Bombenkrieg bedeuten, es könnte auch etwas anderes sein, Opas Hochzeitstag oder die schönste Sommerwoche des Jahres 1956, oder es könnte auch sein, dass jemand Jetzt ist morgen ruft, und man bekommt plötzlich eine Vorstellung der Zukunft, von Silvester 2038 vielleicht oder solche Sachen, wäre das nicht interessant?
Früher ist jetzt. Morgen ist gestern. Heute ist einst.
Man muss es ja nicht machen, aber als Möglichkeit – immerhin!
In Sprachland geht’s!