Kitabı oku: «Der Meerkönig», sayfa 11

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»Immerhin genug, um den Spaß, den Sie sich mit uns erlaubten, mehr als zu theuer bezahlen zu können,« erwiderte der Graf ungeduldig; »doch sagen Sie schnell, was Sie wollen, oder Sie veranlassen uns, Sie als einen Betrüger zu betrachten und unserer Wege zu gehen.«

Bei dem Worte ›Betrüger‹ stieß die in Männertracht gehüllte Gräfin Clotilde ihren Bruder leise an. Listiger, als der Graf, hielt sie dessen Auftreten für wenig geeignet, den Gauner zum Sprechen zu bringen.

»Wenn Sie Ihrer Wege gehen wollen, so mögen Sie es immerhin thun,« versetzte Merle ruhig, indem er selbst sich zum Gehen anschickte; »vielleicht habe ich mich auch geirrt, und das in meiner Tasche befindliche Blatt aus dem Kirchenbuche, welches eine gewisse ...«

»Schweigen Sie, oder sprechen Sie wenigstens nicht so laut, daß die Vorübergehenden es verstehen,« fiel ihm die Gräfin jetzt in's Wort, und zugleich trat sie an seine Seite, welchem Beispiele ihr vor Schreck fast erstarrter Bruder augenblicklich folgte.

»Erklären Sie, was Sie wollen,« fuhr sie mit bebender Stimme fort, denn indem sie ihre Fassung zurückgewann, bedachte sie, daß sie sich durch die unvorsichtige Aeußerung noch mehr in die Gewalt eines ihr völlig Unbekannten gegeben habe; »ja, sprechen Sie offen, was meinen Sie mit dem Kirchenbuche, und wie kommen Sie, dazu, uns mit einem solchen in Verbindung zu bringen?«

»Nicht hier, Frau Gräfin,« versetzte Merle mit widerwärtiger Vertraulichkeit; »daß meine Nachrichten nicht ganz ohne Wichtigkeit sind, werden Sie zur Zeit ebenso gut begriffen haben, wie ich. Ich muß daher fest darauf bestehen, daß Sie mich begleiten; bedenken Sie, wenn wir hier in unserer Verhandlung gestört oder gar belauscht würden, welche unangenehmen Folgen das für uns haben könnte.«

»Wohin wollen Sie uns führen?« fragte der Graf jetzt wieder, nachdem er seiner Bestürzung Herr geworden war.

»An einen sichern Ort, meine Herrschaften, an einen Ort, wo kein menschliches Ohr uns hört und Ihnen so wenig wie mir Gefahr droht. Wir wandeln nämlich auf gefährlichem Boden, und wer von uns die am meisten bedrohte Partei ist, werden Sie selbst am besten ermessen.«

Es erfolgte jetzt eine kurze, im Flüstertone geführte Berathung zwischen den beiden Geschwistern, bei welcher die Gräfin augenscheinlich die entscheidende Stimme führte, denn sie trat zuerst neben Merle hin, ihn auffordernd, voranzuschreiten.

»Es ist nicht unmöglich, daß Ihre Mittheilungen, wenn auch nicht für uns, doch für andere, uns bekannte Personen Werth haben,« sagte sie mit kalter Ruhe, hinter welcher nur eine eiserne Willenskraft wohnen konnte; »wir wollen daher um das Blatt förmlich handeln - vorausgesetzt, Sie haben dasselbe nicht gefälscht - und sind Ihre Forderungen nicht zu unverschämt, sollen sie Ihnen bewilligt werden.«

Der Gauner antwortete durch ein unterdrücktes, vertrauliches Lachen, zog seinen Rock fester um sich und schlug dann denselben Weg ein, den er gekommen war.

»Sie müssen einem armen Teufel schon gestatten, daß er wie Ihresgleichen in einer Reihe mit Ihnen geht,« sagte er nach einer Weile, als er bemerkte, daß der Graf sich etwas entfernt von ihm hielt; »nicht als ob mir viel um die Ehre zu thun wäre, mit hochgeborenen Herrschaften beinahe Arm in Arm zu gehen, denn in diesem Augenblicke sind wir doch so ziemlich gleich; nein, gewiß nicht; aber es ist rathsamer, die uns etwa begegnenden Wächter halten uns für ein Kleeblatt von lustigen Nachtschmetterlingen, als wenn sie in mir den Führer und in Ihnen ein paar verführte junge Leute vermuthen.«

Die Gräfin knirschte mit den Zähnen, der Graf stieß einen leisen Fluch aus, doch zögerten Beide nicht, sich dem Gauner dichter anzuschließen, und schweigend eilten sie in vielfachen Windungen durch die engen, anscheinend verödeten Gassen dahin.

Nach Verlauf einer Viertelstunde, die Merle dazu verwendet hatte, auf weiten Umwegen in eine ganz nahe gelegene Sackgasse zu gelangen, ohne Zweifel, um seinen Begleitern das Wiederauffinden des zurückgelegten Weges zu erschweren, blieb er vor einem hohen, dem Aeußeren nach unbewohnten Gebäude stehen.

»Hier hinein müssen wir,« sagte er flüsternd, nachdem er einige Secunden gelauscht hatte; »einen sicherern Ort giebt es in der ganzen Stadt nicht. Die Herrschaften werden zwar manche Bequemlichkeit vermissen, allein wenn wir uns schnell einigen, mögen Sie diese Gegend auch schnell wieder verlassen.«

So sprechend, zog er ein großes Zuschlagemesser aus der Tasche, und die starke Klinge desselben zwischen den morschen Thürpfosten und das lose haftende Schloß schiebend, gelang es ihm leicht, den rostigen Riegel zur Seite zu drücken. Indem er sich sodann mit der Schulter an die Thür lehnte, wich dieselbe mit knarrendem und schurrendem Geräusch nach innen. »Wie gesagt, meine gnädigen Herrschaften, etwas unwohnlich ist die alte Baracke, und zwar so unwohnlich, daß kein Mensch mehr in ihr hausen mag, aus Besorgniß, daß ihm die Bude über dem Kopfe zusammenbrechen könne,« bemerkte Merle spöttisch, einen Schritt zurücktretend und durch eine Bewegung die beiden Geschwister auffordernd, einzutreten; »und dabei ist sie so werthlos, daß sich Niemand dazu findet, sie auch nur auf Abbruch zu kaufen.«

»Aber es ist ja stockfinster da drinnen,« versetzte der Graf zaudernd.

»Geniren Sie sich nicht,« antwortete Merle boshaft, »treten Sie immer ein; ich will nur die Thür hinter uns zuschieben, und dann führe ich Sie - oder fürchten Sie sich etwa?«

»Schnell, schnell,« sagte die Gräfin ungeduldig, und hastig schritt sie ihrem Bruder voran in die dunkle, schmale Hausflur hinein. »Sie sind nicht der Mann, uns Furcht einzuflößen; wir können nicht leicht eingeschüchtert werden, wir sind bewaffnet.«

»Dachte ich's doch, daß Sie meiner geheimen Aufforderung nicht folgen würden, ohne sich auf alle Fälle vorbereitet zu haben,« hohnlachte Merle; »die Mühe hätten Sie sich indessen ersparen können, es geschieht Ihnen nichts; im Gegentheil, mir ist sehr darum zu thun, daß Sie Ihre Wohnung wohlbehalten erreichen und noch recht lange und recht glücklich leben.«

Bei diesen Worten schob er die Thür wieder zu, doch ließ er den Riegel mit Bedacht nicht einspringen.

»Sie sehen, die Thür bleibt unverschlossen,« fuhr er darauf heimlich flüsternd fort, »der Rückweg steht Ihnen also jederzeit offen.«

»Wäre es nicht besser, zuzuschließen?« fragte der Graf, der Angesichts des Muthes seiner Schwester den eigenen Muth ebenfalls wieder wachsen fühlte; »ich meine, wir befänden uns vor unberufenen Zeugen sicherer, und mir liegt sehr wenig daran, an solchem Orte und in Ihrer Gesellschaft gesehen zu werden.«

»Beruhigen Sie sich, Herr Graf, wer auch immer hier eindringen mag, muß die Thür zurückschieben, und daß dies nicht ohne ein durch die ganze Baracke schallendes Geräusch geschehen kann, haben Sie eben gehört. Uebrigens getrauen sich nicht leicht Menschen im Dunkeln hier herein, denn sie müssen bei jedem Schritte befürchten, mit den von Würmern zerfressenen Bretern durchzubrechen und sich Arme und Beine zu zerschmettern; die Kinder aber, die während des Tages an diesem Orte manchmal Schutz gegen das Wetter suchen und spielend in dem baufälligen Gerüste umherklettern, werden sich hüten, bei solcher Hundekälte hier zu übernachten. Aber bitte, gnädigste Gräfin, reichen Sie mir die Hand, denn erstens muß ich Sie vor Unglück bewahren, das leicht durch einen Fehltritt herbeigeführt werden kann, und dann dürfen Sie mich auch dreist anfassen, weil ich Handschuhe trage.«

»Hannibal, ich lasse Dir den Vortritt,« flüsterte die von unbesiegbarem Widerwillen ergriffene und über die vertrauliche Sprache des Gauners entrüstete Gräfin ihrem Bruder zu, indem sie sich rückwärts an demselben vorbeidrängte.

Dieser ergriff darauf entschlossen Merle's Hand, und seiner Schwester die noch freie Hand reichend, forderte er seinen Führer auf, nicht länger zu zögern.

Merle lachte wiederum höhnisch; er war scharfsinnig genug, zu errathen, weshalb die beiden Geschwister ihre Plätze wechselten. Er hielt es indessen nicht der Mühe werth, eine Bemerkung darüber zu machen, und indem er sich langsam vorwärts tastete, zwang er den Grafen, genau seinen Spuren zu folgen.

Anfangs fühlten sie sichern Boden unter ihren Füßen, sobald sie aber die Breite des zerfallenden Hauses durchschritten hatten, ermahnte der Gauner die Geschwister zu doppelter Vorsicht, weil sie nunmehr eine Treppe zu ersteigen hätten, an der nicht nur das Geländer, sondern auch hin und wieder eine Stufe fehle.

»Was nicht gerade durch eiserne Klammern und Kalk mit dem Mauerwerk verbunden gewesen ist, haben die Nachbarn längst fortgeschleppt,« erklärte er, während er langsam und jedes Mal die Haltbarkeit der Stufe prüfend, bevor er ihr sein Gewicht anvertraute, emporstieg: »Das Holz ist theuer, und frieren wollen die Leute nicht gern - verdammt finster hier, aber das ist um so besser; bei Tage würde den gnädigen Herrschaften vielleicht schwindelig werden.«

Eine Antwort erhielt er nicht, denn der Graf sowohl wie seine Schwester empfanden eine seltsame Beklemmung, indem sie bedachten, daß sie sich vollständig in die Gewalt eines gewissenlosen Verbrechers gegeben hatten, der, wenn er wollte, sie in jedem Augenblicke ihrem Schicksale überlassen und dadurch am leichtesten ihr Verderben herbeiführen konnte.

Nach Ersteigung von ungefähr zwanzig vielfach unterbrochenen Stufen gelangten sie auf eine kleine Abflachung, welche Merle die zweite Etage nannte. Gleich darauf betraten sie eine neue Treppe, die, noch mangelhafter, als die erste, den Vorzug hatte, daß der Rest eines festen, allmählich glatt geriebenen Strickes an ihr niederhing, welcher seit uralten Zeiten das fehlende Geländer vertreten hatte.

Der Gauner gab den Geschwistern den Strick in die Hände, doch rieth er, denselben nur als Führer zu benutzen und sich auf keinen Fall zu schwer auf das morsche Geflecht zu stützen, indem man nicht wissen könne, ob es nicht von den schadenfrohen Kindern stellenweise eingeschnitten sei und daher unter ihrer Last reißen würde.

War dies nun wirklich der Fall, oder beabsichtigte Merle, seine Begleiter in eine seinen Zwecken entsprechende Aufregung zu versetzen, die Wirkung der Erklärung blieb dieselbe; denn jedenfalls erreichte er, daß selbst die Gräfin ein kalter Schauer überlief und sie die Umstände verwünschte, durch welche sie in eine so gefährliche Lage gebracht worden war.

Doch auch das dritte Stockwerk erstiegen sie, ohne einen ernstlichen Unfall zu erleiden, wenn ihre Füße auch mehrfach beim Suchen nach der fehlenden Stufe ausglitten und sie sich zum Schutze gegen gefährliches Straucheln mit den Händen an das Holzwerk anklammern mußten.

Dort nun erklärte Merle, daß sie die erforderliche Höhe erreicht hatten und nur noch eine kurze Strecke sie von dem einzigen Gemache des Hauses trenne, in welchem, ohne Gefahr einer Entdeckung von außen, Licht angezündet werden dürfe.

Alsdann forderte er seine Begleiter auf, wieder eine Kette mit ihm zu bilden, und behutsam mit den Füßen auf den holprigen, schadhaften und zum Theil bereits losgebrochenen Dielen einherschlurfend, durchmaß er einen moderig duftenden Gang, der so schmal war, daß zwei einander begegnende Personen Mühe gehabt hätten, sich gegenseitig auszuweichen.

Der Gang führte in ein nach dem Hofe hinaus liegendes Nebengebäude, und wohl zwanzig Schritte legten sie in demselben zurück, bis Merle endlich still stand, nach einigem Umhertasten eine knarrende Thür aufstieß und mit zufriedenem Ausdrucke erklärte, daß sie an Ort und Stelle seien.

Während Merle und seine Begleiter sich mühsam ihren Weg durch die finsteren Räumlichkeiten der zerfallenden Baracke suchte, war die Gasse vor derselben ebenfalls nicht ganz unbelebt geblieben.

Die Hausthür hatte sich nämlich kaum geschlossen und noch waren, wenn man aufmerksam lauschte, die Stimmen auf der Hausflur zu unterscheiden, da glitt ein kleiner, flüchtiger Schatten heran, als ob er ebenfalls in das Innere des Gebäudes habe eindringen und den Voranschreitenden nachfolgen wollen.

Er legte auch wirklich die Hand an das Schloß; sobald die Thür aber auf den leisen Druck mit einem kurzen Knarren antwortete, prallte der kleine Schatten erschreckt zurück.

Eine Minute blieb er mit einem Ausdrucke der Unentschlossenheit stehen, und erst als die Gasse wieder einmal auf kurze Zeit ganz menschenleer war, schlüpfte er einige Schritte weit von der Thür fort, und hastig und mit einer Gewandtheit, die man dem kleinen Wesen kaum zugetraut hätte, zog es einen lose eingefügten Stein aus dem nächsten von dem morschen Gebälk gebildeten Fache auf die Straße heraus.

Offenbar hatte Riekchen, denn sie war es ja, schon vielfach auf diesem Wege, gleich anderen unglücklichen Kindern, Eingang in das verödete Haus gefunden, wenn des Vaters Schläge sie von dannen getrieben und das böse Wetter das Betteln zu beschwerlich und wenig lohnend machte; denn dem ersten Steine folgte der zweite bald nach, und noch keine Minute hatte sie bei dieser seltsamen Arbeit zugebracht, da war die Oeffnung groß genug, um mit Bequemlichkeit hindurchschlüpfen zu können.

Einen scheuen Blick warf sie die stille Gasse hinunter. Die Beleuchtung der einzigen in derselben trübe brennenden Laterne traf sie nicht, kein menschliches Auge war auf sie gerichtet, und Zeit hatte sie nicht mehr zu verlieren, wenn sie den von der Mutter erhaltenen Auftrag gewissenhaft ausführen wollte. Schnell entschlossen hing sie daher das große Umschlagetuch über ihren Arm, und Kopf und Schultern in die Maueröffnung schiebend, verschwand sie mit einer Schnelligkeit im Innern, als ob sie plötzlich in die Erde gesunken wäre.

Einmal im Innern, war es keine schwere Aufgäbe für sie, ihrem Vater unentdeckt nachzufolgen. Sie kannte ja jeden Zollbreit der alten Baracke, die ihr so oft Schutz gewährt hatte, und wo die Stufen unter dem Gewichte Merle's und des vornehmen Geschwisterpaares krachten und knarrten, da glitt die leichte, schmächtige Gestalt so geräuschlos über dieselben hin, als ob sie wirklich nur ein schwebender Schatten gewesen, wäre. -

»So, meine Herrschaften, Sie mögen jetzt so offen und ungenirt sprechen, als ob Sie sich auf dem Monde befänden,« sagte Merle, nachdem er eine halbe Wachskerze angezündet und auf einer Schuttanhäufung mittels Lehmklößen und kleinen Steinen zum Stehen gebracht hatte. »Niemand hört uns, Niemand sieht uns, und wenn wir dieses Haus nach zufriedenstellender Abwickelung unserer Geschäfte verlassen haben, kennt Einer den Anderen nicht mehr. Sie sehen, ich halte auf Anstand und bin ein Mann von Wort.«

Diejenigen, an die er diese Erklärung richtete, antworteten nicht gleich. Nachdem sie sich so lange in der undurchdringlichen Finsterniß befunden hatten, blendete sie sogar die von dem Lichte ausströmende gedämpfte Helligkeit, und mit ängstlicher Neugierde spähten sie nach allen Richtungen, um sich mit dem Charakter ihrer Umgebung vertraut zu machen.

Beide sahen in Folge der anhaltenden Aufregung bleich aus, doch war eine finstere Entschlossenheit auf ihren Zügen ausgeprägt, nur daß bei dem Grafen sich erst mit dem Aufflackern des Lichtes der Muth wieder eingestellt zu haben schien, der ihn, so lange er der vermeintlichen Gefahr nicht gerade in's Auge schauen konnte, gern bis zu einem gewissen Grade verließ.

Trotzdem war er immer noch eine schöne, stattliche Erscheinung, die durch den bürgerlichen Anzug, welchen er vorsichtiger Weise angelegt hatte, keineswegs beeinträchtigt wurde, und wenn jemals ein Mensch eine sogenannte aristokratische Haltung zeigte, so war es der Graf, als er in Merle einen zwar vierschrötigen, aber ihm doch nur bis zur Schulter reichenden und augenscheinlich nicht mit ungewöhnlicher Körperkraft ausgerüsteten Menschen erkannte.

Die Gräfin dagegen bot in ihrer männlichen Kleidung das Bild eines tadellos gewachsenen, zarten Jünglings, aus dessen Zügen aber eine Willenskraft sprach, die den meisten Männern, namentlich ihrem stattlichen Bruder, zur Ehre gereicht haben würde.

Die weiten Pelze und die der rauhen Jahreszeit angemessenen Kopfbedeckungen gestatteten übrigens nicht, viel von ihren Figuren zu entdecken, nur wenn sie sich bewegten, traten dieselben hinlänglich durch den weiten Faltenwurf hervor, um ihre äußeren Formen nothdürftig verfolgen und sogar bemerken zu können, daß nicht allein der Graf, sondern auch seine Schwester Waffen führten, die, an sich unscheinbar, doch in einem Handgemenge allen anderen vorzuziehen sind.

Das Gemach unterschied sich in seiner Ausstattung kaum von Merle's Behausung, als dieselbe noch nicht durch Doctor Bergmann's Einschreiten so wesentlich verändert worden war. Nur geräumiger erschien es und seiner höheren Lage wegen nicht so feucht, obwohl auch hier der verwitterte Lehmüberwurf von Wänden und Decke losgebröckelt war und den Fußboden dicht bedeckte. Jedenfalls stand der verödete Raum im Einklange sowohl mit der äußeren Erscheinung und den Worten des verwegenen Gauners, wie mit den Gefühlen und Plänen, welche das Geschwisterpaar hiehergeführt hatten.

»Nicht wahr, meine gnädigen Herrschaften, eine schöne Gelegenheit hier, Geheimnisse auszutauschen?« fuhr Merle mit vertraulicher Höflichkeit fort, als seine Begleiter ihm auf die erste Anrede die Entgegnung schuldig blieben.

»Darum handelt es sich nicht,« versetzte die Gräfin, ihre Lippen voller Verachtung emporkräuselnd; »Sie brauchen uns nicht auf Dinge aufmerksam zu machen, die wir bequem mit unseren eigenen Augen sehen. Aber giebt es hier nicht irgend einen Gegenstand, auf welchen man sich niedersetzen könnte? Ich fühle mich erschöpft von der ungewohnten Wanderung.«

Ueber das brutale Gesicht des Gauners zuckte ein Blitz giftiger Schadenfreude und innerer Befriedigung, und mit einer Bereitwilligkeit, welche selbst den Grafen überraschte, beeilte er sich, auf einer Stelle, die ziemlich frei von Schutt, mehrere der umherliegenden Mauersteine so über einander zu schichten, daß sie zwei Menschen einen nothdürftigen Sitz gewährten.

Nachdem das Geschwisterpaar sich niedergelassen hatte, scharrte er etwa zwei Schritte weit von ihnen den Schutt zur Seite, wobei er verstohlen nach etwas suchte. Sein Stiefel stieß endlich an einen im Fußboden befestigten, ihm selbst nur bemerkbaren Gegenstand, worauf er sich ohne viel Rücksicht für seinen Anzug so auf den staubigen Boden warf, daß der gesuchte Gegenstand sich im Bereiche seiner Hände befand. Zu gleicher Zeit achtete er aber auch darauf, daß die Beleuchtung seinen Rücken traf, während sie voll auf die noch immer bleichen und eine hohe Spannung verrathenden Gesichter des Grafen und seiner Schwester fiel.

»Meine gnädigen Herrschaften,« eröffnete er alsbald die Unterhaltung mit einem Anstande, der früheren und besseren Zeiten angehörte, jetzt aber durch eine Beimischung niedriger Frechheit widerwärtig wurde, »ich erlaube mir, vorzuschlagen, so wenig Worte wie möglich zu machen; verkehren wir wie redliche und gebildete Leute mit einander und ereifern wir uns nicht, damit wir recht bald zu einem endgültigen Schlusse gelangen.«

»Ersparen Sie sich die Vorrede,« entgegnete die Gräfin ruhig, während des Grafen Hand unter seinem Pelze sich auf einen Pistolenkolben legte; »sagen Sie, was Sie für Ihr sogenanntes Geheimniß fordern, und es soll mir auf ein paar Louisd'or mehr nicht ankommen.«

»Ich glaube es Ihnen gern, gnädigste Gräfin,« erwiderte Merle nicht minder ruhig; »für Ihresgleichen ist es gewiß keine Freude, mit einem Menschen von zweideutigem Charakter um Mitternacht über eine Sache zu unterhandeln, die weit eher vor den Untersuchungsrichter gehörte. Fassen Sie dies indessen nicht von der schlimmsten Seite auf; denn morgen, wenn Sie in Ihren erleuchteten Sälen strahlend umherschweifen und die allgemeine Bewunderung auf sich ziehen, sieht kein Mensch Ihnen an, daß Sie in dieser Nacht mit einem armen Schlucker verkehrten.«

»Was soll das heißen, Unverschämter? Haben Sie uns hieher gelockt, um Narrenpossen mit uns zu treiben?« fuhr der Graf empor.

Die Gräfin dagegen, obwohl ihre Zähne sich auf einander preßten, legte die Hand beschwichtigend auf den Arm ihres Bruders.

»Ereifere Dich nicht, der Mensch hat im Grunde Recht, und Deine Heftigkeit verursacht nur neuen Zeitverlust,« sagte sie kaltblütig, worauf sie Merle ein Zeichen gab, fortzufahren.

»Ja, Herr Graf, ereifern Sie sich nicht,« wiederholte der Gauner im Geschäftstone, »Sie müssen die Sachen nehmen, wie sie kommen. Uebrigens sollen Sie mit mir zufrieden sein, oder glauben Sie vielleicht, ich hätte mir um nichts und wieder nichts so viel Mühe mit Ihnen gemacht, oder gar, um Sie zu berauben? Rauben schlägt nicht in mein Fach, ich verdiene mir meinen Unterhalt auf redlichere Weise. Allerdings hatte ich Ihnen das kostbare Blättchen Papier ebenso gut anderswo einhändigen können, und Sie würden mich auch wahrscheinlich anständig bezahlt haben; ich zog es indessen vor, Sie an einen Ort zu führen, wo die Kräfte gleich vertheilt sind, ich meinen Worten also auch höheres Gewicht beilegen kann, ohne vor die Thür geworfen oder gar als Betrüger den Gerichten überantwortet zu werden.«

»Weiter!« befahl die Gräfin, ihre Lippen fast blutig beißend, als Merle schwieg.

»Gern, gnädigste Gräfin; auch ich sehne mich, zu Ende zu kommen, denn es ist verteufelt kalt in dieser löcherigen Bude, und bis zu einem Zobelpelze habe ich es noch nicht gebracht. Also auch Sie und Ihr Herr Bruder bezweifeln nicht die Wichtigkeit des erwähnten Documentes oder dessen Echtheit, oder Sie würden sich gehütet haben, mir bis hierher zu folgen. Ja, ja, ich kenne das aus Erfahrung, ein böses Gewissen ist eine mächtige Triebfeder; doch ich sehe, Sie werden ungeduldig, kommen wir daher zur Sache selbst:

»Auf einem Dorfe, wohl an hundert Meilen weit von hier, lebte vor etwa neun oder zehn Jahren ein alter, steinalter Pfarrer. Der Pfarrer, ohne nähere Angehörigen, hatte eine junge Wirthschafterin zu sich genommen, die seiner Haushaltung redlich vorstand. Sie war ein gutes Mädchen, und schön war sie auch, ja, so schön, daß sogar vornehme Herren sich herabließen, ihre Augen auf sie zu werfen.«

»Weiter, weiter!« rief die Gräfin, ungeduldig mit dem Fuße stampfend.

»Bitte, gnädigste Gräfin,« erwiderte Merle, indem er mit der Hand in den Schutt griff und daselbst etwas festhielt, »erschüttern Sie das Haus nicht, es steht sehr lose. Ich sprach von der Wirthschafterin - gut also. Eines Tages erhielt Dorothea - so hieß sie - die Aufforderung, zu einer vornehmen Dame in der nahe gelegenen Stadt zu kommen.

»Dorothea, in der Meinung, es handle sich um die Anstellung ihres Bräutigams - einen Bräutigam hatte sie nämlich auch, und zwar einen hübschen, ansehnlichen jungen Menschen, der aber in einer andern Stadt wohnte und trotz seines Leichtsinns ihr treu blieb, nachdem er sie als Soldat auf dem Durchmarsche kennen gelernt - verzeihen Sie meine Weitschweifigkeit,« schaltete Merle hier ein, »es gehört indessen Alles zur Sache, wie Sie gleich hören werden. Kurz und gut also: Dorothea, von den schönsten Hoffnungen beseelt, leistete der seltsamen Einladung Folge.

»Mit der erhofften Anstellung war es indessen nichts; die vornehmen Herrschaften, Bruder und Schwester, hatten nicht einmal die Ehre, den Herrn Bräutigam zu kennen, dagegen erkundigten sie sich sehr angelegentlich nach Dorothea's Verhältnissen und fragten schließlich, ob sie nicht Lust habe, einige Hundert Thaler zu verdienen.

»Dorothea dachte an ihren Geliebten, der ebenfalls arm wie eine Kirchenmaus war, und daß derselbe ihr wohl untreu werden könne, wenn die Hochzeit nicht bald stattfinde. Ferner leuchtete ihr ein, daß die paar Hundert Thaler zur Begründung eines kleinen Hausstandes gerade ausreichen würden, und sie erklärte sich mit Freuden bereit, den vornehmen Herrschaften den Dienst zu leisten. Sie schrak wohl zurück, als man ihr zumuthete, ein ihr bezeichnetes Blatt aus dem Kirchenbuche zu entwenden und den Herrschaften einzuhändigen; allein freundliches Zureden, Schmeicheln von Seiten des Herrn Grafen und endlich die bestimmte Aussicht auf ihre Verheirathung verscheuchten die letzten Bedenken und sie mißbrauchte das Vertrauen des alten Pfarrers. Außerdem mochte sie darauf gerechnet haben, daß der bejahrte Herr, der sich schon vielfach durch einen Candidaten vertreten lassen mußte, nicht mehr lange leben und das Fehlen des Blattes, wenn es nach dessen Tode überhaupt entdeckt werden sollte, wohl seiner Zerstreutheit zur Last gelegt werden würde. Der Küster war aber noch älter, als der Pfarrer, und verstand von kirchlichen Angelegenheiten nicht mehr, als gerade nothwendig, um Küster zu spielen.

»Dorothea und ihre hochgeborenen Freunde hatten also allen Grund, anzunehmen, daß der Diebstahl ihnen niemals zur Last gelegt werden könne, und die Sache wurde daher ganz im Sinne des Herrn Grafen und der noch sehr jungen, dafür aber um so schlaueren Gräfin ausgeführt. Unverantwortlich bleibt nur, daß die arme Dorothea von denjenigen, die sie zu dem Diebstahle verleiteten, getäuscht wurde.«

»Jedenfalls ist sie für ihre Dienstleistung glänzend bezahlt worden,« fiel die Gräfin dem Gauner in die Rede; »Sie brauchen übrigens nicht so ausführlich zu sein, nachdem Sie den Beweis geliefert, daß Sie mit dem Vorgange, der damals aus einer unbedachtsamen Laune entsprang, hinlänglich vertraut sind, um uns einige Verdrießlichkeiten bereiten zu können. Beantworten Sie mir ein paar Fragen, übergeben Sie mir das unterschlagene Blatt, geben Sie mir ferner die sichere Bürgschaft, daß Sie diese Angelegenheit nie wieder mit einer Silbe berühren, und es wird Ihnen eine Summe ausgezahlt werden, die vielleicht Ihre Erwartungen noch übertrifft.«

»Recht gern, meine gnädigen Herrschaften,« versetzte Merle mit einem verschmitzten Lächeln; »auch mir ist es lästig, alte Geschichten wieder auskramen zu müssen, und mögen Sie daher so viel fragen, wie Sie nur immer wollen.«

Die Gräfin sann eine Weile nach, warf einen unzufriedenen Blick auf ihren Bruder, der das, was er eben vernommen hatte, gar nicht fassen zu können schien, und dann wendete sie sich an Merle:

»Wo befindet sich jetzt das verrätherische Blatt, welches damals unvorsichtiger Weise im Besitze der albernen Wirthschafterin gelassen wurde?«

»Hier,« antwortete Merle, indem er ein zusammengefaltetes Papier aus der Brusttasche zog, es aber sogleich wieder zurückschob.

»Wer steht uns für die Echtheit desselben?« fragte die Gräfin weiter.

»Ich mit meiner Ehre und Sie mit Ihren guten Augen, wenn ich Ihnen den Wisch erst eingehändigt haben werde - doch das hat noch keine Eile.«

Ueber der Gräfin Gesicht breitete sich wieder eine Wolke der bittersten Verachtung aus.

»Was ist aus der Wirthschafterin geworden?« fragte sie nach einer kurzen Pause.

»Nun, das Mädchen mochte sich nach dem Diebstahl nicht mehr recht heimisch bei dem alten Pfarrer fühlen; denn anstatt dessen Tod abzuwarten und noch Dieses oder Jenes aus dem Nachlasse zu beziehen, benutzte es das Geld dazu, dem Geliebten nachzureisen, ihm mit den Paar Hundert Thalern die Augen zu verblenden und sich mit ihm trauen zu lassen. Leider reichte das Geld nicht weit; noch kein Jahr war verstrichen, und der letzte Groschen war zum Teufel.«

»Sie scheinen die Verhältnisse der Wirthschafterin genau zu kennen.«

»Hm, ja, ich sollte wohl!«

»Was ist aus ihr geworden und wo befindet sie sich jetzt?«

»Sie ist längst todt; ich kam noch gerade zur rechten Zeit, um das Blatt in Empfang zu nehmen, welches sie neben einem vollen Bekenntnisse einem fremden Herrn zugedacht hatte.«

»Weiß der Mann der Verstorbenen nichts von der Geschichte?«

»Bis zu ihrem Tode hatte er keine Ahnung davon. Sie war verschwiegen, wie das Grab, und außer den gnädigen Herrschaften bin ich jetzt der Einzige, der das Geheimniß kennt.«

»So sind Sie wohl gar der Gatte jener Wirthschafterin?«

»Ihnen zu dienen! Ich war es bis zu ihrem Tode und habe das Geheimniß in rechtlicher Weise von meiner verstorbenen Frau geerbt; nur hoffe ich, da sie selbst sich außer dem Bereiche jeder gerichtlichen Verfolgung befindet, es besser zu verwerthen, als sie gethan hat.«

»So geben Sie denn das Blatt, und ich will Ihnen auf der Stelle zwanzig Louisd'or dafür auszahlen.«

»Zwanzig Louisd'or?« fragte Merle achselzuckend.

»Ich lege noch dreißig hinzu,« versetzte der Graf schnell, als ob plötzlich ein Entschluß in ihm reif geworden wäre, und zugleich zog er seine Brauen drohend zusammen.

»Das macht im Ganzen fünfzig,« entgegnete Merle kaltblütig, ohne des Grafen drohende Haltung auch nur eines Blickes zu würdigen. »Bah, was sind fünfzig Louisd'or! Verdoppeln Sie die Summe, und ich will sehen, was sich thun läßt. Es wäre ja möglich, daß noch Leute lebten, die mir gern das Vierfache dafür böten; es ist mir nur zu unbequem, nach solchen zu forschen. Ich denke: Ein Sperling in der Hand ist besser, als zehn auf dem Dache! Also, meine Herrschaften, entscheiden Sie sich schnell - hundert Louisd'or, keinen Pfenning weniger! Wollen Sie, oder wollen Sie nicht? Bedenken Sie gefälligst, daß meine Stellung mir nicht erlaubt, viel Zeit mit Ihnen zu verlieren.«

»Unverschämter Schurke, vergessen Sie nicht, mit wem Sie sprechen!« fuhr der Graf jetzt schäumend auf, und zugleich zog er die mit einer kurzen Pistole bewaffnete Faust aus seinem Pelze hervor, während seine Schwester den Gauner mit prüfenden Blicken betrachtete, offenbar um zu erspähen, welchen Eindruck ihres Bruders ritterliches Wesen auf ihn ausüben würde. »Vergessen Sie nicht, daß ich Sie wie eine giftige Kröte zermalmen kann!« fuhr der Graf unterdessen tief und geräuschvoll athmend fort. »Ueberlegen Sie wohl, ob es rathsam ist, mich bis auf's Aeußerste zu reizen, mich zu zwingen, Sie so zu behandeln, wie Sie es verdienen! Ob man aber viel Aufhebens davon machen wird, einen Elenden Ihres Gelichters mit zerschmettertem Kopfe zu finden, werden Sie sich selbst am besten sagen können!«

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