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Kitabı oku: «Das Mormonenmädchen Erster Band», sayfa 5

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»Eine sehr natürliche Folge der Leichtgläubigkeit ist, daß dieselbe auf schamlose Weise gemißbraucht wird,« bemerkte Werner, der seinem Freunde so lange aufmerksam zugehört hatte. »Wenn sich Leute im Laufe ihrer Erzählung auch zu Ausschmückungen verleiten lassen, ja sogar mit reger Phantasie neue Bilder schaffen, so sollten sie doch vor allen Dingen stets die objective Wahrheit im Auge behalten.«

»Ganz richtig,« versetzte Falk, »aber Sie übersehen, daß die Mehrzahl der Menschen die objective Wahrheit nicht herauszufühlen vermag und am liebsten Das glaubt, was sie gerade wünscht oder ihr am besten gefällt.«

»Dann machten die größten Betrüger ja die besten Geschäfte in der Welt!« rief Werner lachend aus.

»Thun sie das denn nicht?« fragte Falk, »ich dachte, man brauchte nicht sehr weit zu gehen, um den eben von Ihnen aufgestellten Satz bewahrheitet zu finden.«

Werner nickte, zum Zeichen, daß er die Anspielung verstanden habe, und blickte nach der kleinen Bühne hinüber. Die beiden Freunde hatten sich nämlich so sehr in ihre Unterhaltung vertieft gehabt, daß ihnen das Auftreten einer Sängerin im Tyroler Costüm entgangen war. Erst als dieselbe immer und immer wieder denselben Schlußrefrain durchjodelte, auf welchen Theil ihrer Kunstfertigkeit sie selbst den größten Werth zu legen schien, wurde ihre Aufmerksamkeit auf sie hingelenkt.

Nach einer Weile, als das Jodeln gar kein Ende nehmen wollte, wendete Werner sich wieder in flüsterndem Tone an seinen Gefährten.

»Ich kann nicht umhin, meine Verwunderung darüber auszusprechen,« hob er an, »daß Ihnen verhältnißmäßig so viele Personen in dieser zahlreichen zusammengewürfelten Gesellschaft bekannt sind.«

»Und dennoch ist es ganz natürlich,« entgegnete Falk ebenso leise, »denn außerdem, daß ich als Maler daran angewiesen bin, mit vielen Menschen zu verkehren, um die Erzeugnisse meiner Kunst zu verwerthen, streife ich in meinen müßigen Stunden vielfach umher, nur geleitet von dem Zweck, Ideen und Stoff zu meinen Arbeiten zu sammeln. Mein Weg führt mich dann gewöhnlich dahin, wo ich den dankbarsten Boden zu finden hoffe; und da das amerikanische Familienleben nur sehr wenig wahrhaft anregende Momente bietet, so kann ich ja nicht besser thun, als die Physiognomien zu meinen Genrebildern an öffentlichen Vergnügungsorten aufzusuchen. Ich komme daselbst mit Diesem und Jenem zusammen, und stoße häufig auf Physiognomien, die mich allein schon durch ihren Ausdruck bestimmen, nach ihrer Geschichte zu forschen, wenn auch nur, um mich zu überzeugen, in wie weit ich mich mit meinen Muthmaßungen über sie der Wahrheit genähert habe. Es ist dieses eine Art Studium, welches mir viel Unterhaltung gewährt, mag ich Unbekannten gegenüber auch ernst und verschlossen erscheinen.«

»Ich dürfte in meinem augenblicklichen Beruf als Weinhändler nicht so ernst sein, oder das kalifornische Haus, für welches ich reise, würde Veranlassung finden, mit meinen Dienstleistungen eben nicht sehr zufrieden zu sein.«

»Es war mir bis jetzt neu, daß von Kalifornien Wein ausgeführt wird.«

»O, das ist noch vielen Menschen neu, und wenige haben einen Begriff davon, welchen Ertrag die alten Missionsweinberge, wie auch die in neueren Jahren angelegten liefern. In vielen Schiffsladungen kaufen wir den jungen Wein auf den kalifornischen Küstenstrichen, um ihn demnächst in San Francisco in unseren vortrefflichen Kellern ablagern zu lassen. Und wenn er dort ein oder zwei Jahre gelegen hat und man bringt ihn wieder anʼs Tageslicht, ei, der Tausend, was für ein Göttertrank ist es dann! Aber Sie sollen ihn in meinem Hotel proben.«

»Der geborene Weinhändler!« rief Falk lachend aus, und mit einem gellenden Triller und einer anmuthigen Verbeugung schloß die Sängerin ihre Jodelarie.

»Vielleicht sogar ein Vorwurf zu einem Ihrer pikanten Genrebilder?« entgegnete Werner heiter, als der Applaus, welcher die Sängerin bis hinter die mit furchtbar großen Lilien und Rosen übermalten Coulissen begleitete, sich etwas gelegt hatte.

»Nein, nein!« antwortete der Maler mit gesteigerter Fröhlichkeit. »Ich habe eine Flasche Ihres Kaliforniaweins lieber in Wirklichkeit, als auf Leinwand gemalt vor mir, und da es den meisten Amerikanern wohl nicht viel besser ergeht, so würde mein Bild am Ende unverkauft bleiben. Sie kennen den hiesigen Geschmack noch wenig.«

»Ha, ich denke, der Geschmack wird hier der Art sein, daß Sie Ihre Bilder schon längst verkauften, noch ehʼ Sie dieselben zu malen begonnen haben.«

»Manchmal, ja; es kommen nämlich zuweilen Leute zu mir, die eine neu eingerichtete Wohnung auszuschmücken wünschen, und zu diesem Zweck bestellen sie, je nach Bedürfniß und der Zahl der zu decorirenden Wände, sechs, acht und mehr Bilder, nebst Angabe der Breite und Länge. Oft erhalte ich auch die Rahmen geliefert, um Bilder in dieselben hineinzumalen. Ich muß gestehen, diese handwerksmäßige Ausübung der Kunst widerstrebt meinem Gefühl, allein da ich kein reicher Mann bin und meine gelegentlichen Reisen sehr viel Geld kosten, so muß ich nothgedrungen auf dergleichen Anerbietungen eingehen. Ich tröste mich indessen mit dem Gedanken, daß Eins das Andere befördert, und habe meine Zeit demgemäß eingetheilt. Eine Woche hindurch male ich täglich ein bis zwei Bilder, und gewinne dadurch so viel, daß ich wieder zwei Monate hindurch größeren und edleren Arbeiten ungestört obliegen kann. Letztere gebe ich dann auf die Ausstellung, und zur Ehre der Amerikaner muß ich einräumen, daß doch hin und wieder schon Einer auf taucht, der bei der Beurtheilung eines Werkes weniger auf schreiende Farben, als auf die Ausführung sieht.«

Der Clavierspieler hatte, um die Zeit auszufüllen, wieder ein neues Stück begonnen. Es waren Variationen über ein Heimathslied, und mit wirklich innigem Ausdruck trug er dieselben vor.

Die beiden Freunde waren nachdenkend geworden; auch bei ihnen mochten die lieben bekannten Klänge süße, wehmüthige Erinnerungen erwecken. Da störte sie das Geräusch neu eintretender Personen, die rücksichtslos mitten durch den Saal schritten. Werner schaute mißmuthig auf. Kaum hatte er diejenigen, von welchen das Geräusch ausging, erblickt, so erhob er sich etwas von seinem Sitz und sendete einen stummen, aber höflichen Gruß hinüber.

Falk, der ganz Ohr war, nahm sich nicht die Mühe aufzuschauen, sondern ließ, Ruhe gebietend, ein lautes »St!« zwischen seine Zähne durchgleiten.

Das Geräusch verstummte; aber erst als der junge Mann am Clavier seine Variationen beendigt hatte, wendete Falk sich nach den eben Angekommenen um, und gleichzeitig glitt ein deutlicher Zug des Mißvergnügens über sein geistreiches Gesicht.

»Sie, erst seit zwei Wochen in New-York, stehen schon auf dem Grüßfuß mit diesen beiden Menschen?« fragte er Werner, und in seiner Stimme verrieth sich eine unangenehme Ueberraschung.

Werner erröthete; er war betroffen, weil er sich die Frage, die offenbar irgend einen Vorwurf enthielt, nicht zu erklären vermochte.

»Ich kenne sie, weil sie in dem Hotel, in welchem ich wohne, vielfach verkehren. Es sind zwei deutsche Edelleute, die sich ebensowohl durch ihre feine Bildung, als auch durch ein gewisses vornehmes zurückhaltendes Wesen, welches aber durchaus nicht abstößt, auszeichnen. Der Zufall fügte es, daß ich vor einigen Tagen näher mit ihnen bekannt wurde, und ich gestehe, ihre höfliche Zuvorkommenheit, die so gänzlich jeder, den Deutschen sonst eigenthümlichen Zudringlichkeit entbehrt, hat mich sehr für sie eingenommen. Der ältere Herr ist ein Graf und sein jüngerer Gefährte ist ein Baron, ihre Namen sind mir leider entfallen.«

Während der ganzen Zeit, daß Werner sprach, hatte Falk seine Blicke nicht von den betreffenden Persönlichkeiten gewendet und mit einem unbeschreiblich vielsagenden Ausdruck fortwährend genickt.

Sie standen noch immer auf derselben Stelle, hatten den beiden Freunden den Rücken zugekehrt und waren offenbar unentschlossen, ob sie bleiben oder wieder gehen sollten. Die Anwesenheit des Malers schien die Zweifel in ihnen erweckt zu haben; denn kaum hatten sie Werner mit einem liebenswürdigen, vertraulich herablassenden Kopfnicken begrüßt und dann den Künstler an seiner Seite erkannt, so waren sie wie angewurzelt stehen geblieben und, als ob sie Jemand gesucht hätten, richteten sie ihre Blicke nach der entgegengesetzten Seite des Saales. Sie wären gewiß gern wieder sogleich davongegangen, wenn sie nicht befürchtet hätten, Aufsehen zu erregen und sich eine Blöße vor Werner zu geben.

Ihr Aeußeres entsprach übrigens vollkommen der vortheilhaften Beschreibung, welche Werner von ihnen gemacht hatte, denn eine geradere, anmuthigere Haltung, einen zierlicher und enger anschließenden Stiefel und einen tadelloseren Sitz der nach dem neuesten Schnitt gearbeiteten Kleidungsstücke hätte man wohl kaum auf der sonntäglichen Parade irgend einer europäischen Hauptstadt zu finden vermocht.

Ja, es waren stattliche Erscheinungen, namentlich der ältere Herr mit seinem echt militärischen Anstande. Seine Züge waren wohl etwas schlaff und abgelebt, wie bei Jemandem, der gewohnt ist, die Nacht in den Tag zu verwandeln, allein ein gewisser Ausdruck jugendlichen Selbstbewußtseins konnte ihnen nicht abgesprochen werden, dazu spähten die kleinen schwarzen, stechenden Augen zu flüchtig umher, war das ergraute Haar zu schön schwarz gefärbt und das ganze Gesicht bis auf zwei rund abgezirkelte Punkte unter den Nasenflügeln zu glatt und sorgfältig geschoren. Und diese beiden Punkte erst, auf welchen zwei Bündelchen pechschwarz gefärbter Borsten wucherten, die mit ausgesuchter Eleganz, etwa wie die Fühlhörner bei einem Schmetterling, in kurze scharfe Spitzen zusammengeklebt, nach vorn gerichtet standen, wie sahen sie unternehmend und unwiderstehlich aus! Und dann die anschließenden Glacéhandschuhe, und das feuerrothe, breitgedrückte Blümchen im linken Knopfloch, welches sich aus der Ferne genau so ausnahm, wie das Bändchen der Ehrenlegion; ja, wirklich, der ältliche Herr sah ganz vortrefflich aus.

Sein jüngerer, oder vielmehr sein junger Gefährte hatte ebenfalls etwas sehr Vornehmes in seinem Aeußern, konnte aber mit ihm selbst einen Vergleich nicht aushalten. Einestheils war er viel zu bleich und wohlbeleibt, anderntheils schien er um eben so viel älter zusein, als er in der That Jahre zählte, wie es bei dem andern Herrn umgekehrt der Fall war; nicht zu gedenken der nur von schwarzgefärbtem Flaum bedeckten Oberlippe, die den Verdacht erregte, als verdanke sie ihre Zierde einem angebrannten Korkpfropfen.

Ein nobler Anstrich war indessen nicht zu verkennen, indem er mit bezaubernder Gewandtheit einen an seidener Gummischnur befestigten Glasscherben zwischen den Lidern seines rechten Auges eingeklemmt trug, und den blanken Knopf des leichten schwarzen Rohrstöckchens mit unwiderstehlicher Nachlässigkeit gegen seine schmalen bläulichen Lippen preßte.

»So-o-o!« sagte Falk endlich gedehnt, als die beiden Herren immer noch unentschlossen in ihrer zuerst angenommenen Stellung verharrten, »Sie sind also für den Herrn Grafen und den Herrn Baron eingenommen? Ich kenne sie nämlich nur unter diesen Namen; wie sie sonst heißen mögen und ob sie wirklich aus diese Titel gerechte Ansprüche haben, ist mir auch sehr gleichgültig. Indessen kann ich Ihnen nur rathen, auf Ihrer Hut zu sein; es sind ein paar verrufene Abenteurer, die bei Ihnen Schätze wittern und es ganz gewiß auf Ihr Geld abgesehen haben. Sie wissen, daß ich mehr von ihrer Vergangenheit erfahren habe, wie ihnen lieb ist, und scheuen daher, sich Ihnen zu nähern. In der Heimath lernten sie weiter nichts, als das Kriegshandwerk in Friedenszeiten; dann sind sie nach Amerika ausgewandert, weil vielleicht ein unvorsichtiger Nachtwächter sich auf ihren Degen ausspießte, oder weil unverschämte Creditoren ihnen nicht länger borgen wollten. Zu stolz, sich entehrender Arbeit zu unterziehen, verschaffen sie sich auf gentilere Weise hier in New-York ihren Unterhalt durch ihr gutes Kartenspiel. Ich kenne sie seit einigen Jahren, ich kannte sie schon, als sie noch in sehr abgetragenen Röcken die deutschen Bierhäuser besuchten und, nach sehr liebevoller Unterhaltung mit irgend einem unerfahrenen Emigranten regelmäßig ihre Börsen vergessen hatten, um jenem die Freude zu gönnen, einmal für so vornehme Herren bezahlen zu dürfen. Ich liebe es sonst nicht, Jemanden an den Pranger zu stellen; besonders aber nicht, wenn die Möglichkeit vorliegt, daß mir ungerechtfertigte Vorurtheile und Abneigung gegen diesen Stand oder jene Würde zum Vorwurf gemacht werden könnten. In diesem Falle aber vermag ich doch nicht den Wunsch zu unterdrücken, daß die Geschichte der beiden Herren in weiteren Kreisen bekannt werden möchte, wenn auch nur, um Diejenigen zu warnen, welche, ursprünglich aus jugendlichen Leichtsinn, der Verführung nicht fest entgegentreten, allmälig tiefer und tiefer sinken, und endlich durch eine unüberlegte verdammungswürdige Handlung sich die Rückkehr zu einer ehrenwerthen Lebensstellung abschneiden.«

Während Falk noch sprach, hatten der zuerst erwähnte alte Herr und seine drei jüngeren Begleiter, die an einem Tischchen nicht weit von ihnen saßen, sich erhoben, um sich zu entfernen.

Falk gewahrte nicht so bald deren Absicht, als auch eine helle Schadenfreude auf seinen Zügen leuchtete.

»Das ist herrlich!« flüsterte er Werner zu, »sie müssen unbedingt an ihnen vorbei. Bis jetzt haben der Herr Graf und der Herr Baron Sie noch nicht bemerkt. Achten Sie daher genau darauf, wie sie sich benehmen werden, wenn sie die Sie verachtenden Standesgenossen so plötzlich vor sich sehen. Eine größere Demüthigung hätte ihnen nicht zu Theil werden können.«

In diesem Augenblick schritt der alte Herr mit seinem Gefolge in geringer Entfernung vorüber. Er sowohl wie seine Begleiter grüßten freundlich, welchen Gruß Falk und Werner durch Aufstehen höflich erwiderten, und gleich darauf drängten sie sich an den beiden Spielern vorbei.

Diese, durch das Drängen gemahnt, etwas zur Seite zu treten, schauten sich mechanisch um, aber schneller noch wendeten sie ihre mit der Röthe der Scham und der Verlegenheit übergossenen Gesichter wieder abwärts, als sie urplötzlich die in der Begleitung des alten Herrn befindlichen beiden jungen Edelleute bemerkten, deren Blicke kalt und gleichgültig über sie hinstreiften.

»Sie besitzen wenigstens noch eine Probe von Scham,« sagte Werner, dem keine der bei dem merkwürdigen Zusammentreffen stattgefundenen Bewegungen entgangen war.

»Ha ha ha!« lachte sein Gefährte; »wenn es nicht gerade Standesgenossen von ihnen gewesen wären, denen sie sich sogar bei ihrer Ankunft in New-York vorstellten und von der liebenswürdigsten und ehrenwerthesten Seite zeigten, so würden sie sich gewiß nicht sehr geschämt haben.«

Der Graf und der Baron mochten indessen noch auf andere Physiognomien gestoßen sein, die ihnen nicht sonderlich gefielen, denn sie entfernten sich nach kurzem Besinnen, erschienen aber bald darauf oben auf der Galerie, wo sie sich im Hintergrunde so niederließen, daß sie von unten aus nicht bemerkt werden konnten.

»Wenn die Schwalben heimwärts ziehn,« sang mit dünner Stimme ein kleiner unansehnlicher Schauspieler, der sich in das Costüm eines Landjunkers mit ungeheuern Stulpenstiefeln geworfen hatte, und indem er mit komisch sehnsüchtigem Pathos die einzelnen Noten auf ohrenzerreißende Weise modulirte, strich er mit der Hand von unten nach oben über sein Gesicht.

Schallendes Gelächter antwortete auf diese Bewegung, denn die Nasenspitze des Sängers, die ursprünglich nach unten wies, stand, in Folge einer unerklärlichen Muskelgewandtheit, plötzlich nach oben gerichtet, wodurch der Besitzer der geschmeidigen Nase gar nicht mehr derselbe zu sein schien, der kurz vorher auf die Bühne getreten war.

»Kommen Sie,« sagte Falk, »diese Verunstaltung hat für mich etwas Widerwärtiges.«

Die Freunde erhoben sich und schlichen leise davon, und einige Minuten später wanderten sie, Arm in Arm, plaudernd den Broadway hinunter.

Vor dem kleinen, aber mit orientalischer Pracht ausgeschmückten Hôtel, welches die gegenüberliegende Ecke des mächtigen St. Nicolas-Hôtel bildet, trennten sie sich, nachdem sie sich gegenseitig das Versprechen gegeben, am folgenden Tage wieder zusammenzutreffen.

Werner trat in die Lesehalle ein, um noch einen Blick in die neuesten Zeitungen zu werfen, während Falk in die nächste Querstraße einbog und in derselben eilig weiterschritt.

Seine Wohnung lag fast auf dem andern Ende der Stadt, da, wo die Häuser noch nicht so dicht zusammengedrängt waren, und wo Gärten und anmuthige Parkanlagen der Stadt selbst einen überaus freundlichen Charakter verliehen.

Die Pferdeeisenbahn lief in geringer Entfernung von seiner Wohnung hin, und um einen der alle zehn Minuten auf derselben abgehenden kolossalen Wagen zu benutzen, machte er sich den kleinen Umweg, der ihn fast in entgegengesetzte Richtung von der eigentlich beabsichtigten führte. Da es nicht weit mehr von zehn Uhr war, und um diese Zeit die letzten Wagen ihren Halteplatz vor Barnimʼs Museum verließen, so beeilte er sich, um die letzte Fahrgelegenheit nicht zu versäumen. In Gedanken versunken verfolgte er seinen Weg, und mechanisch wich er den Leuten aus, die ihm in den engen, weniger belebten Querstraßen und Gassen begegneten. Erst als er die breite, hell erleuchtete Eisenbahn vor sich liegen sah, mäßigte er die Eile seiner Schritte.

Da bemerkte er eine riesenhafte Gestalt, die von der andern Seite der Straße her schräg auf ihn zubog und sich ihm mit langen Sätzen näherte. Er wollte dem Fremden, den er für einen Betrunkenen hielt, ausweichen, in demselben Augenblick machte derselbe aber eine unvorhergesehene Wendung gerade auf ihn zu, so daß er heftig mit ihm zusammenprallte, und gleichzeitig sah er eine Faust, die sich blitzschnell hob und sich auf sein Gesicht zu senken drohte.

Den Hieb von sich abzuwenden, erschien ihm nicht mehr möglich, er wählte daher als letzte Rettung vor dem brutalen Angriff, daß er sich mit aller Gewalt auf seinen Gegner warf und sich an denselben festklammerte.

4
Die drei Mormonen

Als Jim Raft seine Faust zum Schlage gegen Falk erhob, hegte er eben nur die, nach seiner Meinung, höchst unschuldige Absicht, sich in der Verfolgung der seiner Wachsamkeit anempfohlenen Männer nicht von der richtigen Spur abbringen zu lassen. Zu spät sah er aber ein, daß er zur Erreichung seines Zweckes gerade zu einem unrechten Mittel gegriffen hatte. Bei seinen riesenhaften Kräften wäre es ihm allerdings ein Leichtes gewesen, den Künstler, trotz dessen Gewandtheit, von sich abzustreifen und zu zermalmen; allein da er seine Blicke nicht von den in der Ferne immer mehr verschwindenden Gestalten abzuwenden wagte, so befand er sich im Nachtheil. Er versuchte daher, den zufälligen feindlichen Zusammenstoß auf möglichst gütliche Art beizulegen.

»Das ist originell!« rief er aus, als er sich von Falkʼs Armen, wie von unzerreißbaren Schlingen umklammert fühlte.

In dem Ton seiner Stimme verriethen sich aber, trotz des aufsteigenden Zornes und der schnarrenden Rauheit, Gefühle, die in so krassem Widerspruch zu seiner drohenden Geberde standen, daß Falk dadurch beruhigt wurde und des Seemanns Worte mit einem Anflug von Humor wiederholte, ohne indessen sogleich in seinem Griff nachzulassen.

»Sehr originell,« sagte er gutmüthig, sobald er bemerkte, daß er es mit keinem Betrunkenen zu thun habe und daher nur ein Irrthum obwalten könne.

»Verdammt!« entgegnete Raft, immer nach derselben Richtung hinstierend. »Ich habe Eile, und wenn Ihr ein Gentleman seid, dann werdet Ihr, ehʼ ich Euch würge, Eure Enterhaken von meiner Gurgel nehmen und mich eine Strecke begleiten – geschwind – geschwind, ehʼ sie außer Sicht sind! Holʼ der Satan meine Dummheit! So anzusegeln!«

Des Bootsmanns Worte klangen so aufrichtig, daß Falk keinen Augenblick an seiner Ehrlichkeit zweifelte. »Auch ich habe Eile, von hier fortzukommen,« entgegnete er daher, seine Arme von dem Nacken seines Gegners entfernend und einen Schritt zurücktretend, »so viel Eile, daß ich Euch nicht begleiten kann.«

»Aber Ihr müßt!« rief der aufgebrachte Bootsmann schnaubend aus, und gleichzeitig griff er den Maler dicht über dem Handgelenk seines linken Armes, worauf er ihn mit unwiderstehlicher Gewalt und Eile mit sich fortzog, daß Jener beim besten Willen außer Stande war, ihm Widerstand zu leisten, wenn er nicht zu einem geräuschvollen Auftritt Veranlassung geben wollte.

Nachdem sie also ungefähr dreißig Schritte neben einander in vollem Lauf zurückgelegt hatten, schien Falkʼs Führer wieder Herr seiner selbst zu werden.

»Seht Ihr dort die Schatten an den Häusern hingleiten?« fragte er den überraschten Künstler, der allmälig ein neugieriges Interesse an seiner eigenthümlichen Lage empfand.

»Die Männer dort auf jener Seite? allerdings sehe ich sie, ich müßte ja blind sein, wie ein Maulwurf,« antwortete Falk, und Raft hatte schon gar nicht mehr nöthig, ihn nach sich zu ziehen.

»Das ist originell! blind wie eine gemalte Kanonenluke,« versetzte der Seemann mit unterdrückter Stimme. »Ihr seid unbedingt ein Gentleman; behaltet also mit mir zugleich jene Landpiraten in Sicht, und während wir gleichen Cours mit ihnen steuern, will ich Euch eine Erklärung geben, wie es sich zwischen Männern geziemt.«

Falk, immer gespannter auf Das, was folgen würde, versicherte, daß er mit dem Vorschlage einverstanden sei, und Raft, nachdem er sich leise geräuspert, hob an:

»Einer von uns ist der Beleidigte —«

»Ein unfreiwilliges Zusammenprallen ist keine Beleidigung,« unterbrach Falk lachend seinen Gefährten, dessen Ernst ihn zu ergötzen begann.

»Ich sage Euch, Herr, Einer ist der Beleidigte, und wollt Ihr es nicht sein, so bin ich es. Wir haben mit den Breitseiten gegen einander gelegen, und verdammt will ich sein, wenn die Sache nicht ausgefochten werden muß. Ihr habt mir den Hals beinahʼ zugeschnürt, und dafür sollt Ihr Satisfaction haben, und das ist originell!«

»Sehr originell!« bekräftigte Falk, immer mehr belustigt über des grimmigen alten Burschen Eifer.

»Wollte Euch also bitten, eine Stunde oder so herum zu warten, bis wir den Nothhafen der beiden Piraten dort ausgemacht, und dann —«

»Soll ich mir die Knochen von Euch entzweischlagen lassen,« fiel Falk seinem Begleiter in die Rede, kaum noch fähig, ein lautes Lachen zu unterdrücken; »ich danke für die Ehre, bin aber bereit, Euch noch etwas Gesellschaft zu leisten.«

»Bei Gott, Herr! kein Knochenentzweischlagen,« versicherte Raft, weder rechts noch links blickend. »Ihr seid zwar nur ein Deutscher, aber doch ein Gentleman, und Ihr sollt alle Vortheile haben, die einem Gentleman gebühren; ʼs würde mich auf dem Boden des Oceans nicht ruhig schlafen lassen, wäre ich Euch Satisfaction schuldig geblieben, das ist originell, nur etwas warten müßt Ihr – Goddam!« fuhr er plötzlich wild empor, indem er zugleich einen Satz vorwärts machte; »wo haben sie ein Ende genommen? Weg sind sie, weg wieʼn Topsegel vor dem Teiphoon!«

»Still, steht still,« ermahnte Falk, seinen Begleiter nunmehr seinerseits am Arme zurückhaltend, »dort in die Hausthür schlüpften sie hinein. Laßt uns nur die Pforte bewachen; wo sie hineingegangen sind, müssen sie doch endlich auch wieder herauskommen.«

»An Euch ist ein Seemann verdorben,« sagte Raft mit wirklichem Bedauern, »habt Augen wieʼn durstiger Midshipman und berechnet die Länge wieʼn alter Commodore.«

So sprechend stellten sie sich im Schatten des gegenüberliegenden Hauses so auf, daß ihrer Wachsamkeit Niemand entgehen konnte, der aus der bezeichneten Thür inʼs Freie trat.

Mehrere Minuten verharrten sie sodann schweigend. Plötzlich schien Raft sich auf etwas zu besinnen. »Ihr seid ein Gentleman,« hob er an, »was meint Ihr, wenn wir den Kreuzknoten, den wir mit einander zu lösen haben, zu gelegener Zeit aufhöben; vielleicht bis morgen an irgend einem bestimmten orte und zu irgend einer bestimmten Stunde?«

»Der Vorschlag ist nicht übel und ganz originell,« erwiderte Falk lächelnd, sich absichtlich Raftʼs Lieblingsausdrucks bedienend.

Freute Raft sich nun, auch einmal aus einem andern Munde, als dem eigenen, das Wort »originell« zu vernehmen, oder war sein Wohlwollen für den gefälligen, gutmüthigen Deutschen in so schnellem Wachsen begriffen, genug, nachdem er einige Male mit dem Kopfe genickt, versetzte er zögernd: »Sagen wir also übermorgen.«

Hier wurde ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Thür hingelenkt, in welcher drei Personen erschienen, die sich ziemlich laut unterhielten.

Raft stieß seinen Gefährten an, zum Zeichen, daß er seine Leute wieder erkenne. Dieselben traten ganz aus der Thür heraus, während die dritte Person, offenbar ein noch junger Mensch, in derselben zurückblieb und sie über die einzuschlagende Richtung belehrte.

Die Passagiere entfernten sich sodann mit kurzem Gruß, der junge Mann trat inʼs Haus zurück und man vernahm weiter nichts mehr, als den Widerhall der Tritte der Davoneilenden.

Als sie weit genug waren, um ihnen mit Sicherheit folgen zu können, setzten Raft und sein Begleiter sich sogleich wieder in Bewegung.

Ersterer fluchte leise vor sich hin und verwünschte alle unter falscher Flagge segelnden Piraten in den tiefsten Abgrund der Hölle.

»Ich verstehe Euch nicht,« bemerkte Falk freundlich, der immer größeren Gefallen an dem alten, wirklich originellen Seemanne fand.

»Und ich verstehe die verdammten Nachteulen nicht,« knurrte Raft ärgerlich, »sprächen sie, statt des lumpigen Kauderwelsch, englisch, wie andere ehrliche Leute, so müßten wir jetzt ihren Cours und ihre ganze Ladung vom Spiegel bis zum Stern kennen.«

»Dazu gehört nicht gerade Englisch,« versetzte Falk, »sie sprachen schwedisch, und mir wenigstens ist kaum eines ihrer Worte entgangen; waren es doch die alltäglichsten Phrasen, die sie mit einander wechselten.«

»Mann, Ihr versteht Schwedisch?« fragte Raft, und seine Faust fiel schwer aus Falkʼs Schulter, wo sie sich förmlich festkrallte.

»Ist das etwa wunderbar?«

»Verdammt! das ist originell! Habe Euch gleich den Gentleman angemerkt, als Ihr mit Euerm Bugspriet in meine Wanten lieft, und Eure Spieren sich wie Enterhaken auf meinen Bord legten. Aber haltet guten Ausguck, Mann! Jetzt sollen sie uns nicht entkommen, und da Ihr die feindlichen Signale lesen könnt, so wollen wir – aber halt! was meint Ihr, wenn wir die verabredete Satisfaction noch auf eine Woche hinausschöben, ich meine – damit wir vorher gute Freundschaft schließen?«

»Ganz nach Euerm Belieben,« entgegnete Falk zuvorkommend, »Ihr seid ebenso gut ein Gentleman, wie ich, und da werdet Ihr ja wissen, was sich für unsereins geziemt.«

»Sagen wir also zwei Wochen, um Keinem zu nahe zu treten,« bestimmte Raft, der seine Faust jetzt schon lieber gegen sich selbst, als gegen seinen neuen Gefährten aufgehoben hätte. »Also, Ihr habt ihre Signale gelesen?« fragte er dann nach kurzer Pause.

»Ziemlich vollständig. Denjenigen, den sie in dem Hause zu finden erwarteten, haben sie eben nicht gefunden, und da hat ihnen dessen Diener, oder wer es auch immer gewesen sein mag, mitgetheilt, wo sie die betreffende Person heute Abend noch würden sprechen können.«

»Und wo ist das?« fragte der Bootsmann heftig, aber leise, denn während sie mit einander sprachen, waren sie den Schweden unabsichtlich näher gerückt.

»Wir werden gleich dort sein wenn ich richtig verstanden habe,« antwortete Falk. »Ich glaube sogar den Garten zu kennen, nach welchem sie sich hinbegeben.«

Nach diesen Mittheilungen schritten sie ungefähr noch zehn Minuten lang schweigend neben einander hin, die beiden vor ihnen hereilenden Gestalten fortwährend scharf beobachtend.

Sie hatten sich allmälig dem Broadway wieder genähert, und zwar eine bedeutende Strecke oberhalb der Concerthalle, in welcher Falk schon in Wernerʼs Gesellschaft einen Theil des Abends verbrachte.

Als sie endlich den Broadway erreichten, schienen Jansen und Rynolds zu überlegen, ob sie die Straße hinauf oder hinunter gehen sollten. Ein Vorübergehender, den sie befragten, beseitigte ihre Zweifel; denn sie wendeten sich sogleich aufwärts.

Vor einem hell erleuchteten Thorweg hielten sie an; sie lasen die in Gasflammenschrift über demselben angebrachten Worte: »Restaurations-Garten,« und ohne zu zögern traten sie ein.

Falk und Raft waren unterdessen ebenfalls herangekommen, und fast in demselben Augenblick, in welchem Erstere sich durch die in Folge einer mechanischen Vorrichtung von selbst zufallende Hinterthür in den eigentlichen Garten hinausbegaben, schlichen Letztere durch die Vorderthür in das Haus.

Hier nun kamen Falk und der Bootsmann überein, daß Raft, der von den Schweden unbedingt wieder erkannt werden wurde, sich im Hause verborgen halten müsse, während Falk ihnen nachfolgen und, wenn möglich, ganz in ihre Nähe zu gelangen trachten solle. —

Der Garten bildete ein längliches Viereck, an dessen drei Seiten eine Reihe kleiner Lauben herumlief, die alle so eingerichtet waren, daß in jeder derselben eine nicht allzu zahlreiche Gesellschaft einen abgesonderten Platz fand. Der ganze Raum war übrigens glänzend erleuchtet, und daß er von den in der Nachbarschaft wohnenden Leuten bei günstiger Witterung als ein Lieblingsaufenthaltsort betrachtet wurde, ging schon daraus hervor, daß die meisten Lauben besetzt waren, und außerdem noch eine Anzahl von Damen und Herren auf dem freien Platze zwischen den Laubenreihen, theils auf Bänken und Stühlen saßen, theils langsam auf und ab wandelten.

Längere Zeit spähte Falk vergeblich nach den beiden Fremden, und zweimal machte er die Runde durch den ganzen Garten, ehe er sie in einer Laube entdeckte, wo sie in eifriger Unterhaltung bei einem ältern Herrn saßen, den sie offenbar bei einer sehr üppigen Abendmahlzeit unterbrochen hatten.

Gerade als er ihrer ansichtig wurde und ihre Gesichtszüge bei dem flackernden Gaslicht genauer zu unterscheiden suchte, brachte ihnen ein Kellner eine Flasche Wein und noch zwei Gläser, ein sicheres Zeichen, daß sie, obgleich die Nacht schon vorgerückt war und einzelne Gesellschaften bereits aufbrachen, doch noch länger dort zusammen zu bleiben beabsichtigten.

Falk trat also in die nächste Laube. Er war daselbst nur einige Fuß von ihnen entfernt, und nachdem er ebenfalls Erfrischungen für sich hatte kommen lassen, legte er ein großes Notizbuch vor sich auf den Tisch, in welchem er dann, scheinbar sehr ämsig, etwas ausrechnete und niederschrieb.

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30 kasım 2019
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