Kitabı oku: «Das Mormonenmädchen Zweiter Band», sayfa 2
Der Kutscher pfiff und knallte indessen lustig weiter, und eben so lustig trabte das Pferd mit seiner Last dahin. Hui! wie die Häuser flogen und wie die Fußgänger vor dem rasselnden Gefährt auseinanderstoben. Bald nach rechts, bald nach links ging es hinüber, je nachdem ein schwer beladener Omnibus entgegenkam oder eingeholt wurde. Hier die Straße mit Windeseile hinunter, dort eine andere hinaus; dann wieder im Fluge um eine scharfe Ecke oder auch auf Haarbreite in kurzem Bogen an einem hoch befrachteten Lastkarren vorbei. Der Kutscher pfiff und knallte so lustig, der alte Renner schnaubte so muthig, die beiden Herren aber hatten sich von ihrer Entrüstung erholt und ihre Gemüthsruhe in vollem Grade wiedergewonnen.
So anmuthig lehnten sie in ihren Ecken, so herausfordernd schief saßen die glatt gebürsteten Cylinder auf ihren wohlfrisirten Häuptern, und so nachlässig ragten ihre blitzenden Glanzlederstiefel über den Kutschersitz hinaus. Die Glasscherben hafteten wieder verführerisch vor den noch verführerischen Augen, die sich bald triumphirend nach den Fenstern hinauf, bald mitleidig auf das Gedränge der Fußgänger richteten, hier, um den eifersüchtigen Blicken eines gemeinen Geldaristokraten zu begegnen, dort, um in schönen Augen und schmachtenden Herzen ein unauslöschliches sehnsüchtiges Verlangen zu erwecken.
»Hier sind wir, meine Freunde, und nun augenblicklich aus meinem Wagen und schnell gemacht!« tönte des Kutschers Stimme plötzlich barsch in ihre verwöhnten Ohren, und gleichzeitig standen Pferd und Wagen mit einer kurzen heftigen Bewegung still.
Der Graf warf dem Kutscher schweigend einen durchbohrenden Blick zu. Dieser aber lachte ihm höhnisch in’s Gesicht und wiederholte die Aufforderung, ohne Säumen seinen Wagen zu verlassen.
Um sich daher nicht weiter durch einen Wortwechsel mit einem so rohen Menschen zu erniedrigen, erhoben sich die beiden Herren und stiegen auf den entgegengesetzten Seiten aus. Kaum berührten aber ihre Füße festen Boden, so knallte auch schon wieder die Peitsche, das Pferd zog an, und nur mit genauer Noth retteten sie sich durch einen kühnen Seitensprung aus der Gefahr, von den Rädern des dahinrollenden Wägelchens unsanft berührt zu werden; dagegen berührte das laute Hohnlachen des Kutschers um so empfindlicher ihre empörten Gemüther.
»Es ist himmelschreiend, mit welcher rohen Anmaßung der nordamerikanische Pöbel sich den gebildeten Ständen gegenüber benimmt,« sagte der Graf, bleich vor innerer Wuth dem Fuhrwerk nachblickend; »in solcher Weise zu sprechen! der Mensch verdiente mit der Hetzpeitsche durch die Straßen New-Yorks gegeißelt zu werden. Wie sind die europäischen Zustände doch golden gegen die hiesigen!«
»Die schönen Tage von Aranguez sind vorüber! In Europa ist es auch nicht viel besser, denn was der Plebs dort nicht auszusprechen wagt, das denkt er,« versetzte der Baron, dem es viel zu unbequem war, sich noch zu ereifern, dabei aber nicht ahnte, wie nahe er mit seiner oberflächlichen und gar nicht durchdachten Bemerkung der Wahrheit gekommen.
»Beim Jupiter!« rief der Graf plötzlich aus, in die Vorhalle von Abraham’s Haus springend und den Baron nach sich ziehend, »beim Jupiter und bei allen schönen Mormonengöttinen! Schau hin, mein Brüderchen, dort kommen sie! Gut manövrirt! Wären auf Ehre mit ihnen gerade hier zusammengetroffen, hätte ich den schurkischen Kutscher nicht gezwungen, sich zu beeilen!«
Sie überzeugten sich noch, daß es wirklich kein Irrthum sei, als sie auf dem andern Ende der Straße die Gestalten Weatherton’s und Raft’s zu erkennen glaubten, die sich langsamen Schrittes dem Hause Abraham’s näherten, dann aber eilten sie, so schnell ihre Füße sie zu tragen vermochten, die Treppe hinauf, und mit der Miene von Ueberbringern wichtiger Nachrichten traten sie in das Geschäftszimmer Abraham’s, den sie in tiefem Gespräch mit Jansen und Rynolds fanden.
Weatherton und sein getreuer Bootsmann verfolgten unterdessen ungestört ihren Weg. Schon lange vorher, ehe sie Abraham’s Haus erreichten, hatte Raft dasselbe seinem Lieutenant bezeichnet, weshalb sie, ohne sich oder ihre Absichten durch forschende Bewegungen zu verrathen, mit der gleichgültigsten Miene vorübergingen. Nur einmal richtete Weatherton seine Augen, wie zufällig, auf das Haus, um die Nummer desselben seinem Gedächtniß einzuprägen, und zugleich flogen seine Blicke blitzschnell über alle Fenster. Dies geschah indessen mit einem solchen Ausdruck, daß selbst der mißtrauischste Mormone nicht, wenn er seine Absichten nicht lange vorher geahnt hätte, dadurch zum Argwohn veranlaßt worden wäre.
Er entdeckte nichts, was auf die Anwesenheit von Frauen gedeutet hätte, eben so wenig bemerkte er irgend einen andern Menschen. Es war Alles so still und öde in dem Hause, als sei es unbewohnt gewesen, doch bewiesen die geöffneten Fensterladen der mit sauberen Gardinen verhangenen unteren Etagen, wie die der oberen, offenbar zu Speichern und Waarenlagern benutzten Räume das Gegentheil.
Bis zu einem gewissen Grade enttäuscht, aber auch wieder zufrieden, daß es ihm gelungen war, Hertha’s Aufenthaltsort auszukundschaften, ohne selbst bemerkt worden zu sein, entfernte er sich langsamen Schrittes und fortwährend plaudernd mit Raft, der ihn noch immer mit seinen enthusiastischen Lobpreisungen des Seestückes unterhielt. —
Weatherton hatte also keine lebende Seele in dem Hause wahrgenommen. Wären seine Blicke aber tiefer durch die blendenden Fensterscheiben in Abraham’s Geschäftszimmer eingedrungen, so würde er sich gewundert haben über den Ausdruck, mit welchem man, von einem sichern Standpunkte aus, ihn und seinen Gefährten beobachtete und ihre Bewegungen auf’s sorgfältigste bewachte; nicht zu gedenken der drohenden Aeußerungen, die betreffs seiner gewechselt wurden.
»Es unterliegt keinem Zweifel,« sagte nämlich Abraham finster, sobald Weatherton ihm nicht mehr sichtbar war; »er hat auf irgend eine Art Euern Zufluchtsort ausfindig zu machen gewußt, und es steht zu erwarten, daß er uns nächstens persönlich einen Besuch abstattet.«
»Und welchen Erfolg würde es für ihn haben, wenn er nur Euch träfe? Denn das, was er eigentlich und am meisten sucht, ist doch wohl sicher genug aufgehoben,« versetzte Jansen, noch einen zornigen Blick dahin sendend, wo Weatherton eben verschwunden war.
»Aber er und diejenigen, die ihn vielleicht begleiten, könnten etwas finden, was sie nicht suchen!« entgegnete Abraham heftig. »Bedenkt die Vorräthe, die oben aufgespeichert liegen und über deren Bestimmung, jetzt, nach vorausgegangener, wenn auch vorläufig noch bedingter Kriegserklärung wohl kaum ein Schulknabe lange in Zweifel bleiben dürfte. Es würden uns dadurch nicht allein unersetzliche Verluste, sondern auch Gefahren für uns selbst erwachsen.«
Hier zupfte Rynolds ihn leise am Rock, indem er mit den Augen verstohlen auf die beiden neuangeworbenen Officiere deutete.
Abraham verstand den Wink und wendete sich sogleich zu diesen.
»Ihr habt Euer militärisches Talent bewährt, meine Herren,« redete er den Grafen und seinen Kameraden mit einer verbindlichen Verbeugung an, »es ist in der That ein großer Dienst, welchen Ihr uns geleistet. Ihr werdet aber auch die Ueberzeugung gewonnen haben, daß unsere Macht wohl organisirt ist, und daß kein Wort unüberlegt gesprochen, keine Handlung ohne bestimmten Zweck angeordnet wird. Nur das genaueste Ineinandergreifen unserer Pläne und die größte Einigkeit und Uebereinstimmung in der Verfolgung derselben machen uns, selbst hier im Herzen des uns feindlichen Landes, stark, und deshalb müssen wir auf die strengste Disciplin halten. Ihr seid ja alte, erfahrene Soldaten,« schloß er, und ein kaum bemerkbarer höhnischer Zug zuckte um sein glatt geschorenes Kinn.
»Soldaten, die ihre Ausbildung auf dem Felde der Ehre erhielten,« entgegnete der Graf, indem er mit einer anmuthigen Verbeugung für das schmeichelhafte Compliment dankte.
In Abraham’s Physiognomie wurde abermals der spöttisches Zug sichtbar.
»Wahrscheinlich werden Eure Dienste in nächster Zeit wieder in Anspruch genommen werden,« hob er an, sobald der Graf geendigt; »bis dahin aber bitte ich, macht es Euch unten in meiner Wohnstube so bequem wie möglich. Klingelt, wenn Euch einige Erfrischungen genehm sind, und betrachtet mein Haus als das Eurige. Ihr seht,« fuhr er entschuldigend fort, indem er auf einen Stoß Papiere und Briefe deutete, »die Arbeit droht uns über den Kopf zu wachsen.«
Der Graf nickte in liebenswürdig vertraulicher Weise, eine Bewegung, die auch dem Baron sehr geläufig schien. Sie hegten eine heilige Scheu vor Allem, was Schreibereien nur ähnlich sah, und standen eben im Begriff, sich zurückzuziehen, als Abraham sich noch einmal zu ihnen wendete.
»Sagtet Ihr nicht, es sei noch ein Dritter in der Gesellschaft der beiden Seeleute gewesen?«
»Gewiß,« antwortete der Graf, der stets auf Anciennität hielt und daher gewöhnlich das Wort ergriff; »es war indessen nur eine höchst nichtssagende Persönlichkeit, ein Anstreicher, den wir schon seit längerer Zeit kennen, das heißt, von Ansehen kennen. Er liebt es, sich Künstler zu nennen; wie gesagt, eine höchst nichtssagende, unbedeutende Persönlichkeit.«
»Ich danke Euch,« versetzte der Mormonenagent, sich nach einer neuen höflichen Verbeugung dem Fenster zuwendend. Kaum hatte er aber einen Blick auf die Straße geworfen, so verfärbte er sich, und die beiden Edelleute, die sich schon an der Thür befanden, zurückrufend, deutete er auf Falk, der, ohne rechts oder links zu schauen, eben vorüberschritt.
»Es ist doch wohl nicht der dort?« fragte er, kaum fähig, seine Besorgniß zu unterdrücken; denn er sowohl wie Jansen und Rynolds erkannten denselben Deutschen wieder, der am vorhergehenden Abend in ihrer nächsten Nachbarschaft sich so sehr in seine Berechnungen und Betrachtungen vertieft hatte, und nur Gedanken für die in seinem Taschenbuch enthaltenen Notizen zu haben schien.
»Derselbe Anstreicher,« antwortete der Graf in wegwerfendem Tone, »eine Persönlichkeit, welche den unteren Schichten angehört. Sieht übrigens aus, wie eine verabredete Recognoscirung. Die beiden Seeleute bilden die Spitze, der Anstreicher die Verbindung —«
»Allerdings ist es eine Recognoscirung,« unterbrach Abraham etwas ungeduldig den mit seinen militärischen Kenntnissen kokettirenden Grafen, »doch wollen wir uns dadurch nicht in unseren ferneren Arbeiten stören lassen.«
Die beiden Officiere glaubten zu verstehen, daß ihre Anwesenheit in dem Geschäftszimmer überflüssig sei, und entfernten sich daher. Der laute Schall der Klingel aber, der gleich darauf mit einem gewissen gebieterischen Ausdruck herauftönte, verrieth, daß sie Abraham’s Mahnung, sich gänzlich wie zu Hause zu fühlen, nicht vergessen hatten.
Die drei Mormonen achteten nicht auf das Geräusch. Die Gestalt des Malers war wie ein unheimliches Gespenst vor ihnen aufgetaucht, und vergeblich suchten sie zu enträthseln, was gerade ihn in ihren Weg und demnächst mit Weatherton zusammengeführt habe.
»Es ist der Fremde, der gestern Abend neben uns in der Laube saß,« sagte Jansen endlich, und seine Zähne knirschten aufeinander.
»Derselbe,« pflichteten Abraham und Rynolds ihm gleichzeitig bei.
»Derselbe,« wiederholte Abraham sinnend, »ich würde ihn unter Hunderten an seinem ungarischen Hut, an seinem Bart und an seinem ernsten Blick wiedererkannt haben. Mir ahnte nichts Gutes, als ich ihn so in sich versunken dasitzen sah. Ja, er war zu tief mit sich und seinen Gedanken beschäftigt, als daß es natürlich hätte sein können.«
»Versteht er schwedisch, so dürften manche Ungelegenheiten, ja Gefahren für uns daraus hervorgehen,« bemerkte Rynolds kleinlaut.
»Wenn wir keine Gegenminen anlegen,« fügte Abraham mit bestimmterem Wesen hinzu. »Zwei Fälle sind nur möglich,« fuhr er sodann fort, und die Falten auf seiner hohen kahlen Stirn legten sich noch dichter zusammen. »Entweder hat er unsere ganze Unterhaltung erlauscht und sich in Folge dessen an den Schiffslieutenant gewendet, oder er hat sie nicht verstanden und der Zufall führte Letzteren sammt dem groben Matrosen zu ihm in’s Haus. Wir sind gezwungen, so lange das Schlimmste anzunehmen, bis das Gegentheil erwiesen ist, und müssen noch heute demgemäß unsere Vorbereitungen treffen. Es steht zu viel auf dem Spiele; wir dürfen uns keine Unvorsichtigkeit zu Schulden kommen lassen; und ich rathe Euch daher, noch heute dieses Haus mit einer andern Wohnung zu vertauschen.«
Nachdem Jansen und Rynolds ihm beigestimmt und sich zum sofortigen Wohnungswechsel bereit erklärt hatten, fuhr Abraham fort:
»So weit ich bis jetzt die ganze Sachlage zu beurtheilen vermag, gilt das Spähen und Spüren des Officiers vorläufig dem Mädchen. Ich bezweifle nicht, daß er seine Forschungen auch bis hierher fortsetzen wird. Trifft er in diesem Hause auf keine Spuren von Euch, so mag Alles abgethan sein; entgegengesetzten Falls dürften die Forschungen bis in unsere Lagerräume ausgedehnt werden, und das Auffinden von Waffen und Kriegsbedarf zu immer weiteren Entdeckungen und endlicher Versiegung einer der erheblichsten Zufuhrquellen unserer Brüder am Salzsee leiten. Ferner müssen wir zu erfahren suchen, ob der Lieutenant und der Maler wirklich in den Besitz unserer Geheimnisse gelangten. Bestätigt sich dies, so müssen wir Alles aufbieten, sie unschädlich zu machen. Den Maler werden wohl die unten befindlichen Herren am besten beobachten —«
»Doch ist es wohl nicht rathsam, ihnen zu viel Vertrauen zu schenken,« unterbrach Rynolds den Mormonenagenten; »sie machen eben nicht den Eindruck von zuverlässigen Leuten.«
»Fürchtet nichts, meine Brüder,« entgegnete Abraham; »ich halte sie nur für das, was sie sind, nämlich für ein paar gewissenlose Abenteurer, die sich einbilden, mit uns spielen zu dürfen, die uns aber von großem Vortheil sein können, wenn wir sie nur richtig zu benutzen verstehen. Schmeichelt ihrer albernen, auf nichts begründeten Eitelkeit, so gehen sie für Euch durch’s Feuer. Entsprechen sie unseren Erwartungen nicht, wohlan, so hindert uns Niemand, sie jederzeit fallen zu lassen.«
»Jedenfalls kann dieser Classe von Abenteurern persönlicher Muth nicht abgesprochen werden,« bemerkte Jansen.
»Theuer genug werden sie uns zu stehen kommen, namentlich wenn wir genöthigt sein sollten, sie auf dem Seewege mitzunehmen,« fügte Rynolds bedächtig hinzu.
»Die Dienste, welche sie uns heute leisteten, sind allein schon das Ueberfahrtsgeld werth,« versetzte Abraham; »verlieren wir aber keine Zeit, horchen wir sie über den Maler aus, entwerfen wir unsere Pläne und stellen wir die Beiden dahin, wo sie am vortheilhaftesten zu verwenden sind.«
Jansen und Rynolds erklärten sich mit Allem einverstanden, und folgten Abraham die Treppe hinunter nach.
Als sie in das Besuchszimmer eintraten, trafen sie den Grafen und den Baron ämsig damit beschäftigt, sich nach der angreifenden Tagesarbeit körperlich zu stärken. Sie hatten dem schweren Wein schon tapfer zugesprochen und befanden sich in einer Laune, das Mormonenthum für die allein seligmachende Religion zu erklären und, ihren noblen Freunden zu Liebe, die ganze Welt zu erstürmen.
Abraham beglückwünschte sie zu ihrer heitern Gemüthsstimmung, was ihre günstige Meinung über das Mormonenthum noch bedeutend erhöhte; und mit der liebenswürdigsten Zuvorkommenheit und graziösesten Gewandtheit gaben sie alle Aufschlüsse, die man von ihnen verlangte und welche zu geben sie überhaupt im Stande waren.
Sie ahnten nicht, daß sie zu willenlosen Werkzeugen, zu Sclaven ihrer neuen Gebieter erniedrigt werden sollten; sie träumten nur von hohen einflußreichen Stellen, von zarten Verhältnissen, gebrochenen Herzen, so wie von dem glänzenden Umschwung, den sie in die socialen Zustände am Salzsee hineinzubringen gedachten.
2
Der Abschied
Vier Tage waren seit Weatherton’s Besuch bei dem Maler verstrichen, vier lange Tage, ohne daß es ihm geglückt wäre, auch nur die leiseste Spur von Hertha und ihrer Begleitung zu entdecken. Er selbst hatte nichts versäumt, was zu einer Aufklärung des geheimnißvollen Verschwindens der Gesellschaft hätte führen können, und in allen seinen Bemühungen war er auf das Treueste von Werner sowohl wie von Falk unterstützt worden. Sogar Raft, dem auf seine Verwendung der erforderliche Urlaub ertheilt worden war, hatte Tage lang in der Nachbarschaft vor Abraham’s Wohnung Ausguck halten müssen; doch Alles blieb vergeblich. Die Mormonen waren verschwunden, und obgleich keiner der beiden Forschungen Betheiligten bezweifelte, daß sie noch in der Stadt verborgen seien, so verloren sie doch allmälig die Hoffnung, jemals wieder mit ihnen zusammenzutreffen.
Anfangs war Weatherton geneigt, anzunehmen, daß Falk wie Raft sich an jenem Abend getäuscht hätten; allein dies dauerte nur so lange, bis er Abraham einen Besuch abstattete, um sich, wie er vorgab, von dem Wohlbefinden seiner früheren Reisegefährten, zu überzeugen.
Ganz wider sein Erwarten räumte der schlaue Agent ein, das die Gesuchten sich allerdings einen Tag und eine Nacht unter seinem Dache befunden hätten, daß es sich aber nur darum gehandelt habe, mehrere bedeutende auf ihn gezogene Wechsel flüssig zu machen, worauf sie schleunigst nach dem Missouri abgereist seien, um sich dort einer bestimmten, nach dem Salzsee aufbrechenden Karavane anzuschließen.
Weatherton durchschaute die Täuschung und maß Abraham’s Worten nicht mehr Werth bei, als sie verdienten. Seine letzten Zweifel über Falk’s Mittheilungen wichen, dagegen gelangte er zu der Ueberzeugung, daß die Gesuchte nicht mehr in des Agenten Hause weile und man Alles aufbiete, das junge Mädchen weder mit ihm, noch mit Anderen, die auf dasselbe irgend welchen Einfluß gewinnen konnten, in Berührung kommen zu lassen.
Auf seine Andeutungen, daß die Gerichtsbarkeit von New-York sich bewogen finden könne, in seinen Lagerräumen nach Kriegscontrebande zu forschen, hatte Abraham nur mit einem beleidigenden Lächeln geantwortet und ihm anheim gestellt, um sich jede weitere Mühe zu ersparen, sogleich selbst mit den Nachforschungen zu beginnen.
»Ihr werdet vielleicht Manches entdecken, was Euch verdächtig erscheinen mag,« sagte ihm der Agent mit einem Anflug von Hohn, »allein die Regierung in Washington selber hat kein Recht, sich um Das zu kümmern, womit ich Handel treibe, es sei denn, daß ich Steuerdefraudationen beginge. Uebrigens steht mein Lagerhaus jedem mit rechtskräftiger Vollmacht versehenen Beamten offen, dagegen dürfte, nachdem der Verdacht sich als ungerechtfertigt erwiesen, ein kostspieliger Proceß gegen Denjenigen eingeleitet werden, der sich eine derartige Anklage gegen meine Firma erlaubte.«
Weatherton ging, aber im Stillen bereute er den Schritt, welchen er bei Abraham gethan hatte. Er fühlte, er war im Eifer zu weit gegangen, und mit Bedauern gelangte er zu dem Schluß, daß Diejenigen, die ein Interesse dabei hatten, Hertha von der Außenwelt abzuschließen, in seinen Worten eine Warnung erblicken und fortan nur noch mehr auf ihrer Hut sein würden. —
In demselben Grade nun, in welchem sich seinem Vorhaben immer größere Schwierigkeiten entgegenstellten, befestigte sich aber auch sein Wille, dasselbe dennoch durchzusetzen, und da Falk, theils aus Theilnahme für die Sache selbst, theils aus einem angeborenen Hange zum Außergewöhnlichen und Abenteuerlichen, ihm in jeder Beziehung beipflichtete und dadurch seiner leidenschaftlich erregten Phantasie immer neue Nahrung gewährte, so würde er schon jetzt nicht gezögert haben, eine Reise nach der Salzsee-Stadt zu unternehmen, wenn er nur die Gewißheit gehabt hätte, daß Hertha und ihre Begleitung wirklich dorthin aufgebrochen seien.
Wie nun Weatherton und seine Freunde in das geheimnißvolle Treiben der Mormonen und ihrer Helfershelfer einzudringen trachteten, so wurde ihnen nicht minder von den Mormonen überall hin nachgespäht; nur mit dem Unterschiede, daß letztere erfolgreicher wirkten. Denn bei den bedeutenden Mitteln, über welche dieselben zu verfügen hatten, bei den Erfahrungen, welche sie in dergleichen Angelegenheiten gesammelt, und bei der großen Zahl feiler Menschen, die sie besoldeten und mit unglaublichem Scharfblick aus der Hefe der untersten Klasse der Bevölkerung herauszufinden verstanden, konnte man darauf rechnen, daß alle ihnen verdächtige Personen, oder solche, denen sie nur im Geringsten mißtrauten, eigentlich keine Stunde unbeobachtet und unbewacht blieben.
So erhielten denn Abraham, Jansen und Rynolds stets die genauesten Mittheilungen über das von Weatherton und seinen Gefährten eingeschlagene Verfahren; weshalb es ihnen leicht wurde, jeder persönlichen Begegnung rechtzeitig auszuweichen und alle deren Pläne, noch ehe dieselben zur Reife gelangten, zu hintertreiben und die ihnen entsprechenden Vorkehrungen zu treffen.
So war es ergangen, als Weatherton Abraham den längst vorhergesehenen Besuch abstattete, so erging es, als man in den Bureaux der Dampfschifffahrtsgesellschaften nach den Verschwundenen forschte. Ueberall stieß man entweder auf gar keine Nachrichten, oder auf solche, die absichtlich verworren und unbestimmt ertheilt wurden, um auf falsche Fährten zu leiten. —
Es war also am vierten Tage nach dem, an welchem Weatherton mit Falk Freundschaft geschlossen hatte und durch diesen auch mit Werner in Dietz’s Hôtel bekannt gemacht worden war. Es mochte gegen acht Uhr des Abends sein; das Leben in dem hellerleuchteten Broadway hatte seinen höchsten Grad erreicht, die breiten Bürgersteige waren von Fußgängern bedeckt, die endlosen Reihen der Wagen rasselten hinauf und hinunter, und Gruppen von Menschen saßen vor den Hausthüren, sich des milden Herbstabends erfreuend, oder über die neuesten Tagesereignisse plaudernd.
Die geräumige, mit vergoldeter Stuccatur und geschmackvoller Malerei reich ausgeschmückte Vorhalle in Dietz’s Hôtel hatte sich schon geleert, die Kostgänger und Gäste des Hauses waren ihrem Vergnügen nachgeeilt, oder ließen in der Trinkhalle bei vollen Gläsern und Cigarren die Zeit verstreichen, und nur einzelne Personen saßen noch auf den ringsum an den Wänden angebrachten weich gepolsterten Bänken, um die Ankunft eines Freundes oder Bekannten zu irgend einem verabredeten Spaziergange zu erwarten.
Auch Weatherton und Falk schienen dort auf Jemanden zu harren, doch zogen sie es vor, wahrscheinlich um außer dem Bereich neugieriger Ohren zu bleiben, in der Halle auf und ab zu wandeln.
Ihre Züge verriethen, wie ernst der Gegenstand sei, welchen ihre Unterhaltung betraf; außerdem standen sie von Zeit zu Zeit still, um irgend etwas genauer zu erörtern, worauf sie dann gewöhnlich nach der Uhr sahen, um mit einem Kopfschütteln oder einem andern äußerlichen Zeichen der Ungeduld ihren Spaziergang wieder aufzunehmen.
»Acht Uhr vorbei, und noch nicht eingetroffen,« sagte Weatherton, als sie wieder einmal eine Weile stehen geblieben waren und sehr eifrig mit einander verhandelt hatten; »ich hoffe, er hat uns nicht vergessen.«
»Vergessen hat er uns nicht,« entgegnete Falk, »er ist zu gewissenhaft dazu; allein er kann in seinen eigenen Angelegenheiten aufgehalten worden sein, weil er sich auf dem morgen absegelnden Dampfboot nach Panama und San Francisco einzuschiffen gedenkt. Heute Vormittag, als er nach dem Bureau gegangen war, dauerte es ebenfalls mehrere Stunden, eh’ er wieder zurückkehrte. Es hat seine Schwierigkeiten, die Listen der eingeschriebenen Passagiere vorgelegt zu erhalten.«
»Aber er hat sie doch gesehen!« versetzte Weatherton
»Er hat sie gesehen und durchgelesen vom Anfang bis zu Ende —«
»Und nicht die Namen von zwei Herren und zwei Damen gefunden, die, als zusammenreisend, für unsere Mormonengesellschaft gehalten werden könnte?« fragte Weatherton, indem er kurz stehen blieb, »denn nach ihren wirklichen Namen brauchen wir nicht zu forschen, sie werden vorsichtig genug gewesen sein, dieselben zu verschweigen,« fügte er mit Bitterkeit hinzu.
Falk lächelte in seiner stillen Weise vor sich hin, denn er sollte abermals eine Frage beantworten, die Weatherton schon wenigstens zehnmal an ihn gestellt hatte.
»Nein, heute Morgen hat er nichts entdeckt, was uns zu einem Verdacht berechtigte,« erwiderte er endlich, sich wieder vorwärts bewegend. »Unmöglich ist es nicht, daß seine Nachrichten heute Abend anders lauten; auf alle Fälle dürfen wir es uns nicht verdrießen lassen, morgen schon in aller Frühe nach dem Werft hinabzugehen und jeden einzelnen Passagier, indem er sich an Bord begiebt, genau zu betrachten. Beabsichtigen sie mit diesem Boot abzureisen, so können sie unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen. Entdecken wir sie nicht, so unterliegt es kaum noch einem Zweifel, daß sie, anstatt noch vierzehn Tage auf den Abgang des nächsten Dampfers zu warten, den Landweg durch die Prairien wählen.«
»Jedenfalls kommt mir der Durchsuchungsbefehl zu Statten, welchen ich mir zu verschaffen gewußt habe.«
»Durchsuchungsbefehl?« fragte Falk überrascht.
»Ja, ein Befehl von der entsprechenden Behörde, kurz vor Abgang des Dampfers an Bord zu erscheinen und nach Kriegscontrebande, die für die Mormonen am Salzsee bestimmt ist, zu suchen. Der Befehl ist mir erst heute Mittag zugestellt worden, ich konnte Euch also nicht früher davon in Kenntniß setzen.«
Falk sann eine Weile nach. »Ich weiß nicht, ob dieses nicht übereilt gehandelt war,« wendete er sich dann wieder an Weatherton, »der Abgang des Dampfers wird dadurch bedeutend verzögert werden, und Ihr erbittert nicht nur die in New-York anwesenden Mormonen gegen Euch, sondern auch die Mitglieder der DampfschifffahrtsGesellschaft, vor Allem aber die Passagiere.«
»Mag man mir zürnen oder nicht,« versetzte Weatherton achselzuckend, »ich werde handeln, wie mir die Pflicht gebietet, obgleich ich Euch gegenüber einräume, daß ich mich nur überzeugen will, ob das junge Mädchen an Bord ist. Vor meiner Vollmacht müssen sich alle Thüren öffnen.«
»Und wenn Ihr sie findet?« fragte Falk zweifelnd, »in welcher Weise wollt Ihr alsdann auftreten?«
Weatherton legte einen Augenblick seine Hand an die Stirn. »Ich habe darüber noch nicht nachgedacht,« antwortete er endlich zögernd, »vorläufig war ich nur von dem einzigen Wunsch beseelt, zu erfahren, ob sie wirklich mit dieser Gelegenheit nach Kalifornien reist. Ich will wissen, wo sie geblieben ist, und sollte ich —«
Werner’s Anblick, der eben von der Straße in die Halle trat, ließ ihn den Nachsatz nicht beendigen.
Er eilte auf ihn zu, und ihm die Hand entgegenstreckend, blickte er ihm fragend in die Augen.
Werner gab ein verneinendes Zeichen. »Es ist nichts,« sagte er, »ich blieb, bis das Bureau geschlossen wurde; ich las die Namen aller Eingeschriebenen noch einmal durch und überzeugte mich, daß schon seit heute Nachmittag um vier Uhr alle Plätze bis auf den letzten verkauft sind, und sogar in den Kajüten und Rauchzimmern des Abends Betten aufgeschlagen werden müssen, um alle Passagiere unterzubringen.«
»Andere Nachricht erwartete ich nicht,« versetzte Falk, als er eine bittere Enttäuschung auf Weatherton’s Zügen gewahrte. »Haben sie sich einschreiben lassen, so geschah es unter anderen Namen; jedenfalls muß es sich morgen früh aufklären.«
»Wenn es zu spät ist,« sagte Weatherton ernst, »wenn es zu spät ist und das arme, unschuldige Opfer seinen Weg in’s Elend schon eingetreten hat. Denn finde ich sie wirklich, so besitze ich, da ich nur nach Kriegscontrebande forschen soll, nicht das Recht, in die Familienangelegenheiten mir fern und fremd stehender Personen einzugreifen; selbst auch dann nicht, wenn es Mormonen, also erklärte Feinde der Vereinigten Staaten wären.«
»Ihr könnt kaum aufrichtigere Theilnahme für die junge Dame hegen, als ich,« nahm Falk das Wort, indem er die Freunde nach einer Bank hinführte, die eben leer geworden war. »Es besteht blos der Unterschied, daß Ihr sie von Angesicht zu Angesicht kennt und sich in Folge dessen ihr Bild tiefer in Eure Seele eingegraben hat, während bei mir nur die Phantasie eine Erscheinung zu schaffen vermag, die gewiß weit hinter der Wirklichkeit zurückbleibt.«
»O, Ihr solltet sie kennen,« fiel Weatherton mit Wärme ein, »und Ihr würdet meine Theilnahme natürlich finden —«
»Ich kenne sie aber nicht, und dennoch finde ich Eure Theilnahme sowohl, wie die meinige natürlich,« unterbrach ihn Falk mit einem gutmüthigen Lachen, »wie weit meine Theilnahme aber reicht, mögt Ihr daraus ermessen, daß ich viel weiter, als Ihr, in die Zukunft gedacht habe.«
Weatherton schaute überrascht und fragend zu dem Maler auf.
»Ja, in die Zukunft,« wiederholte dieser freundlich, »entgeht sie nämlich morgen unserer Aufmerksamkeit, weil man sie irgendwo auf dem Dampfboot verborgen hält, so wird sie dennoch während der ganzen Reise und sogar noch in San Francisco auf’s Schärfste bewacht und behütet werden. Ich habe nämlich meinem Freunde Werner hier die beiden Mormonen so genau beschrieben, daß er, im Fall er mit ihnen zusammentrifft, nicht einen Augenblick im Zweifel über sie bleiben kann; und wenn Ihr ihm eine ähnliche Beschreibung von den Damen gebt, so dürften wir mit Gewißheit darauf rechnen, schon von der Havannah und demnächst von Panama aus, genaue und umständliche Berichte über Alles, was wir zu wissen wünschen, übermittelt zu erhalten.«
»Und daß sie in San Francisco, sollten sie sich dorthin wenden, beobachtet werden, dafür bürgt mein Versprechen,« bekräftigte Werner aus vollem Herzen. »Ich besitze daselbst Freunde und werde Personen finden, die mit Freuden ihren ganzen Einfluß aufbieten, einer beabsichtigten verbrecherischen Handlung hindernd in den Weg zu treten.«
»Ihr reist nach Kalifornien,« sagte Weatherton nachdenkend, indem er mit einem verstohlenen eifersüchtigen Blicke die schlanke Gestalt des jungen Kaufmannes maß. »Ihr werdet immer in ihrer Nähe sein und sie täglich sehen —«
»Das heißt, wenn sie mit demselben Dampfer reist, was noch höchst unwahrscheinlich ist,« schaltete Falk ein, und seine Physiognomie verrieth, daß ihm die Gefühle nicht fremd waren, welche Weatherton’s Brust bestürmten.
»Allerdings ist es noch unwahrscheinlich,« versetzte Weatherton freier und offenherziger zu Werner gewendet, »aber ich will für alle Fälle die beiden Damen so genau beschreiben, wie ich es nur immer vermag. Vielleicht daß dennoch in dem guten Werk, zu welchem wir uns vereinigt haben, Euch gerade der angenehmste Theil der Aufgabe zufällt.«