Kitabı oku: «Das Mormonenmädchen Erster Band»
Erster Band
Einleitung
Zum bessern Verständniß nachfolgender Blätter, namentlich aber, um nicht gezwungen zu sein, den Faden der Erzählung durch Erläuterungen zu unterbrechen, und zwar Erläuterungen, die an manchen Stellen ungeeignet erscheinen dürften und sich daher nur auf bloße Andeutungen beschränken müßten, ist es vielleicht angemessen, einige Worte über das Mormonenthum und dessen Geschichte vorauszuschicken. —
Die Mormonen1, die in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit der ganzen civilisirten Welt in so hohem Grade auf sich gezogen haben, bilden eine Religionssecte, deren eigenthümliche Einrichtungen gewiß einer besondern Erwähnung und Beschreibung verdienen.
Ihre Hauptstadt und Hauptansiedelungen befinden sich im Thale des großen Salzsees. Dieser liegt in der Mitte zwischen den Ländern des Mississippi und Kalifornien, also westlich von den Staaten, wo die Menschen durch Geschäftssinn und Betriebsamkeit das erreichen, was westlich auf gierige Weise dem goldhaltigen Boden entnommen wird.
Die Thäler an und um den großen Salzsee sind ganz abgesondert von bewohnbaren Landstrichen. Gegen Norden und Süden erstrecken sich unabsehbare wüste Regionen; gegen Osten dehnt sich, wie eine lange Scheidewand, die Kette der Felsengebirge aus, während im Westen Sandsteppen mit starren Gebirgszügen abwechseln und einen schwer zugänglichen Damm bilden.
Das Land der Mormonen wird auch das große Becken (great basin) genannt, weil aus dieser Region das Wasser nicht abfließt. Dieses Becken ist das Hochland (4000 Fuß über dem Meeresspiegel, zwischen der Sierra Nevada westlich, und dem Wahsatch-Gebirge östlich. Es besteht eigentlich aus einer Wüste mit einigen fruchtbaren Streifen unter den Abhängen der Höhen und an den Flüssen. Größtentheils ist das Gebiet gebirgig, indem Bergketten von 2-3000 Fuß Höhe, meist den Rocky Mountains parallel laufend, dasselbe durchschneiden; in dem östlichen Theile des nach jeder Richtung etwa 500 englische Meilen breiten Landes haben sich die Mormonen angesiedelt.
Man kann nicht behaupten, daß die Mormonen in ihren jetzigen Territorien sehr von der Natur begünstigt wären, indem verhältnißmäßig nur spärlich gutes Wasser dort vorhanden ist, das Holz, wenigstens in der nächsten Nachbarschaft, fast ganz mangelt, und gute Weiden nur an den Gebirgsabhängen und in den Niederungen zu finden sind. Dagegen erweisen sich die culturfähigen Thäler an den Flüssen sehr fruchtbar, und es ist kaum anzunehmen, daß fürʼs Erste das Land mit so vielen Bewohnern bevölkert werden wird, wie es zu ernähren vermag.
Der Glaube dieser Secte nun, die mit so ungeheuern Anstrengungen und Opfern darauf hinarbeitet, ihre Religion über den ganzen Erdball zu verbreiten, ist begründet auf der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß alle christlichen Secten oder Gentiles2, wie sie dieselben nennen, auf Wegen wandeln, die nicht zum Himmelreich führen, und daß die ewige Seligkeit nur den Anhängern der »Melchisedek-Priesterschaft« zu Theil werden könne.
Diese wurde, gemäß der Versicherung der Mormonen, vor achtzehnhundert Jahren von der Erde entfernt, seit welcher Zeit keine wirklich wahre Religion existirt hat, bis im Jahre 1826 Joseph Smith, dem Gründer des Mormonenthums, ein Engel erschien, und ihn in der Wahrheit unterrichtete. Derselbe führte ihn an eine Stelle, wo eine steinerne Kiste vergraben lag. In dieser befanden sich goldene Tafeln, aus welchen, in der von ihm so benannten reformirten ägyptischen Sprache, Gesetze geschrieben standen. Der Engel nahm eine Anzahl der religiösen Anweisungen aus der Kiste und übergab sie Joseph Smith, ertheilte ihm aber auch zugleich die Kraft, das, was auf den Tafeln eingegraben war, zu lesen und zu verstehen. Joseph Smith übersetzte nun die wunderbare Schrift und veröffentlichte sie unter dem Namen »Das Buch Mormon«. Er wurde dann auf göttlichem Wege der Melchisedek-Priesterschaft einverleibt, und erhielt die Fähigkeit, alle Sprachen zu verstehen. Er und seine Gefährten wurden eben so als Apostel eingesetzt, um das Evangelium zu, predigen und die »Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage« (the letter-day saints) unter den Völkern zu gründen. Im Jahre 1830 wurde diese Kirche zuerst organisirt, indem sechs Mitglieder zusammentraten, deren Schüler und Nachfolger in kurzer Zeit zu einer Gesellschaft von vielen Tausenden anwuchsen.
Die Mormonen erklären, daß die Bibel der Protestanten göttlichen Ursprungs sei, doch versichern sie zugleich, es sei so viel in derselben verändert und verdorben worden, daß eine neue Uebersetzung nöthig gewesen, welche ihr Prophet ausführte. Von dem Buch Mormon glauben sie ebenfalls, es komme von Gott und sei ebenso, wie die heilige Schrift, maßgebend für das Bekenntniß. Sie glauben streng an Wunder, und daß die Aeltesten der Kirche Kranke durch Auflegen der Hände zu heilen im Stande seien. Die Art ihres Gottesdienstes ist ähnlich dem der Protestanten, indem gepredigt und gesungen wird. Musik begleitet die Lieder der Sänger und spielt zu Anfang und zum Schluß des Gottesdienstes.
Die häuslichen Einrichtungen der Mormonen sind unendlich weit verschieden von denen jeder andern christlichen Secte, was vorzugsweise in dem System der »geistigen Ehe« (spiritual wife system) seine Erklärung findet.
Als man die Mormonen aus Illinois vertrieb, wurde Vielweiberei als eine der Hauptklagen gegen sie ausgeführt, damals indessen streng von ihnen abgeläugnet. Doch ist dies längst erwiesen und seit Jahren wird kein Geheimniß mehr daraus gemacht, daß Vielweiberei bei ihnen gebräuchlich.3 Selbst die Prediger erklären öffentlich von der Kanzel, daß es ihnen frei stehe, tausend Weiber zu nehmen, wenn es ihnen beliebe, und sie fordern Jeden auf, aus der Bibel das Gegentheil zu beweisen.
Joseph Smithʼs Ansichten über die Vielweiberei sind wahrscheinlich nie veröffentlicht worden, doch machte er seinen Anhängern bekannt, er habe, so wie Diejenigen, die er für würdig halte, ähnlich den alten Heiligen, Jacob, David und Salomon, den Vorzug, so viele Weiber zu nehmen, wie er zu ernähren im Stande sei, um ein heiliges Haus für den Dienst des Herrn zu gründen. Sie geben zu, daß in dem Buche Mormon vorgeschrieben sei: jeder Mann solle ein Weib, und jede Frau nur einen Mann haben; da nun das Wort »nur« bei den Frauen allein angewendet ist, so bleibt dem Manne natürlich die Vielweiberei gestattet, und sie erklären, daß die Principien dieser Einrichtung durchaus sittlich und heilig seien. Sie behaupten sogar, daß Christus drei Frauen gehabt habe, nämlich Maria, Martha und die andere Maria, die er liebte, und daß er alle auf der Hochzeit zu Kana geheirathet habe.4
Wenn ein verheiratheter Mann sich eine zweite Gehülfin zu nehmen wünscht, so muß er, nachdem er mit dem Mädchen und dessen Eltern einig geworden, auch noch die Erlaubniß des Oberherrn oder Präsidenten einholen. Die neue Frau wird ihm alsdann feierlich »angesiegelt« (sealed) und steht fortan in jeder Beziehung in gleichem Range mit der ersten Frau. Solche Ehen halten die Mormonen für durchaus tugendhafte und ehrenvolle, und alle nachfolgenden Gattinnen behaupten in der Gesellschaft dieselbe Stellung, als wenn sie die einzigen und zuerst erwählten wären. Ueberhaupt erklären die Mormonen derartige Ehebündnisse für fester und bindender, als die aller anderen Religionen und Secten, um so mehr, als nach ihrem Dafürhalten das künftige Leben, sowohl bei dem Manne, wie bei der Frau, in unmittelbarer Beziehung zu den ehelichen Verhältnissen in dieser Welt steht. Die Kirche lehrt, daß ein Weib ohne einen Gatten eben so wenig zu den himmlischen Freuden gelangen kann, als ein Mann, der nicht im Besitz von wenigstens einer Gattin ist, und der Grad der Seligkeit der Letzteren hängt mit von der Zahl der Frauen ab, die ihm auf Erden angehört haben.
Jeder Gedanke an Sinnlichkeit, als Grund zu falschen Bündnissen, wird streng verworfen, indem das Hauptaugenmerk Aller ist, so schnell wie möglich eine heilige Generation zu gründen, welche das Königreich des Herrn auf Erden bauen soll.
Da das Oberhaupt oder der Präsident der Kirche allein die Macht besitzt, solche Ehen zu gestatten oder auch wieder aufzulösen, so läßt es sich erklären, welchen großen Einfluß diese Macht Dem geben muß, der sie in Händen hält, und welche Umsicht und Weisheit von Demjenigen erwartet wird, der als vertrauter Rathgeber der Familien, als kirchliches und politisches Oberhaupt der Gemeinde gegenübersteht.
Jede unverheirathete Frau hat ferner ein Recht, im Falle sie vernachlässigt oder vergessen wird, zu ihrem Seelenheil einen Gatten zu fordern. Der Präsident muß dann auf die eine oder die andere Art für sie sorgen, und besitzt sogar die Macht, jeden beliebigen Mann, den er für passend erachtet, zu der Heirath zu zwingen, so wie jeder Mann verpflichtet ist, die Seele eines Mädchens, welches ihm angeboten wird, durch Heirath zu retten.
Mancherlei sind noch die Eigentümlichkeiten des Mormonenthums, doch versuche ich hier nur solche Punkte besonders hervorzuheben, welche in nachfolgender Erzählung berührt worden sind, ohne daß ihnen zugleich eine Erklärung beigefügt worden wäre.
Was die weltliche Stellung der Mormonen betrifft, so ließe sich erwarten, daß in einem Hausstande, in welchem sich bis zu dreißig Frauen befinden, fortwährend Hader und Zank herrschen müßte; doch, ganz im Gegentheil, waltet in den meisten Häusern Friede, Eintracht und schwesterliche Zuneigung unter den Gefährtinnen. Manchem jungen Mädchen mag es indessen einige Ueberwindung kosten, vielleicht die zweiunddreißigste Frau eines Mannes zu werden, so wie es in mancher jungen Frau, welche so lange die einzige Lebensgefährtin ihres Gatten war, traurige Gefühle erwecken muß, wenn sie von Zeit zu Zeit von einer neuen Verlobung und Hochzeit ihres Gemahls in Kenntniß gesetzt wird. —
Die Geschichte des Mormonenthums seit seinem Entstehen bis zur jetzigen Zeit ist mit wenigen Worten erzählt.
In dem Jahre 1831 bis 1832 wurde im Staate Missouri, nicht weit von der Stadt Independence, von den Mormonen unter der Leitung des Joseph Smith die Stelle zum neuen Jerusalem ausgewählt und die Stadt Zion gegründet. Hier nun, an den äußersten Gränzen der Civilisation, glaubten sie ungestört wohnen und die in ihrer Nachbarschaft lebenden, damals noch sehr dünn gesäeten Ansiedler leicht zu ihrem Glauben bekehren zu können.
Zwei Jahre verbrachten sie dort in Frieden, als die Bevölkerung der Provinz Jackson sich zusammenrottete und sie vertrieb. Sie suchten darauf ihre Zuflucht in der Provinz Clay, doch nur, um abermals von dort nach Caldwell, im Staate Missouri, verdrängt zu werden.
Ihre Zahl nahm indessen mit jedem Tage zu, so daß sie sich bald stark genug glaubten, ferneren Unterdrückungen Widerstand entgegensetzen zu dürfen. Als sie abermals verjagt wurden, wobei es schon zu ernstlichen Kämpfen kam, zogen sie nach dem Staate Illinois, wo sie auf dem Ufer des Mississippi vorläufig Ruhe fanden. Sie gründeten daselbst die Stadt Nauvoo und erbauten einen prachtvollen Tempel. Bei der Eigenthümlichkeit ihrer Religion war es indessen vorherzusehen, daß sie nicht lange mit ihren Nachbarn in Frieden leben würden, und im Jahre 1841 bis 1842 gab die Vielweiberei, über welche damals die ersten Gerüchte in Umlauf gekommen waren, Grund zu Anfeindungen.
Immer neue Verbrechen, vom Diebstahl bis zum Mord, (ob mit Recht oder Unrecht, ist nicht festgestellt) wurden den Mormonen zur Last gelegt, bis endlich die Feindseligkeiten wieder ausbrachen und damit endigten, daß der Prophet Joseph Smith und sein Bruder Hyrum erschossen und Nauvoo niedergebrannt wurde.
Brigham Young wurde darauf zum Präsidenten gewählt, und unter seiner Führung zogen die Mormonen an den oberen Missouri, zwanzig Meilen oberhalb der Mündung des Platte, wo sie sich dann abermals ansiedelten, zugleich aber ihre besten Jäger ausschickten, um das Land nach allen Richtungen hin durchforschen zu lassen.
Im Jahre 1847 begaben sich hundertunddreiundvierzig ihrer Männer vom Missouri aus auf den Weg nach dem Westen. Ihnen folgte die ganze Gemeinde in kleinen Abtheilungen nach, und so erreichten sie denn endlich nach einer langen und mühevollen Wanderung den großen Salzsee, wo sie ihr Reich zu gründen beschlossen.
Das Land wurde eingesegnet, der Plan zu einer Stadt entworfen, und bald entstanden unter ihren Händen, obgleich sie durch Hungersnoth und Krankheit vielfach zu leiden hatten, blühende Ansiedelungen. Dieselben hoben sich um so schneller, als Tausende und aber Tausende von Bekehrten den ersten Ansiedlern nachfolgten und bald ein Reich bilden halfen, über welches Brigham Young unter dem Namen eines Gouverneurs des Utah-Territoriums noch heute herrscht. —
Es ist bekannt, daß die Mormonen darnach trachten, durch die Gründung von Schulen, Universitäten, durch Fabriken jeder Art und durch fortwährende Hebung und Ausdehnung des Ackerbaues und der Viehzucht sich baldmöglichst unabhängig von dem Verkehr mit anderen Völkern zu machen, obgleich sie sich Bürger der Vereinigten Staaten nennen und die Regierung in Washington anerkennen. In wie weit ihnen dieses gelingen wird, muß die Zukunft lehren; denn wie ihre Regierungsform und ihr Widerwille, sich in die von Washington ausgehenden Anordnungen zu fügen, schon einmal zu dem in nachfolgenden Blättern erwähnten Bruch mit den Vereinigten Staaten Veranlassung gab, so dürfte die Frage der Vielweiberei über kurz oder lang, nachdem der jetzt wüthende Bürgerkrieg in Nordamerika sein Ende gefunden, noch einmal, dann aber auch schärfer in den Vordergrund treten.
Was an der Religion der Mormonen zu billigen oder zu tadeln ist, werden die Theologen aller Secten, Jeder auf seine Art, gewiß schon längst entschieden haben; der Laie aber, der ein andächtiger Verehrer der Natur und ihrer weisen Gesetze, mißbilligt Alles, was gegen diese verstößt, und es bilden sich bei ihm allmälig ganz besondere Ansichten über jede Religion, die neben ihrem eigenen Glauben keinen andern als selig machend anerkennt.
So viel zur Einleitung. Was nun nachfolgendes Werk selbst betrifft, so kann ich nur wiederholen, daß ich bei dessen Ausführung ganz dieselben Zwecke im Auge behielt, wie bei ähnlichen, früher von mir veröffentlichen Erzählungen.
Die möglichen Falls an mich herantretenden Fragen, ob »das Mormonenmädchen« ein Roman, eine Reisebeschreibung oder aus Naturschilderungen zusammengesetzt sei, beantworte ich dahin, daß ich versuchte, das Eine mit dem Andern zu einem abgerundeten Ganzen zu verbinden. Eine durch solche Zwecke bedingte Arbeit ist eine oft schwer zu lösende Aufgabe, darf deshalb aber wohl um so mehr freundliche Nachsicht beanspruchen.
Wie der historische Roman das unterhaltende Element gleichzeitig mit dem belehrenden umfaßt, so leitet mich in meinen Erzählungen der Wunsch, in ähnlicher Weise das Nützliche mit dem Unterhaltenden zu vereinigen. Wenn Charaktere, in welchen sich alle unedlen Leidenschaften vertreten finden, als Hauptfiguren in Romanen erscheinen dürfen, sollte da die Natur, mit Allem, was sie belebt, nicht dasselbe Recht besitzen, mit Vorliebe behandelt zu werden? Das Ehrfurcht Gebietende und Grausige der Natur aber empfinden wir mit andächtigerer Verehrung und tieferem Schrecken, weil wir das menschliche Geschick wie ein schwaches Rohr davon erdrückt zusehen fürchten; das Lächeln der Natur dagegen dringt inniger zum Herzen, weil es einen erhabenen Gegensatz bildet zu den empörten Leidenschaften der Menschen. —
Wenn es auch nicht Schuld der Mormonen ist, die nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Expedition, zu welcher ich zählte, im Thale des Colorado zu vernichten gedachten,5 daß ich noch unter den Lebenden weile, so bin ich bei nachfolgenden Schilderungen doch keineswegs von Haß gegen sie beseelt gewesen. Frei von Vorurtheilen gegen Secten und Stände, habe ich meine Personen fast durchgehende der Wirklichkeit entnommen, was mir um so leichter wurde, weil ich die meisten derselben, wenn auch nicht immer auf vertrautem Fuße mit ihnen stehend, persönlich oder auch nur von Ansehen kannte, und in letzterem Falle, oft ohne mein Dazuthun, mit den nöthigen Aufschlüssen über sie versehen wurde. Vergebliche Mühe aber würde es sein, nach Diesem oder Jenem forschen zu wollen, indem außer den, mir durch ihre treu geleisteten Dienste unvergeßlichen Eingeborenen, kein Einziger unter seinem wirklichen Namen eingeführt ist.
Und so übergehe ich diese Arbeit vertrauensvoll der Oeffentlichkeit.
Wer kein warmes Herz hat für die Natur, wer das Fremdartige, ja, das Unbekannte störrisch nach den heimathlichen Verhältnissen abgemessen haben will, und die der Wirklichkeit entnommenen Bilder nicht zu scheiden vermag von solchen, welche die Phantasie gezwungen war, zu ergänzen, der lege diese Bücher ungelesen, unbeachtet zur Seite; deren Inhalt wird ihn nicht befriedigen. Doch wer es liebt, die Blicke über die nächsten Gränzen hinaus zu werfen, an sicherer Hand die endlosen Urwildnisse des fernen Westens im Geiste zu durchwandern; wer einen Genuß darin sucht, die einst an Ort und Stelle empfangenen überwältigenden Eindrücke, wenn auch aus zweiter Hand, in sich aufzunehmen und das gewissermaßen mitzuempfinden, was noch jetzt in der Erinnerung zu warmem Enthusiasmus fortreißt, der entdeckt in nachfolgenden Blättern vielleicht Manches, was ihn mit der Erzählungsform aussöhnt und dazu bewegt, freundlich über einzelne schwer zu umgehende Mängel hinwegzusehen.
1
Der Sandsturm
Wo in dem ungeheuern »Becken,« begränzt durch die starren, nackten Joche des Wahsatch-Gebirges und der unabsehbaren Züge der theilweise in ewigem Schnee prangenden Sierra Nevada, dürrer, vegetationsloser Sand auf umfangreichen Strecken die Oberfläche des Bodens bildet, da ist es für den Menschen nicht rathsam, anders, als in größeren Gesellschaften die schrecklichen Wüsten jagend oder forschend zu durchkreuzen. Selbst den vereinigten Kräften treu zusammenhaltender Gefährten gelingt es oft kaum, dem drohenden Untergange zu entrinnen, der den Wanderer jener Regionen in den verschiedenartigsten und gräßlichsten Gestalten beständig angrinst. Bald sind es der Wassermangel und das Verschmachten und Dahinsterben der dem Reisenden unersetzlichen Lastthiere, bald die durch Heißhunger zur Tollwuth gereizten wilden Bestien, bald die, in ihren Neigungen sich kaum noch von den Thieren des Waldes unterscheidenden Eingeborenen, oder der von dem Sturmwind in dichten Wolken emporgewirbelte erstickende Flugsand, lauter Schrecknisse, die auch den kühnsten Geist zu beugen, den wildesten Muth zu brechen vermögen. —
Wenn nun die Reise ganzer Karavanen durch die unwirthlichen Theile des »großen Beckens« mit einem steten Kampf um das nackte Leben verglichen werden darf, um wie viel mehr ist der einzelne Wanderer, der dorthin verschlagen wurde, dem Verderben ausgesetzt! Und dennoch – —
Ungefähr drei Tagereisen weit westlich von der südlichen Spitze des »Großen Salzsees,« also vielleicht doppelt so weit von der Mormonenstadt, scheiden die Pah-o-tom- oder Cederberge, eine von Südwesten nach Nordosten laufende Felsenkette, das »Quell-« oder »einsame Felsen-Thal« von der unabsehbaren, sich gegen Westen ausdehnenden sandigen Einöde. Eine alte, wenig befahrene Emigrantenstraße führt durch einen Paß dieses Gebirges und verliert sich schon nach kurzer Zeit in halb zugewehten Spuren von Wagenrädern und Packthierpfaden, die sich wieder in verschiedene Richtungen von einander trennen und, je weiter nach der Wüste hinein, um so schwächer und undeutlicher werden, bis sie endlich ganz in dem losen Sande verschwinden. Es geht daraus hervor, daß vielfach nach einem geeigneten Wege durch die wasserarme muldenförmige Sandsteppe geforscht wurde, daß die Bemühungen sich größtentheils als fruchtlos erwiesen, und daß man endlich zu der Ansicht gelangte, schwere und langsam reisende Trains lieber auf einem Umwege auf der Nordseite des Salzsees herumziehen zu lassen, als deren Existenz in einer näheren, aber gefährlicheren Richtung auf das Spiel zu setzen. —
Es war in den Frühstunden eines klaren, sonnigen Herbsttages, als eine einsame Wanderin aus der letzten Biegung des eben bezeichneten Passes trat und den Punkt erreichte, von welchem aus sie die erste Aussicht auf die gefürchtete Wüste gewann.
Der trostlose, vielleicht kaum geahnte Anblick mußte überaus niederdrückend auf sie einwirken, denn in dem Grade, in welchem das traurige Panorama sich immer weiter und weiter vor ihr ausdehnte, wurde der rüstige Schritt, in welchem sie sich genähert hatte; langsamer und unsicherer. Als aber endlich die schreckenerregende Landschaft in ihrer todtenähnlichen Stille und Regungslosigkeit vor ihr lag, ihre zagenden Blicke ungehindert auf der Linie des Horizonts herumirrten und auf weiter nichts trafen, als auf Wüstensand und auf ferne, duftig schimmernde Felsgruppen, die wie verloren aus der gelben Ebene emportauchten, da schien ein unüberwindliches Grauen sich ihrer zu bemächtigen und die Kraft ihrer Füße zu lähmen.
Sie stand still, und indem sie nach der nordwestlichen Richtung über Meilen und Meilen hinwegschaute, füllten ihre Augen sich mit Thränen. Die Aufgabe, welche sie sich gestellt hatte, erweckte jetzt offenbar Furcht und Entsetzen in ihr, denn zagend und schüchtern blickte sie rückwärts in den Paß hinein, von woher sie eben erst gekommen war.
Sie mochte ihrer Heimath in der Mormonenstadt gedenken, die sie vor wenigen Tagen erst verlassen hatte, denn bange Zweifel bewegten gar seltsam ihre bleichen, abgehärmten Züge, während ein bitterer Seelenschmerz ihre Brust krampfhaft hob und senkte.
Doch nur wenige Minuten dauerte dieser Kampf; wie ein drohendes Gespenst schien es in ihrer Erinnerung aufzutauchen, und indem ein Schauder ihre schlanke Gestalt erschütterte, wendete sie sich hastig der Richtung zu, in welcher ihr Ziel lag.
»Ich werde es nicht ausführen können,« flüsterten ihre noch jugendfrischen Lippen, und in dem leisen Ton ihrer Stimme offenbarte sich eine ganze Welt voll Zweifel und Schmerz. »Meine Kräfte reichen nicht aus – und dennoch müssen sie ausreichen!« fuhr sie lauter fort, und ihre Worte zitterten vor inniger, wehmüthiger Bewegung, als die Bürde, welche sie in einer Decke gehüllt vor sich trug, Leben verrieth. »O, sie müssen ausreichen, für mein armes Kind – und sie werden es, denn die Mutterliebe ist stark. Und wäre die Wüste noch zehnmal so breit, ich würde meinen Engel sicher hinübertragen. Wer aber würde es wohl wagen, ihm Leid zuzufügen? Weder die Wölfe, noch die grausamen Indianer. O, die Indianer, auch sie haben Kinder, und wenn sie meinen süßen Knaben sehen, so werden ihre Herzen sich beim Anblick der lieblichen Erscheinung erweichen; sie werden ihn beschützen und ihn mir tragen helfen, mein liebes, liebes einziges Kind!«
Indem die junge Frau so sprach, hatte sie die Bürde, welche von einer andern, auf ihrem Rücken hängenden im Gleichgewicht gehalten wurde, behutsam vor sich auf die Erde gelegt. Dann bei derselben niederknieend, öffnete sie die leichte Hülle vollständig, worauf sie ihre Blicke mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe und Seligkeit an den großen blauen Augen eines etwa ein Jahr alten Knaben haften ließ, der neugierig und zufrieden zu ihr emporschaute.
Es war ein rührendes, Wehmuth erzeugendes Bild, die junge Mutter, die nur noch Blicke und Gedanken für ihr Kind hatte und in ihrer Sorge um dasselbe die ganze übrige Welt, selbst ihren tiefen, unheilbaren Kummer vergaß. Ihr feines, regelmäßig schönes Antlitz war wohl abgehärmt, und ein eigenthümlicher Zug um den Mund verlieh demselben das Gepräge lange erduldeter Leiden; allein indem sie mit Stolz ihren Liebling betrachtete, hatten ihre etwas eingefallenen Wangen sich vor innerer Aufregung wieder hoch geröthet, und selbst als glückliches, harmlos tändelndes junges Mädchen konnte sie kaum anziehender und bezaubernder gewesen sein, als jetzt, da Mutterwürde ihre ganze Erscheinung verschönte und veredelte.
Ihre starken gelbblonden Haare waren nachlässig in einen Knoten am Hinterkopf zusammengeschürzt; einzelne Strähnen aber hatten sich während der Wanderung aus dem Knoten losgestohlen und hingen, indem sie sich über das Kind hinneigte, als lange seidenweiche Locken zu demselben nieder, welches dann lallend und schäkernd nach den beweglichen Ringen haschte. Die großen hellblauen Augen, beschattet von blonden Brauen und Wimpern, hatten einen schwermüthigen Ausdruck, jedoch mehr in Folge der gegenwärtigen trostlosen Lage, als weil ihnen derselbe vielleicht ungeboren gewesen wäre, und nur so lange, wie sie auf dem vollen Antlitz des kleinen Knaben ruhten, strahlten sie im innigsten Entzücken, um gleich darauf wieder um so trauriger in die Ferne zu spähen.
In ihrer übrigen Erscheinung, in den schmalen Händen und Füßen, wie in der ganzen Haltung verrieth die junge Frau, daß sie den höheren Ständen entstamme. Ihre Gestalt war groß und kräftig gebaut, und dabei trug sie dieselbe mit einer gewissen Anmuth, die auf eine sehr sorgfältige Erziehung deutete und weder durch Beschwerden und Entbehrungen, noch durch Erschöpfung hatte gänzlich verwischt werden können.
In ihrer Bekleidung war, wenn man die große Entfernung von der verfeinerten Civilisation berücksichtigte, Wohlhabenheit unverkennbar, denn Alles bestand aus so kostbaren Stoffen, wie sie in der Salzsee-Stadt wohl nur unter bedeutenden Geldopfern zu erschwingen gewesen; dagegen hatte der Staub die Farben des Zeuges schon sehr entstellt und die letzte Probe von Schwärze von den starken, festbesohlten Schuhen mit fortgenommen.
Die Ausrüstung der einsamen Wanderin bestand aus einem Bündel Kleidungsstücke, einer wollenen Decke, einem Säckchen mit einer Mischung von braunem Zucker und feingeriebenem Mais- und Weizenmehl, dem bekannten, sehr nahrhaften Pinole, und einem mäßig großen Lederschlauch mit Wasser. Wenn zu diesem aber noch der kräftige Knabe hinzugefügt wurde, so bildete das Ganze eine Last, die auf die Dauer auch für den stärksten Mann zu viel hätte werden müssen, zumal auf einem Boden, auf welchem die Füße bei jedem Schritt tief in das lose Erdreich einsanken, oder auch streckenweise gegen scharfes Gestein und dornenreiches Gestrüpp zu kämpfen hatten.
Doch was jeden andern ruhig überlegenden Menschen mit Besorgniß und Grauen erfüllt hätte, das beschäftigte nur zeitweise den Geist der jungen Mutter, und wenn das Bewußtsein ihrer hülflosen Lage wirklich zuweilen ihren letzten Muth zu brechen drohte, dann brauchte sie nur rückwärts zu schauen, um ihren wankenden Entschluß wieder zu befestigen und die sich ihr entgegenstellenden Hindernisse vor ihrer wild erregten Phantasie verschwinden zu machen. Hatte sie doch auf ihrer Flucht von der Mormonenstadt absichtlich, um einer Verfolgung zu entgehen, und die ihr Nachsetzenden zu täuschen, die eigentliche Emigrantenstraße verlassen und den längst nicht mehr benutzten Weg durch die Wüste eingeschlagen. Was waren ihr drei, vier Wochen der Einsamkeit in der schrecklichen Wildniß, die sie nur dem Namen nach kannte? Sie wußte, welche Richtung sie beizubehalten hatte, um weiter oberhalb wieder in die Emigrantenstraße zu gelangen, die zur Zeit noch von Auswanderern belebt sein mußte, und das war ihr genug. Fort, weit fort vom Salzsee drängte es sie; fort von dem Lande, wo sie ein Paradies zu finden erwartete, und wo sie schmählich hintergangen worden war; fort, gleichviel, ob mit Gefahr ihres Lebens, wenn nur ihr Kind, ihr lieblicher Engel, gerettet wurde. —
»Ja, ich trage Dich durch diese Wüste,« wiederholte sie fest und muthig, indem sie die niederhängenden Locken aus dem Gesicht des kleinen Knaben tanzen ließ, daß dieser jubelnd und kreischend mit beiden Händchen um sich schlug. »Du bist nicht schwer – doch, Du bist sehr schwer und wohlgenährt, aber nicht zu schwer für Deine Mutter, und auf der Emigrantenstraße werden wir barmherzige Menschen finden, die sich unserer annehmen und uns nach Kalifornien bringen. Dort aber will ich arbeiten und sparen, bis ich die Mittel zusammen habe, die Rückreise nach der lieben süßen Heimath jenseit des Oceans antreten zu können. – O Heimath! Wäre ich ihm doch nie gefolgt! Er war gut, er war edel, bis die neue Lehre ihn verdarb. Armes, armes Kind, was wirst Du dereinst sagen, wenn Du erfährst, wie Dein Vater an mir, Deiner bedauernswerthen Mutter, gehandelt? Im Vertrauen auf seine Liebe und durchdrungen von den scheinbar geläuterten christlichen Lehren gab ich meine glückliche Heimath auf, um ihm zu folgen. Ahnungslos und mit treuer Hingebung begleitete ich ihn auf der weiten Wanderung nach dem so verlockend geschilderten Ziel, um hier zum Bewußtsein einer schrecklichen Lage zu gelangen!«
Hier schwieg die junge Frau, und bittere, heiße Thränen rollten über ihre bleichen Wangen auf den lächelnden Knaben hinab. Die Worte, die sie anfangs, als ob er sie verstanden hätte, an ihren Liebling richtete, waren allmälig in ein Selbstgespräch übergegangen, oder vielmehr in laute Betrachtungen, die sie leiser und leiser vor sich hinmurmelte.
Nach einer kurzen Pause fuhr sie, wie aus einem Traume erwachend, heftig empor; ihre Wangen rötheten sich schnell wieder, und in seltsamem Feuer leuchteten ihre sonst so milden Augen.
»Ich, seine vor Gott und den Menschen rechtmäßig angetraute Gattin, ich, die ich an weiter nichts dachte, als ihm das Leben zu versüßen, ich mußte es dulden, daß er, heidnischen Gebräuchen huldigend, noch eine zweite Frau durch die Banden der Kirche an sich fesselte!« rief sie glühend vor Scham und Zorn aus, indem sie ihre Hände über dem Kinde krampfhaft in einander ballte. »Getäuscht, betrogen, schändlich betrogen, wie so viele meines Geschlechts, die in blindem Vertrauen ihren Gatten hieher nachfolgten! Betrogen und verhöhnt, und mir bleibt nur die Schande, oder der Tod in der Wüste!«
»Wasser!« stammelte der Knabe, und reckte der verzweifelnden Mutter die Aermchen entgegen.
»Nein, nein, nicht der Tod,« begütigte die junge Frau, über ihre eigenen Worte erschreckt zusammenfahrend; »nein, lieber alle Schande, allen Hohn der Welt ertragen. Hast ja sonst Niemand mehr als Deine Mutter, Deine Mutter, die über Dich wachen und für Dich sorgen wird,« fügte sie liebreich hinzu, indem sie den Schlauch entkorkte und von dem klaren Quellwasser in eine blecherne Tasse laufen ließ.